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Page 1: Nicht der Patient, sondern die Was ist Demenz? Pflege muss ... · KBS-Geldern von rund 19 000 Euro können Kosten für exter-ne Referenten und Fachbera-ter, aber auch für ein Hand-buch,

5Hier und heuteGrenz-Echo

Dienstag, 29. März 2011

Der Begriff Demenz steht füreine umfassende Gruppe un-gleichartiger Erkrankungen,bei denen das Gedächtnisund die Denkfähigkeit ab-nehmen. Bei einer Demenzsind mehrere geistige undintellektuelle Bereiche be-troffen, wie die Orientie-rung oder die Lern- und Ur-teilsfähigkeit, wodurch diebetroffenen Menschen in ih-ren alltäglichen Aktivitätenerheblich beeinträchtigtwerden: Sowohl ihr Sozial-verhalten als auch ihre Moti-vation und ihre Persönlich-keit verändern sich. Die Ur-sachen für eine Demenz sindsehr vielfältig. Je nachdem,wie ausgeprägt die Demenzist, werden generell leichte,mittelgradig schwere undschwere Formen unterschie-den. Die meisten Demenz-formen sind nicht heilbar,können aber im Frühstadi-um positiv beeinflusst wer-den. Es gibt auch sehr selte-ne Fälle von Demenzen, diesich zurückbilden. Die häu-figste Form von Demenz istdie Alzheimer-Krankheit. Ei-ne Ganzheitstherapie ausMedikamenten, die den Ver-lauf der Demenz verzögern,sowie aus Gedächtnistrai-ning, Verhaltens-und Sozio-therapie erhält die Lebens-qualität sowohl der Betroffe-nen als auch der Menschen,die sie betreuen. Das Risikoeiner Demenz steige mit zu-nehmendem Alter, erklärteder St.Vither Neurologe Dr.Peter Heinen. »Die Demenz-krankheit gibt es eigentlich

nicht, sondern eigentlichnur Krankheiten, die die De-menz bedingen.« Mit der Ar-beit des Memory-Teams solleine korrekte Differenzie-rung vorgenommen werden.Auch wenn die Arbeit ei-gentlich vor der Tätigkeitvon »DeKo« beginne, wolleman Hand in Hand mit Pfle-gekräften arbeiten. Dr. JeanIngels, Geriater am St. Niko-laus Hospital Eupen, meinte,die Demenz sei ein Syndromder Geriatrie (Altersheilkun-de). »Man hat Angst, weildiese Krankheit rationellnicht zu packen ist.« De-menz ist tatsächlich vor al-lem ein Altersproblem. VorErreichen des 60. Lebensjah-res ist das Risiko gering. Mit65 steigt es laut Neurologenauf drei bis fünf Prozent,und anschließend verdop-pelt es sich alle fünf Jahrebis zum 90. Lebensjahr.

Vor gut hundert Jahrenbeschrieb der PsychiaterAlois Alzheimer (1864-1915) zum ersten Mal diespäter nach ihm benannteKrankheit, die die häufigsteForm von Demenz ist. EinMann brachte damals seineverwirrte und orientierungs-lose Frau in die »StädtischeAnstalt für Irre und Epilepti-sche« in Frankfurt. Der Fallfaszinierte den Arzt. Nachdem Tod der Patientin Au-guste Deter untersuchte Alo-is Alzheimer 1906 ihr Ge-hirn. Er fand Eiweißablage-rungen in der gesamtenHirnrinde und abgestorbeneNervenzellen.

Was ist Demenz?

HINTERGRUND

In der Regel sind die Klinikenauf Grund fester Strukturennicht auf die Bedürfnisse de-menter Menschen und die da-mit verbundene zeitaufwändi-ge Betreuung ausgerichtet. Inder Deutschsprachigen Ge-meinschaft arbeiten die beidenKrankenhäuser in Eupen undSt.Vith seit längerem an einemgemeinsamen Projekt, um Ver-besserungen in diesem Bereichzu erzielen: Es nennt sich»Konzept für Personen mit De-menz im Krankenhaus« (De-menz-Konzept, kurz »DeKo«).

KPVDB koordiniert

Verwaltungsdirektoren,Fachärzte, Pflegeverantwortli-che der beiden Kliniken undPflegepersonen sind in diesesVorhaben eingebunden, dasvon der deutschsprachigenKrankenpflegevereinigung inBelgien (KPVDB) koordiniertwird. Die Initiative dazu sei imJahr 2008 von der Pflege aus-gegangen. In Altenheimen ha-be man bereits ein ganzes Re-pertoire an Maßnahmen undeinen Blickwechsel im Um-gang mit Demenzkranken ent-wickelt.

»Dies könnte auch für einKrankenhaus hilfreich sein.Mit diesem ’Blickwechsel’ istdie Erkenntnis verbunden,dass das Krankenhaus - Perso-nal und Organisation - sichdem Menschen mit Demenzanpassen muss, denn dieserkann sich nicht der Klinik an-

passen. Durch das Demenz-Konzept soll verhindert wer-den, dass der Aufenthalt in ei-nem Krankenhaus zum Alp-traum für beide Seiten wird«,erklärte KPVDB-Leiterin Anne-mie Ernst im Rahmen einerPressekonferenz in Eupen inder letzten Woche.

Ruhe und Verständnis

Der »Blickwechsel« sorge fürRuhe und Verständnis und hel-fe sowohl dem verunsichertenPatienten als auch dem Pflege-personal. »DeKo« wird von derKönig-Baudouin-Stiftung(KBS) unterstützt, und dankKBS-Geldern von rund 19 000Euro können Kosten für exter-ne Referenten und Fachbera-ter, aber auch für ein Hand-buch, für einen Infobogen so-wie für weitere Dokumente ge-tragen werden. Unterstützunggibt es auch durch die DG.

Eine besondere Herausfor-derung ist mit dem neuen Kon-zept für die Pflegedienste inEupen und St.Vith verbunden.Im St. Nikolaus Hospital Eu-pen sei für 2012 die Eröffnung

einer geriatrischen Tagesklinik(Geriatrie=Altersheilkunde)geplant, in der alte Menschenzur Diagnosestellung oder zurRevalidation kommen können,erklärte PflegedienstleiterinMarie-Anne Wolfs.

Die Eupener Klinik verfügeüber eine Geriatrie-Abteilungmit 24 Betten, und 2008 seiein interdisziplinäres Geriat-rie-Team geschaffen worden.Um den Umgang mit Demenz-kranken zu verbessern, habedie Arbeitsgruppe »DeKo« (sie-he Artikel unten) für die Sensi-bilisierung und Schulung derPflegekräfte gesorgt. So könnedie Arbeit mit dementen Pati-enten eine Bereicherung undkeine Belastung werden. »Wirstehen ganz am Anfang, aberein erster Schritt ist gemacht.«

Ähnlich äußerte sich auchMarion Wengenroth, Pflege-dienstleiterin in der St.VitherKlinik St. Josef. Sensibilisiertund geschult hätten die Betei-ligten nun die Möglichkeit, dieKenntnisse in den Alltag ein-fließen zu lassen. Außerdemwürden zurzeit verschiedeneAnkäufe geprüft (Hosen mit

Hüftprotektoren bei erhöhterStutzgefahr, elektronischeWeglaufsperren, Niedrigstell-betten, ...). Um Patientenstür-ze zu vermeiden, helfe die Bro-schüre »Tipps und Hilfen, umStürze zu vermeiden«. Dank-bar ist man auch für den Bei-stand der Krankenhaus- undAugustinervereinigung (KAV).Hilfreich sei auch die Zusam-menarbeit mit dem Memory-Team des Neurologen Dr. PeterHeinen. In Eupen ist auch derGeriater Dr. Jean Ingels in dieArbeit von »DeKo« integriertworden.

Lob für Tatendrang

Ingrid Mertes, Verwaltungs-direktorin der Klinik St.Vith,begrüßte den Tatendrang derBeteiligten und unterstrichauch die Anforderungen an dieInfrastruktur, um das neueKonzept durchzusetzen. »Es istklar, dass nicht nur das Perso-nal, sondern auch das Haushinter diesem Umdenken ste-hen muss, um eine maßge-schneiderte Begleitung zu er-reichen.«

Bei einer Demenz ster-ben unaufhaltsam Hirn-zellen. Erinnerungenwerden ausgelöscht, diePersönlichkeit wandeltsich. Die Kranken verlie-ren mehr und mehr ihreOrientierung. Wie abermüssen sich die Betrof-fenen erst fühlen, wennsie aus ihrem gewohntenUmfeld herausgerissenund ins Krankenhauseingeliefert werden?

»Blickwechsel«: Neues Demenz-Konzept in den beiden Krankenhäusern Ostbelgiens

Nicht der Patient, sondern diePflege muss sich umstellen

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� Von Christian Schmitz

Sie stellten das Konzept in der letzten Woche vor. Vordere Reihe von links: Annemie Ernst (Leiterin derKPVDB), Marie-Anne Wolfs (Pflegedienstleitung St. Nikolaus Hospital Eupen), Marion Wengenroth (Pflege-dienstleitung St.Vither Klinik St. Josef), Ingrid Buchmann (Koordinatorin für geriatrische Patienten Eupe-ner Klinik) und Elke Christen (Krankenpflegerin St.Vither Klinik). Hintere Reihe von links: Neurologe Dr.Peter Heinen, Geriater Dr. Jean Ingels und Ingrid Mertes (Verwaltungsdirektorin der Klinik St.Vith).

Für das »Konzept für Perso-nen mit Demenz im Kran-kenhaus« (Demenz-Kon-zept, kurz »DeKo«) wurdeeine Arbeitsgruppe einge-setzt, die fünf Schwerpunkteverfolgt:� Aufnahme des Patientenund Entlassungsmanage-ment: Optimale Vorberei-tung der Aufnahme des De-menzpatienten durch besse-re Information unter Einbe-ziehung der Krankenge-schichte des Betroffenen.Dazu wurde der »Überlei-tungsbogen«, der von denKrankenpflegekräften mitaktuellen Infos erstellt wird,mit Aspekten, die für diePflege von Personen mit ei-ner Demenz relevant sind,erweitert. Außerdem wurdein Zusammenarbeit mit den»Austauschgruppen De-menz« in der DG ein »Ange-hörigen-Informationsbogen«erstellt. Dieser soll die Auf-gabe der Angehörigen er-leichtern und der FamilieHilfe bieten. »Die Zusam-menarbeit mit der Familiestellen wir uns sehr prak-tisch vor. So soll die Familie

Gegenstände wie ein Kissen,eine Decke oder Bilder, die fürdie Kranken von Bedeutungsind, mit ins Krankenhausbringen. Die Betroffenen sol-len sich so gut wie möglich zuHause fühlen«, sagte IngridBuchmann, Koordinatorin fürgeriatrische Patienten im St.Nikolaus-Hospital in Eupen.� Pflege: Der »Blickwechsel«muss von den Professionellenausgehen. Dazu gehört dieSensibilisierung und Schulungdes gesamten Krankenhaus-personals (einschließlichRaumpflege- und Logistikper-sonal). Die Themen sind dieMilieugestaltung, Kommunika-tion und Pflege, Verbesserungder Lebensqualität, Deeskalati-onsstrategien sowie Vermei-dung von freiheitsbeschrän-kenden Maßnahmen. ZumThema freiheitsentziehendeMaßnahmen wurden Leitli-nien für beide Krankenhäuserausgearbeitet. Außerdem wur-de ein Handbuch erstellt, dasals Nachschlagewerk für dasgesamte Personal gedacht ist.Es erläutert die wichtigstenProblemsituationen im Um-gang mit einem Demenzkran-

ken (Schreien, Rufen, Weglau-fen, Aggressionen). Mit demHandbuch erhält das Pflege-team Wissen, Ideen und prak-tische Tipps an die Hand.� Die Behandlung und »ta-gesstrukturierende« Maß-nahmen: Beide Bereiche sindfür das laufende und dasnächste Jahr geplant. Darunterversteht man die Planung und

die Organisation von Unter-suchungen, damit es so we-nig wie möglich Änderun-gen im festen Tagesablaufder Demenzkranken gibt.Außerdem sollen »Rück-zugsecken« für die Betroffe-nen geschaffen werden.� Einbezug von Familienund Ehrenamtlichen: Dazugehört der oben erwähnte»Angehörigeninformations-bogen«. Die Thematik Eh-renamt wird 2011 ebensoaufgegriffen: Welche Ausbil-dung müssen Ehrenamtlichehaben? Welche Tätigkeitenkönnen sie ausführen?

Diese Schwerpunkte hät-ten die Pflege konkret verän-dert, hieß es: Das Personalsei aufmerksamer, wenn ereinen Patienten mit einerDemenz behandelt. Der Be-handelnde stehe dem Kran-ken sicherer und angstfreiergegenüber. Der Austauschmit Demenzbetroffenen seioft schwierig, jedoch möch-te man eine Verständigunghinbekommen, die nicht vonoben nach unten geht. Sosoll eine gemeinsameSprachtür geöffnet werden.

Arbeitsgruppe mit fünf Schwerpunkten

HINTERGRUND

Angehörige von Menschen mitDemenz sollen mit einem Infor-mationsbogen (Foto) vorbereitetwerden.

In den kommenden 40 Jah-ren wird sich die Anzahl derDemenzerkrankungen welt-weit verdreifachen. Im Jahr2050 existieren rund umden Erdball etwa 115 Millio-nen Menschen, die eine De-menz aufweisen. Problema-tisch ist die Tatsache, dassdie Gesellschaft für diesesAnwachsen nicht gerüstetist. In Belgien leben weit

über 100 000 Menschen miteiner Demenz, einige Quel-len reden von 150 000, diemeisten unter ihnen (50 bis60 Prozent) sind an Alzhei-mer erkrankt.

Und es werden immermehr: angesichts der Ver-greisung unserer Gesell-schaft auch in der DG. ImJahr 2020 sollen es landes-weit rund 200 000 sein.

115 Mio. Demenzkrankeweltweit im Jahr 2050

IN ZAHLEN

Eine Altenpflegerin bei der Pflege einer Demenzkranken.