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Fremdsprache
DeutschZeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts
Heft 39 I 2008
Hueber Freude an Sprachen
Textkompetenz
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Spielend
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Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008
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IMPRESSUMFremdsprache Deutsch
Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts
herausgegeben vom Vorstand des Goethe-Instituts und
Peter Bimmel, Christian Fandrych, Britta Hufeisen,
Rainer E. Wicke im Verlag Hueber GmbH & Co KG, Ismaning
Schriftleitung und Vertretung des Goethe-Instituts:
Werner Schmitz
Verantwortliche Themenheftherausgeberin:
Sabine Schmölzer-Eibinger
Redaktion: Veronika Kirschstein
Gestaltung und Realisation: Thomas Schack
Anzeigenleitung: Hueber Verlag GmbH & Co KG
Druck: Ludwig Auer GmbH, Donauwörth
Titelbild: MHV-Archiv (Katharina Kiermeir)
Themen der nächsten Hefte:
• Integriertes Sprach- und Fachlernen (CLIL)
• Blended Learning
• Kooperatives Lernen
Ein Einzelheft „Fremdsprache Deutsch“ kostet EUR 9,60
zuzüglich Versandkosten. Ein Jahresabonnement umfasst
zwei reguläre Ausgaben und kostet EUR 16,50 zuzüglich
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© Die Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte
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Kontakt Verlagsredaktion:
Annette Albrecht
Tel.: +49 (0)89-9602-233, Fax: +49 (0)89-9602-254
E-Mail: fremdsprache-deutsch@hueber.de
ISBN 978-3-19-399183-6
ISSN 0937-3160Heft 39/2008
EDITORIALLiebe Leserinnen und Leser,
die Fragen „Textkompetenz? Noch ein neuer Begriff? Brauchen wir den?“ stehen am Beginn des Einführungsartikels, und nicht nur seine Autoren, die Heftherausgeberin Sabine Schmölzer-Eibinger und Paul Portmann-Tselikas, bejahen eindeutig die-sen Begriff, auch die übrigen Beiträge bestätigen ihn, indem sie die verschiedenen Facetten beleuchten, die er bündelt.
So geht es um • erfolgreiche Lektüre, deren Nutzung und schriftliche
Verarbeitung – mit Aufgabenbeispielen aus einer fachsprach-lich orientierten Unterrichtssequenz (Thonhauser)
• die Wechselwirkung zwischen Textmerkmalen und Lese-
bzw. Hörprozessen, gezeigt anhand eines Beispiels aus der Unterrichtspraxis zum beobachtenden Lernen (Rijlaarsdam,Braaksma)
• ein didaktisches Modell zum schrittweisen Aufbau von Textkompetenz für vielfältige Lernsituationen (Schmölzer-Eibinger)
• Leseverhalten und Lesestrategien angesichts in Fachtexten üblicher komplexer deutscher Satzmuster (Hornung)
• lexikalische Kompetenz als die Fähigkeit, Wörter im jeweili-gen Kontext adäquat zu verwenden (Auf der Maur Tomé)
• die Sensibilisierung Lernender für die vielfältigen Funktionen sprachlicher Mittel durch differenzierte Schülertext-Analyse (Feld-Knapp)
• die Nutzung und – angesichts ihrer Kulturspezifik – die „Gefahren“ von automatisiertem Wissen über Textsorten und -muster (Hufeisen)
• Verfahren zum reflektierten Umgang der Lernenden mit Fachtexten und eigenen Schreibprozessen in einem studien-begleitenden Kurs – dargestellt anhand von kommentierten Aufgabenbeispielen (Mohr)
• Lernangebote zum wissenschaftlichen Schreiben im deutsch-sprachigen Raum (Ballweg)
In dieser 39. Ausgabe nehmen wir eine Tradition wieder auf,die es lange vor Bastian Sick (Der Dativ ist dem Genitiv seinTod. Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen
Sprache.) schon in FREMDSPRACHE DEUTSCH gab, nämlich – oft bewusst unabhängig vom jeweiligen Thema – seit Heft 1(1989): die „Sprachecke“. Als Autor konnten wir einen der profi-liertesten und renommiertesten Sprachwissenschaftler dafür gewinnen: Peter Eisenberg! Wir danken ihm dafür und freuen uns auf seine Beiträge, hier beginnend – natürlich – mit dem Genitiv …
Mit den besten Grüßen,
Ihr Werner Schmitz Goethe-Institut München
Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008
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Textkompetenz – ein neuer Begriff
Der erste Teil des Kompositums „Textkompe-tenz“ bezeichnet einen Gegenstandsbereich: Es
geht um Texte, um Textuelles, um Textualität –
und damit um etwas, was dem Bereich der
Schriftlichkeit nahesteht, auch wenn es sich
nicht immer mit ihm deckt. Der zweite Teil –
Kompetenz – bringt auf den Punkt, worum es
hier hauptsächlich geht: Es ist die individuelle
Fähigkeit, Texte lesen, schreiben und zum Ler-
nen nutzen zu können.
Mit einigen Phänomenen, die in diesem
Zusammenhang eine Rolle spielen, waren wir
schon immer befasst. Ein Versuch, sie begrifflichfür die Didaktik zu nutzen, ist die Lehre von den
vier Fertigkeiten Hören, Sprechen, Lesen und
Schreiben. Diese vier Fertigkeiten erlauben es,
die unterschiedlichen Modalitäten des Sprachge-
brauchs zu benennen und das Mündliche vomSchriftlichen sowie das Rezeptive vom Produkti-
ven zu unterscheiden. Allerdings haben wir mit
dem Reden über die vier Fertigkeiten noch keine
didaktisch wirklich hilfreiche Unterscheidung –
etwa im Hinblick auf die im Sprachunterricht
zentrale Frage, wie schwierig eine Aufgabe ist. Es
ist zwar immer wieder behauptet worden, die
vier Fertigkeiten könnten in einer Skala nach
Schwierigkeitsgrad geordnet werden, und es mag
auch abstrakte Gesichtspunkte geben, die eine
derartige Aussage plausibel machen. Praktisch
stimmt dies jedoch nicht. Das Hören ist nicht in jedem Falle einfacher als das Sprechen, das
Schreiben keinesfalls generell schwieriger als das
Lesen, und viele Lernende ziehen das Lesen dem
Textkompetenz
„Textkompetenz? Noch ein neuer Begriff? Brauchen wir den?“ Unsere Antwort auf diese Fragen ist
positiv: Ja, diesen neuen Begriff brauchen wir – und es ist schade, dass wir ihn nicht schon seit Langem
haben. Denn dieser Begriff erlaubt es, bekannte Phänomene des Sprachgebrauchs und des Unterrichts
aus einer neuen und interessanten Perspektive zu sehen.
Von Paul R. Portmann-Tselikas und Sabine Schmölzer-Eibinger
© fotolia / Sunnydays
Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008
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Textkompetenz6
Hören vor. Neben der Sprachmodalität spielen
offenbar noch ganz andere Aspekte eine Rolle,
wenn es darum geht, Schwierigkeiten einzu-
schätzen. Die Herausforderung liegt darin, dies
auf einer generalisierbaren Ebene zu verdeutli-chen. „Textkompetenz“ ist der zentrale Begriff,
den wir bei der Beurteilung der sprachlichen und
kognitiven Leistungen in einer bestimmten
Situation verwenden, und wenn es darum geht,
zu beurteilen, welche Leistungen erbracht wer-
den müssen, um den jeweiligen Ansprüchen
gerecht zu werden.
Unser erstes Ziel ist es, Typen von Situationen
sprachlichen Handelns zu beschreiben und auf-
zuzeigen: Welche Fähigkeiten sind gefordert,
wenn sich Lernende in diesen Situationen
sprachlich zurechtfinden wollen? Unser zweites
Ziel ist es, zu zeigen, wie der Begriff der „Text-
kompetenz“ dazu benutzt werden kann, Paralle-
len und Ähnlichkeiten in verschiedenen Konstel-
lationen des Unterrichts herauszustellen. Wir
werden uns hier vor allem mit dem Fremdspra-
chen- und dem Zweitsprachenunterricht
beschäftigen. Es ist dann die Aufgabe der weite-
ren Beiträge in diesem Heft, konkrete didakti-
sche Modelle mit dem Fokus auf Textkompetenz
vorzustellen.
Je mehr Information eine Person in einem Zugevermitteln will, desto texthafter wird ihre
Äußerung sein müssen
Sprachgebrauch: ein differenziertes FeldJim Cummins (1991, 79) weist in seiner Analyse
des zweitsprachigen Lernens auf zwei relevante
Aspekte hin, nach denen Sprachgebrauch analy-
siert werden kann. Wir nennen sie hier, etwas
von Cummins abweichend, die „Dimension der
Textualität“ und die „Dimension der themati-schen Orientierung“. Sie lassen sich kurz folgen-
dermaßen charakterisieren:
Dimension der Textualität: Je mehr Informati-
on eine Person in einem Zuge vermitteln will,
desto texthafter wird ihre Äußerung sein müssen,
desto höhere Anforderungen an inhaltliche und
sprachliche Kohärenz muss sie erfüllen. Ein kur-
zer Redebeitrag im Rahmen eines Dialogs stellt
eher geringe Anforderungen. Kohärenz im Rah-
men von Gesprächen wird ad hoc hergestellt und
kann implizit bleiben, muss also höchstens teil-
weise sprachlich markiert werden. Kohärenz imRahmen von Texten dagegen muss in den Text
„eingebaut“ werden, also so weit sprachlich
explizit gemacht werden, dass die inhaltlichen
Bezüge nachvollziehbar sind – unabhängig
davon, wann und wo jemand den Text hört oder
liest.
Dimension der thematischen Orientierung: 1
Je mehr sich ein Beitrag an den Gegebenheitenund Erfahrungen des Alltags orientiert, desto
leichter fällt in der Regel das Reden und Verste-
hen. Je stärker sich ein Beitrag an strukturierten
Wissensbeständen, etwa eines Berufsfeldes,
eines Faches oder einer wissenschaftlichen Dis-
ziplin orientiert, desto größer ist der Einfluss vor-
geprägter Sichtweisen und Begriffe. Das Reden
wird „schwieriger“ in dem Sinne, als fachliche
Kriterien vorhanden sind, an denen man sich
orientieren muss. Oder einfach gesagt: Über den
Regen von gestern kann jeder etwas sagen, über
die Vor- und Nachteile der letzten Pensionsre-
form kann nur derjenige etwas Vernünftiges
sagen, der sich ein gewisses Wissen dazu ange-
eignet hat.
Stellt man diese zwei Dimensionen als zwei
sich senkrecht schneidende Geraden dar, die das
große Feld des Sprachgebrauchs unterteilen, so
ergeben sich vier Quadranten:
Wenn wir aus dieser Perspektive auf den Sprach-gebrauch schauen, können wir vier prototypi-
sche Formen des Umgangs mit Sprache benen-
nen – und es wird sich zeigen, dass diese für das
Sprachlehren und -lernen wichtig sind:
• Der erste Quadrant umfasst vor allem den
„Bereich der mündlichen Alltagskommunika-
tion“: Beziehungspflege („Wie geht es dir
heute?“, „Du schaust blass aus“ …), Organisa-
tion des gemeinsamen Tuns („Gehen wir
heute ins Kino?“, „Welchen Film schauen wir
uns an?“), Einkaufen, Gespräche über den
Gartenzaun etc. Das ist der Bereich der Kom-munikation, in dem alle Menschen in einer
Gesellschaft bis zu einem gewissen Grad über-
einkommen und den Kinder in ihrer Entwick-
thematische Orientierung:
Welt des systematisierten Wissens
3 4
dialogisch textuell
organisiert durchformt
1 2
thematische Orientierung:
Welt des Alltags
Abb. 1: Die vier Quadranten
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Textkompetenz 7
lung zuerst kennenlernen – und es ist gleich-
zeitig auch der Bereich, der in fast jedem
Fremdsprachenunterricht den Anfängerunter-
richt dominiert. Diese Welt der Alltagskommu-
nikation ist vorwiegend mündlich. Einkaufs-zettel, kurze Notizen, SMS, die Kommunikati-
on in Chatrooms etc. zeigen aber, dass auch
das Schriftliche hier einen Platz hat.
• Der zweite Quadrant umfasst jenen Sprachge-
brauch, der noch der Welt des Alltags und sei-
ner Sichtweise verpflichtet ist, aber textuell
geformt ist. Die Information, die hier ins Spiel
kommt, muss, um verständlich zu bleiben,
kohärent und nachvollziehbar formuliert wer-
den. Prototypisch sind hier (mündliche und
schriftliche) Alltagserzählungen, Gute-Nacht-
Geschichten, Trivialliteratur, Zeitungstexte mit
Alltags- und Personenbezug, wie sie etwa in
In der kindlichen Entwicklung bieten
Alltagserzählungen, Märchen und andere
kurze Geschichten den ersten Kontakt mit
der Welt der Texte
Gratiszeitungen und Boulevardmedien er-
scheinen. In der kindlichen Entwicklung bie-
ten Alltagserzählungen, Märchen und andere
kurze Geschichten den ersten Kontakt mit der
Welt der Texte und den Anforderungen an das
Verstehen und Produzieren von zusammen-
hängenden Äußerungen, die über das unmit-
telbar Dialogische hinausgehen. Texte dieser
Art sind auch im Mutter- und im Fremdspra-
chenunterricht wichtige Elemente des Unter-
richts. Sie bilden eine Brücke zwischen der
Umgangssprache und der Hochsprache, zwi-schen Dialog und Text, zwischen dem simplen
Erleben und der Darstellung und Reflexion
eigener und fremder Erfahrungen.
• Im dritten Quadranten ist Sprachgebrauch
nicht textuell durchformt, er ist der Typik nach
also mündlich und dialogisch geprägt. Aber er
ist gekennzeichnet durch den Bezug zu einem
strukturierten, übergreifenden Wissen. Kinder,die ihre Eltern mit „Warum“-Fragen quälen,
verlassen die Schemata alltäglicher Lebensbe-
wältigung und wollen Ursachen, Gründe, die
Herkunft von diesem und jenem erfahren. Sie
machen den Sprung aus dem alltäglichen
Agieren in das mehr oder weniger distanzierte
Beobachten und Befragen dessen, was ist.
Genau das tun auch etwa Politiker in Diskussi-
onsrunden im Fernsehen, Experten im Inter-
view, Freunde, die miteinander fachsimpeln,
Lehrkräfte, die mit ihren Klassen zusammen
ein Thema erkunden. Ihnen allen geht es um
das Erklären, Begründen, Suchen von Zusam-
menhängen, also um genau das, was schon
das Kind mit seinem „Warum?“ einfordert.
Schriftlich festgehalten werden solche Dinge
in Interviews, und wer in Vorbereitung auf
eine Schulstunde oder eine größere schriftli-
che Arbeit Stichwörter und kurze Notizen hin-
schreibt, bewegt sich ebenfalls in diesem Feld.
• Der vierte Quadrant ist der Gegenpol zum ers-
ten – er ist gekennzeichnet sowohl durch
Textualität wie auch durch Orientierung am
systematischen Wissen. Es ist dies der prototy-
pische Bereich der Sachtexte, in denen es
darum geht, „Welt“ in Sprache zu fassen und
nachvollziehbar auszudrücken, wie Phänome-
ne zustande kommen und welche Wirkungs-
zusammenhänge ihnen zugrunde liegen. Es
geht also um Antworten auf Fragen wie bei-
spielsweise die nach den Bedingungen für die
Bildung von Regenfronten, den Motiven fürdie letzten außenpolitischen Entscheidungen
der amerikanischen Regierung, den Aufbau
und die Funktion von Kapillargefäßen in
Abb. 2: Märchen erzählen – prototypischer Sprachgebrauch
des zweiten Quadranten.
Abb. 3: Beispiel für Sprachgebrauch des dritten Quadranten:
eine Podiumsdiskussion.
©
M H V A r c h i v
©
e p d / J ö r n N e u m a n n
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Textkompetenz8
Pflanzen oder die Regularitäten des Verhaltens
der deutschen Wechselpräpositionen. Wie
schon diese Beispiele zeigen, bilden wissen-
schaftliche Texte eine wichtige Gruppe in die-
sem Bereich. Diese liefern auch für die Sachfä-cher der Schule die relevanten Fragestellungen
und Begriffe. Es sind vor allem solche Texte,
die das systematische Wissen bereitstellen, das
für eine Wissensgesellschaft wie die unsere
mehr und mehr zum zentralen Faktor wird.
Trotz der Dominanz des Schriftlichen gibt es
in diesem Bereich aber auch mündliche For-
men des Sprachgebrauchs, die textuell durch-
formt und thematisch orientiert sind – zu nen-
nen sind hier etwa ausführliche Erläuterun-
gen, Vorträge und Vorlesungen.
Wir nehmen nicht in Anspruch, dass mit dieser
Kategorisierung das Feld des Sprachgebrauchs
erschöpfend beschrieben wäre. Aber die hier ein-
genommene Perspektive erlaubt es, Unterschie-
de in den Blick zu nehmen, die für jede sprach-
gebundene Kommunikationssituation und vor
allem für den Unterricht von Bedeutung sind.2
Die individuelle Seite: KommunikativeBasiskompetenz und TextkompetenzBetrachten wir dieses gesamte Feld und fragen wir
uns, was jemand können muss, um in den jeweili-gen Bereichen sprachlich bestehen zu können, so
sehen wir einen stabilen Pol im ersten Quadran-
ten, der für alle Menschen zumindest in ihrer
Muttersprache der Ausgangspunkt der sprachli-
chen Entwicklung ist. Cummins nennt die Kom-
petenz, die hier gefordert ist, „basic interpersonal
communication skills“, wir können das überset-
zen als „kommunikative Basiskompetenz“.
Kaum jemand ist in seiner sprachlichen und
kommunikativen Kompetenz auf diesen Bereich
beschränkt. Jeder macht im Laufe seiner Ent- wicklung Erfahrungen, die darüber hinausgehen.
Das Erzählen von Geschichten auf der einen, das
Erklären von Erscheinungen und Zusammen-
hängen auf der anderen Seite – das gehört in
allen Kulturen, auch in schriftfernen, zu den zen-
tralen Formen sozialen und kommunikativen
Verhaltens. Allerdings gibt es hier Unterschiede,
denn bei Weitem nicht alle Menschen nehmen in
gleichem Umfang und in gleicher Intensität an
solchen Aktivitäten teil. Das mag individuelle
Neigungen spiegeln, es zeigen sich hier aber vor
allem auch die Folgen unterschiedlicher sozio-kultureller und ökonomischer Bedingungen.
Diese führen dazu, dass die einen über einen
besseren Zugang zu den komplexeren Formen
des Sprachgebrauchs verfügen als die anderen
und von daher auch aktiver und zielgerichteter
in diesen Bereichen handeln können – sowohl
rezeptiv als auch produktiv, sowohl mündlich
wie auch schriftlich.
Eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigsteFunktion der Schule ist die Wissensvermittlung
Diesen Zugang eröffnen in unserer Gesellschaft
zunächst die Familie und anschließend die Schu-
le. Eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste
Funktion der Schule ist die Wissensvermittlung –
und die lässt sich nicht allein auf der Grundlage
einer kommunikativen Basiskompetenz und der
damit verbundenen Sprachkenntnisse bewerk-
stelligen. Vielmehr nimmt jedes einzelne schuli-
sche Fach Anleihen bei seiner Bezugswissen-
schaft, und mit den Begriffen und Sichtweisen
des Faches kommen neue und andere Anforde-
rungen ins Spiel: Einerseits sind das sprachliche
Anforderungen, etwa Fachvokabular und ein dif-
ferenzierter allgemeiner Wortschatz, ohne die die
Denkweise und die Erkenntnisse einer Disziplin
nicht sprachlich abgebildet werden können.
Andererseits sind dies textuelle Anforderungen.
Es geht hier um Formulierungen, bei denen es
auf Genauigkeit und Trennschärfe ankommt,sowie um die Fähigkeit, mit sprachlichen Mitteln
eine kohärente Vorstellung von der Sache zu
erzeugen.
Mit einem aus der Psychologie entlehnten Be-
griff können wir das auch so ausdrücken: Es geht
hier um die Kompetenz, aufgrund komplexer
sprachlicher Information sachgerechte „mentale
Modelle“3 aufbauen zu können – rezeptiv und
produktiv. Und die sprachliche Grundform, die
die Konstitution solcher Modelle leistet, ist derText.
Diese sprachliche und kognitive Fähigkeit
nennt Cummins „cognitive-academic language
Abb. 4: Wissensvermittlung in der Schule
© i S t o c k / D r . H e i n z
L i n k e
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Textkompetenz 9
proficiency“. Wir nennen sie hier kurz „Textkom-
petenz“. Der Kernbereich ihrer Anwendung liegt
im 4. Quadranten: es ist eine Kompetenz, die wir
vor allem in der Auseinandersetzung mit Texten
und Themen erwerben. Sie besteht in der Fähig-keit, sprachbasiert zu denken und dabei Wissen
zu strukturieren – auch unabhängig von unmit-
telbaren Erfahrungen und Erlebnissen. Dies
erfordert die Kenntnis komplexer Begriffe und
Konzepte, die es erlauben, über eine Sache expli-
zit und unmissverständlich Auskunft zu geben.
Das heißt: Es ist eine in der Schule notwendig
geforderte, allerdings eine nicht nur dort erwor-
bene Kompetenz.
Zwei Aspekte sind hier bemerkenswert:
• In der sprachlichen Entwicklung nähern sich
K inder dieser Kompetenz schon vorschulisch
durch Aktivitäten im zweiten und dritten
Quadranten an. Kinder, die in ihrer Umge-
bung intensiv mit Berichten und Erzählungen
auf der einen Seite sowie Beschreibungen,
Erklärungen und Argumenten auf der anderen
Seite in Kontakt gekommen sind, haben in der
Regel einen leichteren Zugang zu den schu-
lisch vermittelten Wissensbeständen: Sie
haben entsprechende Denkweisen, Formulie-
rungsroutinen und Kommunikationsschemata
bereits aufgebaut, wenn sie in die Schule kom-men und können auf dem Stand ihrer sprach-
lichen Entwicklung fortfahren. Kinder, die
diese Chance nur in geringem Maße bekom-
men haben, haben demgegenüber häufig gra-
vierende Probleme mit den Anforderungen,
die die Schule und der formale Wissenserwerb
stellen.
Die beiden Kompetenzen, „kommunikativeBasiskompetenz“ und „Textkompetenz“, stehen
in Kontakt und beeinflussen einander
• Kompetenzen im Umgang mit Texten und mit
formalem Wissen strahlen auf die anderen
Bereiche des Sprachgebrauchs ab. Deutlich
zeigt sich dies bei Fachexperten: Es gelingt
ihnen, Aspekte ihres Wissens auch im Mündli-
chen präzise und fachgerecht, oft „wie ge-
druckt“ weiterzugeben. Nicht selten haben
solche Personen auch ein lebendiges Verhält-
nis zu den Gegebenheiten, die über das rein
Fachliche hinausgehen: Ein Interesse für
Geschichten, Erzählungen und Literatur. Undnicht selten macht sich dieser Hintergrund
auch noch in der Art des Sprachgebrauchs im
Alltagsbereich bemerkbar.
Die beiden Kompetenzen „kommunikative
Basiskompetenz“ und „Textkompetenz“ stehen
also – obwohl einander scheinbar diametral ent-
gegengesetzt – durchaus in Kontakt und beein-
flussen einander.Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben sind
dementsprechend nicht an sich schwierig oder
leicht. Was uns schwer oder leicht fällt, ist das,
was wir sprachlich zu bewältigen haben, wenn
wir sprechen, hören, lesen oder schreiben. In
einem gewissen Sinne ist dies selbstverständlich.
Aber diese Selbstverständlichkeit ist eine zwei-
schneidige Sache. Viele Lehrerinnen und Lehrer
waren gute Schülerinnen und Schüler, sie haben
die Härten und Schwierigkeiten, die in den hier
dargestellten Verhältnissen liegen, selber kaum
erlebt. Die verschiedenen Bereiche des Sprach-
gebrauchs scheinen ihnen alle gleichermaßen
vertraut und unproblematisch.
Man muss die Probleme von Lernenden,
denen ein adäquater Sprachgebrauch in formalen
Lernsituationen nicht geläufig ist, erst miterleben
und analysieren, um zu sehen, welche Hürden
damit in der schulischen Laufbahn entstehen
können und wie wünschenswert es ist, sie im
Unterricht wahrzunehmen und zu bearbeiten.
Textkompetenz und SprachunterrichtTextkompetenz ist als Basisfähigkeit des Wis-
senserwerbs zentral. Unabhängig davon, ob es
um den „normalen“ Unterricht geht, um einen
integrierten Sach-Fach-Unterricht4 (Content and
Language Integrated Learning = CLIL), um das
Studieren in einer Fremdsprache oder den
Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit
Migrationshintergrund in mehrsprachigen Klas-
sen. Textkompetenz, so könnte man daher sagen,
ist für den Unterricht elementar. Aber gilt dies imBesonderen auch für den Sprachunterricht? Wo
haben wir es hier mit den Schwierigkeiten und
Anforderungen des Wissenserwerbs in einer
fremden Sprache zu tun? Geht es doch im Sprach-
unterricht vor allem darum, die Sprache zu ver-
mitteln und weniger darum, Sprache als Träger
von Wissen einzusetzen. Und die im Sprachun-
terricht üblicherweise verwendeten Texte – Ge-
brauchstexte, literarische Texte etc. – dienen
doch vor allem der Schulung des Leseverstehens
oder als Gesprächsanlass und weniger als
Grundlage für die Vermittlung und den Erwerbvon Wissen.
Wir möchten im Folgenden zeigen, warum
Textkompetenz auch im Sprachunterricht von
Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008
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Textkompetenz10
Belang ist. Zunächst betrachten wir den Fremd-
sprachenunterricht, dann widmen wir uns dem
Zweitsprachenunterricht mit Migrantinnen und
Migranten.
Fremdsprachenunterrichtund TextkompetenzIm klassischen kommunikativen Fremdspra-
chenunterricht geht es primär um sprachliches
Handeln in Situationen des zielsprachlichen All-
tags. Dinge, die man in der Muttersprache selbst-
verständlich tut, bilden die Basis für das Lernen
der Fremdsprache: Leute begrüßen, sich verab-
schieden, Gebäck einkaufen, beim Arzt über
Schmerzen klagen. Zu diesen Situationen pas-
sende Dialoge werden im Unterricht vorgespielt
oder gelesen und bearbeitet, begleitend dazu
werden die Aussprache-, Grammatik- und Wort-
schatzkenntnisse der Lernenden erweitert.
Zwei Dinge fallen bei diesem Konzept ins
Auge: auf der inhaltlichen Ebene die Tatsache,
dass man in diesem Unterricht hauptsächlich
Sprache und kaum Inhalte lernt, auf der lern-
theoretischen Ebene die Tatsache, dass es vor
allem darum geht, muttersprachlich beherrschte
Sprachhandlungen in der Fremdsprache auszu-
führen. Dies geschieht in einem Kontext höchs-
ter Bewusstheit und Sprachaufmerksamkeit.Mit beiden Charakteristika sind gewisse Pro-
bleme verbunden. Sie sollen hier nacheinander
besprochen werden.
Der Fremdsprachenunterricht und seine Inhalte
Das erste der beiden Charakteristika wurde
schon vor längerer Zeit in aller Deutlichkeit von
Harald Weinrich formuliert, der in seinem Auf-
satz „Von der Langeweile des Sprachunterrichts“
(1985) festgestellt hat, dass man im Sprachunter-
richt „nichts lernt“. Wenn man im Sprachunter-richt nur Sprache lernt, aber in ihm keine Welt
vermittelt wird – wie kann man da der Langewei-
le entgehen? Und kann man so wirklich Sprache
lernen? Weinrichs Antwort ist ein Plädoyer für
(anspruchsvolle) Literatur im Sprachunterricht
und für eine inhaltsreiche, „welthaltige“ Ausei-
nandersetzung. Das ist ein Werben dafür, auch
den Sprachunterricht explizit als Lernsituation in
dem Sinne zu gestalten, dass in ihm nicht nur
die fremde Sprache, sondern auch (mit ihr ver-
bunden) Einsichten und Wissen vermittelt wer-
den. Man kann einige Ansätze der Deutsch-alsFremdsprache-Didaktik in den letzten Jahren vor
diesem Hintergrund als Versuche verstehen, der
Gehaltlosigkeit des Unterrichts entgegenzuwir-
ken und ihn mit mehr Inhalt zu versehen. Dazu
gehört das neu erwachte Interesse an Literatur,
die Bemühungen, Landeskunde in die Sprach-
vermittlung zu integrieren, die Diskussion um
interkulturelle Kommunikation, vor allem aberdie Konzepte des integrierten fremdsprachlichen
Sprach- und Sachlernens (CLIL).
Wie früh diese Konzepte einsetzbar sind,
sodass sie den Unterricht verändern, und wie
weit dies überhaupt möglich ist, ist eine Frage,
der wir hier nicht nachgehen können. In Bezug
auf unser Thema ist jedoch von Interesse, dass
all diese Ansätze darauf abzielen, den Kontakt
mit der Sprache interessant und bedeutungsvoll
zu machen. Die Sprache soll ein Mittel sein,
Neues zu lernen – Sprache soll „arbeiten“, oder
etwas pathetischer ausgedrückt: Die fremdeSprache soll als „Tor zur Welt“ erfahren werden.5
Das ist im Übrigen der Modus, in dem fast jeder
kindliche Spracherwerb stattfindet.
Die fremde Sprache soll als „Tor zur Welt“ erfahren werden.
Mit dieser Forderung nach einer Orientierung an
Inhalten und Sachverhalten befinden wir uns
nun aber genau in den Bereichen der Sprachver-
wendung, die wir oben als Sphären erweiterter
Denk- und Sprachfähigkeiten kennengelernthaben (vgl. die Quadranten 2, 3 und 4). Die For-
men des Sprach- und Weltkontakts, die hier
angedacht sind, lassen sich auf der Grundlage
Abb. 5: Kontakt mit Sprache soll bedeutungsvoll sein
© p a n t h e r m e d i a / S o n j a W .
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alltagsbezogener, kommunikativer Basiskompe-
tenzen nicht gestalten. Es geht vielmehr um ein
reflektiertes Umgehen mit Sprache, das auf
inhaltliches Verstehen sowie auf das Verarbeiten
und Verändern von Gedanken und Konzeptenzielt. Als Antwort auf Weinrichs Klage könnten
wir also sagen: Ein interessanter Fremdspra-
chenunterricht kann sicherlich keiner sein, der
sich primär auf die Repetition von Bekanntem
konzentriert und all die Kenntnisse und Kompe-
tenzen der Lernenden ungenutzt lässt, die
bereits erworben worden sind und die für ein
inhaltsbezogenes, themenorientiertes Lernen in
und mit der Fremdsprache gewinnbringend ein-
gebracht werden können.
Was hier in Bezug auf die Anfänger- und Mit-
telstufe gesagt ist, gilt umso mehr für alle Formen
des Fortgeschrittenenunterrichts. Es ist möglich,
dass das erste Ziel hier „nur“ die Fähigkeit ist,
Gespräche über verschiedenste Themen zu füh-
ren, und dass keine besonderen Kompetenzen im
schriftlichen Bereich angestrebt werden. Auch
wenn dies der Fall ist, ist es schwer zu erkennen,
wie das Ziel erreicht werden könnte ohne eine
intensive Auseinandersetzung mit Informationen
und Formulierungen, wie sie prototypisch in Tex-
ten zu finden sind und wie sie auch anhand von
Texten gelernt werden. Es ist ja geradezu die Defi-nition von Gesprächen (im Gegensatz zu Alltags-
dialogen, die auf die Erledigung praktischer Zwe-
cke ausgerichtet sind), dass sie den Einsatz eines
erweiterten, themenbezogenen Wortschatzes und
adäquater Formen des Ausdrucks erfordern. Das
bemerken Fremdsprachenlernende immer dann,
wenn sie in einem Kreis von Muttersprachlern –
nach der Begrüßung und Fragen über Befinden,
Herkunft etc. – z.B. mit einem angeregten Aus-
tausch über Außenpolitik, gefolgt von Gesund-
heitsfragen, den letzten Neuigkeiten über dengeplanten Generalstreik und schließlich noch mit
der Klage über das schwierige Unterfangen, gute
Handwerker für die Neugestaltung des Hauses zu
finden, konfrontiert werden. Das sind Sachthe-
men, die im Rahmen eines privaten Austausches
mitgeteilt werden, verkürzt und vereinfacht
gegenüber dem professionellen Diskurs und doch
in vielerlei Hinsicht von ihm geprägt. Sie werden
umso interessanter und informativer, je mehr the-
matisches Wissen zur Verfügung steht. Die Fähig-
keit zu Gesprächen solcher Art ist – so paradox
dies klingen mag – nur vor dem Hintergrund einerentwickelten Kompetenz im Umgang mit Texten
zu erlangen. Es ist kein Zufall, dass fast jedes Lehr-
werk auf dieser Stufe seinen Schwerpunkt in der
Auseinandersetzung mit Texten hat, da hier jene
Formen des Sprechens abgeschaut werden, die
für solche Gespräche benötigt werden. Allerdings
bleibt dieser Zusammenhang zwischen Text und
Gespräch im Unterricht meist ganz implizit,sodass jene didaktischen Möglichkeiten zu wenig
ausgeschöpft werden, die sich durch eine explizite
und extensive Nutzung dieser Verbindung erge-
ben.
Abschließend lässt sich sagen: Textkompe-
tenz ist schon im Anfängerunterricht von Bedeu-
tung, sie spielt aber spätestens ab der Mittelstufe
eine entscheidende Rolle – längst bevor sie in
studienbegleitenden Sprachkursen und in spe-
zialisierten Kursen zum Schreiben für Fortge-
schrittene in den didaktischen Fokus rückt.
Fremdspracherwerb – auf welcher Basis?
Die zweite oben angesprochene Charakteristik
lässt sich auf eine einfache Feststellung reduzie-
ren: Unsere traditionelle Fremdsprachendidaktik
setzt eine ganze Palette von Kenntnissen voraus,
die sie nicht selber vermittelt. Sogar, wenn es um
die fundamentalen Anfänge im Fremdsprachen-
unterricht geht, sind im Lernprozess mehr Dinge
involviert als nur die ersten Wörter und Sätze.
Unsere traditionelle Fremdsprachendidaktik setzt eine ganze Palette von Kenntnissen voraus,
die sie nicht selber vermittelt.
Dies wird sichtbar, wenn es um den Unterricht
mit Kindern, Schul-Ungewohnten oder Analpha-
beten geht. In solchen Gruppen sind die unter-
richtlichen Vorgehensweisen, die wir normaler-
weise für angezeigt und sinnvoll halten, kaum
mehr fruchtbringend. Der Unterricht muss auf
ganz anderer Basis erfolgen, soll er die Lernen-
den erreichen.Ein wichtiges Indiz für die Unterschiede, die
hier eine Rolle spielen, ist die Verwendung der
Schrift. Schrift ist im „normalen“ Unterricht von
Anfang an eine wichtige und unverzichtbare
Grundlage des Lernens, am deutlichsten fassbar
im Lehrbuch und in anderen Arbeitsmaterialien.
Die Schrift hält fest, was Gegenstand des Unter-
richts ist, sie erlaubt eigenständiges Arbeiten
und Lernen, sie bildet ab, was gesprochen wird,
und sie ist der Ausgangspunkt für neuerliches
Sprechen. Dies ist ein höchst folgenreicher Sach-
verhalt. Wir möchten hier nur auf einige wesent-liche Punkte hinweisen:
• Schrift analysiert Sprache. Nur in der Schrift
(und nicht im Sprechen) erscheinen die Wör-
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ter als erkennbare, abgetrennte Ganzheiten,
als Objekte. Erst die Reflexion über schriftlich
dargestellte Wörter erlaubt es, von einem Wort
zu sagen, dass es „ein starkes Verb“ oder „ein
Nomen maskulinum mit starker Flexion“ ist. Auch der grammatische Hinweis, dass „in
einem Satz das Subjekt nicht mit dem Verb
übereinstimmt“, ist ein Produkt einer Sprach-
analyse, die auf Schrift basiert. Daran ändert
sich auch dann nichts, wenn dieser Hinweis
mündlich erfolgt – er erfordert vom Adressa-
ten, Subjekt und Verb im Rahmen des Satzgan-
zen zu erkennen und auf die relevanten
Aspekte ihres Verhältnisses (Numerus, Person)
hin zu analysieren. Dies gelingt nur, wenn
man für einen Augenblick die Aussageabsicht
in den Hintergrund stellt, die entsprechenden
Wörter als linguistische Größen betrachtet
und an ihnen spezifische Operationen voll-
zieht (den Singular-Plural-Test zum Beispiel) –
so wie wenn man sie geschrieben vor sich
hätte.
• Schrift isoliert Sprache. K inder lernen erst mit
dem Schrifterwerb, Wörter sicher von dem,
was sie bezeichnen, zu unterscheiden. Mit der
weiteren Entwicklung schriftlicher Kompeten-
zen wird die Sprache immer deutlicher als ein
Gebilde mit eigener Struktur und eigenenRegularitäten erkannt – unabhängig vom
jeweiligen Thema des sprachlichen Austau-
sches. Auf dieser Isolierung beruht die Mög-
lichkeit, sich von Sprache faszinieren zu lassen
oder sich für eine bestimmte Sprache beson-
ders zu interessieren. Letztlich ist auch der tra-
ditionelle Sprachunterricht mit seiner Präsen-
tation von Grammatikkapiteln und seiner
genauen Buchhaltung über den zu lernenden
Wortschatz ein Resultat dieser Isolierung.
•
Schrift erlaubt es, Sprachelemente beliebig zu manipulier en. Die Analyse und die Isolation
von Schrift machen den Weg frei, sprachliche
Elemente ohne Mitteilungsabsicht nach belie-
bigen Gesichtspunkten zu manipulieren. Im
Fremdsprachenunterricht wird dies überdeut-
lich fassbar in den geläufigen schematischen
Darstellungen grammatischer Strukturen, in
Konjugationstabellen, Übungen und Wortlis-
ten jeder Art. Hier werden Sprachelemente
unter meist nicht-kommunikativen Gesichts-
punkten als zusammengehörig dargestellt.
Eine der wesentlichen Korrelationen ist dievon fremdsprachlichem und muttersprachli-
chem Wort. Die Isolierung der sprachlichen
Elemente aus ihren natürlichen Kontexten
führt dazu, dass der direkteste und einleuch-
tendste Weg, sie bedeutungsvoll zu machen,
über die Muttersprache zu führen scheint. Ler-
nende verlassen sich auf diese Art der Korrela-
tion auch dann, wenn Lehrbuch und Lehrkraftversuchen, dies eher zu vermeiden.
Die Transformation von Sprache in einenGegenstand ist im Fremdsprachenunterricht
kaum zu vermeiden
Die Transformation von Sprache in einen Gegen-
stand (in einen „Lernstoff“) ist im Fremdspra-
chenunterricht wie wir ihn kennen kaum zu ver-
meiden – ebenso wenig die Bindung der fremd-
sprachlichen Wörter und Ausdrücke an ihre
(meist) muttersprachlichen Gegenstücke.
Dies mag Schwierigkeiten mit sich bringen, hat
aber zweifellos auch große Vorteile. Der Punkt,
auf den wir die Aufmerksamkeit lenken möch-
ten, ist die Tatsache, dass dieser Modus des Ler-
nens dazu führt, dass in der fremdsprachlichen
Produktion nicht nur Imitation und Reprodukti-
on vorgegebener Wendungen eine Rolle spielen,
sondern auch die Konstruktion neuer sprachli-
cher Ausdrücke durch einzelne Wörter. Dies ver-
langt hohe Bewusstheit, Aufmerksamkeit und
einen sehr gekonnten Umgang mit sprachlichenMitteln im Hinblick auf ein kommunikatives Ziel.
Wo lernen die Schülerinnen und Schüler, einzel-
ne Wörter daraufhin zu befragen, ob sie ihrer
Bedeutung nach in eine Aussage hineinpassen
und ob dieser Ausdruck formal in Ordnung ist?
Wo lernen sie, mit den sprachlichen Zeichen auf
diese ganz und gar nicht alltägliche Weise präzise
zu „rechnen“?
Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Die
eben gegebene Charakterisierung könnte genau
so gut als Beschreibung der Eigenart mutter-sprachlichen Schreibens gelten. Natürlich sind
die Situationen und die konkreten Probleme ver-
schieden, aber in beiden Fällen gibt es auch
grundlegende Ähnlichkeiten. Es geht beide Male
darum, dass die Aufgabe, Gedanken auszudrü-
cken, als schwierig erscheint – zum einen darum,
weil die Anforderungen des Textes einen sorgfäl-
tigen, langsamen und bewussten Umgang mit
der Sprache verlangen, zum anderen weil der
Anspruch, einen Gedanken auszudrücken, wie
von selbst eine intensive Befragung und Bearbei-
tung der noch nicht flüssig beherrschten Sprach-mittel erzeugt. So ist es die Fähigkeit des
Umgangs mit Texten (vor allem die Fähigkeit des
Schreibens), auf die sich der Fremdsprachenun-
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tete Sprache ist, was die Motivation erhöht, diese
Sprache zu lernen.8
Die Zweitsprache als Lerninstrument in mehr-
sprachigen KlassenKinder und Jugendliche mit Migrationshinter-
grund sind in der Schule meist weit weniger
erfolgreich. Viele von ihnen sind nicht in der
Lage, Texte als Grundlage und Medien des Ler-
nens zu nutzen, auch wenn sie die Zweitsprache
im mündlichen, alltagsbezogenen Kontext
bereits weitgehend beherrschen. Ihre Probleme,
die schulischen Anforderungen zu bewältigen,
werden im Laufe der Schulzeit in der Regel nicht
kleiner, sondern immer größer (vgl. Reich/Roth
2001, 22). Es fehlt ihnen an Textkompetenz – und
damit an der zentralen Basis des Lernens. Die
Ursachen dafür sind vor allem eine unzureichen-
de literale Förderung in der Familie, belastende
soziale und sozioökonomische Verhältnisse, ein
niedriges Bildungsniveau und ein geringes
„sprachliches Kapital“ ihrer Eltern (Brizic 2007).9
Wie kommen Migrantenkinder mit der Zweit-
sprache üblicherweise in Kontakt? Die ersten
Sprachkontakte finden meist nicht erst in der
Schule, sondern in ihrem Alltag statt: auf dem
Spielplatz, auf der Straße, beim Einkaufen. Die
Sprachkenntnisse, die sie dabei erwerben, sindhinsichtlich Schwierigkeit, Informationsmenge
und Korrektheit nicht kontrolliert. Sie erwerben
die Zweitsprache also zunächst ungesteuert,
quasi wildwüchsig, geleitet nur durch ihre kom-
munikativen Absichten und Bedürfnisse in der
jeweiligen Situation. Diese Form des Sprachge-
brauchs ist im ersten Quadranten, in der Welt
des Alltags, anzusiedeln.
Schon der Sprung zum zweiten Quadranten
wird oft zum Problem: Sprachgebrauch in die-
sem Bereich ist mit deutlich höheren Anforde-rungen an Kohärenz und der Fähigkeit, Sachver-
halte explizit und präzise darzustellen, verbun-
den. Noch schwieriger wird es für Migrantenkin-
der, sich im dritten Quadranten zurechtzufinden:
Hier geht es um das kritische Befragen, Begrün-
den, Analysieren und Erklären von Sachverhal-
ten und damit um eine Form des Sprachge-
brauchs, die zwar für so manche ihrer Mitschüle-
rinnen und Mitschüler selbstverständlich, für sie
aber oft keineswegs vertraut ist.
Das, was bisher für den Sprachgebrauch im
zweiten und dritten Quadranten gesagt wurde,gilt umso mehr für den vierten Quadranten:
Wenn schon das Fragen und Begründen zum
Problem wird, wie viel schwieriger ist es, Sach-
texte zu verstehen und darüber Auskunft zu
geben? Auch bei größter Mühe und Anstrengung
gelingt es Zweitsprachenlernenden häufig nicht,
Sinnzusammenhänge zu erkennen und Sachver-
halte selbst auf verständliche Weise mitzuteilen.Der Sprung vom alltagsbezogenen, direkten Erle-
ben und vom situationsbezogenen, sprachlichen
Handeln zum distanzierten Beobachten und zur
expliziten Darstellung von Gedanken und Sach-
verhalten wird zur unüberwindbaren Hürde.
Die Fähigkeit, sich in der Welt der Texte zu
orientieren und die Zweitsprache als ein Werk-
zeug des Denkens, Kommunizierens und Ler-
nens zu nutzen, wird im Unterricht meist nicht
systematisch aufgebaut, sondern vielmehr ein-
fach vorausgesetzt. Zweitsprachenlernende sind
daher oft ganz auf sich alleine gestellt, wenn es
darum geht, die Zweitsprache als Instrument des
Lernens zu nutzen. Ihre alltagssprachlich erwor-
benen Kenntnisse helfen ihnen dabei oft ebenso
wenig wie ihre Fähigkeiten in der Erstsprache, in
der die nötige Basis schriftsprachlicher Kompe-
tenzen meist genauso fehlt.
Was hat die Didaktik hier zu leisten? In die-
sem Lernfeld geht es weniger um die Frage, wie
Inhalte als Vehikel für den Spracherwerb genutzt
werden können, als darum, Lernende zu unter-
stützen, die schriftsprachlichen Anforderungenim Unterricht zu meistern. Dies ist nur durch
eine gezielte Förderung ihrer Textkompetenz
möglich – im Mündlichen wie auch im Schriftli-
chen, in der Zweitsprache wie auch in der Erst-
sprache.
Studieren in einer fremden Sprache
Was bisher über die Unentbehrlichkeit von Text-
kompetenz gesagt wurde, trifft auch auf das Stu-
dieren in einer Fremd- oder Zweitsprache zu.
Dass für das Lernen mit Fachtexten Textkompe-tenz gefordert wird, leuchtet ein, und dass dafür
auch solide Sprachkenntnisse nötig sind, ebenso.
Nun haben Studierende ja zumindest das Abitur
bzw. die Matura absolviert, und man kann sich
fragen, warum es denn später noch Probleme
geben soll.
Im Folgenden sollen einige typische Konstel-
lationen skizziert werden, die immer wieder zu
beobachten sind. Sie zeigen, dass sich ganz ähn-
liche Phänomene, wie sie eben in Bezug auf das
Lernen in der Schule diskutiert worden sind,
durchaus auch an Hochschulen und Universitä-ten beobachten lassen.
• Schulen, die mit Abitur bzw. Matura abschlie-
ßen, sind – ebenso wie Hochschulen – nicht
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überall so organisiert wie in der westlichen
Welt. Es ist möglich, dass die Studierenden
zwar gelernt haben, viel Material zu memorie-
ren, dass sie aber kaum angehalten wurden,
Schulen sind ebenso wie Hochschulennicht überall so organisiert wie in der
westlichen Welt.
eigenständig zu lesen und das Gelesene selbst
zu verarbeiten. Viele haben auch kaum selber
Texte geschrieben, vor allem keine eigenstän-
dig konzipierten Sachtexte. Das Studieren an
einer deutschsprachigen Hochschule fordert
jedoch (in vielen Fächern besonders deutlich)
gerade den Einsatz dieser Fähigkeiten. Diese
werden jedoch nicht vermittelt, sondern
vorausgesetzt – eine von den Lernenden oft
kaum wahrgenommene, jedoch ausschlagge-
bende Schwierigkeit.
• Wissenschaft wird nicht überall auf die gleiche
W eise vermittelt. Die vor allem in den deutsch-
sprachigen, geisteswissenschaftlichen Fakultä-
ten geforderten schriftlichen Arbeiten orien-
tieren sich stark an den professionellen Ziel-
texten, dem wissenschaftlichen Aufsatz bzw.
der wissenschaftlichen Monographie. Essayis-
tische Versuche werden meist eher mit Arg-
wohn betrachtet. Dies stellt für Studierende,
die aus anderen Vermittlungstraditionen her-kommen, eine gewisse Schwierigkeit dar,
wenn sie die Usancen und Normen wissen-
schaftlichen Stils von Anfang an beachten
müssen. Auch deutschsprachige Studierende
haben diese Schwierigkeit, aber sie haben eine
bessere Ausgangsposition.
Wie wichtig Textkompetenz und grundlegende
Erfahrungen mit wissenschaftlichen Stilen sind,
lässt sich daran ermessen, dass Studierende mit
entsprechenden Kenntnissen in ihrer Herkunfts-
sprache trotz geringer Deutschkompetenzen oft
erstaunlich effizient studieren und dabei auch
die Sprache schnell lernen. Wo dieser Hinter-
grund fehlt, reichen oft auch gute Deutschkennt-
nisse kaum aus, um den Studierenden den Ein-
tritt in die Welt der Wissenschaft zu eröffnen –
typischerweise erweist sich dann beides als
schwierig: das fachliche Lernen wie auch die
Weiterentwicklung der Sprach- und Textkompe-
tenz.
LiteraturBrizic, Katharina: Das geheime Leben der Sprachen.
Gesprochene und verschwiegene Sprachen und ihrEinfluss auf den Spracherwerb in der Migration. Müns-ter: Waxmann 2007
Cummins, Jim: Conversational and Academic LanguageProficiency in Bilingual Contexts. In: Hulstijn, Jan H. /Matter, Johan F. (Hrsg.): Reading in Two Languages.
Alblasserdam: AILA 1991, 75-89 (= Aila Review 8)Koch, Peter / Oesterreicher, Wulf: Funktionale Aspekte der
Schriftkultur. In: Günther, Hartmut / Ludwig, Otto(Hrsg.): Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinä-res Handbuch internationaler Forschung. Berlin/New
York: de Gruyter 1994, 587-604 (= Handbücher zur
Sprach- und Kommunikationswissenschaft 10.1)Reich, Hans H. / Roth, Hans-Joachim: Zum Stand der
nationalen und internationalen Forschung zumSpracherwerb zweisprachig aufwachsender Kinder undJugendlicher. Hamburg/Landau: ((Verlag: Behörde fürSchule, Jugend und Berufsbildung)) 2001
Weinrich, Harald: Von der Langeweile des Sprachunter-richts. In: Weinrich, Harald: Wege der Sprachkultur.Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1985, 221-245
Anmerkungen1 Cummins nennt sie die Dimension der „Kontext-Einbet-tung“ (bzw. der Kontext-Reduktion, etwa in Texten) und
die Dimension des „kognitiven Anspruchs“ – dieser kannhoch oder niedrig sein.2 Wir weichen mit dieser Darstellung vom „eindimensio-nalen“ Modell von Koch / Oesterreicher (1994) ab, da wirglauben, dass sie die Verhältnisse, um die es hier geht, kla-rer abzubilden erlaubt.
3 Mentale Modelle sind ganzheitliche, interne Repräsenta-tionen von Objekten, Sachverhalten oder Ereignissen.4 Das ist die derzeit gebräuchlichste Bezeichnung fürsprach- und inhaltsintegrierende Lernkonzepte in derFremdsprachendidaktik (siehe auch Heft 40 der „Fremd-sprache Deutsch“ zum Thema „Integriertes Sprach- undSachlernen (CLIL)“, das im April 2009 erscheinen wird).5 Vgl. etwa das Konzept des „going for meaning“ im focus-on-form-Konzept. Es setzt voraus, dass eine vielverspre-chende Bedeutung da ist, um die zu bemühen es sichlohnt.6 In einigen neueren Lehrwerken für den Erwachsenenun-terricht wird versucht, der Lebenswelt von Migrantinnenund Migranten in der Auswahl und Aufbereitung der The-
men stärker Rechnung zu tragen.7 Die Rede ist hier vom gängigen Deutsch-Förderunter-richt, vor allem für sogenannte „Seiteneinsteiger“, dermeist außerhalb der Klasse und des regulären Stunden-plans stattfindet. Darüber hinaus gibt es auch Modelle derSprachförderung, die eine Integration in den Regelunter-richt vorsehen.8 In deutschsprachigen Ländern existieren Immersions-programme seit etwa 40 Jahren, bevorzugte Sprachkombi-nationen sind Deutsch – Englisch und Deutsch – Franzö-sisch. In nichtdeutschsprachigen Ländern wird Deutschals Unterrichtssprache vor allem in den deutschen Aus-landsschulen eingesetzt.9 Ähnlich ist die Situation oft auch für Kinder ohne Migra-tionshintergrund, die durch ein wenig förderliches litera-les bzw. sozioökonomisches Umfeld benachteiligt sind
und für die die Unterrichtssprache nicht ihre Erstspracheist; man denke etwa an die Indigenas in Chiapas (Mexiko),die in der Schule, aber auch noch in weiterführenden Bil-dungseinrichtungen, oft vor ganz ähnliche Anforderungenund Probleme gestellt sind wie Migrantenkinder und-jugendliche in deutschsprachigen Ländern.
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Textkompetenz : Von welcherKompetenz ist hier die Rede?Der Begriff der Kompetenz erlebt spätestens seit
der Publikation der ersten PISA-Studien im Bil-
dungsbereich eine neue Blüte. Geradezu klassisch
ist hier mittlerweile die Definition von Franz Wei-
nert, der Kompetenzen wie folgt charakterisiert:
„[...] bei Individuen verfügbare[n] oder durch sie
erlernbare[n], kognitive[n] Fähigkeiten und Fer-tigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen,
sowie die damit verbundenen motivationalen,
volitionalen und sozialen Bereitschaften und
Fähigkeiten, um die Problemlösungen in varia-
blen Situationen erfolgreich und verantwortungs-
voll nutzen zu können.“ (Weinert 2002, 27f.)
An dieser Definition ist nicht zu übersehen,
dass die Fähigkeit Probleme zu lösen im Mittel-
punkt steht. Wenn es um sprachliche Kompeten-
zen geht, erscheint dieser ausschließliche Fokus
auf Problemlösung jedoch etwas zu eng gefasst.
Sprache verwenden wir glücklicherweise nichtausschließlich, wohl nicht einmal in erster Linie,
um Probleme zu lösen. Dieser Aspekt wird vor
allem im Kontext der Evaluierung von Sprach-
In diesem Beitrag geht es zunächst um die Frage, welche Art von Kompetenz das etwas sperrige
Kompositum „Textkompetenz“ für den Fremdsprachenunterricht bedeutet. Danach wird erläutert,
inwiefern eine integrierte Arbeit an den Fertigkeiten Lesen und Schreiben im Sprachunterricht
sinnvoll erscheint. Zwei Unterrichtsbeispiele illustrieren im letzten Abschnitt dieses Beitrags, wie
dies konkret aussehen könnte.
Von Ingo Thonhauser
Textkompetenz imFremdsprachenunterrichtWas können Lernende mit dem Lesen und Schreiben im Fremdsprachen-
unterricht anfangen?
© panthermedia / Axel D.
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Textkompetenz im Fremdsprachenunterricht18
kompetenz aufgewertet, wie die aktuelle Diskus-
sion um die Leistungsmessung im schulischen
Bereich zeigt. Aber auch hier geht es nicht ein-
fach nur um die Lösung von Problemen. So wird
in der Begleitforschung zur Harmonisierung derBildungsstandards im Schweizer Kontext eine
etwas veränderte Perspektive sichtbar: Sprach-
kompetenz ist in der Beschreibung von Lernzie-
len im Schulbereich die „Fähigkeit, sprachlich-
kommunikative Aufgaben zu lösen“ (Lenz 2006,
200, Hervorhebung durch den Autor). Es sind
also nicht mehr Probleme, sondern Aufgaben,
die aber ebenfalls gelöst und nicht einfach nur
mehr oder weniger erfolgreich bearbeitet werden
müssen. Vielleicht lege ich Wörter hier zu sehr
auf die Waagschale; die Weinert’sche Definition
suggeriert im Kontext der Sprachverwendung
aus meiner Sicht eine Zielgerichtetheit, die den
vielfältigen Formen des alltäglichen Sprachge-
brauchs, aber auch der Vielfalt in den Klassen-
zimmern nicht gerecht wird: Kompetente
Sprachverwenderinnen und Sprachverwender
finden sich in unterschiedlichen Kommunikati-
onssituationen zurecht und stellen so unter
Beweis, dass sie über Sprach- und Weltwissen
verfügen, das sie anwenden können. Sie bearbei-
ten Aufgaben und kommen auf verschiedenen
Wegen und Umwegen zu Ergebnissen; wennSprachunterricht gelingt, bauen sie dabei ihre
Kompetenzen aus. Aus didaktischer Perspektive
ist dies jedenfalls der springende Punkt, der auch
im Bereich des Testens ernst zu nehmen ist.
Textkompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, die
kommunikativen Möglichkeiten des schriftlichen
Sprachgebrauchs zu nutzen
Ob es nun um Sprachtests oder um die Förde-
rung sprachlicher Kompetenzen im Unterrichtgeht – in beiden Fällen gilt, dass sich „jede Kom-
petenz erst im Tun-Können“ (Abraham et al.
2007, 8) zeigt. Dies wirft die Frage auf, welches
„Tun-Können“ nun Textkompetenz konkret cha-
rakterisiert. Textkompetenz zeigt sich in der
Fähigkeit, die kommunikativen Möglichkeiten
des schriftlichen Sprachgebrauchs zu nutzen, die
sich in den im einführenden Kapitel zu diesem
Themenheft auf S. 6 dargestellten vier Dimensio-
nen in jeweils unterschiedlicher Gewichtung zei-
gen. Textkompetenz ist keine „generische“ oder
„autonome“ Fertigkeit, sondern kulturell geprägt, wie die Forschung zu Literalität (gut dargestellt
in Sting 2003) in den letzten Jahren in vielen
empirischen Untersuchungen gezeigt hat.
Besonders im Fremdsprachenunterricht bedeu-
tet dies verstärkt, dass Lernende in der Lage sein
müssen, Texte sprachlich und inhaltlich als Lern-
angelegenheiten zu nutzen (vgl. hierzu beson-
ders S. 9-13 im Einführungsartikel zu diesemHeft). Besonders das Schreiben wurde häufig als
vernachlässigte Fertigkeit bezeichnet (z.B. Bohn
2001, 923), wobei aber oft übersehen wurde, dass
Schreiben im gesteuerten Unterricht von Anfang
an Teil des Lernalltags ist: Schon das Ausfüllen
von Lückentexten erfordert Textkompetenz, die
kulturspezifisch ist. Für viele Lernende ist dies
eine völlig unproblematische Lernaktivität,
deren Sinn unmittelbar einsichtig ist – sie haben
gelernt, dass dies zum Sprachenlernen dazuge-
hört und könnten dies vielleicht sogar begrün-
den. Wenn in einer Lerntradition aber die Münd-
lichkeit, z.B. das Wiederholen und Nachsprechen
dessen, was die Lehrperson vorgibt, im Vorder-
grund steht, ist das Lernangebot „Lückentext“
weniger transparent. Diese Überlegungen lassen
sich auf höheren Kompetenzniveaus weiterfüh-
ren. Hier wird es in zunehmendem Maße wich-
tig, dass Lernende sich auf Verwendungsweisen
von Lesen und Schreiben einlassen können, die
mit ihren mitgebrachten Lernerfahrungen nicht
übereinstimmen, sodass diese Lernangebote zur
autonomen Entwicklung der eigenen Sprach-kompetenz genutzt werden können.
Textkompetenz erfordert und fördert daher
„Sprachaufmerksamkeit“ ebenso wie „Sprach-
lernaufmerksamkeit“ – ein Umstand, den die
Mehrsprachigkeitsdidaktik in den letzten Jahren
immer wieder aufs Neue betont hat (Hufeisen /
Neuner 2003).
Mit den Begriffen des Gemeinsamen Europäi-
schen Referenzrahmens könnte man sagen, dass
sich sowohl „savoir“ als auch „savoir faire“ ver-
ändern. Das Wissen über die Erscheinungsfor-men und Verwendungsweisen von Schriftspra-
che geht einher mit Handlungskompetenz. Das
bedeutet: Ich muss das, was ich sprachlich und
über Sprache weiß, anwenden und gegebenen-
falls modifizieren können.
Lesen, Schreiben und Aufgaben imFremdsprachenunterrichtDer Begriff Textkompetenz impliziert eine Kon-
zeption sprachlicher Fertigkeiten, die sich von
den traditionellen vier Fertigkeiten des kommu-nikativen Fremdsprachenunterrichts entfernt,
indem die Opposition „Mündlichkeit – Schrift-
lichkeit“ in den Vordergrund rückt. Der Begriff
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Textkompetenz im Fremdsprachenunterricht 19
Textkompetenz ist, soviel geht aus dem bisher
Gesagten hervor, bei der Bewältigung verschie-
denster Aufgaben im Fremdsprachenunterricht
erforderlich und entwickelt sich anhand von die-
sem weiter. Die Diskussion um die Aufgabenori-entierung im Fremdsprachenunterricht hat sich
in den letzten Jahren wieder belebt und steht im
Spannungsfeld der Unterscheidung von „task-
supported language teaching and task-based
language teaching“ (z.B. Ellis 2003, 27ff.). Eine
trennscharfe Unterscheidung dieser Begriffe, die
theoretisch möglich, in der Praxis aber wohl eher
selten so anzutreffen ist, würde Folgendes
bedeuten: Im ersten Fall sind Aufgaben formori-
entiert und dienen dem Erwerb sprachlicher
Strukturen, im zweiten Fall sind sie inhaltsorien-
tiert und dem kommunikativen Paradigma ver-
pflichtet – in der stärksten Version ist gar von
echten Aufgaben überhaupt nur dann zu spre-
chen, wenn sie realen, „authentischen“ Kommu-
nikationssituationen entsprechen und diese im
Unterricht simulieren. Im Klassenzimmer stellt
sich hier allerdings sofort die Frage, ob Aufgaben
im Fremdsprachenunterricht tatsächlich in
jedem Fall das wirkliche Leben simulieren müs-
sen; schließlich findet dieses wirkliche Leben ja
auch im Klassenzimmer statt und authentisch
kann hier eben auch sprachliches Handeln sein,das in erster Linie mit dem Ziel des Sprachenler-
nens verbunden ist. Sinnvolle Aufgaben sind für
die Lernenden in dieser Situation nicht nur des-
halb interessant, weil sie authentisches, kommu-
nikatives Handeln darstellen, sondern gerade
auch weil sie Gelegenheiten bieten, Aspekte die-
ses Handelns zum Sprachenlernen zu nutzen.
Die Bearbeitung der Aufgaben lenkt Sprachauf-
merksamkeit auf jeweils relevante Aspekte,
sodass durchaus einmal Inhaltliches im Vorder-
grund steht, dann wieder Fragen nach geeigne-ten Lese- und Schreibstrategien gestellt werden
und natürlich ebenfalls regelmäßig Sprachliches
im engeren Sinne (Wortschatz, Grammatik und
Aspekte der Textualität) zum Thema wird.
Daraus ergibt sich Folgendes: Lesen und
Schreiben treten häufig im Verbund auf und sind
aufeinander bezogene Fertigkeiten. Dies gilt
natürlich auch für andere Fertigkeitskombinatio-
nen, hier geht es aber um Textkompetenz.
Didaktisch ist es also nahe liegend, Unterricht-
sequenzen mit Aufgaben zu entwerfen, zu deren
Bewältigung Textkompetenz notwendig ist unddie daher sinnvolle Lerngelegenheiten bieten.
Manche dieser Lerngelegenheiten werden Wort-
schatz und strukturelle Phänomene, andere
„Text“ umfasst zwar im Gemeinsamen Europäi-
schen Referenzrahmen mündliche wie schriftli-
che Texte, in der Diskussion um Textkompetenz
sind in der Regel jedoch primär schriftliche Texte
gemeint. Dem schließe ich mich hier an undstelle damit Lesen und Schreiben als eng aufei-
nander bezogene Fertigkeiten in den Mittel-
punkt. Dies bedeutet nun nicht, dass die tradi-
tionelle Unterscheidung der vier Fertigkeiten
ausgedient hätte; die Aufgliederung sprachlicher
Kompetenz in diese Fertigkeiten legt aber didak-
tisch eine Perspektive nahe, die Hören, Lesen,
Sprechen und Schreiben jeweils für sich betrach-
tet. Nimmt man Textkompetenz als Ausgangs-
punkt der Unterrichtsgestaltung, verändert sich
das, was wir im Unterricht tun: Wir betrachten
diese Fertigkeiten im Ensemble, und daraus erge-
ben sich didaktisch interessante Möglichkeiten.1
Überlegt man sich, in welchen Kommunika-
tionssituationen Lesen und Schreiben tatsächlich
gemeinsam auftreten, bemerkt man rasch, dass
dies gar nicht so selten der Fall ist, wie man viel-
leicht annehmen würde. Gerade im Schulbereich
liest man ja nur selten zur Entspannung, man
liest in der Regel, um sich Inhalte zu erarbeiten.
Dieses Lesen stellt hohe Anforderungen an
Erfolgreiche Lektüre impliziert nicht nur inhaltliches Verstehen, sondern auch die Nutzung
des Gelesenen als reiches Sprachlernangebot
sprachliche Kompetenz, es geht darum, komple-
xe Inhalte zu reduzieren, Wichtiges von Unwich-
tigem zu unterscheiden, das eigene Textver-
ständnis zu kontrollieren und gegebenenfalls
unter Beweis stellen zu können. Dies ist kaum
denkbar ohne Formen des Schreibens: Notizen,
Anmerkungen, Zusammenfassungen, Reformu-
lierungen und andere Formen der schriftlichenFixierung von Inhalten dienen dazu, das Textver-
ständnis zu sichern und das Gelesene zu verar-
beiten und verfügbar zu halten – etwa dann,
wenn das Lesen in größere Aufgaben eingebettet
ist, deren Ergebnis selbst verfasste Texte sind.
Im Fremdsprachenunterricht kommt hier
neben der inhaltlichen auch der sprachlichen
Verarbeitung besondere Bedeutung zu:2 Erfolg-
reiche Lektüre impliziert nicht nur inhaltliches
Verstehen, sondern auch die Nutzung des Gele-
senen als reiches Sprachlernangebot, ausgehend
von der Ebene des Wortschatzes und der Gram-matik (Lexeme, Kollokationen, Satzstrukturen)
bis hin zum Textsortenwissen (Textstrukturen,
stilistische Charakteristika).
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Textkompetenz im Fremdsprachenunterricht20
(Inter-)Kulturelles oder die Eigenschaften be-
stimmter Texte und Textsorten in den Vorder-
grund stellen. Formorientierung gegen Inhalts-
orientierung auszuspielen halte ich für wenig
zielführend. Wenn es Lehrenden gelingt, Aufga-ben zu entwickeln, die im Unterrichtskontext
als authentisch und motivierend erlebt werden,
stellt sich Lernen ein – und dafür sorgen letzt-
endlich auch die Lernenden selbst.
Aufgabenstellungen: Lesen undSchreiben im EnsembleIm Folgenden werden zwei Beispiele aus dem
Unterricht Deutsch als Fremdsprache mit fortge-
schrittenen Lernenden an der zweisprachigen
Universität Fribourg / Freiburg (Schweiz) vorge-
stellt, die das Gesagte illustrieren. Es handelt sich
um Aufgaben aus dem Kurs „Sprache und inter-
kulturelle Kommunikation“ im zweiten Ausbil-
dungsjahr des Programms „bilingue plus “
(www.unifr.ch/bilingueplus). Dieses Programm
bietet Studierenden, die bereits ein bilinguales
Jurastudium absolvieren, eine studien- und
berufsbezogene Zusatzausbildung in der zweiten
Studiensprache, in deren Mittelpunkt der Aus-
bau sprachlicher und interkultureller Kompeten-
zen steht, die in einem mehrsprachigen und plu-rikulturellen Arbeitsumfeld relevant sind.
Beide Aufgaben stammen aus einer Unterrichts-
sequenz, die primär eine fachsprachliche Orientie-
rung aufweist und Veränderungen im Bereich des
Schweizer Urheberrechts im Kontext der neuen
Kommunikationstechnologien zum Inhalt hat.
In der ersten Aufgabe geht es darum, verschiede-
ne Positionen von Interessensgruppen zu bün-
deln und in einem Text darzustellen. Basistexte
waren kurze Interviewausschnitte von Beteiligten,
in denen diese die Veränderungen im Bereich desUrheberrechts aus ihrer jeweils persönlichen Sicht
kommentieren und Anforderungen an rechtliche
Regelungen formulieren (Quelle: Broschüre „Das
Urheberrecht im digitalen Zeitalter. Highway oder
Sackgasse. Fakten und Meinungen“; zu beziehen
unter: www.urheberrecht.ch). Es geht hier also
zunächst um eine juristisch relevante Aufgabe.
Die Auseinandersetzung mit den Interessen von
Künstlern, Vertretern und Vertreterinnen der
Medien und der Musikindustrie ist Vorausset-
zung für die Beantwortung der Frage, inwiefern
diesen Interessen im Urheberrecht gesetzlich
Rechnung getragen ist, wo sich Ermessenspiel-
räume ergeben, wo eventuell Lücken vorliegen.
Mit dem Lesen geht die schriftliche Verarbeitung
und Aufbereitung einher, die dann zum
Schreiben führt.
Die Schreibaufgabe ist ein Schritt in der Bearbei-
tung dieser Aufgabe und erfordert zweierlei:
Zunächst ist eine genaue Lektüre der Basistexte
erforderlich, der dann in einem zweiten Schrittdie Umformung dieser Texte im Rahmen des
Schreibprozesses folgt. Dabei sind eine Reihe
von Arbeitsschritten zu bewältigen, die Schrei-
ben und Lesen miteinander in Beziehung setzen:
Mit dem Lesen geht die schriftliche Verarbeitung
und Aufbereitung einher, die dann zum Schrei-
© i S t o c k / J o n a t h a n W e
r v e
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Textkompetenz im Fremdsprachenunterricht 21
ben führt. Dies ist jedoch kein linearer Prozess,
wenn man sich vor Augen führt, welche Teilauf-
gaben zu lösen sind: Auf konzeptueller Ebene ist
zum einen festzulegen, wie das vorliegende
Material zu ordnen, zu systematisieren und ineine eigene Textstruktur zu integrieren ist; zum
anderen spielt während des Verfassens dieses
Textes die Relektüre eine wichtige Rolle, und
schließlich ist zu entscheiden, was zitiert wird,
was zusammengefasst wird oder ob sich wäh-
rend des Schreibens Änderungen der Textstruk-
tur ergeben. Globalziel ist dabei, dass die Sicht-
weisen der Betroffenen von der eigenen Analyse
getrennt und adäquat sowie eigenständig darge-
stellt werden. Es ergibt sich aus der Beschäfti-
gung mit den Texten eine Bandbreite von
Sprachlernangeboten, die Wortschatz (und hier
vor allem Kollokationen) ebenso umfassen wie
eine Grundfrage des wissenschaftlichen Schrei-
bens: nämlich die strukturierte Darstellung ver-
schiedener Positionen und deren Markierung im
Text.
Der Lernertext 1 zeigt, wie Sprache umge-
formt wird und welche Schwierigkeiten dies
macht: Der Darstellungsprozess rückt die Fragen
nach adäquaten Formulierungsroutinen in den
Vordergrund und gibt Anlass zu sprachaufmerk-
samen Selbstbeobachtungen, die dann imUnterricht weiterbearbeitet wurden. Die sprach-
liche Bewältigung der Verwendung adäquater
und variierter Formulierungen, mit denen Sicht-
weisen und Meinungen dargestellt werden kön-
nen, war ein Problem, das im Unterricht unter
Zuhilfenahme einer Zusammenstellung von
Redemitteln behandelt wurde. Die Intention des
Lehrenden war dabei, sprachliche Problemberei-
che, die von den Lernenden selbst identifiziert
wurden, in die Arbeit mit den entstandenen Tex-
ten einzubeziehen – in der Hoffnung, damit rele-vante Sprachlernangebote „zum rechten Zeit-
punkt“ zur Verfügung zu stellen.
Im Lernertext 2 geht es darum, gesetzliche
Regelungen auf Alltagssituationen anzuwenden,
die juristische Fragen aufwerfen. Es handelt sich
um eine Aufgabe, die die kommunikative Wirk-
lichkeit ein wenig auf den Kopf stellt. Die Studie-
renden erhalten nämlich nach der Auseinander-
setzung mit dem Gesetzestext den Auftrag, Bei-
spielfälle zu erfinden, die Fragen des Urheber-
rechts problematisieren. Eine solche Aufgabe
kommt im „wirklichen Leben“ außerhalb desUnterrichts nur in sehr spezifischen Situationen
vor – trotzdem ist sie aus meiner Sicht im Kon-
text des Lernens authentisch. Zum einen gehört Abb. 2: Lernertext 2
Abb. 1: Lernertext 1
Das Urheberrecht:
eine Lösung für eine korrekte Belohnung
der Musiker.
Die Zeiten haben sich geändert. Es ist schwieriger geworden, den Musikern einen
guten Lohn zu garantieren. Die Gründe, warum man heute solche Schwierigkeiten
hat, lassen sich durch die Forschritte der Technologie erklären. Heutzutage kann man
ohne große Kenntnisse eine CD kopieren oder Lieder vom Internet gratis herunter-
laden. Es gibt deshalb einige Fragen, zu denen man eine Antwort finden muss. Es sind
dies zum Beispiel: „Welches ist die Rolle des Urheberrechts im Zusammenhang mit
der Musik?“ oder „Wie könnte man dank des Urheberrechts die Berufe der Musiker
garantieren?“
Nach dem Troubadour Polo Hofer, muss das Urheberrecht an der Technologie ange-
passt werden sonst gibt es Exzesse. (z.B. Internetpiraterie, kostenloses Kopieren von
Musik und Filmen usw.) Das Leben eines Musikers ist nicht einfach, weil er kreativ seinsoll und Lieder auf dem Markt bringen muss sonst kann er von seiner Kunst nicht
leben. Man muss bewusst sein, dass die Künstler nur überleben können, weil das
Urheberrecht sie von der Piraterie schützt. Die Band Gotthard hat die gleiche Mei-
nung wie Polo Hofer über das Urheberrecht. Sie ergänzt trotzdem ein bisschen die
Meinung vom Berner Troubadour. Da Gotthard weltweit bekannt ist, braucht sie
einen grösseren Schutz von der Internetpiraterie. Sie erwähnen deswegen DRM-Sys-
temen.
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Textkompetenz im Fremdsprachenunterricht22
das Lösen von Beispielfällen zur Didaktik des
Jurastudiums, zum anderen – und das ist hier
wesentlicher – fordert und fördert die Bearbei-
tung dieser Aufgabe den Einsatz sprachlicher
Kompetenz und sachlicher Kenntnisse. Sprach-lich ließe sich das Ziel dieser Übung als eine
besondere Spielart der Sprachmittlung beschrei-
ben. Sprachmittlung wird im Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmen als kommunikati-
ve „Aktivität“ aufgewertet, indem damit nicht
nur der Bereich der Übersetzung erfasst wird,
sondern jede „Umformung eines schon vorhan-
denen Textes“ (Europarat 2001, 26). Hier bedeu-
tet dies, dass die Auseinandersetzung mit dem
fachsprachlichen Gesetzestext zu einer schriftli-
chen Produktion führt, in der die gesetzlich gere-
gelten Sachverhalte als konkrete Alltagsprobleme
reformuliert werden. Die so formulierten Bei-
spielfälle dienten in der Folge als Kommunikati-
onsanlässe, indem nämlich diese Fälle von den
anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern
gelöst werden müssen.
Auch hier ist Textkompetenz auf vielfältige
Weise erforderlich. Es geht darum, sprachliche
Register zu unterscheiden, indem die im Geset-
zestext juristisch-abstrakt beschriebenen Sach-
verhalte und Situationen in den Alltag „über-
setzt“ werden. Dass dies durchaus ein Anlasssein kann, kreativ mit Sprache umzugehen, zeigt
der Lernertext 2 eindrücklich. Dieser Text zeigt
deutlich, dass der Schreiber die Aufgabe zum
Anlass nimmt, Sprache auszuprobieren und dem
fachsprachlichen Fokus andere Dimensionen der
Sprachverwendung abzugewinnen. Ich kann den
Verarbeitungsvorgang vom Gesetzestext an die-
ser Stelle nicht im Einzelnen diskutieren; wesent-
lich scheint mir an diesem Beispiel, dass der
Schreiber hier keinen nüchtern faktenbezogenen
Fall produziert, sondern Mehrsprachigkeit undkulturelle Bezüge mindestens ebenso wichtig
nimmt. Dazu mag beigetragen haben, dass diese
Fälle für eine gemeinsame Sitzung von sowohl
französischsprachigen als auch deutschsprachi-
gen Studierenden des Programms „bilingue plus “
entworfen wurden. In diesen Sitzungen ist die
Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt regelmä-
ßiger und selbstverständlicher Teil des Unter-
richtsgeschehens. Dies scheint mir ein Beispiel
dafür zu sein, dass Lernende in vielen Fällen im
autonomen Umgang mit Aufgaben Lerngelegen-
heiten schaffen, die vielleicht nicht „vorgesehen“und wohl auch nicht immer vorherzusehen sind.
An diesen Beispielen zeigt sich Textkompe-
tenz darin, dass Lernende mit verschiedenen
Formen schriftlichen Sprachgebrauchs umgehen
können, dass sie sprachaufmerksam lesen und
schreiben sowie in der Bewältigung der Aufga-
ben Sprachlerngelegenheiten nutzen. Mit ande-
ren Worten bedeutet Textkompetenz im Fremd-sprachenunterricht nicht nur die Vorbereitung
auf schriftsprachliches kommunikatives Han-
deln im „wirklichen Leben“; Textkompetenz ist
ein integraler Bestandteil des gesteuerten
Spracherwerbs – Grund genug, sich Lese- und
Schreibaufgaben didaktisch-kreativ vorzuneh-
men.
Literatur Abraham, Ulf / Baurmann, Jürgen / Feilke, Helmuth /
Müller, Astrid / Kammler, Clemens: Kompetenzorien-tiert unterrichten. In: Praxis Deutsch. Nr. 203: Kompe-tenzorientiert unterrichten. Seelze: Erhard Friedrich
Verlag 2007, 6-15Ellis, Rod: Task-based Language Learning and Teaching.Oxford: Oxford University Press 2003
Europarat: Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmenfür Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Übers. v. J.Quetz. Berlin, München, Wien, Zürich, New York: Lan-genscheidt 2001.
Hufeisen, Britta / Neuner, Gerhard (Hrsg.): Mehrsprachig-keitskonzept – Tertiärsprachenlernen – Deutsch nachEnglisch. Straßburg: Council of Europe Publishing2003.
Lenz, Peter: Überlegungen zur Sprachkompetenzbeschrei-bung und Testvalidierung im Projekt „HarmoS Fremd-sprachen“. In: Bulletin VALS/ASLA. Nr. 84/2007. Neu-châtel: Institut de linguistique de l’Université 2007 (=Bulletin Suisse de Linguistique appliquée)
Sting, Stephan: Stichwort: Literalität – Schriftlichkeit. In:
Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. 6. Jg. Heft 3. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2003,317-337
Weinert, Franz E.: Vergleichende Leistungsmessung inSchulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In:
Weinert, Franz E. (Hrsg.): Leistungsmessungen inSchulen. Weinheim, Basel: Beltz 2. Auflage 2002, 17-31
Anmerkungen1 Dies heißt nicht, dass erst der Fokus auf Textkompetenzzum Nachdenken über kombinierte Fertigkeiten führt –dies war und ist Bestandteil vieler Unterrichtskonzepte(siehe Fremdsprache Deutsch. Heft 24/2001: KombinierteFertigkeiten. Stuttgart: Klett 2001). Textkompetenz rücktnur den Umgang mit Schriftlichkeit und die sich darausergebenden Lernmöglichkeiten und -probleme besonders
in den Mittelpunkt.2 Damit will ich nicht sagen, dass dies im muttersprachli-chen Unterricht nicht auch so wäre – es scheint mir aberplausibel, dass i.d.R. ein signifikanter Unterschied imBereich der Intensität der notwendigen „Spracharbeit“zwischen Mutter- und Fremdsprachenunterricht besteht.
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Die Idee beim beobachtenden Lernen ist, dass
Lernende sich in einem kommunikativenSprachunterricht in unterschiedlichen Rollen am
Unterricht beteiligen: erstens in der Rolle des
Sprachgebrauchenden – und zwar als Sender
und als Empfänger (wer sendet, erwartet ja auch
einen Empfänger und umgekehrt) – und zwei-
tens in der Rolle des Beobachters bzw. Forschers.
Die Idee an sich ist nicht ganz neu. Seit Jahr-
zehnten finden sich in fachdidaktischen Veröffent-
lichungen Plädoyers für die Verwendung ganzheit-
licher kommunikativer Situationen (vgl. zum Bei-
spiel Fremdsprache Deutsch, Heft 24/2001: Kom-
binierte Fertigkeiten), sowie für das Zusammenge-hen von Sprachfertigkeit und Sprachbetrachtung.
Ergänzend dazu betonen wir vor allem den Einsatz
von Lernaktivitäten in der Beobachterrolle.
In diesem Beitrag legen wir einen Vorschlag für
den Schreibfertigkeitsunterricht vor und er-läutern anhand dieses Beispiels zwei didakti-
sche Faustregeln des beobachtenden Lernens.
Die betreffende Unterrichtsreihe mit einem
Umfang von vier Unterrichtsstunden zu je 45
Minuten ist an einer Amsterdamer Schule in
einer 7. Gymnasiumsklasse mit 20 Schülerinnen
und Schülern erprobt worden. Und zwar im
Muttersprachenunterricht (Niederländisch) –
aber wie Trinh (2005) und Van der Es (2005)
nachgewiesen haben, ist die Unterrichtsreihe
auch auf den Fremdsprachenunterricht
anwendbar.2 Nachstehend beschreiben wirzuerst die vier Stunden der Unterrichtsreihe.
Danach berichten wir über unsere Erfahrungen
bei der Ausführung.
Beim Beobachtenden Lernen hören und sehen Schülerinnen und Schüler sich an, wie schriftlicheund mündliche Texte, die sie produzieren, von anderen rezipiert werden. Damit erhalten sie Einblick
in die Wechselwirkung zwischen Textmerkmalen und Lese- bzw. Hörprozessen. Auch ermöglicht
das beobachtende Lernen ihnen zu erfahren, wie Mitschülerinnen und Mitschüler Lernaufgaben
erledigen. So können sie Vorgehensweisen miteinander vergleichen und über Aufgabenstellungen
nachdenken. Als lediglich sprechende oder schreibende Schülerinnen und Schüler kommen sie
kaum dazu, denn das Sprechen bzw. Schreiben selbst beansprucht bereits alle Aufmerksamkeit.
Von Gert Rijlaarsdam und Martine Braaksma
Die Sache mit den„Schlemmy“-RiegelnBeobachtendes Lernen: Ein Beispiel aus der Unterrichtspraxis1
© fotolia / SyB
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Die Sache mit den „Schlemmy“-Riegeln24
Erste Stunde: Einführung und Er-ledigung der „Schlemmy“-Aufgabe Ausgangspunkt ist eine Werbeaktion für Schoko-
laderiegel der (fiktiven) Marke „Schlemmy“. Auf
der Verpackung der „Schlemmy“-Riegel findensich Wertpunkte für zwei kostenlose Kinokarten.
Schülerinnen und Schüler sammeln (fiktiv) diese
Punkte – aber schon eine Woche vor dem offiziel-
len Ende der Aktion sind die Riegel mit Wert-
punkten vergriffen. Die Lernenden schreiben (in
einem Computerraum der Schule) die Erstfas-
sung eines Briefes an die „Schlemmy“-Betriebs-
leitung, in dem sie sich beschweren. Alle erfüllen
also die Rolle des Senders / Briefeschreibers. Die
Lehrerin / der Lehrer sammelt am Ende der
Stunde alle (digitalen) Briefe ein.
Zweite Stunde: Arbeit in GruppenDie Klasse wird in vier Gruppen aufgeteilt. Zwei
Gruppen schlüpfen in die Rolle der Betriebslei-tung der Firma „Schlemmy“. Beide Betriebslei-
tungen (Empfänger / Leser) stehen vor der Auf-
gabe, sich über 10 Briefe zu beraten und – da lei-
der nur noch zwei Sätze mit Kinokarten vorhan-
den sind – daraus zwei Gewinner-Briefe auszu-
wählen. Die beiden anderen Gruppen haben
dabei eine beobachtende Aufgabe. Jeder Betriebs-
leitung wird ein Beobachterteam zugeordnet. Es
ist Aufgabe der Beobachterteams, herauszufin-
den, anhand welcher Kriterien und Argumente
die von ihnen beobachtete Betriebsleitung die
beiden Gewinner-Briefe auswählt. Die Sitzungder Betriebsleitung dauert etwa 20 Minuten.
Danach stellen die beiden Beobachterteams auf
einem Plakat eine Liste der Kriterien und Argu-
mente zusammen, die die Betriebsleitung bei der
Auswahl des Gewinner-Briefes verwendet hat.
Dritte Stunde: Präsentation derErgebnisseBeide Beobachterteams präsentieren auf Plaka-
ten ihre Ergebnisse (s. Abb. 1), sodass alle Schü-
lerinnen und Schüler anschließend die Gelegen-
heit haben, ihren ursprünglichen Brief anhand
der beiden Kriterienlisten zu überarbeiten.
Danach kommen die Vorsitzenden der beiden
Betriebsleitungen zu Wort. Sie lesen die Gewin-
ner-Briefe vor, erläutern ihre Auswahl und versu-
chen Zusammenhänge zwischen den Briefen
einerseits und den Kriterien auf dem jeweiligen
Plakat andererseits herzustellen.
Plakat A
Wie schreibe ich einen guten Briefan einen Betrieb?
1. Nicht zu formell2. Nicht zu informell3. Nicht zu frech4. Auf die Rechtschreibung achten
5. Korrekter Satzbau6. Adresse erwähnen7. Überzeugend sein8. Erklären, dass man alles Mögliche
unternommen hat9. Problem darlegen10. Klare Absichten
Plakat B
1. Nicht zu höflich sein2. Verfasser muss gute Gründe haben3. Weder zu kurz noch zu lang4. Aus dem Brief soll hervorgehen, dass
ein Kind ihn geschrieben hat.5. Der Brief soll sauber aussehen.6. Wenig Fehler in der Rechtschreibung7. Nicht ständig dieselben Worte wieder-
holen8. Nicht zu untertänig9. Sich an mehr als nur eine Person
richten
Abb. 1: Kriterien und Argumente der Beobachtergruppen
(entstanden an der Amsterdamer Schule)
Aufgabenstellung
Auf der Verpackung von „Schlemmy“-Schokoladeriegeln hast du gesehen, dass du zwei
kostenlose Eintrittskarten für einen Kinobesuch gewinnen kannst. Dort steht:
SAMMELN SIE WERTPUNKTE FÜR ZWEI KOSTENLOSE KINOKARTEN!!!
Auf der Verpackung von Schlemmy-Riegeln findet sich 1 Wertpunkt für
kostenlose Kinokarten. Sammeln Sie 10 Wertpunkte und schicken Sie diese an:
Schlemmy Wertpunkteaktion, Postfach 3333, NL-1273 KB Etten-Leur.
Erwähnen Sie bitte Ihren Namen, Ihre Adresse, sowie Postleitzahl und Wohnort.
Die KOSTENLOSEN (!) Kinokarten werden dann so bald wie möglich verschickt.
Diese Aktion läuft bis zum 15. April.
Es ist heute der 7. April. Du hast 8 Wertpunkte gesammelt, aber du kannst jetzt nirgendsmehr „Schlemmy“-Riegel mit Wertpunkten finden – obwohl längst noch nicht der 15. April
ist. Du hast also die erforderlichen 10 Wertpunkte nicht zusammengekriegt.
Trotzdem möchtest du die zwei Kinokarten gerne erhalten. Du verschickst deshalb deine 8
Wertpunkte plus zwei Verpackungen ohne Wertpunkte. Schreibe dazu einen Begleitbrief.
Berichte in deinem Brief, wieso es dir nicht gelungen ist, die 10 Punkte zu sammeln und ver-
suche die „Schlemmy“-Betriebsleitung zu überzeugen, dass du einen berechtigten Anspruch
auf die zwei Kinokarten hast. Du bist ja nicht schuld daran, dass du die 10 Punkte nicht
rechtzeitig zusammengekriegt hast.
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Die Sache mit den „Schlemmy“-Riegeln 25
Vierte Stunde: Briefe überarbeitenNun können die Schülerinnen und Schüler zei-
gen, was sie in den ersten drei Stunden gelernt
haben. Ihr Wissen über diese Art von Briefen
(„Wie erhalte ich, was mir zusteht?“) hat sich indiesen drei Stunden erweitert und ist konkreter
geworden. Dieses Wissen können sie nun bei der
Überarbeitung ihrer Briefe anwenden. Zuerst
überlegen die Schülerinnen und Schüler sich,
wie sie bei der Überarbeitung vorgehen wollen
(Möglichkeiten zum Beispiel: 1. den Brief ganz
neu schreiben; 2. Änderungen zuerst auf dem
Ausdruck notieren; 3. Änderungen sofort in den
Computer eingeben). Dann erfolgt die Überar-
beitung. Dabei erfüllen die beiden Plakate Spick-
zettelfunktion. Die Stunde endet mit einer
schriftlichen und danach mündlichen Auswer-
tung durch die Schülerinnen und Schüler.
AuswertungDie Schülerinnen und Schüler der Amsterdamer
Schule bewerteten die Unterrichtsreihe durch-
schnittlich sehr positiv (Note 8 auf einer Skala von
1-10). Selbstverständlich haben wir uns die Unter-
schiede zwischen der Erst- und Zweitfassung der
Briefe genau angeschaut: Alle bis auf einen haben
Lernfortschritte gemacht. Aus einer Analyse derBriefe ging hervor, dass vor allem der rhetorische
Aspekt der Texte stärker hervorgetreten ist. Das
heißt: Das Problem wurde in der Zweitfassung
genauer beschrieben. Viele haben mehr Sorgfalt
darauf verwendet, darüber zu berichten, wie sie
„alles Mögliche unternommen haben“ (Plakat A,
Kriterium 8), um die zehn Wertpunkte zu sam-
meln. Die Lernenden beriefen sich öfter darauf,
dass das Enddatum der Aktion noch nicht verstri-
chen sei; auch erläuterten sie besser, warum sie
zwei Verpackungen ohne Wertpunkte mitschick-ten. Es wurden insgesamt mehr Mittel eingesetzt,
um den Leser zu überzeugen. Manchmal verfei-
nerten sie den Ton ihres Briefes. Auch wurden in
den Überarbeitungen etwas öfter emotionale
Akzente gesetzt: Man sei z.B. enttäuscht, da man
einem Freund schon angeboten hätte, zusammen
ins Kino zu gehen. Gleichzeitig wurde der Ton der
Briefe bei vielen Lernenden sachlicher und weni-
ger demütig. So wurde die hervorragende Qualität
der „Schlemmys“ nicht mehr so oft – und nicht
mehr so überschwänglich – gelobt wie in den
Erstfassungen. Kurz: Die Lernenden wurden denformalen Anforderungen an Briefe dieser Art bes-
ser gerecht. Bemerkenswert war, dass die Gruppe
der Schülerinnen und Schüler, die als Beobach-
ter teilgenommen hatten, signifikant mehr Lern-
gewinn verbuchte als die Gruppe der „Betriebs-
leiter“ (Braaksma 2002).
Zwei didaktische FaustregelnDie „Schlemmy“-Aufgabe illustriert den Kern un-
serer didaktischen Überlegungen. Es geht uns um
zwei Faustregeln, die jede für sich und miteinan-
der kombiniert für den Erwerb sprachlicher Fer-
tigkeiten ausschlaggebend sind.
Didaktische Faustregel 1: Ganzheitlichekommunikative AufgabenstellungenDie erste didaktische Faustregel ergibt sich aus
der referenziellen Kommunikationspsychologie.Sie betrifft die Aufgabe, die die Lernenden lösen
und von der sie etwas lernen müssen. Es soll sich
dabei um eine möglichst lebensechte kommuni-
Abb. 2: Erst- und Zweitfassung eines Briefes
Erstfassung
Montag, 7. April
Sehr geehrte Mitarbeiter der Firma Schlemmy,
ich habe mitgemacht bei der Sammelaktion, um zwei Kinokarten zu gewinnen. Nacheiniger Zeit hatte ich acht Wertpunkte gesammelt. Nach einiger Zeit konnte ich keine
Schlemmyriegel mit Wertpunkten mehr finden. Ich bin in jeden Süßwarenladen gegan-
gen, wo Schlemmyriegel verkauft werden, aber ich habe gar nichts finden können! Des-
halb gebe ich Ihnen hiermit zwei Verpackungen ohne Wertpunkte, um zu beweisen, dass
ich zehn Riegel gegessen habe. Ich hoffe, dass Sie mir helfen können, indem Sie mir
doch noch die Kinokarten geben. Ich hoffe, Sie verstehen mein Problem.
Mit freundlichem Gruß
Otto
Zweitfassung
Montag, 14. April 200x Sehr geehrte Mitarbeiter der Firma Schlemmy,
ich habe über die Werbeaktion der Firma Schlemmy gelesen, bei der man zwei kostenlo-
se Kinokarten gewinnen kann, wenn man zehn Wertpunkte sammelt. Ich habe mich
daran beteiligt und nach einiger Zeit hatte ich schon 8 Wertpunkte zusammen! Voller
Freude bin ich dann in einen Süßwarenladen gegangen, der Schlemmyriegel verkauft,
aber ich habe keinen einzigen Riegel mit Wertpunkten mehr finden können! Da habe ich
mir gedacht, dass die Aktion schon zu Ende ist, aber das ist ja unmöglich, weil die
Aktion bis zum 15. April läuft! Dann bin ich in einen anderen Laden gegangen, aber
auch dort war nichts mehr zu finden. Und als ich ohne Erfolg noch eine Reihe von
Geschäften besucht hatte, habe ich zwei Riegel ohne Wertpunkte gekauft. Ich schreibe
Ihnen diesen Brief, um zu berichten, dass ich alles Mögliche unternommen habe, um
zehn Wertpunkte zu sammeln. In diesem Brief finden Sie meine 8 Wertpunkte und zwei Verpackungen, um zu beweisen, dass ich zehn Schlemmyriegel gekauft habe. Ich hoffe,
Sie verstehen mein Problem und können mir helfen, es zu lösen. Ist es möglich, dass Sie
mir noch zwei kostenlose Kinokarten schicken?
Mit freundlichem Gruß
Otto
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Die Sache mit den „Schlemmy“-Riegeln26
kative Aufgabe handeln. Das heißt, die Aufga-
benstellung soll komplementären Charakter
haben: Wenn die Lernenden Texte schreiben,
dann müssen diese Texte auch von einem lebens-
echten Zielpublikum gelesen werden. Oder: Wenn Lernende sprechen, soll eine lebensechte
Hörsituation eingerichtet werden. So erfahren
Schülerinnen und Schüler, dass es alles andere
als egal ist, was und wie sie schreiben, dass man
Texte mit einer kommunikativen Absicht
schreibt – und dass der beabsichtigte Effekt tat-
sächlich zustande kommt (oder auch nicht). Sie
erfahren außerdem, dass die Wirkung eines Tex-
tes sich nicht immer (oder besser gesagt: oftmals
gar nicht!) mit den Absichten des Verfassers
deckt. Die Aufgabe soll sich also auf die Effektivi-
tät der kommunikativen Handlung, d.h. auf die
pragmalinguistische bzw. illokutionäre Ebene
des Sprachgebrauchs richten. Nicht, dass damit
andere (textuelle, rein sprachliche) Ebenen
bedeutungslos wären. Im Gegenteil. Sowohl der
Sprachgebrauch als auch die Textstruktur unter-
stützen die pragmatische Wirkung (oder unter-
graben sie).
Lebensechte kommunikative Aufgaben sind
motivierend und spielerisch. Sie bieten den Ler-
nenden optimale Gelegenheiten, ihre kommuni-
kativen Fertigkeiten zu schulen bzw. die kommu-nikative Wirkung ihrer Texte zu beobachten, zu
analysieren und zu bewerten.
Didaktische Faustregel 2:BeobachtungsaufgabenDie zweite Faustregel ergibt sich aus der Lern-
psychologie (Wygotski 2002). Ging es bei Faust-
regel 1 um den Entwurf einer lebensechten kom-
munikativen Aufgabenstellung, geht es hier um
die eigentliche Lernaktivität. Zum Erlernen einer
Handlung reicht es nicht, wenn Lernende dieHandlung bloß ausführen. Das Erlernen einer
Handlung fängt am besten damit an, dass Ler-
nende beobachten, wie ein anderer (nicht unbe-
dingt ein Experte) diese ausführt. Die Lernenden
schauen (und/oder hören) sich dabei an, was
geschehen sollte bzw. was tatsächlich geschieht
und welchen Effekt die Handlung bewirkt. Sie
ermitteln, inwiefern dieser Effekt beabsichtigt
war und analysieren, was man ändern müsste,
um die beabsichtigte Wirkung (besser) zu errei-
chen. Beobachtendes Lernen ist der Kern vielen
natürlichen Lernens: Auf diese Weise erwerben wir oft unser Wissen ebenso wie unsere Fertig-
keiten und Attitüden. Wir schauen nun mal vie-
les bei unseren Mitmenschen ab.
Eine motivierende kommunikative Aufgabenstel-
lung mit einer klaren, beabsichtigten Wirkung ist
also der erste Schritt. Danach gilt es, diese Aufga-
benstellung für das schulische Lernen fruchtbar
zu machen. Dazu müssen Lernende die tatsäch-liche kommunikative Wirkung beobachten, diese
mit der Wirkung anderer Ausführungen der Auf-
gabe vergleichen sowie feststellen, welche der
Ausführungen am wirksamsten ist und ermitteln,
wie effizient das Vorgehen ist. So erwerben Ler-
nende Wissen über Sprachgebrauch und Antwor-
ten auf die Frage: „Was ist am effektivsten in wel-
chen Situationen?“
VariantenEs liegen inzwischen mehrere Varianten der
„Schlemmy“-Aufgabe vor. Wir erwähnen hier nur
einige Beispiele aus dem Fremdsprachenbereich.
Trinh (2005) teilte eine Gruppe von vietname-
sischen Erstsemestlern (Englisch) in Fünfergrup-
pen auf. Jede Gruppe bekam die Aufgabe, als
Redaktion einer Zeitschrift ein Heft zu produzie-
ren. Die Redaktionen veröffentlichten „Calls for
papers“, worauf ihre Kommilitonen und Kommi-
litoninnen reagierten. Alle Studentinnen und
Studenten waren also Mitglied einer Redaktion
und Autor für eine andere. So erfüllten sie beideRollen: erstens die des Textschreibers und zwei-
tens die des kritischen Lesers. Redaktionssitzun-
gen über eingereichte Texte wurden in diesem
Experiment leider nicht beobachtet.
Van der Es (2005) nahm ein Medienspektakel
(die Wahl des berühmtesten Niederländers) als
Ausgangspunkt. Er ließ niederländische Schüle-
rinnen und Schüler einer neunten Klasse einen
englischsprachigen Brief an den organisierenden
Fernsehsender schreiben, in dem sie mitteilten,
wer ihrer Ansicht nach gewinnen sollte. Darauf folgte eine Unterrichtsstunde, in der sieben Drei-
ergruppen die Rolle der Fernsehredaktion ein-
nahmen. Jede Redaktion bekam vier Briefe zur
Beurteilung („Welcher Brief ist am überzeu-
gendsten?“) und jeder Redaktion wurde ein
Beobachter zugeordnet („Welche Kriterien ver-
wendet die Redaktion, um die Überzeugungs-
kraft zu beurteilen?“). Auch hier erfolgte in der
dritten Stunde die Berichterstattung und in der
vierten das Überarbeiten der Briefe.
Auch wenn es nicht primär um Kommunikati-
onsaufgaben geht, sondern um Lernaufgaben imengeren Sinne – wie das Erlernen von Lese- oder
Lernstrategien, von Argumentationsschemata
oder Strategien beim Zusammenfassen eines
Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008
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Die Sache mit den „Schlemmy“-Riegeln 27
Textes bzw. das Erlernen von Vorgehensweisen
bei Textüberarbeitungen oder beim Lesen litera-
rischer Texte – gilt grundsätzlich, dass das Anhö-
ren einer Instruktion mit einer anschließenden
Anwendungsphase weniger lehrreich ist als dasBeobachten eines Dozenten oder Mitschülers,
der die Handlung vormacht. Dies wurde mehr-
fach empirisch festgestellt, u.a. beim Erlernen
von Satzkombinationen, beim Verfassen synthe-
tischer Texte und bei der Überarbeitung von
Briefen in der Fremdsprache (vgl. Rijlaarsdam
u.a. 2005 für weiterführende Literaturangaben).
Termine
16./17. Mai 2009 in Fulda04./05. Juli 2009 in Mülheim/Ruhr11./12. Juli 2009 in Mülheim/Ruhr31.10./01.11.2009 in Göttingen
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„Anmerkung“ au f dem Anmelde formular.
Stets wurde festgestellt, dass das stellvertretende
Beobachten der Handlung wirksamer ist als das
Selbsterledigen einer Übungsaufgabe.
Vormachen also, vor der Klasse, laut denkend.
Oder in Zweiergruppen: Ein Schüler bzw. eineSchülerin versucht, eine Lernstrategie anzuwen-
den, die/der andere beobachtet das Vorgehen
und macht sich Notizen über die Vorgehenswei-
se. Fehler sind dabei erlaubt, ja sogar wünschens-
wert. Denn jemand, der sich weniger wirksames
Handeln angeschaut hat, wird dies selbst nicht
so schnell reproduzieren.
LiteraturBraaksma, Martine Anne H.: Observational Learning in
Argumentative Writing. Dissertation. Universiteit van Amsterdam 2002 [sig-writing.publication-archi-
ve.com/public?fn=enter& repository=1&article=80]Rijlaarsdam, Gert / Braaksma, Martine Anne H. / Couzijn,Michel / Janssen, Tanja / Kieft, Marleen / Broekkamp,Hein / van den Bergh, Huub: Psychology and the Tea-ching of Writing in 8000 and some Words. In: BJEPMonograph Series II Nr. 3: Pedagogy – Teaching forLearning. Volume 1 Nr. 1. Leicester : The British Psycho-logical Society 2005, 127-153
Trinh, Lap Quoc: Stimulating Learner Autonomy in Eng-lish Language Education: A Curriculum InnovationStudy in a Vietnamese Context. Dissertation. Universi-
teit van Amsterdam 2005 [www.ilo.uva.nl/ Pro- jecten/Gert/Research/Thesis LapTrinhFinal2.pdf]
Van der Es, Wibo: The Greatest Dutchman Contest; lessen-serie schrijfvaardigheid in het Engels voor 3-tto. In:
Levende Talen Magazine. Jg. 92 Nr. 4. Amsterdam: VLLT2005, 5-8 Wygotski, Lew S.: Denken und Sprechen. Psychologische
Untersuchungen. Weinheim: Beltz 2002
Anmerkungen1 Aus dem Niederländischen übersetzt von Peter Bimmel.2 Niederländisch- und englischsprachige Stundenvorbe-reitungen finden Sie unter www.ilo. uva.nl/Projecten/Gert/Smikkelclub/HandoutSMikkelPresentaties.doc bzw.
www.ilo.uva.nl/homepages/martine/lesson_series.htm
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Das „3-Phasen-Modell zur Förderung der Textkom-
petenz“ ist Teil der Literalen Didaktik (Schmölzer-
Eibinger 2008) und umfasst die Phase der Wissens-
aktivierung, der Arbeit an Texten und der Text-
transformation. Mit den in diesen drei Phasen
jeweils vorgesehenen Aufgaben sollen intensive
Prozesse des Lesens, Schreibens, Nachdenkens
und Diskutierens über Texte angeregt werden. Sie
ermöglichen eine enge Verzahnung von inhalts-
und sprachbezogenen Aktivitäten sowie von pro-
dukt- und prozessorientierten Handlungen.
Die drei Phasen dieses Modells werden imFolgenden überblicksartig und anhand von Auf-
gabenbeispielen vorgestellt. Dazu gibt es einige
Lernertexte und Aufgabenvariationen.1 Die Aufga-
ben sind innerhalb einer Aufgabenabfolge syste-
matisch aufeinander bezogen und miteinander
vernetzt. Sie können auf vielfältige Weise kombi-
niert und flexibel an die individuellen Vorausset-
zungen der Lernenden angepasst werden. Sie soll-
ten jedoch nicht isoliert herausgegriffen und
beliebig aneinandergereiht werden, denn der
Lerneffekt ergibt sich durch die spezifische Abfol-
ge und Kombination der Aufgaben und die dafür
vorgeschlagenen Handlungs- und Sozialformen.
Die sprachlichen und kognitiven Anforderungen
bei der Bearbeitung einer Aufgabe werden durchdie Konzeption der Aufgabe, aber auch durch die
Komplexität der Texte gesteuert: Je einfacher der
Text, desto einfacher die Aufgabe.
In diesem Beitrag wird ein didaktisches Modell zur Förderung der Textkompetenz vorgestellt, mit
dem Fremd- und Zweitsprachenlernende dabei unterstützt werden können, die Anforderungen im
Umgang mit Texten im Unterricht besser zu bewältigen. Dieses 3-Phasen-Modell kann in vielfäl-
tigen Lernsituationen eingesetzt werden und ermöglicht es, die Textkompetenz der Lern enden
schrittweise aufzubauen und zu erweitern.
Von Sabine Schmölzer-Eibinger
Ein 3-Phasen-Modell zurFörderung der Textkompetenz
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1. Phase: WissensaktivierungIn der Phase der Wissensaktivierung geht es
darum, die Gedanken, Assoziationen und die vor-
handenen Erfahrungen und Kenntnisse der Ler-
nenden zu einem Thema aufzurufen und für die Arbeit an einem Text verfügbar zu machen. Dafür
sind Aufgaben zum assoziativen Schreiben und
Sprechen auf besondere Weise geeignet. In den
Aufgaben zum assoziativen Sprechen sind die
Lernenden gefordert, sich mündlich spontan zu
einem Thema zu äußern, in den Aufgaben zumassoziativen Schreiben sollen sie ihre Gedanken
und Ideen zu einem Thema schriftlich ad hoc zu
Assoziative Schreibaufgaben tragen dazu bei,
dass Schreibblockaden abgebaut werden bzw.
gar nicht erst entstehen.
Papier zu bringen.2 Ausgehend von einem Schreib-
impuls sollen sie alles aufschreiben, was ihnen
zum Thema einfällt – ohne abzusetzen und ohne
den Schreibfluss zu unterbrechen. Es steht ihnen
frei, in welcher Sprache sie schreiben – grund-
sätzlich können alle Sprachen verwendet wer-
den, die ihnen in den Sinn kommen (vgl. Hor-
nung 1996, 228).
Aufgaben zum assoziativen Schreiben sind
nicht mit den üblichen Ansprüchen an die Ein-haltung von sprachlichen Normen und Stan-
dards verbunden: Es gibt keine Sanktionen für
falsch Geschriebenes oder nicht berücksichtigte
Textsortennormen (vgl. Hornung 1999, 1996,
225f.). Assoziative Schreibaufgaben tragen auch
dazu bei, dass Schreibblockaden abgebaut wer-
den bzw. gar nicht erst entstehen.
Bei der folgenden Aufgabenabfolge geht es
um das Thema „Städte im Mittelalter“, das in der
Schule üblicherweise im Geschichtsunterricht
der sechsten Jahrgangsstufe durchgenommen wird:
Assoziatives Schreiben
1. Einzelarbeit: Schreib fünf Minuten lang alles auf, wasdir zum Thema „Städte im Mittelalter“ einfällt. Lassden Schreibfluss nicht abreißen und schreib auch dannweiter, wenn dir gerade nichts einfällt (z.B. aaaaabb...).Schreib in ganzen Sätzen (keine Stichwörter).
2. Partnerarbeit: Lest einander die Texte vor, die ihrgeschrieben habt. Verwendet eure Gedanken undIdeen zum Thema für einen gemeinsamen Text, mitdem ihr euch an einem Text-Wettbewerb in der Klassebeteiligt.
3. Gruppenarbeit: Entscheidet euch für fünf Kriterien,
nach denen die Texte von der Klasse beurteilt undgereiht werden sollen.
4. Plenum: Tauscht die Kriterien miteinander aus undeinigt euch auf fünf Kriterien der Textbeurteilung. (Drei
Schülerinnen bzw. Schüler beobachten den Einigungs-prozess und berichten nachher, was ihnen dabei auf-gefallen ist.)*
5. Gruppenarbeit: Bewertet euren eigenen Text anhandder fünf Kriterien und überarbeitet ihn.
6. Plenum: Bewertet die Texte der anderen, vergebt Punk-te und erstellt eine Reihung.7. Gruppenarbeit: Sammelt eure Erfahrungen und über-
legt euch, worauf ihr beim Schreiben das nächste Malbesonders achtgeben wollt.
* Die Beobachteraufgaben dienen dazu, die Reflexionsfähigkeit
der Lernenden im Umgang mit Texten zu schulen, effiziente
Schreibstrategien zu erkennen und für die weitere Arbeit an Tex-
ten zu sichern (siehe auch Beitrag von Rijlaarsdam / Braaksma in
diesem Heft, S. 23).
Ein 3-Phasen-Modell zur Förderung der Textkompetenz 29
Lernertext 1a): Einzelarbeit (zu Aufgabe 1)
In Städten im Mittelalter befanden sich viele Gebäude z.B. Rathaus,Kirche und Metzgerei. Der Huptpunkt in der Stadt war ein Markt, wodie Leute einen Tauschhandel machen. Die Menschen beten sich in der Kirche und alle haben auch ein kreuz, mit dem sie gehen. Dort gib esauch viele Plätzen wo kann man sich waschen z.B. Dampfbaden. Das war sehr wichtig, weil im Luft viele Vieren waren. Viele Krankenheiten tra-gen die Raten auf, also die Hiegiene war am niedrigen Niveau. Es entwi-ckelt sich eine Dienstleistung – es war ein Kleinhandel: Metzgerei,Beckerei, Müttergescheft.
Lernertext 1b): Einzelarbeit (zu Aufgabe 1)
In jeder Stadt im Mittelalter gab es die Stadtmauer, die die Leute vor Attaten des anderen Volkes schützte. In Zentrum befand sich immer das Rathaus, Kirche und städtliche Brunne. In der Nähe der Zentrumfand die Marktplatz, in deren viele Kaufleute und Händler zussamen-treffen. Die Gesellschaft der Stadt war doch arm. Auf den Straßenwohnte viele Obdachloser. Diese innerstädtliche Straße war oft schmut-zig und stinkend. Diese Straßen waren nur getrettene Sand oder warenaus der Stein gebaut. In dieser Zeit gab’s keine Industrie, man kannnicht einfach Saubamittel kaufen. Also das Nivau des Hygienes war sehr schlecht. In den Stadtsstruktur dominierte die Romangebäude.
Lernertext 2: Partnerarbeit (zu Aufgabe 2)
In jeder Stadt im Mittelalter gab es die Stadtmauer, die die Leute vor Attaten des anderen Volkes. Es befanden sich viele Gebäude z.B. Rat-haus, Kirche oder Metzgerei. Der Hauptpunkt in der Stadt war ein Stadt war ein Markt, in denen viele Kaufleute und Händler zusammentreffen.Es dominierte hier ein Tauschhandel. Die Menschen betetet sich in der Kirche und alle haben auch ein kreuz, mit dem sie in verschiedenenTeile der Stadt gehe. Dort gibt es auch viele Plätzen wo kann man sich waschen z.B. Dampfbaden. Das war sehr wichtig, weil im Luft viele Vie-ren waren. Viele Krankheiten tragen die Raten auf, also die Hiegiene
war am niedriegen Niveau. In dieser Zeit gab’s keine Industrie, mankann nicht einfach Saubermittel kaufen.
Abb. 1: Aus zwei Einzelleistungen entsteht ein gemeinsamer Text
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Ein 3-Phasen-Modell zur Förderung der Textkompetenz30
Aufgaben zur Wissensaktivierung setzen nicht
nur spontane Ideen und Emotionen der Lernen-
den frei, sondern auch ihre vorhandenen Sach-
kenntnisse. Beim gemeinsamen Schreiben (Auf-
gabe 2) kann dieses themenbezogene Wissen ge-bündelt und weiterverarbeitet werden.
Die Aufmerksamkeit der Lernenden liegt dabei
meist vor allem auf den Inhalten und weniger auf
der Sprache. Eine Überarbeitung, die einen bewus-
sten Umgang mit Sprache erfordert, ist daher zu
empfehlen (Aufgabe 5).
Variante: assoziatives Sprechen
Assoziatives Sprechen
Vorgabe: Bilder zum Thema „Städte im Mittelalter“
1. Paararbeit: Sucht euch ein Bild aus und redet darüberfünf Minuten lang vor der Klasse, möglichst ohne Pau-sen zu machen.
2. Gruppenarbeit: Was hat euch an den Beschreibungenund Kommentaren zu den Bildern besonders angespro-chen? Konzentriert euch auf drei für euch interessanteoder auffällige Dinge, die gesagt wurden. Schreibt einenText, in dem ihr darauf Bezug nehmt und fügt eureeigenen Ideen und Gedanken zum Bild hinzu. (Eine/raus eurer Gruppe beobachtet den Schreibprozess undteilt euch nachher seine/ihre Eindrücke mit.)
3. Gruppenarbeit: Tauscht eure Texte aus und sagt denanderen, was euch daran besonders gut / weniger gutgefällt. Überarbeitet euren Text anhand der Rückmel-dungen der anderen.
4. Plenum: Stellt die Bilder und Texte in der Klasse aus,verwendet sie für eine Projektmappe oder eine Seiteauf eurer Klassenhomepage.
Variation:
Wenn es sich um Kunstbilder handelt, könnten sich dieLernenden über die Bilder in der Rolle von Kunstexpertenund / oder Reportern unterhalten, um sie einem kunstin-teressierten Publikum (der Klasse) in einer (simulierten)Radio- oder Fernsehsendung näher zu bringen. Die Zuhö-renden schreiben anschließend ein kurzes Statement überdas, was sie gehört haben. Dieses Statement soll mit demBild in einer Kunstzeitschrift, in einem Schulbuch fürKunsterziehung oder in einem Sachbuch veröffentlichtwerden.
2. Phase: Arbeit an TextenDie Arbeit an Texten bildet den Kernbereich in
diesem Modell. Die Aufgaben in dieser Phase
regen die Lernenden dazu an, Texte aus unter-
schiedlichen Perspektiven wahrzunehmen und in
verschiedenen Kontexten zu reflektieren, zu re-
konstruieren, zu überarbeiten oder neu zu konsti-
tuieren. Sie sind gefordert, Informationen zu
selektieren, zu fokussieren, zu abstrahieren und
auf sachadäquate, nachvollziehbare Weise zu ver-knüpfen. Mündliche und schriftliche Aktivitäten
sind dabei immer eng aufeinander bezogen; die
Aufmerksamkeit liegt sowohl auf der Sprache als
auch auf den Inhalten. Die Textkompetenz der Ler-
nenden wird auf diese Weise nicht nur im Schriftli-
chen, sondern auch im Mündlichen geschult.
Die Textkompetenz der Lernenden wird nichtnur im Schriftlichen, sondern auch
im Mündlichen geschult.
In drei Stufen der Textarbeit (Textkonstruktion,
Textrekonstruktion, Textfokussierung und Textex-
pansion) werden verschiedene Aspekte im Um-
gang mit Texten wie das Wiedergeben, das Ergän-
zen, das Konstruieren sowie das Transformieren
von Texten hervorgehoben.
Schritt 1Bei den Aufgaben der Textkonstruktion erhalten
die Lernenden Fragmente eines Textes (einzelne
Sätze, Absätze oder kurze Textpassagen), die sie
vervollständigen müssen. Beim Schließen der
„Lücken“ sind sie gefordert, sowohl sprachlich als
auch thematisch „Neuland“ zu betreten. Je redu-
zierter die vorgegebenen Textfragmente sind,
desto eher ermöglichen sie es den Lernenden,
ihre Kreativität und Phantasie zu entfalten und
eigene Assoziationen und Gedanken zum Thema
einfließen zu lassen. Dies ist bei literarischen Tex-
ten leichter als bei Sachtexten, für die beimSchließen der Lücken konkretes thematisches
Wissen gefordert ist. Sind die vorgegebenen Frag-
mente umfangreicher, so ist der Spielraum für die
Lernenden eingeschränkter, gleichzeitig können
größere Textfragmente den Lernenden auch Halt
und Orientierung beim Schreiben geben. Beim
Ergänzen der Textfragmente müssen die vorhan-
denen Textteile immer wieder aufs Neue gelesen,
überprüft, überarbeitet und verbessert werden.
Die Lernenden haben dabei die Möglichkeit, nur
soviel und genau das zu schreiben, wozu sie in derLage sind; die Aufgaben in dieser Phase sind
immer an den aktuellen Sprach- und Wissens-
stand der Lernenden angepasst. Die Texte müssen
anschließend untereinander ausgetauscht und
miteinander verglichen werden. Dadurch wird
die Fähigkeit der Lernenden geschult, Texte zu
beurteilen und die Rückmeldungen ihrer Lern-
partnerinnen und Lernpartner für eine Verbesse-
rung der eigenen Texte zu nutzen. Auch dazu ein
Beispiel:
Textkonstruktion
1. Paararbeit: Setze den folgenden Textausschnitt fort:„Siehst du nun, was eine Stadt ist?“ sagte der Ghini.„Und wenn sie jetzt schon so ist, wo sie noch nichtmal fertig ist, wie wird sie dann erst nachher sein? Ich
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Ein 3-Phasen-Modell zur Förderung der Textkompetenz 31
sage dir, das wird ein ganz anderes Leben.“
(Aus: Eco, Umberto: Baudolino. München,
Wien: Hanser 2001, 190f.)
2. Gruppenarbeit: Vergleicht euren Text mit dem eines
anderen Paares und verfasst auf dieser Grundlagegemeinsam einen neuen Text, der euren Vorstellungen
von einem gelungenen Text entspricht. (Eine/r aus
eurer Gruppe beobachtet den Schreibprozess und teilt
euch nachher seine/ihre Eindrücke mit.)
3. Gruppenarbeit: Vergleicht euren Text mit dem Original-
text. Was fällt euch auf?
Variation:
4. Eine zu ergänzende Textpassage oder ein weiterzufüh-
render Satz könnte sowohl als Textanfang als auch als
Textende vorgegeben werden; es könnte aber auch der
erste und der letzte Satz eines Textes zur Fortführung
angeboten werden. Ebenso wäre es möglich, jeden
zweiten Satz eines Textes auszulassen bzw. nur denBeginn der jeweiligen Absätze eines Textes vorzuge-
ben, der von den Lernenden ergänzt werden muss.
Bei dieser Aufgabe werden die Gruppentexte
(Aufgabe 2) in der Regel nicht vollständig neu
geschrieben, sondern es werden die paarweise
geschriebenen Texte (Aufgabe 1) zusammenge-
führt und ausgebaut:
sprachlichen und themenbezogenen Kenntnisse
mobilisieren. Der Text muss mehrfach und aus
unterschiedlichen Perspektiven gelesen werden;
Sinnzusammenhänge sind dabei immer wieder
aufs Neue zu überprüfen und zu verdeutlichen.Dabei werden nicht nur Strategien des Erfassens
und Verarbeitens von Inhalten sondern auch pro-
duktive Fähigkeiten der kohärenten Darstellung
von Informationen geschult.
Eine Aufgabe, die die Fähigkeit der Rekon-
struktion von Texten auf besondere Weise fördert,
ist das Dictogloss 3 (vgl. Wajnryb 1990). Ein Text
wird zunächst vorgelesen und anschließend von
den Lernenden gemeinsam rekonstruiert. Beim
Vorlesen des Textes müssen die Lernenden
Rezeptive und produktive Aktivitäten
gehen nahtlos ineinander über.
genau zuhören; beim Schreiben müssen sie sich
darum bemühen, den Text originalgetreu und
kohärent wiederzugeben. Ihre Aufmerksamkeit
liegt dabei sowohl auf der Sprache als auch auf den
Inhalten. Rezeptive und produktive Aktivitäten
gehen nahtlos ineinander über. Es ist nicht nur das
Verstehen und Produzieren des Textes, sondern
auch das verständliche Mitteilen und Verstehen der
Redebeiträge der anderen gefordert. Die Lernen-den erkennen bei dieser Aufgabe in der Regel von
selber, wo sie noch Probleme im Umgang mit Tex-
ten haben und entsprechende Unterstützung
benötigen. Dazu wiederum ein Beispiel:
Textrekonstruktion: Dictogloss
Eine/r in der Gruppe liest einen Textabschnitt zum Thema
„Mittelalter“ aus einem Schulbuch vor, die anderen hören zu.
1. Gruppenarbeit: Rekonstruiert den Text möglichst
genau (derjenige, der vorgelesen hat, beobachtet den
Schreibprozess und schildert den anderen nachher
seine Eindrücke). Ergänzt die „Lücken“ mithilfe eures
vorhandenen Wissens.2. Gruppenarbeit: Vergleicht euren Text mit dem einer
anderen Gruppe. Macht euren Text verständlicher und
informativer.
3. Nun vergleicht euren Text mit dem Originaltext. Was
fällt euch auf?
Bei dieser Aufgabe entstehen häufig inkohärente
Texte, die erst durch die Überarbeitung an Sinn-
zusammenhang gewinnen:
Schritt 2In den Aufgaben der Textrekonstruktion sind die
Lernenden gefordert, einen Text, den sie gelesen
oder gehört haben, möglichst genau zu rekonstru-
ieren. Der Schwierigkeitsgrad des Textes sollte so
gelagert sein, dass die Lernenden nicht in der
Lage sind, sich diesen im Detail zu merken. Umdie Gedächtnislücken schließen und einen
zusammenhängenden Text produzieren zu kön-
nen, müssen die Lernenden ihre vorhandenen
Lernertext 4: Gruppenarbeit (zu Aufgabe 2)
Wir werden viele moderne Gebäude in der Stadt haben und es wird keine Obdachlose sein. Jeder wird seine eigene Ort zu leben haben. Es ent- stehen neue Arbeitsplätze und neue stadtliche Verwaltung, es wird die Gerechtigkeit herr- schen.
Lernertext 3: Paararbeit (zu Aufgabe 1)
Wir werden ganz neue Gesellschaft gründen.Wir werden neue Lebensbereiche entdecken. DasLeben wird leichter und einfacher sein, Leute können reichere Leben führen. In der Stadt werden wir uns sicher fühlen, weil wir geschützt sein werden.
Lernertext 5: Gruppenarbeit (zu Aufgabe 1)
Die Städte entstanden, wo das günstig war. Das waren vor allem Kreu-
zungspunkte, Handelsstraßen, Flussübergänge Die Menschen renovierten auch alte Römersiedlungen. Die Menschenarbeiteten in verschieden Betrieben, z.B. als Schmied für den Bedarf der Kaufleute
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Ein 3-Phasen-Modell zur Förderung der Textkompetenz32
Textrekonstruktion: Textpuzzle
Vorgabe: drei Textabschnitte aus einem Schulbuch (jede/rLernende erhält einen anderen Textabschnitt)1. Einzelarbeit: Lest euren Textabschnitt aufmerksam
durch und legt ihn dann beiseite. Erzählt den anderen,
worum es in diesem Textabschnitt geht.2. Gruppenarbeit: Bringt eure Textabschnitte in eine sinn-volle Reihenfolge, ohne im Original nachzulesen.
3. Gruppenarbeit: Rekonstruiert die Textabschnittegemeinsam (schriftlich). Ergänzt die „Lücken“, sodassein zusammenhängender, sinnvoller Text entsteht.
4. Gruppenarbeit: Vergleicht euren Text mit dem eineranderen Gruppe und anschließend mit dem Original.Was fällt euch auf?
Schritt 3In den Aufgaben zu Textfokussierung & Textex-
pansion sind die Lernenden gefordert, relevante
Informationen in einem Text zu erkennen, zu
gewichten, miteinander zu verbinden und
schließlich wiederum zu erweitern. Dies erfor-
dert Aktivitäten des Selektierens, des Interpretie-
rens, des Löschens und des Reorganisierens von
Sinneinheiten und Textelementen. Die Fähigkeit
des Fokussierens von Informationen wird
geschult, indem die Lernenden z.B. die zentrale
Hypothese/Fragestellung herausarbeiten oder
die wichtigsten Informationen eines Textes
(gemeinsam) zusammenfassen. Das Zusammen-
fassen von Texten fördert die Fähigkeit, Inhalteauf ihre Relevanz hin zu beurteilen, zu gewichten
und zusammenhängend darzustellen. Der vorge-
gebene Text wird dabei meist aufmerksamer
gelesen und verarbeitet als dies beim bloßen
Durchlesen der Fall ist.
Im folgenden Beispiel schließt eine Aufgabe
zur Textexpansion an eine Aufgabe zur Textfo-
kussierung an. Zwei Aufgabenabfolgen werden
den Lernenden wahlweise angeboten:
Textfokussierung & Textexpansion
Vorgabe (Gruppe A): Schulbuchtexte zum Thema „Städ-te im Mittelalter“ (der Text wird von der Gruppe ausge-wählt)
1. Paararbeit: Formuliert den inhaltlichen Kern eures Tex-tes in einem Satz (schriftlich).
2. Gruppenarbeit: Stellt euch diesen Satz gegenseitig vorund macht einander Verbesserungsvorschläge. Überar-beitet euren Satz anhand der Rückmeldungen.
3. Paararbeit: Schreibt einen Text zu diesem Thema fürein Schulbuch, in den ihr diesen Satz einbaut.
4. Gruppenarbeit: Tauscht die Texte untereinander ausund teilt einander mit, was euch jeweils am Text deranderen gefällt bzw. nicht gefällt. Überarbeitet eurenText anhand der Rückmeldungen.
Die Reduktion des Textinhaltes auf nur einen
Satz setzt voraus, dass die Lernenden die wich-
tigsten Informationen im vorgegebenen Text
erkennen und verständlich darstellen können.
Wichtig ist dabei, dass der Satz schriftlich formu-
liert wird, denn im Schriftlichen ist mehr Genau-
igkeit und Explizitheit gefordert als im Mündli-
chen.
Textfokussierung & Textexpansion
Vorgabe (Gruppe B): Romanauszug aus Umberto EcosBaudolino
1. Paararbeit: Sucht nach jener Textpassage, die am bes-ten ausdrückt, worum es in diesem Text geht.
2. Gruppenarbeit: Teilt den anderen eure Entscheidung mitund begründet sie. Einigt euch auf eine Textpassage.
3. Paararbeit: Schreibt einen Phantasietext, in den ihrdiese Textpassage einbaut.
4. Gruppenarbeit: Tauscht eure Texte untereinander ausund teilt einander mit, was euch gefällt bzw. nichtgefällt. Überarbeitet euren Text anhand der Rückmel-dungen.
Variationen:
Es können gemeinsam kurze Zusammenfassungengeschrieben, miteinander verglichen und überarbeitetwerden. Der Fokus kann auch auf einzelne Schlüsselwör-ter oder -passagen gerichtet werden, entweder weil sieinhaltlich relevant sind oder logische Zusammenhänge gut
verdeutlichen. Ein Text kann von den Lernenden umbestimmte Informationen gekürzt werden, etwa um All-tags- / Sachbezüge, oder man lenkt ihre Aufmerksamkeitauf besonders aussagekräftige Textstellen, prägnante Bei-spiele oder schwer verständliche Textpassagen, diegemeinsam entschlüsselt werden sollen.
Vorlage für Gruppe B:
Auszug aus Umberto Ecos Baudolino
„Siehst du nun, was eine Stadt ist?“ sagte der Ghini.„Und wenn sie jetzt schon so ist, wo sie noch nicht mal
fertig ist, wie wird sie dann erst nachher sein? Ich sage dir,das wird ein ganz anderes Leben. Jeden Tag siehst duneue Leute – für die Händler und Kaufleute, stell dir vor,muß das wie ein himmlisches Jerusalem sein, und was dieRitter betrifft, der Kaiser hat ihnen verboten, Land zu ver-kaufen, damit der Besitz nicht geteilt wird, und so sind sieelend verhungert auf ihrem Land. Hier dagegen befehli-gen sie Kompanien von Bogenschützen, kommen hoch zuRoß daher und erteilen Befehl nach rechts und nach links.Aber nicht nur den Rittern und den Kaufleuten geht eshier gut, es ist auch ein Segen für Leute wie für deinenVater, der nicht viel Land hat, aber ein bißchen Vieh, dennin die Stadt kommen Leute, die danach fragen und mitrichtigem Geld dafür bezahlen. Man bezahlt immer öftermit klingender Münze und nicht mit anderen Waren im
Tausch, ich weiß nicht, ob du begreifst, was das heißt:Wenn du zwei Hühner für drei Kaninchen nimmst, mußtdu sie früher oder später essen, sonst werden sie schlecht,aber zwei Münzen, die kannst du unter deinem Bett ver-
Lernertext 6 (zu Aufgabe 1)
Und dann – so war es in Mailand (…), bis dutrotzdem ein Depp.
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Syntax- und Textkompetenz
HilferufEs war vor der Geschichtsprüfung meiner dritten
Klasse (11. Schuljahr, Liceo Artistico = bilingua-
les Kunstgymnasium, Zürich) mit bilingual auf-
gewachsenen Schülerinnen und Schülern. „Kön-
nen Sie uns bitte helfen? Wir verstehen über-
haupt nichts.“ Der Text1
, den sie nicht verstehenkonnten, beginnt wie folgt:
Der Auszug aus dem Geschichtslehrbuch, den
mir meine Schülerinnen und Schüler präsentier-
ten, spricht für sich selbst. Für jugendliche Lese-
rinnen und Leser, deren Muttersprache nicht
Deutsch ist, und die sich bis vor einem Jahr im
auf Italienisch gehaltenen Geschichtsunterricht
überrinascimento
,barocco e rivoluzione
kundig gemacht haben, wimmelt es in dieser Textpassa-
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welches Leseverhalten die in Fachtexten
üblichen komplexen deutschen Satzmuster bei bereits fortgeschrittenen Fremdsprachenlernenden
auslösen; er zeigt tendenziell erfolgreiche sowie unproduktive Lesestrategien von Lernenden auf
und plädiert für den Einsatz variierender schriftlicher Rezeptionsmethoden.
Von Antonie Hornung
© panthermedia / Rüdiger R.
Europa in der Epoche des „integralen Nationalismus“ nach 1870
Ideologische Grundlagen
1) Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts änderte sich die Stellung des Nationalismus im politischen Koordinatensys-
tem.
2) Viele sahen jetzt in der jeweils eigenen Nation einen absoluten, allen anderen übergeordneten Wert.
3) Historiker sprechen von einem „integralen Nationalismus“.
4) Diese neue Konzeption des Nationalismus war – neben dem Sozialismus und der Erneuerung des (insbesondere
katholischen) Christentums – eine Antwort auf das vermeintliche Versagen des Liberalismus, einschließlich des
nationalen Liberalismus.
5) Dessen wirtschaftlich-soziale Verheißungen schienen einmal durch die Krise der 1870er-Jahre und die nachfolgen-
de Phase des gebremsten Wachstums widerlegt (siehe Grafik S. 266); ebenso durch den Staatsegoismus, der dieAußenpolitik nach wie vor beherrschte, und durch die Begrenzung der politischen Mitwirkung des Volkes gerade
auch in Ländern mit starkem Parlament. […]
(aus: Günther-Arndt / Hoffmann / Zwölfer (Hrsg.): Geschichtsbuch Oberstufe Bd. 1, 368 © Cornelsen, Berlin 1996)
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Syntax- und Textkompetenz 35
ge nur so von Begriffen, und der Zusammenhang
von Liberalismus, Nationalismus, Sozialismus
und welcher -ismen auch immer, bleibt unver-
ständlich. Ein Buch mit sieben Siegeln bleibt er
für die Schülerinnen und Schüler aber nicht nur, weil sie die Begriffe nicht verstehen, unverständ-
lich bleibt ihnen dieser einleitende Abschnitt
und die folgende Textpassage auch deshalb,
weil hier eine Fülle von komplexen Fachbegrif-
fen in eine zwar grammatikalisch nicht unbe-
dingt schwierige, jedoch subtile Syntax 2 verpackt
wurde, die zu verstehen höchste Aufmerksamkeit
erfordert – von Zweitsprachenlernenden ebenso
wie von Deutschsprachigen. Eine mehrere Schrit-
te umfassende „Notfallübung“ hilft, den ersten
Schock zu überwinden und die Angst vor der
Prüfung zu mildern.
Von der Notfallübung zur nachhalti-gen didaktischen StrategieDie Lösung für derartige Probleme des Textverste-
hens kann nicht darin liegen, dass Sachtexte in
Lehrbüchern immer einfacher gestaltet werden
(vgl. hierzu auch Hornung 2007). Ziel gymnasialer
Didaktik muss nach wie vor eine hohe Textkom-
petenz sein. Zumindest über wesentliche Strate-
gien zur selbstständigen Erarbeitung schwierigerTexte sollten Oberstufenschüler und -schülerin-
nen souverän verfügen, wenn sie mit einem wis-
senschaftlichen Studium beginnen wollen – egal,
ob sie nun Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremd-
sprache erworben bzw. gelernt haben.
Wir machen uns also auf den Weg: In einem
ersten Schritt, von dem dieser Beitrag vorwie-
gend handeln wird, versuche ich herauszufin-
den, worin die Schwierigkeiten der einzelnen
Lernenden bestehen. Um diese zu ergründen,
gehe ich von der Hypothese aus, dass sich in derschriftlichen Erarbeitung von historischen Facht-
exten Hinweise auf Rezeptionsprobleme bzw. -
strategien erkennen lassen. Indem ich Fragen
stelle, für deren Beantwortung die Schüler ver-
schiedene Texte lesen und mehr oder weniger
gut verstehen müssen, verknüpfe ich eine Analy-
se- mit einer Syntheseaufgabe (Frey 1990), brin-
ge die Schülerinnen und Schüler also in eine
Situation, in der sie nicht nur eine einfache Lern-
aufgabe, sondern auch eine Leistungsaufgabe
(Köster 2003) zu bewältigen haben.
Historische Fachtexte und ihre TückenDie Wahl des Themas fällt auf Niccolò Machiavelli,
da wir uns im Deutschunterricht derzeit mit Les-
sings Emilia Galotti beschäftigen und die Frage
der Rolle Marinellis, insbesondere der letzte Satz
des Prinzen3, noch unbesprochen im Raum steht.
Anders als das eingangs zitierte, theoretisch aus-
gerichtete Beispiel sind die hier verwendetenBeispieltexte biografisch, handeln also von einer
historischen Persönlichkeit, ihrem Wirken und
ihrem Werk. Und da die italienisch-deutschspra-
chigen Schülerinnen und Schüler dieser Klasse
Die Probleme vermute ich dort,wo sich Einschübe befinden, vor allem aber
bei komplexen Satzgliedern
sich im italienischen Geschichtsunterricht mit
Machiavelli und seinem Werk bereits beschäftigt
haben, gehe ich davon aus, dass ein gewisses
Weltwissen in diesem Zusammenhang bereits
vorhanden ist.
Die historischen Beispieltexte, die ich aus-
wähle, entstammen zwei etwas älteren histori-
schen Fachbüchern, einem historischen Perso-
nenlexikon (Herzfeld 1963, 102f.) und einem
Arbeitsbuch für Studierende, das als Repetitori-
um für die universitäre Prüfungsvorbereitung
gedacht war (Büssem/Neher 1979, 229). Beide
Textpassagen scheinen mir inhaltlich leichter
erfassbar als der eingangs zitierte Text aus demSchulbuch. Syntaktisch ist der erste Text (T 1) auf
jeden Fall einfacher als der Auszug über „integra-
len Nationalismus“ (lediglich Satz 14 stellt hier
eine komplexere Hypotaxe dar), wohingegen der
zweite Text (T 2) mit den Sätzen 8, 11, 14 und 26
Konstruktionen anbietet, die denjenigen des
Problemtexts nicht unähnlich sind.
Da wir uns in den vergangenen Semestern
immer wieder mit Konjunktional- und Relativ-
sätzen verschiedenster Art rezeptiv und produk-
tiv auseinandergesetzt haben, dürften die Hypo-taxen als solche für meine Klasse keine großen
Schwierigkeiten bereithalten. Die Probleme ver-
mute ich vielmehr dort, wo sich – wie oben in
Satz 4 – Einschübe finden, vor allem aber bei
komplexen Satzgliedern (z.B. T 2, Satz 8: […] der
Dekadenz des öffentlichen Lebens und kirchli-
cher Kreise) , bei Parallelbesetzungen von Satz-
gliedern (z.B. T 2, Satz 8: Zahlreiche Gesandt-
schaften zu fast allen bedeutenden Höfen Ita-
liens, auch zum Papst, zum Kaiser und zum fran-
zösischen König […] ) oder auch dort, wo modifi-
zierende Verben (vgl. T 2, Satz 14: Suchte […] zu illustrieren ) und wo nebensatzwertige Infinitive
mit im Spiel sind. Eine weitere Quelle für Ver-
ständnisschwierigkeiten dürften die Konnekto-
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Syntax- und Textkompetenz 37
bezeichnet, wobei mir aber klar ist, dass die hier
angewendete Methode der produktiven Rezepti-
on von Texten zwar Hinweise, jedoch keine
Beweise auf eine Vermeidungsstrategie liefern
kann; in manchen Fällen mag auch bewusst eine Auswahl getroffen worden sein. Das Vorgehen
von Schülerin 1 (S 1 w)4, die für die Beantwor-
tung von Frage 1 lediglich fünf Sätze abschreibt
(vgl. Bsp. 1)5 und mehrere wichtige Informatio-
nen ausspart, darf aber wohl als Strategie des
Vermeidens bezeichnet werden.
Wenn hier mit abschreiben das reine Kopieren
von ganzen Sätzen mit minimalen Ergänzungen
gemeint wird, so bezeichnet puzzeln das Zusam-
mensetzen von Satzteilen oder anderen zusam-
menhängenden Formulierungen aus verschie-
denen Sätzen und/oder Texten in anderer Kom-
position oder Reihenfolge, als die entnomme-
nen Textbausteine im Original zu finden sind.
Wohingegen das Rezipierte mit eigenen Worten
neu formuliert oder größere Zusammenhänge
eigenständig zusammengefasst werden, spreche
ich von umschreiben und reformulieren (3).
Neben dem Puzzeln, das vielleicht eher mecha-
nistisch erfolgt, ist diese Strategie des Umschrei-
bens und Reformulierens ein wichtiger Hinweis
auf Textkompetenz, denn hierbei erfolgt explizit
eine „Rekodifikation der semantischen Wort-
und Satzinformation“ (Grzesik 2005, 196).Dass aber gerade bei dieser Form der produkti-
ven Aneignung von Wissen und Gedanken den
bilingualen oder mehrsprachigen Lernenden
sprachliche Fehler unterlaufen können, verwun-
dert nicht – läuft doch beim Umformulieren ein
Prozess ab, bei dem die in der Leserin oder imLeser vorhandene Sprache aktiviert wird. Es han-
delt sich beim Reformulieren folglich um das
nach außen gewendete, also in die äußere Spra-
che transformierte Leseverfahren, bei dem „der
Leser Wörter oder ganze Sätze des Textes in inne-
rem Sprechen durch andere Wörter ersetzt“
(Grzesik 2005, 195; Hervorhebung durch G.). Die-
ser innere Paralleltext (Grzesik, ebenda) der
lesenden Person formuliert sich in Menschen,
die in verschiedenen Sprachen sprechen und
denken, eben in ihrer einen Sprache (Bichsel1997), in der auch Parasitismen – also die Über-
nahme von Wörtern und Formen von der einen
in die andere Sprache – vorkommen können (vgl.
hierzu Hernandez/Li/MacWhinney 2005).
Damit wird ein schulisches Dilemma erkenn-
bar, in dem sich mehrsprachige Lernende ver-
mutlich häufig befinden: Versuchen sie es mit
der kognitiv anspruchsvolleren Strategie des
Reformulierens, so stoßen sie an die Grenzen
ihrer sprachlichen Fähigkeiten und werden viel-
leicht für ihre vielen Fehler bestraft, indem sie
eine schlechtere Note bekommen. Gehen sie auf Nummer sicher und schreiben sie Passagen aus
der Vorlage einfach ab, so machen sie zwar keine
oder weniger Fehler, als wenn sie den Gedanken
Bsp. 2: puzzeln (2)
Niccolò Machiavelli wurde [im Jahre 1469] als [Sohn eines
Arztes] in Florenz geboren. |Machiavelli war ein Politiker ,aber auch noch ein Schriftsteller und noch ein Staatstheo-retiker .| Im Jahr 1498 wurde er Sekretär der Kanzlei des Rates
der Zehn, später dann wurde er sogar noch Chef. Als im
1513 die italienische Republik stürzte, nahmen die Medici
Machiavelli fest. Sie folterten ihn aber schlussendlich lies-
sen sie in weggehen als „unbedeutend“. Nach diesem
geschehen, ging Machiavelli mit seiner Frau und die Töch-
ter in San Casciano leben. In S. Casciano vollendete er sei-
nen letzten Werken. Zwei Jahren vor seinen tod bekam
er noch eine Arbeit. Er bekam die Leitung der Stadtmauer .
Im Jahr 1527 Starb Nicolò Machiavelli in Florenz.(S 1 m)
Bsp. 3: umschreiben und reformulieren (3)
[…]
Im Jahre 1498 |trat er | in den Dienst der Republik Florenz .Nach 8 Jahren, im Jahre 1506, erlitt er eine Niederlage
durch |das Versagen| |der Organisation| für die Schaffung
einer fiorentinischen Bürgermiliz . Mit diesem gescheitertenEinsatz verspielte er sich nicht nur seine politische Karrie-re sondern es brachte auch zu einer starken Verände-
rung in seinem alltäglichen Lebens. Er lebte mit seiner
Familie in sehr miserablen Umständen. Sie mussten mit dem
Existenzminimum auskommen.
In den darauffolgenden Jahren war Machiavelli als
Schriftsteller tätig und verfasste das Buch „Der Fürst“, „Il Principe“, das er um 1513 veröffentlichte. Während dieser
Zeit waren die Medici wieder an der Macht, von denen
Machiavelli erstaunlicherweise im jahre 1525 , wenige
Jahre vor seinem Tod, einen Auftrag zugewiesen bekam.
Kaum Angestellt jedoch, wurde er wieder entlassen, weil die Medici die Stadt verlassen mussten.
Machiavelli starb schliesslich im Jahre 1527.
Machiavelli schreib seine Schriften aufgrund seines Bewusst- seins des Standes der italienischen Staatenwelt. Über die inner Schwäche, des Zerfalls des Staates und über die natürli-
chen Formen des Staates. Sein Denken in seinen Schriften
war v.a. über die Einigung Italiens und der Befreiung von
der Herrschaft der „Barbaren“.
Seine zwei wichtigen Schriften „Principe“ (der Fürst)
und „Discorsi“ beruhen auf seine Ideen des Staates. Er unterschied zwischen zwei Staatsformen. Die Republiken und die Fürstentümer.(S 5 w)
Bsp. 1: abschreiben (1)
Machiavelli N. war eine italieniche Politiker und Schriftsteller.Er trat 1498 in den Dienst der Republik Florenz.Seines Amtes enthoben, zog sich Machiavelli auf sein Landgut
bei S. Casciano zurück. Hier entstand „Der Fürst“ (1513).Er starb verbittert 1527.(S 1 w)
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Syntax- und Textkompetenz38
mit eigenen Worten wiedergeben würden, aber
sie verfehlen u.U. Verständnis und Lernziel.
Zusätzliche, von einzelnen Schülerinnen und
Schülern verwendete Erarbeitungsstrategien
sind recherchieren und kommentieren . Fleißigeschlagen in Wörterbüchern oder Lexika nach,
um Begriffe und Namen zu verstehen. Solche
Lernende nehmen oft auch zum Gelesenen bzw.
Nachgeschlagenen, oder auch zum von ihnen
Geschriebenen Stellung. So hat beispielsweise
Schülerin 4 (S 4 w) ihre eigenen Texte ausführlich
kommentiert und hinterfragt.
VerarbeitungsstrategienUntersucht man die Textverarbeitungsstrategien
der Lernenden bei der ersten Aufgabe („Wer war
Niccolò Machiavelli?“), so fällt auf, dass von mehr
als der Hälfte der Lernenden zurecht Sätze außer Acht gelassen wurden, die für die Beantwortung der
Frage wenig relevante Informationen beinhalten
(T 1: Sätze 11-13, 16; T 2: Sätze 13, 14). Hier wurde
also offensichtlich bewusst ausgewählt. Bei den
übrigen, nicht aufgegriffenen Informationen zur
Person Machiavellis darf man aber vermuten, dass
die eingangs erwähnten syntaktischen Raffinessen
(T 2: Sätze 8, 10-12), aber auch lexikalische Lücken
und die mangelnde Bereitschaft, sie zu füllen (z.B.
T 1: Satz 3) sowie auch eine gewisse Oberflächlich-
keit die Vermeidungsstrategie beflügelt haben. Auf
jeden Fall aber wird deutlich, dass T 2 mehr abge-schreckt hat – sei es, weil er länger ist oder weil er
spätestens ab Satz 8 durch eine eindeutig an-
spruchsvollere Syntax als T 1 gekennzeichnet ist.
Wichtige Passagen der Textvorlage wurden nurvon wenigen zur Kenntnis genommen und
bruchstückhaft wiedergegeben.
Eine Untersuchung der Erarbeitungsstrategien
bezüglich der zweiten Aufgabe („Wie dachte
Machiavelli über Gott und Religion, über den
Menschen, über die Fürsten?“) bestätigt diese
Vermutung. Wichtige Passagen der Textvorlage,
insbesondere die Darstellung von Machiavellis
Gewaltpolitik (T 2, Sätze 15-22), wurden nur von
wenigen zur Kenntnis genommen und bruch-
stückhaft wiedergegeben.
Es sind bei der Beantwortung dieser Frage vor
allem die jungen Frauen, die sich um Verständnis
zu bemühen scheinen, indem sie vermehrt zur
Strategie des Umformulierens greifen, während
die männlichen Lernenden sich mit wenigen
Informationen begnügen – das schwieriger For-
mulierte also vermeiden – und vorwiegend puz-
zeln. Man kann aber bei allen Lernenden bei der
Bearbeitung der zweiten Aufgabe eine stärkere
Tendenz zur Vermischung unterschiedlicher
Strategien feststellen, was wiederum mit der
etwas höheren Komplexitätsstufe der Aufgaben-
stellung und der zwingenden Notwendigkeit,
auch Text 2 für die Auswertung beizuziehen, zutun haben dürfte (bei Aufgabe 1 konnte man sich
um Text 2 auch foutieren6).
Lernen braucht Zeit Was das Plenumsgespräch im Klassenzimmer nur
beschränkt aufzudecken imstande ist, wenn
Hausaufgaben mündlich abgerufen und zusam-
mengetragen werden, ist die Unsicherheit bzw.
Unfähigkeit Einzelner angesichts anspruchsvolle-
rer Texte. Wortgewandtere und kundigere Klassen-kameradinnen und Klassenkameraden tragen
zum Gespräch bei, und je größer die Klasse ist,
umso leichter verbirgt sich der Schwächere hinter
dem Stärkeren. Als Lehrperson geht man davon
aus, dass der Text verstanden wurde – was aber
vielleicht nur für diejenigen Schülerinnen und
Schüler zutrifft, die sich aktiv am Unterrichtsge-
spräch beteiligt haben.
Nur wenn Leseaufgaben auch schriftlich erle-
digt werden müssen, wird das Textkompetenzge-
fälle in der Klasse sichtbar, weil dann nämlich
jedes einzelne Klassenmitglied die Aufgabe alleinbewältigen muss.
Wer umformuliert und textuelle Puzzleteile
zusammenfügt, signalisiert sein Eintauchen in
Bsp. 4: recherchieren (4)
Exzerpt aus T 2:
• Niccolò Machiavelli |wurde [im Jahre 1469] geboren| und
starb im Alter von 58 Jahre im Jahre 1527.• Niccolò Machiavelli war ein Staatstheoretiker.
• Er studierte Jura.
• 1498 wurde er Sekretär und später Chef der Kanzlei des
Rates der Zehn.
• 1513 machten ihn die Medici zu „unbedeutend“, nach-
dem er gefangengenommen war, und gefoltert wurde.
• Zwei Jahre vor seinem Tode |gab man ihm ein bescheidenes
Amt.|
• Während seine Mußezeit (Muße = freie Zeit und (inne-
re) Ruhe, in der man seinen eigenen Interessen nach-
gehen kann; Syn. Ruhe, Zeit) schrieb er seine Werke zu
Ende, womit sein Name überall bekannt wurde. Die
Werke, die er vollendete:
• „Discorsi“ (Abhandlungen über die Geschichtsbücher des
Livius („Titus Livius war ein römischer Geschichtsschrei-ber zur Zeit des Augustus.“ – Quellenangabe: Wikipedia)
• „Istorie Fiorentinae“ (Florentinische Geschichte bis zu sei-
ner Zeit)
• „Il Principe“ („Der Fürst“; Anweisungen
für einen modernen Fürsten)
(S 2 w)
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Syntax- und Textkompetenz 39
den Verstehensprozess; wer aber konsequent
das Aufgreifen schwierigerer Sätze und Textpas-
sagen vermeidet, sendet ein Signal von Überfor-
derung oder handelt vielleicht auch aus
Bequemlichkeit.Es geht also darum, der Vermeidungsstrategie
die Möglichkeiten des Puzzelns und die Notwen-
digkeit des Umformulierens – auch unter Erlaub-
nis von Sprachmischung als Stütze im Lernpro-
zess – entgegenzusetzen. Solche Formen schriftli-
cher Rezeption müssen immer wieder geübt wer-
den; Partnerarbeit kann dazu beitragen, die Ein-
zelnen auf ihrem Weg zum Verständnis schwieri-
gerer Texte zu unterstützen.
Der nächste Schritt im langsamen Lernprozess
meiner Lernenden wird die Konfrontation mit
ihren eigenen Strategien und denen ihrer Klassen-kameradinnen und Klassenkameraden sein, und
wir werden weiter mit schwierigen Texten arbei-
ten, die wunderbaren deutschen Babuschka-Sätze
analysieren, wie man das früher im Lateinunter-
richt tat, und die wichtigen Gedanken reformulie-
ren. So viel Deutsch wie möglich, so viel Italie-
nisch wie nötig.
LiteraturBichsel, Peter: Es gibt nur eine Sprache. Rede zur Grün-
dung der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung desmehrsprachigen Unterrichts in der Schweiz. In: PraxisDeutsch. Nr. 144: Reden lernen. Seelze: Erhard Fried-rich Verlag 1997, 4–9
Büssem, Eberhard / Neher, Michael (Hrsg.): ArbeitsbuchGeschichte. Neuzeit (16.-18. Jhdt.). Repetitorium. Mün-chen u.a.: K. G. Saur 1979 (UTB 569)
Drosdowski, Günther: Duden. Grammatik der deutschenGegenwartssprache. Mannheim: Dudenverlag4 1984
Frey, Karl / Frey-Eiling, Angela (1990): TrainingsprogrammPrüfungstechnik. Ms. Zürich, ETH (3., überarbeiteteFassung)
Grzesik, Jürgen: Texte verstehen lernen. Neurobiologieund Psychologie der Entwicklung von Lesekompeten-zen durch den Erwerb von textverstehenden Operatio-nen. Münster u.a.: Waxmann 2005
Günther-Arndt, Hilke / Hoffmann, Dirk / Zwölfer, Norbert(Hrsg.): Geschichtsbuch Oberstufe. Bd. 1: Von der Anti-ke bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Berlin: Cornel-sen 1996
Hernandez, Arturo / Li, Ping / MacWhinney, Brian: The
Emergence of Competing Modules in Bilingualism. In:Trends in Cognitive Sciences. Volume 9 Issue 5. Amster-dam: Elsevier 2005, 220-225
Herzfeld, Hans (Hrsg.): Geschichte in Gestalten. Bd. 3.Frankfurt am Main: Fischer 1963 (= Fischer Lexikon 39)
Hornung, Antonie: Verhinderte Textkompetenz? In:Schmölzer-Eibinger, Sabine / Weidacher, Georg (Hrsg.):Textkompetenz. Eine Schlüsselkompetenz und ihre
Vermittlung. Festschrift für Paul R. Portmann-Tselikaszum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr 2007, 239-273 (=Europäische Studien zur Textlinguistik 4)
Köster, Juliane: Aufgaben zum Textverstehen in Lern- undLeistungssituationen. Die Profilierung einer Differenz.In: Deutschunterricht. Heft 5/2003: „Standards/Auf-gabenarten“. Braunschweig: Westermann 2003, 19-25
Krieger, Herbert / Kleinknecht, Wolfgang (Hrsg.): Die Neu-
zeit. Materialien für den Geschichtsunterricht. Frank-furt am Main u.a.: Diesterweg 1975Zifonun, Gisela / Hoffmann, Ludger / Strecker, Bruno:
Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bde. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1997
Anmerkungen1 Die Nummerierung der Sätze wurde in diesem wie inallen folgenden Originalzitaten durch die Verfasserin vor-genommen.2 Vgl. hierzu in Satz 4) den Einschub zwischen Gedanken-strichen oder die gedankliche Vielschichtigkeit von Satz
5), dessen Verständnis zusätzlich durch den anadeikti-schen Anschluss an Satz 4) erschwert wird. In Satz 5) hatdas Prädikat „widerlegt“ vier Präpositionalgefüge, derenzwei erste durch „und“ zusammengezogen werden, wäh-rend die beiden letzteren nach dem Semikolon mittels desKonnektors „ebenso“ angeschlossen werden, jede der bei-den mit einer zusätzlichen Präzisierung: „durch denStaatsegoismus“ wird durch einen Relativsatz ergänzt;„durch die Begrenzung der politischen Mitwirkung des
Volkes“ mittels einer durch die Fokuspartikel „genau“angehängten Adverbiale.3 Der Prinz (nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Körper mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli) . Hier! heb ihn auf. – Nun? Du bedenkst dich? –Elender! – (Indem er ihm den Dolch aus der Hand reißt.) Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht mischen. –Geh, dich auf ewig zu verbergen! – Geh! sag ich. – Gott!
Gott! – Ist es, zum Unglücke so mancher, nicht genug, daßFürsten Menschen sind: müssen sich auch noch Teufel inihren Freund verstellen?[http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1612&kapitel=14&cHash=d9351b0031galott53#gb_found] (12. Jan. 2008).4 Für die Anonymisierung der Lernenden habe ich dieMädchen und die Knaben durchnummeriert und folgendeSiglen verwendet: Schüler = S 1 m …; Schülerin = S 1 w ….5 Leider ist für den Druck eine farbliche Unterscheidungder unterschiedlichen Textteile, wie ich sie mir für die
Analyse erstellt habe, nicht möglich. Ich hoffe aber, dassdie hier gewählten Markierungen die Schichtungen dereinzelnen Beispiele sichtbar zu machen imstande sind.Legende: kursiv = Übernahmen aus Text 1recte = Übernahmen aus Text 2fett = selbstständige Formulierungen
fett + kursiv = Wortschatz- und andere selbstständige Abklärungen[Umstellung Satzglieder]|Änderung der Satzreihenfolge|6 schweiz.: sich um etwas nicht kümmern, sich über etwashinwegsetzen
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„Der Gangsterboss – er hat
Nerven wie Drahtseile“Oder: Wie Textkompetenz durch Wortschatzarbeit gefördert werden kann
Neben Fähigkeiten im kognitiven und sprachlichen Bereich umfasst Textkompetenz auch
lexikalische Kompetenz: Damit ist nicht nur Wortschatzkenntnis gemeint, sondern auch die
Fähigkeit, Wörter im jeweiligen Kontext adäquat zu verwenden. Ein Mangel an fundierten
Wortschatzkenntnissen erschwert nicht nur das Verstehen, sondern auch das Produzieren vonfremdsprachlichen Texten. Das gilt grundsätzlich für alle Lernstufen; für fortgeschrittene
Lernende ist dies jedoch besonders von Bedeutung. In diesem Beitrag geht es darum, zu
zeigen, wie Textkompetenz durch Wortschatzarbeit gefördert werden kann.
Von Simone Auf der Maur Tomé
© shotshop / Werner Braun
Wortschatzkenntnisse undTextkompetenzIn Bezug auf die rezeptive und produktive Arbeit
mit Texten lassen sich folgende Hypothesen auf-
stellen:
• Das Verständnis von Texten wird unterstütztdurch fundierte Wortschatzkenntnisse.
• Umfangreiche lexikalische Kenntnisse tragen
zur Entwicklung der Schreibkompetenz bei.
Nun stellt sich die Frage, wie Lernende dazu
befähigt werden können, Wörter und Wortbe-
deutungen in der Fremdsprache zu verstehen, zu
memorieren und schließlich in neuen Kontexten
selbstständig anzuwenden. Dazu soll zunächst
anhand eines schematischen Überblicks aufge-zeigt werden, welche Wissensbereiche beim
Erwerb von lexikalischen Kenntnissen in der
Fremdsprache von besonderer Bedeutung sind.
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„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtseile“ 41
Die Darstellung verdeutlicht, dass sich der Er-
werb von lexikalischen Kenntnissen (in der
Fremdsprache) als komplexes Zusammenspiel
verschiedener Ebenen erweist. Denn lexikalische
Kenntnisse umfassen nicht nur Wissen bezüglich
der Wortarten, der Wortbildung und der Funkti-on von Wörtern im Satz, sondern auch bezüglich
ihrer Bedeutung im jeweiligen situativen Kon-
text, wobei kulturelle, historische, regionale und
Lexikalische Kenntnisse umfassen nicht nur
Wissen bezüglich der Wortarten, der Wort-
bildung und der Funktion von Wörtern im Satz.
soziale Faktoren eine entscheidende Rolle spie-
len können. Die Gewichtung der jeweiligen Ebe-
nen hängt im Einzelfall vom Lernstand der Ziel-gruppe, vom Lernkontext und den verwendeten
Textsorten ab.
Im Folgenden sollen nun anhand eines Text-
beispiels konkrete Verfahren der Wortschatzarbeit
im Deutschunterricht angeführt werden. Das Ziel,
das damit verfolgt wird, besteht darin, die lexikali-
schen Kenntnisse der Lernenden zu erweitern
bzw. zu festigen, indem ihnen die Semantik,
Grammatik und auch die kulturelle Gebundenheit
von Wörtern bewusst gemacht wird – und dies,
wie gesagt, im Hinblick auf die Erweiterung der
Textkompetenz der Lernenden. Ausgewählt wurdedazu der Zeitungsnachrichtentext „Reemtsma-
Entführung: Polizei jagt Superhirn“ aus dem Mit-
telstufenlehrwerk em neu – Hauptkurs . Es handelt
Erwerb von lexikalischen Kenntnissen
Abb. 1: Komplexes Zusammenspiel beim Erwerb des Lexikons.
Wortfamilien
lexikalischeKenntnisse
Wortarten (Verb, Adjektiv etc.)
Funktion von Wörtern im Satz
situativer Rahmen (thematischer Kontext)
Weltwissen
soziale/regionale Varianten
Wortbildung (Morphologie)
idiomatische Wendungen
Internationalismen
charakteristischer Wortschatzeinzelner Textsorten
Mehrdeutigkeit von Wörtern(Polysemie)
historische Entwicklung vonWortbedeutungen
sprachliches Register(formell/umgangssprachlich)
kultureller Kontext (Gemeinsamkeitenund Unterschiede von Wortbedeutungen
in verschiedenen Sprachen)
Einzelwörter (Tisch) /Wortgruppen (jmdn. um
Verzeihung bitten)
(© Bild-Zeitung vom 07.05.1996)
Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008
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„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtseile“42
Die relativ häufige Nennung des Entführers als
„Superhirn“ im Vergleich zum einmaligen Vor-
kommen der Entführer als Gruppe ist ein Indiz
dafür, dass der thematische Schwerpunkt auf
dem Gangsterboss als Einzelperson liegt, wodurch eine bestimmte Wertung – nämlich die
Genialität des Entführer-Bosses – suggeriert
wird.
Referenzbezüge im Text
Die Textstruktur wird ferner durch Wörter im
Text verdeutlicht, mit denen auf sprachliche Ele-
mente Bezug genommen wird, die bereits vorher
im Text eingeführt wurden – zum Beispiel durch
Pronomen anstelle von Substantiven:
Der Fremdsprachenlernende wird das erste Auf-
treten des Pronomens „er“ einfach zuordnen
können, weil es direkt nach dem Substantiv
„Superhirn“ steht. Das zweite „er“ bezieht sich
jedoch nicht mehr auf das Superhirn, sondern
auf Reemtsma, was aus dem Kontext ersichtlich
wird (ohne Uhr kann Reemtsma die Dauer der
Fahrt nicht bestimmen). Das dritte „er“ könnte
verwirrend sein, weil es sich auf den ersten Blick sowohl auf das Superhirn (wenn man annimmt,
dass er den Wagen fährt) als auch auf Reemtsma
beziehen könnte; bei einer zweiten aufmerksa-
meren Lektüre muss man jedoch feststellen, dass
sich das dritte „er“ auf Reemtsma bezieht. Ein
Indiz dafür ist, dass der Haupt- und Nebensatz
mit dem finalen Konnektor „damit“ verbunden
ist, was bedeutet, dass die Subjekte im Haupt-
und Nebensatz nicht identisch sind. Wären
Haupt- und Nebensatz hingegen mit dem eben-
falls finalen Konnektor „um ... zu“ verbunden, wären die jeweiligen Subjekte identisch. An die-
ser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Ver-
ständlichkeit der Textstelle aufgrund eines Man-
gels an Sorgfalt von Seiten des Journalisten
beeinträchtigt wird.
Außersprachliches Wissen (Weltwissen)
Mit Weltwissen sind Verstehensvoraussetzungen
gemeint, die nicht allein in der Sprachkenntnis
eines Sprachbenutzers verankert sind und in
einem Text nicht explizit erklärt werden. Dies
kann durch den folgenden Beispielsatz veran-schaulicht werden: „Er erhöhte dreist das Löse-
geld von 20 auf 30 Millionen Mark.“ (33-34). In
diesem Satz geht der Textverfasser stillschwei-
sich dabei um einen authentischen Informations-
text aus einer deutschen Tageszeitung (Bild) , einer
Textsorte also, auf die im Fremdsprachenunter-
richt erfahrungsgemäß relativ häufig zurückge-
griffen wird.
Lehr- und LernschritteVor dem Lesen wird
• das Vorwissen der Lernenden aktiviert, indem
der Titel bzw. die Schlagzeile fokussiert wird:
Was wissen Sie bereits über das Thema? Was
für ein Wortschatz ist im Text zu erwarten?
• das Textsortenwissen aktiviert: Welche inhaltli-
chen und formalen Erwartungen haben Sie an
den Text? Beachten Sie auch die Gliederung
des Textes (Überschriften, Abschnitte etc.) und
die optischen Signale (Fett- und Kursivdruck,
Bilder, Fotos, Diagramme etc.).
Es geht in diesem Schritt hauptsächlich darum,
ein passendes mentales Schema (einen Rahmen)
zu aktivieren, das durch die weitere Arbeit am
Text präzisiert wird.
Während des Lesens kann z.B. ein Textraster
(W-Fragen) ausgefüllt oder ein Stichwortschema
zum globalen Textverstehen hergestellt werden.
Im Anschluss an die globale Lektüre erfolgteine detailliertere Textarbeit. Dazu wird zwischen
Text-, Satz- und Wortebene unterschieden.
Nach dem Lesen , im Anschluss an die globale
Lektüre, erfolgt eine detailliertere Textarbeit.
Dazu wird zwischen Text-, Satz- und Wortebene
unterschieden.
Textebene
Wiederaufnahmestrukturen
Textkohärenz kommt unter anderem dadurchzustande, dass einmal eingeführte Textelemente,
die sich auf dasselbe Objekt beziehen, in einem
Text wieder aufgegriffen werden. Wenn wir bei-
spielsweise die Bezeichnungen für den Entführer/
die Entführergruppe untersuchen und dabei
lediglich auf die dafür verwendeten Substantive
achten, ergibt sich folgendes Bild:
die Reemtsma-Entführer (1),
„Entführer“ der Boss (3),
das Superhirn (3; 5; 10; 14; 22; 39),der Mann, der ihn (...) gepeinigt hatte (4-5),
der Gangsterboss (14; 32)
„Superhirn – er ließ Reemtsma vor der Fahrt ins Geiselverlies
die Uhr abnehmen, damit er nicht sehen konnte, wie lange er
unterwegs war.“ (38-40)
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„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtseile“ 43
Leserin tatsächlich nicht geläufig sein, aber im
Vergleich zu weiteren Komposita, die mit der
Grundform „Geisel-“ gebildet sind, wie z.B. „Gei-
selversteck“ (8) und „Geiselgefängnis“ (12-13),
wird deutlich, dass es sich bei dem Wort „Verlies“um einen Ort/einen Raum handeln muss, wo Gei-
seln versteckt werden. Zur näheren Bestimmung
der Wortbedeutung wird also zunächst das Kom-
positum entschlüsselt und ein Wörterbuch heran-
gezogen und anschließend kann in der Gruppe
diskutiert werden, was man sich im deutschen
Sprachraum unter einem Verlies vorstellt und was
man darunter im eigenen Sprachraum versteht.
Dabei kommen vermutlich sowohl kulturspezifi-
sche als auch historische Aspekte ins Spiel.
Mögliche Übungen:
• Weitere Komposita im Text suchen und ent-
schlüsseln (z.B. die „Geldübergabe“ (33),
die „Irreführung“ (28)).
• Wortbildungsprinzipien erarbeiten und
reflektieren.
• Für den Zeitungsstil typische deverbale Nomi-
nalisierungen im Text aufzeigen: jemanden
hochachten – die Hochachtung (4), benutzen –
die Benutzung (27), jemanden irreführen – die
Irreführung (28) und weitere Beispiele finden.
• Die Funktion bzw. das Globalziel der Textsortebestimmen: Bei einer Zeitungsnachricht liegt
das Globalziel in der Vermittlung von Informa-
tionen; typische sprachliche Merkmale dafür
sind Verben wie „informieren“, „mitteilen“,
„melden“, „berichten“ usw.
• Wörter bilden durch Einsatz von Präfixen und
Suffixen, wie z.B. un-, ver- und -bar, -heit,
-keit, -(i)tät, -ismus/-asmus etc.
• Bausteine von Wortfamilien identifizieren
(Mind-Maps erstellen).
• Unterschiede von Wortbedeutungen in ver-schiedenen Sprachen analysieren. Zum Bei-
spiel das Wort „Keller“ (9): Um was für einen
Raum handelt es sich dabei? Wozu wird er
genutzt?
Umgangssprache
Ein Text kann Wörter eines sprachlichen Regis-
ters beinhalten, mit dem die fremdsprachigen
Leserinnen und Leser nicht vertraut sind. So
können z.B. Begriffe aus der Umgangssprache
wie „austüfteln“ (15), „ausspionieren“ (23) und
„klauen“ (38) Verstehensbarrieren darstellen.Beim Begriff „ausspionieren“ helfen Englisch-
kenntnisse für die Ermittlung der Wortbedeu-
tung: „to spy (out)“ = „ausspionieren“. Die
gend davon aus, dass der Leser weiß, was damit
gemeint ist, wenn von „Mark“ die Rede ist. Der
Lernende muss wissen, dass es sich dabei um die
Mit Weltwissen sind Verstehensvoraussetzungen gemeint, die nicht allein in der Sprachkenntnis
eines Sprachbenutzers verankert sind.
offizielle Währung Deutschlands vor 2002 han-
delt. Ferner muss er wissen, wie Mark in die eige-
ne Währung umgerechnet wird, damit er sich
eine Vorstellung davon machen kann, um wie
viel das Lösegeld ungefähr erhöht wurde. Das
angeführte Beispiel mag simpel erscheinen, aber
es verdeutlicht, dass die Verständlichkeit eines
Textes für Fremdsprachenlernende dadurch
erschwert wird, dass ihr außersprachliches Wis-
sen (z.B. aufgrund unterschiedlicher kultureller/
geographischer/sozialer Voraussetzungen) nicht
immer ausreicht, um die Bedeutung eines Aus-
drucks bzw. einer Textstelle zu erfassen.
SatzebeneFunktion von Wörtern im Satz
Es ist wichtig, dass die Lernenden erkennen,
dass sie für die Erschließung der Textinformation
nicht jedes Wort zu verstehen brauchen. Als Bei-
spiel dafür dient das Wort „dreist“ (34). Dasadverbial gebrauchte Adjektiv hat für das Ver-
ständnis des Satzes keine entscheidende Bedeu-
tung, denn seine Funktion besteht lediglich
darin, anzuzeigen, auf welche Art und Weise das
Lösegeld erhöht wurde. Gerade für fremdspra-
chige Lesende ist es wichtig, dass sie die Funkti-
on von Wörtern erkennen, damit sie fähig wer-
den, die für das Verständnis wichtigen von den
unwichtigen Wörtern zu unterscheiden.
Wortebene Wortbildung
Für Fremdsprachenlernende kann das Wort „Ver-lies“ aus dem Kompositum „das Geiselverlies “ (39-
40) mit Verständnisschwierigkeiten verbunden
sein. Als Einzelwort mag es einem Leser/einer
Tipps zur Arbeit auf der Text- und Satzebene
• satzübergreifend lesen
• Wiederaufnahmestrukturen erkennen
• Referenzbezüge herausarbeiten
• Wörter in ihrer (kohärenzbildenden) Funktion erken-
nen und interpretieren (z.B. Pronomina, Konnektoren,
Artikel)
• Weltwissen einsetzen
• Textsortenwissen einsetzen
Merkkasten 1
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„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtseile“44
Bedeutung des Verbs „klauen“ kann durch seine
Verbindung mit dem Modalverb „lassen“ ver-
deutlicht werden. Dabei hilft der Kontext inner-
halb des Satzes. Die Bedeutungsnuance von
„etwas austüfteln“ kann in einem Klassenge-spräch diskutiert werden.
Mögliche Übungen:
• Die Lernenden sollen sich überlegen, wie man
umgangssprachliche Wörter durch einen for-
melleren Gebrauch der Sprache ersetzen kann
(Synonyme finden).
• Synonyme und Antonyme (Gegenbegriffe) fin-
den und Lückentext ergänzen.
• Weitere Zeitungsnachrichten zu demselben
Thema mit unterschiedlichen sprachlichen
Registern vergleichen.
An dieser Stelle wird deutlich, dass
die Bedeutung eines Wortes erst durch den
textuellen/situativen Rahmen, in dem es
auftritt, adäquat erschlossen werden kann.
Mehrdeutigkeit eines Begriffs (Polysemie)
Das Wort „Spur“ (34) weist – je nach Kontext –
unterschiedliche Bedeutungen auf (z.B. Streifen
einer Fahrbahn, Abdruck von Füßen, Kielwas-
ser). Im vorgegebenen Kontext kann es jedochnur in der figurativen Bedeutung von „Anzei-
chen“ interpretiert werden. An dieser Stelle wird
deutlich, dass die Bedeutung eines Wortes erst
durch den textuellen/situativen Rahmen, in dem
LiteraturHeinemann, Wolfgang: Textsorte – Textmuster – Texttyp.
In: Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang
/ Sager, Sven (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik –Ein internationales Handbuch zeitgenössischer For-schung. 1. Halbband. Berlin/New York: de Gruyter2000, 507-523
Heringer, Hans Jürgen: Lesen lehren lernen: Eine rezeptiveGrammatik des Deutschen. Tübingen: Niemeyer2 2001
Perlmann-Balme, Michaela / Schwalb, Susanne: em neu-Hauptkurs. Ismaning: Hueber 2005, 124
Schoenke, Eva (2007): Textkompetenz. In: http://www-
user.uni-bremen.de/~schoenke/tlmsd.html Wahrig, Gerhard: Deutsches Wörterbuch. Neu herausge-geben von Dr. Renate Wahrig-Burfeind. Mit einem„Lexikon der deutschen Sprachlehre“. Gütersloh: Ber-telsmann Lexikon Verlag 1994
es auftritt, adäquat erschlossen werden kann.
Bezüglich der Vermittlung von neuem Wort-
schatz im Unterricht ließe sich folgern, dass es
sinnvoll und effektiv ist, neuen Wortschatz im
Kontext seiner Verwendung anstatt in Form vonzusammenhanglosen Listen darzubieten.
Idiomatische Wendungen
„Der Gangsterboss – er hat Nerven wie Drahtsei-
le.“ (32) Wortbedeutungen weisen eine kulturelle
Geprägtheit auf. Deshalb ist es interessant und
lehrreich, zu vergleichen, welche Bilder herange-
zogen werden, um diese Wendungen in den jewei-
ligen Sprachen und ihren kulturell geprägten
Gemeinsamkeiten und Unterschieden deutlich zu
machen. Eine idiomatische Wendung muss in
ihrer Gesamtbedeutung gelernt und im Gedächt-
nis als Wortschatzeinheit gespeichert werden.
Tipps zur Arbeit auf der Wortebene
• Kenntnisse aus anderen (Fremd-)Sprachen aktivieren:
auf Anglizismen/Internationalismen achten
• morphologische Kenntnisse zur Erschließung der
Wortbedeutung aktivieren; z.B. für Lerner mit einer
Muttersprache romanischen Ursprungs das Erkennen
der Nominalisierung durch Suffixe, wie z.B. -ation,
-(i)tät, -ismus / -asmus, -tur, -(at)or etc.
• anstelle eines Wort-für-Wort-Lesens: unbekannte
Wörter aus dem Kontext (Teilsatz, Ganzsatz,
Abschnitt) erschließen
• wichtige Wörter von unwichtigen unterscheiden (dazu
auch die Funktion von Wörtern beachten)
Merkkasten 2
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Der folgende Beitrag reflektiert die Erfahrungen der Autorin bei einem Fortbildungsseminar in einer
bilingualen Schule für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer in Ungarn. Das Seminar wurde unter dem
Motto „Möglichkeiten zur Effektivierung der textorientierten Arbeit“ durchgeführt und war mit der
Zielsetzung verbunden, zu einer veränderten Lehr- und Lernkultur im Unterricht beizutragen.
Von Ilona Feld-Knapp
© panthermedia / Diane F.
Schülertexte differenziertbeurteilenÜberlegungen zu einer veränderten Lehr- und Lernkultur
Schülertexte analysieren
Eine Veränderung der Lehr- und Lernkultur istbesonders im Umgang mit Schülertexten notwen-
dig. Die Analyse von Schülertexten bildete daher
einen wichtigen Bestandteil des Seminars. Bei den
untersuchten Schülertexten handelte es sich um
Texte, die von Schülerinnen und Schülern zu
einem vorgegebenen Thema während der schrift-
lichen Abiturprüfung im Fach Deutsch verfasst
wurden. Schon bald wurde klar, dass die Aufmerk-
samkeit der Seminarteilnehmerinnen und -teil-
nehmer durch diese Schülertextanalyse auf die
Schwierigkeiten des deutschsprachigen Fachun-
terrichts und auf die Notwendigkeit einer profes-sionellen Reflexionsfähigkeit der Lehrenden
gelenkt wurde. Bei der Beurteilung der Schüler-
texte war auffallend, dass vor allem die Fehler im
sprachsystematischen und orthographischen
Bereich Beachtung fanden, den positiven Merk-malen der Texte hingegen wenig Aufmerksamkeit
geschenkt wurde.
Die Fähigkeit, Schülertexte in ihren verschiede-
nen Dimensionen zu erfassen, ist eine wichtige
Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern und
verlangt eine Abkehr von einem traditionell fehler-
orientierten Umgang mit Texten. Dazu brauchen
Die Fähigkeit, Schülertexte in ihren
verschiedenen Dimensionen zu erfassen,
ist eine wichtige Kompetenz.
sie mehr Wissen über Texte und ein Analyseinstru-
mentarium mit Beurteilungskriterien, die über
eine rein normative Bewertung hinausgehen.
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Schülertexte differenziert beurteilen46
In meinem Beitrag möchte ich für eine differen-
zierte Beurteilung von Schülertexten plädieren,
bei der Texte in ihrer Vielschichtigkeit analysiert
und transparent gemacht werden.
Im Mittelpunkt der Textanalyse stehen diefolgenden Fragen:
• Wie erfasst man einen Schülertext?
• Welche Qualität zeigt der Text?
• Wie lässt sich ein Text differenziert beurteilen?
Diese Fragestellungen lassen erkennen, an wel-
chen Stellen bzw. in welchen Bereichen die Ler-
nenden noch Probleme haben und wo sie Unter-
stützung im Umgang mit Texten brauchen.
Schritte einer differenziertenTextanalyseMit der folgenden Textanalyse lassen sich die
Textqualität und die Textkompetenz der Lernen-
den auf differenzierte Weise beurteilen. Es emp-
fiehlt sich, die Analyse in mehreren Schritten
durchzuführen (vgl. Nussbaumer/Sieber 1995).
Erster Schritt:allgemeine TextbeurteilungDer erste Schritt der Textanalyse bezieht sich auf
eine allgemeine Beurteilung der Texte in Bezug
auf Textlänge, Anzahl der Wörter und Sätze sowieauf Satzkomplexität und Kohäsion. Dabei be-
kommen Sie als Lehrerin oder Lehrer einen ers-
ten Überblick über den Text.
Zweiter Schritt:sprachlich-systematische undorthographische RichtigkeitDer zweite Schritt der Textanalyse bezieht sich
auf die sprachsystematischeund orthographi-
sche Richtigkeit. Ziel dieses Analyseschrittes ist
die Erfassung der sprachformalen Korrektheitder Texte in Bezug auf die Normbereiche der
Rechtschreibung, der Morphologie, der Syntax
und der Semantik.
Interferenzfehler entstehen häufig durch
„Spiegelübersetzungen“
Didaktischer Kommentar: Da es in diesem
Bereich oftmals zu Interferenzfehlern kommt,
spielt die Bewusstmachung der Unterschiede,
aber auch der Ähnlichkeiten zwischen der Mutter-
sprache und dem Deutschen eine wichtige Rolle.Interferenzfehler entstehen häufig durch „Spiegel-
übersetzungen“, d.h. durch wörtliche Überset-
zungen, bei denen vielfach unangemessene Kollo-
kationen entstehen wie etwa „wolkenlose Erho-
lung“ für „felhötlen pihenés“. Interferenzfehler
können genutzt werden, um die Aufmerksamkeit
der Lernenden auf bestimmte sprachliche Phäno-
mene zu lenken und um über Unterschiede undGemeinsamkeiten im Sprachgebrauch nachzu-
denken. Im Folgenden zwei typische ungarisch-
deutsche Interferenzfehler aus Abiturtexten:
• Der doppelte Gebrauch von Konjunktionen:
„Dieses Werk zeigt uns, dass wie ein Men-
schenleben zerbrechen kann und warum die
Verantwortung so wichtig ist.“
• Grammatische Kongruenz: „Alle Staatsbürger
hat Rede- und Pressefreiheit.“
Dritter Schritt:Einsatz sprachlicher MittelBeim dritten Schritt der Textanalyse werden Texte
im Hinblick auf die verwendeten Sprachmittel
überprüft. Im Bereich der funktionalen Angemes-
senheit wird nicht bloß die Korrektheit der sprach-
lichen Mittel untersucht, sondern auch ihre Funk-
tionalität, d.h. es wird überprüft, ob sie an der Stel-
le, wo sie eingesetzt sind, tatsächlich das leisten,
was sie leisten sollen. Die Leistung der sprachli-
chen Mittel misst sich daran, ob ihre Funktion von
den Lesenden erkannt wird oder nicht und ob
daraus Verständnisprobleme entstehen. Dieser Analyseschritt geht über die bloße Feststellung der
Fehlerdichte und der Fehlerkategorien hinaus.Didaktischer Kommentar: Die Analyse der
funktionalen Angemessenheit sprachlicher Mittel
ist vor allem dann effektiv, wenn sie in eine kom-
plexe Analyse der Textstruktur eingebettet ist und
sowohl auf mikro- als auch auf makrostruktureller
Ebene durchgeführt wird (Mikroebene: Artikelge-
brauch, Gebrauch von Proformen, Konnexion;
Makroebene: Thema, Aufbau und Gliederung). Die
Analyseergebnisse sollen aufeinander bezogen unddahingehend überprüft werden, ob und wie sprach-
liche Mittel auf der Mikrostruktur zur Darstellung
des Themas auf der Makrostruktur beitragen.
Makroebene
a) Gesamtidee, Thema, Absicht des Textes:
• Wie wird das Thema im Text eingeführt?
• Wird das Thema nachvollziehbar entfaltet?
• Entspricht die Themenentfaltung der Text-
sorte?
• Wird im Text ein Ziel / eine Absicht formu-
liert?b) Aufbau, Gliederung:
• Entspricht der Text dem spezifischen Auf-
bau der Textsorte?
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Schülertexte differenziert beurteilen 47
• Ist der Text in angemessene Abschnitte
gegliedert?
• Werden in den einzelnen Abschnitten
Kernaussagen hervorgehoben?
• Kann zwischen den Abschnitten ein logi-scher Zusammenhang festgestellt werden?
Mikroebene
a) Artikelgebrauch
• In welcher textuellen Funktion werden die
Artikel gebraucht?
• Ist die Verwendung der Artikel angemessen?
b) Wiederaufnahmestruktur
• Wie werden sprachliche Elemente miteinan
der verknüpft?
• Wie wird das Text- und Weltwissen aufei-
nander bezogen?
c) Konnexion
• Welche Konnektoren werden eingesetzt?
• Wie werden sie eingesetzt?
Beispiel für eine differenzierteTextanalyse Als Beispiel wird im Folgenden die Analyse eines
Abiturtextes vorgeführt. Es handelt sich dabei um
einen Aufsatz – eine typisch schulische Textsorte –,bei der es darum geht, dass Lernende einen Text
zu einem vorgegebenen Thema verfassen.
Der folgende Aufsatz ist nur in Auszügen wieder-
gegeben. Die Einleitung beschäftigt sich mit
Identität und den Umständen des Ungarn-
deutschtums. Der Hauptteil umfasst inhaltliche
Charakteristika der beiden Gedichte, formale
Unterschiede, Schlussfolgerungen und eine eige-
ne Stellungnahme zum Thema. Am Ende wird
die ungarndeutsche Wirklichkeit dargestellt.
Auf makro- und mikrostruktureller Ebene emp-
fiehlt es sich, die Textanalyse in Form von Fragen
an den Text durchzuführen. Die Fragen steuern
die Wahrnehmung des Textes und lenken die
Aufmerksamkeit auf relevante Aspekte der Text-
struktur.
Ergebnisse der Analyse• Das Thema des Textes ist die Darstellung der
Probleme des Ungarndeutschtums und der
doppelten Identität. Der Text entspricht den
formalen und inhaltlichen Kriterien der Text-
sorte „Aufsatz“. Er ist in Abschnitte gegliedert,
die Gliederung ist für diese Textsorte charakte-
ristisch.
• Die Abschnitte weisen einen logischen Zusam-
menhang auf, er wird vor allem durch Wieder-
aufnahmen und Konnektoren erzeugt („Meine
Vorstellung über die ungarndeutsche Wirklich-
keit ist nicht so aussichtslos, als diese ClausKlotz beschreibt, …“). Die Textteile fügen sich
zu einer Gesamtidee zusammen, man kann
dem Text Schritt für Schritt folgen. Das Thema
Aufgabe: Schreiben Sie einen Aufsatz zum folgenden
Thema im Umfang von mindestens 500 Wörtern.
„Ich pin a Schwob aus dem Ungarland” – so lautet die Selbst-
darstellung von Nikolaus Márnai, geboren im Jahre 1914. Im
Folgenden finden Sie zwei Beispiele aus der ungarndeutschen
Literatur, die die ungarische Wirklichkeit unterschiedlich
beschreiben. Vergleichen Sie die beiden Gedichte und stellenSie die ungarndeutsche Wirklichkeit aus Ihrer Sicht dar.
Aufsatz 1 – „Schlussfolgerungen“ und
„eigene Stellungnahme“ (unkorrigiert):
… Am Ende des Gedichtes von Engelbert Rittinger können wir
eine Schlussfolgerung abschließen. In der letzten Strophe
schreibt er eine wichtige Lehre: es ist egal, zu welcher Natio-
nalität man gehört, aber alle sind Menschen. Ich denke, das
ist das Wichtigste, das ist die beste Einstellung zum Thema.
In den beiden Gedichten stehen die Meinungen im Gegensatz
zueinander: Engelbert Rittinger schreibt sehr positiv über das
Ungarndeutschtum und über ihre Lage in Ungarn, aber Claus
Klotz schreibt zu negativ. Er findet die Schönheit des Lebens
nicht, er kann das Leben nicht objektiv sehen, er sieht nur die
schlechte Seite des Lebens und des Ungarndeutschtums.
Meine Vorstellung über die ungarndeutsche Wirklichkeit ist
nicht so aussichtslos, als diese Claus Klotz beschreibt, aber fürmich ist das Gedicht von Engelbert Rittinger zu optimistisch:
die Toleranz ist heutzutage ein populärer Ausdruck, aber die
Menschen achten in der Wirklichkeit auf einander nicht …Engelbert Rittinger:
Steigerung
In dieser Heimat bin ich Schwabe,
Hart, wie der Eiche Holz,
Selbstbewusstsein, Recht und Habe
Erfüllen mich mit Stolz.
Wenn mich Leute locken wollen,
Auslands-Reichtum loben,
Halten mich der Ahnen Schollen,
Zieht mich Ungarns Boden.
Führt ein Raumschiff durch das Weltall,
Worin Menschen reisen,
Halte ichs für unser Denkmal,
Stolz, auch Mensch zu heißen.
Aus: Verschiedene Verhältnisse.
Ausgewählte Werke. Budapest 2001
Claus Klotz:
Mein Heimatdorf
flocken weiß
bitterheiß
tannen
von dannen
dorfrandslums
straßen rein
fensterlein
häuschen
ohne mäuschenmenschenlos
fremde sprach
muttersprach
mir wattezucker
gucker
in die ferne
weinberge
herberge
stumm sinnen
fischstimmen
übermorgen dahin
Aus: Erkenntnisse2000. Budapest 2005
In der Reihe: Veröffentlichungen des Verbandes
Ungarndeutscher Autoren und Künstler.
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Schülertexte differenziert beurteilen48
Zweiter Schritt: Dokumentation derAnalyseergebnisse Aufgabe für die Lehrerfortbildung: Halten Sie die
Analyseergebnisse fest, dokumentieren Sie sie an
einer Pinnwand und vergleichen Sie diese. Zie-
hen Sie Schlussfolgerungen: Was können Sie
über die Qualität der Texte und über die Text-
kompetenz der Schreibenden sagen?Die Lehrenden können weitere Aufgaben zur
Verbesserung der Fähigkeiten im sprachsystema-
tischen Bereich und in Bezug auf den funktiona-
sind günstig, denn man kann sich dabei austau-
schen und gegenseitig beraten.
Textlänge,Zahl derWörter undder Sätze,Syntax,Satzkomple-
xität, Kohäsi-on
Fehlerdichte,sprachfor-maleKorrektheitin Bezug aufdie Ortho-
graphie,Morphologie,Syntax undSemantik
textuelleFunktion derSprachmittel
Leistungfür denSinnzusam-menhang
Qualität eines Textes erfassen
der ungarndeutschen Wirklichkeit wird geglie-
dert dargestellt: Es wird beschrieben, wie die
ungarndeutsche Wirklichkeit in der Literatur,
in den zwei Gedichten erscheint, dann wird
die heutige, alltägliche ungarndeutsche Wirk-lichkeit geschildert.
ZusammenfassungIm Text lässt sich ein Thema erkennen, es wird
durchgehend fokussiert und nachvollziehbar
entfaltet, die Gliederung und Struktur des Textes
ist dem Thema angemessen, die Argumentation
ist klar. Der Gebrauch der sprachlichen Mittel ist
im Wesentlichen adäquat, sie signalisieren den
Zusammenhang zwischen den Sätzen und Text-
abschnitten und ermöglichen die Herstellung
von Textkohärenz. Im Text wird eine eigene Stel-
lungnahme formuliert.
Über Texte redenDie Fähigkeit, gute Texte zu produzieren, kann
durch die Reflexion und das Gespräch über eige-
ne und fremde Texte im Unterricht entwickelt
werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen in
die Lage versetzt werden, ihr Wissen über Texte
selbstständig nutzbar zu machen und ihre eige-
ne Textproduktion zu reflektieren.Im Folgenden werden Anregungen zur Förde-
rung der Reflexionsfähigkeit von Schülerinnen
und Schülern in drei Schritten vorgestellt.
Erster Schritt: Textanalyse Aufgabe (für die Lehrerfortbildung): Anbei fin-
den Sie zwei Abiturtexte, die zur gleichen Aufga-
be (für den Schüleraufsatz) entstanden sind.
Führen Sie eine Analyse nach dem vorgegebenen
Modell durch und halten Sie die einzelnen
Schritte fest. Dabei sollen die verschiedenenMermale zur Erfassung der Qualität von Texten
(s. u.) verwendet werden.
Die Analyse lässt sich in verschiedenen Sozialfor-
men durchführen: Paar- oder Gruppenarbeiten
Aufgabe:
„Die Kunst ist ein Stück Natur, gesehen durch ein Tempera-ment”, sagt Zola, um die Subjektivität des Autors und dessensoziales Mitgefühl anzudeuten. Stellen Sie aufgrund derNovelle Bahnwärter Thiel die naturalistischen Züge in GerhartHauptmanns Sozialkritik dar. Erläutern Sie, wie die wachsendeNot von Thiel geschildert wird. Gehen Sie dabei auf das Ver-hältnis zu den beiden Ehefrauen und zum Sohn Tobias ein.
Aufsatz 1
(unkorrigierter Auszug)
Die Epoche Naturalismus
anhand Bahnwärter Thiel
… Zola sagte: „Die Kunst istein Stück Natur, gesehendurch ein Temperament.”Ich denke, dass diese Aussa-ge richtig ist. Beim Naturalis-ten ist die natur eine wichti-ge Mittel. Das bedeutet, siebeschreiben alles naturalis-tisch. Sie schreiben das, wassie sehen. Temperamentmuss man auch haben. OhneTemperament geht das Lebennicht. Man muss eigennützigsein, dass wir etwas im Lebenleisten.Der Bahnwärter Thiel ist eingutes Beispiel dafür. Die Noterhöht im Thiel. Im Irrenhaussicher tauchte die Frage inseinem Gehirn auf: Warumhast du, Gott dieses Schicksalfür mich gegebt.Ich meine, diese Frage recht-mäßig ist. Thiel war ein guterMann. Er liebte sein Sohn,aber das war nicht genug.Dieses Werk lässt einen tiefenEindruck im Mensch. Das istdie Aufgabe der Schriftstel-lers im Naturalismus. Wennes klappt, dann haben sie einErfolg.
Aufsatz 2
(unkorrigierter Auszug)
Gerhart Hauptmann:
Bahnwärter Thiel
… In diesem Werk ist Lenedas Hässliche und Haupt-mann berichtet über sie auchgenau. Lene wird charakteri-siert, wie sie in Wirklichkeitist. Es ist gut erkennbar, dassThiel für Tobias nur guteswill, doch leider gelingt ihmdas nicht.Dei wachsende Not ist mei-ner Meinung nach gut zuerkennen. Am Anfang istnoch alles gut zwischen Theilund Lene und dann geht esBerg ab. Dann wird auch
schon die Kapelle erwähnt,man kann sehen, wozu seineBezeihung, Ehe mit Leneführt.Meiner Meinung nach hatHauptmann diese Novellesehr gut geschrieben. Es isttypisch Naturalismus. Erbeschreibt die Geschehnissesehr spannend und lockt denLeser zum weiterlesen desWerkes. Man kann davonauch sehen, wozu der Man-gel einer Geliebten Personführen kann.
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Schülertexte differenziert beurteilen 49
len Einsatz von Sprachmitteln in Texten formu-
lieren.
Anbei einige Ideen für Schreibaktivitäten, die
an die Analyse der Schülertexte anschließen
könnten. Sie sollten mindestens drei Phasendurchlaufen: Planung, Formulierung und Über-
arbeitung.
• Einen Mustertext vorlegen, an dem sich die
Lernenden orientieren können;
• Leitfragen zur Verfügung stellen, die den Ler-
nenden bei der Planung des Textes helfen (in
Bezug auf Gliederung, Themenstrukturierung
etc.);
• Formulierungen zur Verfügung stellen, die die
Lernenden übernehmen können;
• den Text nach verschiedenen Gesichtspunkten
überarbeiten (z.B. Unterstreichen von Wör-
tern, die für den Sinnzusammenhang des Tex-
tes relevant sind; diese Wörter so verbinden,
dass die „Vertextung“ sichtbar wird; Überar-
beiten des Textes im Hinblick auf textverknüp-
fende Mittel)
Dritter Schritt Aufgabe für die Lehrerfortbildung: Stellen Sie
Ihre Analyse der Schülertexte der Klasse vor,
beachten Sie die vorgegebenen Schritte. Ziehen
Sie daraus Schlussfolgerungen: Was macht gute
Texte aus?
FazitDer bilinguale Fachunterricht stellt Lehrende
und Lernende vor große Anforderungen. Er ist
ein Sprach- und Sachunterricht auf hohem
Niveau, es soll fachbezogenes Wissen in einer
Sprache vermittelt werden, die für die meisten
Lernenden eine Fremdsprache ist. Die sprachli-
chen Mittel, die man braucht, um dieses Wissen
Fehler zeigen die Kluft zwischen dem
Ausdruckswillen und den Ausdrucksfähigkeiten
der Lernenden
zu erschließen, müssen in dieser Fremdsprache
erst erworben werden. Die meisten Lernenden
haben auch noch beim Abitur große Probleme
damit, qualitativ hochwertige Texte zu produzieren
und über Texte zu reflektieren. Fehler beim Schrei-
ben von Aufsätzen zeigen die Kluft zwischen dem
Ausdrucks willenund den Ausdrucksfähigkeiten
der Lernenden sowie die Diskrepanz zwischen
ihren Mitteilungsbedürfnissen und den Realisie-
rungsmöglichkeiten in der Fremdsprache –
wodurch eine Spannung zwischen differenziertenGedankengängen und mangelndem sprachlichem
Ausdruckvermögen entsteht (vgl. Hornung 2003).
Die Lernenden müssen in der Arbeit mit und an
den Texten systematisch auf diese Aufgabe vorbe-
reitet werden. Durch eine differenzierte Textanalyse
können Lernende für die vielfältigen Funktionen
sprachlicher Mittel sensibilisiert werden. Gesprä-
che über Analyseergebnisse machen die verschie-
denen Aspekte der Schülertexte thematisierbar,
tragen zur Sprachbewusstheit der Lernenden bei
und helfen bei der eigenen Textproduktion.
Die Lernenden sollten auf der Ebene der Sprachverarbei-
tung, d.h. auf der Ebene des Wortschatzes, der Ortho-
graphie, der Grammatik und der textkonstituierenden
Elemente gewisse Routinen und Automatisierungen auf-bauen. Dazu sollte man die einzelnen Tätigkeiten beim
Schreiben isolieren und den komplexen Schreibprozess in
Phasen zerlegen.
Sollte der Unterrichtsplan aus Zeitgründen keine umfas-
sende Analyse zulassen, bietet es sich an, Teile des Textes
ins Blickfeld zu nehmen und genauer zu untersuchen.
Tipp
LiteraturHornung, Antonie: Die Tesina – unterwegs zum wissen-schaftlichen Schreiben mit italienischen Deutschstu-dierenden. In: Ehlich, Konrad / Steets, Angelika (Hrsg.):
Wissenschaftlich schreiben – lehren und lernen. Berlin: Walter de Gruyter 2003, 347-368
Nussbaumer, Markus / Sieber, Peter: Was sich in Abituri-ententexten zeigt. Ergebnisse aus dem Zürcher„Sprachfähigkeiten“-Projekt. In: Diskussion Deutsch.Zeitschrift für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrerin Ausbildung und Praxis. Jg. 26 Heft 141. Frank-furt/Main: Diesterweg 1995, 15-24
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„Kennen Sie den schon?“ Textsortenund ihre typischen Muster„Kennen Sie den schon?“ Wenn Sie in fröhlicher
Freizeitrunde diese Frage hören, wissen Sie – ohne
dass es extra thematisiert wurde – dass es sich
nicht etwa um einen Menschen handelt, sondern
um einen Witz, der jetzt erzählt werden soll.
Wenn jemand einen Text mit „Es war einmal ...“einleitet, wissen Sie genau, worauf Sie sich ein-
zustellen haben: vermutlich auf ein Märchen
oder auf eine Geschichte, die märchenhafte,
unrealistische Züge hat. Wenn es sich tatsächlich
um ein Märchen handelt, haben Sie recht genaue
Vorstellungen davon, wie der Verlauf ist, und vor
allem wissen Sie, dass das Ende erreicht ist,
wenn Sie eine Formulierung wie „Und wenn sie
nicht gestorben sind, dann leben sie heute
noch.“ oder „Und sie lebten glücklich bis an ihr
Lebensende.“ vernehmen.
Wenn Sie Informationen wie „Man nehme
300 g Mehl ...“ bekommen, wissen Sie, ohne
mehr über den folgenden Text zu wissen, dass es
sich um ein Rezept handeln wird, und Sie wissen
auch, dass der Text vermutlich zweigeteilt sein
wird: Der erste Teil listet die Zutaten auf, derzweite die Verarbeitung dieser Zutaten.
Unbewusst gespeichertes und auto-matisiertes Textmusterwissen Wie kommt es, dass Sie in den oben genannten
Beispielen wissen (oder sicher vermuten), was
jeweils gesagt oder geschrieben werden wird?
In diesem Beitrag geht es darum, zu zeigen, dass wir viele Textsorten und ihre Muster abge-
speichert haben und bewusst oder unbewusst verwenden – zum einen wenn wir Gehörtes
und Gelesenes erkennen wollen, zum anderen wenn wir selbst Gespräche führen oder Texte
schreiben. Der Grundgedanke dieses Aufsatzes ist der, dass wir beim Rezipieren und Produ -
zieren in der Fremdsprache vielleicht dazu neigen, die meist automatisierten Textsortenmuster
aus der Erstsprache in die Fremdsprache zu übertragen – zu dem Preis, dass wir nicht ver -
standen werden oder selbst nichts verstehen. Außerdem soll versucht werden zu zeigen,
wie wir dies vermeiden können.
Von Britta Hufeisen
Textsortenwissen –Textmusterwissen –
Kulturspezifik von Textsorten
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Der KohlkopfRezept für sechs Personen
1000 g Schweinemett, gewürzt • einen Kopf Wirsingkohl • Salz und Pfeffer • reichlich
frisch geriebene Muskatnuss • Butter für die Form
Die Soße2 EL (Margarine oder) Butter • 2 EL Mehl (Weizen oder Dinkel) • 1 Liter Milch •
etwas Zitronensaft • Salz und Pfeffer • frisch geriebene Muskatnuss • evtl. etwas
gekörnte (Fleisch- oder Gemüse-) Brühe
Die Form
Man benötigt eine verschließbare Wasserbad-Form. Solche Formen wurden ursprünglich
zum Herstellen von Pudding benutzt. Die Rezeptangaben beziehen sich auf eine Form
mit 2 bis 2 1/2 l Inhalt. Es gibt auch kleinere Formen, denen man die Zutatenmengen
anpassen müsste.
Zubereitung
Die Form gut buttern. Schichtweise in Salzwasser blanchierten Kohl und Mett einfüllen,
wobei die erste Schicht aus Kohl bestehen sollte. Nach jeder Lage reichlich Muskat drü-
ber reiben und eventuell noch ein wenig nachsalzen. Die Form sollte gut und fest gefüllt
sein, da sonst der “Kopf“ beim Stürzen leicht zerfallen kann.
Die verschlossene Form anschließend für mindestens 40 Minuten in einem großen Topfim Wasserbad erhitzen.
Schließlich die Form in ein etwas tieferes Gefäß (flache Schüssel, runde Auflaufform)
stürzen. Gefäß auf die Form auflegen (sollte zum Boden des Gefäßes gut abschließen)
und dann mutig und flott über der Spüle umdrehen. Vorsicht! Form, Flüssigkeit und
Dampf sind heiß!
Dazu reicht man sehr reichlich weiße Bechamelsoße:
Aus Butter und Mehl eine Mehlschwitze bereiten, mit Milch aufgießen und aufkochen,
dabei ständig mit einem Schneebesen rühren, damit die Soße nicht anbrennt. So viel
Milch zufügen, dass sich eine sämige Konsistenz ergibt; nach dem Stürzen wird die in
der Form gebildete Flüssigkeit noch hinzugefügt.
Schließlich würzen, mit Salz, (evtl. gekörnter Brühe) und Muskat.
Mit Zitronensaft abschmecken.
Guten Appetit!
Sie kennen den idealtypischen Aufbau eines
Rezeptes, und Sie wissen aufgrund Ihrer Kind-
heit und Ihrer Leseerfahrungen, wie ein prototy-
pisches Märchen anfängt und aufhört. Rezepte
und Märchen gehören zu den Textsorten, dieeinen relativ festen Bauplan haben. Diesen Bau-
plan lernen wir im Laufe von Kindheit und
Jugend kennen und speichern ihn ab, sodass wir
beim Hören oder Lesen entsprechender Text-
exemplare dieser Textsorten nicht lange nach-
denken müssen, sondern sie sehr rasch identifi-
zieren können. Das erleichtert uns die Hör- und
Lesearbeit und wir können uns auf die Inhalte
selbst konzentrieren. Wie sehr wir diese Textsor-
tenmuster (meist unbewusst) gespeichert haben,
stellen wir fest, wenn wir einen Text lesen oder
hören, der zwar als Märchen gekennzeichnet
ist, der aber nicht dem gewohnten Bauplan
folgt. Wir sind irritiert und wollen ihn vielleicht
gar nicht als Vertreter dieser Textsorte akzeptie-
ren.
Nun haben wir vermutlich nicht nur Muster
der Textsorten „Märchen“ oder „Rezept“ gespei-
chert, sondern auch die vieler anderer, wie z.B.
Lebensläufe, Nachrichten, Referate oder Wetter-
bericht. Dieses Textmusterwissen beschränkt
sich keineswegs nur auf schriftliche Texte, wir
haben mindestens ebenso viele prototypischeMuster von mündlichen Textsorten, von Gesprä-
chen und Diskursen gespeichert. Denken Sie an
die ersten Sätze, die Sie in einer Praxis vermut-
lich mit der Ärztin oder dem Arzt austauschen
werden. Es wird eine Begrüßung geben, die Ärz-
tin wird Sie fragen, was Sie zu ihr führt oder was
Ihnen fehlt bzw. was sie für Sie tun kann. Wenn
Sie an die Textsorte / den Diskurs „Vorstellungs-
gespräch“ denken, werden Sie vermutlich relativ
schnell eine bestimmte Gesprächssituation vor
Augen haben – mit einem relativ festgelegten Dia-log zwischen Ihnen als Bewerber und den Vertre-
tern der Institution, bei der Sie sich bewerben.
Wir lernen im Laufe des Lebens eine große
Menge dieser Textsorten und Diskurse in idealty-
pischer Form kennen und speichern sie unbe-
wusst ab. Dadurch dass wir sie verhältnismäßig
automatisch abrufen und in Schrift / Sprache
umsetzen können, erleichtern sie uns nicht nur
das Wiedererkennen, sondern auch das eigene
Produzieren entsprechender Texte und die Betei-
ligung an entsprechenden Diskursen, und wir
können uns auf die inhaltliche Aussage konzen-trieren und müssen uns nicht in erster Linie um
den Aufbau und die Abfolge bestimmter Elemen-
te kümmern.
Gemeinsames Textmusterwissenerleichtert die KommunikationDieses Textmusterwissen erleichtert außerdem
die Kommunikation der Sprachteilhaber unterei-
nander. Stellen Sie sich vor, Sie müssten in einem
Gespräch erst länger lauschen, bis Sie herausfän-
den, um was es geht. Wenn Sie durch typische
Textsortenmarker Hinweise auf die Textsorte
bekommen, können Sie sich sofort auf die Inhal-
te konzentrieren und selber sprachlich darauf
reagieren. Sie müssen nicht erst zwei Seiteneines Textes lesen, um zu erkennen, um welche
Textsorte es sich handelt, sondern Sie haben ihn
beispielsweise mit der Anredeformel „Sehr
geehrte/r ...“ und mit wenigen darauf folgenden
Sätzen sogleich als einen an Sie gerichteten per-
sönlichen Brief identifiziert und werden eine
entsprechende Lesehaltung einnehmen. Hätten
Sie den Text beispielsweise als – ungebetene –
Werbung identifiziert, hätten Sie ihn vielleicht
gar nicht zu Ende gelesen, sondern in den Müll-
eimer geworfen.
Das heißt, Textsortenwissen erleichtert auchdie Kommunikation zwischen uns. Wir müssen
nicht extra ansagen, dass wir nun eine bestimm-
te Textsorte produzieren werden, sondern wir
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Textsortenwissen – Textmusterwissen – Kulturspezifik von Textsorten52
dürfen darauf vertrauen, dass wir schnell ver-
standen werden, wenn wir die typischen und
bekannten Textsortenmarker verwenden. Des-
halb kann es auch passieren, dass wir missver-
standen werden, wenn wir für eine bestimmteTextsorte untypische Formen gebrauchen. Dann
kann die Wiedererkennung durch die anderen
Gesprächsteilhaber eine kleine Weile dauern.
Textsorten im Fremdsprachen-unterrichtEs gibt bestimmte Textsorten, mit denen wir auf-
wachsen; wir lernen sie ganz automatisch, ohne
dass wir uns anstrengen müssen, wie z.B. die
bereits erwähnte Textsorte „Märchen“. Im Ideal-
fall bekommen wir sie als Kinder vorgelesen, ler-
nen sie kennen und können sie wiedererkennen,
wenn sie uns in anderen Lebenssituationen wie-
der begegnen. Wir können sie auch selbst produ-
zieren – entweder um ein Märchen zu erzählen,
oder einen Gesprächsinhalt wie ein Märchen zu
verpacken. Andere Textsorten lernen wir en pas-
sant im Alltag kennen, wie z.B. Einkaufszettel,
Briefe, Rechnungen oder Werbeanzeigen, und
wir müssen keine große Mühe darauf verwen-
den, sie zu identifizieren.
Andere Textsorten wiederum lernen wir erstin formalen Zusammenhängen wie der Schule
oder der Universität kennen, und manchmal
scheint es mühevoll zu sein, sie selbst zu produ-
zieren. Vielleicht verzweifeln wir als Lehrende
gelegentlich daran, dass manche Textsorten sich
als sehr schwierig für unsere Lernenden darstel-
len. Dies kann in fremdsprachlichen Zusammen-
hängen daran liegen, dass viele Textsorten von
Kultur zu Kultur bzw. von einer Gesellschaft zur
anderen unterschiedlich aussehen und verschie-
dene Formen sowie spezifische Textsortenmar-ker aufweisen. So wird man auch heute noch in
vielen Lebensläufen von Menschen mit einem
slawischen Hintergrund Angaben zur Gesund-
heit finden, was in einem deutschsprachigen
Lebenslauf ungewöhnlich ist und vielleicht sogar
befremdlich wirkt. Das heißt, wenn ich einen
Text einer mir bekannten Textsorte in einer
Fremdsprache genauso aufbaue und produziere
(schreibe oder sage), wie ich es aus meiner Erst-
sprache kenne, kann es passieren, dass ich von
den Sprechern und Sprecherinnen der Zielspra-
che nicht gleich verstanden werde. Die in denangloamerikanischen Kontexten üblichen essays
sind eine Textsorte entwickelnder, dialektischer
und argumentativer Art, die nicht in allen ande-
ren Kulturkreisen vorkommt und die deshalb von
Lernenden des Englischen erst kennengelernt
und geübt werden muss. Die deutsche Textsorte
„Erörterung“, die auch den Textproduktionen
vieler offizieller Tests und Prüfungen zum Nach- weis deutscher Sprachkenntnisse zugrunde liegt,
ist für Lernende schwierig zu produzieren, die
aus einem Kulturkreis stammen, in dem es nicht
üblich ist, Argumente für und wider einer Frage-
stellung gegenüber zu stellen und am Ende sogar
noch eine eigene Meinung darzulegen und zu
begründen. Diesen Studierenden fällt es mangels
eines eigenen Textsortenmodells anfangs oft sehr
schwer, solche Texte zu schreiben.
Kulturspezifik von TextsortenDiese Kulturspezifik von Texten ist uns und un-
seren Lernenden häufig gar nicht bewusst. Ich
schlage vor, dass wir dies im Unterricht themati-
sieren. Das bedeutet, dass die Lernenden sich
zunächst klar machen müssen, wie eine bestimm-
te Textsorte in ihrer Erstsprache idealtypischer-
weise aussieht. Dies ist oft ein interessanter
Lernschritt, denn normalerweise macht man
sich ja keine Gedanken darüber, wie Textsorten
aufgebaut sind; außerdem führt dies manchmal
dazu, dass die Lernenden die betreffende Text-sorte auch in ihrer Erstsprache (= L1) in Zukunft
bewusster und sorgfältiger behandeln als zuvor.
Sodann gilt es, das zielsprachliche Muster der
betreffenden Textsorte vorzustellen. Idealerweise
versuchen die Lernenden anhand von idealtypi-
schen Beispielen selbst herauszubekommen, wie
die Textsorte im Deutschen aussieht. Sie bekom-
men einige typische Textbeispiele, die sie sich als
Vorbild nehmen können, um sie nachzuahmen
und erhalten die Gelegenheit, spielerisch ver-
fremdend mit den Texten umzugehen, indem siesie beispielsweise umschreiben. Sie können
Texte aus dem Deutschen direkt in ihre L1 über-
tragen, um sich darüber zu amüsieren, wie
komisch der Text in ihrer Sprache wirkt, weil er
in ihrer L1 ganz anders aussähe. So erkennen sie
vielleicht auch, dass sie Texte ihrer L1 nicht
direkt ins Deutsche „übersetzen“ sollten, damit
auch ihre Texte im Deutschen wegen des fal-
schen Textsortenmusters nicht komisch wirken
oder im schlechtesten Fall von Deutschsprachi-
gen gar nicht als Vertreter der betreffenden Text-
sorte erkannt werden. Mit diesen verschiedenenmethodischen Zugriffen können Sie in ihrer
Lerngruppe unterschiedliche Lernertypen bedie-
nen, aber auch ihren Lernenden die Angst vor
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Textsortenwissen – Textmusterwissen – Kulturspezifik von Textsorten 53
dem Schreiben nehmen – es gibt viele Wege,
einen Text zu schreiben (Hornung 1997).
Außertextliche Merkmale einerTextsorte Abschließend möchte ich Sie noch darauf auf-
merksam machen, dass auch außertextliche Mit-
tel dazu beitragen, bei uns Textmusterwissen zu
aktivieren. Als Beispiel verwende ich in meinen
Gruppen gerne die Textsorte „Todesanzeige“. Je
nach Lerngruppe beginne ich mit einer Todesan-
zeige aus einer deutschen Zeitung, bei der ich den
Text durch Ausschneiden entfernt habe, und lasse
die Lernenden raten, um welche Textsorte es sich
handelt. Deutsche identifizieren die Textreste
trotzdem immer zuverlässig als Todesanzeigen,
weil der breite schwarze Rand zur Identifizierung
dieser Textsorte bereits ausreicht. Lernende des
Deutschen als Fremdsprache vermuten je nach
kulturellem Hintergrund ebenfalls Todesanzeigen,
öfter aber Verkaufs- und Werbeanzeigen oder
Gemeindemitteilungen. Wenn ich in Seminaren
mit deutschen Studierenden Todesanzeigen aus
Nordamerika oder aus Schweden zeige, ohne dass
sie den Text selbst sehen können, nehmen sie oft
an, es handele sich um Börsennotizen oder Wirt-
schaftsnachrichten, weil sie vergleichbare Spaltenaus ihren deutschen Zeitungen kennen; Wetter-
vorhersagen hingegen scheinen universal zu sein,
denn selbst wenn die Lernenden in einem Kurs
oder einem Seminar nur die Bilder, die Karten, die
Wolken- und Regenabbildungen sehen können,
identifizieren sie die Textsorte trotzdem immer
zuverlässig.
Drei Stufen beim Kennenlernen
eigener sowie fremder Textsortenund TextsortenmusterIch finde es stets wichtig, dass die Lernenden
vermittelt bekommen, dass es keine guten oder
besseren Textsortenmuster in der einen oder
anderen Sprache und Kultur gibt, sondern dass
sie einfach anders sind und dass man die eige-
nen Sprachhandlungskompetenzen deutlich
erhöhen kann, wenn man um die eigenen sowie
um die fremden Textsorten und ihre Muster weiß
und sie identifizieren und selbst (annäherungs-
weise) produzieren kann. Dabei habe ich mit den
folgenden drei Unterrichtsschritten gute Erfah-rungen gemacht:
1. Intrakulturelle Stufe: Bewusstmachung der
eigenkulturellen Spezifika. Dieser Schritt ist wich-
tig und sollte nicht übergangen werden, weil
unser automatisiertes, intuitives L1-Wissen sonst
allzu oft beim Produzieren der fremdsprachlichen
Textsorten interferiert und in der Folge Hybridtex-
te entstehen können, die eigentlich weder der L1noch der Zielsprache angehören.
2. Interkulturelle Stufe: Erkenntnis, dass Textsor-
ten in anderen Sprachen anders aussehen, sowie
Akzeptanz, dass sie in anderen Sprachen anders,
aber dennoch gleichwertig sind.
3. Transkulturelle Stufe: Annäherung an die ziel-
sprachliche Spezifik mit dem Ziel, sie immer per-
fekter zu produzieren.
Wie kann das im Einzelnen aussehen? Die
Diskussion eigensprachlicher Texte muss Raum
im Deutschunterricht haben, damit die Lernen-
den die Gelegenheit haben, sich ihrer Texte und
deren Baupläne bewusst zu werden, um sie nicht
intuitiv und automatisch beim Schreiben auf
Deutsch zu reproduzieren. Danach können Sie
den Lernenden deutschsprachige Texte vorlegen
und sie kontrastiv vergleichen lassen: Wo ähneln
sich Texte in den verschiedenen Sprachen und
wo unterscheiden sie sich? Im dritten Schritt
können Ihre Lernenden versuchen, zielsprachige
Texte zu schreiben, natürlich immer gemäß
ihrem Schreibtyp (Kreativ annähernd? Gute Bei-
spiele nachahmend? Nach „Rezept“ schreibend? Vgl. Hornung 1997). Nicht immer wird es ganz
leicht sein, Lernende dazu zu bringen, sich mit
ihrer eigenen Textsortenkultur auseinanderzu-
setzen – insbesondere dann, wenn es in der
betreffenden Kultur nicht üblich ist, Bewusstma-
chungsstrategien einzusetzen oder über (gute)
Texte zu sprechen. Trotzdem kann man im
Deutschunterricht kleine Schritte in diese Rich-
tung gehen, um die Lernenden mit dieser Art des
Lernens und der Reflexion vertrauter zu machen.
LiteraturHornung, Antonie: Führen alle Wege nach Rom? Über kul-
turspezifische Zugangsweisen zu Schreibprozessen. In: Adamzik, Kirsten / Antos, Gerd / Jakobs, Eva-Maria(Hrsg.): Domänen- und kulturspezifisches Schreiben.Frankfurt/Main: Lang 1997, 71-99
Hornung, Antonie: Zur eigenen Sprache finden. Modelleiner plurilingualen Schreibdidaktik. Tübingen: Nie-meyer 2002 (= RGL 234)
Hufeisen, Britta: Ein deutsches Referat ist kein englisch-sprachiges Essay. Theoretische und praktische Überle-gungen zu einem verbesserten, textsortenbezogenen
Schreibunterricht in der Fremdsprache Deutsch an derUniversität. Innsbruck, Wien: Studienverlag 2002Hufeisen, Britta: Textkompetenz. In: Bausch, Karl-Richard /
Burwitz-Melzer, Eva / Königs, Frank G. / Krumm,Hans-Jürgen (Hrsg.): Textkompetenzen. Tübingen:Gunter Narr 2007, 97-105
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Sprachecke54
Stirbt der Genitiv?
Als Gymnasiasten wurde uns beigebracht, der
Genitiv sei der Kasus der Gebildeten, das gelte für
das Deutsche ebenso wie für das Lateinische.
Noch heute schwingt ein nostalgisches Bedauern
mit, wenn vom Tod des Genitivs die Rede ist. Ge-
meint ist damit zuerst sein Rückgang als Objekt-
kasus, als Kasus also, der vom Verb oder Adjektiv
regiert wird. In der Grammatik von Friedrich Blatz
(1880) finden sich ungefähr 160 Genitiv-Verben.
Ein Teil von ihnen ist veraltet (sie harrt seiner, er
gereut sich dessen) , ein anderer Teil hat den Geni-
tiv verloren und regiert nur noch einen anderen
Kasus (dessen/das vergessen, dessen/das entbehren)
oder ein präpositionales Objekt (ihrer warten/auf
sie warten, seiner spotten/über ihn spotten) . Im
Gegenwartsdeutschen gibt es noch ungefähr 25
Genitivverben, aber auch den meisten von ihnen
haftet etwas Bildungssprachliches an (sich dessen bemächtigen, dessen gedenken) .
Andere Verwendungen sind stabil, wenn auch
auf niedrigem Niveau. Das gilt namentlich für
adverbiale Genitive der Typen des Tages, des Weges
(und sogar vom Femininum des Nachts ) sowie
schnellen Schrittes, guten Mutes, sehenden Auges .
Hier zeigt sich eine Schwäche des Genitivs daran,
dass solche Wendungen so gut wie ausschließlich
von Maskulina und Neutra gebildet werden.
Feminina wie froher Miene , guter Laune kommen
kaum vor, weil der Genitiv bei ihnen formgleichmit dem Dativ ist.
Eine Zunahme des Genitivs stellen wir bei den
Präpositionen fest. Die alte Schicht der morpholo-
gisch einfachen Präpositionen regiert den Dativ,
den Akkusativ oder beide (zu, mit, ohne, durch, in,
auf) . Die jüngere Schicht umfasst mehrere Dut-
zend abgeleiteter Präpositionen, die überwiegend
den Genitiv regieren (wegen, trotz, angesichts, hin-
sichtlich, anstatt, infolge) . Die Konkurrenz zum
Dativ ist ein interessantes Thema, das wir später
einmal an dieser Stelle besprechen werden.
Die Hauptverwendung des Genitivs im Gegen- wartsdeutschen ist zweifellos das Attribut. Als ers-
ter Haupttyp tritt es als sog. sächsischer Genitiv in
Erscheinung, der vor allem von Personen- und
geographischen Namen gebildet wird. Ist ein sol-
cher Name kurz, dann geht er dem Kern der
Nominalgruppe voraus wie in Pauls Auto, Inges
Haus, Kiels Bürgermeister . Je länger ein Name ist,
desto eher kann er nachgestellt werden, z.B. die
Werke Mozarts, die Weine Frankreichs, die Bilder
Michelangelos, die Dramen Friedrich Schillers .
Beim zweiten Haupttyp enthält das Genitivat-
tribut eine Nominalgruppe, die nicht ein Eigenna-
me ist und in der Regel dem Kern folgt (ein Buch
dieses Autors, die Idee eines pfiffigen Mädchens ).
Die Verwendung als Attribut ist stabil, aber auch
hier gibt es strukturelle Schwächen. Im Plural ist
der Genitiv am Substantiv nicht markiert, er ist
formgleich mit dem Nominativ und dem Akkusa-
tiv (die Bäume ist Nom und Akk, der Bäume ist
Gen mit derselben Form des Substantivs). Diese
Eigenheit führt zu syntaktischen Lücken. So kön-nen wir sagen ein Antrag vieler Berliner , aber nicht
*ein Antrag Berliner , weil man hier den Genitiv
nicht erkennt. In solchen Fällen wird auf von +
Dativ ausgewichen (der Antrag von Berlinern) .
Untersuchungen haben gezeigt, dass im geschrie-
benen Standarddeutschen, z.B. in Zeitungstexten,
normalerweise der Genitiv verwendet wird. Auf von
+ Dativ weicht man vor allem dann aus, wenn der
Genitiv nicht funktioniert. Von genereller Verdrän-
gung des Genitivs kann man also nicht sprechen.
Was die Formbildung betrifft, ist der Genitiv Singular im Maskulinum und Neutrum in der
Regel der bestmarkierte Kasus überhaupt, weil er
mit dem starken Konsonanten s sowohl am Artikel
als auch am Substantiv (des Tisches, eines Kindes)
erscheint. Am Substantiv wird er bei Eigennamen
weggelassen (die Bilder des Michelangelo, der Auf-
stieg des Arturo Ui) . Zu wackeln beginnt er bei
einigen anderen Gruppen von Substantiven, zum
Beispiel bei mehrsilbigen Fremdwörtern (des Kon-
junktiv, eines Impromptu) . Als standardsprachlich
korrekt gilt das nicht.
Fazit: Der Genitiv wird dem Deutschen nochlange erhalten bleiben. Zumindest im geschriebe-
nen Standard ist er wichtig und stabil, von seinem
Ableben kann keine Rede sein.
Von Peter Eisenberg
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Internationale Studierende, die an deutschsprachigen Universitäten studieren, müssen fachliches
und sprachliches Lernen gleichzeitig bewältigen. Darauf bereiten weder Sprachkurse noch ein
Grundstudium „Germanistik“ im Heimatland in ausreichendem Maße vor. Die Studierenden
müssen die Weiterentwicklung ihrer sprachlichen und textbezogenen Kompetenzen im Kontext
der fremden Wissenschaftskultur daher meist selbst in Angriff nehmen. Wie man sie dabei unter -
stützen kann, soll im folgenden Beitrag gezeigt werden. Er führt in ein Kurskonzept ein, das in
einem universitären, wissenschaftssprachlich orientierten Sprachkurs (Niveau C1) ausprobiert
wurde, und gibt beispielhaft Einblick in die Aufgabenpraxis.
Von Imke Mohr
© Pixtal
Schreiben lernen in derFremdsprache „so ganznebenbei“?Ein Kurskonzept für internationale Studierende in einem
deutschsprachigen Studiengang
Das KurskonzeptDie folgenden drei Annahmen sind für das Konzept
eines Kurses gedacht, der möglichst das ganze erste
Semester dauern sollte:
• Das selbstständige Schreiben auf Deutsch und
die Arbeit mit eigenen Texten fördern die fremd-
sprachliche und textbezogene Kompetenz derStudierenden in besonderer Weise.
• Der Prozess des Lernens ist in den meisten unse-
rer Ausbildungskontexte eine „Bewegung von
Text zu Text“ (Portmann-Tselikas 2006, 50); dies
trifft in besonderem Maße für das Studieren zu:
Studierende erwerben ihr Fachwissen über das
Lesen von Texten und verarbeiten dieses im bes-
ten Fall durch das Schreiben eigener Texte weiter.
Die Texte des Fachs können aber auch Vorbilder
dafür sein, wie man eigene Texte aufbauen undgestalten kann. Kurz: die intensive Beschäftigung
mit den Texten des Fachs ist jetzt besonders
wichtig.
Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008
8/13/2019 24996544 Fremdsprache Deutsch
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Schreiben lernen in der Fremdsprache „so ganz nebenbei“?56
• Ein studienbegleitender Kurs sollte sich eng am
Lernbedarf der Studierenden orientieren: Sie ver-
fügen meist über knappe Zeitressourcen und
über eine hohe Bereitschaft, ihre Sprech- und
Schreibfähigkeit auszubauen; sie arbeiten daherim besten Fall an den Texten ihres Fachs. Dann
tritt in einem studienbegleitenden Kurs das ein,
was Konrad Ehlich „sukkursive Vermittlung“
nennt: Lernen, das direkt bei der Bearbeitung
und Weiterentwicklung von Sprach- und Fach-
wissen ansetzt und eng an den Bedürfnissen der
einzelnen Lerner orientiert ist.1
In diesem studienbegleitenden Kurs lernen die Stu-
dierenden Verfahren anwenden, die ihnen helfen,
mit den Texten ihres Fachs reflektiert umzugehen
und eigene Schreibprozesse kritisch zu bewerten
und voranzutreiben. Die Aufgaben bewirken, dass
sie inhaltliche, (fremd)sprachliche und textuelle As-
pekte in den Texten ihres Fachs zunehmend bewusst
wahrnehmen, über sie sprechen und für das Schrei-
ben eigener Texte im Studium nutzen können.
Verfahren kennenlernen,ausprobieren, bewertenIn jeder Sitzung des Kurses stellt die Kursleiterin/
der Kursleiter den Studierenden Verfahren vor, diezielführend in Bezug auf ein wichtiges studienspe-
zifisches Handlungsfeld sein können (vgl. z.B. den
nächsten Abschnitt). Welche Handlungsfelder rele-
vant sind, erfährt man, wenn man Studierenden
ausreichend Gelegenheit gibt, über ihre besonde-
ren Probleme mit dem Schreiben zu berichten. Die
Verfahren lassen sich meiner Erfahrung nach am
leichtesten über eine Aufgabenstellung präsentie-
ren, die dazu auffordert, ein Verfahren bewusst ein-
zusetzen und seine Anwendung und Wirkung wäh-
rend der Arbeit mit dem Text konkret zu erfahren.Die Studierenden werden gebeten, die vorgestellten
Verfahren beim Lesen und Schreiben in der nach-
folgenden Woche einzusetzen und die Erfahrungen,
die sie dabei machen, zu notieren.
In einer Folgesitzung tauschen die Studierenden
in kleinen Gruppen ihre Erfahrungen mit einer
Aktivität aus und überlegen gemeinsam, welchen
Einfluss diese auf ihren Verstehens- bzw. Schreib-
prozess hatte und ob bzw. wie sie noch zu optimie-
ren wäre. Verfahren, die sich für eine Mehrheit der
Studierenden als hilfreich bzw. lernwirksam erwie-
sen haben, werden in Form von „Empfehlungen“gesammelt.
Nach dieser gemeinsamen Reflexion ist es den
Studierenden selbst überlassen, ob sie das Verfah-
ren weiterhin regelmäßig einsetzen möchten. In
einer der letzten Sitzungen des Kurses findet noch
einmal eine Zusammenschau aller Verfahren statt,
mit dem Ziel, die Studierenden zu ermutigen, ihre
fremdsprachlichen und studienspezifischen Fähig-keiten selbstständig weiterzuentwickeln.
Die Aufgaben, die hier beispielhaft gezeigt wer-
den, stellen Verfahren zum Lesen von Fachtexten
und zum Schreiben von ersten wissenschaftlichen
Hausarbeiten vor. Außerdem unterstützen sie das
kontinuierliche, selbstständige Deutschlernen im
Studium.
Leseerwartungen und -erfahrungen –eigene Perspektiven auf einen TextentwickelnBeim Lesen müssen die Studierenden die für sie
relevanten Informationen aus dem einzelnen Text
herauslösen und sie in ihr bestehendes Wissen auf-
nehmen. Eine Unterstützung dabei ist besonders
dann hilfreich, wenn Studierende erst beginnen,
sich in einem Fachgebiet zu orientieren, also noch
über wenig Fachwissen verfügen. Es gibt viele Akti-
vitäten, die dabei nützlich sind. Die Studierenden
können verschiedene Verfahren beim Lesen von
kürzeren Texten ausprobieren und sie dann eine
Weile möglichst kontinuierlich beim Lesen der
Texte ihres Studienfachs einsetzen, um ihre Wir-kung zu überprüfen.
Tipps: Leseerwartungen und -erfahrungenDieses Verfahren können Sie einsetzen, kurz bevor Sieeinen Fachtext lesen!Nehmen Sie ein leeres Blatt Papier und formulieren Sie inwenigen Sätzen, aber so konkret wie möglich,• was Sie bereits über das Thema des Textes wissen• und was Sie hoffen, durch die Lektüre des Fachtextes in
Erfahrung zu bringen!Danach erst lesen Sie den Text.Ergänzen Sie nach dem Lesen Ihr Wissen bzw. Ihre Erwar-tungen an den Text durch die neuen Informationen, die
Sie erhalten haben.Legen Sie dann Ihren eigenen Text gemeinsam mit demFachtext ab, damit Sie später beim Planen Ihres Hausar-beitsthemas wieder auf ihn zurückgreifen können.
Variation:Halten Sie während des Lesens zu maximal drei der fol-genden Sätze „Lesekommentare“ fest:• Diese Information des Textes ist für mich ganz neu: …• Diese Information interessiert mich besonders, weil …• Diese Textstelle habe ich nicht genau verstanden. Der
Grund dafür ist ...• Hierzu fällt mir spontan etwas ein (ein Beispiel, ein wei-
terführender Gedanke, ein Einwand etc.): …• Zu diesem Punkt möchte ich gern mehr wissen: …• Diese Titel des Literaturverzeichnisses möchte ich jetzt
gern lesen:• andere: ... 2
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Schreiben lernen in der Fremdsprache „so ganz nebenbei“? 57
Effekt des Verfahrens: Zu Beginn des Studiums
schreiben die meisten Studierenden ihre Hausar-
beiten gelenkt durch stark eingegrenzte Fragestel-
lungen, d.h. sie suchen in den Fachtexten nach Ant-
worten auf diese Fragen. Immer öfter müssen sie jedoch eigene Perspektiven auf ein Thema finden.
Erst wenn ihnen dies gelingt, können sie losgelöst
von den Fachtexten und von den daraus gewonne-
nen Informationen selbstständig Wissen in eigenen
Texten weiterverarbeiten und darstellen. Durch sol-
che das Lesen begleitende und das Schreiben vor-
bereitende Verfahren können die Studierenden
dann aus ihrer Sicht etwas über die Texte sagen,
dies festhalten und beim Verfassen ihrer eigenen
Texte darauf zurückgreifen.
Inhaltliches und logisches Gliedern vonTexten – sprachliches Handeln erkennenFremdsprachigen Studierenden fällt es beim
Schreiben von komplexen Texten oft schwer, die
Inhalte in einem Text zu ordnen und im Blick zu
behalten, mit welchem Ziel sie dies tun. Fachtexte
können Vorbilder für eine gelungene Entfaltung des
Themas sein, wenn Studierende erkennen, wie
Schreibende in ihren Texten „handeln“.
Fachtexte können Vorbilder sein,
wenn Studierende erkennen, wie Schreibendein ihren Texten „handeln“.
Die meisten Studierenden kennen das inhaltliche
Gliedern nach der Leitfrage „Was sagt die Autorin
hier?“ bereits aus der Schule: Sie können Über-
schriften oder Stichwörter zu kürzeren Abschnitten
eines Textes finden und so seine thematische Struk-
tur sichtbar machen. Antworten auf die Frage „Was
macht die Autorin hier?“ verdeutlichen zusätzlich
die logische Gliederung eines Fachtextes. Eine
Anleitung zum logischen Gliedern wäre z.B.:
Tipps: Sprachliches Handeln erkennenMarkieren Sie diejenigen Textstellen, an denen Sie das„Handeln“ des Autors erkennen. Textstellen, an denener also deutlich sagt, was er gerade an einer bestimmtenStelle des Textes macht. Beginnen Sie bei der Einleitungzum Text, bearbeiten Sie danach den abschließendenTextteil:• Schreiben Sie die jeweiligen Formulierungen heraus, mit
denen der Autor sein eigenes „Handeln“ benennt.• Umschreiben Sie, was der Autor des Textes genau macht.• Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse zu zweit.Benutzen Sie ein einsprachiges Wörterbuch als Hilfestellung.
Ein Beispiel: Logische Gliederung einer EinleitungDer Autor trifft drei Aussagen / Behauptungen zum Thema.
Er formuliert eine Leitfrage; er kündigt an, dass er diese auf
der Basis von Textanalysen beantworten wird.
Er definiert den zentralen Begriff.
Er kündigt an, wie er vorgehen wird, um die Leitfrage zu
beantworten, d.h. er benennt die einzelnen Teile seines Textes.
(Laura und Michel, Studierende im Wintersemester 2005/06)
Effekt des Verfahrens: Wird das Handeln eines
Schreibers und dessen sprachliche Umsetzung im
Text deutlich, kann sich ein Verständnis dafür ent-
wickeln, wie wissenschaftliches Arbeiten sprachlich
formuliert werden kann. Die Studierenden benut-
zen beim logischen Gliedern wissenschaftssprachli-
che Fügungen, erkennen deren Bedeutung und
üben sie im Zusammenhang mit einem konkreten
Kontext. Erfahrungsgemäß ist es sinnvoll, gemein-
sam eine logische Gliederung zu erstellen oder eine
Muster-Gliederung zu einem Fachtextabsatz zu
präsentieren.
Gemeinsam denken und schreiben –Zusammenhänge rekonstruierenDie Bezugnahme auf relevante Texte der For-
schungsliteratur und die Präsentation der wichti-
gen Ergebnisse ist eine obligatorische Aufgabe
beim Schreiben von wissenschaftlichen Hausarbei-
ten; oft wird dabei zusammenfassend die Position
verschiedener Autoren zu einer Fragestellung
erläutert. Diese Aufgabe stellt Studienanfänger oftvor große Probleme, auf die fast nie explizit hinge-
wiesen wird. Zur Übung erarbeiten am besten
jeweils 2-3 Studierende gemeinsam die Positionen
der Autoren von kürzeren Texten zu einem Thema,
das für alle relevant ist.3
Tipps: Positionen herausarbeitenSie haben drei wissenschaftliche Artikel vorliegen, derenAutoren gegensätzliche Haltungen zur Fragestellung ein-nehmen.• Fassen Sie die zentralen Aussagen der drei Texte zum
Thema zusammen.
• Stellen Sie die jeweiligen Positionen der Autoren zumThema dar und bewerten Sie ihre Darstellung.
• Wenn Sie die verschiedenen Positionen erarbeitethaben, skizzieren Sie rückblickend gemeinsam, in wel-chen Schritten Sie dabei vorgegangen sind.
Effekt des Verfahrens: Mit dieser Aufgabe sind die
Studierenden dazu aufgefordert,
• gemeinsam die wesentlichen Informationen
eines jeden Fachtextes und ihre Perspektivierung
zu erkennen. Dazu müssen sie von den Einzelin-
formationen der Texte abstrahieren.
• sich gemeinsam eine Ordnung der thematischenInhalte für den Forschungsbericht zu überlegen;
das bedeutet auch, sie nach ihrer Wichtigkeit und
Übereinstimmung miteinander zu sortieren.
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Schreiben lernen in der Fremdsprache „so ganz nebenbei“?58
weniger bewusst getroffener Entscheidungen zu
bewerten. Diese Prozesse zu erinnern wird mög-
lich, weil die Texte der Gruppenmitglieder durch
die Vorabsprachen in wichtigen Punkten mitei-
nander vergleichbar sind. Die Studierenden erken-nen so die Unterschiede zwischen den Texten
besonders gut; die Texte der Kollegen können zu
Mustern für eine Überarbeitung des eigenen Tex-
tes werden.
Probleme des Textes benennen – Aus-gangspunkte für das Überarbeiten findenEine hilfreiche, jedes Überarbeiten einleitende
Tätigkeit ist, etwaige Probleme im Text genau zu
benennen. Damit ist der Rahmen abgesteckt, in
dem die Überarbeitung stattfinden soll.
Voraussetzung für die folgende Aufgabe ist, dass die
Studierenden einen Abschnitt eines Textes mitbrin-
gen, an dem sie gerade arbeiten; er sollte nicht län-
ger als etwa eine DIN A4-Seite sein. Man hat im
besten Fall eine räumliche Ausweichmöglichkeit
zur Verfügung, damit die Studierenden sich ihre
Texte gegenseitig laut vorlesen können.
Tipps: Texte überarbeitenLesen Sie sich gegenseitig die Textteile laut vor, die Sieund Ihre Studienkollegin / Ihr Studienkollege mitgebrachthaben.
Lesen Sie dann den Text der Kollegin / des Kollegen nocheinmal leise für sich durch und überlegen Sie ein Überar-beitungsziel für den Text, wie z.B. noch einmal genau zuprüfen, ob die Stellen, an denen auf den Text eines ande-ren Autors verwiesen wird, sprachlich und zitiertechnischkorrekt sind. Wichtig ist dabei, dass Sie sich in Bezug aufdas jeweilige Überarbeitungsziel, das Sie vorgeben, kom-petent fühlen.Sie erhalten schließlich Ihren Text mitsamt dem Überarbei-tungsvorschlag der Kollegin / des Kollegen zurück. Versu-chen Sie, auf den Überarbeitungsvorschlag einzugehen.Lesen Sie sich in der nachfolgenden Sitzung die überarbei-teten Textteile gegenseitig laut vor und bewerten Sie dasErgebnis Ihrer Überarbeitung gemeinsam.
Effekt des Verfahrens: Studierende sind beim
Überarbeiten ihrer Texte dann nicht überfordert,
wenn sie sich durch klare Überarbeitungsziele
zunächst auf die Verbesserung einzelner Aspekte
des Textes konzentrieren können; sie verändern
Textstellen gezielt und können so die Folgen der
Überarbeitungen überblicken. Dieses Vorgehen in
kleinen Schritten bewirkt, dass sie lernen, die Wir-
kung von Texten in Bezug auf einzelne Merkmale
im Detail zu begründen.
Wortschatz erweitern: die LerndateiDie Studierenden müssen im Laufe ihres Studiums
ständig neue Formulierungen und Wendungen der
Wissenschaftssprache Deutsch verstehen und ver-
• gemeinsam auf der Grundlage der Vorarbeiten
einen zusammenfassenden Text zu schreiben, d.h.
die zusammengetragenen Informationen für den
Bericht neu zu strukturieren, Beispiele zu geben
und auf die einzelnen Autoren zu verweisen.Diese Aufgabe umfasst besonders anspruchsvolle
Aktivitäten des wissenschaftlichen Schreibprozes-
ses; wenn Studierende diese in Partnerarbeit ange-
hen und rückblickend reflektieren, werden Anfor-
derungen und Problemlösungen sichtbar und da-
mit leichter zu bewältigen.
Texte überarbeiten – den eigenen TextkennenlernenDas Überarbeiten eigener Texte ist ein wichtiger
Prozess des Schreibens, der von vielen Studieren-
den ungern, zumeist unsystematisch und erst nach
dem Beenden der Schreibarbeit angegangen wird.
Das Überarbeiten ist aber für das sprachliche, text-
bezogene und inhaltliche Lernen sehr wichtig; des-
wegen wird es im studienbegleitenden Kurs als
Aktivität systematisch und ganz regelmäßig trai-
niert. Das gemeinsame Überarbeiten von Texten
kann nach einiger Übung besonders effektiv sein;
dabei kooperieren wiederum am besten Studieren-
de aus ähnlichen Studienrichtungen wegen ihrer
geteilten Erfahrungen mit den Texten ihres Faches.
Kooperatives Überarbeiten ist nicht in allen Grup-pen von Anfang an möglich, zu Beginn kann man
zu einer gemeinsamen Überarbeitung fremder
Texte anleiten. Auch wenn die Studierenden ihre
Texte zu zweit überarbeiten und dabei gut harmo-
nieren, brauchen sie erfahrungsgemäß von Zeit zu
Zeit ein Feedback von der Lehrperson. Eine mögli-
che Überarbeitungsaufgabe ist z.B. folgende:
Tipps: Den eigenen Text kennenlernenSchreiben Sie einen Bericht für die Studentenzeitung IhrerHeimatuniversität, der die Leser über die Hauptunterschie-
de zwischen einem Fachstudium an einer HochschuleIhres Landes und dem an einer österreichischen Hoch-schule informiert.Überlegen Sie zunächst in Ihrer Gruppe (2-4 Personen),a) was das Ziel des Berichts sein soll,b) worüber Sie im Einzelnen berichten möchten undc) wie lang der Text ungefähr sein soll.
Schreiben Sie dann den Bericht jede/r für sich als Hausauf-gabe zur nächsten Sitzung, wobei Sie sich eng an diegemeinsamen Vereinbarungen halten sollten. In der kom-menden Sitzung sollen Sie sich Ihre Texte in der Gruppegegenseitig vorlesen und sie miteinander vergleichen.
Effekt des Verfahrens: Die Studierenden könnenmithilfe dieses Verfahrens die Prozesse, die das
eigene Schreiben geprägt haben, erkennen und
lernen, ihren Text als Ergebnis bewusst oder auch
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Schreiben lernen in der Fremdsprache „so ganz nebenbei“? 59
wenden lernen. Die meisten wissen jedoch nicht
wie. Die Bedeutung der idiomatischen Zusammen-
setzungen wird oft nur vage verstanden und des-
halb werden diese auch nur schwer gelernt; es sind
Kombinationen wie z.B. „sich der Untersuchungvon X zuwenden“, die man so nur selten im Wör-
terbuch finden kann.
Es ist sinnvoll, die Formulierungen nach ihren
Funktionen geordnet abzulegen.
Ich schlage den Studierenden vor, eine Lerndatei zu
idiomatischen Fügungen zu führen. Dies muss
allerdings geübt werden. Deshalb ist es wichtig,
dass in jeder Kurssitzung Zeit dafür zur Verfügung
steht, zumindest einige Beispiele für wissenschafts-
sprachliche Wendungen gemeinsam zu klären. Die
Aufgabe dazu könnte so lauten:
Tipps: Wortschatz erweiternNotieren Sie sich während des Lesens Ihrer Texte jedeWoche fünf neue wissenschaftssprachliche Formulierun-gen, die Sie selbst bisher nicht aktiv verwenden.Sie sollen die von Ihnen gefundenen Wendungen in dernächsten Sitzung einer kleinen Gruppe vorstellen undgemeinsam deren vollständige Bedeutung und Entstehungklären. Tun Sie dies möglichst gemeinsam mit Kollegen,die ähnliche Studienfächer wie Sie belegen. Sie könnendann entscheiden, welche der Fügungen, die die Kollegengefunden haben, Sie in Ihre persönliche Lerndatei über-nehmen und aktiv benutzen möchten.
Suchhilfen:Untersuchen Sie z. B. Einleitungen zu Fachtexten IhrerWahl und identifizieren Sie charakteristische Formulierun-gen, mit denen der Autor den Text einleitet und zumThema hinführt!4
Effekt des Verfahrens: Die Studierenden müssen
ihre Lernstrategien einem neuen Lernziel anpas-
sen: sie müssen nun lexikalische Kombinationen
lernen, die sich in den Texten ihres Fachs finden.
Es ist sinnvoll, die Formulierungen in eine Lernda-tei (elektronisch oder auch in Form eines Karteikas-
tens) einzutragen und sie nach ihren Funktionen
geordnet abzulegen. Erfahrungsgemäß ist es wich-
tig, immer wieder über die Struktur der Lerndatei
zu sprechen. Sind Einträge in die Lerndatei z.B. nach
den Handlungszielen der Formulierungen geordnet
(Ergebnisse darstellen, Schlussfolgern usw.), so kön-
nen die Studierenden diese beim Nachschlagenerneut mit ihren Zielen verbinden. Auf diese Weise
werden wissenschaftliche Verfahren thematisiert. Sie
können aber auch nach Wortfeldern geordnet wer-
den, wie das Beispiel unten zeigt.
Checkliste für KursleitendeUm die Teilnehmenden für das Konzept des Kurses
zu sensibilisieren,
kündige ich die Kursziele und -inhalte möglichst
frühzeitig und detailliert an;
sorge ich in jeder Sitzung für Transparenz, indem
ich die Lernziele und die Effekte der eingeführten
Verfahren zur Förderung von fremdsprachlicher
und textbezogener Kompetenz deutlich benenne
und zu ihrer Reflexion einlade;
kündige ich frühzeitig an, dass „Kooperatives
Arbeiten“ ein wichtiges Prinzip des Kurses sein
wird;
überlege ich von Kursbeginn an gruppen- bzw.
vertrauensbildende Maßnahmen.
Um authentisches Material für die Arbeit mit Tex-ten zur Verfügung zu haben,
sammle ich vorbildliche Hausarbeiten von mut-
tersprachigen Studierenden und problematische
Hausarbeiten, anhand derer gemeinsam Pro-
blemlösungen erarbeitet werden können;
sammle ich möglichst immer mehrere (popu-
lär-)wissenschaftliche Texte zu aktuellen The-
menstellungen;
recherchiere ich übersichtliche und preisgünsti-
ge Anleitungen zum Schreiben von wissen-
schaftlichen Hausarbeiten in unterschiedlichenFachgebieten;
organisiere ich Möglichkeiten, authentische
Texte, aber auch die Texte der Kursteilnehmer
Fragen stellen und über Fragen sprechen
Lexik
Substantive Verben AdjektiveFrage fragen fraglich, fragwürdigBefragung befragenNachfrage nachfragen offen, ungeklärtFragestellung eine Frage stellenInfragestellung in Frage stellen
Fügungen
eine Frage aufwerfen, stellen, berühren,anschneiden
eine Frage umgehen, vernachlässigeneine Frage erörtern, diskutieren, untersuchen,
behandelneine Frage beantworten, klären
einer Frage nachgehen, sich widmen, Beachtungschenken
auf eine Frage eingehen, zurückkommenüber eine Frage nachdenken, reflektieren … 5
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Bücher zum ThemaKommentiert von S. Schmölzer-Eibinger
Während im angloamerikanischen
Raum in den letzten Jahren zahlreiche
Bücher im Bereich „literacy“ erschienen
sind, ist Textkompetenz in der deutsch-
sprachigen Fachliteratur erst in jünge-
rer Zeit ein vieldiskutiertes Thema.
Bei den folgenden Büchern handelt es
sich um thematisch breit angelegte
Sammelbände, die sowohl theoretische
als auch didaktische Aspekte von Text-
kompetenz behandeln.
Schmölzer-Eibinger, Sabine / Portmann-
Tselikas, Paul R. (Hrsg.): Textkompetenz.
Neue Perspektiven für das Lernen und Leh-
ren. Klagenfurt: Studienverlag 2002
Dieses Buch ist eines der ersten im deutsch-
sprachigen Raum, das dem Thema Text-
kompetenz gewidmet ist. Behandelt wer-
den sowohl Fragen des Erwerbs als auch
der Vermittlung von Textkompetenz in un-
terschiedlichen Lehr- und Lernsituationen.
So geht es etwa um Textkompetenz in Stu-
dium und Schule (am Schulanfang, in der
Sekundarstufe etc.) und um die gesell-
schaftlichen Bedingungen, die die Sprach-
praxis im jeweiligen Kontext bestimmen.
Auch die Textkompetenz von Lehrenden
wird zum Thema gemacht: „Wir lesen an-
ders“ ist der Titel eines Beitrags, der Lehre-
rinnen und Lehrer dazu anregen soll, über
ihre eigenen Fähigkeiten im Umgang mit
Texten nachzudenken, die sie in den Unter-
richt mitbringen.
●
Bausch, Karl-Richard et al. (Hrsg.): Text-
kompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Früh-
jahrskonferenz zur Erforschung des Fremd-
sprachenunterrichts. Tübingen: Narr 2007
(= Gießener Beiträge zur Fremdsprachendi-
daktik)
Ausgangspunkt dieses Buches ist das The-
ma „Rezeption und Produktion von Texten
im Fremdsprachenunterricht“. Die klassi-
sche Fertigkeitenlehre ist der Bezugspunkt
– und gleichzeitig auch der Reibepunkt –der meisten Beiträge in diesem Band. Ne-
Die folgenden Bücher sind stärker pra-
xisorientiert und unterrichtsbezogen.
Sie beschäftigen sich mit konkreten
Schwierigkeiten von Lernenden im Um-
gang mit Texten und geben praktische
Hilfestellungen zur Förderung von Text-
kompetenz für Lehrerinnen und Lehrer.
Portmann-Tselikas, Paul R.: Sprachförde-
rung im Unterricht. Handbuch für den
Sach- und Sprachunterricht in mehrsprachi- gen Klassen. Zürich: Orell Füssli 1998
In diesem Handbuch geht es vor allem um
die Frage, wie Schülerinnen und Schüler
dabei unterstützt werden können, Zugang
zum Thema des Unterrichts zu finden. Es
werden Situationen aus dem Sachunterricht
in verschiedenen Fächern beschrieben und
analysiert, die die Situation des Lehrens
und Lernens in mehrsprachigen Klassen
besser verstehen und bewältigen helfen.
Das Buch enthält auch zahlreiche prakti-
sche Anregungen und Tipps zur Sprachför-
derung in allen Fächern.
●
Schmölzer-Eibinger, Sabine: Lernen in der
Zweitsprache. Grundlagen und Verfahren
der Förderung von Textkompetenz in mehr-
sprachigen Klassen. Tübingen: Narr 2008
(= Europäische Studien zur Textlinguistik 5)
Dieses Buch ist der Entwicklung und Förde-
rung der Textkompetenz von Schülerinnen
und Schülern in mehrsprachigen Klassen
gewidmet. Neben theoretischen Grundla-gen der Textkompetenz und des Lernens in
der Zweitsprache umfasst es ein didakti-
sches Instrumentarium zur Förderung von
Textkompetenz, das in vielfältigen Lernsi-
tuationen in der Schule genutzt werden
kann. Eine Aufgabentypologie zur Förde-
rung von Textkompetenz bietet einen rei-
chen Fundus an Unterrichtsvorschlägen für
den Sach- und Sprachunterricht, die flexibel
und einfach sowohl mit Zweit- als auch mit
Fremdsprachenlernenden einsetzbar sind.
● ● ●
ben der Form des Sprachkontakts ist es vor
allem ihr Gegenstand – der Text – der in
diesem Band diskutiert wird. Was ist über-
haupt ein Text, welche Rolle spielt Münd-
lichkeit und Schriftlichkeit im Umgang mit
Texten? Ein besonderes Interesse gilt dem
Literaturunterricht und dem Unterricht in
mehrsprachigen Klassen. Auch Fragen der
Konzeptualisierung und Messung von
Kompetenzen werden behandelt; interes-
sant sind hier vor allem die Entwürfe für
zielgruppenspezifische Kompetenzmodelleund für Instrumente zur Feststellung von
Textkompetenz.
●
Schmölzer-Eibinger, Sabine / Weidacher,
Georg (Hrsg.): Textkompetenz. Eine
Schlüsselkompetenz und ihre Vermittlung.
Tübingen: Narr 2007 (= Europäische Studi-
en zur Textlinguistik 4)
Fast zeitgleich zum Band von Bausch ist ein
weiterer Sammelband erschienen, der aktu-
elle Entwicklungen im Bereich Textkompe-
tenz und „Literacy“ skizziert. In diesem
Band geht es um Texttraditionen und um
soziokulturelle Dimensionen von Literalität,
und man erfährt Neues aus der spracher-
werbsbezogenen und textlinguistischen
Forschung – etwa über „neuronale Text-
welten“, die Interpretation und Optimie-
rung von Texten oder über verschiedene
Formen der multimodalen und medienad-
äquaten Textgestaltung. Ein Schwerpunkt
wird durch Beiträge gebildet, die sich mit
dem Schreiben als Motor für die Sprach-und Denkentwicklung beschäftigen. Weiter
werden didaktische Vorschläge für eine
fächerübergreifende Förderung von Text-
kompetenz im mehrsprachigen Kontext der
Schule und des Studiums präsentiert.
● ● ●
Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008
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63
Literacy – Literalität
Der Begriff „literacy“ wird im angloameri-
kanischen Raum generell für „Schriftkun-
digkeit“ verwendet, teilweise auch für
„Know-how“ in ganz bestimmten Be-
reichen (z.B. „multimedia literacy“, „com-
puter literacy“, „financial literacy“ etc.). In
Bezug auf den Wissenserwerb in der
Schule und im Studium wird häufig der
Begriff „academic literacy“ verwendet. Der
Begriff „Textkompetenz“ ist am Begriff
„literacy“ orientiert und bezeichnet dieFähigkeit, Texte lesen und verstehen und
mittels Texten kommunizieren und lernen
zu können.
Im traditionellen Begriffsverständis war
„literate“ die Bezeichnung für eine Person,
die lese- und schreibkundig ist. Dement-
sprechend wurde „literacy education“
ursprünglich vor allem als Lese- und
Schreibunterricht verstanden. Dieses Be-
griffsverständnis hat sich jedoch seit
Beginn der 80er-Jahre gewandelt: „Literat
sein“ wird in der aktuellen Fachdiskussion
verstanden als Fähigkeit, Schriftsprache im
jeweiligen soziokulturellen Kontext zu ver-
stehen und zu verwenden, d.h. über sie
als ein „kulturelles Werkzeug“ zu verfü-
gen. Dies setzt nicht nur sprachliche und
kognitive, sondern auch kommunikative
Fähigkeiten voraus, die mehr umfassen als
bloß Schriftkundigkeit: Gefordert ist ein
Wissen um die kulturspezifischen und
sozialen Gebrauchszusammenhänge von
schriftsprachlich geprägter Sprache.
„Literat“ sein bedeutet demnach, nicht
nur Lesen und Schreiben zu können, son-dern auch über die Fähigkeit zu verfügen,
mit Sprache im jeweiligen gesellschaftli-
chen Kontext adäquat zu handeln, d.h.
über ein breites Spektrum an Kommunika-
tions-, Handlungs- und Lernmöglichkeiten
zu verfügen, die es erlauben, das vorhan-
dene Wissen zu erweitern und individuelle
Potenziale zu entfalten. Auf den Unterricht
bezogen bezeichnet „literacy“ vor allem
die Fähigkeit von Lernenden, schriftsprach-
liche Lernangebote im jeweiligen soziokul-
turellen Kontext wahrnehmen und nutzenzu können.
sondern gezielt Lernangebote zum Erwerb
dieser Kompetenz im Unterricht zu schaf-
fen.
Literatur
Ehlich, Konrad / Rehbein, Jochen: Muster
und Institution. Untersuchungen zur
schulischen Kommunikation. Tübingen:
Narr 1986 (= Kommunikation und
Institution 15)
Thonhauser, Ingo: Die Erfindung der
Textwelten. In: Schmölzer-Eibinger,Sabine / Weidacher, Georg (Hrsg.):
Textkompetenz. Eine Schlüssel-
kompetenz und ihre Vermittlung.
Tübingen: Narr, 15-23
Der Begriff „Literalität“ reflektiert die
Rezeption der englischsprachigen
„Literacy“- Forschung im deutschsprachigen
Raum und bezeichnet Schriftlichkeit im wei-
testen Sinne. Aktuelle Forschungsarbeiten
beschäftigen sich mit vielfältigen Phäno-
menen in diesem Bereich, etwa damit, wie
Schriftlichkeit die Konzeptualisierung von
Sprache verändert oder inwiefern schrift-
sprachliches Kommunizieren neue Perspek-
tiven des Handelns, Denkens und Lernens
eröffnet. Diese Fragen werden derzeitsowohl sprachenübergreifend als auch in
Bezug auf Deutsch als Fremd-, Zweit- und
Muttersprache diskutiert.
Literacy practices – literale Praxis
Studien zu literacy practices befassen sich
mit der konkreten Praxis des Umgangs mit
Texten.
In der Begriffsdiskussion seit Beginn der
80er-Jahre geht man davon aus, dass die
„literale Praxis“ eines Sprachhandelnden
in einem engen Zusammenhang mit den
soziokulturellen Normen und Konventio-
nen einer Gesellschaft steht. Diese Sicht-
weise führte zur Auffassung, dass die in
einer Gesellschaft vorherrschenden litera-
len Praktiken die Vergabe von Ressourcen
– und damit auch von Bildungschancen –
maßgebend bestimmen. So wurde die
Schule etwa als eine „Mittelschichtinstitu-
tion“ (Ehlich / Rehbein 1986) bezeichnet,
die das zu vermittelnde Wissen den sozia-
len Normen und Konventionen der Mittel-
schicht entsprechend auswählt und repro-
duziert – die literale Praxis der „Mittel-schichtfamilie“ wird also als ein Modell
und gleichzeitig als Norm für die literale
Praxis der Schule gesehen.
In der aktuellen Forschung werden literale
Praktiken in verschiedenen soziokulturellen
Kontexten analysiert. Es geht dabei vor
allem darum, herauszufinden, unter wel-
chen Bedingungen sie problematisch wer-
den können (vgl. Thonhauser 2007, 18). In
diesem Zusammenhang wird dafür plä-
diert, die Fähigkeit mit Texten umzugehen
nicht als eine selbstverständliche Vor-aussetzung von Lernenden zu betrachten,
Aktuelles Fachlexikon
Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008
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Simone Auf der Maur ToméUniversität PortoGermanistische Abteilung Via Panorâmica, s/nP-4150-564 Porto
PORTUGALE-Mail: stome@letras.up.pt
Lektorin für Deutsch als Fremdsprache Arbeitsschwerpunkte: Methodik undDidaktik Deutsch als Fremdsprache,Lehrerausbildung
Sandra Ballweg Technische Universität DarmstadtFB 02 – Institut für Sprach- undLiteraturwissenschaftFachgebiet Mehrsprachigkeits-forschung/DaF/DaZHochschulstraße 1D-64289 DarmstadtDEUTSCHLANDE-Mail: sballweg@spz.tu-darmstadt.de Wissenschaftliche Mitarbeiterin an derTechnischen Universität Darmstadt Arbeitsschwerpunkte: Portfolioarbeit,Schreibfertigkeit, Online Writing Labs,Schreib- und Sprachlernberatung, selbst-gesteuertes und computergestütztesLernen
Martine Braaksma Graduate School of Teaching & LearningUniversity of AmsterdamSpinozastraat 55NL-1018 HJ AmsterdamNIEDERLANDEE-Mail: M.A.H.Braaksma@uva.nl Arbeitsschwerpunkte: Schreibprozesse,beobachtendes Lernen und dasSchreiben(lernen) von Hypertexten,Didaktik des Schreibunterrichts in derSekundarstufe II
Peter Eisenberg Institut für Germanistik Universität PotsdamPostfach 601553D-14415 PotsdamDEUTSCHLAND
Ilona Feld-KnappEötvös Universität BudapestGermanistisches InstitutRákóczi út 5H-1088 Budapest
UNGARNE-Mail: knappilona@t-online.hu
Professorin für Deutsch als Fremd-sprache Arbeitsschwerpunkte: Fremdsprachen-didaktik, Angewandte Linguistik
Antonie Hornung Liceo Artistico und Universität Zürich,Universität Modena Alte Landstr. 50CH-8803 Rüschlikon
SCHWEIZE-Mail: antonie.hornung@smile.ch
Deutschlehrerin und Dozentin fürFachdidaktik Deutsch, Teilzeitprofessorinfür germanistische Linguistik Arbeitsschwerpunkte: Sprach- undMehrsprachigkeitsdidaktik, Schreiben,Sprachwahl- und -lernmotivation,Methoden der Korpuslinguistik in derLehre, Sprachenpolitik in Europa, Wissenschaftssprache
Britta Hufeisen
Technische Universität DarmstadtFB 02 – Institut für Sprach- undLiteraturwissenschaftFachgebiet Mehrsprachigkeits-forschung/DaF/DaZHochschulstraße 1D-64289 Darmstadt
DEUTSCHLANDProfessorin für Mehrsprachigkeitsfor-schung/DaF/DaZ. Arbeitsschwerpunkte: Theoriebildung inder Mehrsprachigkeitsforschung undmultiplem Sprachenlernen; Schreibfor-schung, Schreiben in der Fremdsprache,Kulturspezifik von Text(sort)en undLernen mit neuen und durch neueMedien
Imke Mohr
Universität WienInstitut für Germanistik / Deutsch alsFremdspracheDr.-Karl-Lueger-Ring 1
A-1010 Wien
ÖSTERREICH
E-Mail: imke.mohr@univie.ac.at Assistentin am Institut für Germanistik (Deutsch als Fremdsprache) Arbeitsschwerpunkte: Text- und Fertig-keitsdidaktik, Lehrerfortbildung
Paul R. Portmann-TselikasUniversität GrazInstitut für Germanistik Mozartgasse 8/II
A-8010 Graz
ÖSTERREICHE-Mail: paul.portmann@uni-graz.at
Ordentlicher Universitätsprofessor für
Germanistische Linguistik und Deutschals Fremdsprache Arbeitsschwerpunkte: Deutsch alsFremd-/Zweitsprache, Theorie derTextkompetenz, Kommunikationstheorie
Gert RijlaarsdamGraduate School of Teaching & LearningUniversity of AmsterdamSpinozastraat 55NL-1018 HJ Amsterdam
NIEDERLANDEE-Mail: G.C.W.Rijlaarsdam@uva.nl
Professor für Sprachlehrforschung Arbeitsschwerpunkte: Schreibprozesseund Didaktik des Schreibfertigkeits-unterrichts (Muttersprache undFremdsprachen) im Sekundarbereich
Sabine Schmölzer-Eibinger
Universität GrazInstitut für Germanistik Mozartgasse 8/II
A-8010 GrazÖSTERREICHE-Mail: sabine.schmoelzer@uni-graz.at Außerordentliche Universitätsprofessorinfür Sprachlehrforschung und Deutsch alsFremdsprache Arbeitsschwerpunkte: Fremd-/Zweit-sprachendidaktik, Entwicklung undFörderung von Textkompetenz im Kon-text von Mehrsprachigkeit und Migration,Schriftlichkeitsforschung undSchreibdidaktik, Lehreraus- und -fortbil-dung
Ingo Thonhauser
Université de GenèveDépartement de langue et de littératureallemandes5 rue De-CandolleCH-1211 Genève 4
SCHWEIZE-Mail: ingo.thonhauser@lettres.unige.choder ingo.thonhauser@unifr.ch
Tel. +41 22 379 78 10Fax +41 22 379 73 52Dozent für Germanistische Linguistik
und Lektor im Bereich Deutsch alsFremdsprache Arbeitsschwerpunkte: Textkompetenz,Methodik und Didaktik Deutsch alsFremdsprache, Sprachlehr- und -lernfor-schung
Unsere Autorinnen und Autoren
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IUDICIUM Verlag GmbH
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auf das Studium in Deutschland2008 · ISBN 978-3-89129-550-2 · 304 S., kt. · 30,— EUR
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INTERKULTURELLER BILDUNG
Band 1: Wissenschaftskommunikation im internationalenKontext
2008 • ISBN 978-3-89129-194-8 • 207 S., kt.; 23,— EUR
ANNA OLEJARKA
DIE WORTBILDUNGSREGULARITÄTEN DES
VERBS UND IHRE UMSETZUNG INDIDAKTISCHEN GRAMMATIKEN FÜRDEUTSCH ALS FREMDSPRACHE
2008 · 978-3-89129-554-0 · 335 S., kt. · 36,— EUR
TSUGIO SEKIGUCHI
SYNTHETISCHE GRAMMATIK DESDEUTSCHEN, AUSGEHEND VOM JAPANISCHENaus dem Japanischen übersetzt und hg. v. Kennosuke Ezawain Zusammenarbeit mit Harald Weydt und Kiyoaki Sato
2008 · 978-3-89129-963-0 · 343 S., kt. · 48,— EUR
Fremdsprache Deutsch Heft 39/2008 – Textkompetenz, ISBN 978-3-19-699183-3, © Hueber Verlag 2008
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