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ZJa vom Plutons mechanischem Theater nur mehr eine Beschreibung erhallen ist, soll dieses antikeMosaik einen Eindruck dessen vermitteln, was die Besucher des Spektakels zu sehen bekamen. (Bild pd)

Fast schon Kino: Philons «Autotragorama»Vergessene Erfindungen VIII

«Hereinspaziert, hereinspaziert: <;Das Straf-gericht des Nauplios), Tragödie in fünf Bildern,alles automatisch: Seesturm, Feuer, Blitz undDonner ...» - so hätte ein Ausrufer im 3. Jahr-hundert v. Chr. den Theaterautomaten anpreisenkönnen, den Philon von Byzanz konstruiert undden Heron von Alexandria wohl im 1. Jahrhun-dert n. Chr. in seiner Schrift «Über Automaten-bau» nach Philons Vorlage beschrieben hat.

Die erschröckliche Moritat auf Philons «Auto-tragorama», eine Automatenversion des (verlore-nen) Sophokleischen «Nauplios», spielt nachdem Fall Trojas. Die Griechen hatten den Sohndes Nauplios, Palamedes, gesteinigt und denSühne fordernden Vater übel abgefertigt; bei derEinnahme Trojas hatten sie neue schwere Frevelauf sich geladen. Auf der Rückfahrt, vor Euböa,entlädt sich der Zorn der Götter in einem See-sturm. Nauplios, der Herr der Insel, leitet dieFlotte der Sieger mit falschen Feuerzeichen in dieIrre und lässt sie an den Klippen vor KapKaphereus scheitern; Athene schleudert einenBlitz auf Aias, der die Seherin Kassandra vomKultbild der Göttin fortgerissen hatte.

, Mit Rädern und HebelnEinmal in Gang gesetzt, liess Philons ingeniö-

ses Räder- und Hebelwerk die Tragödie (mit demRaffinement einer kurzen Verzögerung) vollauto-matisch in fünf Bildern ablaufen. Vor und nachjedem Bild sprangen die Türen der kleinen Guck-kastenbühne automatisch auf und wieder zu; in-zwischen vollzog sich im Innern der Kulissen-wechsel. Den Antrieb besorgte ein Gewicht imFuss der Guckkastenbühne, das auf Sand auflag

und sich, während dieser auslief, langsam senkte;die Steuermechanismen sind bei Heron ausführ-lich beschrieben.

Das erste, auf die feste Rückwand der Guck-kastenbühne gemalte Bild zeigt die Zurüstungen

zur Ausfahrt der Flotte. Im Hintergrund wohl dieTürme von Troja, im Vordergrund die auf denStrand gezogenen Schiffe; zwölf Zimmerleute, jevier in drei Reihen übereinander, sind mit Säge

und Bohrer, Beil und Hammer zugange. Vonihnen sind nur Kopf, Rumpf, linker Arm undBeine aufgemalt; die rechten Arme mit den Werk-zeugen sind in flachem Relief aus leichtem Hörngearbeitet und liegen, um einen Vierkant in derSchulter drehbar, dicht auf der Rückwand auf.Ein einfacher Mechanismus dahinter bewegt dieSägen und die Bögen der Bohrer im Takt hin undher, lässt die Beile und Hämmer sich heben undniederfallen. Währenddessen sind laut die ent-sprechenden Geräusche zu hören, «ganz wie inWirklichkeit».

Die Türen springen zu und wieder auf, nun zueinem stehenden Bild. Vor der ausgemalten, ani-mierten Bühnenrückwand hat sich inzwischen -automatisch, versteht sich - ein im «Schnür-boden» aufgerollter, zuunterst mit einem Bronze-stäbchen beschwerter Leinwandprospekt entrollt.Der mit dünner Farbe auf die feine Leinwand ge-

FEUILLETONSternbilder der ArchitekturBarcelonas Kunstinstitute zelebrieren gegenwärtig Ar-chitektur. Das Angebot der rund zwanzig Ausstellungen

reicht von Dalis Verhältnis zur Baukunst über jüngerekatalanische, spanische und europäische Architektur bishin zu Megabauten internationaler Stars. 13

Meilensteine des ägyptischen FilmsDas Filmfestival Locarno widmet seine diesjährigeRetrospektive Yussef Chahine, dem bedeutendstenägyptischen Regisseur. Wie wichtig dieses der Toleranzverpflichtete Werk ist. zeigt ein Blick auf jüngste Wand-lungen des Frauenbilds in den ägyptischen Medien. 16

Radio- und Fernsehprogramme 17/18

malte Prospekt zeigt ein Bild der Siegesfreude:

Die Griechen ziehen jubelnd die Schiffe ins Meer.

FilmtechnikVorhang, oder vielmehr: Türen. Das dritte Bild

bringt wieder Bewegung ins Spiel: Ein gleitenderProspekt aus feinstem «Königspapyrus», voneiner aufrechten, verdeckten Spule hinter demrechten Bühnenrand abgespult und auf eine eben-so verdeckte Spule links aufgespult, ein regelrech-

ter «Film», zeigt die Heimfahrt der Flotte undden aufkommenden Seesturm. Noch hinter ge-

schlossenen Türen wird der Anfang dieses «Gleit-prospekts» an zwei Schnüren oben und unten vorden «Fallprospekt» des zweiten Bildes vorge-zogen. Beim Aufklappen der Türen ist zunächstnichts als Meer und blauer Himmel zu sehen.Dann ziehen die Schiffe vorüber, in Kielliniehintereinander; während die ersten links in derKulisse verschwinden, kommen rechts immerwieder neue zum Vorschein. Allmählich ver-düstert sich der Himmel, der Seegang wird rau-her, die Schiffe drangen sich zusammen. Währenddieser «Film» über die Bühne geht, lässt einRäderwerk unter dem Bühnenboden eine Schulekreisender Delphine durch schmale Schlitze vordem gleitenden Prospekt aus dem Wasser sprin-gen und wieder untertauchen, wieder «ganz wiein Wirklichkeit». Türschliessung, Türöffnung.

Vom «Schnürboden» unseres kleinen Theatersherab hat sich ein zweiter «Fallprospekt» mit demvierten - wieder stehenden - Bild entrollt. Hochauf dem Vorgebirge Kaphereus stehen die Rächerbereit: Nauplios und die Göttin Athene, die imnächsten Bild ihren Blitz auf Aias schleudernwird. Nauplios lockt die vom Seesturm verspreng-ten Griechen mit seinen irrlichterndenFackelzeichen vollends ins Verderben. Ein Spe-

zialeffekt: Vermittels einer brennenden Kerze,eines Schiebers und eines Häufchens Sägespäne

wird hinter den Kulissen - alles, alles automatisch- ein Feuer entfacht, das die bloss gemalte Fackeldes Nauplios für einen Augenblick flackernd auf-leuchten lässt.

Den ex machinaDie Türen des Philonischen Bretterhauses off-

nen sich zum 5. Bild, dem mit technischen Fines-sen gespickten Finale: «Schonet mir an diesemTag / Prospekte nicht und nicht Maschinen . . .»Den Hintergrund bildet ein dritter vom «Schnür-boden» herabgelassener Prospekt: Zwischen ge-

kenterten und geborstenen Schiffswracksschwimmt ein Schiffbrüchiger, Aias der Lokrer, inden aufgewühlten Wogen. Ein veritabler Bühnen-kran hebt und schwenkt eine rundplastische

Athene wie im wirklichen Theater als echte Deaex machina vor die aufgemalte Szenerie. Der Restist Blitz und Donner: Von zwei senkrecht ge-spannten haarfeinen, geschwärzten Saiten ge-führt, fährt vom Bühnenolymp herab blitzschnellein vorne vergoldeter, hinten bleibeschwerterBlitz vor dem Schwimmenden ins Meer und wei-ter in die Bühnenunterwelt. Im gleichen Augen-

blick entrollt sich von oben ebenso blitzschnellein schmaler Teilprospekt, der die gleichenWogen und Schiffswracks zeigt wie der Haupt-prospekt, nur ohne den schwimmenden Aias, derso vom Meer verschlungen scheint. Unter demdumpfen Donner von Bleikugeln, die auf ein ge-spanntes Fell herabfallen, schliessen sich zumletztenmal die Bühnentüren.

Heron spendet seinem Kollegen Philon fürdiese Leistung neidlos Applaus. Die älterenGuckkastenbühnen mit automatisch auf- undzuspringenden Türen und automatisch wechseln-den Prospekten hätten es, so Heron, jeweils nurauf drei Bilder mit vergleichsweise einfachen Be-wegungen gebracht: eine Theatermaske mit Klim-peraugen auf der festen Rückwand und zwei da-vor herabfallende Leinwandprospekte. Aber auchunter den jüngeren Versuchen scheine ihm Phi-lons Automatenfassung des Sophokleischen«Nauplios» besonders gelungen. Eine einzige kri-tische Anmerkung kann Heron dann doch nichtunterdrücken: Den technisch aufwendigen Büh-nenkran, der die strafende Athene im 5. Bild zumfulminanten Finale heranschwenkt, hätte Philonsich sparen können. Er, Heron, hätte die Göttinin flachem Relief gefertigt und mit einem Schar-nier auf dem Bühnenboden befestigt; man hättesie dann kurzerhand - oder vielmehr automatisch:kurzen Hebels, kurzen Fadens - zu ihremBlitzauftritt hochklappen und wieder flachlegen

kÖnnenKlaus Bartels

Sternbilder der ArchitekturTumultuöser Kongress und Ausstellungsparcours in Barcelona

Es gibt auch eine Weltlage der Architektur.Orientierungshilfen bieten zunächst jene Grossender Baukunst, die ihr Metier vornehmlich aufinterkontinentalen Rügen zu betreiben scheinen.Der Medienerfolg der Architektur hat die Nach-frage in einem Masse gesteigert, dass laufendneue Stars und Starlets am Architekturhimmelaufgehen, die parallel zu den schon bekanntenSteinen ihre Kreise ziehen - irgendwo zwischenLondon und Hongkong, zwischen Kuala Lumpurund Los Angeles. Dass eine ganze Stadt in Alarmversetzt wird, wenn diese Konstellation einesTages /// corpore auf sie niedergeht, kann nichtverwundem.

Solches ereilte im Juli die Stadt Barcelona. ImVorfeld des 19. Weltkongresses der Architekten(UIA 96) war viel von thematischer Kohärenz,von Plattformen zur Diskussion wirklicher Pro-bleme die Rede gewesen. Nur ja kein kulturellerSupermarkt, hiess es - und das Aufgebot anMegastars bitte nur als unvermeidliche Rand-erscheinung. Auch für Architekten gilt aber diepsychologische Binsenwahrheit, dass genau das,

was man am meisten befürchtet, in unvorstell-barem Ausmass wahr wird. Daher diese Mi-schung aus Fiasko und Riesengaudi, die den bar-celonesischen UIA-Kongress kennzeichnete: derKollaps, den er schon am ersten Morgen erlitt(NZZ 11. 7.96), wurde durch die Verlegung derangekündigten Debatten in Arata Isozakis Sport-palast auf Montjuic flugs in einen Grosserfolg

verwandelt. Es war die buchstäbliche Versetzung

der Architektur auf den Olymp der Massen-phänomene und zugleich das Ende aller Debat-ten, für die nun zwischen den Monologen derWeltelite schlicht keine Zeit mehr war. Eher er-füllten diesen Anspruch einige der unzähligenParallelveranstaltungen - etwa das Seminar zumThema «Architektur und Kommunikation».

Dieser Marathon führte zu einer Übersättigung

der Stadt mit Architekturausstellungen - an diezwanzig insgesamt -, die so weit entfernte Inhaltewie Dalis Verhältnis zur Architektur und ein inter-nationales «Freundschaftsspiel» der Stuhldesi-gner verbanden. Architektur nahm vorübergehend

fast sämtliche kulturellen Institutionen Barcelonasin Beschlag. Die wichtigsten Ausstellungen sindnoch bis in den Herbst hinein zu sehen. Darunterdie schon in New York gezeigte Schau zumThema «Light Construction» (NZZ 19. 10. 95)

sowie drei Ausstellungen, in denen die jüngerekatalanische, spanische und europäische Archi-tektur Revue passieren.

Im Mittelpunkt des Reigens stehen indessendie beiden Grossausstellungen in der Casa de Ca-ritat (CCCB). Im Erdgeschoss sondiert Josep

Lluis Mateo unter dem Titel «Barcelona Contem-poränia» ungewöhnlich präzis und, wo immermöglich, unter neuen Gesichtspunkten Barcelo-nas urbanistische Entwicklung seit 1856. Ein bis-her vernachlässigtes Kapitel der Stadtgeschichte

bilden namentlich die zwischen 1950 und 1970aus dem Nichts entstandenen Einwandererviertel.Mateo wirft erstmals einen unvoreingenommenen

Blick auf jene in Windeseile errichteten Gross-überbauungen, die als Antwort auf die damals zu-nehmend das Weichbild der Stadt prägenden

Bidonvilles zu verstehen sind und die jährlich biszu 130 000 neue Einwohner aufnahmen.

Vorwiegend Grossprojekte, diesmal aber welt-weit und strikt nach aktuellen Kriterien ausge-wählt, sind unter dem Titel «Present and Futures.Architecture in Cities» in den oberen Geschossendes CCCB zu sehen. Ignasi de Solä-Morales hatdas nicht gerade scharf konturierte Thema in jene

fünf Begriffe aufgeschlüsselt, die auch die letztlichvirtuell gebliebenen Debatten des Architekten-kongresses gliedern sollten: Mutations, Habita-tions, Flows, Containers, Terrain Vague. Tatsäch-lich wird hier, vom Passagierterminal des Foreign

Office in Yokohama über Norman Fosters ChekLap Kok Airport in Hongkong bis zu StevenHolls amerikanischen Edge-of-a-City-Projekten,all das zelebriert und ausgebreitet, was demgegenwärtigen Diskurs der Weltarchitektur seineStichwörter liefert: Flüchtiges, Fragiles, Fragmen-tarisches, Transitorisches. Und wenn immer mög-lich Gigantisches. Von architektonischer Formbleibt da oft nur noch ein photogener Schimmer.Dass diesem medial geprägten Architekturver-ständnis auch der Katalog entspricht, kann nichtdem Graphiker Ramon Prat zur Last gelegt wer-den. Vielmehr sind seine abgerundeten, wie Ein-klebebilder aus einem Silva-Buch wirkendenArrangements wohl der beste Ausdruck dafür.

Markus JakobBis zum 27. Okiober in der Casa de Giritat. Kataloge: Bar-

celona Contemporania, 3600 Pfcis ; Present and Futures. 5000Pias. - Light Construction ist bis zum 13. Oktober zu sehen, dieweiter erwähnten Ausstellungen bis zum 8. September.

Präsent, aber ausgeblendetWillie Doherty in der Kunsthalle Bern1993 ist er an der Biennale von Venedig aufge-

fallen. 1994 wurde er für den Turner-Preis nomi-niert, und nun, kurz nachdem ihn das PariserMusee d'Art Moderne ausgestellt hat, ist WillieDoherty, der wohl bedeutendste zeitgenössische

Künstler Nordirlands, in der Berner Kunsthallezu Gast. In seinem Videoraum «The Only GoodOne is a Dead One» (1993) herrscht Patrouillen-stimmung. Rechts sieht man durch die Wind-schutzscheibe eines parkierten Autos hinaus aufeine nächtliche Vorstadtszenerie im rotorangenLicht der Strassenbeleuchtung. Langsam kreuzendie Pkw, ein Passant geht quer durch das Bild. Ander Wand gegenüber bewegt man sich als Beifah-rer über eine f instere Landstrasse. Die Lichtkegel

der Scheinwerfer streifen schlechten Asphalt,hohes Gras, Weidezäune. Monologisch alternierteine Männerstimme zwischen der Angst und derPhantasie, Opfer oder Täter zu sein.

Das Low-key-Notturno spielt in der Gegend

von Derry. Hier wurde Doherty 1959 geboren,

hier lebt er. Leitmotiv seiner Videos, photogra-phischen und audiovisuellen Arbeiten ist dieMediatisierung des Kolonialkonflikts, der in

Zeitgenössische Kunst aus AfrikaEine Ausstellung im Völkerkundemuseum

Seite «Zürcher Kultur»

Ulster ausgetragen wird. Nach den Hoffnungen

der letzten zwei Jahre auf einen politischen Dia-log ist ein «permanent peace settlement» wiedertragisch weit entfernt.

Mit zwölf hat Willie jenen horriblen «BloodySunday» miterlebt, an dem dreizehn Menschenvon britischen Soldaten erschossen wurden:«Nachher hat man uns gesagt, dass nichts passiert

sei.» Doherty steht weder auf der Seite der Natio-nalisten noch der Loyalisten. Er nimmt nicht Par-tei, sondern dekonstruiert die Techniken, mitdenen die Medien von Gewalt und Hass berich-ten, da das Wesen der visuellen und verbalenSprache geschlossen sei. Mit seiner Kunst ver-sucht er diese Sprache zu knacken, indem er para-phrasiert und bricht, was jeder vom realitäts-klitternden Infotainment her kennt: etwa diewacklig bewegten Bilder einer auf den Boden ge-

richteten Kamera; ein Stiefelpaar, das sich denWeg durch einen Ho-Chi-Minh-Pfad bahnt,Atemgeräusche («No smoke without fire», 1994).Süchtig nach Spannung mutmasst der Betrachter,das Aufspüren eines IRA-Schlupfwinkels serviertzu bekommen. Aber bevor nur irgend etwas pas-siert, bricht die Filmsequenz ab, um im Endlos-loop wieder von vorne zu beginnen.

Doherty gibt nichts auf Fakten. Zwarstnd Ge-walt und Vandalismus in seinem Werk suggestivpräsent, bleiben aber ausgeblendet. Der Betrach-ter verharrt im Ungewissen. Je nachdem wie ergeleitet und ver-führt wird, konstruiert sich derFernsehzuschauer sein Bild von der Realität.«The medium is the message», sagt der kanadi-sche Medienphilosoph McLuhan, und der Apo-kalyptiker Baudrillard doppelt nach: «Das Wirk-liche ist längst durch das

imaginäreersetzt wor-

den.» Doherties Dialektik ist verzwackt. Er unter-miniert die binäre Reduktion von Sachverhalten.Statt einer Synthese schafft er Hybride, unterlegt

seine Bilder akustisch mit Sätzen von Opfern undAttentätern ohne Unterschied in der Diktion. DasDiapositiv eines Frauengesichts wird an zweigegenüberliegende Wände projiziert. Der Stil desgrobkörnigen Porträts lässt an Fahndungsphotos

denken. Eingeblendete Textstreifen identifizierendie Frau einmal als «Mörderin», einmal als «Frei-willige». Sie ist beides; die Grenze zwischenSchuld und Unschuld bleibt offen.

Doherty ist kontrovers, ohne widersprüchlichzu sein. Er filmt die idyllisch besungene irischeLandschaft gerade so lakonisch wie eine Über-wachungskamera die Tiefgarage. Er schafft Meta-phern der Frustration. Und doch ist die Autofahrtvon «At the End of the Day» (1994) quasi touri-stisch und liebreich, mit ihrer serenen Abendstim-mung im Grünen. Selbst die hinter der Kurve auf-tauchende Strassensperre bleibt ohne unmittel-baren Schrecken. Wie Teile eines Mahnmals ver-riegeln die überwachsenen Betonblöcke den Weg,

der ins Dunkel führt: symbolhaft für die Vergan-genheit und unmittelbar in der Gegenwart.

Juri SteinerZur Ausstellung «Im Dunkeln. Projizierte Arbeiten« der

Kunsthalle Bern ist ein Buch in Deutsch und Lnglisch erschie-nen, mit Texten von Carolyn Christov-Bakargiev und UlrichLoock. Der Katalog zur Ausstellung im Musee d'Art Modernede Id Ville de Paris ist als Lektüre ebenfalls empfehlenswert. Bis1 .

September

Jürgen Becker

Glaubt man zu kennen. Man kann es sosagen, auch wenn es Erfindungen sind. Variatio-

nen,Übersetzungen aus einer Sprache, die nichtaus Wörtern gemacht ist. Ein Ausschnitt vielleichtaus der Gegend von Gestern, eine Schichtim Gedächtnis, die plötzlich freiliegt, und man

siehtwieder, was man nicht sieht. Die Spurist gegeben, breit und begrenzt, und sie ist Teileines weiteren möglichen Systems, dasnoch die Einzelheiten zurückhält. Man glaubt es

zu kennen, aus der Nähe, ein Feld der Entwürfe.

Neue Zürcher Zeitung vom 05.08.1996