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Seite 16 DIE WELT Freitag, 16. Mai 2008B W i r t s c h a f t

gentümer der Rossmann-Kette, derWELT. Auch die sonst so kritischeGewerkschaft Ver.di hat wenig anden Arbeitsbedingungen in der Oa-se Grünwinkel auszusetzen.

Ab sofort ist hier, beim elftgröß-ten deutschen Lebensmittelhändler,der gebürtige Wiener Harsch derChef. Schon seit 26 Jahren arbeiteter im Unternehmen, seit 16 Jahren inder Geschäftsführung, zuständig fürdas sensible Nervensystem eines je-den Handelskonzerns, der IT.Harsch, der im Auftritt entgegen sei-nem Namen ganz freundlich undsanft ist, war stets der Mann für dieschwierigen Fälle. Wenn abteilungs-übergreifend neue „Projekte“ instal-liert werden sollten – neue Kassen-systeme, SAP, Fotokonzept, einst dieBiomarke Alnatura – war Harsch derVerantwortliche. Deshalb kennt erauch wohl jeden Winkel des Unter-nehmens. An rund 450 solcher „Pro-jekte“ war er beteiligt, „schief ge-

gangen sind vielleicht zehn oder 15.Die Quote ist ganz gut“.

Einiges werde er anders machen,sagt Harsch, aber die grobe Rich-tung bleibe unverändert. „Wir ha-ben sie ja in den vergangenen Jahrenbereits gemeinsam bestimmt“. Die„Innovationsfitness“ des Unterneh-mens will er stärken. Und „flächen-deckend“ das dm-Ladennetz überDeutschland ziehen. „Da ist nochviel Platz für ein paar hundert Lä-den, vielleicht für mehr. Es gibt vieleOrte, an denen wir noch nicht ver-treten sind“, sagt Harsch.

Der Verdrängungswettbewerb ge-gen Marktführer Schlecker, Ross-mann und Müller wird weitergehen.Mehr große Ketten haben den Kon-zentrationsprozess der vergangeneJahre nicht überlebt, den maßgeb-lich Götz Werner und KonkurrentRossmann durch den ewigen Preis-krieg angezettelt hatten. „Harschwird die Expansion insbesondere imAusland vorantreiben und das Ge-schäft auf den lukrativen Apothe-kenmarkt ausweiten“, so Accenture-Mann Dreisbach.

Von allzu großen Fußstapfen, dieihm sein Vorgänger hinterlässt, willHarsch nichts wissen. „Die muss ichnicht ausfüllen. Ich hinterlasse mei-ne eigenen“, sagt er mit leichtem ös-terreichischem Akzent. Überhauptwirkt er nicht wie der Nachfolger

von Gründers Gnaden. Er wirktselbstbewusst, im Tonfall weicherals Werner, spricht seine Sätze nachArt des Hauses selbstverständlichzu Ende, selbst wenn der Eigentü-mer etwas einzuwerfen versucht.Wenn sie einen komplizierten Sach-verhalt erklären wollen, spielen diebeiden schon mal unabgesprochenErklär-Pingpong. Was der eine aus-gelassen oder zu kompliziert formu-liert hat, gleicht der andere aus. Dasist kein Vater-Sohn-Verhältnis, dafürist die Kluft zwischen beiden zuklein. Hier sitzen zwei Manager, dieseit Jahrzehnten zusammenarbeitenund wissen, was sie am anderen ha-ben.

Werner sagt über die neue Num-mer eins: „Vor allem zwei Dinge ha-ben ihn prädestiniert. Das Prozess-denken, das er aus der IT und denProjekte gelernt hat. Und die ausge-prägte soziale Kompetenz“.

Vermutlich hatte er ihn schon vorvier Jahren als Nachfolger im Kopf,als er im WELT-Interview ankündig-te, seinen 2008 auslaufenden Ver-trag wohl nicht mehr zu verlängern.„Viele Manager haben das Problem,dass sie ihren potenziellen Nachfol-gern den Job nicht zutrauen – unddeshalb versuchen sie, so lange wiemöglich zu bleiben. So etwas darfnicht sein“, hatte er gesagt, im Altervon 60 Jahren. Und: „Ein Lebens-werk wird ja erst dann zum Lebens-werk, wenn es so angelegt ist, dasses von anderen weitergeführt wer-den kann.“

So reden viele Unternehmens-chefs, wenn der Abschied noch einpaar Jahre entfernt ist. Doch wenn esernst wird, wehren sie sich doch ge-gen den Wechsel. Werner aber hatWort gehalten. „Man muss auchKonsequenz in persönlichen Dingenunter Beweis stellen“, sagt er.

Der Firmengründer ohne Abiturwird in den Aufsichtsrat wechseln –„als normales Mitglied, nicht alsVorsitzender“, wie er sagt. „Ich habedann als Gesellschafter mehr Zeit,mir das Unternehmen von außenanzuschauen, das ist ja wichtig“.Dass er die unsichtbaren Zügel wei-ter in der Hand behalten wird, glau-ben die wenigsten. „In der neuenRolle muss ich meinen Weg abererst finden“, räumt er ein.

Werner wird künftig noch mehrrudern – 1100 Kilometer legt derdeutsche Jugendmeister von 1963pro Jahr hin, meist im Einer. Undstatt Zahnpasta wird er seine Lieb-lingsidee verkaufen: die des bedin-gungslosen Grundeinkommens fürjedermann (siehe Kasten).

Ähnlich ungewöhnlich war einstauch die Vision des Drogistensoh-nes, dm zum Unternehmen mitmöglichst geringer zentralistischerAnweisungs-Kultur zu entwickeln.

Stabwechsel in der heilen WeltWanderprediger,Waldorf-Discounter,Guru: Götz Werner istunkonventionellerals die meistenFirmenchefs. Jetzt tritt derGründer derDrogeriekette dmab. Sein Nachfolgerwird denantroposophischenKurs halten

Der Gründer und sein Nachfolger: Götz Werner (r.)und Erich Harsch im Hinter-zimmer des dm-Drogerie-marktes in Karlsruhe-Grün-winkel

Kampf um Marktanteile

Quelle: Unternehmensangaben / Trade Dimensions / LZ-Schätzungen - April 2008

Die größten Drogeriemärkte in Deutschland

1 Anton Schlecker 5500 10 598

2 dm-Drogeriemarkt GmbH + Co.KG 3017 936

3 Dirk Rossmann GmbH 2450 1272

4 Müller Ltd. & Co.KG 1894 425

5 Ihr Platz GmbH & Co. * 656 676

6 Iwan Budnikowsky GmbH & Co. KG 310 112

7 Kloppenburg GmbH & Co. * 282 160

*) Ihr Platz gehört seit Oktober 2007 zu Schlecker und Kloppenburg zählt mittlerweile zu Rossmann

Rang Unternehmen Umsatz 2007 in Mio. Euro (netto) Filialzahl 2007

Ein letzter Blick: Götz Werner beimRundgang durch die Filiale

derprediger“, gar „Guru“ nennen,seinen Chefposten abgegeben. AnIT-Vorstand Erich Harsch, der inden Zeitungen bisher meist nur alsIT-Vorstand Erich Harsch vorge-kommen ist, weil so wenig über ihnbekannt war.

Der Star bei dm ist Götz Werner.Er kontert kritische Fragen zumSinn eines anthroposophischen – al-so am Menschen orientierten –Über- oder Unterbaus seiner Artdes Geschäftemachens mit einen ge-lassenen Lächeln. Zu oft hat er dasgehört. „Schauen Sie sich unsereQuadratmeter-Produktivität an, dasind wir seit vielen Jahren die Bes-ten in der Branche. Das ist der äuße-re Gradmesser, der uns bestätigt.“Werner wurde mit seinen Ideen Mil-liardär.

Unbestritten können sich andereHändler bei ihm einiges abschauen.Keine Drogeriemarktkette inDeutschland holt trotz Niedrigprei-sen mehr Umsatz aus dem Quadrat-meter Verkaufsfläche als dm. Um-satzsteigerungen im zweistelligenProzentbereich sind die Regel – dasist spektakulär für deutsche Händ-ler. Branchenexperte Peter Breuervon der ManagementberatungMcKinsey hält dm für vorbildlichbeim Erkennen und Erfüllen vonKundenwünschen. „dm hat die In-novationskraft eines Start-ups, ver-bunden mit der Konsequenz einesDiscounters“, lobt Dirk Dreisbachvon Accenture. Und: „Götz Wernerhat der Drogeriemarkt-Branche sei-nen Stempel aufgedrückt, ähnlichwie die Gebrüder Albrecht dem Le-bensmittelhandel. Wie wenige vorihm hat er dabei gezeigt, dass manals Unternehmer soziale Verantwor-tung mit wirtschaftlichem Erfolgvereinen kann.“

Werner und dm bekamen im ver-gangenen Herbst den DeutschenHandelspreis für das „ausgeprägtesoziale und bürgerschaftliche Enga-gement, das auf Wirkung und Nach-haltigkeit“ angelegt sei. Selbst derhärteste Konkurrent, Dirk Ross-mann, zollt Werner Respekt. Er ver-folgt dessen Erfolg „mit großemRespekt und viel Sympathie“, sagtder Gründer, Chef und Mehrheitsei-

Von Hagen Seidel

Man könnte meinen, hierreden sich zwei Theo-retiker das ideale men-schenfreundliche Un-

ternehmen zusammen. Von „Selbst-bestimmung“, „Selbstverantwor-tung“ und „Selbstverwirklichung“sprechen die beiden Herren imschmucklosen Hinterzimmer desdm-Drogeriemarktes in Karlsruhe-Grünwinkel, direkt an der Firmen-zentrale gelegen.

Sie sprechen davon, dass ihre Mit-arbeiter am Arbeitsplatz die Erfül-lung finden sollen und ihn nicht alsnotwendigen „Einkommensplatz“sehen. Bei den Auszubildenden –den „Lernlingen“ – gehört Theater-spielen zwecks besserer Entwick-lung der Persönlichkeit zum Pflicht-programm. Mitarbeiter gelten hiernicht als Kostenfaktoren, sondernals „Mitarbeitereinkommen“. Manwolle keine „Organisation, dieDruck macht, sondern eine, die Sogerzeugt“.

So sprechen Götz Werner (64),scheidender Chef der dm-Kette undsein Nachfolger, Erich Harsch (47).Der Job-Himmel auf Erden scheintzwischen Drogeriemarkt-Regalen inGrünwinkel zu liegen. Der Ortsna-me klingt ja schon irgendwie ein we-nig nach Paradies.

Die Realität sieht auf den erstenBlick deutlich schlichter aus. Einpaar Meter weiter, hinter einer dün-nen Wand, verkaufen die Mitarbei-ter und „Lernlinge“ der menschen-freundlichen Höhenflieger soschlichte irdische Dinge wie Zahn-pasta, Windeln oder Müsli.

Und dann möglichst noch billigerals die Konkurrenz, so wie es ebenalle versuchen. Wo soll da der Un-terschied sein? „Zahncreme verkau-fen an sich ist ja nicht so schwierig“,gibt Gründer Werner zu, „aber wirverkaufen die meiste Zahncreme inDeutschland. Und dazu gehörtschon etwas mehr. Wir müssen ir-gendetwas besser machen als unse-re Wettbewerber.“

Nach 35 Jahren hat QuerdenkerWerner, den die Medien „Waldorf-Discounter“, „Heilsbringer“, „Wan-

■ „Ein Lebenswerk wird erstdann zum Lebenswerk, wennes von anderen weitergeführtwerden kann“Götz Werner

Ende der achtziger Jahre begann beidm die Verlagerung von mehr Ver-antwortung in den Filialen, in derBerater Dreisbach heute einen derHauptgründe für die hohe Flächen-produktivität sieht.

Ein defekter Verkaufstresen wardamals der Auslöser. Die Filialleite-rin hatte sich bei Werner beklagt,dass der Bezirksleiter die Reparaturnoch immer nicht in Auftrag gege-ben habe. So konnte es nicht gehen.Werner gab den Filialen deutlichmehr Freiheit bei der Auswahl beimSortiment, in Personal-, selbst in Ge-haltsfragen. Mitarbeitervorschlägewerden konsequenter umgesetzt alsanderswo. „Nur, weil ich oben imUnternehmen sitze, bin ich ja nichtunbedingt der beste Verkäufer“, sagtWerner, „oben ist ja nicht automa-tisch vorn.“

Damit auch die Führungskräftesehen, was ihre Entscheidungen ander Basis anrichten, ist jedes Mit-glied der Geschäftsführung neben

seinem Fachbereich auch für die Lä-den in einer bestimmten Region zu-ständig. Harsch etwa hat die RegionBaden-Württemberg gerade vonWerner geerbt. „Da bekommen Siesofort mit, wenn an der Basis etwasfalsch läuft“, sagt er.

„Anfang der neunziger Jahre“, soWerner, habe er an den Umsatzzah-len erstmals gesehen, dass das neueKonzept der verteilten Verantwor-tung funktioniert. Das Wachstumbeschleunigte sich. „Zutrauen“, sag-te schließlich schon der preußischeReformpolitiker Freiherr vom Stein,„veredelt den Menschen“.

Werner und Harsch lächeln, wennman sie fragt, wo im Laden denn –wie bei Lidl und anderen – die ver-steckten Kameras zur Mitarbeiter-Kontrolle installiert sind. „Brauchenwir nicht“, sagt Harsch. „Wir habennur Kameras, die den Mitarbeiternin unübersichtlichen Filialen die Ar-beit erleichtern. Aber jeder weiß,wo die sich befinden.“

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■ Seit einigen Jahren zieht Götz Werner mit seiner Idee des „bedin-gungslosen Grundeinkommens“ durch die Republik. In Vorträgen,Gesprächen mit Politikern und Interviews vertritt er die Idee, dass derStaat nur vom Verbrauch seiner Bürger leben soll. Alle Steuern wer-den abgeschafft – bis auf die Mehrwertsteuer, die um 50 Prozenterhöht werden soll. Aus diesen Einnahmen zahlt der Staat den Bür-gern eine Grundsicherung, die so hoch sein soll, dass existenzielleBedürfnisse wie Essen und Wohnen gedeckt sind. Das, so die Theo-rie, sichert gesellschaftlichen Wohlstand und ermöglicht damit dieTeilnahme am sozialen Miteinander. sl

Die Vision

■ Erich Harsch (47) kam schon Anfang der achtziger Jahre zu dm.Der Datenexperte aus Wien arbeitete sich nach oben, zog in die Ge-schäftsführung ein und wurde vor vier Jahren die Nummer zwei imUnternehmen und somit Thronfolger von Götz Werner. Vorbilder nenntHarsch nur ungern – das würde seiner Idee von der Eigenständigkeitder Menschen zu sehr zuwider laufen. Er mag Goethe, Schiller, Filmewie Casablanca – „alles, was mit Freiheit zu tun hat“. WährendHarsch im Job jetzt in Europas erster Liga spielt, ist er in seiner Frei-zeit eher unterklassig aktiv. Er spielt Tennis in der Mannschaft des TCForchheim/TV Mörsch – in der zweiten badischen Bezirksliga. sl

Der Nachfolger

■ Götz Werner (64) machte sich nach seiner Drogistenlehre 1973selbstständig. Er wollte damals das Discount-System des Lebens-mittelhandels auf seine Branche übertragen, sein Chef jedoch lehnteab. Heute setzt sein Unternehmen dm mit 27 000 Mitarbeitern in1800 Märkten über vier Mrd. Euro um. Deutschlands zweitgrößteDrogeriemarktkette ist in acht weiteren europäischen Ländern tätig.Das Unternehmen gehört jeweils zur Hälfte Werner und Günther Leh-mann. Der frühere Lebensmittelhändler mischt sich jedoch nicht insTagesgeschäft ein. Werners Sohn Christoph leitet den Aufsichtsrat.Werner ist Professor für Entrepreneurship der Universität Karlsruhe. sl

Der Gründer