im Leben des Pensionärs Peter Bichs el - Sage & Schreibe · kein Rezept. Ich koche einfach PETER...

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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 36 Der Solothurner Schriftsteller Peter Bichsel wird 80. Zum GEBURTSTAG gibts Hackbraten statt Torte, anstelle von Kerzen brennen Zigaretten, und das Fest ihm zu Ehren «geht bestimmt in die Hosen». IST IMMER ZU FRÜH DRAN, WEIL ER GERN WARTET In Bellach SO, seiner Wohngemeinde, sitzt Peter Bichsel in einem Wartehäuschen. Und raucht. Irgendwann wird dann der Bus nach Solothurn schon kommen. Ein herrlich langweiliger Tag im Leben des Pensionärs Peter Bichs el

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Der Solothurner Schriftsteller Peter Bichsel wird 80. Zum GEBURTSTAG gibts Hackbraten statt Torte, anstelle von Kerzen brennen Zigaretten, und das Fest ihm zu Ehren «geht bestimmt in die Hosen».

IST IMMER ZU FRÜH DRAN, WEIL ER GERN WARTETIn Bellach SO, seiner Wohngemeinde, sitzt Peter Bichsel in einem Wartehäuschen. Und raucht. Irgendwann wird dann der Bus nach Solothurn schon kommen.

Ein herrlich langweiliger Tag im Leben des Pensionärs

Peter Bichs el

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WENN DER TAG BEGINNT Zwischen vier und acht Uhr erwacht Bichsel. Er trinkt bis zu sieben Espresso und raucht Zigaretten. Danach kocht er.

«KOCHEN IST ETWAS SEHR INTIMES»Wenn andere Zmorge machen, bereitet Bichsel in der Küche ein grosses Menü zu. Das macht er seit Jahrzehnten so, täglich.

STILLLEBEN MIT ZIGISie ist immer und überall: Selbst beim Hacken, Schnetzeln, Schälen, Scheibeln und Raffeln – Bichsel raucht immerzu.

HACKBRATEN À LA BICHSELEin Leben lang hat der Schriftsteller am Hack braten herumgetüftelt. Jetzt sei er perfekt. Bichsels Trick: Mozzarella rein.

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LAMM UND WOLF UND BICHSELDas Lamm für den Hackbraten dreht Bichsel durch den Fleischwolf. «Ich will am Stück sehen und anfassen, was ich später esse.»

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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS KURT REICHENBACH

Seine Zeitlupe. Peter Bichsel

sagt: «Ich langweile mich

gern. Ich mag jene Lange­

weile, die die Zeit lang macht,

das Leben lang macht, jene

lange Weile, die mir Zeit gibt, die mir

‹lange Zeit› gibt, auf Schweizerdeutsch

‹längi Zyt›, ein wun derschönes Wort

für Sehnsucht.»

Nun denn.

Peter Bichsel erwacht am Morgen

um vier, fünf oder sechs Uhr, manch­

mal werde es auch sieben oder acht.

Er steht auf, verrichtet die Morgentoi­

lette, zieht sich an, Hose, T­Shirt, Strick­

weste; seine Bichsel­Uniform, Hemd

und Leder gilet, trägt er erst, wenn er

das Haus verlässt. Er trinkt einen Es­

presso (das vielleicht einzig Schnelle in

seinem Alltag, das er geniesst), dann

noch einen, drei, vier, fünf, bis zu sieben

Tässchen. Dazu raucht er Zigaretten,

viele Zigaretten, und liest Zeitung.

«Sie lesen die ‹Solothurner Zeitung›.»

«Eine furchtbare Zeitung.»

«Warum lesen Sie sie denn?»

«Ich mag Gewohnheiten.»

Bichsel liest die Ausgabe von ges­

tern. Die aktuelle liegt draussen im

Briefkasten, er sei aber zu faul, sie zu

holen. Am Abend, wenn er heim­

kommt, wird er die neue Zeitung

aus dem Briefkasten nehmen und

sie am Morgen darauf, wenn sie

von gestern ist, lesen.

Peter Bichsel wohnt seit

47 Jahren in einem Einfamilien­

haus in Bellach (5249 Einwoh­

ner), fünf Autobusminuten von

Solothurns Altstadt entfernt, wo

er seine Schreibstube hat, sein

Lager, wie er es nennt. Dort, und

nur dort, schreibt Bichsel, «ein

Schreiner hobelt ja auch nicht

daheim». In Bellach lebt er (der

in Luzern geboren wurde und in

Olten aufwuchs), weil er «über­

all ein bisschen ungern wohnt»,

und weil dieses Haus halt da­

mals, im Jahre 1968, grad zu kaufen war,

für 110 000 Franken, und er genügend

Ersparnisse, nämlich 20 000 Franken,

besass. Bellach sei kein richtiges Dorf,

sagt er, eine Streusiedlung ohne richti­

ges Zentrum. An die Ge mein de ver samm­

lungen geht er nie, «ich kann mich an­

ders langweilen». Nein, der Herr Bichsel

sei noch nie an einer Gmeind gewesen,

sagt Ge mein deschrei ber Schnei der. Der

Gemeinderat Bellach hat einen 2500­

Franken­Anteil an Bichsels Geburts­

tags feier bewilligt. Ein Fest ist geplant,

«geht bestimmt in die Hosen», sagt

Bichsel, im Stadttheater Solothurn,

extra für den Jubilar (ich bin sicher,

den «Jubilar» hasst er, er würde dazu

«zum Kotzen» sagen).

Peter Bichsel kocht jeden Morgen

ein Menü. Und raucht dazu. Er kocht

nur für sich allein, ein richtig schönes,

grosses Menü, immer heiss, mit Fleisch,

Beilage, Gemüse und Sauce. Auf Reisen

in den USA brachte ihn das American

Breakfast so sehr auf den Geschmack,

dass er es daheim erst nachkochte und

dann «ausbaute». Bichsel kocht noch

vor Sonnenaufgang, wenn andere kaum

Zmorge mögen. Heute Hackbraten,

Kartoffelstock mit Sauce (ein Seeli

wird er allerdings keins machen), dazu

Rüebli. Danach gibts den ganzen Tag

nichts mehr. Ein schönes Gefühl seis,

mit leerem Magen zu Bett zu gehen und

mit Hunger aufzustehen. Hackbraten

ist sein Lieblingsessen, sein Leben lang

habe er daran getüftelt.

«Wie ist Ihr Rezept, Herr Bichsel?»

«Rezept? Sone Blödsinn, ich habe

kein Rezept, ich koche einfach.»

Bichsel verwendet Lammfleisch, das

er durch den Fleischwolf dreht. Ange­

dünstete Zwiebel­, Ingwer­ und Rüebli­

stückchen kommen in die Masse, dazu

das Innere einer Luganighe und – «das

ist mein Trick!» – zerkrümelten Mozza­

rella. Die Masse soll über Nacht im

Kühlschrank ruhen. Jetzt wickelt Bich­

sel den Hackkuchen in einen Speck­

mantel, bettet ihn in eine Form – und ab

damit in den Backofen bei 180 Grad.

«Für wie lange?»

«Das weiss ich doch nicht.»

Früher kochte Bichsel bei Festan­

lässen in Solothurn im «Kreuz» und im

«Löwen», zünftige Mengen, 150 Zmittag,

300 Znacht, kochte zusammen mit einem

«einarmigen» Griechen, dessen

linke Hand nonstop durch eine

Bier flasche blockiert war. Damals

kochte Bichsel profimässig, schnet­

zelte Gemüse, wie das Könner kön­

nen, schnell, flink, blind, treffsicher,

zack, zack. Er konnte das, könnte

es noch immer, macht es aber nicht

mehr. Heute habe er Zeit zum Rüs­

ten, sagt er, alle Zeit, lange Zeit.

«Bichsel, der rüstige Rentner.»

«Rüstig … sone Schissdräck.»

«… der rüstende Rentner.»

«Wunderbar, grossartig.»

Er schmunzelt. Und raucht. Und

spaltet bedächtig die Rüebli längs

und sägt sie unsäglich gemächlich

und gewollt unroutiniert in Stäbli.

Rezept? Sone Blödsinn. Ich habe

kein Rezept. Ich koche einfach

PETER BICHSEL

DAS MAHLEs ist angerichtet. Im Morgengrauen verspeist Bichsel sein Menü: Hackbraten, Kartoffelstock, Sauce und Rüebli.

DREHT SICH IM KREISIn der Stube steht Bichsels Spielkarussell, das dreht, blinkt und musiziert. Die Bronze - büste rechts zeigt ihn als 30-Jährigen.

u

Im «Flora» mit Wirtin Irma.Wegabkürzung durch den Manor.

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Peter Bichsel isst sein Mahl. Dazu

wird nicht geraucht. Draussen dämmert

es. Bichsel hat etwas Fieber, 38 Grad.

Neben Messer und Gabel liegt eine Pa­

ckung Dafalgan, soll das Fieber senken,

gegen Husten nimmt Bichsel Prospan­

Hustensaft, zum Essen trinkt er nur Was­

ser. Sein (oder zwei, drei) Glas Wein, das

ihn schweizweit zur Kultfigur machte,

gibts erst am Nachmittag, in der Beiz. In

der Stube steht ein Sofa, es ist relativ neu.

Die Familie Bichsel, sagt Bichsel (seine

Frau Therese verstarb 2005, nach 49 Jah­

ren Ehe, der Sohn und die Tochter sind

erwachsen), besass viele Jahre kein Sofa.

«Kein Sofa, warum nicht?»

«Kein Sofa, keine Homestory.»

Auf einem Beistelltischchen steht

ein elektrisch betriebenes Spielkarus­

sell, das dreht sich, dudelt Chilbimusik,

lämpelt und blinkt. Ähnlich Freude be­

reiten Bichsel nur Adventskalender.

Peter Bichsel geht nach dem Es­

sen (und einer Dessertzigarette) noch­

mals schlafen. Es ist noch nicht neun

Uhr, trotzdem nennt er das Verdauungs­

nickerchen «mein Mittagsschläfchen».

«Herr Bichsel, die ‹Basler Zeitung›

hat Sie auf die Liste der 15 einfluss­

reichsten Denker gesetzt.»

«Wunderbar.» (Sein Verschleierungs­

wort für «interessiert mich nicht».)

«Die schreiben auch, Sie seien ein

passionierter Jammerer.»

«Grossartig.» (Sein Variations­

Verschleierungswort für «interes­

siert mich nicht».)

«Die schreiben weiter: ‹So ganz

versteht Bichsel die Welt nicht

mehr – und die Welt vielleicht auch

nicht mehr ihn.›»

«Sehr gut!» (Sein Ver schlei e rungs­

wort für «sehr gut».) «Wäre ja auch

eine Beleidigung, wenn man mir

sagte, ich verstände die Welt.»

Peter Bichsel macht sich gegen

Mittag auf nach Solothurn, jetzt in

der Bichsel­Uniform. Sein Hemd sei

übrigens gestreift, weiss­blau, merkt

Bichsel an. Mike Müller trage, wenn er

ihn in der Satire­TV­Show «Giacobbo/

Müller» parodiere, ein weisses Hemd.

Sei falsch, sagt Bichsel.

Peter Bichsel schaut sich auf dem

Weg zur Bushaltestelle eine Grossbau­

stelle an. Und raucht. Ende 2014 telefo­

nierte er mit der Redaktion der Schwei-

zer Illustrierten und sagte, er höre auf

mit Kolumnenschreiben, er wolle nun

end lich, wie die anderen Pensionäre

auch, Baustellen anschauen. Er hat sich

getäuscht, ist enttäuscht. Auf den Bau­

stellen gebe es nichts mehr zu sehen.

Vorbei die Zeiten, wo 30 Arbeiter hantier­

ten, heute surre unablässig ein Kran, der

Bau wachse irrsinnig schnell in die Höhe,

Arbeiter seien aber keine zu sehen. Rent­

ner auch nicht. Eben, was er immer sage,

näselt Bichsel, «die Öffentlichkeit: gibts

nicht mehr. Sich treffen und reden: gibts

nicht mehr. Nur noch Partygesellschaft.»

Peter Bichsel geht durch Solo­

thurns Altstadt. Und raucht. Es ist Mit­

tag. Er trägt einen längenverstellbaren

Wanderstock. Er wandere gern durch

Städte, und jeder Wanderer habe einen

Stecken. Bichsel nimmt Wegabkürzun­

gen: Rein in den Manor, vorbei am Par­

fum, vorbei an der Unterwäsche, bei

den Strumpfhosen rechts, zum Neben­

eingang hinaus – steht er vor dem «Flo­

ra». Zur Wirtin sagte er: «Ich nehme

das.» Sie bringt ihm ein Glas Wein. Er

liest die Feldschlösschen­Werbung, die

auf dem Tisch steht («unverfälscht und

natürlich»), dann die Getränkekarte.

«Hier liegt noch eine NZZ, möchten

Sie die lesen, Herr Bichsel?»

«Muess nid si. Als wir die NZZ noch

hassten, war sie noch besser.»

Peter Bichsel geht zur Arbeit.

Und raucht. Im Dachgeschoss eines

Alt stadt hauses ist sein Schreibzimmer,

sein «Lager». Vollgestopft mit allerlei,

tausendmal beschrieben von Inter vie­

wern. Was ist neu? Eine Figur von Karl

Marx, eine Art Spieluhr. Marx macht die

Faust, dreht sich im Kreis, dazu glöckelt

die «Internationale», das Kampflied der

sozialistischen Arbeiterbewegung. So

was mag Bichsel, ähnlich Freude berei­

ten ihm nur Spielkarusselle, Advents­

kalender und Hackbraten.

Peter Bichsel will noch einmal

eine Erzählung schreiben, sagt er. Seine

beste Kolumne übrigens, die er je für

die Schweizer Illustrierte schrieb, sei

«Vom Stier, der auch nur ein Mensch

war». Wenn er hier im Lager schrei­

be, dann nur noch extrem langsam.

«Warum das, Herr Bichsel?»

«Schnell schreiben macht eine

Geschichte kaputt. Ich tippe auf

meinem Laptop nur mit einem Fin­

ger, die andere Hand brauche ich für

anderes.»

«Wofür?»

«Den Kopf abzustützen.»

Er zündet sich eine Ziga rette an,

mit seinem Gasfeuerzeug, das er

«mein Kampfhund» nennt. Er raucht

und sagt, rauchen sei langweilig.

Peter Bichsel wird am

24. März 80 Jahre alt.

Nicht mal mehr auf den Baustellen hat es Rentner, die

zugucken PETER BICHSEL

DAS BICHSEL-KONZENTRATDie «Uhu»-Brille, die er extra anfertigen liess, und seine mit Zigarrenbanderolen verzierte Blechschachtel für Zigaretten.

DAS ERSTE LÄCHELN DES TAGESIn seinem «Lager» in Solothurns Altstadt zeigt Bichsel den sich drehenden und die «Internationale» spielenden Karl Marx.

----------«Meine beste Kolumne» von Peter Bichsel lesen Sie auf Seite 46

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In Solothurns Altstadt.

Im Büro, seinem «Lager».