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Ein Gespräch mit Jochen Bedersdorfer, CTO bei Sematell
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Jochen Bedersdorfer ist seit Ende des vergangenen Jahres neuer CTO von Sematell. Der Silicon-Valley-erfahrene Bedersdorfer kehrt damit zu seinen Wurzeln zurück. Schon während seines Studiums der Computerlinguistik begann der Technologie-Spezialist seine Karriere am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken. Er war maßgeblich an der Entwicklung von Mailminder beteiligt, einer Vorgängerversion der heutigen Response-Management-Lösung ReplyOne. Nach der Ausgründung aus dem DFKI trieb er im neuen Unternehmen, der damaligen XtraMind, die Weiterentwicklung als Leiter der Softwareentwicklung voran.Nach der Akquisition des Unternehmens durch Attensity wechselte Bedersdorfer 2009 ins Mutterunternehmen in die USA, wo er zuletzt als Vice President of Engagement Solutions and Technology tätig war. 2014 übernahm er die Leitung der Softwareentwicklung von Saffron Technologies und gestaltete maßgeblich den erfolgreichen Verkauf des Unternehmens an Intel im Jahr 2015 mit. Bevor er Ende 2018 wieder zu Sematell stieß, war er stark in der Silicon Valley Start-up Community mit den Technologieschwerpunkten künstliche Intelligenz und Blockchain engagiert, darunter als Gründer und CTO von ContextSmith sowie als Director of Engineering von Cryptowerk.
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JOCHEN BEDERSDORFERCTO, Sematell
EIN GESPRÄCH MIT Jochen Bedersdorfer,
CTO bei Sematell
www.sematell.com
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INTRE: Welcome in Germany. Ein sehr bekanntes Lied von Marius Müller-Westernhagen hat den Titel „Ich bin wieder hier, in meinem Revier“ Sind Sie wieder in Ihrem Revier? BEDERSDORFER: Ja, klar! Ich entspreche voll dem Saarländer Klischee von „Daheim ist es am schönsten“. Es ist toll für mich, zumindest über längere Zeit- räume nach Hause ins Saarland zu kommen, auch wenn das Silicon Valley meine zweite Heimat geworden ist. Die Erfahrungen, die ich dort gesammelt habe und auch weiter- hin sammeln werde, möchte ich nicht missen. Ich pendle nach wie vor zwischen den Ländern. Remote zu arbeiten ist heutzutage ja glücklicherweise kein Thema mehr.Wieder bei Sematell tätig zu sein, ist auch wie nach Hause kommen. Trotz wechselvoller Geschichte mit diversen Ver-käufen und Umfirmierungen, Ablösung von der US-ameri-kanischen Muttergesellschaft und Neustart als deutsches Unternehmen unter Sematell-Flagge hat sich das Unter-nehmen ja immer weiterentwickelt und sich im Markt bewährt. Die Technologie und die Funktionalität haben überzeugt – über all die Jahre hinweg. Das ist schon be-eindruckend. Es ist sehr spannend für mich, gleichzeitig an Bewährtes anknüpfen und ganz neue Entwicklungen vorantreiben zu können – und das sowohl mit alten als auch einer ganzen Reihe von neuen Kollegen.
INTRE: Thomas Dreikauss, CEO der Sematell, hat gesagt, „dass Ihre Entscheidung für Sematell unter-mauert, welches Potenzial in der Sematell KI-Techno-logie steckt.“ Daher die Frage, wie viel KI-Technologie steckt darin? BEDERSDORFER: Mindestens eine Ton-ne! Im Ernst, da steckt schon sehr ausgefeilte, aber eben auch praxiserprobte Technologie drin. ReplyOne nutzt einen hybriden Machine-Learning-Ansatz aus NLP und statistischen Verfahren. Unsere Algorithmen verarbeiten natürliche Sprache, erkennen Entitäten im Text und sind sogar in der Lage, Sentiment-Analysen durchzuführen. Im Gegensatz zu Deep-Learning-Verfahren funktioniert
unsere Lösung aber auch bereits sehr gut, wenn nur eine begrenzte Datenmenge zum Anlernen zur Verfügung steht. Unsere Textklassifikation erfolgt darüber hinaus nicht nur auf einem Gesamttext, sondern kann Texte in zu analysie-rende Abschnitte zerlegen, sodass auch komplexe The-men oder mehrere Themen pro Anfrage erkannt werden können. Das macht unseren Kategorisierungsalgorithmus so präzise und einzigartig. Wir haben außerdem mit dem DFKI einen starken Partner an der Hand, der weltweit im Hinblick auf KI-Technologie sehr angesehen ist und unsere Lösung regelmäßig evaluiert.
INTRE: Sematell will mit Ihrer Unterstützung die In-novationsgeschwindigkeit deutlich erhöhen. Worauf können sich die Kunden im Jahr 2019 einstellen? BEDERSDORFER: Einen ersten Ausblick darauf werden wir auf der CCW in Berlin geben. Wir werden zum Beispiel das Thema Chat in ReplyOne weiter ausbauen. Unsere KI lässt sich sehr gut für Chats nutzen, weil wir bereits aus kurzen Textpassagen relevante Informationen extrahieren können, aber eben nicht rein Stichwort-basiert arbeiten. Das nämlich macht einige Chatbots so fehleranfällig. Mit unserer NLP-Engine können wir sehr viel schneller erken-nen, was der Kunde genau will und ihm dann auch die wirk-lich passende Antwort liefern.Auch das Thema Cloud werden wir weiter vorantreiben und konsequent von einem individuellen SaaS-Angebot zu einem Plug-and-Play Cloud-Angebot weiterentwickeln. Das ist insbesondere für kleinere Contact Center sehr span-nend, die so ohne große Initialinvestitionen eine hochpro-fessionelle Lösung nutzen können, die problemlos nach oben skaliert.
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Und wir wollen unsere KI auch noch stärker für eine bes-sere Planung und proaktive Alarmierung nutzen. Da ist das Stichwort Predictive Analytics. Ziel ist es, dass unser Reporting-Tool ReplyControl sehr früh erkennt und den Serviceverantwortlichen benachrichtigt, wenn sich ein rele-vantes Servicethema aufbaut, zum Beispiel Reklamationen eines fehlerhaften Produktes. Damit können Servicever-antwortliche diese Themen frühzeitig deeskalieren – das ist für eine gute Customer Experience enorm wichtig und reduziert gleichzeitig Kosten.
INTRE: Haben wir in Deutschland ausreichend not-wendige „Fachleute“, die KI entwickeln können? Wenn nein, was können Unternehmen machen und was sollte „Deutschland“ machen? BEDERSDORFER: Den viel beklagten Fachkräftemangel haben wir natürlich auch im Bereich KI. Software-Entwickler sind in ganz Deutsch-land heiß begehrt, insbesondere Entwickler mit KI-Erfah-rung. Wir haben in Saarbrücken einen kleinen Standortvor-teil, weil wir in unmittelbarer Nähe zu einem renommierten KI-Kompetenzzentrum sitzen und auch Zugriff auf inter-essierte Studenten haben, die zum Beispiel ihre Master-arbeit oder Dissertation in diesem Themenbereich ver- fassen wollen.Wir haben in Deutschland sehr gute Hochschulen und For-schungseinrichtungen für das Thema Informatik und spe-ziell KI, aber immer noch zu wenige Absolventen. Eigent-lich wäre eine Imagekampagne für das Informatik-Studium vonnöten, um insgesamt mehr Abiturienten und vor allem auch Frauen für den Studiengang zu begeistern.Um das Thema KI in die Unternehmen zu bringen, brau-chen wir in Deutschland meines Erachtens aber auch bessere Rahmenbedingungen für Start-ups. Eine Unter-nehmensgründung ist in Deutschland nach wie vor viel zu aufwendig und komplex. Mit unserer typisch deut-schen Bürokratie stehen wir uns manchmal selbst im Weg. Mit Inkubatoren, die Gründern einen schnellen Start mit Co-Working-Büroräumen und Training für die wichtigsten Anforderungen liefern, und einem vereinfachten Zugang zu Kapital zur Unternehmensfinanzierung können Ideen ein-fach schneller umgesetzt werden. Von dieser Innovations-kultur profitieren letztlich auch etablierte Anbieter.
INTRE: Kann Deutschland bei der Entwicklung von KI mit anderen Ländern wie beispielsweise USA und China mithalten? BEDERSDORFER: In der akademischen Forschung sind wir in Deutschland ganz vorne mit dabei. Es hapert eher beim Transfer des akademischen Wissens hin zu einer fertigen, kommerziell erfolgreichen Lösung. Unsere Grundlagenforschung ist super, aber bei der Imple-mentierung hinken wir teilweise anderen Ländern hinterher.
INTRE: Welche KI-Trends sehen Sie bis 2025?BEDERSDORFER: Das ist ein Blick in die Glaskugel. 2025 ist im KI-Umfeld aufgrund der Entwicklungsgeschwindig-keit gefühlt mindestens ein Jahrzehnt entfernt. Da kann ganz viel passieren.Ich sehe im Moment vor allem zwei größere Entwicklungs-trends. Zum einen werden KI-Lösungen, die auf neuro-nalen Netzen basieren, ohne großen Trainingsaufwand bereits „out-of-the-box“ sehr gute Ergebnisse liefern. Neu-ronale Netze werden zukünftig ein eigenes Kurzzeit-Ge-dächtnis mitbringen und können damit flexibel ohne neues Anlernen auf unbekannte Daten reagieren. Damit wird die Implementierung von KI-Technologien in Unternehmens-anwendungen viel leichter.Zum anderen wird nach meiner Einschätzung die Bedeu-tung von Predictive Analytics weiter zunehmen, weil sie den größten Einfluss auf und wirtschaftlichen Hebel für die Unternehmen hat. Unternehmen können ihre Kunden und Geschäftspartner dadurch viel besser verstehen und damit Arbeitsprozesse, Produktangebote und den Personal- einsatz besser planen und steuern.
INTRE: Wie lebt es sich im Silicon Valley? Dreht sich im Silicon Valley wirklich alles nur um Geld? BEDERSDORFER: Eigentlich geht es nur sekundär um Geld. Vorrangig ist die richtige Idee zum richtigen Zeit-punkt und dann die richtigen Kontakte. Es geht um Pres-tige und den Hunger nach Erfolg. Das Silicon Valley ist ein Schmelztiegel von Menschen unterschiedlichster Na-tionen, die sich gegenseitig mit ihren Ideen befruchten. Und jeder will die Idee, mit der das Start-up zum Unicorn wird, auch wenn viele Start-ups nach zwei oder drei Jah-ren wieder aufgeben müssen. Wenn irgendwo der ameri-kanische Traum lebendig ist, dann hier. Nirgendwo auf der Welt haben Start-ups einfacheren Zugang zu Kapital. Die Millionen, die einige Unternehmer dort verdient haben, stellen sie als Venture Capital neuen Start-ups zur Ver- fügung, um daraus Milliarden zu machen.INFO: www.sematell.com
AUTOR: -/RED
SEMATELL MIT JOCHEN BEDERSDORFER AUF DER CCW 2019
Für seinen ersten öffentlichen Auftritt als CTO von Sematell nutzt Jochen Bedersdorfer die CCW 2019 (19.-21. Februar 2019), die internationale Kongressmesse für innovativen Kundendialog. „Intelligent, digital, automatisiert – so nut-zen Sie das Potenzial von künstlicher Intelligenz für Ihren Kundenservice!“ lautet der Titel des Vortrags, den er im Rah-men des Sematell-Auftritts (Halle 3, E12/F9) am 20. Februar 2019 um 14 Uhr im Messeforum der Halle 3 halten wird.
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