Deutsche Architektur Auf den folgenden Seiten haben wir Zeichnungen von Michaela Melián aus dem Band „Föhrenwald” (sieheSeite 63) mit Fotos eines verlassenen Lagers in der Emma-Ihrer-Straße, München, von Marina Ginal kontrastiert. So unterschiedlichdie städtebaulichen Ideen hinter den Architekturen sind - in Föhrenwald die lagertaugliche Arbeiter-Mustersiedlung, in der Emma-Ihrer-Straße die institutionalisierte Desintegration im temporären Bau der Baracke - so bedrückend identisch doch die Wirkung derFluchten in Zeichnung und Fotos.
In der Bundesrepublik Deutschland hat sich der Begriff
„Integration” zu einem regelrechten Fetisch entwickelt.
Die Bezeichnung bedarf keinerlei Legitimation: Integra-
tion ist ein Generalziel der gesellschaftlichen Entwick-
lung; wer von Integration spricht, der will auf alle Fälle
etwas Gutes, und Integration ist etwas, dass „wir” alle
begehren. Wer nicht für Integration ist, der wird vom
herrschenden Diskurs gnadenlos als „Multikulti-Träumer”
gebrandmarkt, als gefährlicher Träumer, denn „Multikul-
ti”, soviel scheint ebenfalls festzustehen, führt notwendig
zum Zerfall der Gesellschaft.
Nun ist die Prominenz des Begriffes Integration eigent-
lich erstaunlich, denn letztlich handelt es sich um eine
Renaissance - die Bezeichnung war schon einmal, in den
1970er Jahren, als Allheilmittel für soziale Probleme im
Gespräch. Heute ist allerdings völlig unklar, was mit der
Bezeichnung Integration gemeint ist. Ein Blick auf die
Homepage der „Beauftragten der Bundesregierung für
Migration, Flüchtlinge und Integration” in Berlin zeigt,
dass an keiner Stelle eine genaue Definition geliefert
wird. Die Vorstellungen schwanken zwischen „Leitkultur”
und „Diversity”, wobei es sich um diametral entgegenge-
setzte Konzepte handelt, und auch der sogenannte
„Nationale Integrationsplan” ist kaum mehr als ein Bün-
del von sehr unterschiedlichen Anregungen und „Selbst-
verpflichtungen” ohne inhaltliche Klammer.1
Die Unbestimmtheit des Begriffs
Tatsächlich versteht offenbar jeder etwas anderes unter
Integration. „Zuwanderinnen und Zuwanderern soll eine
gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, politi-
schen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in
Deutschland ermöglicht werden. Im Mittelpunkt aller
Bemühungen zur Integration steht daher der Gedanke
der Chancengleichheit.”, heißt es auf der Homepage des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge2. Dagegen
definiert der Minister für Integration des Bundeslandes
Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, den Begriff eher
kulturell: „Integration bedeutet, das Zusammenleben
unterschiedlicher Kulturen in diesem Land friedlich zu
ermöglichen. Jeder erhält seine eigene Kultur - aber auf
einer gemeinsamen Wertebasis. Grundlage einer solchen
gemeinsamen Leitkultur ist die Verfassung. [...] Integra-
tion bedeutet, die unterschiedlichen Kulturen nebenein-
ander und miteinander leben zu lassen und den Aus-
tausch zu fördern. Interkulturelle Begegnung lässt keine
Ghettos zu und ist auch keine Assimilation.”3
Ein genauerer Blick auf diese und andere Formulierun-
gen zeigt allerdings, dass sich hartnäckig eine Vorstel-
lung hält, nach der die Verfassung so etwas ist wie
„unsere Werteordnung” (Laschet)4, in die sich die Ein-
wanderer einzugliedern haben. Und zwar individuell.
Wann die Integration abgeschlossen ist, das bestimmt der
Staat bzw. die einheimische Gesellschaft im Grunde je
nach Gusto. So sind etwa nach dem Ansteigen der Ein-
bürgerungszahlen nach der Reform des Staatsangehörig-
keitsrechtes im beginnenden neuen Jahrtausend die Hür-
den immer höher gelegt worden. Die Voraussetzungen
für eine Einbürgerung waren trotz des Anfang der 1990er
Jahre bereits eingeführten Rechtsanspruchs schon immer
erheblich - Nachweise über gezahlte Rentenbeiträge,
genügenden Wohnraum und ausreichende Einkünfte
gehörten ebenso dazu wie etwa eine Regelanfrage beim
Verfassungsschutz über das politische Betragen. Doch in
jüngster Zeit wird vor allem im Bereich der Deutsch-
kenntnisse ein so erhebliches Niveau erwartet, dass die
Einbürgerungszahlen stark zurückgegangen sind. Dazu
kamen Debatten über „Einbürgerungstests” in Baden-
Württemberg und Hessen 2006. Die Diskussionen und
die Leitfäden haben kaum einen anderen Nutzen, als
den Migranten das Gefühl zu geben, dass „Integration”
unmöglich ist: Sobald sie die Hürden nehmen können,
werden sie höher gelegt.
Die fatale Macht des Unbestimmten
Dass der Begriff Integration schwer zu fassen ist, bedeu-
tet nicht, dass er nicht erhebliche Wirksamkeit entfaltet.
Wie weiter unten noch ausgeführt wird, erscheint Inte-
gration im Alltagsverständnis vor allem als Forderung an
die Einwanderer, sich an die „deutschen Lebensverhält-
nisse” anzupassen. Letzteres Konzept tauchte schon in
den ersten „Einbürgerungsrichtlinien” von 1977 auf. Jener
Text definierte Integration als individuelle Leistung der
Einwanderer.5 Erst nach dem vollständigen Erbringen
dieser Leistung wurde schließlich die Staatsangehörigkeit
verliehen. Nun hat sich seither einiges geändert, doch im
19
i n t e g r a t i o n
Das Haus umbauenDer nebulöse Widergänger Integration hilft nicht einmal mehr den Deutschen. Es ist also an der Zeit,neue Sichtweisen für eine gemeinsame Zukunft zu entwickeln. Von Mark Terkessidis
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herrschenden Diskurs ist das damals niedergelegte Ver-
ständnis oftmals erhalten geblieben. Jedenfalls entspricht
dem unentwegten Reden über Integration keineswegs
ein überprüfbares, staatliches Programm zur Erreichung
eines konkreten Zieles. Der ganze Komplex der Einwan-
derungspolitik in der Bundesrepublik war stets ein
durchaus chaotisches Bündel unterschiedlicher und zum
Teil auch widersprüchlicher Maßnahmen.
In der Folge soll der Begriff Integration einer Kritik
unterzogen werden. Zudem möchte ich die Blickrichtung
umkehren und auch die Bemühungen der Migranten zur
„Selbsteingliederung” beschreiben. Tatsächlich haben die
Einwanderer selbst erhebliche Leistungen erbracht, um
in der deutschen Gesellschaft anzukommen. Die staatli-
che Rhetorik und Politik der Integration hat sich dage-
gen - so die These - in den meisten Fällen nicht als
Hilfe, sondern eher als Hemmschuh erwiesen, ein von
einheimischer Seite definierter Maßstab, dessen Inhalt
ständig verschoben und damit letztlich gar nicht erreicht
werden kann.
Integration als Allheilmittel
In den 1970er Jahren wurde die Bezeichnung Integration
nicht nur in Bezug auf Migration verwendet, sondern
galt als Allheilmittel gegen Marginalisierung. Gruppen
am Rande der Gesellschaft sollten eingebunden werden
in das Gesamtsystem. Dabei wurde ein Abstand voraus-
gesetzt, eine „Unterentwicklung”, die durch geeignete
materielle Hilfs- und Ausgleichsmaßnahmen überwunden
oder zumindest verringert werden sollte. Als sozialtech-
nisches Ziel galt die Erhaltung des sozialen Friedens. Die
damalige Integrationsidee hatte zwei Voraussetzungen.
Zum einen gab es als Zielvorgabe die Norm des mittel-
ständischen, männlichen, heterosexuellen und einheimi-
schen Subjektes. An dieser Norm wurde der besagte
Abstand der jeweiligen marginalisierten Gruppe gemes-
sen. Die andere Voraussetzung war der in die Wirtschaft
intervenierende Staat.
Nun sind beide Prämissen seitdem erheblich ins Wanken
gekommen. Bereits in den 1970er Jahren wurde der
Gedanke der Norm heftig theoretisch kritisiert. Unterdes-
sen jedoch ist diese Norm auch real unter Druck geraten
- auch wenn Deutschland der Entwicklung hinterher-
hinkt, hat selbst hier der demographische Wandel dafür
gesorgt, dass in den Eliten immer mehr Frauen, Homose-
xuelle oder Personen mit Migrationshintergrund zu fin-
den sind. So hat sich die „Norm” verändert. Zudem
erlebt man seit Mitte der 1970er Jahre eine zunehmende
Hinwendung zum Credo des Neoliberalismus. Das lautet:
Der Staat solle sich aus der Wirtschaft zurückziehen,
denn dessen Aufgabe sei nicht die Wohlfahrt der Allge-
meinheit; das soziale Umverteilen müsse aufhören. Wie
aber soll Integration ohne diese Voraussetzungen funk-
tionieren?
Ökonomische Integration
Zudem muss man Marios Nikolinakos beipflichten, der
1973 einen gewichtigen Einwand gegen den Begriff Inte-
gration erhob. Falsch sei es, schrieb er, „von einer anzu-
strebenden Integration bzw. Eingliederung der Gastarbei-
ter (zu) sprechen, zumal die Gastarbeiter schon wirt-
schaftlich und sozial objektiv in der deutschen Wirtschaft
integriert sind, nämlich als Hilfsarbeiter und als eine
soziale Schicht, die die Funktion des Proletariats und
Subproletariats des 19. Jahrhunderts erfüllen muss.”6 Man
mag letztere Bemerkung ein wenig polemisch finden,
aber es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die
Arbeitsmigranten bei ihrer Ankunft auf dem Arbeitmarkt
zumeist nur Zutritt zum Segment der unqualifizierten
und unsicheren Arbeit hatten. Die Einbeziehung auf dem
deutschen Arbeitsmarkt war also bereits eine spezifische
Form der Ausgrenzung. Nun ist die Benachteiligung auf
dem Arbeitsmarkt nur selten Thema von realen Integra-
tionsmaßnahmen geworden, und in der heutigen Debat-
te spielt das Ökonomische als zentrales Moment der
systemischen Inklusion keine Rolle mehr. Das ist
erstaunlich, denn die wirtschaftlichen Rahmendaten
haben sich für die Einwanderer verschlechtert. Für soge-
nannte Ausländer ist in Nordrhein-Westfalen in den letz-
ten 15 Jahren das Risiko, arbeitslos zu werden, etwa
dreimal so hoch geworden wie für die Einheimischen.
Ungleiche Voraussetzungen
Als einzige Korrekturmaßnahme in dieser Hinsicht
erscheint in diesen Tagen die Bildungspolitik. Das ist im
Sinne des Neoliberalismus durchaus konsequent: Für
eine entfesselte Konkurrenz sollen zumindest alle Perso-
nen gleich ausgerüstet sein. Allerdings haben seit dem
ersten „PISA”-Schock 2000 eine ganze Reihe von Unter-
suchungen gezeigt, dass die Benachteiligung von Kin-
dern mit Migrationshintergrund so massiv wie in kaum
einem anderen Einwanderungsland ist. Tatsächlich haben
andere Einwanderungsländer Schulreformen hinter sich,
welche die reale Vielfalt der Hintergründe, Eintrittsbedin-
gungen und Voraussetzungen von Kindern im alltäg-
lichen Funktionieren der Institution berücksichtigt.
In Deutschland jedoch wird auf die Probleme des Schul-
systems gemeinhin anders reagiert. Zunächst wird das
schlechte Abschneiden den Migranten selbst angelastet.
Franz Hamburger schreibt, dass es eine nicht-öffentliche,
ethnozentristische Auslegung von PISA gebe: „Die weit
verbreitete Überlegung, wie ‚Deutschland’ abschneiden
20
i n t e g r a t i o n
würde, wenn die Kinder mit Migrationshintergrund ‚her-
ausgerechnet’ würden, ist ein zentrales Deutungsmus-
ter”.7 In diese Kerbe schlug auch FAZ-Kommentator Jür-
gen Kaube, der nach der PISA-Studie 2005 meinte, dass
es darum gehe, „sich der Tatsache zu stellen, dass Tür-
ken in Deutschland als größte Problemgruppe im Durch-
schnitt weniger bildungsfreundlich erzogen werden”.8
Die meisten Bundesländer verfahren nach dem Prinzip:
Nicht die Schule wird reformiert, sondern die Migranten.
Das Konzept Integration geht letztlich weiterhin von
einer „deutschen” Norm aus. Nun weiß man aus der
pädagogischen Forschung, dass es keineswegs „integra-
tiv” wirkt, wenn man bei Personen ausschließlich Defizi-
te diagnostiziert und nicht auch deren Können und Ent-
wicklungsmöglichkeiten, und sie dann in Sonderklassen
verfrachtet, um das Defizit auszugleichen. Alle Erfahrun-
gen aus benachbarten Einwanderungsländern zeigen,
dass beispielsweise der Spracherwerb in den ersten
Schuljahren konsequent in den Regelunterricht eingebaut
werden sollte.
Zudem gelten die „Defizite” der Migrantenkinder
gewöhnlich als Produkt eines kulturellen Unterschieds.
Bereits in den 1970er Jahren bezeichneten deutsche For-
scher etwa die türkische Familie als dysfunktional - das
angeblich dort herrschende patriarchale Prinzip sei unge-
eignet für das Leben im Einwanderungsland.9 Seit dem
Jahrtausendwechsel haben solche Auffassungen eine
Renaissance erlebt. Inzwischen gilt allerdings der Islam
als primäres Hindernis für die Integration. „Kronzeugin-
nen” mit Migrationshintergrund wie Necla Kelek bezeich-
nen den Islam als „Kulturmuster”, welches „das Handeln
muslimischer Migranten in Deutschland bis in den letz-
ten Winkel ihres Alltags” formt. So werde ein Wertesy-
stem begründet, das „mit den Werten und Normen der
deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht viel gemein”
habe.10 Es erscheint dann logisch, dass der Bildungsmiss-
erfolg kein Ergebnis von Diskriminierung ist - verant-
wortlich ist eben das rückständige „Kulturmuster”.
Selbstintegration als migrantische Alltagspraxis
Während der herrschende Begriff der Integration offen-
bar eher kontraproduktiv wirkt und ständig den Unter-
schied zwischen „uns” und „ihnen” herausstreicht, gibt es
selbstverständlich eine Alltagspraxis der Migranten, eine
Praxis, die man möglicherweise mit dem Begriff Selbst-
eingliederung umschreiben könnte. Diese Eingliederung
betrifft oftmals nicht das große Ganze, den Nationalstaat,
„Deutschland”, sondern vielmehr den lokalen Lebenszu-
sammenhang. Wie etwa die Untersuchung „Die multikul-
turelle Stadt” (2001) gezeigt hat11, führt die Heterogenität
des urbanen Lebens keineswegs - wie in der Bundesre-
21
Illustration: Michaela Melián, Foto: Marina Ginal
publik oftmals unterstellt - zur „Desintegration”, sondern
eher zu kommoden Formen städtischen Nebeneinanders.
Der lokale Zusammenhang ist für viele Einwanderer
auch deswegen relevant, weil er als inklusiv verstanden
wird. So hört man oft Aussprüche wie: „Ich bin Kölner,
aber kein Deutscher”.
Diese Selbsteingliederung kann vielfältige Formen
annehmen. Wenn man davon ausgeht, dass Mobilität,
Eigenverantwortung und Flexibilität heutzutage zentrale
gesellschaftliche Werte darstellen, dann besitzt ein großer
Teil der Migranten in dieser Hinsicht besondere Qualifi-
kation. Während man in Deutschland gern das Schicksal
der sogenannten zweiten Generation beklagt, die orien-
tierungslos „zwischen allen Stühlen” leben muss, zeigt
sich bei näherem Hinsehen, dass viele Jugendliche sich
sehr gut in mehreren Sprachen, mehreren kulturellen
Kontexten zurechtfinden und somit eher „auf allen Stüh-
len”12 sitzen können.
Tatsächlich sind nach einer über 40-jährigen Einwande-
rungsgeschichte selbst die immer wieder als Beispiel für
„Parallelgesellschaften” angeführten „Männercafés” keine
eindeutigen Orte mehr. So hat der Autor Imran Ayata
festgehalten, dass er sich dorthin verzieht, weil er hier
eben nicht ununterbrochen als „Türke” identifiziert
wird.13 So kann, was von außen nach der schlimmsten
Homogenität aussieht, erstaunlicherweise innen ein
Raum der Individualisierung sein.
Vorschläge an die Adresse der Politik
Das Konzept Integration ist, wie gesagt, erheblich ange-
staubt - ein Wiedergänger aus einem vergangenen Jahr-
zehnt. Tatsächlich wäre es für die Bundesrepublik deut-
lich besser, die Behörden würden sich an den Aktivitäten
der Migranten orientieren und den Versuch unterneh-
men, die positiven Beispiele fortzuentwickeln. Auf kom-
munaler Ebene geschieht das in letzter Zeit durchaus
häufiger. Die großen Konzepte wie Integration kursieren
dagegen auf der Ebene des Bundes und der Länder und
in der Medienlandschaft - dort bleibt die Lage vor Ort oft
ziemlich abstrakt. Die Anerkennung der „Selbsteingliede-
rung” wäre aber auch bei diesen Institutionen wichtig,
denn sie leisten gewissermaßen die symbolische Selbst-
vergewisserung der Gesellschaft.
Besonders relevant für die deutsche Gesellschaft ist die
Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten. In letzter
Zeit hat es eine Renaissance der Debatte über das kom-
munale Wahlrecht für sogenannte Drittstaatsangehörige
gegeben, weil auf kommunalem Level mittlerweile das
Problem auftritt, dass bis zu 30 Prozent der Bewohner
nicht wählen dürfen, was die Legitimität kommunalen
22
Mark TerkessidisJahrgang 1966 ist
ein Journalist, Autor
und Migrationsfor-
scher. Seine Themen-
schwerpunkte sind
Jugend- und Popkul-
tur, Migration und
Rassismus. Mitbe-
gründer des „Institu-
te for Studies in
Visual Culture”
(ISVC) in Köln
Illustration: Michaela Melián, Foto: Marina Ginal
Handelns in Frage stellt. Insofern darf der Zugang zu
bestimmten Rechten nicht am Ende eines nebulösen
Integrationsprozesses stehen.
Wenn Partizipation das Ziel wäre, dann muss allen die-
sen Menschen ein niedrigschwelliges Angebot gemacht
werden. Das betrifft zunächst die Regelung des Aufent-
haltes. Diese sollte in der Kommune für sämtliche Perso-
nen unproblematisch sein, die sich dort aufhalten - seien
sie nun legal oder illegal eingereist. An das leicht zu
erwerbende Aufenthaltstatut sollten wiederum bestimmte
Rechte gekoppelt sein, die keine permanente Anwesen-
heit nötig machen. In einigen Kommunen gibt es öffent-
lich tagende „lokale Räte”, die auch für den Nahbereich
relevante Beschlüsse fassen dürfen. Prinzipiell kann sich
jeder beteiligen. Solche Formen der Einbeziehung
machen Mehrfachbindungen möglich und schaffen For-
men der Eingliederung, die ohne die Vorstellung von
„Integrationsnormen” auskommen. Diese Art der Teilha-
be könnte man das „Recht auf einen Ort” nennen.
Die Utopie der Diversity
Solche Partizipationsformen sollten ergänzt werden
durch die Anwendung der Idee der „Diversity”, die de
facto der deutschen Vorstellung von Integration diametral
entgegengesetzt ist. Einer der eloquentesten Vertreter des
„Diversity”-Ansatzes ist der USA-amerikanische Organisa-
tionsberater Roosevelt Thomas. In seinem auch auf
Deutsch erschienenen Buch „Management of Diversity”
erzählt er zu Beginn die unterdessen in vielen Publika-
tionen reproduzierte Geschichte von der Giraffe und
dem Elefanten.14 Sehr verkürzt handelt sie von der Einla-
dung eines Elefanten in das Haus einer Giraffe. Dieses
Haus ist den Bedürfnissen der Giraffe vollends ange-
passt, was bereits bei der Ankunft des Elefanten zu Pro-
blemen führt: Er, das gedrungene, schwere, breite Tier,
kann nicht durch die hohe und schmale Tür eintreten.
Die Giraffe nutzt die Möglichkeit, die Tür zu verbreitern.
Doch die Malheurs des Elefanten nehmen kein Ende:
Die Treppenstufen brechen ein, er sorgt für Risse in der
Wand. Schließlich empfiehlt die Giraffe dem Gast ein
Schlankheitsprogramm: Fitness-Studio und Ballettunter-
richt. Der Elefant jedoch definiert das Problem anders:
„Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob ein für eine
Giraffe entworfenes Haus je für einen Elefanten passen
wird, außer es würden einige tiefgreifende Umbaumaß-
nahmen vorgenommen”.15
Entsprechend bietet „Diversity” eine neue Sichtweise an:
Nicht die Minderheiten haben Defizite und sind reform-
bedürftig, sondern angesichts der vielfältigen Zusammen-
setzung der Bevölkerung muss das „Haus”, in dem diese
Menschen leben, umgebaut werden. Es geht darum, den
geteilten Raum kreativ neu zu erfinden. Insofern darf
„Diversity” auch nicht als notwendiges Übel betrachtet
werden, sondern als eine begrüßenswerte Gestaltungs-
aufgabe. Tatsächlich könnte „Diversity” eine ganz neue
Definition des Gemeinwesens mit sich bringen. Denn im
Gegensatz zum traditionellen Modell des Nationalstaates,
der sich auf die geteilte Geschichte beruft, verweist
„Diversity” auf das Zusammenleben in einer geteilten
Zukunft.<
23
i n t e g r a t i o n
1 Vgl. www.bundesregie-
rung.de/Webs/Breg/DE/
Bundesregierung/Beauf-
tragtefuerIntegration/
beauftragte-fuer-integra-
tion.html, letzter Zugriff
15.02.2008.
2 Vgl. www.bamf.de/cln
_011/nn_442456/DE/Inte-
gration/integration-
node.html?__nnn=true,
letzter Zugriff 21.02.2008.
3 „Integration ist jetzt
Kernaufgabe”, Interview
mit Armin Laschet (CDU),
NRW-Minister für Genera-
tionen, Familie, Frauen
und Integration,
http://www.caritas-
nrw.de/cgi-bin/showcon-
tent.asp?ThemaID=649,
letzter Zugriff 21.02.2008.
4 ebd.
5 Vgl. Einbürgerungs-
richtlinien vom 15.
Dezember 1977. In: Deut-
sches Ausländerrecht,
1993, München, S. 167-
181.
6 Nikolinakos, Marios(1973): Politische Ökono-
mie der Gastarbeiterfrage.
Migration und Kapita-
lismus. Reinbek bei Ham-
burg, S. 13.
7 Hamburger, Franz(2005): Der Kampf um
Bildung und Erfolg. In:
Hamburger, F., Badawia,
T. und Hummrich, M.
(Hg.): Migration und
Bildung, Wiesbaden.
8 Kaube, Jürgen(16.5.2005): Das Migra-
tionsdesaster, in: Frank-
furter Allgemeine Zeitung.
9 Vgl. Terkessidis, Mark(2004): Die Banalität des
Rassismus. Migranten
zweiter Generation ent-
wickeln eine neue Per-
spektive, Bielefeld (Trans-
cript), S. 149ff.
10 Kelek, Necla (2005):
Die fremde Braut, Köln,
S.235.
11 Bikow, Wolf-Dietrichet al. (2001): Die multi-
kulturelle Stadt, Von der
Selbstverständlichkeit im
städtischen Alltag,
Opladen.
12 Vgl. Otyakmaz, BerrinÖzlem (1995): Auf allen
Stühlen. Das Selbstver-
ständnis junger türki-
scher Migrantinnen in
Deutschland, Köln.
13 Vgl. Ayata, Imran(1998): Sabri Abis Män-
nercafé: Über einen Ort,
der mir gefällt. In: Mayer,
Ruth & Terkessidis, Mark
(Hg.): Globalkolorit. Mul-
tikulturalismus und
Populärkultur, St. Andrä-
Wörden, S. 41-56.
14 Vgl. Thomas,Roosevelt (2001):
Management of Diversity.
Neue Personalstrategien
für Unternehmen - Wie
passen Giraffe und
Elefant in ein Haus?.
Wiesbaden, S.25ff.
15 Ebd.: 26f.
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