HANDEL Verleger wollen, dass Buchhandel auf hohem Niveau erhalten bleibt.Die buchreport-Serie »Meine Buchhandlung« zeigt beispielhafte Konzepte.Wallstein-Verleger Thedel von Wallmoden empfiehlt die Buchhandlung Winter.
Ein wenig hört man den fränkischenAkzent heraus, wenn man mit AlmutWinter über ihre Buchhandlung
spricht, die sie im Oktober 2010 in Berlin-Charlottenburg eröffnet hat. Davor hatte diegebürtige Nürnbergerin im Bundestag noch
Auftritte für SPD-Politiker vorbereitet. BeimKaffeetrinken in der Giesebrechtstraße –einer von fürstlichen Altbauten gesäumtenNebenstraße des Kurfürstendamms – ist dieausgebildete Buchhändlerin und studierteGeisteswissenschaftlerin durch Zufall auf
Vom Bundestag indie Kiez-Buchhandlung
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die schönen Räumlichkeiten gestoßen, diesie heute mit Leben füllt: Interessiert schau-te sie damals den Renovierungsarbeiten indem benachbarten Gebäude mit dem hüb-schen Bogenfenster zu. „Könnte hier nichteine traditionelle Buchhandlung entste-hen?“, überlegte sich die heute 49-Jährige.
Den Wechsel zurück ins stationäre Sorti-ment hat die jugendlich wirkende Wahl-Ber-linerin, die den Laden mit einer Teilzeitkraftstemmt, nicht bereut: „Die Arbeitim Bundestag hat Freudegemacht und man hat Geld ver-dient, hier macht es viel Freudeund man verdient wenig Geld.“
Offenbar hat die „Buchhand-lung Winter“ wirklich gefehlt,obwohl unweit mit „Wunsch-buch“ bereits eine eingesesseneStadtteilbuchhandlung existiert.Doch mit dem frischen Konzept– die Einrichtung des Geschäfts hat Bruderund Architekt Christian Winter übernom-men – und einer auf das literarisch an-spruchsvolle Publikum des Kiezes abge-stimmten Buchauswahl hat das gerade mal84 qm große Geschäft sich bereits eine treueKundschaft erarbeitet.
Mit Matinees neue Kunden ködernDen Schlüssel zum Erfolg kann Almut Win-ter noch genauer benennen: Regelmäßigwerden zwischen den mintgrünen RegalenVeranstaltungen gegeben, in Form von Sonn-tagsmatindes, bei denen Sekt, Kaffee undKuchen gereicht wird. Die bislang größteResonanz gab es auf ein Fest zum 100-jähri-gen Jubiläum der Insel-Bücherei Anfang Mai2012: Im befreundeten Antiquariat Cassel &Lampe trug Suhrkamp-Lektor Raimund Fel-linger Höhepunkte aus der Geschichte derberühmten Buchreihe vor. Nach einer Pause,die kulinarisch von einem benachbartenRestaurant und einem Weingeschäft unter-stützt wurde, ging es dann weiter zu einerSchauspielerlesung in die Buchhandlung.
„Ohne Veranstaltungen wird es schwierigfür den stationären Buchhandel“, weiß Win-
Buch-Treffpunkt für Groß und Klein:
Almut Winter hält in ihrer auf literarische Feinkost
ausgerichteten Buchhandlung auch ein großes
Angebot an Kinder- und Jugendbüchern bereit.
Meine Buchhandlung
»Heimat, Büchergefühlund ganz viel Zukunft«Verleger Thedel von Wallmoden über die Buchhandlung Winter
Die Beantwortung der Frage nach der Lieblingsbuchhand-lung ist für den Verleger heikel. Leicht könnte das Missver-ständnis entstehen, dass ich die vielen Kollegen, die mit
dem Wallstein Verlag jahrelang intensiv zusammenarbeiten, weni-ger schätze. Noch schwieriger, geradezu ein Harakiri wäre es, eineBuchhandlung in Göttingen zu nennen, wo ich seit vielen Jahrenlebe. Was würde der Buchhändler A sagen, wenn ich C oder D zurLieblingsbuchhandlung erkläre? Also lieber eine Buchhandlung,bei der ich gut begründen kann, was ich an ihr besonders schätzeund bei der ich gerade nicht ständig ein und aus gehe:
Die Buchhandlung Winter ist mir kurz nach ihrerEröffnung zufällig aufgefallen, als ich durch die Giese-brechtstraße ging. Eine neue Buchhandlung? Gleichstand ich im Laden und fand mich mit der sympathi-schen Almut Winter im Gespräch. Man merkt schnell,mit welchem Konzept diese Buchhandlung gegründetwurde. Eine Buchhandlung, die ihre Kundschaft im eige-nen Stadtteil gewinnen will. Eine mittelständische Neu-gründung, die nicht sofort in die große Fläche geht, weilwir ja inzwischen alle wissen, welche Probleme dieFlächenhypertrophie mit sich bringt. Eine Buchhand-
lung, die aus der Bedingung der kleinen Fläche von 84 qm aberihre Stärke macht, nämlich die Stärke der kompetenten Titelaus-wahl und der individuellen Präsentation. Auf der kleinen Flächezeigt sich die Qualität der Auswahl und darum geht es schließlich,wenn wir die Bezeichnung „Sortiment“ ernst nehmen. Literaturfindet sich hervorragend sortiert ebenso wie das Kinderbuch, EDVebenso wie Sachbuch, Ratgeber oder Krimis.
Aber das allein reicht natürlich nicht. Hier berät eine Buchhänd-lerin engagiert und kompetent. Der Kunde, der für einen Zielkaufkommt, ist einfach: Gut, wenn das Buch vorrätig ist, wenn nicht,wird es schnell bestellt. Aber der Kunde, der nicht weiß, was ersucht, ist die eigentliche Herausforderung. Hier zeigt sich die Qua-lität der Beratung, die zugleich das beste Eigenmarketing der Buch-handlung ist. Wer sich nicht selbst in der Titelflut orientieren kann,braucht Service und Beratung. Das halte ich für das zentrale Ele-ment eines mittelständischen buchhändlerischen Zukunftskon-zepts. Verstärkt wird diese Kundenansprache auch noch durch einoriginelles Veranstaltungsangebot. Davon fühlen sich längst nichtnur die Bewohner von Charlottenburg angesprochen. Das gewinntneue Kundschaft, für die Bücherkaufen auch in Zukunft ein Ver-gnügen ist. Fast überflüssig zu sagen, dass die Buchhandlung eben-so geschmackvoll und effizient eingerichtet ist wie die Homepage.Thedel von Wallmoden (54, kl. Foto) ist Verleger des Wallstein Verlags
(Göttingen), dessen Programm sowohl wissenschaftliche als auch
belletristische Werke umfasst, schwerpunktmäßig in den Bereichen
Geschichte, Literaturwissenschaft, Wissenschaftsgeschichte und
Kulturwissenschaften.
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ter: Die Mund-zu-Mund-Propaganda verhelfezu einem stetig wachsenden Kundenkreis.Im Interview beurteilt die engagierte Sorti-menterin die Entwicklungen der Branche.
Warum brauchen die Kunden in Zeiten
von Amazon noch stationäre Buch-
händler?
Weil sie bei den stationären Buchhändlerndas bekommen, was sie bei Amazon nichtbekommen: Individuelle und kompetenteBeratung. Außerdem eine Auswahl anTiteln, die sich von der Empfehlungsfunkti-on im Internet unterscheidet: Buchhändlersind Lotsen, die herausfischen, was interes-sant und wertvoll sein könnte. Die Inspirati-on, die man in einem Geschäft aufgrund derKomposition der Titel bekommt, kanndurch Amazon nicht ersetzt werden. Letzt-lich geht es auch um den sozialen Kontakt,der virtuell nicht klappen kann. Deshalb hatder stationäre Buchhandel, gerade wenn ermit Veranstaltungen arbeitet, immer nocheine besondere Nachfrage.Welche Kriterien muss ein Buch erfüllen, um
in Ihre Regale zu kommen?
Ich kann natürlich nicht nur das hinlegen,was ich selbst gern lese. Unabhängig davonfreue ich mich besonders über sehr schöngestaltete Bücher, weil ich weiß, dass diesehier in Charlottenburg auf sehr große Reso-nanz stoßen. Beim Aufbau Verlag erschei-nen im Herbst die Tagebücher von MarkTwain, „Die andere Bibliothek“ bringt einenChamisso-Reisebildband heraus. Das sindTitel, die man sich auch nicht E-Book-mäßigerschließen kann, sondern die über die Hap-tik, über das Begreifen und Befühlen gehen. Aber man bekommt hier auch die gängigen
Bestseller…?
Ich schaue mir regelmäßig die Bestseller-listen an, um nichts zu verpassen, weil esmich grundsätzlich interessiert, welche The-men und Titel in unserer Gesellschaft sozu-sagen Karriere machen. Trotzdem wird vie-les aus den Bestsellerlisten hier einfachnicht nachgefragt. Und das spricht sehr fürmeine Kunden. Ist die Arbeit insgesamt aufwendiger als
früher?
Buchhändler haben schon immer geschuf-tet. Was ich beobachtet habe, als ich nachzehn Jahren Pause wieder eingestiegen bin:So wie früher läuft es nicht mehr. Der Buch-händler muss ein rundes Verkaufserlebnisschaffen, sowohl was die inhaltlichen als
Buchhandlung Winter Giesebrechtstraße 18, 10629 Berlin-Charlottenburg, Tel. 030/80578677
www.buchhandlungwinter.de
Inhaberin Almut Winter
Schwerpunkte Belletristik, Sachbuch, Kinder- und Jugendbuch,
Reise, Berlin, Bildbände
Verkaufsfläche 84 qm
Mitarbeiter 1 Teilzeitkraft
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auch die sozialen Kompetenzen betrifft. Derautoritäre Buchhändlertypus oder der, dersich irgendwo im Laden verschanzt, dasgeht heute nicht mehr. Viele unabhängige Buchhändler klagen über
den abnehmenden direkten Kontakt zu den
Verlagen. Welche Erfahrungen machen Sie?
Die ganze Branche ist im Umbruch, und dieVerlage müssen scharf kalkulieren undschauen, was sie stemmen können. Auchich als Buchhändlerin habe ja nichtunmäßig Zeit, um mich mit Vertretern zuunterhalten. Deswegen ist es nicht unbe-dingt falsch, wenn der Verlag sagt: Ichschicke keinen Vertreter mehr zu Ihnen,denn das muss man auch wirtschaftlichsehen. Andererseits: Von den Verlagen, mit
denen ich eng zusammenarbeite, kommendann auch die Vertreter gern zu mir in dieBuchhandlung.Welche Entwicklungen in der Branche berei-
ten Ihnen Sorgen?
Ich würde den Verlagen gern sagen: Produ-ziert weniger! Ein Titel hat maximal drei bisvier Monate Zeit, das Nadelöhr zu suchen,um Aufmerksamkeit zu erzielen. Und wenndas nicht passiert, drängt schon wieder dienächste Saison nach mit Tausenden von neu-en Produkten. Da macht sich der Markt einStück weit selbst kaputt. Der Buchhändlerkauft möglichst breit ein, den Rest schickt erzurück, daran verdient vor allem die Post. Dasschmälert die Marge. Die Titel landen
schließlich auf der Resterampe, was wieder-um langfristig und letztendlich die Preisbin-dung aufweicht, die für uns ganz wichtig ist. Und welche sind die lichten Momente?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dasgedruckte Buch nicht aussterben wird, denndas Lesen bleibt für viele Menschen existen-ziell. Bestätigt werde ich in dieser Überzeu-gung beinahe täglich durch die oft wunder-vollen Erlebnisse mit interessierten undwissbegierigen Menschen, die zu mir in denLaden kommen.In vielen Städten entwickelt sich offenbar
wieder eine lebendige Szene kleiner Buch-
händler, die als kulturelle Treffpunkte in den
jeweiligen Stadtteilen wirken. Können Sie die-
se Entwicklung für Berlin bestätigen?
Das ist sicher so, bedingt durch die Kiez-Struktur. Die Großen werden jetzt von Ama-zon eingeholt, denn der persönliche Kontaktläuft vor allem in den kleinen Buchhandlun-gen. Natürlich machen die Filialisten auchVeranstaltungen, oft mit großen Namen, diemagnetisch wirken. Das können wir hiernatürlich nicht, dafür wählen wir Themenabseits des Mainstreams, die trotzdem odergerade deswegen verständlich sind, denndas suchen die Menschen ja in unübersicht-lichen Zeiten.Text und Interview: Nicole Stöcker
Almut Winter (49) hat
nach einer Ausbildung
zur Buchhändlerin in
Nürnberg ein geisteswis-
senschaftliches Studium
(Germanistik, Kunstge-
schichte, Philosophie) in
Bonn absolviert und
danach als wissenschaft-
liche Mitarbeiterin und
Büroleiterin im Bundes-
tag gearbeitet. Von 1996
bis 2000 hat Winter wei-
tere Erfahrungen im
Buchhandel bei Divan
(Berlin) sammeln kön-
nen, eine Zeitlang als
Filialleiterin in Zehlen-
dorf. Von 2000 bis 2009
arbeitet Winter wieder
für den Bundestag. Im
Oktober 2010 eröffnet
sie die „Buchhandlung
Winter“.
buchreport-Reihe »Meine Buchhandlung«� Buchhandlung Beltz, Weinheim (auf Empfehlung von Alexander Bob, Cornelsen) buchreport.magazin 12/11
� Literatur Moths, München (auf Empfehlung von Marcella Prior-Callwey, Callwey) buchreport.magazin 1/12
� v. Mackensen, Wuppertal (auf Empfehlung von Monika Bilstein, Peter Hammer Verlag) b.magazin 2/12
� Kochlust, Berlin (auf Empfehlung von Ralf Frenzel, Tre Torri Verlag) buchreport.magazin 4/12
� Am Mühlenkamp, Hamburg (auf Empfehlung von Frank H. Häger, Ganske Gruppe) b.magazin 5/12
� Bücher Pustet, Regensburg (auf Empfehlung von Eva-Maria Steckenleiter, Walhalla Verlag) b.magazin 6/12
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»Der Buchhändler muss
ein rundes Verkaufs-
erlebnis schaffen, sowohl
was die inhaltlichen
als auch die sozialen
Kompetenzen betrifft.«
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