Download - „Jailhouse Rock“ an der Oste - jva-brv-foerderverein.de · ehn mal öffnet und schließt sich eine schwere Tür, ein-mal durch eine Sicherheits-schleuse, 30 Meter durch einen

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ehn mal öffnet und schließtsich eine schwere Tür, ein-mal durch eine Sicherheits-

schleuse, 30 Meter durch einenseitlich von einem Zaun mit Sta-cheldraht begrenzten Außengang,noch eine Tür auf und zu, dannsind wir in der Aula der JVA Bre-mervörde. Ein schlichter Holz-tisch mit Kreuz dient als Altar.Sonntags wird hier Gottesdienstgehalten für die Häftlinge; mitmal mehr, mal weniger großer Be-teiligung. Heute ist hier Casting-Show. Kein Deutschland suchtden Superstar. Eher: Ich bin einStar – holt mich hier raus.„Gemeinsames Musizieren

lässt Mauern verblassen“ heißtdas Projekt des Fördervereins der

Justizvollzugs-anstalt Bremer-vörde. Mit fi-nanzieller Un-terstützung desGefangenenfür-sorgevereinsStade und derKlosterkammerHannoverkonnten Instru-mente gekauftwerden. So ste-hen jetzt ein

Schlagzeug, ein E-Bass, eine Gi-tarre und mehrere Percussionin-strumente bereit. Ein Klavier warschon da, gestellt von der Kirche.„Alt-Knacki“ Harald, Sportwartund Küster in der JVA, und Bü-cherwart Jörn bauen die Instru-mente auf. Das erste Problem:Beim Drum-Set fehlen die Be-cken. „Die müssen wir wohlnachordern“, sagt Alexander Fit-zon-van der Mond. Ein Schellen-kranz wird aufs Stativ montiert.Das muss reichen.„Wir haben keine Ahnung, was

hier heute passiert“, sagt Fitzon-van der Mond. Er ist Strafvoll-zugsbeamter in Bremervörde undder erste Vorsitzende des Förder-vereins. Er hatte die Idee für die-ses ungewöhnliche Projekt. Voreiniger Zeit klagte ein Gefange-ner, dass er hinter den Mauern

Z

das Träumen verlerne. Dochdann hörte er einen Mitgefange-nen in der Aula Klavier spielen;setzte sich dazu und lauschte. DieBegegnung mit der Musik berühr-te ihn. Davon erzählte er Alexan-der Fitzon-van der Mond und derbeschloss, der Musik in der JVARaum zu geben.Hannes Gehring, Sänger und

Gitarrist der „Horny Boys Rha-de“, dreht am Verstärker, checktden Sound. Die „Horny Boys“haben im Januar vor etwa 60 Ge-fangenen gespielt. „Die warenganz aus dem Häuschen“, berich-tet er. „Ich bin ein Multiinstru-mentalist“, sagt Hannes von sich,„so etwas brauchen die hier.“ Erwird gemeinsam mit Bassist Tors-ten Wieland und dem Musik-Do-zenten der Ländlichen Erwachse-nenbildung (LEB) Sahin Kitaydas Projekt begleiten.

Konzert in Santa Fu?„Heute sollen sie uns vorsingen,Klavier spielen oder Gitarre. Wirmüssen sehen, was bringen diefür Fähigkeiten mit“, sagt Han-nes. „Und ich will wissen, warumsie heute hier sind. Schließlichstellen wir unse-re Zeit zur Ver-fügung, da mussschon eine Mo-tivation dahin-ter sein.“ AmEnde dieses Ta-ges soll eineBand stehen.Die soll am 11.Juli beim Som-merfest der JVAspielen. „Ichwill mit ihnenauf Knast-Tour“, so Han-nes, „am liebs-ten auch inFuhlsbüttelspielen“ – imberüchtigtenSanta Fu.In der ersten

Begeisterung hatten sich 50 Häft-linge gemeldet, die mitmachenwollten. Geblieben sind sieben,die fürs Casting antreten. In derJury sitzen elf Leute – Vollzugsbe-amte, Pädagogen, Musiker undder Gefängnispastor. Als Ersterbetritt Matthias den Raum; bessergesagt: Er rollt in den Raum. Mat-thias sitzt seit 16 Jahren im Roll-stuhl. Warum, ist hier kein The-ma. Auch nicht, weshalb er ein-sitzt. Allerdings, für wie langenoch. „Wir brauchen eine gewisseKontinuität, um etwas auf dieBeine zu stellen“, sagt Hannes.„Wenn’s gut läuft, bin ich nochein paar Jahre hier“, sagt Matthi-as. So ändert sich die Perspektive.Nervös sind sie alle. Steffan et-

wa, Typ „Balu“, kommt rein undweiß nicht, wohin mit sich. „Ich

habe eben erst gelesen, dass ichwas vorbereiten sollte. Habe ichnicht gemacht.“ Bass könne erspielen, sagt er. Unbeholfen greifter zum Instrument, will es wiederwegstellen. „Das ist sechs Jahre

her, dass ich dasletzte Mal ge-spielt habe.“Seit sechs Jah-ren ist er inHaft, vier Jahrewird er nochbleiben. Er willgehen, da fälltihm ein: „Ichkönnte auchsingen, habeaber nichts vor-bereitet.“

„Kennst Du ,Marmor, Stein undEisen bricht’?“, fragt Hannes,„wir drucken Dir schnell den Textaus.“Inzwischen kommt Konstantin

rein. „Ich spiele Gitarre, kannaber keine Noten lesen.“ Aber dieAkkorde kennt er. Er hängt sichdie Gitarre um den Hals und legtlos. Sofort wippt Hannes’ Fußmit. Die Juroren schauen sich an.„Könntest du Dir vorstellen, auch

Bass zu spielen?“, fragt Torsten.„Mit ein bisschen Übung geht al-les“, antwortet Konstantin. Dererste Mann der Band steht fest.„Ich mache Hip-Hop-Rap und

Realitäts-Rap“, erzählt André.Vor sieben Jahren habe er damitangefangen. „Das ist meine eige-ne Therapie, und meine Freundesagen, dass ich ganz gut den Takttreffe.“ So ist es. Mit einer Stim-me, wie Marius Müller-Western-hagen rockt er den Saal.Paul spielt alles: Klavier,

Schlagzeug, Gitarre. „Ich wollteGitarre lernen, aber meine Elternhaben mich zu Klavier gezwun-gen. Später machte er doch, waser wollte. Ob 70er-Jahre-Rockoder Blues – er kann alles. „Ichwar auf dem besten Weg, von derMusik leben zu können“, erzählt

er, „aber dann kam meine krimi-nelle Laufbahn dazwischen.“ Erist in Untersuchungshaft. Also fürdas Musikprojekt ein unsichererKandidat. Aber er ist der Musikermit dem meisten Potenzial.Am Ende stehen drei Sänger:

Neben André, „dem klassischenRapper mit böser Stimme“, soHannes, und Steffan – „den krie-gen wir schon zum Singen, derhat echt Bock“ – noch Gunnar.„Der ist taktsicher, und trifft denTon“, sagt Torsten. Drei Sängermachen keine Band. Bei den In-strumentalisten ist die Auswahlmehr als begrenzt. Matthias, derRollstuhlfahrer, ist vorerst drau-ßen. Sein Spasmus im Bein sorgtfür einen recht einseitigen Beat.Bleiben das Multi-Talent Paulund Konstantin, der eigentlichGitarre spielt. Hannes will Paulam Schlagzeug und Konstantinam Bass: „Wer so gut Gitarrespielt, kann auch Bass.“ Es fehltdie Gitarre.Vollzugsbeamter Franz Ristau

hat eine Idee: „Da gibt’s noch ei-nen, der heute lieber Fußballspielen wollte.“ 15 Minuten spä-ter ist er zurück, mit Eugen und

Vagahn. Eugenist völlig unvor-bereitet. „Ichhabe früherAkustikgitarregespielt, aberich habe sienach Hause ge-schickt, weil ichsie hier nichtbehalten durf-te.“ Er nimmtdas Instrumentin die Hand,setzt sich hinund fängt an zuspielen. Einfachso, ganz fürsich, zupft erdie Saiten. Undes klingt richtiggut. Ohne Wor-te ist die Ent-

scheidung gefallen. „Wir sorgendafür, dass Du eine Gitarre tags-über auf die Zelle kriegst“, ver-spricht Hannes.Bleibt Vagahn. „Beim Trom-

melspielen bin ich ganz gut“, sagter, „mein Vater ist professionellerTrommler. Allerdings spielen wirauf Darbucas.“ Er setzt sich aufdie Cajon und lässt seine Fingertanzen. Torsten und Hannes grin-sen sich an. „Kannst Du auchSchlagzeug? Lass mal sehen, obDu einen Rhythmus nachspielenkannst.“

Zelle mit sechs SaitenNach anderthalb Stunden stehtdie Band. Jeden Dienstag soll nunvon 17 bis 19 Uhr geprobt wer-den. Matthias und Juri gehen ineine Vorbereitungsgruppe. Sie

sollen aufgebaut werden. „Ihr be-kommt Noten, Texte und CDsmit den Stücken“, sagt Ristau,„und Möglichkeiten zu üben.“„Wir sind also im Recall?“, fragtSteffan. So ist es.Vier Wochen später: Zehn Tü-

ren, die Sicherheitsschleuse, dereingezäunte Gang. Das Dröhnendes E-Bass ist schon deutlich vor-her zu hören, ebenso das Schlag-zeug. Ein scharfes Pling verrät:Die Becken sind nachgeliefert.Vagahn sitzt am Drumset. Paul,das Multitalent, wurde schon we-nige Tage nach dem Casting in ei-ne andere Haftanstalt verlegt.Steffan läuft mit Textblätterndurch den Raum. Gunnar undAndré singen ins Mikro. Kon-stantin lässt die Gitarre jaulen.Eugen am Bass. Eine Melodie istnicht zu erkennen.Hannes und Thorsten kommen

rein und beenden das akustischeTohuwabohu. „Es ist wichtig,dass ihr zusammenkommt“, sagtHannes, und dafür muss es einenChef geben. Eugen und Vagahnsind die Chefs für den Rhythmus,auf die müsst ihr hören.“ Viermalhat die Gefängnisband inzwi-schen geübt. „Eye of the tiger“von der Band Survivor spielt sie –mit drei Sängern. Nach der erstenStrophe gibt es einen Cut undAndré setzt zum Rap an: „Halbvier heißt Einschluss oder Frei-stunde, jeder Tag im Knast ist wieSalz in der Fleischwunde ...“, da-nach geht es weiter im Song: „It’sthe eye of the tiger, it’s the thrillof the fight, ...“Vielleicht macht die Musik den

Knackis den täglichen Kampf ge-gen die eigene Geschichte erträg-

licher. „Wir tref-fen uns jetztauch donners-tags“, erzähltAndré in derPause. Dannprobe die Bandfür sich. Eugenhat tagsüber dieGitarre auf derZelle, Konstan-tin sowieso. An-dré schreibt sei-

ne Texte – seine Therapie. UndVagahn darf die Sticks mitneh-men. „Ich übe auf dem Tisch, aufdem Bett. Ist ja nicht so, dass wirnur Gitter auf der Zelle haben.“Für Alexander Fitzon-van der

Mond war die Band ein Projektmit ungewissem Ausgang. Esscheint zu glücken: „Wir habenhier russische Folklore, Hip-Hopund Schlagermusik – und esfunktioniert.“ „Wenn wir errei-chen, dass sie von diesem Projektwas für sich später mit nach drau-ßen nehmen, dann haben wir vielerreicht“, sagt Torsten Wieland,„schließlich muss hinterher jederfür sich zurechtkommen.“

„Jailhouse Rock“ an der OsteIn Bremervörde rockt derKnast. Zweimal dieWoche probt in derJustizvollzugsanstalt eineanstaltseigene Band.Vorausgegangen ist einprofessionelles Casting.Nicht Deutschland suchtden Superstar, eher: Ichbin ein Star, holt michhier raus.VON SUSANNE HELFFERICH

Musiker ohne Notenkenntnisse. Hannes geht mit Steffan (links) den Lied-text durch, Torsten Wieland (Zweiter von rechts) zeigt Eugen (rechts) dieAkkorde auf dem Bass. Foto: st/Helfferich

» Ich will wis-sen, warum siehier sind.Schließlich stel-len wir unsereZeit zur Verfü-gung, da mussschon eine Mo-tivation dahin-ter sein. «HANNES GEHRINGMUSIKER

» Ich macheHip-Hop-Rapund Realitäts-Rap. Das istmeine eigeneTherapie, undmeine Freundesagen, dass ichganz gut denTakt treffe. «KONSTANTIN,JVA-HÄFTLING

»Wenn wir er-reichen, dasssie von diesemProjekt was fürsich später mitnach draußennehmen, dannhaben wir vielerreicht. «TORSTEN WIELAND,;MUSIKER

Dank einesProjektes desFördervereins

der JVABremervörde

klingt derKnastalltag

einiger Insassenseit ein paar

Wochenharmonischer:

In einerRockband

proben dieseInsassen fürein Konzert,

das beimSommerfest

über dieBühne gehen

soll.Fotomontage:Algermissen