Download - New TA GES 2019.09.07 049 · 2019. 9. 12. · rab,deranstellevonFussballern dasSpielfeldbesetzt.AmHori-zonthinterdemStadionmacht sichdieSkylineeinerGrossstadt breit, sie ist dicht

Transcript
Page 1: New TA GES 2019.09.07 049 · 2019. 9. 12. · rab,deranstellevonFussballern dasSpielfeldbesetzt.AmHori-zonthinterdemStadionmacht sichdieSkylineeinerGrossstadt breit, sie ist dicht

49

Kultur & GesellschaftSamstag, 7. September 2019

Christoph Heim, Klagenfurt

300 prächtige Bäume wachsenauf demSpielfeld des Klagenfur-ter Wörthersee-Stadions. Dieriesige Installation des BaslerKünstler-Kurators und Kunst-managers Klaus Littmann ist einMahnmal, das daran erinnernsoll, was wir verlieren, wenn diemenschgemachte Zerstörung derNatur fortschreitet.

«For Forest»,wie derTitel desWerks heisst, versteht sich alsKunst. Durch die radikale Um-widmung eines Fussballstadionsin einen Zoo für Bäumewird dergewohnte Blick auf dieWirklich-keit gestört. Das Stadionmit sei-nen Tribünen mutiert zu einemSchutzwall, undmindestens ausderVogelperspektivewirkt eswieein gewaltiger, silbern glänzen-derRahmen für die grüne Prachtin der Mitte.

Das Gebäude am Stadtrandwurde für die Fussball-Europa-meisterschaften 2008 in Öster-reich und der Schweiz errichtetund hat Platz für 30000 Perso-nen. Seither steht es meist leer.Die Kärntner Hauptstadt hatkeine Fussballmannschaft, dieeine solche Spielstätte erforder-te. Und das modernste StadionÖsterreichs wurde hier auchnicht zum Katalysator einesFussballbooms,wieman das vonden neuen Stadien in Basel oderBern sagen kann.

Jörg Haiders Grössenwahnsei DankDas Klagenfurter Stadion ist eineklassische Fehlplanung. Es istdem Grössenwahn Jörg Haiderszu verdanken, dem einstigenLandesobmann der Freiheitli-chen,wie die Nationalkonserva-tiven in Österreich sich nennen.Auf Kosten der Steuerzahler liesssichHaider ein 92Millionen Euroteures Denkmal bauen.

Inzwischen regieren aber dieSozialdemokraten in Klagenfurtund haben mit dem piekfeinenStadion ihre liebe Mühe. So lie-gen die Schuldzinsen schwer aufder Staatskasse, und niemandweiss so richtig, wie man einederartige Spielstätte ohne Fuss-ball, abermit Kultur, Events undEventkultur sinnvoll betreibt.

Da kamLittmann gerade rich-tig. Er suchte seit Jahrzehnten einStadion für seinWaldprojekt, das

auf einer Zeichnung desWienerKünstlers Max Peintner beruht.Littmann sagt, ihm gehe das BildvomStadionwald nichtmehr ausdem Kopf, seit er in den Achtzi-gerjahren Peintners Zeichnung«Die ungebrocheneAnziehungs-kraft des Waldes» erstmalsgesehen habe.

Die Zeichnung des WienerKünstlers schildert eine apoka-lyptische Szenerie: Vom oberenRand eines Fussballstadions, dasbis auf die letzten Sitze besetztist, blicktman auf einenWald he-rab, der anstelle von Fussballerndas Spielfeld besetzt. Am Hori-zont hinter dem Stadion machtsich die Skyline einer Grossstadtbreit, sie ist dicht bepackt mitmodernen Hochhäusern.

Im Vordergrund stehen zweiMänner im Anzug als Rücken-figuren, die auf denWald hinab-schauen. Vielleicht sind sie dieOrganisatoren des Spektakels,

das mitten in einer völlig zube-tonierten Welt die letzten paarBäume präsentiert? Sie scheinengutes Geld verdient zu haben,jedenfalls scheint auch für künf-tige Menschen, die womöglichEintritt für das Spektakel bezahl-ten, die Anziehungskraft derNatur von ungebrochener Kraft.

EinMischwald vonausgesuchter SchönheitWirHeutigen sind noch nicht soweit,wie diese Dystopie es schil-dert, auch wenn die Zerstörungder Erde und ihrer Ressourcenmit Riesenschritten voran-kommt. Aber kaufen sich inzwi-schen nicht die Reichen schonGrundstücke in Norwegen, umdereinst der drohenden Dürre inMitteleuropa zu entfliehen?

Beim Betreten des Wörther-see-Stadions fühlt man sich wiein einer anderenWelt: Statt einereintönigen Rasenfläche, die sich

üblicherweise mit Fussballernbelebt, erhebt sich vor uns einMischwald von ausgesuchterSchönheit.

Mehr als zwei Dutzend ver-schiedener Baumsortenwurdenhier gemischt und gruppiert,sodass ein in allen Grüntönenflimmerndes, lichtes, überausfiligranes und hinreissendesNaturschauspiel entsteht. Bäu-me vom Feinsten, Buchen undEichen, Pappeln und Birken,Eschen und Föhren, um nur diebekanntesten zu nennen.

Obwohl der Wald auf demFussballplatz eine erstaunlicheTiefe erreicht und LittmannsGärtner, der in Rapperswil SGdomizilierte Landschaftsarchi-tekt Enzo Enea, nicht nur300 Bäume mit einer durch-schnittlichen Höhe von 17 bis18 Metern herbeischaffen liess,sondern auch noch den Wald-rand mit Farnen und Gräsern

bepflanzte, entsteht keinemäch-tige, den Besucher beinahe er-drückende Blätterwand. Hiertriumphiert das Naturschöneüber das Kunstschöne, um mitKant zu sprechen.

Das Stadion wird zumZufluchtsort der NaturDer Wald auf dem Spielfeld,umgebenvon der riesigen Beton-konstruktion der Tribünen, hatzudem etwasMitleiderheischen-des. Das Stadion wird zumZufluchtsort einer aus unserenLebens- undWirtschaftsräumenvertriebenen Natur. Wir gehenhier nicht in denWald zur Erho-lung, stattdessen sucht derWaldim Stadion seine Erholung.

So gesehen, hat das Forst-projekt im Stadion etwasAufklä-rerisches, ja Kämpferisches imSinne der Umweltbewegung,wenngleich das Heranschaffenund Aufstellen der natürlichen

Pracht, dieman in Baumschulenin Bologna, Belgien und Nord-deutschland fand, auch einigesan Kohlendioxid freigesetzthaben dürfte.

Was ist mit den Bäumen ge-plant? Nach der zwei Monatedauernden Ausstellung imStadion, die sich übrigens zumgrössten Teil den grosszügigenSpenden eines kunstsinnigenBasler Bürgertums verdankt,geht der Wald als Geschenk andie Stadt Klagenfurt.Mit ihm sollein freies Grundstück aufge-forstet werden. In den nächstenJahrzehnten und Jahrhundertensoll derWald Kohlenstoff binden,Sauerstoff in Hülle und Fülleproduzieren und nicht zuletztdurch sein Dasein die Leuteerfreuen.

«For Forest» in Klagenfurt (A),bis zum 27. Oktober täglich von10 bis 22 Uhr geöffnet. Eintritt frei.

DerWald spielt in einer eigenen LigaKunst Mit einer gewaltigen Installation im Fussballstadion von Klagenfurt warnt der Basler Kurator Klaus Littmannvor den Folgen der Umweltzerstörung. Die Bäume sollen in der Stadt amWörthersee bleiben.

Beim Betreten des mit 300 Bäumen vorübergehend aufgeforsteten Stadions fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Foto: Unimo

«I am an intermittent writer»,sagte er lächelnd, als ich ihn 2011in Zürich traf. Damalswar er derzweite Writer-in-Residence desLiteraturhauses, bis heute ist ereiner der prominentesten geblie-ben. KiranNagarkar gilt als einerderwichtigstenAutoren Indiens.Und doch konnte er nie vomSchreiben leben, sein Geld ver-diente er in der Werbung. Des-halb «zeitweiliger Schriftsteller».

In Zürich konnte er mal län-ger amStück schreiben, hier ent-stand «The Extras», der zweiteTeil seinerRomantrilogie, diemit«Ravan und Eddie» 1994 begon-nen hatte. Die Hauptrolle spieltein «Chawl», ein Mietshaus fürArme, vier Stockwerke von Hin-

dus, das fünfte von Christen be-wohnt, pro Raum eine Familie,also bis zu zehn Personen. SoarmdieVerhältnisse, so stark dieEmotionen, so reich der Stil: UmdieHauptfigurenwimmelt es ge-radezu von Liebe und Streit, vonNeid, Intrigen, Gewalt und Sex.

Nagarkar liebt sprachlich dasKrasse, hat es gern burlesk,satirisch, karikatural.VomErha-benen zum Lächerlichen ist esmanchmal weniger als einSchritt. In seinem ersten Roman«Sieben mal sechs ist dreiund-vierzig» katapultierte er dasMarathi, seine Muttersprache,gleichsam in die literarischeModerne.Dass er fortan auf Eng-lisch schrieb, nahmen ihm vieleInder übel. Wie ihnen manchesan Nagarkars Werken übel auf-stiess. Sein Theaterstück «Bed-time Story», eine ins Zeitgenös-sische transponierte Fassung desEpos Mahabharata, brauchte17 Jahre, bis eine Bühne sich aneineAufführung traute. Und sei-

ne «Ravan und Eddie»-Trilogiewurde von den einen als «anti-hinduistisch», von den andernals «anti-christlich» geschmäht.

Religiöser Fanatismus stehtim ZentrumvonNagarkarswohlbekanntestem Roman, «Gotteskleiner Krieger» (2006). Es wardie Sensation des Indien-Schwerpunkts der FrankfurterBuchmesse undwurdemehrfachübersetzt. In Indien dagegenwares, in Nagarkars eigenenWorten,«ein totaler Flop». Es erzählt dieGeschichte von Zia, der sich vomIslamisten zum radikalen Chris-ten und schliesslich zum extre-mistischen Hindu entwickelt:derselbe Fanatismus, nur in je-weils anderemGewand. Es stellt,

wennman sowill, den Gegenpolzu Lessings Ringparabel dar: Be-tont diese dieWeisheit, die in al-lenWeltreligionen liegt, so zeigt«Gottes kleiner Krieger»,wie siein Extremismus und Fanatismusausarten können und ihrWesenverraten. Zia, dem «Auserwähl-ten», gibt Nagarkar einen Anti-poden, seinen Bruder, einenZweifler und Spötter. Er machtden Roman nicht nur erträglich,sondern zum Vergnügen.

Indien auf falschemWegNagarkar selbst haderte oft mitIndien, das seine geistige Tradi-tion, auch die Tradition derFriedfertigkeit, von Buddha bisGandhi, vergessen habe. Er ha-

dertemitMumbai,wo er 1942 zurWelt kam und das sich von einerStadt, «schön wie Paris», zueinem lärmumtosten Molochentwickelt hat. Indien gehe denfalschen Weg, den Weg Chinaszur Supermacht, kritisierte erimmer wieder, statt sich um dieüberwältigenden Probleme zukümmern: Armut, Korruption,Verkehrsinfarkt.

In Zürich mochte er das Grünund die Ruhe.AmDonnerstag istKiran Nagarkar nach einemHirnschlag 77-jährig in seinerHeimatstadt gestorben. Der«zeitweilige Schriftsteller» hin-terlässt ein bedeutendesWerk.

Martin Ebel

Der kleine Krieger der ToleranzNachruf Der indische Schriftsteller Kiran Nagarkar haderte oft mit seinemHeimatland. Nun ist er mit 77 Jahren gestorben.

Nagarkar bei seinem Aufenhalt2011 in Zürich. Foto: Nicola Pitaro