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Page 1: mit Film · 2019-02-22 · Peter Bichsel hat im Vorwort zu Meienbergs Reportage bemerkt, man werde sich gewiss beei-len, dem Verkünder unangenehmer Wahrheiten einen Kommafehler nachzuweisen.

9lcite Ädjtt Seitling INLAND Donnerstag, 7. Juli 1977 Nr. 157 27

Geschichtsschreibung mit Film und Klassenkampf

Zur Kontroverse um den «.Landesverräter Ernst S.»

Von Georg Kreis, Basel

Wie immer man sich zu dem im Film «DieErschiessung des Landesverräters Ernst S.v ver-breiteten Geschichts- und Gesellschaftsbild ein-stellt anerkennen niiiss man, dass der Film einelebhafte Diskussion über die Schweiz in den Jah-ren der nationalsozialistischen Bedrohung ausge-löst hat. Leider kann man ob d er Tatsache, dassdiese an sich begrüssenswerte Diskussion stattfin-det, nicht froh werden, wenn man bedenkt, wel-chen Anreiz es brauchte und was das Ergebnisdieses Anreizes ist. Es bedurfte cines polemischenFilmes, und das Ergebnis ist teilweise Konfusion.Niklaus Meienberg und Richard Dindo ist es ge-lungen, mit ihrer Polemik die Aufmerksamkeitund mit den ausgestreuten Verdächtigungen daund dort auch den Zweifel am Verteidigungswil-len d er damals an führender Stelle tätigen Mannerzu mobilisieren. Von einer fruchtbaren Verunsi-cherung konnte man reden, wenn es darum gegan-gen wäre, eine Diskussion über die Todesstrafe imallgemeinen und über die im letzten Aktivdienstvollstreckten Hinrichtungen im besonderen auszu-lösen. Dieses Thema ist ausführlich diskutiertworden und wird auch weiterhin Gegenstand

neuer Diskussionen sein.Eine Auseinandersetzung indessen, die einzig

um ethisch-religiöse und staatspolitisch-militäri-sche Fragestellungen kreist, übergeht zwei wich-tige Aspekte, auf die hier noch näher eingegangen

werden soll: den ideologischen Unterhau, der dieGeschichte vom armen Ernst zu einem klassen-kämpferischen Agitationsstück macht, und dieMittel, die eingesetzt werden, um die Dokumenta-tion mit dem politischen Programm gleichzuschal-

ten. Für die Filmemacher ist das dargestellte

Einzelschicksal ein exemplarischer Fall, an demd er «herrschenden Klasse» der Prozess gemachtwerden soll. In einer Hinsicht ist der Film sicherexemplarisch: er zeigt, wessen Geistes Kind dieAnwälte einer angeblich besseren Welt sind.*

«Kommafehler» oder Manipulation?

Peter Bichsel hat im Vorwort zu MeienbergsReportage bemerkt, man werde sich gewiss beei-len, dem Verkünder unangenehmer Wahrheiteneinen Kommafehler nachzuweisen. Einer diesernicht unwesentlichen und in der Filmfassung

mehrfach wiederholten «Kommafehler» ist die Be-hauptung, der einfache Kanoniers, sei als ersterhingerichtet worden. In Wirklichkeit sind zuerstzwei Offiziere zum Tode verurteilt worden, dieman nicht so leicht als ausgebeutete Opfer der Ge-sellschaft präsentieren kann und deren Fälleschlecht zur These passen, man habe bei der Ver-folgung des Verrats militärischer GeheimnisseKlassenjustiz geübt. Handelt es sich um einen Irr-tum oder um eine bewusste Fehldarstellung? Ananderer Stelle haben die Autoren selbst die Zei-tungsmeldung kurz eingeblendet, woraus man ent-nehmen kann, dass im Fall S. ein neues Todesur-teil ausgesprochen worden ist.

Ist auch dies nur ein Kommafehler, ein klas-senkämpferisches Gentlemandelikt gewissermassen,wenn Dindo in seiner Filmchronik über den Besit-zer des «Badener Tagblattes» als Antwort auf eineihm unangenehme Filmkritik die tatsachenwidrigeund verleumderische Behauptung verbreitet, erhabe 1940 die pressefeindlichc «Eingabe der Zwei-hundert» unterzeichnet und mithin zu jenen Leu-ten gehört, über die d er Film in verschleierterForm sagt, sie hätten erschossen werden sollen?Irrtum oder Fälschung, muss man sich auch hierfragen. Was ist von solchen Leuten zu halten, diefür sich lautstark in Anspruch nehmen, die besse-ren «Rcchcrchiercr» zu sein, und zugleich eineschwerwiegende Falschmeldung verbreiten, indemsie die besagte Petitionsliste bewusst «erweitern»oder es unterlassen, ihre Behauptung an d er leichtzugänglichen Liste zu überprüfen?

Im Film herrscht eine auffallende Uebcrein-stimmung zwischen den Meinungsäusserungen d erBefragten und den Ansichten der Filmhersteller.Wie kommt es dazu? Bekanntlich können Ant-worten durch Fragestellungen weitgehend ge-steuert und störende Aussagen geschnitten wer-den, sofern die Manipulation durch den Ge-sprächspartner nicht richtig funktioniert. Beidesist im vorliegenden Streifen geschehen. Unvorsich-tigerweise lassen sich die Fragesteller einmal in dieKarten blicken, indem sie auch den suggestivenImpuls mitliefern, der nicht einmal syntaktisch dieQualität einer Frage aufweist. «In den höherenKreisen hat es ja überzeugte Nazis gegeben», lau-tet die «Frage», worauf (wen erstaunt's) d er Ge-sprächspartner sagt: «Ja natürlich, mehr als zwei-hundert, will's Gott.»

Eine solchermassen um «richtige» Antwortenbemühte Regie ist denn auch keineswegs daran in-teressiert, einmal provozierte falsche Antwortenzu korrigieren oder einseitige Ansichten mit an-dcrscitigen Auffassungen zu konfrontieren, würdedoch sonst die Meinung etwa, dass die herr-schende Klasse der Schweiz nicht viel besser seials diejenige des Dritten Reiches, ihre ideologischeHandlichkeit verlieren. Es wäre freilich verfehlt,von einem Tendenzfilm Ausgewogenheit zu er-warten. Der Landesverräterin! ist extrem einsei-tig und darf dies auch sein. Nicht unwiderlegt darfindessen der - gerade von Propagandisten immermit besonderem Nachdruck erhobene An-spruch hingenommen werden, bloss eine unvorein-genommene und wahrheitsgetreue Dokumentationzusammengestellt zu haben.

Die Ausführungen dieses Artikels beziehen sich auffolgende Publikationen: 1. Text der (zweiten?) Filmfassungund Interview mit Meienberg und Dindo vom 13. Januar1977, in: Film 2 Heft 3. 2. Niklaus Meienbergs erste Buch-fassung der Reportage über Ernst S., Luchterhand 1974.3. Zweite Buchfassung mit Dindos Filmchronik vom Fe-bruar 1977 im Anhang. Sammlung Luchlerhand 247.

Variationen der WahrheitDas Filmkollektiv gibt sich objektiver, als es

ist, und tut so, als ob es sich eine unverfälschteReportage leisten könne, weil die Wahrheit ohne-hin «links» ist. Man kann Richard Dindo bei-pflichten, wenn er sagt, der Film wirke gerade

deshalb politisch stark, weil die Autoren «selbstkeine Aussagen mehr machen, sondern die Leuteaus dem Volk reden lassen . . .». Keine Aussagen

mehr: von seiten d er Regie sind die Aussagen (ab-gesehen von d er Montage, über die ebenfalls man-ches zu sagen wäre) eben in den Vorbesprechun-gen und in den unterschlagenen Fragen gemacht

worden. Und was die «Leute aus dem Volk» vorder Kamera aussagen, sind längst keine spontanenAeusserungcn mehr. Während man die in d er Zeitselbst entstandenen schriftlichen Quellen nichtmehr ändern kann und eine allenfalls einseitigeAusbeutung d er Quellen durch Dritte überprüfbarist, lassen sich mündliche Quellen tendenzgemäss

fabrizieren und zusammenschneiden. Enthält bei-spielsweise das Bonjour-Inlerview nicht auchAeusserungcn, die sich weniger gut für dieZwecke d er Regie einspannen lassen? Die recher-chierte Dokumentation hatte sich schon eine ersteZensur gefallen lassen müssen, bevor die Regie

unter dem Druck rechtlicher Klagen ein zweites-mal Selbstzensur übte.

Geradezu grotesk ist es, wenn, wie das kürz-lich in einem Plädoyer für die Zusprechung derbundesrätlichen Qualitätsprämie geschehen ist. dasvariantenreiche Machwerk mit Wahrheitsfindungund historischer Wahrhaftigkeit in Zusammen-hang gebracht wird. Welche Variante soll prämiertwerden? Diejenige, die eingangs behauptet, dieSchweiz habe während des Zweiten Weltkriegesabgesehen von den Erschiessungen im tiefstenFrieden geruht, oder diejenige, die diese absurdeBehauptung leider nicht mehr ausspricht, sie aberweiter als Grundlage des Szenarios behält? Oderdiejenige, in der die schiefen Vergleiche mit den«grossen Landesverrätern» nicht vor ehrverletzen-den Acusserungen zurückschrecken, oder diejeni-ge, die leichtfüssig ihre «Wahrheiten» abändert,weil sie mit der Wahrheit in Konflikt zu geratendroht?

Theorichedürfiiis und FaktenvcracIiliiiiKBefürworter des Films haben geltend machen

wollen, es sei ohnehin nicht möglich, eine objek-tive Darstellung der Vergangenheit zu geben, undjede Generation solle ihre Geschichte neu schrei-ben dürfen. Die Einsicht, dass jede Historiogra-phie zeitbedingt sei, entbindet weder die Autorennoch ihr Publikum, sich dennoch um ein Bild zubemühen, das der wissenschaftlichen Kritik (imSinne d er Nachvollziehbarkeit und Ueberprüfbar-keit durch Dritte) standhält und in dem Zeitgenos-sen wie Nachgeborene annähernd die gleiche Ver-gangenheit wiedererkennen können. Für Meien-berg und Dindo ist die Vergangenheit bloss einSteinbruch, aus dem sie die Wurfgeschosse fürihre Gegenwartspolemik beziehen. Nachdem siedie Geschichte ihres kleinen Landesverräters bei-sammen hatten, reisten die Autoren für ein paarTage nach Bonn und suchten (wie Dindo selbstdarlegt) im Politischen Archiv des AuswärtigenAmtes dem Kleinen ein paar grosse Landesverrä-ter gegenüberzustellen. Wen wundert es, dass siedann meinten gefunden zu haben, was sie aufjeden Fall finden wollten?

So willkürlich ihre Ausbeute ist Meienbergund Dindo verstehen ihre Darstellung keineswegsals Diskussionsbeitrag zu einer relativen, immerprovisorisch bleibenden und sich stets weiterent-wickelnden Geschichtsschreibung. Relativ sindbloss die verschiedenen Fassungen ihrer Geschich-te. Der Anspruch, mit dem sie ihre Vision verkün-den, ist absolut. Sie behaupten, die Geschichts-schreibung vom Kopf wieder auf die Füsse gestelltzu haben, und sind in ihrem Theorie- und Glau-bensbedürfnis so weit gegangen, nicht nur denausgewählten Zeitabschnitt, sondern die Zeit-geschichte schlechthin über einen Leisten zuschlagen.

Neolinker FaschismusverdachtWegleitend für die Präsentation des Einzelfalls

Ernst S. war die Absicht, hinter der formalen ge-setzlichen Gleichheit die «Klassenverhältnisse»sichtbar zu machen. Meienberg wollte mit seinerGeschichte etwas nachholen, was er schon 1971.im Bonjour-Bcricht vermisst hatte: eine Darstel-lung, die das Verhalten der verschiedenen Klassenanalysiere. Gegen diesen Ansatz ist auch vom wis-senschaftlichen Standpunkt aus überhaupt nichtseinzuwenden, sofern er nicht mit der politischenAbsicht verbunden ist, eine Gesellschaftsschichtpauschal zu diffamieren. Inwiefern ist das indivi-duelle wie das kollektive Handeln durch die sozio-ökonomischen Bedingungen bestimmt? Leider istdiese Fragestellung bisher fast ausschliesslich vondoktrinären Denkern der Linken gepflegt worden,mit dem Resultat, dass die meisten Abhandlungenvon d er Absicht gezeichnet sind, den «Klassen-kampf» nicht nur zu analysieren, sondern in denUntersuchungen selbst zu betreiben. Dindo klagt,die Klassenstruktur sei in der Schweiz besondersgut versteckt, weshalb man «besondere Anstren-gungen» unternehmen müsse, sie zu finden. Worindiese Anstrengungen bestanden haben, ist dargelegtworden. Einmal mehr leiden die marxistischenTheoretiker an der Tatsache, dass sich in derkleinräumig industrialisierten Schweiz der halb in-dustriellen, halb agrarischen Gesellschaft die pro-letarischen Massen nicht finden lassen. IhremNotstand abhelfen soll die Misere eines Kummer-buben, der sich nicht in die Gesellschaft integrie-ren konnte.

Warum hat Meienberg für seine Exemplifizie-rung den denkbar schlechtesten Zeitabschnitt der

schweizerischen Zeitgeschichte ausgewählt, dieJahre nämlich, da in den gesellschaftspolitischenwie in den aussenpolitischen Fraget! die Frontlinienweniger entlang den Gesellschaftsschichten alsvielmehr quer durch sie hindurch liefen? Es sinddie Jahre, mit denen die helvetische Neolinke denVerdacht, dass die Bourgeoisie den Faschismus insich trage, an konkreten Beispielen angeblicherSympathie oiler Kollaboration mit dem DrittenReich belegen möchte. Mit einer Unverfrorenheit,wie man sie vor allem ans der nationalsozialisti-schen Propaganda kennt, wird d er nachgewieseneFall einer wirklichen Kollaboration verharmlost(mehrfach wird d er Tatbestand als «Dummheit»oder als «Seich» umschrieben) und werden zu-gleich «die Herrschenden» mit unbelebten Be-hauptungen einer imaginären Kollaboration ver-dächtigt. Die Jury der Mannheimer Filmwochehat mit ihrer Laudatio gezeigt, wie schlecht sie dieGeschichte jener Jahre und wie gut sie hingegendie Botschaft tles Filmes begriffen hat, wenn sielobend hervorhebt, d er Film benenne diejenigen,«die an der Macht waren und mit dem Faschismuskollaborierten».

Zum Tatbestand: Indem er die unqualifizierteBezeichnung «Granaten:) verwendet, erweckt Mei-enberg den Eindruck, man habe den Kleinenwegen einer bescheidenen «Waffenlieferung» hin-gerichtet, während oben die Grossen in industriel-lem Ausmass an die gleiche Seile die gleichenGranaten lieferten. Will oder kann Meienbergnicht auseinanderhalten, dass es sich keineswegsum die gleiche Munition gehandelt hat, sonderneinmal um leichte Flabmunition und im Fall derPanzergranate um die geheimgehaltene Eigenent-wicklung der Kriegstechnischen Abteilung?

Gerade im Fall der Schweiz, stimmt die Thesenicht, wonach Grossbürgertum, Finanzkapitalusw. allein schon auf Grund ihrer InteressenlageParteigänger dos Dritten Reiches gewesen seien.Die Dicke des Portefeuilles war nicht ausschlagge-bend für die Einstellung gegenüber dem Faschis-mus. Der Film erweckt beispielsweise den völligfalschen Eindruck, Emil Bührle habe als neu-schweizerischer Grossbürger, und das heisst alspotentieller Anhänger der tausendjährigen Neu-ordnung. Waffen nach Deutschland exportiert.Die Firma Oerlikon hätte, wenn ihr dies möglichgewesen wäre, gewiss gerne im gleichen Ausmassan die «antifaschistische» Allianz, geliefert. BeiKriegsbeginn konnt sie noch einen englischenAuftrag von viereinhalb Millionen Pfund entge-gennehmen, der die Lieferung von 1500 Flabkano-nen vorsah. Oerlikon-Flab-Geschütze bekämpftenin d er Luftschlacht um England deutsche Maschi-nen, die mit Ocrlikon-Bordkanomm ausgerüstetwaren, was, wenn man will, ähnlich absurd warwie die Tatsache, dass die schweizerische Luft-waffe mit aus Deutschland bezogenen Me-109Luftraumverletzungen durch deutsche Flugzeugebekämpfte. Und nach dem Krieg meldete sichbeim angeblich «profaschistischen» Bührle alsneuer Kunde die «antifaschistische» Armee derSowjetunion. Es sei zugegeben, dass es schwierigist, solche Fakten in schlagende Thesen zu verar-beiten. Leichter ist es, ein unerbittlicher Denkerzu sein, wenn man unerbittlich gewisse Dinge

nicht denkt.

Heimliche Unterscheidungen

Die Politik beginnt bei d er Verwendung d erWörter, bei der Einführung heimlicher Aussonde-rungen, d er Unterscheidung etwa zwischen Fa-schisten und Arbeitern, als ob es unter den Ar-beitern nicht auch Frontisten gegeben hätte, als obSympathien für den Nationalsozialismus nur inTeilen des Bürgertums gehegt worden wären. HierFrontisten und dort Arbeiter wenn man diesnur lange genug wiederholt, wird es geglaubt. Undlässt sich das Bürgertum (was immer das ist) vorden Augen der Bürger nicht leichter diffamieren,wenn man. wie das Zwciklassenmodell des Filmeses tut, den Mittelstand als nicht existent oder zummindesten als nicht zum «Bürgertum» gehörend be-handelt? Eine heimlich-unheimliche Weichenstel-lung enthält die Behauptung, die Geschichte seinur dann ein Geschichte fürs Volk und des Vol-kes, wenn sie die Qualität eines klassenkämpferi-schen Lehrstückes aufweist. Die Autoren geben

sich als Volksredner und lassen sich gerne attestie-ren, parteiisch fürs Volk zu sein. Zum Volksfeindwird, wer ihre Meinung nicht teilt, und Volksfeindist, wer als Oberer oder «Herrschender» nicht zumVolkskörper gehört. Ist man bereit, diese «Wahr-heiten» anzuerkennen, folgt der nächste Schritt, fol-gen die effektiven Aussonderungen, die konkretenMassnahmen. Hier gilt es, den Anfängen zu weh-ren. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich totalitäreIdeologen eines Begriffes bemächtigen, um einenWeg anzutreten, der von der Volksdemokratieüber den Volksgerichtshof zum Volkssturm führt.

Neben den heimlichen Unterscheidungen ver-sucht der Film mit dem erweiterten Begriff desLandesverrats eine heimliche Gleichsetzung einzu-schleusen, indem er politische Haltungen oderHandlungen mit dem strafrechtlich genau um-schriebenen Delikt des Verrats militärischer Ge-heimnisse gleichsetzt. Warum die Rechtsordnung

unseres Staates das Gesinnungsdelikt als Straftat-bestand nicht kennt, erklärt sich Meienberg damit,dass die Oberen die Gesetze eben auf ihre eigenen

Interessen abstimmen würden und es einzurichtenwüssten, dass ihre (verräterische) Gesinnung kei-ner Strafverfolgung ausgesetzt sei.

Wer soll entscheiden, welche Gesinnung undweicher Gesinnungstäter verfolgt werden soll?Massstab für die Beurteilung des politischen Ver-rates wäre für Meienberg die politische Effizienz,wobei für ihn kein Zweifel besteht, dass die vonBundesrat Pilets Politik ausgegangene Wirkungweit schädlicher gewesen sei als das Vergehen desErnst S. Man habe den Bundesrat eben nicht er-schiessen können, weil solche Hinrichtungen daszum Vorteil der Grossen angelegte System ge-sprengt hätten. Der Autor d er Landesverräterre-portage gibt zum mindesten zur Vermutung An-lass, dass er bei der Beurteilung dessen, was poli-tisch schädlich und deshalb strafrechtlich zu ahn-

Klasseujustiz?Bii. Es wurde In diesem Blatt schon früher aul

die merkwürdige geistig-politische Konstellationhingewiesen, welche in der Tatsache zu erblickenist, class sich heute einzelne linke Intellektuelle, soNiklaus Meienberg und seine publizistischen Tra-banten im Fall des Landesverräters Ernst S., in dieRolle von Anwälten einstiger Zuträger und Hel-fershelfer d er Hitlerschen Sache begeben. Sie tundas, wie zu bemerken ist, meist nicht plump unddirekt, sondern auf indirekte und subtile Weise,

indem sie auf dem Hintergrund einer verharm-losenden und verständnisvollen Darstellung cinesbestraften Verräters den Vorwurf d er «Klassen-justiz» erheben, um damit die verantwortlichenBehörden von damals (inklusive sozialdemokra-tischen Parlamentarier, weiche Begnadigungs-gesuche zum Tode verurteilter Landesverräter Ind er Bundesversammlung mehrheitlich ablehnten)

und die «bürgerliche» Schweiz von heule auf dieAnklagebank zu versetzen. Wie ist dieser Vor-wurf der Klassenjustiz, zu beurteilen ein Vor-wurf übrigens, der nicht neu, vielmehr schon sei-nerzeit erhoben worden ist, wenngleich anders alsheute nicht von Linken, sondern von einem Ex-ponenten d er schweizerischen Nationalsozialistenin «Grossdeutschland» wie Franz Burri?

Für ein historisch stichhaltiges Urteil mussman sich die völlig aussergewöhnliche Bedro-hungssituation vor Augen halten, in d er sich dieSchweiz während der Kriegsjahre befand, als aufGrund der militärischen Erfolge Hitlers ringsumschon die Schatten der potentiellen Henker überunsere Landesgrenzen fielen und verräterischeSchweizer im Dienste nationalsozialistischer Amts-stellen bereits «Gcnickschiisslisten.» für die Ver-nichtung aller «Reichsfeinde» nach d er Besetzungunseres Landes erstejlten. Wer in den Berichtendes Bundesrates über die «antidemokratische Tä-tigkeit von Schweizern und Ausländern» (von1945) und über die «Verfahren gegen national-sozialistische Schweizer wegen Angriffs auf dieUnabhängigkeit der Eidgenossenschaft» (von1948) nachliest, was in den Kriegsjahren allesgegen den Selbstbehauptungswillen der Schweiz,von Schweizern und Deutschen ins Werk gesetztwurde, kann auch nachträglich die Notwendigkeitharter Urteile gegen Verräter verstehen und zu-mindest nachvollziehen, weshalb der BundesratEnde Mai 1940 für Landesverrat im Bereich d erArmee, die ein zentrales Instrument d er Selbst-behauptung war. die Todesstrafe als Höchststrafefestsetzte und diese erst bei Kriegsende wiederabschaffte.

Wenn man sich die Spionagetätigkeit und dieVerratshandlungen in den Jahren 1939 bis 1945in ihrem ganzen Ausmass vor Augen hält, so wirdman sich hüten, den Fall Ernst S. isoliert untersozialen Gesichtspunkton zu betrachten. EineDurchsicht d er insgesamt 471 militärgerichtlichenUrteile (darunter 33 Todesurteile, wovon 17 voll-streckt, und 50 lebenslängliche Freiheitsstrafen)und der Liste der 489 durch zivile Gerichte ver-urteilten Personen (davon 387 während derKriegsjahre und 102 weitere, deren in Deutsch-land gegen die Schweiz begangene Vergehen erstnach dem Krieg verfolgt werden konnten, dar-unter Dr. Barwirsch und Franz Burri mit derMaximalstrafe) zeigen, dass man der damaligenRechtsprechung Klassengeist nicht ernstlich unter-stellen kann. Offiziere standen ebenso vor denGerichten wie Soldaten, verräterische Unterneh-mer und Journalisten ebenso wie Hilfschaufleure.Weder Verratshandlungcn noch die harten Urteilewaren das Privileg eines Standes oder einerKlasse. Und was die Strafzumessung betrifft, sokonnte der Bundesrat am Schluss seines Berichtsvon 1948 feststellen, dass, wer bei der Verrats-tätigkeit «in führender Stellung war, . . . strenger,wer untergeordnete Aufgaben erfüllte oder dieSchweizer Verhältnisse ungenügend kannte, mil-d er bestraft» wurde und dass es für Verrats-handlungen um des wirtschaftlichen Vorteils wil-len keine besondere Nachsicht geben durfte.

den sei. wenig Hemmungen hätte. Wie solche Ver-fahren durchgeführt würden, zeigt die erschrek-kende Verachtung, die Niklaus M. der Tatsacheentgegenbringt, dass im Verfahren S. alles seineOrdnung gehabt habe und der Fall von Instanz zuInstanz gereicht worden sei. Den auch hier ansatz-weise in Erscheinung tretenden totalitären Ord-nungsvorstellungen muss ebenfalls von Anfang anentschieden entgegengetreten werden.

Max Frisch hat sich kürzlich mit den Autorenund ihrem Werk öffentlich solidarisiert und sichdabei wohl kaum an seinen «Biedermann und dieBrandstifter» erinnert. Für ihn mag sein Stückwirklich zu einem Lehrstück ohne Lehre gewordensein anderen bleibt es eine eindrückliche De-monstration, worauf es hinausläuft, wenn manglaubt, mit Fraternisieren verhindern zu können,dass d er Ringer Schmitz und der Kellner Eisen-ring im Dachstock Feuer legen. Luntenleger sindMeienberg und Dindo nicht, weil sie den Schlafder Gerechten storen und zur Diskussion heraus-fordern. Sie sind es insofern, als sie die Auseinan-dersetzung mit unlauteren Mitteln führen und ver-suchen, die Wahrheit ihren politischen Ambitio-

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Neue Zürcher Zeitung vom 07.07.1977

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