Universität Bielefeld
Fakultät für Physik
Freeze-out eines anisotropen
Fluids in hoch-energetischen
Schwerionenkollisionen
Masterarbeit von Steffen Feld
1949520
Betreut von: Prof. Dr. N. Borghini
1. Gutachter: Prof. Dr. N. Borghini
2. Gutachter: C. Lang
Bielefeld, Februar 2015
Zusammenfassung
In dieser Ausarbeitung, die zur Erlangung des Titels “Master of Science” von mir
angefertigt wurde, werde ich Ergebnisse präsentieren, die durch die Zusammenarbeit
in der Forschungsgruppe “Phänomenologie von Schwerionenkollisionen” erreicht wur-
den.
Dabei werde ich zuerst eine allgemeine Einführung zum Thema “Schwerionenkolli-
sionsforschung” geben. Darauf werden einzelne Kapitel folgen, die immer mit einer
Einführung oder einem Theorieteil zum jeweiligen Schwerpunkt des Kapitels starten.
Danach, wenn alle Formeln, die benötigt wurden zusammengetragen wurden, werde
ich stets die Ergebnisse präsentieren.
Das Thema dieser Arbeit ist die Modellierung eines anisotropen Freeze-out in Schwe-
rionenkollisionen. Mittels dieses Formalismus möchte ich eine Verbesserung der jetzi-
gen Formulierung des “kinetischen Freeze-outs” erreichen.
Vor allem die starke Abhängigkeit physikalischer Observablen von einem Modellie-
rungsparameter möchte ich abschwächen. Dazu habe ich zu den verschiedenen Stadien
nach der Kollision Berechnungen angestellt und die Ergebnisse mit denen der derzei-
tigen Standardberechnung verglichen.
Zum Schluss dieser Arbeit werde ich erste Observablen, die mit dem Formalismus
des “anisotropen Freeze-out” berechnet wurden, vorstellen. Dabei handelt es sich um
das Teilchenspektrum, die kollektiven Flüsse und Korrelationsradien. Darauf folgt das
Fazit zu der Ausarbeitung. Zuletzt sei noch erwähnt, dass [1] alle in der Arbeit vor-
gestellten Ergebnisse in kompakterer Form beinhaltet.
I
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis II
0 Notation 1
1 Einleitung 2
1.1 Relativistische Schwerionenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
2 Boltzmanngleichung 9
2.1 Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.2 Stochastische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.3 Reduzierte Phasenraumdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2.4 BBGKY-Hierachie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.5 Boltzmannnäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.6 Boltzmannnäherung unter Berücksichtigung von Kollisionen . . . . . . . . . 16
2.7 Relativistische Boltzmanngleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.8 Lösungsansätze für die relativistische Boltzmanngleichung . . . . . . . . . . 19
3 Bezüglich des Impulsraumes anisotrope Verteilung 21
4 Relativistische Hydrodynamik 23
4.1 Allgemeine Einleitung zur Hydrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
4.2 Relativistische Hydrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
4.3 Von der Boltzmanngleichung zur Hydrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . 29
4.4 Nützliche Substitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
4.5 Teilchenstrom Nµ massiver Teilchen für die anisotrope Verteilung . . . . . . 31
4.6 Teilchenstrom Nµ masseloser Teilchen für die anisotrope Verteilung . . . . . 36
4.7 Energie-Impulstensor Tµν für die anisotrope Verteilung . . . . . . . . . . . . 38
4.8 Abschluss Hydrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
5 Kinetischer Freeze-Out 44
5.1 Allgemeine Einleitung zum Freeze-out des Feuerballs . . . . . . . . . . . . . 44
5.2 Cooper-Frye-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
5.3 Teilchenspektrum für die isotrope Maxwell-Boltzmann-Verteilung . . . . . . 46
5.4 Teilchenspektrum für eine modifizierte anisotrope Verteilungsfunktion . . . 47
5.5 Teilchenspektren für die anisotrope Verteilungsfunktionen . . . . . . . . . . 51
5.6 Vergleich des “modifizierten” Teilchenspektrums mit dem anisotropen Teil-
chenspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
II
6 Kollektiver Fluss vn 57
6.1 Theorie und Idee des kollektiven Flusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
6.2 Berechnung der kollektiven Flüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
7 HBT- Korrelations-Radien 62
7.1 Allgemeine Einleitung zur Korrelationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . 62
7.2 Korrelationsfunktion 1. Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
7.3 Implementierung einer Zeitabhängigkeit in die Korrelationsfunktion . . . . . 65
7.4 Gauß’scher Ansatz für die Emissionsfunktion S(xµ,~k) . . . . . . . . . . . . 66
7.5 Ergebnisse der Berechnung der HBT-Radien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
8 Fazit 71
A Variablen, Symmetrien, Basen und Skalarprodukte 73
B Danksagung 80
C Eigenständigkeitserklärung 81
Literatur 82
III
IV
0 Notation
0 Notation
In dieser Arbeit laufen sämtliche Indizes bestehend aus lateinischen Buchstaben, wie z.B.
i, j oder k von 1 bis 3, während die Indizes altgriechischer Buchstaben, wie µ, ν oder ρ
von 0 bis 3 laufen. Außerdem werden in der gesamten Ausarbeitung natürliche Einheiten
verwendet. Das heißt:
~ = c = kB = 1 (0.1)
Dabei ist mit ~ das reduzierte Plancksche Wirkungsquantum, c die Lichtgeschwindigkeitim Vakuum und kB die Boltzmann-Konstante notiert. Darüber hinaus ist mit gµν der aus
der speziellen Relativitätstheorie stammende metrische Tensor gemeint, welcher wie folgt
aufgebaut ist:
diag(gµν) = (1,−1,−1,−1) (0.2)
Ortsvierervektoren, wie beispielsweise xµ sind definiert durch:
xµ =
(t
~x
),
wobei mit ~x der gewöhnliche dreidimensionale Vektor im Ortsraum gemeint ist. Zu beach-
ten ist, dass hier bereits (0.1) in der 0-ten Komponente zur Verwendung kam.
Zuletzt sei noch erwähnt, dass ich die Viererableitung wie folgt vermerke:
∂µ =∂
∂xµ= ∂t + ∂~x
1
1 Einleitung
1 Einleitung
1.1 Relativistische Schwerionenkollisionen
Zweifelsfrei ist die Entwicklung des Standardmodells der Elementarteilchenphysik eine
der größten Leistungen der theoretischen Physik in den letzten 99 Jahren der Physikge-
schichte. Mit Hilfe dieses Modells lassen sich die elektromagnetische, die schwache und die
starke Wechselwirkung auf der (heute) elementarsten, durch Messung bestätigten, Ebene
beschreiben. Die Quantenfeld-Theorie bildet das theoretische Gerüst des Standardmo-
dells. Sie ermöglicht es, Wahrscheinlichkeiten für Wechselwirkungen und Propagationen
von Teilchen zu berechnen. Das theoretische Modell, welches die fundamentalen Prozesse
der starken Wechselwirkung quantenfeld-theoretisch beschreibt, ist die Quanten-Chromo-
Dynamik (QCD). Die Ursprünge dieser Theorie gehen auf die Herren Gell-Mann und
Zweig zurück, denen es in den 1960’er Jahren gelang, alle zuvor gemessenen Hadronen zu
klassifizieren. Nach genauerer Betrachtung und einem eingehenden Studium der Algebra
entdeckten sie, dass sich die große Zahl an Hadronen aus einer verhältnismäßig kleinen
Anzahl von elementareren Bausteinen zusammensetzen lässt. Unter dieser Annahme pro-
gnostizierten sie ein bis dato unentdecktes Teilchen. Das darauf entdeckte Teilchen, welches
alle vorhergesagten Eigenschaften aufwies, galt seitdem als erste Bestätigung der Arbeiten
Gell-Manns und Zweigs.
Die elementaren Bausteine, die von Nöten waren, um die bekannten und unbekannten
Teilchen zu generieren, nannte Gell-Mann “Quarks”. Diese waren zu jener Zeit einzig
mathematische Objekte. Die Quarks mussten einen halbzahligen Spin aufweisen, um mit
allen Messungen der Hadronen zu korrespondieren. Da diese Objekte jedoch quanten-
mechanisch zu behandeln waren, war es auf Grund der Existenz bestimmter Baryonen
nötig, die Quarks in der Theorie mit einer zusätzlichen Ladung, der sogenannten Farbe,
zu versehen. Während bei der Gravitation nur eine “Ladung”, die Masse, beteiligt ist und
die elektromagnetische Wechselwirkung nur durch zwei Ladungs-“Vorzeichen” (+ und -)
hervorgerufen werden kann, muss für die Ladung der starken Wechselwirkung auf Grund
des quantenmechanischen Pauli-Prinzips gefordert werden, dass sie drei1 Zustände vor-
weist. Ein bezüglich der starken Wechselwirkung neutraler Zustand tritt dann ein, wenn
zum Beispiel alle drei Ladungen nah beieinander liegen. Dieser Zustand gilt als farbneu-
tral oder weiß, ähnlich wie für das menschliche Auge die Farbe Weiß entsteht, wenn sich
ein roter, ein grüner und ein blauer Lichtstrahl überlagern. Anders als in der optischen
Wahrnehmung des Menschen, können die Quarks aber auch sogenannte Antifarben tragen.
Diese sind nötig, damit man Mesonen, also Teilchen bestehend aus zwei Quarks, generieren
kann. Alle in unserer Welt zu beobachtenden Teilchen müssen, aufgrund der hohen Stärke
der starken Wechselwirkung, nach dieser Idee farbneutral sein, was allen physikalischen
1Beziehungsweise 6 Zustände, wenn man die Antifarben dazu zählt.
2
1.1 Relativistische Schwerionenkollisionen
Messungen entspricht.
Als gegen Ende der 1960’er Jahre Beschleunigerexperimente zur Verfügung standen, die es
Physikern ermöglichten, die räumliche Struktur von Protonen sehr detailliert aufzulösen,
sah man sich in der Vermutung bestätigt, dass die bis dato mathematischen Objekte
Quarks auch in der physikalischen Welt zu finden seien. Die Versuche an den Teilchen-
beschleunigern firmieren unter dem Namen der “deep-inelastic scattering”, also der tief-
inelastischen Streuung. Wie der Name schon suggeriert, werden hier auf Grund hoher
kinetischer Energien Protonen “zerschlagen”, wodurch ein erster Einblick in deren Unter-
struktur ermöglicht wurde.
Vor allem die Herren Gross, Politzer und Wilczek leisteten bedeutende Arbeit auf dem
Gebiet der QCD. Die Elementarteilchen, deren Wechselwirkung mit der QCD beschrieben
wird, sind zum einen die Quarks als Materieteilchen, sowie die Gluonen, als Austauschteil-
chen der starken Wechselwirkung. Mathematisch interessant ist die QCD, weil sie durch
eine nicht-abelsche Eichtheorie beschrieben werden muss. Dies hat unter anderem zur Fol-
ge, dass die QCD-Eichbosonen, die Gluonen, selbst Ladungen, in Form der Farben tragen.
Das heißt, die Vermittlungsteilchen der starken Wechselwirkung tragen selbst die Ladung,
durch die sie hervorgerufen werden. Dieser Tatsache ist eine Fülle von neuen Wechsel-
wirkungsprozessen geschuldet, wie beispielsweise der Wechselwirkung von zwei oder drei
Gluonen miteinander. Gross, Politzer und Wilczek wird auch die “Entdeckung” der asym-
ptotischen Freiheit zugeschrieben. Diese ist von großer Bedeutung für die Erklärung vieler,
in der starken Wechselwirkung auftretender, Phänomene.
Jene Phänomene, die zum Beispiel weder in der Gravitation, noch in der elektroschwachen
Wechselwirkung auftreten, machen die QCD zu einem spannenden Forschungsfeld.
Eines dieser, auch für die Schwerionenkollisionsforschung sehr bedeutenden Phänomene,
ist das “Confinement”2.
2Dieser Ausdruck kann mit “Einsperrung” übersetzt werden.
3
1 Einleitung
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Confinement. Dabei verdeutlicht die Abszisse
eine zunehmende Dichte, während die, den Dichteintervallen zugeordneten, Graphiken eine
Vorstellung von der mikroskopischen Gegebenheit vermitteln sollen. Quelle; ipht.cea.fr/
Pisp/francois.gelis/Physics/2013-orsay1.pdf
Abbildung 1 vermittelt graphisch und phänomenologisch eine sehr gute Vorstellung vom
Begriff des Confinement. Beobachtbar in “unserer” Welt, also bei vergleichsweise niedrigen
Dichten, sind nur farbneutrale Zustände in Form von Hadronen. Diese sind in der Abbil-
dung links zu finden. Immer drei (oder zwei) Quarks sind fest in einem Teilchen gebunden.
Mit zunehmender Dichte jedoch verhalten sich die Quarks “freier”. Man kann sich das so
vorstellen, als ob die Quarks aufgrund ihrer Nähe zu vielen weiteren Quarks nicht mehr di-
rekt “wissen”, wer ihr Wechselwirkungspartner ist und sich somit freier durch das Medium
bewegen können. Diese “Freiheit” nimmt mit zunehmender Dichte (in der Abbildung im
Verlauf von links nach rechts) immer weiter zu. Schließlich bildet sich bei sehr hohen Dich-
ten ein Medium, in dem die Quarks maximal mobil sind. Dies gilt auch für die Gluonen.
Das Medium, in welchem sich Quarks und Gluonen und somit die Farbladungen (nahezu)
frei bewegen können, wird Quark-Gluon-Plasma (QGP) genannt. Dieser Begriff wurde von
Eduard Shuryak geprägt und steht in Analogie zum elektromagnetischen Plasma, in dem
sich die elektrischen Ladungsträger frei bewegen können.
Grundlegend für dieses Phänomen ist, dass die Kopplungsstärke αs eine Abhängigkeit
von der Energieskala3 aufweist. Diese Abhängigkeit wird in der QCD als “asymptotische
Freiheit” bezeichnet. Warum man diese Vokabel wählt, verdeutlicht Abbildung 2 gut.
3, oder aber entsprechend von der Impulsskala.
4
ipht.cea.fr/Pisp/francois.gelis/Physics/2013-orsay1.pdfipht.cea.fr/Pisp/francois.gelis/Physics/2013-orsay1.pdf
1.1 Relativistische Schwerionenkollisionen
Abbildung 2: Darstellung der für αs aus verschiedenen Experimenten ermittelten Wer-
te in Abhängigkeit der Energieskala Q; Quelle: http://pdg.lbl.gov/2014/reviews/
rpp2014-rev-qcd.pdf
Wie man in der Abbildung sieht, nimmt die Kopplungsstärke mit zunehmender Ener-
gieskala ab. Analog zu Abbildung 1 sind bei sehr hohen Energieskalen die, der starken
Wechselwirkung unterliegenden, Teilchen schwächer gebunden, da αs kleiner wird. Umge-
kehrt sind bei niedrigen Energieskalen die Teilchen sehr stark gebunden. Betrachtet man
nun die in Abbildung 2 verzeichneten Energieeinheiten, so stellt man fest, dass diese sich
auf sehr hohen Skalen befinden4. Um dieses Verhalten nun besser zu erforschen, liegt es
auch nahe, starke Wechselwirkungsprozesse in immer größeren Energie- und Impulsberei-
chen zu beobachten.
Ein Mittel, diese hohen Energieskalen zu untersuchen, liegt darin, im Universum nach
Objekten zu suchen, die solche Bedingungen bereitstellen. Ein anderes liegt in der Schwe-
rionenkollisionsforschung. Durch eine Kollision schwerer und sehr schneller Atomkerne,
welche der starken Wechselwirkung unterliegen, kann man nämlich experimentell in hohe
Energiebereiche vordringen und idealerweise noch elementare Prozesse beobachten.
Ziel der Forschung zu relativistischen Schwerionenkollisionen ist es, zunächst mehr über
das kollektive Verhalten von Teilchen zu verstehen, die in erster Linie nur der starken
Wechselwirkung unterliegen. Der zu Grunde liegende Gedanke ist dabei, dass sich Quarks,
wegen der asymptotischen Freiheit annähernd frei bewegen, wenn sie stark verdichtet sind.
Diese Verdichtung wird heutzutage experimentell dadurch erreicht, dass zwei Blei- (LHC)
oder zwei Gold- (RHIC) Kerne mit relativistischen Geschwindigkeiten aufeinander geschos-
sen werden. Im Kollisionspunkt entsteht dadurch eine sehr hohe Energiedichte, durch die
sich dann ein Quark-Gluon-Plasma ausbildet.
4Zum Vergleich: Die Energieskala, auf der sich die Raumtemperatur befindet, liegt bei ca. 0,025 eV,also 1011 Größenordnungen unterhalb des kleinsten geplotteten Wertes.
5
http://pdg.lbl.gov/2014/reviews/rpp2014-rev-qcd.pdfhttp://pdg.lbl.gov/2014/reviews/rpp2014-rev-qcd.pdf
1 Einleitung
Abbildung 3: Graphische Darstellung für eine Schwerionenkollision “von der Seite”. Quelle;
https://inspirehep.net/record/1256115/files/figs_figure2
Abbildung 4: Raumzeit-Diagramm der physikalischen Beschreibung des in Schwerionen-
kollisionen erzeugten Mediums; Quelle: [2][Kapitel 11.10.1, S. 582]
Abbildung 4 verdeutlicht sehr gut, wie das in der Schwerionenkollision erzeugte Medium
aus Sicht der theoretischen Physik beschrieben wird, während Abbildung 3 eine Vorstel-
lung vom “Aussehen” der verschiedenen Phasen vermittelt. Auf den Achsen in Abbildung
4 sind zum einen eine Raumrichtung x aufgetragen, zum anderen die Zeit t. Die dunklen
Grenzflächen verdeutlichen die Punkte konstanter Eigenzeit τ , womit wir auch schon bei
einer weiteren Charakteristik der Schwerionenkollisionsforschung sind. Da die Kerne zum
Erreichen hoher Energiedichten5 auf über 99% der Lichtgeschwindigkeit c beschleunigt
werden, ist es unabdingbar, relativistisch zu rechnen. Für mehr Informationen zu den in
der Schwerionen-Kollisionsforschung üblichen Variablen (und Basen) habe ich der Arbeit
den Appendix A beigefügt. Zur Kollision im Punkt (0,0) wird ein sich im höchsten Maße im
Nichtgleichgewicht befindliches Medium aus Quarks und Gluonen erzeugt. Dieses Medium
wird, je nach zugrunde liegendem physikalischen Modell, auch als Glasma oder Color-Glas-
5In Schwerionenkollision werden die höchsten von Menschen generierten Temperaturen erreicht.
6
https://inspirehep.net/record/1256115/files/figs_figure2
1.1 Relativistische Schwerionenkollisionen
Kondensat6 bezeichnet. Es hat eine Lebensdauer von der Größenordnung 1fmc .7 Nach dem
Verstreichen einer Zeitspanne dieser Größenordnung hat sich, nach verschiedenen Berech-
nungen der theoretischen Physik, im Medium ein lokales Gleichgewicht eingestellt. Das
heißt, im Medium sind die Gradienten thermodynamischer Felder so weit abgeflacht, dass
eine dissipative hydrodynamische Beschreibung angesetzt werden kann. Der genaue Zeit-
punkt, wann dies geschehen kann, wird von verschiedenen mikroskopischen Beschreibungen
des sich stark im Nichtgleichgewicht befindlichen Mediums mit unterschiedlichen Werten
vorhergesagt. Eine kurze Zusammenfassung dieser Problematik findet man zum Beispiel
zu Beginn in [4]. Hier wird auch auf eine Motivation von anisotroper Hydrodynamik ein-
gegangen. Die Notwendigkeit einer anisotropen hydrodynamischen Beschreibung liegt in
Ergebnissen von mikroskopischen “Color-Flux”- oder Color-Glass-Kondensat (CGC) Be-
rechnungen begründet, die für die longitudinale Richtung8 einen höheren Druck Plong
beziehungsweise eine andere Impulsverteilung plong (CGC) vorhersagen, als für die trans-
versalen Richtungen. Zusammengefasst kann man sagen, dass mikroskopische Modelle für
die “Equilibrierung” des Systems für die longitudinale Richtung eine andere Zeitskala vor-
hersagen als für die transversalen Richtungen. Eine Beschreibung mittels der dissipativen
Hydrodynamik wie sie von Israel und Stewart konzipiert wurde, setzt jedoch ein isotropes
Fluid in Gleichgewichtsnähe voraus. Die Anisotropien, zum Beispiel der Drücke, sollen nun
in der nach etwa 1fmc angesetzten dissipativen hydrodynamischen Beschreibung implemen-
tiert werden. Somit ist ein, nach dieser kurzen Zeit erfolgter, Übergang der Beschreibung
des Mediums zu rechtfertigen.
Ab diesem Zeitpunkt befindet sich das Medium aus Quarks und Gluonen im lokalen Gleich-
gewicht, das heißt, dass man innerhalb kleiner Volumina schon eine thermodynamische
Betrachtung ansetzen kann. Somit spricht man ab jetzt auch vom Quark-Gluon-Plasma.
Zwischen den einzelnen kleinen Volumina weisen die thermodynamischen Felder jedoch
noch Gradienten auf. Diese werden im Rahmen der dissipativen Hydrodynamik durch in-
nere Reibungen weiter minimiert. Für die Beschreibung des in Gleichgewichtsnähe befindli-
chen QGP kommt entweder unter der Annahme eines isotropen Mediums die Formulierung
der relativistischen, dissipativen Hydrodynamik zweiter Ordnung nach Israel-Stewart (IS),
oder unter der Annahme eines anisotropen, relativistischen, viskosen Fluids die in [5] aus-
gearbeitete v(iskose) a(nisotrope) Hydrodynamik (VAHydro) in Frage. In beiden Theorien
bildet die ideale relativistische Hydrodynamik den Grenzwert, zu dem das System durch
die fortwährende Verminderung der Gradienten strebt.
Fällt die Energiedichte und damit auch die Temperatur im Laufe der Expansion weiter
6Mehr Informationen zu diesem Stadium des Mediums sind zum Beispiel zu finden in [3]71 fm
c' 10−15m · 3 · 10−8 s
m= 3 · 10−23s
8Dabei meint der Begriff longitudinal die Richtung parallel zur Teilchenstrahlachse in Schwerionenkolli-sionen, während der Begriff transversal die zwei senkrecht auf der Strahlachse stehenden Raumrichtungenbeschreibt.
7
1 Einleitung
ab, so werden die im Plasma bisher frei beweglichen Quarks und Gluonen zu Hadronen
“kondensieren”. Es kommt zur Hadronisierung. Zu diesem Zeitpunkt ist jedoch weiter-
hin eine hydrodynamische Beschreibung geeignet. Zuerst werden die Quarks und Gluonen
zu Hadronen kondensieren. Jedoch sind die kinetischen Energien dieser Teilchen noch so
groß, dass es im Medium immer noch zu inelastischen Stößen kommen kann. Erst wenn
die kinetischen Energien so weit reduziert sind, dass nur noch elastische Stöße im Medium
auftreten, kann man von einem ”chemischen Freeze-out“9 sprechen.
Fällt die Dichte dann noch weiter ab, tritt der “kinetische Freeze-out” ein. Die Hadronen
werden ab jetzt für die phänomenologische Beschreibung als wechselwirkungsfrei angenom-
men. Im weiteren Verlauf werde ich, wenn ich vom Freeze-out spreche, diesen kinetischen
Freeze-out meinen. Dieser wechselwirkungsfreie Zustand ist dann auch jener, in dem die
Teilchen im Detektor gemessen werden. Diese sind in Schwerionenkollisionen zu einem
großen Teil π±, π0, p, Λ und Kaonen, also Teilchen die maximal ein strange-Quark bein-
halten und sonst nur die leichten up- und down-Quarks.
Das Ziel einer Beschreibung von Schwerionenkollisionen im Rahmen der theoretischen Phy-
sik muss es sein, Aussagen und Observable zu formulieren, die man mit den im Detektor
gemessen Hadronen und deren Energien/Impulsen vergleichen kann.
Im Kapitel zur Hydrodynamik und dem zum Freeze-out sind weitere Einzelheiten zu den
betreffenden Stadien der Schwerionenkollisionen zu finden. Eine gut verständliche und
detaillierte Zusammenfassung, sowie Motivation, über das Gebiet der Schwerionenkollisi-
onsforschung stellt [6] dar.
9Für den Begriff des Freeze-out werde ich, auf Grund der Etablierung des Begriffes, keine deutscheÜbersetzung verwenden. Möchte man den Begriff übersetzen, bedeutet er so etwas wie ”Ausfrierung“.
8
2 Boltzmanngleichung
2 Boltzmanngleichung
2.1 Bemerkung
In diesem Kapitel möchte ich auf die Ideen eingehen, die zur Boltzmanngleichung führen.
Dabei werde ich mich für die Grundlagen stark am Vorlesungsskript [7], orientieren. Einen
kürzeren Überblick kann man auch in [2] [Kapitel 2.2.1, S.70 ff] finden. Anzumerken ist,
dass ich den Formalismus zunächst nicht-relativistisch aufbauen werde, um dann eine
relativistische Formulierung zu erwähnen beziehungsweise zu motivieren.
2.2 Stochastische Beschreibung
Die Boltzmann-Gleichung ist ein sehr universelles Werkzeug, um ein System bestehend aus
sehr vielen Teilchen, die nur relativ schwach untereinander wechselwirken, zu beschreiben.
Zur Lösung der Bewegungsgleichungen der Teilchen, oder zum Berechnen physikalischer
Observablen bedient man sich dem Konzept des Phasenraumes. Dieser besteht aus den
3-N -Ortskoordinaten {~qi} sowie den 3-N -Impulskoordinaten {~pi} der Teilchen. Der klas-sische Zustand eines Systems kann also ohne Probleme mit einem Punkt in diesem 6-N -
dimensionalen Phasenraum klassifiziert werden. Dabei beschreibt N immer die Anzahl an
Teilchen im System.
Da sich, ohne immensen Rechenaufwand, bei sehr großen Teilchenzahlen N nicht mehr alle
Teilchenbahnen, oder äquivalent der Verlauf des Systems im Phasenraum, einfach berech-
nen lassen, geht man zu einer stochastischen Beschreibung des Systems über. Diese wird
bei wachsender Teilchenzahl sogar immer präziser, weil Fluktuationen mit dem Faktor 1√N
unterdrückt werden. Statt das System nun präzise durch einen Punkt im Phasenraum zu
beschreiben, legt man eine Wahrscheinlichkeitverteilung ρN über den Phasenraum. Dabei
ist die N -Teilchenphasenraumdichte wie folgt definiert:
ρN ({~qi}, {~pi}) ≥ 0, ∀ ~qi; ~pi (2.1)
und ∫ ∞−∞
ρN ({~qi}, {~pi})d3Nq d3Np = 1 (2.2)
Wie man sieht handelt es sich bei (2.1) und (2.2) um die mathematische Definition einer
Wahrscheinlichkeitsverteilung ρN ({~qi}, {~pi}).Da ich im Rahmen dieser Arbeit die Dynamik des Quark-Gluonen-Plasmas beschreiben
werde, liegt es nahe, sich noch einige Gedanken um das Maß des Integrals zu machen.
Um einen einfachen Übergang der quantenmechanischen Beschreibung zur klassischen Be-
schreibung zu modellieren, sollte man das Maß, wie in [7][S.26, Formel II.2b] folgenderma-
9
2 Boltzmanngleichung
ßen wählen:
dV =1
N !
3N∏i=1
dqi dpi2π~
(2.3)
Damit wird sichergestellt, dass die quantenmechanische Vielteilchen-Beschreibung im Fall
von N ununterscheidbaren Teilchen für den Limes ~ → 0 in die klassische Beschreibungdes Vielteilchensystems übergeht.
Mit der Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktion ρN ({~qi}, {~pi}) kann man jetzt sämtlichephysikalischen Größen des Systems berechnen. Um den Erwartungswert einer N -Teilchen-
Observablen ON zu erhalten muss folgendes Integral gelöst werden:
〈ON 〉 =∫ON ({~qi}, {~pi})ρN ({~qi}, {~pi}) dV (2.4)
Des Weiteren kann man mit Hilfe der Phasenraumdichten, sowie über die Hamiltonschen
Bewegungsgleichungen, die Dynamik, also den zeitlichen Verlauf, des Systems berech-
nen. Eine detaillierte Herleitung dieser Rechnung ist zu finden in [7][S. 27ff]. Für die
N -Teilchendichten erhält man so die Liouville-Gleichungen. Diese lauten wie folgt:
∂ρN∂t
+
3N∑i=1
(∂ρN∂qi
∂HN∂pi
− ∂ρN∂pi
∂HN∂qi
)= 0 (2.5)
2.3 Reduzierte Phasenraumdichte
Eigentlich sind sämtliche makroskopischen Observablen in der Physik, die zur Beschrei-
bung von Vielteilchensystemen herangezogen werden, nicht von den mikroskopischen Zuständen
aller im System befindlichen Teilchen abhängig. Vielmehr handelt es sich bei vielen die-
ser Observablen um 1-Teilchen- oder 2-Teilchen-Observablen. Das heißt, sie sind nur
von einer Phasenraum-Wahrscheinlichkeitsverteilung für ein beziehungsweise zwei Teil-
chen abhängig. Diese sogenannten reduzierten Phasenraumdichten für j Teilchen können
aus der N-Teilchenverteilungsfunktion ρN ({~qi}, {~pi}) wie folgt gewonnen werden:
fj = constN,j
∫ρN ({~qi}, {~pi})d6(N−j)V (2.6)
Wobei constN,j eine Konstante ist, die gewährleistet, dass nach einer weiteren Integration
über d6jV die Normierung aus Formel (2.2) erfüllt bleibt. Meist wird constN,j jedoch so
gewählt, dass gilt:
∫ ∞−∞
fj({~qi, ~pi})
(j∏
k=1
d3~qk d3~pk
)=
N !
(N − k)!(2.7)
10
2.4 BBGKY-Hierachie
Diese Wahl hat zur Folge, dass die Erwartungswerte von zum Beispiel Einteilchen-Observablen
nicht mehr wie in Formel (2.4) gebildet werden können, da die Verteilungsfunktionen nicht
mehr auf 1 normiert sind. Dadurch sind die Erwartungswerte der Einteilchen-Observablen
jetzt über folgenden Ausdruck zu bestimmen:
〈O1〉 =∫O1(~q1, ~p1) f1(~q1, ~p1)d
3~q1 d3~p1∫
f1(~q1, ~p1)d3~q1 d3~p1(2.8)
Um im weiteren Verlauf der Arbeit die etablierte Schreibweise verwenden zu können,
möchte ich folgende Definition vornehmen:
f1(~q1, ~p1) := fs(~x, ~p)
Der Index s in der Definition soll verdeutlichen, dass es sich um eine Wahrscheinlichkeits-
verteilungsfunktion handelt, die in einem stetigen Raum definiert ist.
2.4 BBGKY-Hierachie
Für die Transporttheorie ist es von großer Bedeutung, eine Gleichung für den zeitlichen
und räumlichen Verlauf der reduzierten Einteilchen-Phasenraumdichte fs(~x, ~p) zu erlan-
gen. Dies genügt, da die meisten physikalischen Messgrößen aus mikroskopischen Ein-
teilchendichten des Systems hervorgehen. Somit ist man dann in der Lage, nahezu alle
relevanten Kenngrößen, wie zum Beispiel die Temperatur, die Energiedichte oder die Teil-
chendichte mit fs(~x, ~p) zu berechnen.
Um eine solche Bewegungsgleichung zu erhalten, sind nun physikalisch sinnvolle Annah-
men zu treffen. Die erste Annahme betrifft die in Formel (2.5) auftretende N-Teilchen-
Hamiltonfunktion HN . Wie in der klassischen Mechanik setzt sich die Hamiltonfunkti-
on zusammen aus einem kinetischen Term und einem äußeren Potential V (~xi). Da die
Schwerionenkollisionsforschung einen Zugang zu den Wechselwirkungen der Teilchen im
Quark-Gluon-Plasma erhalten will, müssen wir eine Annahme treffen, wie der Wechselwir-
kungsteil der N -Teilchen-Hamiltonfunktion gestaltet werden soll. Hier wählt man, um eine
noch höhere Komplexität der späteren Gleichungen zu vermeiden, dass sämtliche im Sy-
stem befindlichen Teilchen nur über 2-Teilchen-Wechselwirkungen wechselwirken können.
Zudem hängt die Wechselwirkung nur vom relativen Abstand der Teilchen ab und nicht
etwa vom absoluten Ort. Diese Annahme entspricht der Realität in Systemen, in denen
mikroskopisch maximal zwei Teilchen kollidieren, also in verdünnten Medien. Die Hamil-
tonfunktion hat dementsprechend folgende Form:
HN =
N∑i=1
(~p2i
2mi+ V (~xi)
)+
∑1≤i
2 Boltzmanngleichung
Dabei stellt die kompliziert anmutende Form der Summationsindizes sicher, dass jede
Wechselwirkung nur einmal berücksichtigt wird.
In [7] ist in Kapitel III nun ausführlich ausgeführt, wie man mit der Hamiltonfunktion (2.9)
zusammen mit Formel (2.5) und der Definition für die Einteilchenerwartungswerte (2.8),
im Wesentlichen durch das Vertauschen der Integration über die Ortskoordinaten und die
Impulskoordinaten der (N−1) Teilchen mit der Differentiation aus der Liouville-Gleichung,sukzessiv zur sogenannten BBGKY-Hierachie gelangt. Diese verknüpft die zeitliche und
orts-, impulsräumliche Entwicklung der Einteilchenphasenraumdichte mit einer Funktion
der Zweiteilchenphasenraumdichte und trägt ihren Namen aufgrund der Anfangsbuchsta-
ben von fünf Physikern10, die sich mit der Problematik befasst haben. Als ersten Schritt
in der Hierachie erhält man:(∂
∂t+
~p1m1· ~∇~x1 + ~F1 · ~∇~p1
)f1(t, ~x1, ~p1) (2.10)
= −∫
~K12 · ~∇~p1f2(t, ~x1, ~x2, ~p1, ~p2) d3~x2 d
3~p2
Das Auftreten der Zweiteilchendichte liegt begründet im 2-Teilchenwechselwirkungsterm
W (|~xi− ~xj |) der Hamiltonfunktion (2.9). Würde man also ein System mit einer Hamilton-funktion ohne Zweiteilchenwechselwirkung beschreiben, so ergäbe sich für die rechte Seite
von (2.10) = 0. Somit wäre die “Hierachie” vollständig.
Um an eine Lösung für die Einteilchendichte11 f1(t, ~x1, ~p1) zu gelangen, muss man zunächst
eine Gleichung für die Zweiteilchendichte erarbeiten. Diese erhält man, indem man bei der
Liouville-Gleichung (2.5) nun nur noch (N − 2)-Teilchen ausintegriert. Das Ergebnis wirddann eine Abhängigkeit von der Drei-Teilchendichte aufweisen. Allgemein wird man nach
k-Schritten zu folgendem Ausdruck kommen: ∂∂t
+k∑l=1
(~plml· ~∇~xl + ~Fl · ~∇~pl
)+
∑1≤i
2.5 Boltzmannnäherung
von Wechselwirkungen zwischen den k-Teilchen auftreten, werden hier berücksichtigt. Auf
der rechten Seite von (2.11) treten dann die Wechselwirkungen der k-Teilchen mit den
restlichen (N − k)-Teilchen auf. Auf diese Weise wird auch klar, warum man eine solcheHierachie erwarten konnte.
Geschlossen wird das Gleichungssystem dadurch, dass man im letzten Schritt keine Teil-
chen ausintegriert, sprich das Gleichungssystem wird durch die Liouville-Gleichung (2.5)
geschlossen, wenn man von Normierungskonstanten absieht. Eine weitere, wichtige Be-
merkung ist, dass, soweit die Hamiltonfunktion die Wechselwirkungen im System exakt
beschreibt, das Gleichungssystem frei von Näherungen ist und somit ebenfalls exakt ist.
2.5 Boltzmannnäherung
Die in Kapitel 2.4 beschriebene Herangehensweise, an Bewegungsgleichungen für ein Sy-
stem zu gelangen, wird mit hoher Teilchenzahl schnell zu einer sehr aufwendigen Ange-
legenheit. Daher liegt es nahe, die erarbeitete Hierachie, mit physikalischen Argumen-
ten untermauert, ab einer bestimmten Ordnung abzubrechen. Dafür gibt es verschiedene
Möglichkeiten, wie zum Beispiel den Vlasov- oder den Wechselwirkungsfreien Ansatz. Auch
hier sei für weitere Studien auf [7] [Kapitel III. 2.1.b ff] verwiesen. Ich möchte mich nun
auf den Boltzmann-Ansatz konzentrieren. Dieser Ansatz wird für den weiteren Verlauf der
Arbeit von Bedeutung sein, da er der einfachste ist, der zu einer nicht trivialen System-
beschreibung führt, weil er Wechselwirkungen innerhalb des Systems berücksichtigt.
Wie bereits als Annahme bei der Wahl der Hamiltonfunktion formuliert, wollen wir unse-
re Betrachtung auf Systeme lenken, die schwach und klassisch wechselwirken. Wir werden
somit nur verdünnte Medien beschreiben können, in denen der mittlere Teilchenabstand
n−13 und die kinetische Energie viel größer sind, als die typische Wechselwirkungsreich-
weite und die dazugehörige Energie. Dies führt jedoch schnell zu einem Problem, denn
weil ich explizit an Wechselwirkungen interessiert bin, muss ich mikroskopische Kollisio-
nen zwischen den Teilchen des Systems “zulassen”. In diesen Kollisionen kann die Vorgabe
der Teilchenabstände aber nicht erfüllt sein.
Da das System also nicht ohne Verlust von für uns wichtigen Informationen zu dem ver-
einfacht werden kann, was man sich ersehnt, muss ich nun die Betrachtungsweise auf das
System ein wenig “optimieren”.
Um die meisten quantenmechanischen Phänomene in der Beschreibung des Systems au-
ßer Acht lassen zu dürfen, diskretisiere ich an dieser Stelle den Ortsraum. Das heißt, ich
definiere eine kleinste Länge r0, bei der ich die Beschreibung nicht weiter auflösen werde.
Diese Länge muss größer sein als der typische Abstand zweier Teilchen bei dem sich de-
ren Wellenfunktionen zu überschneiden drohen. Befinden sich zwei Teilchen im Ortsraum
näher als r0 aneinander, so kollidieren sie in der Beschreibung. Analog muss auch die
Zeitskala diskretisiert werden. Das minimale Zeitintervall wird so gewählt, dass die Dauer
13
2 Boltzmanngleichung
einer mikroskopischen Kollision nicht unterschritten wird. Wichtig zu erwähnen ist jedoch,
dass die für Ableitungen und Integrale wichtigen infinitesimalen Raum- und Zeitelemente
immer so gewählt sind, dass diese auf größeren Skalen leben, als die zuvor durchgeführte
Diskretisierung.
Es ist auch zu bedenken, dass die Diskretisierung zwar viele mikroskopische Quanteneffek-
te erfolgreich verdeckt, aber kollektive quantenmechanische Erscheinungen, wie die Beset-
zungsstatistik, der die Teilchen gehorchen, müssen weiterhin berücksichtigt werden. Statt
des Begriffs der Diskretisierung spricht man in der Physik häufig vom “coarse-graining”.
Als nächstes muss man auf diesem diskretisierten Raum nun eine Verteilungsfunktion de-
finieren, die ähnlich fungiert wie f1 ,bzw. fs zuvor. Diese Funktion werde ich jedoch nicht
wie zuvor über einem Ort- und einem Impulsraum definieren, sondern in einem Orts-
Geschwindigkeitsraum. Solange man physikalische Probleme ohne Vektorpotentialfelder
behandelt, hängen der Impuls ~p und die Geschwindigkeit ~u wie folgt zusammen:
~u =~p
m
Die Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktion wird nun so definiert, dass der Ausdruck
f(t, ~x, ~u) d3~x d3~u (2.12)
die Anzahl der Teilchen am Ort ~x und dessen, dem coarse-graining berücksichtigender
Umgebung d3~x, mit einer Geschwindigkeit im Intervall d3~u um ~u wiedergibt.
Unsere Aufgabe ist es nun, eine Art Bilanzrechnung zu erstellen, in der die Zahl der Teil-
chen in den einzelnen “Phasenraumelementen” verfolgt wird. Für ein Teilchen im System
kann es, in der Betrachtung, nur zwei Gründe geben, warum es seine Geschwindigkeit
und somit seinen Platz im Geschwindigkeitsraum, ändert. Der erste Grund liegt in einem
möglichen äußeren Skalarpotential begründet, wie es zum Beispiel durch ein Gravitations-
potential hervorgerufen wird. Eine weiterere Ursache für eine Änderung der Geschwindig-
keit liegt in mikroskopischen Kollisionen. Da ich jedoch nur verdünnte Medien betrachten
will, reicht es weiterhin aus, nur Zweiteilchenkollisionen zu berücksichtigen, weil Kolli-
sionen ja als ein lokaler Prozess verstanden werden sollen. Eine weitere Restriktion der
Betrachtung liegt darin, nur elastische Kollisionen zu betrachten.
Zunächst liegt es nahe, die Auswirkungen eines äußeren Skalarpotentials auf den Verlauf
eines Teilchens im Phasenraum zu bearbeiten. Die einzige Veränderung der Trajektorie
wird also durch eine äußere Kraft ~F hervorgerufen. Die sich zur Zeit t im Volumenelement
(~x, ~u) befindenden Teilchen werden so nach dem Zeitintervall dt im Volumenelement um(~x+ ~u · dt, ~u+
~F
m· dt
)(2.13)
14
2.5 Boltzmannnäherung
zu finden sein. Dabei bezeichnet m die Masse der Teilchen. Einzig über das neue Volumen
d3~x′ d3~u′ muss man sich noch Gedanken machen. Dies findet man sehr gut in [8] [Kapitel
13.2, S. 586f], an dem ich mich jetzt orientieren werde. Für ~x′ gilt aufgrund einer einfachen
Verschiebung bis zur ersten Ordnung in dt:
~x′ = ~x+ ~u · dt (2.14)
Ebenso gilt für ~u′:
~u′ = ~u+~F
m· dt (2.15)
Diese beiden Transformationen waren ja bereits im Ausdruck (2.13) beinhaltet. Um die
Volumenelemente zu bestimmen gilt allgemein:
d3~x′d3~u′ = J d3~x d3~u (2.16)
Dabei ist J die Jacobideterminante der Variablentransformation (2.14) und (2.15). Für
diese gilt:
J =
∣∣∣∣∣∂~x′
∂~x∂ ~x′
∂~u∂ ~u′
∂~x∂ ~u′
∂~u
∣∣∣∣∣ =∣∣∣∣∣ 1 dt1m∂ ~F∂~x · dt 1
∣∣∣∣∣ = 1 +O(dt2) (2.17)Das heißt, das Volumen der Zelle im Orts- Geschwindigkeitsraum wird sich im wechsel-
wirkungsfreien Fall nicht ändern, wenn man nur die linearen Änderungen mit der Zeit
berücksichtigt.
An eine Bewegungsgleichung gelangt man nun durch die Überlegung, dass die Teilchen in
Abwesenheit von Kollisionen in einem Zeitintervall dt nur von einem Volumenelement in
ein benachbartes fließen können. Jedoch werden aus einer Nachbarzelle im gleichen Maße
neue Teilchen einfließen, so dass die Zahl der Teilchen im Volumenelement gleich bleiben
wird. Es gilt somit:
f
(t+ dt, ~x+ ~u · dt,
~F
m· dt
)d3~x′ d3~u′ = f (t, ~x, ~u) d3~x d3~u (2.18)
15
2 Boltzmanngleichung
Wenn man diesen Ausdruck nun gemäß dem Vorgehen oben bis zur ersten Ordnung in dt
Taylor-entwickelt, erhält man:
d
dtf =
(∂
∂t+d~x
dt· ~∇x +
~u
dt· ~∇u
)f (2.19)
=
(∂
∂t+ ~u · ~∇x +
~F
m· ~∇u
)f
= 0
Diese Gleichung ist die Boltzmann-Gleichung ohne (Berücksichtigung von) Kollisionen für
den Orts- Geschwindigkeitsraum. Mit (2.19) steht uns jetzt, unter den zuvor getroffenen
Annahmen, eine Bewegungsgleichung für die (diskretisierte) Einteilchenwahrscheinlich-
keitsdichte zur Verfügung, die es uns erspart, die gesamte BBGKY-Hierachie lösen zu
müssen.
Abbildung 5: Grafische Darstellung der Funktion f für den kollisionslosen Fall. Links sieht
man eine Ortsraumrichtung x, rechts ist die Funktion bezüglich einer Komponente u des
Geschwindigkeitsraumes dargestellt. Quelle: [2][ S.72, Fig. 2.2]
Abbildung 5 verdeutlicht graphisch gut, wie sich die Annahme der Wechselwirkungsfrei-
heit auf das Verhalten der Einteilchenwahrscheinlichkeitsdichtenfunktion auswirkt. Auf
der linken Seite sieht man, dass sich die geraden Teilchenbahnen im Ortsraum kreuzen.
Gleichzeitig erkennt man auf der rechten Seite der Abbildung, dass sich die Geschwin-
digkeit nicht ändert. Das heißt, dass die Teilchen wechselwirkungsfrei sind, da sich bei
Kreuzung von Teilchenbahnen nicht deren Geschwindigkeiten ändert.
2.6 Boltzmannnäherung unter Berücksichtigung von Kollisionen
Wie eingangs schon einmal erwähnt, ist es für die Schwerionenkollisionsforschung ein Ziel,
Aussagen über Wechselwirkungen im Medium treffen zu können. Somit ist man im Allge-
16
2.6 Boltzmannnäherung unter Berücksichtigung von Kollisionen
meinen sehr daran interessiert 2-Teilchenwechselwirkungen in der Beschreibung des Me-
diums zuzulassen. Unter Berücksichtigung mikroskopischer Kollisionen im Medium ist es
den Teilchen, wie ein paar Seiten zuvor beschrieben, möglich, einen Punkt im Geschwin-
digkeitsraum auch auf Grund von Kollisionen verlassen oder erreichen zu können. Dies hat
zur Folge, dass (2.18) um diese Möglichkeit erweitert werden muss. Es gilt nun wie in [2]:
f
(t+ dt, ~x+ ~u · dt,
~F
m· dt
)d3~x′ d3~u′
= f (t, ~x, ~u) d3~x d3~u+ Γ(f) d3~x d3~u dt (2.20)
Dabei ist Γ(f) eine Funktion für die durch Kollisionen hervorgerufene Änderung pro Zei-
tintervall dt in dem Volumenelement um den Punkt (~x, ~u). Man nennt Γ(f) auch das
“Kollisionsintegral”. Die Boltzmanngleichung für die Bilanz aus (2.20) wird wie im Ab-
schnitt zuvor erarbeitet und lautet dementsprechend:(∂
∂t+ ~u · ~∇x +
~F
m· ~∇u
)f = Γ(f) =
(∂f
∂t
)coll
(2.21)
Wobei(∂f∂t
)coll
der Kollisionsterm ist. Dieser muss nun von Außen mit Vorgaben für die
mikroskopischen Kollisionen “gefüttert” werden. Ein sehr naheliegender Schritt ist nun,
diesen Term noch einmal zu unterteilen. Man definiert:(∂f
∂t
)coll
=
(∂f
∂t
)gain
−(∂f
∂t
)loss
(2.22)
Dabei steht der “Gain”-Term für alle durch Kollisionen in das Volumen eingestreuten Teil-
chen und der “Loss”-Term für alle aus dem Volumenelement heraus gestreuten Teilchen.
Eine sehr ausführliche Darstellung der Berechnung der Gain und Loss-Terme für elastische
“2 nach 2”-Kollisionen ist zu finden in [7][Kapitel IV.2.2, S.48 ff].
17
2 Boltzmanngleichung
Abbildung 6: Grafische Darstellung der Funktion f unter Berücksichtigung von mikrosko-
pischen Kollisionen. Links sieht man das Verhalten der Funktion bezüglich einer Orts-
raumrichtung x gegen die Zeit aufgetragen, rechts bezüglich einer Geschwindigkeitsraum-
richtung u. Quelle: [2][ S.72, Fig. 2.3]
Abbildung 6 verdeutlicht graphisch, wie sich die Berücksichtigung der Kollisionen auf die
Entwicklung des Systems auswirkt. Auf der linken Seite der Abbildung verlaufen die Teil-
chenbahnen nicht mehr konstant in eine Richtung, wie es noch in Abbildung 5 der Fall
war. Dies ist bereits ein Hinweis darauf, dass mikroskopische Prozesse vorhanden sind.
Auch der zeitliche Verlauf im Geschwindigkeitsraum ist nun nicht mehr trivial. Die leich-
ten Schattierungen im Hintergrund deuten den Verlauf der Dichtefunktion f im jeweiligem
Raum an. An diesem erkennt man schnell, dass die Funktion im Ortsraum mit fortschrei-
tender Zeit immer unschärfer wird. Auch der Verlauf im Geschwindigkeitsraum verbleibt
nicht so trivial, wie zuvor.
2.7 Relativistische Boltzmanngleichung
Nachdem wir nun im Bereich der klassischen Mechanik die Boltzmanngleichung und die
Annahmen, die damit verbunden sind kennengelernt haben, ist es jetzt unsere Aufga-
be, diese Gleichung im Lichte der speziellen Relativitätstheorie zu betrachten. Eine sehr
ausführliche Behandlung dieses Vorgangs ist im Buch [9] zu finden. Eine komprimiertere
Herangehensweise, an der ich mich hier orientiere, findet man in [2][Kapitel 2.3.1, S. 90 f],
wobei dort der metrische Tensor der Form diag(gµν) = (1,−1,−1,−1) Verwendung findet.So wie in Ausdruck (2.18) definiert man wieder eine Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunk-
tion f im Phasenraum. Für diese soll gelten:∫ ∞−∞
∫ ∞−∞
f d3~x d3~p = N (2.23)
18
2.8 Lösungsansätze für die relativistische Boltzmanngleichung
Eine spannende Frage im Rahmen der relativistischen statistischen Physik ist nun, wie sich
die Wahrscheinlichkeitsverteilung f unter Lorentz-Transformationen verhält. In [2][Kapitel
2.3.1, S.90] wird gezeigt, dass gilt:
f ′(~x′, ~p′) = f(~x, ~p) (2.24)
Dabei ergibt sich das gestrichene System durch eine Lorentz-Transformation aus dem
Ungestrichenen. Formel (2.24) besagt, dass die Verteilungsfunktion ebenso ein Lorentz-
Skalar ist, da es sich unter Transformationen nicht ändert, wie das Produkt d3x d3p. Formel
(2.24) ist in vielerlei Hinsicht beruhigend, signalisiert sie doch, dass die Beschreibung
des Systems am Ende unabhängig vom Bezugssystem ist. Somit kann man durch die
Rechenschritte, die bereits im vorherigen Kapitel getätigt wurden, zur relativistischen
Boltzmanngleichung gelangen, die sich, in Anwesenheit einer äußeren Vierer-Kraft Fµ wie
folgt darstellt: (pµ
∂
∂xµ+m Fµ
∂
∂pµ
)f =
(∂f
∂t
)coll
(2.25)
Im Rahmen dieser Arbeit wird es jedoch keiner äußere Kraft Fµ bedürfen, sodass die im
weiteren Verlauf verwendete relativistische Boltzmanngleichung folgende Form aufweist:(pµ
∂
∂xµ
)f = pµ∂µf =
(∂f
∂t
)coll
(2.26)
Diese Gleichung wird in dieser Form in vielen Veröffentlichungen verwendet, wie zum
Beispiel auch in [5].
2.8 Lösungsansätze für die relativistische Boltzmanngleichung
Nachdem jetzt die für später wichtige Bewegungsgleichung in Form von (2.26) erarbeitet
wurde, stellt sich die Frage, wie Lösungen dieser Gleichung aussehen. Eine wichtige Lösung
der Boltzmanngleichung ist immer die “globale Gleichgewichtslösung”. Sie zeichnet sich
dadurch aus, dass sie zeitlich konstant ist. Diese Lösung ist für die Physik von Bedeu-
tung, da für ein System im Gleichgewicht sämtliche thermodynamischen Größen als solche
definiert sind. Die Gleichgewichts-Verteilungsfunktion der relativistischen Boltzmannglei-
chung wird zum Beispiel in [9][Kapitel 4 S. 43ff] hergeleitet und lautet für verschwindendes
chemisches Potential:
feq(x, p) =C
2π~e−
pµuµT (2.27)
Dabei ist C ein Faktor um mögliche Entartungen der Zustände zu berücksichtigen und
T die Temperatur. Die beiden Vierer-Vektoren pµ und uµ stehen für den Vierer-Impuls
19
2 Boltzmanngleichung
und die Vierer-Geschwindigkeit. Formel (2.27) wird in der Literatur häufig als “Maxwell-
Jüttner-Verteilung” bezeichnet.
Wenn man die erst später erwähnte Gleichung (4.2) bedenkt, kann man den Exponenten
in Formel (2.27) vereinfachen zu pµuµ = Ep. Dann erkennt man, dass (2.27) eine relativi-
stische Formulierung der klassischen Maxwell-Boltzmann-Statistik ist.
Wenn zusätzlich zur speziellen Relativitätstheorie auch noch die Quantenstatistik für Fer-
mionen oder Bosonen berücksichtigt werden muss, erhält man die als Fermi-Dirac-, bzw.
Bose-Einstein-Statistik bekannten Verteilungen:
feq,QS =C
2π~
(1
epµuµT − �
)(2.28)
Für diesen Ausdruck gilt � = −1 für Fermionen und � = +1 für Bosonen. Wichtig zuerwähnen ist, dass sowohl in Ausdruck (2.27) als auch in Formel (2.28) das chemische
Potential µ bereits als verschwindend gewählt wurde. Dies wird auch im weiteren Verlauf
der Arbeit immer der Fall sein.
Eine abschließende Bemerkung ist noch anzubringen. Während der Herleitung der Boltzmann-
Gleichung habe ich stets betont, dass die Beschreibung nur für verdünnte Medien gültig
sei. Nun kann man aber die Frage stellen, warum man das QGP12, in welchem extre-
me Dichten vorliegen, mittels solch einer Näherung beschreibt. Die Antwort liegt in der
asymptotischen Freiheit. Diese besagt dass die QCD-Teilchen freier sind, wenn sie nah bei-
einander liegen. Somit ist in der QCD der Zustand, denn man intuitiv als verdünnt, also
mit nur wenigen Wechselwirkungen versteht, der, bei dem hohe Dichten und Temperaturen
herrschen.
12und das Hadronengas, was ich zusammengenommen als Feuerball bezeichnen werde
20
3 Bezüglich des Impulsraumes anisotrope Verteilung
3 Bezüglich des Impulsraumes anisotrope Verteilung
Für diese Arbeit betrachte ich im weiteren Verlauf die folgende für eine Teilchenart defi-
nierte, Verteilungsfunktion, welche im lokalen Ruhesystem des Fluides wie folgt formuliert
wird:
faniso(xµ, pµ) = C e
− 1Λ0
√pµ Ξµν(xµ) pν
Da das Skalarprodukt im Exponenten der Verteilungsfunktion faniso(xµ, pµ) kommutativ
sein muss, muss Ξµν symmetrisch sein. Im Allgemeinen lässt sich somit eine Basis finden,
in welcher der Tensor Ξµν diagonal ist. Somit kann man die Verteilungsfunktion auch
definieren als:
faniso(xµ, pµ) = C e
− 1Λ0
√m2+Ξ1(xµ)p21+Ξ2(x
µ)p22+Ξ3(xµ)p23 (3.1)
Die Anisotropie ist also eine lokale Anisotropie und bezieht sich nicht auf eine äußere Form
des Mediums. Vielmehr bewirkt die Anisotropie, dass verschiedene “Richtungen” in der
physikalischen Beschreibung unterschiedlich stark gewichtet werden. Die Richtungen, die
von den Anisotropien in Definition (3.1) unterschiedlich gewichtet werden, sind solche im
Impulsraum.
Der Faktor C stellt dabei eine mögliche Konstante dar. Wichtig für spätere Rechnungen
ist es zu betonen, dass die Ξi einzig Abhängigkeiten vom Ortsraum aufweisen, aber keine
solchen vom Impulsraum. In den späteren Rechnungen werde ich die Ξi jedoch lediglich
als konstante Parameter behandeln. Diese Verteilungs-Funktion wird in dieser Form auch
in der Veröffentlichung von D. Bazow, U. Heinz und M. Strickland in [5] verwendet. Auch
die von W. Florkowski et al. in seinen Veröffentlichungen postulierte Art der Anisotropie
lässt sich aus der obigen Form (3.1) ableiten. Jedoch sei erwähnt, dass ich in späteren
Rechnungen nicht mehr analytisch mit massiven Teilchen rechnen werde. Dann werde
ich zum Erlangen analytischer Ergebnisse auf folgende Verteilungsfunktion zurückgreifen
müssen:
faniso, m=0(xµ, pµ) = C e
− 1Λ0
√Ξ1(xµ)p21+Ξ2(x
µ)p22+Ξ3(xµ)p23 (3.2)
Zusätzlich ist anzumerken, dass in dieser Funktion das Phänomen der zuvor erwähnten
Quantenstatistik der Einfachheit halber nicht berücksichtigt wurde. Das heißt im isotropen
Grenzfall geht die Verteilungsfunktion in eine Maxwell-Boltzmann-Verteilung13 über und
nicht in eine Bose-Einstein- oder Fermi-Dirac-Verteilung. Weiterhin ist zu bedenken, dass
die Größe Λ0 hier ein Parameter ist. Im Allgemeinen kann Λ0 auch eine Ortsabhängigkeit
13Präziser ausgedrückt geht die Verteilung in das relativistische Pendant der Maxwell-Boltzmann-Verteilung, der Jüttner-Verteilung, über.
21
3 Bezüglich des Impulsraumes anisotrope Verteilung
aufweisen, welche ich aber nicht berücksichtigen werde. Im weiteren Verlauf der Arbeit
werde ich gelegentlich Λ0 als eine “anisotrope Temperatur” bezeichnen14. Dies ist natürlich
im streng thermodynamischen Sinn falsch. Was ich (und andere) jedoch damit bewirken
will (wollen), ist darauf hinzuweisen, dass die Aufgabe oder Funktion dieses Parameters
die ist, die bei Ξi = 1, also verschwindender Anisotropie, die Temperatur T inne hat.
Eine letzte Bemerkung bezieht sich auf die Wahl des Koordinatensystems. Hier traf ich die
Wahl, im “out-side-long”15-System zu arbeiten. Dieses System zeichnet sich dadurch aus,
dass es für jedes Volumenelement lokal definiert ist. Die long-Koordinate entspricht der
z-Achse im Laborsystem, die out-Koordinate weist, bezüglich des Mediums, nach Außen,
ist also vergleichbar mit einer rotierten x-Achse, während die side-Koordinate in die letzte
verbleibende Raumrichtung weist.
14Häufig werde ich diese Größe auch nur als “Temperatur” bezeichnen15Dieses System trägt auch den Namen Bertsch-Pratt-Koordinaten.
22
4 Relativistische Hydrodynamik
4 Relativistische Hydrodynamik
4.1 Allgemeine Einleitung zur Hydrodynamik
Mit Hilfe der Hydrodynamik kann man den räumlichen und zeitlichen Verlauf von makro-
skopischen Größen, wie zum Beispiel Temperatur, Druck, etc. in einem System bestehend
aus sehr vielen Teilchen, beschreiben. Die Hydrodynamik ist eine effektive Feldtheorie.
Das heißt zum Einen, dass mikroskopische Größen über ein geeignetes Volumen gemittelt
werden (effektiv) und zum Anderen, dass in der Umgebung um jedem Punkt in Raum
und Zeit einer physikalischen Größe ein Wert zugeordnet werden kann (Feldtheorie). Von
elementarer Wichtigkeit ist natürlich die Größe des Volumens über das gemittelt wird.
Dieses Volumen wird auch (Fluid)-Zelle genannt. Diese Zelle muss groß gegenüber der
Ausdehnung l der mikroskopischen Teilchen (Elementarteilchen, Atome, Moleküle,...), aus
denen das System besteht, sein, um die Mittelung über viele Teilchen zu ermöglichen, was
möglichen Fluktuationen stärker entgegenwirken kann. Jedoch sollte es als punktförmig in-
terpretierbar sein gegenüber der makroskopischen Skala L, auf welcher das Fluid beschrie-
ben werden soll (zum Beispiel Flugzeugflügel, Schiff, Fireball,...). Mathematisch formuliert
soll also gelten:
l
L� 1 (4.1)
Der Bruch lL wird auch Knudsenzahl genannt. Da die Forderung (4.1) der Forderung
nach einem kontinuierlichen Medium gleicht, gilt die Hydrodynamik als ein Teilgebiet der
“Mechanik kontinuierlicher Medien”. Dies ist zunächst konzeptionell als Gegenentwurf zu
dem zu verstehen, was in Kapitel 2 ausgearbeitet wurde, wo wir uns mit einer Modellie-
rung mikroskopischer Vorgänge etc. beschäftigt haben. Jedoch gibt es eine, von uns später
genutzte Möglichkeit, von der einen Beschreibungsart (Boltzmanngleichung) zur anderen
(Hydrodynamik) zu gelangen. Diesen Übergang werde ich später in Kapitel 4.3 vorstellen.
Die Zelle wird im Rahmen der Hydrodynamik auch als Fluidteilchen bezeichnet.
Die Hydrodynamik beschreibt allgemein Fluide, dabei handelt es sich aber nicht nur um
den klassischen Aggregatzustand “flüssig”. Auch das Verhalten von zum Beispiel Gasen
kann über die Hydrodynamik beschrieben werden. Physikalisch gelten alle Körper als
Fluid, die sich solange verformen, wie eine Tangentialspannung an ihnen angelegt wird16.
Im Rahmen der Hydrodynamik muss man Erhaltungssätze für die zuvor über das Fluid-
element im Ortsraum gemittelten physikalischen Größen formulieren. Hier spielt der Im-
puls ~p eine bedeutende Rolle. Denn mittels der Forderung nach Impulserhaltung gelangt
man fast automatisch zu den, seit dem 18. Jahrhundert bekannten Eulergleichungen. Wo-
bei man zum Erhalten der Eulergleichungen zusätzlich noch die Annahme untereinander
16vgl: [10]
23
4 Relativistische Hydrodynamik
nicht wechselwirkender Fluidteilchen (ideales Fluid) treffen muss. Eine bessere Beschrei-
bung realer Fluide kann man über die Navier-Stokes-Gleichungen erhalten, wenn man
zusätzlich einfache Wechselwirkungen zwischen den Fluidelementen berücksichtigt. Hier
gelangt man aber schon zu einer weiteren, leider typischen, Eigenschaft der Hydrodyna-
mik. Die aus den Erhaltungssätzen erarbeiteten Differentialgleichungen, sind sehr schnell
mathematisch sehr kompliziert. Nicht selten sind schon die Navier-Stokes-Gleichungen
analytisch nicht mehr lösbar.
Um an ein geschlossenes System von Differentialgleichungen zu gelangen, nutzt man auch
die Teilchenzahl-, sowie die Energieerhaltung. Ein umfassendes (Standard-)Lehrbuch zur
Hydrodynamik im Rahmen der theoretischen Physik ist [11].
Da es in den Schwerionenkollisionen zu sehr hohen Teilchen- und Energiedichten kommt,
macht eine Betrachtung im Rahmen der klassischen Physik auch phänomenologisch keinen
Sinn. Von daher ist man gezwungen, die spezielle Relativitätstheorie (siehe z.B. [12][Ka-
pitel 2 Special Relativity]) mit in die Dynamik der Fluidzellen einzubinden. Im weiteren
Verlauf dieses Abschnittes folgt nun eine Vorstellung der grundlegenden Ideen der relati-
vistischen Hydrodynamik.
4.2 Relativistische Hydrodynamik
Um an ein geschlossenes System von Differentialgleichungen zu gelangen, die ein relativi-
stisches Fluid beschreiben, formuliert man zu Beginn, genau wie im nichtrelativistischen
Fall Erhaltungssätze für physikalische Größen.
Um den Erhalt der Teilchenzahl im relativistischen Fall auszudrücken, muss man zunächst
über eine sinnvolle Definition der Teilchendichte nachdenken. Damit die Anzahl der Teil-
chen in einem Ortsraumvolumenelement lorentzinvariant bleibt, muss man die Längen-
Kontraktion, die mit einer Lorentztransformation einhergeht, bedenken. Da die Teilchen-
dichte in der hydrodynamischen Beschreibung nicht bezugssystemabhängig sein soll17,
dürfen die makroskopischen Größen auch nicht vom Bezugssystem abhängen. Somit defi-
niert man zu Beginn eine vom Bezugssystem abhängige lokale Nettoteilchendichte:
N (t, ~r)
Damit erhält man die lorentzinvariante Netto-Teilchenzahl in einem Volumenelement d3~r
wie folgt:
N (t, ~r) d3~r
17,wie es auch für die Beschreibung mittels der Boltzmanngleichung der Fall war (vgl. Formel (2.24))
24
4.2 Relativistische Hydrodynamik
Es handelt sich bei der Netto-Teilchendichte N (t, ~r) also um eine Dichte bezüglich desOrtsraumes. Der Begriff Nettoteilchenzahl soll verdeutlichen, dass es sich bei dieser Größe
um die Differenz von Teilchen und Antiteilchen handelt. Nur die Betrachtung der Netto-
teilchenzahl ist physikalisch sinnvoll, da nur diese auch im Rahmen der Quantenfeldtheorie
erhalten bleibt. Das folgt aus der Tatsache, dass aus hohen Energiedichten prinzipiell wei-
tere Teilchen-Antiteilchen-Paare erzeugt werden können.
Die Idee der relativistischen idealen Hydrodynamik ist nun, dass man zu jedem Viererort
xµ durch eine geeignete Lorentztransformation ein System findet, in dem sich das zu be-
schreibende Fluidteilchen in Ruhe befindet. Das Ruhesystem für einen Punkt (t, ~r) nennt
man häufig “lokales Ruhesystem18” (LR). Ist dies erfolgt, beschreibt man die Physik des
Fluides in diesem Bezugssystem. Die Gleichungen müssen jedoch stets so formuliert wer-
den, dass sie sich in jedes beliebige Bezugssystem transformieren lassen. Sprich das Trans-
formationsverhalten sämtlicher Tensoren muss ihrer Stufe entsprechend sein, das heißt
Skalare müssen lorentzinvariant bleiben, Tensoren erster Stufe, wie z.B. die Geschwindig-
keit uµ müssen sich wie Vektoren transformieren und so weiter. Im lokalen Ruhesystem
schreibt man für die Teilchendichte:
N (t, ~r)LR =: n(t, ~r)
An dieser Stelle führt man zusätzlich eine lokale Vierer-Geschwindigkeit uµ(t, ~r) ein. Die
lokale Vierer-Geschwindigkeit hat die Form:
u0 =dt
dτ
ui =dri
dτ, ∀ i = 1, 2, 3
Dabei steht τ für die Eigenzeit. Diese wiederum ist wie folgt definiert:
τ =√
1− v2 t
Die Vierer Geschwindigkeit uµ muss sich per Definition unter Lorentztransformationen
wie ein Vierervektor verhalten. Sie vereinfacht sich im lokalen Ruhesystem zu:
uµLR =
1
0
0
0
(4.2)
18In der Literatur findet man häufig auch die englische Bezeichnung: local rest frame
25
4 Relativistische Hydrodynamik
Mittels des Skalarfeldes n(t, ~r) und des Vierervektorfeldes uµ kann man jetzt den Netto-
Teilchenstrom Nµ für ein ideales Fluid folgendermaßen definieren:
Nµ(t, ~r) = n(t, ~r)uµ(t, ~r) (4.3)
Aus der Teilchenzahlerhaltung längs der Strömung folgt:
∂µNµ = ∂t n(t, ~r) + ∂~r n(t, ~r) ~v(t, ~r) = 0 (4.4)
Damit haben wir mit Formel (4.4) den ersten Erhaltungssatz der relativistischen idealen
Hydrodynamik.
Den zweiten Erhaltungssatz erhält man aus der Forderung nach Energie- und Impulser-
haltung. Auch hier muss man die effektiv gemittelten Größen so definieren, dass die resul-
tierenden makroskopischen Größen lorentzinvariant sind. Des Weiteren verbindet man den
Energiestrom mit dem Impulsstrom zu einem Vierer-Vektor. Allgemein ist der Energie-
Impulstensor für ein ideales Fluid wie folgt definiert:
Tµλ = � uµuλ + p ∆µλ (4.5)
Wobei p für den thermodynamischen Druck und � für die relativistische Energiedichte
steht. Mit Ausdruck (0.2) und der Definition (4.2) sieht man schnell, dass im lokalen
Ruhesystem gilt:
[uµuµ]LR = 1 = uµuµ (4.6)
Da die 1 ein Skalar ist, welches invariant unter Lorentztransformationen ist, kann man die
rechte Seite von (4.6) folgern, sprich u2 ist in allen Bezugssystemen immer auf 1 normiert.
Es bleibt noch zu klären, was ∆µλ aus der Formel (4.5) bedeutet. Formell kann ∆µλ wie
folgt definiert werden:
∆µλ = uµuλ − gµλ
Wenn man ∆µλ auf uλ anwendet und im vorletzten Schritt (4.6) beachtet, erhält man:
∆µλ uλ = [uµuλ − gµλ]uλ
= uµuλuλ − gµλuλ
= uµ · 1− uµ
= 0
26
4.2 Relativistische Hydrodynamik
Wie man sieht ist ∆µλ genau so konstruiert, dass das Produkt von ∆µλ mit uλ immer
verschwindet. Man kann auch recht einfach zeigen, dass (∆µλ)2 = ∆µλ gilt. Somit kann
man ∆µλ mathematisch als eine orthogonale Projektion in Bezug auf die Geschwindig-
keitsfelder uµ auffassen.
Damit ist (4.5) ein symmetrischer Tensor 2. Stufe. Im lokalen Ruhesystem des Fluids hat
der Energie-Impuls-Tensor folgende Matrixform:
TµλLR =
� 0 0 0
0 p 0 0
0 0 p 0
0 0 0 p
Die Energie- und Impulserhaltung lässt sich nun kompakt schreiben als:
∂µTµλ = 0 (4.7)
Dies ist neben Ausdruck (4.4) ein weiterer Erhaltungssatz. Die beiden Erhaltungssätze
(4.4) und (4.7) gelten nicht nur im lokalen Ruhesystem, sondern sind so konstruiert, dass
sie in allen Bezugssystemen gültig sind.
Trägt man nun zusammen, wie viele Gleichungen uns bereits zur Verfügung stehen, so
kommt man auf 4 Gleichungen aus der Energieimpulserhaltung (4.7), sowie einer weite-
ren Gleichung aus (4.4). Diese Gleichungen beruhen auf einem Feld für die relativistische
Energiedichte �, einem Feld für den Druck p, dem Geschwindigkeitsfeld uµ, sowie der
Teilchendichte n. Da für uµ bereits die Beziehung (4.6) gilt, beinhaltet das Geschwindig-
keitsfeld nur drei Freiheitsgrade. Zusammengefasst haben wir also 6 Felder zu bestimmen,
dies ist aber mit 5 Gleichungen nicht eindeutig zu erreichen. Deshalb ist es notwendig eine
weitere Gleichung zur Verfügung zu haben.
Für die ideale relativistische Hydrodynamik, welche wir bisher betrachtet haben, kann
man eine solche Gleichung, wie in [13, Kapitel 4.2, S. 290] geschehen, mit Hilfe der stati-
stischen Physik über die Definition der Schallgeschwindigkeit im Medium erhalten. Dabei
gilt:
c2s =∂p
∂�(4.8)
Wenn man das Medium nun als ideales relativistisches Gas betrachtet, findet man im
Rahmen der statistischen Physik die Aussage:
c2s =1
3(4.9)
27
4 Relativistische Hydrodynamik
Damit gelangt man an die benötigte Gleichung, wenn man Formel (4.9) in Formel (4.8)
einsetzt.
Möchte man jedoch das Fluid mit Wechselwirkungen zwischen den Fluidelementen be-
schreiben, was zu Dissipationen führt, ist die obige Herangehensweise nicht mehr geeignet.
Neben einer “Optimierung” der Ausdrücke des Teilchenstroms (4.3) und des Energieim-
pulstensors (4.5), welche noch relativ intuitiv sind, stellt auch das Finden einer neuen
Zustandsgleichung ein Problem dar. Im Folgenden will ich noch kurz vorstellen, wie man
weiter vorgehen kann, um das Gleichungssystem wieder schließen zu können.
Das Skalarfeld des Druckes öffnet das Fenster in einen weiteren Bereich der Physik, nämlich
der Thermodynamik. Aus der Thermodynamik kennt man die thermodynamischen Poten-
tiale Entropie S und innere Energie E. Diese hängen wie folgt zusammen:
E = TS − pV + µN (4.10)
Wobei T die Temperatur, V das Volumen, N die Teilchenzahl und µ das chemische Poten-
tial bezeichnet. Dividiert man (4.10) durch das Volumen, so erhält man:
� = Ts− p+ µn (4.11)
Hierbei bezeichnen s und n die Entropie- bzw. die Teilchendichte. Nun ersetzt man die
Energiedichte � in (4.5) durch den in (4.11) erarbeiteten Ausdruck:
Tµλ = (Ts− p+ µn)uµuλ + p ∆µλ
Mit der Definition von ∆µλ folgt:
Tµλ = (Ts− p+ p+ µn)uµuλ − p gµλ
= −p gµλ + (Ts+ µn)uµuλ
Nun ziehen wir eine Vierergeschwindigkeit hinter die Entropie- bzw. Teilchendichte und
erhalten somit einen Ausdruck für die mit dieser Größe verknüpften Ströme.
Tµλ = −pgµλ + [T (suµ) + µ(nuµ)]uλ
Mit Zuhilfenahme der Gibbs-Duhem-Gleichung und Formel (4.4), sowie der Definition von
Skalarprodukten für Vierer-Vektoren, kann man nun zeigen, dass für ideale Fluide gilt:
∂µ [suµ] = 0 (4.12)
28
4.3 Von der Boltzmanngleichung zur Hydrodynamik
Der Beweis ist in [10, IV.1.4a S. 25 f] zu finden. Dort wird auch bewiesen, dass die Entropie
pro Teilchen bei idealen Fluiden längs der Strömung erhalten bleibt.
Man kann sagen, dass wir zwar mit Ausdruck (4.12) eine neue Erhaltungsgleichung zur
Verfügung haben, aber wir dafür auch ein neues skalares Feld einführen mussten. Jedoch
erkennt man an Formel (4.11), dass dieses neue Feld über die Thermodynamik komplett
aus den bereits genutzten Feldern berechnet werden kann und somit eigentlich kein neues
Feld darstellt, sondern nur eine Folgerung aus den bestehenden Feldern und der Thermo-
dynamik ist.
Ein Buch, welches sich im großen Umfang mit den verschiedenen Problemen und Verbesse-
rungen der relativistischen Hydrodynamik vor allem auch in höheren Ordnungen befasst,
ist [2]. Im nun folgenden Kapitel werde ich die physikalischen Objekte Nµ und Tµν aus
Gleichung (4.7) und (4.4) mit Inhalt füllen. Im Rahmen dieser Arbeit werde ich diese
Tensoren mit Hilfe der mikroskopischen 1-Teilchen-Verteilungsfunktionen aufbauen. Wie
dies technisch vonstatten geht, wird im folgenden Kapitel vorgestellt.
4.3 Von der Boltzmanngleichung zur Hydrodynamik
In diesem Abschnitt werde ich eine elegante Möglichkeit vorstellen, wie man mit Hil-
fe der mikroskopischen (und statistischen) Einteilchen-Verteilungsfunktion, welche in der
Boltzmanngleichung ja die zentrale Rolle spielt, zu der effektiven Beschreibung des Ma-
kroskopischen, der Hydrodynamik, gelangen kann. Dabei orientiert sich das Kapitel an
den ausführlicheren Ausarbeitungen [2][Kapitel 2.3.2, S. 91f, sowie Kapitel 2.2.3, S.78ff]
und [7][Kapitel IV.5, S.61], wobei die beiden letzten Quellenangaben den nichtrelativisti-
schen Fall betrachten.
Ich werde zunächst die Idee am klassischen Beispiel skizzieren und diese dann kurz in den
relativistischen Fall “übersetzen”.
Wie in der Physik üblich muss man geeignete Erhaltungssätze formulieren, um auf diesen
eine Dynamik zu formulieren. Daher liegt es nahe, sich auf eine zunächst nicht genau-
er spezifizierte, physikalische Größe Ψ zu konzentrieren, die in allen in Kapitel 2 zuge-
lassenen mikroskopischen Kollisionen erhalten ist19. Zur Erinnerung sei gesagt, dass in
gesamten Kapitel 2 einzig elastische Zwei-nach-Zwei-Kollisionen zugelassen wurden. Für
diese Prozesse könnte Ψ somit zum Beispiel als kinetischer Impuls oder als die Ruhemasse
verstanden werden. Für eine solche Größe Ψ soll gelten:∫ ∞−∞
Γ(f) Ψ d3u = 0 (4.13)
Ein kurzer Beweis für Gleichung (4.13) ist zu finden in [7][Kapitel IV.3.1.a, S.52]. Die
Formel (4.13) ist das zentrale Element in der Herleitung der Hydrodynamik. Dabei steht
19Ψ wird als Kollisionsinvariante bezeichnet.
29
4 Relativistische Hydrodynamik
Γ(f) für das bereits in Formel (2.20) und Formel (2.21) beinhaltete Kollisionsintegral,
welches die Änderungsrate der Teilchenzahl in einem Volumenelement um (~x, ~u) aufgrund
von Kollisionen angibt. Um die Bedeutung der obigen Definition besser verdeutlichen zu
können, setzt man in Formel (4.13) für Γ(f) die linke Seite der Boltzmanngleichung (2.21)
ein und erhält:
0 =
∫ ∞−∞
Ψ
(∂
∂t+ ~u · ~∇x +
~F
m· ~∇u
)f(~x, ~u) d3~u (4.14)
Wenn die Größe Ψ in mikroskopischen Kollisionen erhalten bleibt, so muss sie über die
gesamte Entwicklung des Systems erhalten sein. Die Integration über den Geschwindig-
keitsraum ist notwendig, da die Kollisionen die Dichten in diesem Raum verschieben. All-
gemein kann eine makroskopischer Fluss ~φ einer Erhaltungsgröße Ψ im Ortsraum definiert
werden über:
~φ(Ψ) =
∫ ∞−∞
f(~x, ~u) Ψ ~u d3~u (4.15)
Durch eine geschickte Wahl von Ψ können wir mit Hilfe des Ausdrucks (4.15) die Gleichun-
gen der Hydrodynamik erhalten. Setzt man für Ψ die Teilchenruhemasse m ein, so gelangt
man zur Teilchenzahl-Erhaltung. Ähnliches gilt, wenn man die Erhaltung der kinetischen
Energie betrachtet. Setzt man daher für Ψ die vektorielle Größe des kinetischen Impulses ~p
ein, so erhält man eine Gleichung für die Impulsentwicklung, wobei man dann einen Tensor
zweiter Stufe generiert. Alle Rechnungen dazu sind zu finden in [7][Kapitel:IV.5.1.a-c, S.
62 f].
Interessant für die meine Ausarbeitung ist nun die relativistische Formulierung vom Aus-
druck (4.15). Diese ist für den Orts-Impulsraum in [2][Kapitel 2.3.2, S. 91 Formel 2.90]
folgendermaßen definiert:
φµ α1...αk(G) =
∫d3p
p0Gα1...αk pµ f(xµ, pµ) (4.16)
Dabei ist Gα1...αk der den Strom erzeugende Tensor20. Um nun einen Ausdruck für den
Netto-Teilchenzahl-Strom Nµ zu erhalten, muss zum Einen gefordert werden, dass k = 0,
da der Teilchenstrom ein Vierer-Vektor ist, zum Anderen setzt man für G den Einheitsten-
sor ein: G = 1. Als Resultat erhält man das erste Moment der Verteilungsfunktion, welches
als Netto-Teilchenzahl-(Dichte)- Strom identifiziert werden kann. In Formeln ausgedrückt
bedeutet das:
Nµ :=
∫d3p
p0pµ f(xµ, pµ) (4.17)
20Somit ist Gα1...αk das relativistische Pendant zu Ψ.
30
4.4 Nützliche Substitutionen
Analog erhält man für k = 1 und G = pν das zweite Moment, welches als Energie-Impuls-
(Dichte)-Tensor identifiziert werden kann:
Tµν :=
∫d3p
p0pµ pν f(xµ, pµ) (4.18)
Natürlich kann man auf diese Weise auch höhere Momente der Verteilungsfunktion be-
rechnen, jedoch gibt es im Rahmen dieser Ausarbeitung keinen weiteren Nutzen für diese
Konstrukte.
Mit Hilfe der beiden Definitionen (4.17) und (4.18) werde ich nun die aus der Verteilungs-
funktion (3.2) folgende Hydrodynamik vorstellen.
4.4 Nützliche Substitutionen
Bevor ich zu den Berechnungen für die verschiedenen Momente komme, möchte ich ein
paar sehr nützliche Substitutionen vorstellen, die mir dann eine bessere, weil kompaktere,
Darstellung der Rechnungen ermöglichen:
qo =
√ΞooΛ20
pout (4.19)
⇒ dpout =Λ0√Ξoo
dqo
Ähnlich gilt dann auch:
qs =
√ΞssΛ20
pside (4.20)
⇒ dpside =Λ0√Ξss
dqs
,sowie
ql =
√ΞllΛ20
plong (4.21)
⇒ dplong =Λ0√Ξll
dql
4.5 Teilchenstrom Nµ massiver Teilchen für die anisotrope Verteilung
Nun haben wir alle Bausteine zusammen, um zu berechnen, wie die Hydrodynamik aus-
sieht, die aus der postulierten Verteilungsfunktion folgt. Mit der Verteilung (3.1) ergibt
31
4 Relativistische Hydrodynamik
sich für Nµ im lokalen Ruhesystem nach Gleichung (4.17) nun folgendes:
N0 =
∫ ∞−∞
d3p
p0p0 faniso(x
µ, pµ) (4.22)
=
∫ ∞−∞
d3p C e− 1
Λ0
√m2+Ξoop2out+Ξssp
2side+Ξllp
2long
setzt man nun die Substitutionen (4.19) bis (4.21) ein, führt das zu:
N0 =
∫ ∞−∞
dqo
∫ ∞−∞
dqs
∫ ∞−∞
dqlΛ30C√
ΞooΞssΞlle−√m2
Λ20+q2o+q
2s+q
2l
(4.23)
=Λ30C√
ΞooΞssΞll
∫ ∞−∞
dql
∫ 2π0
dφp
∫ ∞0
dq q e−√m2
Λ20+q2+q2l
Wobei im zweiten Schritt von (4.23) in Zylinderkoordinaten gewechselt wurde. Führt man
jetzt die Integrale über den Winkel φp und die Radialkomponente q aus, gelangt man zu:
N0 =2π Λ30 C√ΞooΞssΞll
∫ ∞−∞
dql
[−e−√m2
Λ20+q2l +q
2(√
m2
Λ20+ q2l + q
2 + 1
)]q=∞q=0
(4.24)
=2π Λ30 C√ΞooΞssΞll
∫ ∞−∞
dql
(√m2
Λ20+ q2l + 1
)e−√m2
Λ20+q2l
An dieser Stelle möchte ich eine weitere Substitution vorstellen:
ql =
√m2
Λ20sinh(ul) (4.25)
⇒ dql =
√m2
Λ20cosh(ul) dul
Unter Verwendung dieser Substitution erhält man nun:
N0 =2π Λ30 C√ΞooΞssΞll
(∫ ∞−∞
dulm
Λ0cosh(ul) e
−√m2
Λ20[1+sinh2(ul)]
(4.26)
+
∫ ∞−∞
dulm2
Λ20cosh2(ul) e
−√m2
Λ20[1+sinh2(ul)]
)
Für die Hyperbolischen Funktionen gilt allgemein die hier nützliche Beziehung:
cosh2(x)− sinh2(x) = 1
⇔ 1 + sinh2(x) = cosh2(x) (4.27)
32
4.5 Teilchenstrom Nµ massiver Teilchen für die anisotrope Verteilung
Somit können die Exponentialfunktionen vereinfacht werden21. Auch die Integralgrenzen
können modifiziert werden. Insgesamt führt dies zu folgendem Ausdruck:
N0 =4π Λ20 C m√
ΞooΞssΞll
(∫ ∞0
[cosh(ul) e
− mΛ0
cosh(ul) +m
Λ0cosh2(ul) e
− mΛ0
cosh(ul)]dul
)Vergleicht man den ersten Term nun mit der Definition einer “Modifizierten Besselfunkti-
on”, welche wie folgt lautet:
Kα(x) =
∫ ∞0
e−x cosh(t)cosh(αt) dt (4.28)
,so kann man diesen als eine solche identifizieren. Des Weiteren kann der zweiten Term
mit folgender Überlegung umgeformt werden:
cosh2(u) =1
4(eu + e−u) · (eu + e−u) (4.29)
=1
4(e2u + e−2u + 2)
=1
2(cosh(2u) + 1)
Man erhält dadurch:
N0 =4π Λ20 C m√
ΞooΞssΞll
[K1
(m
Λ0
)+ (4.30)
m
2Λ0
(∫ ∞0
dul cosh(2ul) e− m
Λ0cosh(ul) +
∫ ∞0
dul e− m
Λ0cosh(ul)
)]Auch hier lassen sich wieder modifizierte Besselfunktionen, wie in Formel (4.28) definiert,
identifizieren. Somit ergibt sich:
N0 =4π Λ20 C m√
ΞooΞssΞll
[K1
(m
Λ0
)+
m
2Λ0
(K2
(m
Λ0
)+K0
(m
Λ0
))](4.31)
Dies lässt sich weiter umschreiben zu:
N0 =2π Λ0 C m
2
√ΞooΞssΞll
[2Λ0m
K1
(m
Λ0
)+K2
(m
Λ0
)+K0
(m
Λ0
)](4.32)
Verwendet man nun die Regressionsformel für modifizierte Besselfunktionen, welche zum
Beispiel in [2][Kapitel 2.4.2 S.111, Formel (2.189)] zu finden sind:
Kn+1(x) = Kn−1(x) +2n
xKn(x) , (4.33)
21In der Tat wurde (4.27) bereits zuvor genutzt, um den 2. Summanden zu vereinfachen.
33
4 Relativistische Hydrodynamik
wobei in unserem Fall gilt: n = 1 und x = mΛ0 , so haben wir das folgende kompakte
Ergebnis erarbeitet:
N0 =4π Λ0 C m
2
√ΞooΞssΞll
K2
(m
Λ0
)(4.34)
Vergleicht man das Ergebnis (4.34) mit dem Ergebnis für eine isotrope Verteilung, wie es
zum Beispiel in [2][Kapitel 2.4.2 S.110, Formel(2.182)] nachzulesen ist22 oder in [3][Ka-
pitel 8.7.1 S. 141]23, oder auch in [14][Kapitel III, S.9 Ausdruck (28)], so findet man als
Veränderung, dass die Wurzel mit den Anisotropiefaktoren Ξii zusätzlich als Faktor auf-
tritt. Es lässt sich also schreiben:
N0(Λ0,Ξi) = nanisotrop(Λ0,Ξi) =
1√ΞooΞssΞll
nisotrop(T ) (4.35)
Somit ist auch Formel (12) aus [15], eine Veröffentlichung, auf die ich später noch eingehen
möchte, bestätigt. Auch für das Kapitel 5.4 ist die Struktur von Formel (4.35) Inspiration
für eine Vereinfachung eines Problems. An jener Stelle werde ich aber mehr dazu schrei-
ben.
Neben der Teilchendichte N0 = n sind auch die räumlichen Komponenten des Teilchen-
Viererstroms von Bedeutung. Daher werde ich nun die Rechnungen für die weiteren Ein-
träge präsentieren.
N side := N s =
∫ ∞−∞
d3~p
p0pside e
− 1Λ0
√m2+Ξoo p2out+Ξss p
2side+Ξll p
2long (4.36)
Wie ersichtlich ist, ist N s eine in pside ungerade Funktion, da Ξss keine Abhängigkeit von
pside aufweist. Zudem wird die Funktion von −∞ bis ∞ integriert. Daher muss N side ausSymmetriegründen verschwinden.
N s = 0 (4.37)
Gleiches gilt auch für die beiden verbleibenden Einträge des Teilchenstromtensors.
Nout :=
∫ ∞−∞
d3~p
p0pout e
− 1Λ0
√m2+Ξoo p2out+Ξss p
2side+Ξll p
2long = 0 (4.38)
sowie
N long :=
∫ ∞−∞
d3~p
p0plong e
− 1Λ0
√m2+Ξoo p2out+Ξss p
2side+Ξll p
2long = 0 (4.39)
22Wobei in der obigen Betrachtung gilt α = 0 und.23Hier jedoch mit µ = 0 und T = Λ0 .
34
4.5 Teilchenstrom Nµ massiver Teilchen für die anisotrope Verteilung
Damit habe ich an dieser Stelle alle Komponenten von Nµ für massive Teilchen berechnet
und kann nun dazu übergehen, die Ergebnisse graphisch aufzuarbeiten.
Da für die räumlichen Komponenten des Teilchenstromtensors verschwindende Beiträge
ermittelt wurden, stelle ich hier nur eine graphische Darstellung für die 0-Komponente des
Teilchenstromes Nµ vor, wie sie in Formel (4.34) bestimmt wurde. Dabei habe ich, zum
einen um die Ergebnisse mit [5] vergleichen zu können, zum anderen um den Plot besser
darstellen zu können, folgende Wahl für Ξii getroffen:
Ξii = 1 + ξi (4.40)
Des Weiteren haben ich exemplarisch nur eine Anisotropie in die “out”-Richtung angenom-
men, d.h. ξlong = ξside = 0. Dies hat drei Gründe, zum Einen reicht es so, zweidimensionale
Plots zu generieren, zum Anderen wird in den Ausarbeitungen von Florkowski et al. auch
nur von einer Anisotropie24, aus den bereits erwähnten Gründen, ausgegangen. Der dritte
Grund, speziell für die Wahl der “out”-Richtung als die Ausgezeichnete, wird später in
der Diskussion der von uns beabsichtigten Physik geliefert.
Betrachtet man die Funktion aus (3.2), sowie die Definition der Teilchendichte nun mit
diesen obigen Vorgaben so stellt man fest, dass gelten muss:
N0 ∈ R⇔ ξo > −1, ξs > −1, ξl > −1 (4.41)
Diese Aussage ist dem Sachverhalt geschuldet, dass die Teilchendichte als physikalische
Observable stets reel-wertig sein muss. Dies lässt sich nur erreichen, wenn bereits der
Exponent in Ausdruck (3.2) reel ist. Das Ergebnis für die Teilchendichte n, bestehend aus
Pionen mit einer Masse von 140 MeV, sieht geplottet auf die Anisotropie ξout wie folgt
aus:
24Wobei diese Anisotropie in die long- bzw. z- Richtung gewählt wird. Dazu aber später mehr.
35
4 Relativistische Hydrodynamik
Abbildung 7: Zu sehen ist die Abhängigkeit der Teilchendichte n vom Anisotropiepara-
meter ξout für Teilchen der Masse 140 MeV bei einer Anisotropietemperatur Λ0 von 150
MeV. Zum einen numerisch berechnet aus dem Ausdruck (4.22) mit nur einer Anisotropie
(rote Punkte), zum anderen, wie vorgestellt, analytisch berechnet (schwarze Linie).
Wie man in Abbildung 7 erkennt, ist die Teilchendichte für ein kleines, insbesondere nega-
tives ξout höher, als für ein großes. Es lässt sich zusätzlich sagen, dass je stärker der Aniso-
tropieparameter ins Negative gesetzt wird, ohne dabei die Bedingung (4.41) zu verletzen,
desto weiter ist das System vom “Gleichgewicht” entfernt. Eine weitere Beobachtung ist,
dass die Sensitivität der Teilchendichte gegenüber einer kleinen Änderung des Anisotropie-
Parameters ξ im Negativen viel stärker ausgeprägt ist, als im positiven Wertebereich des
Parameters.
Die Parameter für die Masse m und die Temperatur Λ0 habe ich so gewählt, um die
Bedingungen in einem Fluid zu generieren, die kurz vor dem Ende der Gültigkeit der
Hydrodynamik herrschen.
4.6 Teilchenstrom Nµ masseloser Teilchen für die anisotrope Verteilung
Um das Ergebnis aus [16] für die Teilchendichte n zu verifizieren, berechne ich noch die
Teilchendichte, die aus der Verteilungsfunktion (3.2) für masselose Teilchen resultiert.
36
4.6 Teilchenstrom Nµ masseloser Teilchen für die anisotrope Verteilung
Dabei wiederhole ich exakt die selbe Rechnung wie oben noch einmal:
n = N0 =
∫ ∞−∞
C d3p
p0p0 e
− 1Λ0
√p2outΞoo+p
2sideΞss+p
2longΞlong (4.42)
=C Λ30√
ΞooΞssΞll
∫ ∞−∞
d3q e−√q2o+q
2s+q
2l
=C Λ30√
ΞooΞssΞll
∫ 2π0
dφq
∫ π0dθq sin(θq)
∫ ∞0
dq q2 e−q
=4π C Λ30√ΞooΞssΞll
∫ ∞0
dq q2 e−q
=8π C Λ30√ΞooΞssΞll
Am Ergebnis von Formel (4.42) fällt sofort auf, dass sie eine Abhängigkeit von der Tem-
peratur Λ0 zur dritten Potenz aufweist und somit vom vorherigen, massiven Fall ab-
weicht. Vergleicht man jetzt das Endergebnis aus der gerade erarbeiteten Formel (4.42)
mit [16][S.4, Formel (37)], so stellt man fest, dass diese übereinstimmen25. Auch der in
Formel (4.35) gefundene Zusammenhang zwischen den Teilchendichten im isotropen Fall
und denen im anisotropen Fall kann wiedergefunden werden.
Unter Verwendung der anisotropen Verteilungsfunktion masseloser Teilchen (3.2) habe ich
für die resultierende Teilchendichte n folgende graphische Darstellung erstellt:
Abbildung 8: Zu sehen ist die Abhängigkeit der Teilchendichte von einem Anisotropiepa-
rameter ξout bei einer anisotropen Temperatur Λ0 von 150 MeV. Zum einen numerisch
berechnet mit nur einer Anisotropie (rote Punkte), zum anderen, wie vorgestellt, analy-
tisch berechnet (4.42) (schwarze Linie).
Auch hier wurde, wie im vorherigen Kapitel, nur eine Anisotropieparameter ξ ungleich
Null gesetzt. Wie auch schon in Abbildung 7 zu sehen war, steigt die Teilchendichte für
25Wobei als Übersetzung gilt: Λ0 = λ.
37
4 Relativistische Hydrodynamik
kleinere Anisotropieparameter immer stärker an.
4.7 Energie-Impulstensor T µν für die anisotrope Verteilung
Um nun die Einträge des Energie-Impuls-Tensors zu bestimmen, bediene ich mich an den
beiden zuvor ausgearbeiteten Formeln (3.1) sowie (4.18). Bevor ich jetzt jedoch einfach
alle 16 Einträge des Tensors berechne, macht es Sinn, noch einmal einen Blick auf die Sym-
metrien des Tensors zu werfen. Dabei wird spätestens durch Betrachten des Ausdrucks für
das zweite Moment (4.18) schnell deutlich, dass Tµν symmetrisch bezüglich der Vertau-
schung von µ und ν ist.
Für die T 0i-Komponenten, also die Energieflussdichten, gilt per Definition:
T 0i =
∫ ∞−∞
d3p
p0p0 pi e
− 1Λ0
√m2+Ξop2out+Ξsp
2side+Ξlp
2long (4.43)
Dabei durchläuft i die räumlichen Komponenten. Es gilt also: i = long, side, out. Wie
bereits im Kapitel zuvor, ist Formel (4.43) hier bezüglich der Impulse von −∞ bis ∞ zuintegrieren. Schnell kann man jedoch sehen, dass der Integrand eine in pi antisymmetrische
Funktion ist, folg
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