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    „Wir sind nicht ausländerfeindlich“Die ablehnende Haltung der Schweizer zur Zuwanderung sorgt in Brüssel für Kritik und Unverständnis. Ist das Votum auch ein Signal für die Europawahlen imMai?

    Von Kathrin Streckenbach

    „Furchtbar,“ sagt VeronikaBoss. Die Schweizerin schütteltdenKopf, als sie auf dieVolksab-stimmung zur Zuwanderung an-gesprochen wird. „Wir könnennoch gar nicht abschätzen, wasdas für Folgen habenwird.“Die 43-Jährige pendelt jeden

    Morgen von Zürich in die Ge-meinde Weinfelden im KantonThurgau. 57,8 Prozent habendort laut schweizerischem Bun-desamt fürStatistik fürdie Initia-tive der national-konservativenSchweizer Volkspartei (SVP)„Gegen Masseneinwanderung“gestimmt. „Ich glaube, die Politi-ker haben die Ängste der Bevöl-kerung nicht richtig ernst ge-nommen“, sagt Boss.

    Angst vor LohndumpingundArbeitslosigkeit

    Mit 50,3 Prozent insgesamthatten die Schweizer sich amSonntag überraschend dafürausgesprochen, die Zuwande-rung vonAusländern generell zubegrenzen. Nach Vorstellungender Initiative sollen die Kantonekünftig eineHöchstzahl vonZu-wanderern festlegen. Die Regie-rung in Bern muss das Anliegeninnerhalb von drei Jahren um-setzen.„Dasheißt aber nicht, dasswir

    Schweizer ausländerfeindlichsind“, sagt Beat, der seinenNachnamen lieber nicht nennenmöchte. „Wir wollen es nur re-gulieren, damit es nicht über-hand nimmt.“Der 34-Jährige ist Filialleiter

    in einer Metzgerei und setztneben den Schweizern auch aufdeutsche und österreichischeKunden. „Sie sind sehr offen“,sagt er. „Und sie bringenGeld.“Bei der Zuwanderung hält

    Beat eine Begrenzung aber fürsinnvoll. Sonst drohten derSchweiz negative Folgen –Lohndumping, steigendeArbeitslosigkeit.Um rund 80 000 Menschen

    wächst die Schweiz jährlichdurch die Einwanderer. „Ichmöchte, dass die Bundesräte dieAbstimmung ernst nehmen unddarauf reagieren“, sagt Beat.Ein paar Meter hinter ihm

    steht Franziska Baumann amBahnhof, um sie herum hastenMenschen zum Zug. Die jungeMutter ist ebenfalls für eine Zu-wanderungsbegrenzung.„Ich findedas gut“, sagt die 28-

    Jährige aus Bischofszell. „Wieviele Schweizer haben keinenJob, wie viele sitzen auf der Stra-ße?“ Vor möglichen wirtschaft-lichen Folgen für ihr Land hatsie keine Angst. „Da habe ichmir noch keine Gedanken ge-macht“, sagt sie.„Das Wissen, dass viele in der

    Schweiz so denken, finde ichganz schlimm“, sagt Sara. DieEltern der 26-Jährigen kommenaus Italien, sie selbst ist in derSchweiz geboren – ebenso wieihre Freundin Nadia. IhrenNachnamen wollen die beidennicht nennen. Wenn sie mitei-nander reden, kann man das

    Schweizerdeutsch kaum he-raushören. Sie würden manch-mal auch als Ausländer wahrge-nommen, sagt Nadia. DirekteAnfeindungen hätten sie abernicht erlebt.Die Schweiz hat mit 23 Pro-

    zent einen besonders hohenAusländeranteil. Zum Ver-gleich: In der Bundesrepublikliegt er bei etwa 9 Prozent.Die Deutschen stellen mit

    rund 300 000 Menschen einengroßen Teil der ausländischenBevölkerung in der Schweiz.Rund 56 000 Grenzgänger ausBaden-Württemberg pendeln

    zudem täglich in die Eidgenos-senschaft, umdort zu arbeiten.Eine davon ist Anna Alt. Die

    Saarländerin ist für die Liebe anden Bodensee gezogen undarbeitet in der Schweiz als OP-Schwester. Jeden morgen fährtsie von Meersburg aus mit derFährenachKonstanzundweiternach Münsterlingen – eine gutehalbe Stunde brauche sie dafür,sagt sie.Sie fühle sich wohl in der Eid-

    genossenschaft, mit ihren Kolle-gen komme sie gut aus. „Ichglaube auch nicht, dass sie mit„Ja“ gestimmt haben.“ Das Er-

    gebnis der Volksabstimmunghabe sie überrascht, sie habenoch nie negative Reaktionendarauf bekommen, dass sieDeutsche sei. „Ich kann das garnicht verstehen.“

    Ressentimentswie es sieauch inDeutschland gibt

    Oliver Römlein sieht das Er-gebnis eher als Bestätigung sei-ner Erfahrungen der letzten Jah-re. Der IT-Spezialist steht amfrühen Morgen am Bahnhof in

    Konstanz und raucht eine Ziga-rette. Mit seinen Schweizer Kol-legen komme er zwar sehr gutaus, in den vergangenen Jahrenhabe er aber auch negative Er-lebnisse in der Schweiz gehabt,sagt der 45-Jährige. „Das sinddiegleichen Ressentiments gegenAusländer, die es auch inDeutschland gibt.“Die EU hat mit Kritik undUn-

    verständnis auf das SchweizerVotum zur Zuwanderung re-agiert. Bei einemTreffen inBrüs-sel äußerten sich mehrereAußenminister sehr besorgt.„Man kann die Freizügigkeit

    nicht verramschen,“ sagte derluxemburgische RessortchefJean Asselborn. Die italienischeRessortchefin Emma Bonino re-sümierte: „Die Auswirkung isteher beunruhigend.“„Ich glaube, dass die Schweiz

    sich mit diesem Ergebnis eherselbst geschadet hat“, sagte Bun-desaußenminister Frank-WalterSteinmeier (SPD). Faire Bezie-hungen bedeuteten auch, dassman bereit ist, die vielen Vortei-le aus einer solchen Beziehungebenso zu tragen wie Lastenoder Nachteile, die sich darausergeben könnten. dpa

    Guy Montavon: „Ich bin schockiert“Intendanten aus der Schweiz prägten und prägen die Theaterlandschaft in Thüringen nach der Wende

    Von Henryk Goldberg

    „Ich bin“, sagte Guy Montavongestern dieser Zeitung, „scho-ckiert.“Und verweist darauf, dass die

    Einschränkung der Freizügig-keit von EU-Bürgern die Bezie-hung der Schweiz zur EU belas-tet, denn das entsprechende Ab-kommen bildet die Geschäfts-grundlage dieser Beziehung.Nun gelte es, auf allen Ebenen,denen der Wirtschaft wie denender Diplomatie, zu klären, wiemit diesem knappen Votum um-zugehen sei, wie die Schweiz diezur Verfügung stehenden dreiJahre nutzt, um ein entsprechen-desGesetz zu formulieren.Hoff-nungen setze er auch auf denBe-such des Schweizer Bundesprä-sidenten bei der deutschen Bun-deskanzlerin.

    Diesen letzten Satz hat wohlder SchweizerGeneralkonsul inThüringen gesagt,Montavon be-sitzt, wenn er will, diplomati-scheFähigkeitenundTugenden.Diese kommen ihm auch bei sei-nem eigentlichen Job zugute,seit 2002 hat er die Generalin-tendanz des Theaters Erfurt in-ne, das er mit Umsicht, Konse-quenz und eben auch diplomati-schemGeschick leitet.Der mehrsprachige Monta-

    von ist von Haus aus so etwaswie ein Kosmopolit, so wie diefranzösische Schweiz, er kommtausGenf, grundsätzlich als welt-offener gilt wie ihr deutschspra-chiger Teil. Überdies ist Oper,stärker als Schauspiel, durch dieUniversalität derMusik wenigernational geprägt als das Schau-spiel, Montavon hat in vielenLändern inszeniert und ist Mit-

    glied in einer Vielzahl interna-tionalerGremien.Wenn er, trotz dieses Votums,

    „das ein schlechtes Licht auf dieSchweiz wirft“, darauf besteht,„die Schweiz ist nicht ausländer-feindlich“, so steht er mit seinerPersönlichkeit für einen be-stimmten, weltoffenen Typusdes Schweizer Citoyens.Es sind überhaupt Schweizer,

    die die Thüringer Theaterland-schaft nach derWende maßgeb-lich geprägt haben. Montavonhat die Abwicklung des ErfurterSchauspiels nicht zu verantwor-ten, aber er hat das Haus, nach-dem die Stadt diese immer nochschandbare Entscheidung traf,profiliert und in seiner neuenStruktur etabliert.Kulturpolitik war das Haupt-

    geschäft des anderen Schwei-zers, der hier maßgeblich und

    nachhaltig gearbeitet hat. Ste-phanMärki, dernundasHaus inseiner Heimatstadt Bern leitet,hat dem Nationaltheater Wei-mar in harten kulturpolitischenKämpfen die Eigenständigkeitbewahrt, das ist, was bleibenwird von ihm.Und seine deutsche Auffüh-

    rung des „WilhelmTell“ auf demSchweizer Heiligtum Rütli warnachgerade eineDemonstrationvon übernationaler Koopera-tion – schließlich hat der Deut-sche Schiller den Schweizerndie poetische Geburtsurkundeihres Landes geschrieben.Aber es sind eben nicht nur

    diese Schweizer, die ihr Votumabgaben. Doch, sagt Guy Mon-tavon, wenn auch nur 17 000Stimmen mehr den Ausschlaggaben – „das ist Demokratie undmanmuss sich dem stellen“.

    a Redaktion dieser Seite:BrittaHinkel

    Der Intendant des Theaters Erfurt, Guy Montavon, wurde im Januar zum Schweizer Honorarkonsul ernannt. Zur Feier im Theater Erfurt kam auch derSchweizer Botschafter in Deutschland , TimGuldimann (links). Archiv-Foto: Alexander Volkmann

    Das DNTWeimar führte unter der Regie von StephanMärki Schillers „Wilhelm Tell“ auf dem Rütli am Vier-waldstätter See auf. Archiv-Foto: RolandObst

    Das sagenThüringer undSchweizer

    Mathias Jäger (36) aus Ilmenaulebt seit knapp zehn Jahren inThun und arbeitet bei einemBauunternehmen:Es macht mich etwas traurig,dass meine Mitmenschen so ab-gestimmt haben. Wir haben hiernie Probleme gehabt – egal, obbei der Suche nach Jobs oder beiÄmtergängen oder im Kinder-garten, auch nicht bei der Ge-burt unserer Kinder. Wir habenhier sehr viele nette Menschenkennengelernt undbeimanchenist auch eine wirkliche Freund-schaft entstanden.

    Susanne Wuttke aus Ilmenau(31) arbeitet seit zweieinhalbJahren bei einemgroßenSport-artikelhersteller inZürich:Das Leben ist gut hier, außer-dem liebe ich die Natur und dieBerge, fahre gerne Ski. Die Stim-mung, die mit dem Volksent-scheid erzeugt wurde, finde ichnicht gut. Die Plakate warenschon heftig. Vieles, was hierganz normal plakatiert wurde,würde in Deutschland schlichtals Fremdenfeindlichkeit be-zeichnetwerden.

    Matthias Bach aus Sülzfeld beiMeiningen wohnt seit 2010 inHaslen, KantonGlarus:Wir fühlen uns als Thüringersehr gut hier aufgenommen,manwirdauf derStraße gegrüßt.In den Städten sieht das schonganz anders aus. Bei uns gibt esvor allem Tamilen, Portugiesenund Italiener. Ganz schlimm istes indenGroßstädten. InZürichoder Basel hörst du in einemSupermarkt kaum nochDeutsch. Das ist natürlich einArgument für die SVP.

    Franziska Riediger (35) aus Er-furt arbeitet als Pflegefachfrauim Spital von Graz und ist seitzehn Jahren in der Schweiz:Es ist schade, wie die Schweizersich entschieden haben und ichkann das nicht nachvollziehen.Gerade im Pflegebereich und immedizinischen Bereich brauchtes ausländisches Personal. Ichbedauere, dass sich die Schwei-zer nun so dagegenwehren.

    Carsten Blechschmidt ausMühlhausen arbeitet seit 2011als Busfahrer bei den Ver-kehrsbetriebenZürich:Die Abstimmung unter denSchweizern war emotional sehrhochgeputscht, vor allem dieSVP haute in die gleiche Kerbe,wie das in Deutschland auchmitunter geschieht. Ich erlebemitunter in meinem Job auchVorbehalte und Beleidigungeninsbesondere von Jugendlichen.Andererseits kann ich mich da-durch gut in die Menschen hi-neinversetzen, die in Deutsch-land ausgegrenztwerden.

    Manuela Müller (28) aus Deu-na im Eichsfeld kam nach achtJahren als Verkäuferin ineinem Baumarkt bei Bern jetztzurück nachThüringen:Dass die Abstimmung so extremausfällt, hätte ich nicht gedachtund bin schon etwas verblüfft.Die Schweiz braucht doch dieDeutschen. In einigen Berei-chen beträgt deren Anteil so umdie 30 Prozent. Ich wäre gernnoch in der Schweiz geblieben,aber Familie und Freunde zogenmich zurück.

    IHK-HauptgeschäftsführerGeraldGrusser:Zu den Grundprinzipien deseuropäischen Binnenmarktesgehören auch offene Grenzen.Durch das Votum werden je-doch neue Hürden errichtet, diefür beide Seiten – die EUund dieAlpenrepublik – Nachteile brin-gen. Der Zugang zum EU-Bin-nenmarkt für Schweizer Firmensowie die Zuwanderung vonFachkräften aus der EU sind dieHauptfaktoren für den Kon-junkturboom in der Schweiz.

    „Die EU muss den Volksentscheid akzeptieren“Matthias Estermann stammt aus Sömmerda und ist Präsident eines Vereins für Deutsche in der Schweiz

    in einem Land entscheidendarf, dann muss man dasauch außerhalb akzeptieren.Die Schweiz ist das einzigeLand,was sich gekonnt gegendie EU wehrt und als Landfunktioniert.

    Sprechen Sie inzwischenSchwyzerdütsch?Das kann ich schwätze. Ichbin ja auch mit einer Schwei-zerin verheiratet.

    Sind drei Jahre für die Um-setzung des Volksentschei-des eine angemessene Zeit?Bei den Deutschen hat sichdie Zahl von 45 000 Einwan-dere pro Jahr auf 25 000 so-wieso heruntergefahren. Jetztkommen auch immer mehr,die nicht positiv sind für dieSchweizerWirtschaft.

    send Einwanderern pro Jahraus. Heute kommen hundert-tausend. Das ist einfach zuviel. Und die Kriminalitäts-rate ist auch gestiegen. Zuviele haben ihre Jobs verlo-ren, weil sie gegen Zuwande-rer ausgetauscht wurden. SoentstehenÄngste.

    Wo sind die Deutschen be-sonders präsent?Im Gesundheitsbereich stel-len Mediziner und Pfleger biszur Hälfte. Auf dem Bau sindes vieleHandwerker.

    Wie empfinden es dieSchweizer, dass die Euro-päische Union so scharf aufdiesen Volksentscheid re-agiert hat?Die empfinden das als extre-me Frechheit.Wenn das Volk

    Hauen zu viele Deutsche inder Schweiz zu sehr auf denPudding?Das war keine Abstimmunggegen Deutsche. Das war eineAbstimmung gegen Massenein-wanderung. Vor zwölf Jahrenwurde das schon mal gefragt –man ging damals von zehntau-

    nommen und den drittenPlatz belegt. Die Schweizkenne ich inzwischen besser.

    Warum sind Sie in dieSchweiz gegangen?Ich habe dann in Hamburgauf Versicherungsfachmannumgesattelt und bin 2004 indie Schweiz, weil ich ein luk-ratives Angebot hatte.

    Sie haben 2008 den Verein„Deutsche in der Schweiz“aus der Erfahrung herausgegründet, dass Sie am An-fang ziemlich alleine da-standen. Wie viele Mitglie-der habenSie heute?Nicht ganz sechshundert.

    Wie viele Einwanderer hatderVerein bisher betreut?ZweitausendMinimum.

    VonWolfgang Suckert

    Können Sie das Ergebnisdieses Volksentscheids ver-stehen?Das kann ich gut. Viele ha-ben gesagt, dass sie die Aus-ländernicht brauchen.Vor al-lem in den ländlichen Regio-nen wurde einer Beschrän-kung der Zuwanderung zuge-stimmt. Dort, wo eigentlichkaumAusländer leben.

    Sie kennenThüringen gut?Nö, aber ich habe anderthalbJahre bei Robotron in Söm-merda alsMechaniker für Bü-romaschinen gelernt. Aufge-wachsen bin ich in Schlan-stedt beiHalberstadt.In Erfurt habe ich damalsauch an DDR-Meisterschaf-ten im Sportschießen teilge-

    Matthias Estermann ()Foto: privat