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Ob Forest Gum, True Gum,Chicza oder Alpengummi –eine neue Generation Kau-

gummi-Produzenten scheint derzeitdas traditionelle Angebot zu revolutio-nieren. Was sie anders machen? – Sieproduzieren Kaumasse aus den Säftender Breiapfelbäume oder dem Harzvon Pinien und kehren damit zurückzu den Ursprüngen der Kaukultur.„Für viele Umweltprobleme, die esheutzutage gibt, braucht es einfachneue Ideen“, sagt Alpengummi-Co-Gründerin Sandra Falkner. Heutzutagewürden Produkte, die früher aus Harzhergestellt wurden, durch Erdöl er-setzt. Falkner will genau das ändern.„Es war uns ein Anliegen, Harz wiederzu verwenden“, sagt sie.

Mit ihren Produkten haben Falknerund ihre Partnerin Claudia Bergero dasTraditionshandwerk der Harzgewin-nung, die Pecherei, in der heimischenLand- und Forstwirtschaft wieder be-lebt – zumindest in Österreich. Von ih-ren produzierten Alpengummis sind imJahr 2019 nach ihren Angaben 40 000Packungen über den Lebensmittelhan-del und den eigenen Online-Shop ver-kauft worden. Dieses Jahr soll es dasDreifache sein.

Zwar haben die beiden Umweltwis-senschaftlerinnen der Universität fürBodenkultur in Wien das lukrative An-gebot von Investor Hans Peter Hasel-steiner in der österreichischen Startup-

Show „2 Minuten 2 Millionen“ abge-lehnt, durch diesen Auftritt im April2019 aber an Bekanntheit zugelegt.„Wir sind seitdem mit unseren beidenSorten Erdbeere und Waldminze imLebensmittelhandel, teilweise sogarschon in der Kassenzone. Dort werdendie Packungen mit 10 Stück Kaugummifür 2,99 Euro verkauft.“ Aufgrund derNachfrage sei die Produktion in Wienvon händisch auf maschinell umgestelltworden. Unterstützung erhalten sievon drei Mitarbeitern. „Wir wollenaber organisch wachsen und habenauch den deutschen Markt im Visier“,so Falkner.

Ähnliche Ziele verfolgen die ande-ren Anbieter, die ihre Produkte eben-falls längst über Onlineshops, Bio- oderDrogeriemärkte vertreiben. Die Grün-der von True Gum beschäftigen in ihrerProduktionsstätte in Kopenhagen auf-grund der großen Nachfrage mittlerwei-le zwanzig Mitarbeiter und sind insge-samt zu einem 40-köpfigen Team ange-wachsen. In ihrem Heimatland Däne-mark gibt es ihren Kaugummi in allenSupermärkten, an Tankstellen, in Re-formhäusern, in Cafés und Espresso-Bars. Seit Oktober 2019 nun auch inDeutschland.

Bei den dm-Drogeriemärkten istTrue Gum mit den beiden Sorten Ing-wer & Kurkuma und Minze & Matcha inder Volllistung. Distributeur Timo Leh-nert, der von Hamburg aus den Ver-

trieb und die Logistik der Ware für dieDänen steuert, spricht von spannendenZeiten. „Gefühlt ist die KassenzoneHoheitsgebiet langjähriger Produzen-ten. Wir spüren aber, dass da gerade et-was aufbricht.“ Der Lebensmittelhan-del bemerke, dass der Kunde auch an-dere Produkte kaufen wolle.

Bislang sind die 20 Gramm-Pa-ckungen für 1,95 Euro im Süßwaren-Regal zu finden. Mit Zweitplatzierun-gen soll in rund 1 200 dm-Märktendas Produkt nochmal gezielt bewor-ben werden. Geschäftsführer Sebasti-an Bayer zieht bereits jetzt ein positi-ves Fazit: „Wir können beobachten,dass die Kaugummis von True Gumbei unseren Kunden beliebt sind.“ Be-sonders die Natürlichkeit der Inhalts-stoffe sowie der lang anhaltende undintensive Geschmack bewegten dieKunden zum Kauf.

Nach dem erfolgreichen Deutsch-landstart von True Gum zieht nun auchFamila nach und hat das Produkt in80 Märkten und mit weiteren Sorten –Himbeere & Vanille, Lakritze & Euka-lyptus – in der Testlistung. Warenbe-reichsleiter Ulf Hennings: „Wir müssenuns den gesellschaftlichen Debattenstellen und dem Kunden auch neue,nachhaltige Produkte anbieten.“ Auchmüsse sich der Handel dahingehendverändern, dass er schneller reagiereund Trends sofort aufgreife. Im Famila-Haus im Hamburger Stadtteil Steils-

hoop scheint das Experiment bereitsgelungen. Warenhausleiter MatthiasArndt sagt über den Abverkauf: „Wirverkaufen die True-Gum-Produkte seitAnfang Januar und können sagen, dassdie Produkte gekauft werden. Die Kun-den greifen zu und probieren das.“

Jacob Sand Motzfeldt, Mitbegrün-der von True Gum, hat von diesemEinstieg geträumt. „Ja, wir wollen dendeutschen Markt erobern“, sagt er. Seit2017 schreibt er mit an der True-Gum-Story und ist überzeugt, dass etwas inBewegung gekommen ist. „Wir wissen,Kaugummi hat eine lange Geschichtemit großen Herstellern, aber die Zu-kunft hat begonnen, mit neuen Produ-zenten und „grünen Firmen“, betonter. Grün steht in dem Fall für das Roh-produkt, das die Dänen aus Mexiko be-

Startups erfinden das Kaugummikauen gerade neu und sind auf dem Sprung in die Kassenzone. Etablierte Anbieter wie Mars-Wrigley,Hitschler oder CFP beobachten den Trend genau. Sie investieren derzeit in plastikfreie und nachhaltige Verpackungen. | Silke Liebig-Braunholz

»Wir müssen unsden gesellschaftlichenDebatten stellen «

Ulf Hennings,Warenbereichsleiter Famila

Die Gummi-Revoluzzer

TOP VIER DER NASCHEREI

Zuckerware

Umsatz in

Mio. Euro

Veränderung

in Prozent*

QUELLE: IRI

*12-MONATS-VERGLEICH BIS ENDE OKT. 2019

LZ GRAFIK

1

2

3

4

Fruchtgummi

Bonbons

Kaugummi

Kaubonbons

750

578

455

200

0,2

-2,6

0,2

0,7

42 LebensmittelZeitung

Ausgabe 531. Januar 2020MARKTPLATZ SÜSSWAREN

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Ausgabe 531. Januar 2020

LebensmittelZeitung43MARKTPLATZ

ziehen. Dort arbeiten sie mit Farmern,auch „Chicleros“ genannt, zusammen,die den weißen Milchsaft, „Chicle“,von den heimischen Breiapfelbäumengewinnen, indem sie in seine Rindeschneiden, aus der der Saft heraus-tropft. Damit knüpfen sie genausowie die Alpengummi-Produzentinnenan alte Herstellungsprozesse an, dieim tropischen Regenwald bis heutepraktiziert werden. Sie sichern ge-nauso wie die „Chicza RainforestGum Initiative“ oder das Startup undCrowdfunding-Projekt „Forest Gum“die Lebensgrundlagen für viele Chic-leros in Zentralamerika und für denRegenwald.

Dieser nachhaltige Ansatz scheintVerbraucher zu überzeugen, auchwenn es noch keine aussagekräftigeZahlen-Basis zu den Verkäufen derStartups gibt. Auf Nachfrage heißt esbei Marktforscher IRI denn auch, dassdie Produkte derzeit noch nicht er-fasst würden. Die Mengenentwick-lung bei Kaugummis sei insgesamt je-doch mit minus 5,5 Prozent rückläu-fig. Dennoch bleibt das Produkt diedrittstärkste Umsatzkategorie im Be-reich Zuckerware und wird sich mitden neuen Produkten anders vertei-len. Davon ist Philip Hitschler-Beckervon Hitschler International über-zeugt: „Ich glaube, dass der Marktnach wie vor ein interessanter ist unddass er sich durch solche Produktebelebt.“ Das bekräftigt auchLaurence Etienne,Deutschlandchefin derMars-Süßwarenspar-te, die Startups „mitihren Ideen undProdukten“ als eineBereicherung desMarktes ansieht.Die Top-Managerinstellt sich, anders alsdie gleichfalls angefrag-ten Unternehmen Ferreround CFP Brands, im LZ-Ge-spräch den Fragen nach der Rele-vanz der neuen plastikfreien Konkur-renzangebote. „Wir verwenden fürunsere Kaugummi-Marken aus-schließlich synthetische Kaumasse“,erläutert Etienne. Und sie gibt zu Be-denken, dass die Menge an Kaumasse,die Mars zur Deckung der weltweitenProduktion benötige, nicht aus natür-

75 000Euro kostet es laut Hambur-ger Umweltbehörde, denBodenbelag des Jungfern-stiegs zweimal jährlich mitheißem Wasserdampf zureinigen. Für die Zeil nenntdie Stadt Frankfurt die Sum-me von 90 000 Euro.

Altbekannte Rohstoffe

Auf Baumharz kauten angeblichschon Steinzeitmenschen herum,das zeigen archäologische Funde.Die Gummimasse der True GumProdukte kommt aus Mexiko, woKinder und Erwachsene Chicle,die aus dem Baumsaft gewonne-nen Masse, kauen. In Österreich(Bild unten) wird mit der Pro-duktion von Alpengummi einösterreichisches Traditionshand-werk, die Pecherei, wiederbelebt.Sie zählt als Handwerk zumUnesco Weltkulturerbe. DerPecher schneidet den Baum einund fängt das Harz anschließendin einem Topf auf. lz 05-20

lichen Quellen geschöpft werde. Daswürde die nachhaltige Forst- undLandwirtschaft vor Probleme stellen.Den ökologischen Fußabdruck wollendie Unterhachinger deshalb bis zumJahr 2025 mit 100 Prozent wiederver-wendbaren, recycelbaren oder kom-postierbaren Kunststoffverpackungenverbessern. Außerdem soll die Nut-zung von Kunststoff verringert undder Anteil an Rezyklaten erhöht wer-den. Denn: „Eine kreative Verpackungbestimmt nicht mehr allein das Kauf-verhalten“, sagt Etienne. Der Konsu-ment beziehe immer mehr die Nach-haltigkeit von Verpackungen in seineÜberlegungen mit ein.

Hitschler-Becker beobachtet des-halb, dass sich viele Hersteller nachplastikfreien Verpackungen umschau-en, bisher jedoch noch niemand eineInnovation entwickelt hat. Mars-Wri-gley liefert seine Kaugummi-MarkeExtra Professional ab Anfang März zu-mindest in einer plastikreduziertenDose mit 50 Dragees in den Lebens-mitteleinzelhandel. lz 05-20

Kauen lieberBaumpech: San-dra Falkner undClaudia Bergero(v.l., die Grün-derinnen vonAlpengummi.

Jacob Sand Motzfeldt, CEO von True Gum,will den deutschen Markt erobern.