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Mette <;3iirdifr<;3etottig TECHNOLOGIE UND GESELLS£&P-O67vJTXfTJT 1 Mittwoch, 26. OktoMittwoch, 26. Oktober 1994 Nr. 250 67

Verpflegung in 10 000 Meter HöheSteile Entwicklung des Flug-Catering

Von Hans-Ruedi Huber*

Die Gastronomie der Lüfte hat trotz ihrer kurzen Geschichte bereits eine lebhafte Ent-wicklung hinter sich. Die Veränderung der Reisegewohnheiten hin zum Massentourismushat die Flugverpflegungsbranche stark verändert. Aus den improvisierten Bordküchen ent-wickelte sich ein weltweit bedeutender Industriezweig, hinter dem ein komplexes Netz vonTechnik und Logistik steckt.

Es ist nicht nur das Element Luft, das die Bord-küche von ihren Verwandten am Boden unter-scheidet. Das lnßight-Catering, so der Fachaus-druck für Flugverpflegung, teilt sich in zwei Lei-stungsbereiche: die Herstellung und Lieferung

d u r ch den Caterer und den Service an Bord durchdie Fluggesellschaft. Zwischen Airline und Catererbesteht ein Lieferantenverhältnis. Auf Grund dergrossen täglichen Produktionsmengen (in Zürichwerden täglich 173 Flüge mit rund 23000 Mahl-zeiten versorgt) und des hohen logistischen Auf-wandes kann individuellen Kundenwünschen nurim Rahmen von Spezialkost (z. B. Diät) entspro-chen werden. Die Fluggesellschaften erheben diekulinarischen Bedürfnisse ihrer Kunden durchsporadische Befragungen. Ernährungsspezialistenkonzipieren davon ausgehend die Menupläne.

Essen zur Entspannung

Das Tafeln in der Luft hat aber nicht nur einephysiologische, sondern auch eine psychologische

und soziologische Funktion. Überleben und Essensind zwei komplementäre Dinge. Es überraschtdeshalb nicht, dass gerade das Essen als Beruhi-gungsmittel gegen die Flugangst eingesetzt wird.Gleichzeitig ist die Bedienung des Fluggastes fürdie Airline eine gute Möglichkeit, mit dem Kun-den in Kontakt zu kommen und die Beziehung zupflegen. Untersuchungen zeigen, dass sich einPassagier im Flugzeug extrem ausgeliefert fühlenkann. Dieses Gefühl von Abhängigkeit bewirkteine erhöhte Sensibilität und kann bis zu Über-reaktionen führen. Es ist die anspruchsvolle Auf-gabe der Kabinenbesatzung, ein «Befreiungskli-

ma» zu schaffen, in welchem sich die Passagiereumsorgt wissen und in dem keine unangenehmen

Gefühle aufkommen können. Die besondereSituation in der Luft macht die Rollenbeziehung

zwischen Fluggast und Flugbegleiter deshalbmanchmal zur heiklen Gratwanderung.

Vom «Barackengewerbe»

zu Fertigungsstrassen

In den dreissiger Jahren, den Anfängen der ge-werbsmässigen Linienfliegerei, wurden einfacheMahlzeiten (belegte Brötchen und Kaffee) vordem Flug durch Hostessen vorgefertigt und - jenach Fluglänge - mit einer über den Wolken auf-gewärmten Suppe ergänzt. Auf Langstreckenflü-gen wurden sogar Zwischenlandungen zum ge-

meinsamen Mittag- oder Nachtessen eingeplant.

Die Entwicklung hin zum Massentourismus hataus dem anfänglichen «Barackengewerbe» einenernstzunehmenden Wirtschaftszweig gemacht. BeiGate Gourmet, dem Catering-Unternehmen derSwissair, werden täglich weltweit über 100 000Mahlzeiten hergestellt. Dies erfordert nebstgastronomischem Know-how eine schlagkräftige

* Der Autor ist Beauftragter der Swissair Beteiligungen AG.

In der Pionierzeit der Linienfliegerei entsprach die Flugverpflegung eher einem ein-fachen Picknick als einer mehrgängigen Mahlzeit. (Bild Swissair)

Logistik. Die Catering-Betriebe entwickeln sichimmer mehr zu industriellen Unternehmungen.

Die Produktion erfolgt auf Fertigungsstrassen,

an denen Angestellte, aber auch Roboter arbeiten.Der Produktionsprozess und die Auslieferung

werden d u r ch integrierte Produktionsplanungs-systeme koordiniert. Im betrieblichen Rechnungs-

wesen ersetzt die Grenzkostenrechnung die tradi-tionelle Zuschlagskalkulation des Gastgewerbes.

Zunehmende Rolle des Outsourcing

Die zunehmende Arbeitsteilung und Spezialisie-rung führt dazu, dass einerseits immer mehr ange-l e r n te Hilfskräfte eingesetzt werden und ander-seits die Anzahl von Köchen, Metzgern, Patissiersund anderen Fachleuten abnimmt. Weil der Auto-matisation und Normierung auf Grund der viel-fältigen und unterschiedlichen Ansprüche derFluggesellschaften teilweise enge Grenzen gesetztsind, spielt das Outsourcing, die Vergabe der Her-stellung von Produkten und Leistungsbereichen

an Dritte, eine immer wichtigere Rolle. Wurde dieMahlzeit früher von der Sauce bis zum Pralineselbst hergestellt, werden heute einzelne Kom-ponenten von externen Spezialfirmen zugekauft.

Manche Catering- Betriebe sind heute fast nurnoch Logistikunternehmen, in denen Komponen-ten zusammengestellt und - «just in time» - aufdas Flugzeug gebracht werden. In der Tat machtdie Herstellung von Mahlzeiten nur rund 25% desgesamten Umsatzvolumens aus; der Rest sind Be-schaffung, Lagerung und Zusammenstellung vonZollfreiartikeln, Zeitungen, Toilettenartikeln, Wä-sche und anderen während des Fluges in derKabine benötigten Materialien. Für eine Boeing

747 muss der Caterer pro Flug rund 40 000Einzelteile bereitstellen.

Sobald mit einer Fluggesellschaft ein Lieferver-trag unterzeichnet ist, werden sämtliche Leistun-gen, die mit der Herstellung von Mahlzeiten sowiemit dem Einkauf und der Zusammenstellung desZusatzmaterials verbunden sind, in deren kleinsteLeistungseinheiten (z. B. Tomaten verschneiden)zerlegt, die Kostensätze errechnet und zusammenmit den übrigen Lieferdaten (Flugnummer usw.)

in das Produktionsplanungssystem (PPS) einge-geben. Das PPS ist mit dem Reservationssystem

der Fluggesellschaft, dem Einkaufs- und Lager-system sowie mit dem Rechnungswesen gekop-pelt. Die gesamte Betriebssteuerung erfolgt inte-griert. So erstellt das PPS beispielsweise vier Tage

vor dem Abflug einen Bestellvorschlag auf Basisder vorhandenen Sitzplatzreservationen zuhandendes Materialeinkaufs. Drei Tage vor dem Abflugwird den verschiedenen Produktionsabteilungen -der Metzgerei, der Konditorei, der wannen Kücheund anderen mehr - mitgeteilt, wie viele Kom-ponenten sie bis zum Zeitpunkt der Auslieferungfertigen müssen. Am Abflugtag werden dieEinzelkomponenten auf Fliessbändern zusam-mengestellt, angeschrieben und in den Service-

wagen der Fluggesell-

schaften bis zur Auslie-ferung im Kühlraumgelagert. Die Fliess-bandarbeit ist heutenoch Handarbeit; be-reits in naher Zukunftkönnte sie allerdings

durch Roboter ausge-

führt werden.

Das Essen überlebtAus ökologischen

und ökonomischenÜberlegungen ist nichtanzunehmen, dassFlugzeuge in Zukunftwesentlich schnellerwerden und die Ver-pflegung überflüssig

machen. Trotzdem ist -bedingt d u r ch die De-regulierung - generell

mit einem Serviceab-bau auf Kurzstrecken-flügen zu rechnen. DerTrend geht in Richtungweniger Quantität undmehr Qualität. AufKurzstreckenflügen

dürfte künftig derSnack-Service dominie-ren. Das Produkt wirdvor allem im Mittel-und Langstreckenbe-

reich stärker differen-ziert und auf die Ziel-gruppen Touristen undGeschäftsreisende aus-gerichtet werden. Einekleinere Sortiments-breite mit standardi-sierten Menus einer-seits und anderseits dieErlebnisgastronomie

dürften die künftig be-stimmenden Polaritä-ten sein.

Hinter der Zubereitung von Speisen steckt in China auch heute noch viel Philosophie und wenig Technik.(Bildauszug aus der Zeitschrift «Zhongguo Pengren», Nr. 11, 1987)

Kochen mit dem «Geist»Die Philosophie der chinesischen Kochkunst

Von Rene Tschannen*

Mit der ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmenden politischen und kulturellen Schwä-chung war China dem steigenden Einfluss der weltweit expandierenden industrialisiertenStaaten des Westens ausgesetzt; diese Entwicklung beeinflusste die Kochkunst und Esskulturnur in beschränktem Masse. Während sich in den westlichen Ländern Kochkunst und Ernäh-rungskultur im 20. Jahrhundert mehr und mehr vom Geist der Industrialisierung prägen liess,beruhen sie in China auch heute noch weitgehend auf sehr alten geistigen Konzepten.

Während die industriell geprägte moderneKochkunst dazu neigt, die Tätigkeiten der Nah-rungsmittelzubereitung an Maschinen (vomFliessband bis zum Mixer) und spezialisierteKochgeräte (z. B. Kartoffelschäler, Eierschneider)

zu delegieren, obliegt das Kochen bei den Chine-sen immer noch stark dem Individuum, dem mei-stens nur sehr wenig Geräte - vor allem Messerund Kochtopf - zur Verfügung stehen. Lassensich die westliche, vom Geist der Industrialisie-rung geprägte Kochkunst und Ernährungskulturvor allem von rationellen, zweckgerichteten undmechanistischen Welt- und Naturvorstellungenleiten, beruhen sie im Reich der Mitte in ersterLinie auf philosophischen Konzepten auf sehralten, tradierten Ideen über die Ordnung desKosmos.

Kochen mit Gegensätzen

Eines der vielleicht ältesten und einflussreich-sten geistigen Konzepte, weiche die Kochkunstund Ernährungslehre der Chinesen bis in dieGegenwart zu prägen vermochten, ist das Kon-zept von Yin und Yang. Yin und Yang stellenzwei einander entgegengesetzte, sich gegenseitigbedingende und ergänzende Urkräfte dar (z. B.hell - dunkel, oben - unten), welche in einem Zu-sammenspiel alle Dinge und Ereignisse erzeugen.Sie stehen gleichsam als Prinzipien für eine kos-mische Ordnung. Gemäss dieser Vorstellung istdie Welt beziehungsweise der Kosmos also einedynamische Ordnung von Wesenheiten mit Yin-und Yang- Eigenschaften, die ihrerseits auch wie-der dynamisch und energetisch beschaffen sindund sich gegenseitig beeinflussen. Als Ideal giltein harmonisches Zusammenspiel von Yin undYang. In diese eng vernetzte, gleichsam orga-nisch-dynamische Ordnung des Kosmos sindnatürlich auch der Mensch und seine Nahrungs-

mittel mit ihren je spezifischen Yin- und Yang-Eigenschaften eingebunden. Diesem Yin-Yang-Konzept liegt nun ein zentral bestimmendes, fürviele Bereiche der chinesischen Kultur typisches

Denken zugrunde: nämlich jenes, dass Gegen-

sätze sich ergänzen.

Dualismus als Grundlage

Auf Grund dieser Vorstellungen setzt sich spä-

testens seit dem Beginn der Landwirtschaft (etwa

6000-6500 v. Chr.) in China eine Mahlzeit auszwei klar erkennbaren, gleichen Teilen von Nah-rungsmitteln bzw. Speisen zusammen, die, ent-sprechend ihrer spezifischen Yin- und Yang-Eigenschaften, als einander entgegengesetzt, abergleichzeitig sich ergänzend betrachtet werden. Dieeine Hälfte bildet das Getreide bzw. der Reis, chi-nesisch «fan», die andere das Gemüse und dasFleisch, chinesisch «cai» (sprich: tsai). Dieser«fan-cai»-Z)«a/Kffiuj, also der Dualismus zwi-schen Getreide und Gerichten, ist in der chinesi-schen Kochkunst und Ernährungskultur ein bis indie Gegenwart hinein bestehendes Prinzip vongrösster Bedeutung. Entsprechend dem Ideal derHarmonie bzw. des harmonischen Zusammen-wirkens der verwendeten Nahrungsmittel undSpeisen ist man bestrebt, eine ausgewogeneMahlzeit sowohl zuzubereiten als auch zu konsu-mieren. Über die angemessenen Mengen «fan»und «cai» entscheidet je nach Mahlzeit oderSpeise der Koch allein oder der Esser. Bei denmeisten von uns wohlvertrauten Frühlingsrollenoder den sogenannten «jiaozi» (Teigtäschchen)

etwa entscheidet weitgehend der Koch. Diese unsals Einheit erscheinenden und zu verzehrendenSpeisen sind aus zwei Teilen zusammengesetzt:einerseits aus der Hülle, bestehend aus einem

* Der Autor ist Sinologe u nd lebt in Freienbach SZ.

Getreideteig («fan»-Teil), und anderseits aus derFüllung, bestehend aus zerkleinertem Gemüseoder Fleisch («cai»-Teil). Bei anderen Speisen

einer Mahlzeit bestimmt der Esser selber überderen harmonisches Zusammenwirken, zum Bei-spiel wieviel Reis er mit wieviel Gemüse oderFleisch isst. Ergänzend muss hier noch gesagtwerden, dass dieser «fan-cai»- Dualismus nichtimmer streng eingehalten wird.

Das Messerals wichtigstes Technikelement

Äusserlich betrachtet machen vor allem diespeziellen Kochtechniken ein Essen typisch chi-nesisch: Alle für ein Gericht benutzten Nahrungs-

mittel sind auf verschiedenste Arten klein-geschnitten (Streifen, Weine Würfel, fein gehacktusw.). Das wichtigste Gerät, das es dabei zu be-herrschen gilt, ist bereits seit sehr früher Zeit dasMesser. Doch damit ist nicht nur die technischeBeherrschung des Messers gemeint, wie uns einKoch in einer berühmten alten Geschichte be-lehrt. Einst zerlegte dieser Koch namens Ding fürden König Wenhui ein Rind derart geschickt mitdem Messer, dass der König Worte der höchstenBewunderung ausrief. Daraufhin meinte derKoch: «Was Ihr Diener sucht, ist das Wirken inden Dingen, nicht nur die Technik.»

Doch was ist hier mit diesem «Wirken in denDingen» gemeint? Es drückt aus, wie die Chine-sen die Wirklichkeit auffassen. Für sie ist dieWirklichkeit ein Geschehen bzw. eine Vielzahlverwobener Geschehen, wie es der Genfer Sino-loge Jean-Francois Billeter einmal formuliert hat.Die Wirklichkeit, sagt Billeter, sei, wie es dasdeutsche Wort ursprünglich auch ausdrücke, ein«Wirken». Und dieses Wirken könne man nurkennen, wenn man selbst daran teilhabe - alsoselbst wirke; die Wirklichkeit erschliesst sich alsoletztlich im Tun. Diese Auffassung der Wirklich-keit, dieses geistige Konzept, in dem das Tun, dieTätigkeit eine zentrale Stellung einnimmt, liegtder chinesischen Kochkunst gleichsam als Leit-idee zugrunde: Es gilt, Tätigkeiten bewusst zu kul-tivieren und zu perfektionieren.

Wie das erreicht werden kann, schildert uns dererwähnte Koch Ding: Zu Beginn seiner Tätigkeitals Koch habe er noch das ganze Rind vor sichgesehen, später nur noch Einzelteile davon; heutesehe er es überhaupt nicht mehr und treffe es(d. h. zerlege er es) mit dem Geist. «Meine Sinnewirken nicht mehr gesondert, der Geist handeltvon selbst und folgt ganz natürlich der innerenGliederung des Rindes.» Das zu Beginn bewussteBeobachten und Zerteilen des Rindes wird durchstetiges Üben zu einem Können und schliesslichzu einer Meisterschaft entwickelt. Von diesemMoment an ist die Gegenüberstellung von Sub-jekt (= Koch) und Objekt (= Rind) gleichsamaufgehoben, alle Sinne verschmelzen zu einemGesamtwirken, das nicht mehr bewusst gesteuertwird. Das Ziel der Tätigkeiten - und dazu sindletztlich auch die kleinsten alltäglichen Verrich-tungen zu zählen - ist es, jegliches gewaltsameVorgehen am Objekt zu vermeiden. Alle Tätigkei-ten sollten mit dem kleinstmöglichen Aufwand anEnergie ausgeführt werden, um die eigene Ener-gie, die, gemäss einer sehr alten Überzeugung derChinesen, jeder Mensch bei seiner Geburt erhält,so lange wie möglich zu bewahren. Kochkunstund Ernährungslehre sind also offenbar stark ge-prägt von geistigen Grundhaltungen. Interessantund für uns, die wir vor allem das Bild des Chi-nesen als Gruppenmenschen in uns tragen,vielleich überraschend dabei ist die hohe Bedeu-tung, die dem Individuum und damit der Selbst-kultivierung beigemessen wird.

Neue Zürcher Zeitung vom 26.10.1994