Post on 02-Feb-2020
DIPLOMARBEIT
Diplom-Psychosoziale Beraterin /
Lebens- und Sozialberaterin 2016
Ansätze und Methoden der Logotherapie und
Existenzanalyse für hochsensible Personen in
der Lebens- und Sozialberatung
Roswitha Schmuck
Betreuerin:
Joe-Petra Gabauer
© Roswitha Schmuck, 2016
© Roswitha Schmuck 2
Inhaltsverzeichnis
1. Abstract ........................................................................................................... 4
2. Einleitung ........................................................................................................ 5
3. Das Persönlichkeitsmerkmal Hochsensibilität ............................................. 7
3.1. Begriffsdefinition .............................................................................................................. 7
3.2. Entstehungsgeschichte ................................................................................................... 7
3.3. Charakteristiken des Persönlichkeitsmerkmals Hochsensibilität ................................... 9
4. Besonderheiten der Lebensumstände von HSP ........................................ 11
4.1. Lebensstil und gesundheitliches Wohlbefinden von hochsensiblen Menschen .......... 11
4.2. HSP und das soziale Umfeld ........................................................................................ 13
4.3. HSP am Arbeitsplatz ..................................................................................................... 14
4.3.1. Problematische Bedingungen für HSP bei der Arbeit ............................................ 15
4.3.2. Arbeitsbedingungen, die im Widerspruch des Charakters einer HSP stehen ....... 16
4.4. Zusammenfassende Betrachtungen der Lebensumstände von HSP .......................... 17
5. Hilfestellungen und Methoden zur Unterstützung von HSP ...................... 19
6. Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl ......................... 22
6.1. Das Menschenbild der Logotherapie und Existenzanalyse .......................................... 26
6.2. Gesprächsform- und Gesprächsstil-Elemente der Logotherapie und Existenzanalyse
.............................................................................................................................................. 28
6.3. Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse ....................................................... 31
7. Logotherapeutische und existenzanalytische Ansätze für HSP-
Klient/innen............................................................................................................. 35
8. Forschungsfragen ........................................................................................ 36
9. Empirischer Teil............................................................................................ 37
9.1. Methode ......................................................................................................................... 37
9.1.1. Ablauf der Studie .................................................................................................... 37
9.1.2. Fragebogen ............................................................................................................. 37
9.1.3. Angewendete Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse ......................... 38
9.2. Dokumentation der Fallbeispiele ................................................................................... 40
9.2.1. Fallbeispiel 1 ........................................................................................................... 40
9.2.2. Fallbeispiel 2 ........................................................................................................... 44
9.2.3. Fallbeispiel 3 ........................................................................................................... 47
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9.3. Evaluierung der Beratungen ......................................................................................... 50
9.4. Beantwortung der Forschungsfragen ............................................................................ 52
10. Schlussbetrachtungen ................................................................................. 53
11. Literaturverzeichnis ..................................................................................... 55
12. APPENDIX A: Fragebogen ........................................................................... 58
13. APPENDIX B: Interview-Leitfaden ............................................................... 63
14. APPENDIX C: Interview-Transkripte ............................................................ 65
15. APPENDIX D: Datenschutz-Vereinbarung .................................................. 79
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die drei Säulen der Logotherapie mit der Veranschaulichung der
logotherapeutischen Grundlagen (Lukas, 2014, S. 16) ...................................... 24
Abbildung 2: Das Konzept der Dimensionalontologie (Lukas, 1986, S. 27) ............ 27
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1. Abstract
Die vorliegende Arbeit beschäftigte sich mit der Anwendung von logotherapeutischen
und existenzanalytischen Methoden in der Lebensberatung von hochsensiblen
Personen (HSP). Hochsensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das sich durch eine
äußerst sensitive Wahrnehmung, die in Überreaktionen und Überstimulationen
münden kann, zum Ausdruck bringt. Etwa 15-20 % der Bevölkerung sind HSP.
Aufgrund ihrer hochempfindlichen Veranlagung sind HSP weniger stressresistent
und mit den alltäglichen Anforderungen von Beruf, Familie und sozialen Beziehungen
schneller überfordert als normal Wahrnehmende. Obwohl HSP überdurchschnittlich
häufig Therapien und Beratungsangebote in Anspruch nehmen, empfinden sie das
bestehende Angebot nicht selten als ungeeignet, da zu wenig auf ihre besonderen
Bedürfnisse und ihre andersartige Wahrnehmung eingegangen wird. Die
Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl stellt mit ihrem
Menschenbild und sinnzentrierten Methoden einen besonders geeigneten Ansatz zur
Beratung von hochsensiblen Personen dar, der jedoch bisher kaum Anwendung
fand. In dieser Arbeit wurden daher untersucht, ob die Ansätze und Methoden der
Logotherapie und Existenzanalyse eine Hilfestellung für hochsensible Personen im
Beratungskontext als auch als Selbstmanagement-Programm bieten können und
welche Bedeutung die Thematisierung des Persönlichkeitsmerkmals Hochsensibilität
in der Beratung hat. Zu diesem Zweck wurden mit drei betroffenen Klient/innen
jeweils zwei logotherapeutische und existenzanalytische Beratungseinheiten
durchgeführt. Zur Erhebung des Beratungserfolges wurde im Anschluss mit den
Klient/innen ein leitfadengestütztes Interview durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass
die Logotherapie und Existenzanalyse mit ihren sinnzentrierten Ansätzen sowie mit
den Methoden unter der Berücksichtigung der Thematik der Hochsensibilität eine
wertvolle Unterstützung und hilfreiche Lösungsansätze in der Lebensberatung von
HSP bietet.
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2. Einleitung
Etwa 15-20 Prozent unserer Mitmenschen sind hochsensible Personen, auch mit der
Kurzform HSP bezeichnet. Das sind Menschen mit einem angeborenen
hochempfindsamen Nervensystem, welches sich als Form von Überreaktionen und
Überstimulationen zum Ausdruck bringt. Hochsensibilität verändert die
Wahrnehmung, äußere wie innere Reize werden intensiver, detaillierter und
tiefgehender verarbeitet. Obwohl zum Phänomen Hochsensibilität schon viel
geforscht wurde, ist das Persönlichkeitsmerkmal in unserer heutigen Gesellschaft
noch eher unbekannt geblieben. Da hochsensible Menschen aufgrund ihrer
hochempfindsamen Konditionierung, psychische und physische Belastungen stärker
erleben als normalwahrnehmende Menschen, findet man vermehrt HSP in den
Praxen der Lebensberatung und Psychotherapie. So sind laut Umfragen 50 Prozent
der Klient/innen hochsensible Menschen. Das wirft die Frage auf, ob das jeweilige
Hilfsangebot, die Methoden und Vorgehensweisen für HSP annehmbar und geeignet
sind. Mit der vorliegenden Arbeit möchte ich mich diesem Thema widmen. Das Ziel
dieser Arbeit ist es daher, das Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität zu
beschreiben und zu untersuchen, ob die Ansätze und Methoden der Logotherapie
und Existenzanalyse, in der Lebensberatung mit hochsensiblen Klient/innen eine
hilfreiche Unterstützung sein können und ob die Thematisierung der Veranlagung im
Beratungsgespräch von Bedeutung ist.
Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen gegliedert: Der erste Teil meiner Arbeit
beschäftigt sich mit der Theorie der Hochsensibilität sowie der Logotherapie und
Existenzanalyse. Im Bereich der Hochsensibilität gehe ich auf die Lebensbereiche
ein, in denen die hochsensible Wahrnehmung eine Belastung darstellen kann. Der
theoretische Teil der Logotherapie und Existenzanalyse beschreibt das
Menschenbild, die Gesprächsform und die spezifischen Methoden. Aufbauend auf
diesen Ausführungen werden im Anschluss drei zentrale Forschungsfragen
formuliert. Die erste Forschungsfrage beschäftigt sich mit dem Einsatz von
logotherapeutischen und existenzanalytischen Ansätzen zur Unterstützung von
Personen im Umgang mit ihrer Hochsensibilität. Die zweite Forschungsfrage
untersucht, welche Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse für HSP eine
Hilfestellung bei beruflichen Anforderungen, im sozialen Umfeld und in persönlichen
Beziehungen bieten können. Die dritte Forschungsfrage widmet sich schließlich der
Bedeutung der Thematisierung von Hochsensibilität in der logotherapeutischen
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Lebensberatung. Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen, werden im
empirischen Teil drei Falldokumentationen mit jeweils zwei Beratungseinheiten und
einem anschließenden Leitfaden-Interview präsentiert. Mit dem Praxisteil und den
ausgewählten Fallbeispielen möchte ich in erster Linie die Möglichkeiten und
Grenzen der logotherapeutischen Ansätze und Methoden im Umfeld der
Lebensberatung mit hochsensiblen Personen aufzeigen. Im dritten und
abschließenden Teil meiner Diplomarbeit, werden meine Erfahrungen und
Erkenntnisse beschrieben und Schlussfolgerungen zum Einsatz logotherapeutischer
Methoden in der Beratung von hochsensiblen Personen gezogen.
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3. Das Persönlichkeitsmerkmal Hochsensibilität
3.1. Begriffsdefinition
Der Begriff Hochsensibilität stammt aus den Forschungsarbeiten der amerikanischen
Psychologin Dr. Elaine Aron. Demnach sind 15-20 Prozent der Bevölkerung
hochsensible Personen (Kurzform HSP). Diese Menschen haben ein äußerst
empfindsames Nervensystem und geraten schnell in einen Zustand der
Überstimulation, der durch äußere und innere Wahrnehmungen ausgelöst werden
kann. Dabei kann es sich um optische und akustische Reize sowie Umwelteinflüsse,
körperliche Empfindungen und Schmerzen handeln. Doch auch Stimmungen im
zwischenmenschlichen Bereich werden von HSP intensiver wahrgenommen und
verarbeitet. Diese Verarbeitungsprozesse werden von inneren Reizen (Gedanken,
Vorstellungen, Erinnerungen), welche keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen
verstärkt. Fließen permanent starke Reize auf sie ein, geraten diese Menschen eher
in einen Zustand der Erschöpfung und des Leidens als Normalsensible. Aufgrund der
starken emotionalen Reaktionen brauchen hochsensible Menschen auch mehr
Erholungsphasen (vgl. Aron 2015a; Parlow 2015; Skarics 2012).
Das Erregungsniveau des Nervensystems sieht Aron (2015a) als individuell,
unterschiedlich und vererbt. Dies zeigt sich, wenn Individuen gleichen Reizen in
derselben Situation ausgesetzt werden. Was die Nerven für normalsensible
Menschen sehr erregt, führt bei hochsensiblen Personen zu einer
überdurchschnittlich starken Reaktion, einer hochgradigen Erregung des
Nervensystems (vgl. Aron 2015a).
In der Fachliteratur ist man sich einig, dass Hochsensibilität keine Krankheit ist,
sondern ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal (vgl. Aron 2015a, Parlow 2015,
Skarics 2012). Häufig wird Hochsensibilität auch synonym für Introversion,
Ängstlichkeit und auch Schüchternheit verwendet. Diese Wesenszüge können sich
bei HSP zeigen, doch sind HSP nicht zwangsläufig introvertiert – etwa 30 Prozent
der hochsensiblen Menschen sind extrovertiert. Genauso ist es widerlegt, dass es
mehr hochsensible Frauen als Männer gibt (vgl. Skarics 2012).
3.2. Entstehungsgeschichte
Hochempfindliche Menschen waren bereits Gegenstand der Introversionsforschung
von C.G. Jung. Er unterschied zwischen von ihm bezeichneten introvertierten und
extrovertierten Personen. Introvertiertheit nach Jung bedeutet hier einen Bezug auf
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das Innere des Menschen und den Fokus auf das Subjekt, das Selbst, zu richten,
anstatt nach außen auf das Objekt (Aron 2015a). Nach seinen Erkenntnissen
bevorzugen Introvertierte ein selbstkontrolliertes Umfeld, in dem sie das Maß an
sensorischen Stimuli selbst regulieren können. Eine Folge dieser Eigenschaft ist eine
gewisse Isolation, in der sich diese Menschen durch mehr Rückzug und der
Dosierung von Stimuli besser schützen können (vgl. Parlow 2015).
Auch der russische Forscher Iwan Pawlow (1927) bekannt durch die Entdeckung des
bedingten Reflexes (Pawlow’scher Hund) hat sich mit der Empfindsamkeit des
Menschen befasst. In seinen Forschungen suchte Pawlow nach einer Messbarkeit
der Empfindlichkeit. Dabei erkannte er, dass es bei Überstimulation bei jedem
Menschen einen markanten Punkt gibt, an dem er „dicht macht“. Pawlow
bezeichnete diesen Punkt als „transmarginale Hemmung“. In seinen Versuchen
setzte er seine Proband/innen extremem Lärm aus. Dabei fand er heraus, dass
Versuchspersonen instinktiv in eine Schutzhaltung gehen, wenn die Anzahl der
Dezibel eine bestimmte Höhe überschreitet. Zusammengekrümmt, die Hände über
den Ohren und den Kopf zwischen den Knien versuchen sie sich vor der negativen
Lärmeinwirkung zu schützen. Pawlow entdeckte, dass 15 bis 20 Prozent der
getesteten Personen, den Punkt der transmarginalen Hemmung sehr früh erreichten,
danach tat sich lange nichts, bis schließlich die weniger Empfindsamen nach und
nach zum Punkt des “Dichtmachens“ kamen. Da es keinen fließenden Übergang
zwischen den getesteten Gruppen gab, kam Pawlow zu dem Schluss, dass sich das
Nervensystem der Gruppe, welche den Punkt des Zusammenbruchs sehr früh
erreichte, grundlegend von der anderen Gruppe unterschied. Er bezeichnete die
Hochempfindlichen als bemerkenswerten, eigenen, besonderen Menschenschlag.
Der Forscher war überzeugt, dass diese Veranlagung vererbt wird (vgl. Parlow
2015).
Des Weiteren werden die Forschungsarbeiten des Entwicklungspsychologen Jerome
Kagan als wichtiger Meilenstein in der Debatte um erhöhte Reizreaktionen
betrachtet. Kagan (2010) konnte in seiner Langzeitstudie wissenschaftlich
nachweisen, dass das angeborene Temperament einer Person über das ganze
Leben beibehalten wird. In seinen Studien untersuchte Kagan die Beeindruckbarkeit
und Reizreaktionen von Personen. Dabei zeigte sich, dass etwa 20 Prozent seiner
Probanden, welche er als Babys, als Kleinkinder, als Jugendliche und später auch
als junge Erwachsene kontinuierlich testete, hoch empfindlich reagierten. Er
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bezeichnet diese Gruppe als „high reactors“. In seiner Veröffentlichung The
Temperamental Thread wird der Begriff der Hochsensibilität nicht verwendet.
Stattdessen spricht Kagan von der Hochreaktivität, welche er – wie Aron (2015a) die
Hochsensibilität – als erblich ansieht (vgl. Kagan 2010).
Geprägt wurde der Begriff der „Hochsensibilität“ schließlich durch die
Forschungsarbeiten von Elaine Aron (2015a). In einer Reihe von Studien entwickelte
die Autorin die viel verwendete HSP-Skala und konnte das Persönlichkeitsmerkmal
Hochsensibilität erstmals von Introversion und Emotionalität abgrenzen (vgl. Aron &
Aron 1997). Auf das Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität wird im folgenden
Kapitel näher eingegangen.
3.3. Charakteristiken des Persönlichkeitsmerkmals Hochsensibilität
Der Kern des Glücks: Der sein zu wollen, der du bist.
Erasmus von Rotterdam (1466-1536)
Wissen hochsensible Personen über ihre Veranlagung nicht Bescheid, dann glauben
sie häufig, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist, sie sehen sich als krank und
behandlungsbedürftig. Sie haben ein starkes Gefühl anders zu sein, da sie sehr oft
glauben, dass ihre Andersartigkeit etwas Pathologisches ist, kämpfen sie dagegen
an. Was zu Selbstablehnung bis hin zu Selbsthass führen kann. Durch die intensive
Reflexion und hohe Differenzierung begegnen sie der Außenwelt mit Vorsicht und
Zurückhaltung. Hochsensible Personen haben sehr oft das Gefühl, von der
modernen Gesellschaft überwältigt zu werden, sie klagen über Oberflächlichkeit,
Leistungsdruck und dass nur Stärke und Schnelligkeit zählt. Dagegen wird
Nachdenklichkeit, langsameres und bedachteres Handeln und Reflexion als
Schwäche gesehen. Doch wenn HSP über ihre besonderen Wesensmerkmale
Bescheid wissen, können sie die Sensibilität als Gabe sehen, genießen und nutzen.
Kleinigkeiten des Alltags werden intensiv erlebt und geben dem Dasein Tiefe und
Qualität. Ihr komplexes Innenleben und ihre intuitive Wahrnehmung sehen sie als
Bereicherung. Von ihren Mitmenschen werden sie als gute Zuhörer geschätzt. Mit
ihrem feinen, subtilen Gespür können sie auf Stimmungen und Verletzlichkeit
behutsam eingehen (vgl. hochsensibel.org 2015).
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In den bisherigen Forschungen und der Literatur von HSP wird immer wieder auf den
ausgeprägten Idealismus von hochsensiblen Menschen hingewiesen. Wenn es um
berufliche Projekte geht, dann können diese von einer starken Motivation
angetrieben werden, für diese Welt einen positiven Beitrag zu leisten. Die Frage
nach dem Sinn ihrer Tätigkeiten ist für hochsensible Personen von großer
Bedeutung. Im Vergleich zu normalsensiblen Personen neigen sie besonders stark
dazu, den Sinn ihrer persönlichen und beruflichen Lebensinhalte stetig zu
hinterfragen (vgl. Skarics 2012). Ob ihre Projekte und Ziele auch wirtschaftlich
Früchte tragen werden, wird des Öfteren von HSP hingegen zu wenig in Frage
gestellt (vgl. Harke 2015). Wie sich die Besonderheiten des Persönlichkeitsmerkmals
Hochsensibilität auf verschiedene Lebensbereiche von HSP auswirken, wird im
nächsten Kapitel näher behandelt.
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4. Besonderheiten der Lebensumstände von HSP
Insgesamt können sich die Eigenschaften des Persönlichkeitsmerkmals
Hochsensibilität auf verschiedene Lebensbereiche der HSP auswirken.
Hochsensibilität wurde in der Fachliteratur mit dem gesundheitlichen Wohlbefinden,
dem sozialen Leben sowie mit Problemen am Arbeitsplatz in Verbindung gebracht.
In den folgenden Kapiteln wird der Zusammenhang von Hochsensibilität und
Besonderheiten im Alltag von Betroffenen näher behandelt.
4.1. Lebensstil und gesundheitliches Wohlbefinden von hochsensiblen
Menschen
Um die Bedürfnisse des hochsensiblen Körpers zu verstehen, zieht Aron (2015)
Parallelen zu den frühkindlichen physischen Wahrnehmungen und Empfindungen im
Säuglingsalter. Bei ihrem Vergleich erwähnt sie, dass eine hochsensible Person
ähnlich wie ein Säugling äußerst zufrieden und kooperativ ist, wenn sie nicht hungrig,
müde oder überstimuliert ist. Die Psychologin spricht vom Körper als „Experten für
Sensibilität“: „Ihr Körper [...] war vom Tag der Geburt an sehr reizempfindlich. Er
weiß, was damals am schwierigsten war und was jetzt schwierig ist. Er weiß, was
Ihnen fehlt und was Sie von Ihren Eltern oder anderen Bezugspersonen darüber
gelernt haben, wie Sie ihn behandeln sollten, was er braucht und wie Sie sich in
Zukunft um ihn kümmern können“ (Aron 2015a S. 82).
Dabei werden die ersten frühkindlichen Bindungserlebnisse zu den Bezugspersonen
als Einfluss gesehen, wie jemand mit seinem Körper umgeht. Ein kurzzeitiges
Hungergefühl, Kälteempfinden oder auch eine Reizwahrnehmung unterstützt den
Menschen bei der Wahrnehmung seiner körperlichen Bedürfnisse. Werden
Bedürfnisse jedoch befriedigt noch bevor sie überhaupt geäußert werden, kann der
Mensch den Kontakt zu seinen körperlichen Instinkten verlieren und in der Folge
nicht mehr adäquat auf körperliche Bedürfnisse reagieren. Es ist schwierig, sich
physisch auf die Außenwelt einzulassen und sich an sie zu gewöhnen, wenn
Bedürfnisse gar nicht erst erlebt werden dürfen. Sowohl eine zu sehr nach außen
gerichtete Haltung oder zu sehr nach innen gerichtete nicht teilnehmende Haltung,
kann für Hochsensible belastend und stressauslösend sein. Dabei geht es bei „sehr“
um das Zuviel, mit dem sich HSP selbst überstimulieren in Bezug auf Aktivitäten in
der Außenwelt. Doch auch sich zu sehr nach innen zu wenden, kann für diese
Menschen problematisch werden, wenn sie eigentlich am Geschehen der Welt
teilnehmen möchten. Dazu betont Aron (2015a), dass der Körper von Hochsensiblen
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auf äußere Reize umso intensiver reagiert, je mehr er davor beschützt wird.
Ereignisse und Erfahrungen mit der Außenwelt werden als weniger belastend und
aufregend wahrgenommen, wenn die hochsensible Person selbst körperlich aktiv ist.
Wieviel der Körper als auch das empfindliche Nervensystem verkraften, ist
individuell, ungeachtet dessen, was andere für zu viel halten. Alle Vergleiche mit
weniger sensiblen widerstandsfähigen Typen stressen und belasten HSP,
unabhängig davon, ob sie die Vergleiche selbst ziehen oder von ihren Mitmenschen
mit solchen Vergleichen unter Druck gesetzt werden (vgl. Aron 2015a).
Grundsätzlich haben hochsensible Menschen von Natur aus eine sehr gute
Veranlagung, um gesund zu sein und ein sehr hohes Alter zu erreichen,
vorausgesetzt, dass sie gelernt haben, mit dem alltäglichen Stress gut umzugehen
(vgl. Parlow 2015). Mit ihrer niedrigen Reizschwelle sind Hochsensible schneller und
öfter in einem Stressstadium. Erlebt man viele länger andauernde Stressmomente,
wird das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet. Ist der Cortisolspiegel für längere Zeit
erhöht, kann dies zu einem erhöhten Blutdruck, größerer Infektionsanfälligkeit,
Vergesslichkeit und anderen gesundheitlichen Problemen führen. Deshalb ist es für
HSP besonders wichtig, auf ihre Gesundheit und einen ausgewogenen Lebensstil zu
achten (vgl. Skarics 2012).
Um Stress zu vermeiden, brauchen Hochsensible Regelmäßigkeit, Harmonie, viel
Ruhe und Sicherheit. Darüber hinaus ist auch Selbstkenntnis und
Selbstmanagement essentiell für hochsensible Personen. Mit ihrem
hochempfindlichen Nervensystem sind HSP mit einem sehr guten Frühwarnsystem
ausgestattet. Parlow (2015) zufolge werden Verdauungsprobleme,
Entzündungsherde und auch andere unangenehme körperlichen Dysbalancen schon
sehr früh ans Bewusstsein weitergeleitet. Er sieht das funktionierende
Frühwarnsystem von hochsensiblen Menschen als eine sehr gute
Gesundheitsprävention. Körperliches Unwohlsein und Probleme können behoben
werden, noch bevor sie sich manifestiert haben, oder wenn sie noch im
Anfangsstadium sind.
Im Kinder- und Jugendalter zeigt sich Hochsensibilität unter anderem dadurch, dass
hochsensible Kinder aufgrund ihrer sehr empfindlichen Veranlagung besonders
krankheitsanfällig sind, zum Beispiel entwickeln sie häufiger Allergien als
normalsensible Kinder. Wird die Sensibilität früh genug erkannt und auf ihre
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besonderen Bedürfnisse Rücksicht genommen, entwickeln sie sich sehr gut und
ohne längerfristige Probleme. Als größere Belastung für die Gesundheit kann das
Teenager- und Jugendalter werden. Ein Lebensstil mit Fastfood, Alkohol, Drogen
und ein zu intensives Nachtleben stresst und belastet die zarte Konstitution von
hochsensiblen Jugendlichen und kann leichter zu bleibenden gesundheitlichen
Schäden führen, als bei normalsensiblen Gleichaltrigen (vgl. Parlow 2015).
4.2. HSP und das soziale Umfeld
Viel Kälte ist unter den Menschen, weil wir es nicht wagen, uns so herzlich zu geben,
wie wir sind. Albert Schweitzer
Den Studien von Elaine Aron zufolge sind etwa 70 Prozent der Hochsensiblen
Personen introvertiert, 30 Prozent der HSP sind extrovertiert. In ihren Forschungen
legt die Psychologin großen Wert darauf, dass die Hochsensibilität nicht mit
Introversion oder Schüchternheit gleichgestellt wird. Sie sieht die Schüchternheit als
Reaktion auf eine Situation und nicht als Charakterzug. Chronische Schüchternheit
entsteht auf Grund von wiederholten negativen Erfahrungen in der Kindheit. Bereits
ein Misserfolgserlebnis kann der Auslöser für Unsicherheit und Rückzug sein. Viele
HSP haben von Natur aus eine ruhige zurückhaltende Art, diese wird
fälschlicherweise von der Gesellschaft und auch von Fachleuten als Schüchternheit
und mangelndem Selbstbewusstsein fehl gedeutet. Doch auch introvertierte HSP
neigen dazu, sich selbst als schüchtern und als wenig selbstbewusst einzuschätzen.
Ausschlaggebend ist in der Regel der Vergleich mit ihren extrovertierten Freunden
und Mitmenschen. Aron differenziert klar, dass Schüchternheit nicht vererbt wird,
Hochsensibilität hingegen schon (vgl. Aron 2015a).
In großen Menschenansammlungen, in Gruppen und Reizüberflutungen jeglicher Art
sind HSP überstimuliert, dadurch entsteht ein soziales Unbehagen. In diesem
Zustand ist es für hochsensible Menschen schwieriger kompetent aufzutreten, zu
sprechen und auch zu handeln. Im Zustand der nervlichen Anspannung, geraten
HSP in einen Zustand der Überforderung, sie wollen der Situation entfliehen, sich
zurückziehen und erholen. Solche Erfahrungen können für Hochsensible sehr
belastend werden, vor allem dann, wenn sie über ihre Veranlagung nicht Bescheid
wissen. Mit dem Gefühl anders zu sein und dass mit ihnen etwas nicht stimmt,
geraten sie sehr oft in den Kreislauf der selbsterfüllenden Prophezeiung. Informierte
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HSP hingegen können solche Herausforderungen besser meistern. Sie beobachten
sich selbst und ihre Reaktionen und gehen dabei selbstfürsorglich mit sich um, indem
sie sich mental und auch mit individuell gewählten Methoden darauf vorbereiten (vgl.
Parlow 2015, Skarics 2012).
Untersuchungen des Soziallebens von HSP zeigen, dass die meisten introvertierten
Hochsensiblen ein eher mäßiges Bedürfnis nach sozialen Kontakten haben. Dabei
geht es ihnen vermehrt um Qualität als um Quantität. Die wenigen extrovertierten
HSP pflegen ihre tiefgehenden Beziehungen ebenfalls intensiv, obwohl für sie auch
ein großer Bekanntschaftskreis wichtig ist. Während introvertierte HSP – sofern sie
die Wahl haben – größere gesellschaftliche Ereignisse meiden, schätzen und
genießen sie sehr wohl Begegnungen im kleinen Kreis, insbesondere Eins-zu-eins-
Begegnungen (vgl. Parlow 2015)
4.3. HSP am Arbeitsplatz
Gemäß Parlow (2015) haben viele hochsensible Menschen einen Beruf gewählt, der
nicht zu ihnen passt. Das liegt daran, dass Hochsensible in jungen Jahren sehr stark
dem Versuch unterliegen, sich übermäßig an die Norm der Gesellschaft anzupassen.
Doch es gibt auch viele HSP, die ihren Beruf als Berufung sehen, in der sie ihre
Begabungen und Fähigkeiten ausleben können. Im Bereich der Wissenschaft, Kunst,
in Lehr- und geistlichen Berufen sind häufig hochsensible Menschen beschäftigt.
Doch besonders stark sind HSP in helfenden und therapeutischen Berufen
anzutreffen. Obwohl die Gefahr besteht, dass sie sich in diesen Bereichen
überfordern, finden sie doch in diesen Tätigkeiten Erfüllung und Sinnhaftigkeit (vgl.
Aron 2015a, Parlow 2015).
Grundsätzlich können HSP in jedem Berufsfeld tätig sein, sofern die äußeren
Reizüberflutungen nicht zu heftig sind. Wenn nach langen stressigen Arbeitstagen
keine Zeit für ausgiebige Erholungsphasen möglich sind, kommen HSP schneller in
einen Überforderungszustand als normal Wahrnehmende (vgl. Aron 2015a).
Auch mangelnde Wertschätzung, bezüglich der eigenen Rolle und dem
Wesensmerkmal der Hochsensibilität, bereiten HSP große Schwierigkeiten am
Arbeitsplatz. Sie brauchen das Gefühl und die Bestätigung, dass sie mit ihrer
Veranlagung in ihrer Arbeit und auch an die Gesellschaft, einen potenziellen Beitrag
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leisten können. Für HSP ist es wichtig, ihre Arbeit nicht nur als Broterwerb zu sehen,
sondern als Berufung und Möglichkeit sich selbst und die eigenen Talente zum
Ausdruck zu bringen. Aron (2015a) äußert sich dazu: „Wenn ich dem Denkprozess
von C.G. Jung folge, begreife ich das Leben eines jeden als einen Prozess der
Individuation – demnach besteht der Grund unseres Daseins auf Erden allein in der
Entdeckung und Beantwortung unserer ganz individuellen Lebensfragen […]. Diese
Aufgabe ist allerdings nicht einfach, sonst würde es nicht ein Leben lang dauern sie
zu erfüllen“ (Aron 2015a, S. 188). Für viele HSP ist es eine Herausforderung, wie
man mit seiner Berufung auch Geld verdienen kann. Sie ringen damit, einen
Kompromiss einzugehen hinsichtlich einer Tätigkeit bei der sie ihrem Herzen folgen
und der Welt einen wertvollen Dienst erweisen und trotzdem eine Leistung bringen,
für die man bezahlt wird. Nicht immer lässt sich die Berufung im Beruf verwirklichen.
So manchen dient der Beruf zum Geldverdienen und in der Freizeit widmen sie sich
ihrer „Berufung“. So wurde angeblich auch die Relativitätstheorie von Albert Einstein
entwickelt, während er im Patentamt arbeitete. Geschichten zufolge war er froh
bezüglich der geistlosen Arbeit dort, dadurch hatte er sehr viel Zeit darüber
nachzudenken, was ihm wirklich wichtig war (vgl. Aron 2015a).
4.3.1. Problematische Bedingungen für HSP bei der Arbeit
Täglich werden HSP mit verschiedensten Herausforderungen am Arbeitsplatz
konfrontiert. So zählen etwa Anforderungsstress, Mobbing und Burnout zur stets
wachsenden Problematik in der modernen Arbeitswelt. Natürlich müssen sich auch
normalsensible Menschen mit diesen Themen auseinandersetzen, doch
hochsensible Menschen geraten aufgrund ihrer zarten Konstitution schneller in eine
Überstimulierung und dadurch öfter als auch stärker in eine psychische Belastung.
Gibt es problematische Bedingungen am Arbeitsplatz, dann bemerken die
hochsensiblen Personen diese als erstes. HSP leiden unter ungünstigen
Rahmenbedingungen wie permanente Neonbeleuchtung, zu wenig Tageslicht,
akustische Dauerbelastungen durch Produktionsanlagen oder Baumaschinen. Doch
auch Gerüche und eine unangenehme Raumatmosphäre führen zu einer
Überreizung und rauben ihnen die Konzentration. Von ihren weniger sensiblen
Kollegen ernten sie dafür kein Verständnis. So ist es laut Skarics (2012) auch nicht
empfehlenswert, sich am Arbeitsplatz als hochsensible Person zu outen. Schon der
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Ausdruck „Hochsensibilität“ wird mit Mimosität und geringem Selbstbewusstsein
assoziiert. Dabei rücken hauptsächlich die Nachteile der hohen Empfindsamkeit in
den Vordergrund. So haben die meisten normal Wahrnehmenden noch nichts von
Hochsensibilität gehört und wissen daher auch nicht, was es heißt, eine HSP zu sein
(vgl. Skarics 2012). Den Forschungen von Skarics (2012) zufolge, sind HSP daher
auch auffallend oft Opfer von Mobbing. So sollen Hochsensible auch eher ins
Burnout geraten, möglicherweise mitverursacht durch ihren hohen Idealismus und ihr
großes Engagement.
Andererseits bringt die Hochsensibilität auch viele Vorteile am Arbeitsplatz mit sich
wie Zuverlässigkeit, Genauigkeit, die Fähigkeit vorauszuplanen und eine
ausgeprägte ganzheitliche Wahrnehmung. Dennoch werden HSP aufgrund ihrer
Überreaktion von Arbeitskollegen und Vorgesetzten häufig als „nicht belastbar“
wahrgenommen. Wenn man bedenkt, dass etwa 15-20% der Menschen
hochsensibel sind, so gibt es höchstwahrscheinlich auch Hochsensible unter den
Kollegen, mit denen man sich verbünden könnte, um ein Anliegen zur Sprache zu
bringen (vgl. Skarics 2012, Harke 2015).
Wie sich die Situation von Hochsensiblen am Arbeitsplatz durch direktes Ansprechen
eines Problems verbessern kann, macht Skarics (2012) an einem Beispiel deutlich:
In einer Fachabteilung für Neurologie und Psychiatrie musste das Personal
Kunststoffkleidung tragen, die für die Raumtemperatur in der Abteilung nicht
angemessen war, worunter besonders die Hochsensiblen litten. Um dies zu
erreichen, ließen sie die dermatologische Abteilung ein Gutachten verfassen, in dem
darauf hingewiesen wurde, dass ein Mitarbeiter aufgrund einer Hautstörung
Baumwollkleidung brauche. Das Ergebnis daraufhin war, dass allen Mitarbeitern
Baumwollbekleidung zugebilligt wurde. In diesem Fall führte das direkte Artikulieren
eines Problems, unter dem besonders Hochsensible am Arbeitsplatz litten, zu einer
wesentlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen einer gesamten Gruppe (vgl.
Skarics 2012).
4.3.2. Arbeitsbedingungen, die im Widerspruch des Charakters einer HSP
stehen
Berufe, die ein starkes Konkurrenzdenken erfordern, sind für Hochsensible nicht
geeignet. Viele HSP haben eine Abneigung gegenüber Wettbewerbssituationen.
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Auch wenn es darum geht, die eigenen Ideen, Produkte und die Arbeitsleistung zu
verkaufen oder zu vermarkten, geraten Hochsensible in einen inneren Konflikt. Sie
wollen anderen nichts aufdrängen und schon gar nicht sich selbst anpreisen.
Häufiges Präsentieren vor größeren Gruppen ist für die meisten HSP ein großer
Stressfaktor, sie machen nicht gerne Aufsehen bezüglich ihrer Leistungen. Das kann
auch dazu führen, dass sie bei Beförderungen des Öfteren auf der Strecke bleiben.
Wenn Leistung ausschließlich mit Geld belohnt wird, fühlen sich HSP nicht
wertgeschätzt, da die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit für sie von großer Bedeutung ist.
Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Arbeiten unter großem Druck und die Bereitschaft
zu Überstunden ist heute in vielen Unternehmen Voraussetzung. Hochsensible
geraten dadurch sehr bald in eine Überreaktion und Überstimulation, da sie
genügend Zeit zur Erholung und Regeneration brauchen (vgl. Skarics, 2012).
Bei diesem Konkurrenzkampf kommen die wirklichen Stärken und Talente der HSP
nur selten zum Tragen. Dabei kann Hochsensibilität auch im beruflichen Bereich
viele Vorteile mit sich bringen wie etwa die Fähigkeit zur tiefen Konzentration, ein
Gefühl für das, was im Trend liegt, was Kunden wollen und sie begeistert. Mit ihrer
uneigennützigen, authentischen Art vermitteln sie Vertrauen und Zuversicht. Sie sind
sprachgewandt, wenn sie das vermitteln dürfen, wovon sie zutiefst überzeugt sind.
Möglicherweise werden diese Qualitäten zu wenig geschätzt und registriert, weil sie
nicht leicht quantifizierbar und messbar sind. Das mag auch der Grund sein, warum
sich Hochsensible berufliche Nischen suchen, in denen statt des üblichen
Konkurrenzkampfes eher der Lebenssinn vorherrschend ist (vgl. Skarics 2012).
4.4. Zusammenfassende Betrachtungen der Lebensumstände von HSP
Sowohl am Arbeitsplatz, als auch im sozialen Umfeld und im Lebensstil von HSP
zeigen sich gemeinsame Merkmale. Eine erhöhte Wahrnehmung, intensive
Reizaufnahme sowie ein überreiztes Nervensystem als Ergebnis gründlicher und
intensiver Verarbeitung, gehören zu den gemeinsamen Eigenschaften von HSP.
Vergleicht man die Stärken und Begabungen von hochsensiblen Menschen, zum
Beispiel die ausgeprägte Tendenz zur Gewissenhaftigkeit, Kreativität und die
Fähigkeit einzelne Details als auch das ganze Bild wahrzunehmen, findet man auch
hier bemerkenswerte Übereinstimmungen. Da Hochsensible vom Alltagsstress und
den täglichen Anforderungen sehr oft überwältigt sind, brauchen sie ein gutes
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Selbstmanagement, sowie wirkungsvolle Methoden oder Übungen, um wieder ins
Gleichgewicht zu kommen.
Zur Unterstützung von HSP in verschiedenen Lebensbereichen wurde in der
Fachliteratur eine Vielzahl an Methoden diskutiert. Auf die verschiedenen Methoden,
die eine Hilfestellung für HSP bieten können, wird im folgenden Kapitel kurz
eingegangen.
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5. Hilfestellungen und Methoden zur Unterstützung von HSP
Im Grunde wissen hochsensible Menschen selbst, was ihnen gut tut und was sie
brauchen, um wieder in Einklang zu kommen. Zum nötigen Selbstmanagement zählt
eine gute Planung, Prioritäten setzen und mit der Veranlagung der Hochsensibilität
verantwortungsbewusst umzugehen (vgl. Harke 2015). Das kann auch bedeuten,
bereit zu sein, wenn nötig, fachliche Hilfe einzuholen. HSP sind sehr offen für
psychologische Themen und Persönlichkeitsentwicklung, mit einem starken
Bedürfnis sich selbst und die Welt zu verstehen. Verschiedene Ansätze und
Methoden können daher für HSP eine Hilfestellung im Umgang mit psychischen und
physischen Belastungen leisten. Diese Methoden können sowohl von der betroffenen
Person selbst angewendet werden oder im Rahmen von Beratungen und
therapeutischen Verfahren (für eine detailliertere Betrachtung zum Einsatz
psychotherapeutischer Verfahren für HSP siehe Aron, 2014) in Anspruch genommen
werden. Im Folgenden werden einige dieser Methoden aus der Fachliteratur
herausgegriffen und kurz beschrieben.
Unnötige Reizüberflutung und Überstimulation reduzieren
Eine der größten Herausforderungen, welche HSP in unserer heutigen Gesellschaft
zu bewältigen haben, ist die permanente Reizüberflutung und die daraus
resultierende Überstimulation. Sowohl beruflich als auch in der Freizeit, strömen
visuelle, auditive und physische Eindrücke auf die Hochsensiblen ein. Verstärkt
natürlich durch das Leben in den modernen Großstädten. Sehr oft ist es so, dass
HSP Rückzugsregeln einüben müssen, um dem hochsensiblen Körper und dem
gesamten Organismus die für ihn wichtigen Regenerationsphasen zu ermöglichen.
Harke (2015) empfiehlt eine Informations-Diät. Sie schlägt vor, des Öfteren eine
Woche lang oder zumindest ein paar Tage die Aufnahme des alltäglichen
Informationsflusses drastisch zu reduzieren, indem beispielsweise auf Fernseh- oder
Internetkonsum sowie auf unnötiges Lesen oder Aufnehmen von Nachrichten
bewusst verzichtet wird. Die Psychologin äußert sich dazu: „Wir laufen alle mehr
oder weniger vor der kreativen Einsamkeit davon, obwohl wir diese so dringend nötig
haben, um uns zu erholen. Wie lange können Sie auf mediale Ablenkmaschinen
verzichten, um endlich wieder ein Wohlgefühl zu erleben, wenn Sie nichts tun,
anstatt damit innere Unruhe, Angst oder quälende Langeweile zu überdecken?“
(Harke 2015, S.79).
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Die Vergangenheit neu bewerten - Reframing
Der Begriff Reframing stammt aus der kognitiven Psychotherapie, er bedeutet etwas
in einen neuen Bezugsrahmen zu setzen, aus einem anderen Blickwinkel zu
betrachten. Hochsensible neigen dazu, negative Erlebnisse der unmittelbaren
Vergangenheit immer wieder geistig und auch emotional wachzurufen. Damit bringen
sie sich selbst in eine innere Überreizung. Mit der Methode Reframing haben HSP
die Möglichkeit, sich bewusst mit den belastenden Erfahrungen der Vergangenheit
auseinanderzusetzen. Dabei wird das damalige Verhalten, die Reaktion, nochmals
betrachtet und alle Erinnerungen werden wieder ins Gedächtnis gerufen. Alles, was
man über sich gedacht hat, die Gefühle und Urteile. Dann schaut man mit dem
Wissen der Gegenwart auf das vergangene Ereignis. Mit Verständnis und Mitgefühl
begegnet man sich selbst in Bezug auf die vergangenen Wahlen und Handlungen.
Dabei kann man ein neues Bild kreieren. Danach wird geschaut, ob es im
Zusammenhang mit der neuen Sichtweise, in der Gegenwart etwas gibt, was man
tun sollte (vgl. Aron 2015b, Parlow 2015).
Einfache Maßnahmen bei alltäglichem Stress
Der Aufenthalt in der Natur hilft vielen Hochsensiblen, um Abstand vom Alltagsstress
zu bekommen. Sportliche Betätigungen, doch auch regelmäßiges Gehen und das
Einatmen der frischen Luft bringt HSP wieder in einen gesunden körperlichen
Rhythmus. Grundsätzlich bewähren sich viele Entspannungstechniken, um wieder
ins Gleichgewicht zu kommen. So empfehlen die Experten der Fachliteratur unter
anderem folgende Stressbewältigungstechniken:
Progressive Muskelentspannung
Atemübungen
Autogenes Training
Achtsamkeitstraining
Kinesiologie
Yoga
Meditation
Tai Chi
Qigong
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Wichtige Aspekte bei der Hilfestellung für HSP
Den Forschungen von Aron (2014) folgend sind 50% der Klient/innen, die Therapien
oder Beratungen in Anspruch nehmen, hochsensible Menschen. So wird auch
berichtet, dass HSP sich in Beratungen und Psychotherapien sehr oft nicht
verstanden fühlen. Viele hochsensible Personen haben sich im Rahmen der
jahrelangen Suche, des Erforschens und Aufarbeitens von negativen Erlebnissen
aufgrund ihrer hohen Empfindsamkeit sehr oft ein profundes Wissen angeeignet. So
unterliegt der/die behandelnde Therapeut/in in Therapiegesprächen des Öfteren
einem indirekten Test bezüglich seiner Kenntnisse und Kompetenz, hilfreiche
Lösungsansätze und Unterstützung für Hochsensible zu ermöglichen. Mit dem
Wesenszug der erhöhten sensitiven Wahrnehmung, spüren HSP jegliche
Unsicherheit und möglicherweise auch Unwissenheit des Gegenübers. Entsteht das
Gefühl, mehr bezüglich der eigenen Veranlagung zu wissen als der/die Therapeut/in,
entscheiden sich Hochsensible in der Regel die Therapie frühzeitig abzubrechen
(vgl. Sellin, 2012).
Des Weiteren berichten Hochsensible häufig, dass in Therapien und Beratungen
zwar auf die Folgen ihres überreizten Nervensystems eingegangen wird, z.B. auf ihre
Ängste, Überforderungszustände, Schüchternheit, Depressionen und chronischen
Krankheitssymptomen. Doch nur selten kommt es zur Thematisierung ihrer
andersgearteten Reizaufnahme und Wahrnehmung. Ohne Berücksichtigung der
Hochsensibilität empfinden viele HSP die angebotenen Therapien und Beratungen
als ungeeignet, was in der Folge in Resignation oder sogar in Depressionen münden
kann (vgl. Sellin 2012).
Eine mögliche Lösung für diese Herausforderungen kann die Logotherapie und
Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl bieten, da sie im Besonderen auf Belastungen
eingeht, mit denen HSP in verschiedenen Lebensbereichen konfrontiert sind. Zum
Beispiel bietet die Logotherapie und Existenzanalyse eine besonders gute
Hilfestellung für das für hochsensible Personen typische stetige Hinterfragen der
Sinnhaftigkeit ihrer Lebensinhalte. Im Folgenden wird die Logotherapie und
Existenzanalyse näher vorgestellt und die verschiedenen logotherapeutischen
Methoden mit der Hochsensibilität in Verbindung gebracht.
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6. Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl
Viktor E. Frankl (1905-1997) gründete die Logotherapie und Existenzanalyse. Die
Logotherapie stellt nach W. Soucek (1948) die Dritte Wiener Schule der
Psychotherapie dar. Dabei wird die Psychoanalyse von Sigmund Freud als die „Erste
Wiener Schule der Psychotherapie“ und die Individualpsychologie von Alfred Adler
als die „Zweite Wiener Schule der Psychotherapie“ betrachtet. Zur Unterscheidung
der Schulen prägte Frankl selbst drei einfache Formeln: Freud beschäftigte sich mit
dem Willen zur Lust; Adler mit dem Willen zur Macht, Frankl mit dem Willen zum
Sinn (vgl. Lukas 2014). Für Frankl war es wichtig, auch die geistige Dimension des
Menschen in die psychologische Behandlung miteinzubeziehen vor allem die
Sinnsuche. Mit diesem Ansatz wandte sich der Psychiater gegen die Reduktion des
Menschen auf rein psychische Mechanismen. Seiner Ansicht nach würde das dem
freien “Personsein“, seinem geistigen Wesen in Bezug auf das Verlangen nach dem
Sinnverständnis, insbesondere auf sein Leiden und auch auf die Ganzheit des
Lebens verstellen. Mit dem Kernbegriff “Existenz“ wird in der Existenzanalyse ein in
Sinn, Freiheit und Verantwortung geformtes Leben verstanden, welches der Mensch
als sein Leben wahrnimmt und in dem er sich auch als Mitgestalter sieht (vgl. Längle
2013). Frankl bringt es folgendermaßen zum Ausdruck: „Die Eigenart des
Menschseins besteht darin, dass es sich beim Menschen nicht um ein faktisches,
sondern um ein fakultatives Sein handelt, nicht um ein Nun-einmal-so-und-nicht-
anders-sein-Müssen, als welches der neurotische Mensch sein eigenes So-Sein
missversteht, vielmehr um ein Immer-auch-anders-werden-Können“ (Frankl, 1959, S.
665). Wird das menschliche Dasein unter diesem Blickwinkel betrachtet, zeigt sich,
dass das Streben nach sinnvoller Existenz, sich nicht von den körperlichen,
psychischen und psychodynamischen Auseinandersetzungen erzielen lässt. Der
Mensch wird nicht nur von unbewussten Prägungen und Kräften gelenkt. Es sind die
Werte in der Welt, die ihn anziehen. So definiert sich Existenz im Erleben und
Gestalten dieser Werte (vgl. Längle 2013).
Frankls Konzept der Logotherapie wird von drei Säulen getragen, die im Folgenden
näher erklärt werden:
Freiheit des Willens
Willen zum Sinn
Sinn im Leben
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Freiheit des Willens
Nach Auffassung der Logotherapie ist der Mensch ein entscheidungs- und
willensfreies Wesen. Damit ist gemeint, dass der Mensch befähigt ist,
eigenverantwortlich Stellung zu beziehen, sowohl zu seinen psychologischen,
biologischen als auch zu den sozialen Bedingungen. Spricht man von der Freiheit
des Menschen, dann geht es um die Definition des Gestaltungsfreiraumes des
eigenen Lebens im Umfang der gegebenen Möglichkeiten. Die Frankl-Schülerin
Elisabeth Lukas spricht von der im Menschen potentiell angelegten Willensfreiheit.
Diese kann zwar vorübergehend durch Krankheit, Unreife und Senilität begrenzt oder
aufgehoben sein, so bleibt doch die Potentialität grundsätzlich vorhanden (vgl.
Frankl, 2015; Lukas 1986). Lukas (2014, S. 14) fasst zusammen: „Die Logotherapie
ist eine non-deterministische Psychologie“.
Willen zum Sinn
Im Motivationskonzept der Logotherapie wird der Wille zum Sinn ins Zentrum
gestellt. Es besagt, dass jeder Mensch im Innern von einem Suchen und Streben
nach Sinn erfüllt ist. Dabei orientiert sich die Sinnerfüllung an einem inneren und
äußeren Anteil. Der äußere Anteil (der Sinncharakter) der Situation, kann durch
Krankheit, Unreife oder Senilität eingeschränkt sein. Dies verringert jedoch nicht das
Vorhandensein des inneren Anteils (das Streben nach Sinnerfüllung), der als
Primärmotivation selbst bei schweren Defekten aufrecht erhalten bleibt (vgl. Lukas
1986). Dazu Lukas (2014, S. 15): „Die Logotherapie ist eine sinnzentrierte
Psychotherapie“.
Sinn des Lebens
Das Grundprinzip der Sinnhaftigkeit des Lebens bringt die logotherapeutische
Auffassung zum Ausdruck, dass das Leben einen bedingungslosen Sinn hat, welcher
unter keinen Umständen abhandenkommen kann. Jedoch kann sich dieser Sinn dem
menschlichen Verständnis entziehen. Aus der Sichtweise der Logotherapie und
Existenzanalyse ist der Mensch durch seine Willensfreiheit und
Verantwortungsfähigkeit aufgerufen, die Sinnhaftigkeit jeweils aufs Neue zu erspüren
und zu erahnen (vgl. Lukas 2014). Daraus folgt: „Die Logotherapie ist eine positive
Weltanschauung“ (Lukas 2014, S.15).
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Abbildung 1: Die drei Säulen der Logotherapie mit der Veranschaulichung der
logotherapeutischen Grundlagen (Lukas, 2014, S.16).
Die obige Grafik veranschaulicht die genaue Zuordnung der drei „Säulen“ in der
Gestaltung der Logotherapie. So ist die erste Säule die „Freiheit des Willens“ die
Basis des Menschenbildes und wird von den anthropologischen Grundlagen geformt.
Die zweite Säule der „Wille zum Sinn“ ist der Ausgangspunkt der Heilkunde und
durchdringt das gesamte psychotherapeutische Schaffen. Die dritte Säule „Der Sinn
des Lebens“, der Glaube, dass das menschliche Leben unter allen Umständen Sinn
hat, zählt zum Weltbild und zur Philosophie der Logotherapie (vgl. Lukas 2014). Im
nachfolgenden Kapitel gehen wir auf Frankls Beschreibung der drei Hauptstraßen
zum Sinn näher ein.
Die drei Hauptstraßen zum Sinn
Erste Hauptstraße – Schöpferische Werte
Der Mensch erfährt Sinn, sowohl im kreativen Schaffen, indem er im Austausch mit
etwas Wertvollem ist, in einem ständigen Wechsel von Nehmen und Geben,
wachsen und entwickeln. Im Erbringen einer Leistung, im Erschaffen eines Werkes,
und auch, wenn er für etwas oder jemanden einsteht. Dabei geht es nicht nur um die
großen Werke oder um Pioniertaten. Ein Höchstwerk kann es auch sein, ein Kind
großzuziehen, für eine Familie da zu sein, einen Kranken zu pflegen oder einem
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Beruf beständig nachzugehen. So ist nicht das Außergewöhnliche, das eine Leistung
zum Werk deklariert, es ist vor allem die Hingabe, die Verbindlichkeit, das Ausfüllen
des jeweiligen Platzes, auch wenn es klein oder unbedeutend erscheinen mag, es
gibt Haltung gegenüber sich selbst und der eigenen Vergänglichkeit (vgl. Längle
2014). Zu diesem Zusammenhang schrieb Frankl: „Die innere Lebensgeschichte
eines Menschen in ihrer ganzen Dramatik und sogar Tragik wäre dann nie „umsonst“
geschehen, auch wenn sie nie bemerkt würde, auch wenn kein Roman von ihr zu
erzählen wüsste. Der „Roman“, den einer gelebt hat, ist noch immer eine
unvergleichlich größere schöpferische Leistung als der, den jemand geschrieben hat“
(Frankl 1982, S.46).
Zweite Hauptstraße – Erlebniswerte
Erlebniswerte geben unserem Leben Sinn, dazu zählt das Aufnehmen und Erleben
von Schönheit, Natur, Kunst, Technik oder Wissenschaft. Die Begegnung mit
anderen Menschen, die Gespräche, gemeinsame Unternehmungen, besonders die
Liebe zu jemanden, gehört zu den tiefsten Erlebniswerten. Das aktive Aufnehmen
und persönliche Mitgestalten von Wertvollem aus der Welt, wird zur inneren
Bereicherung. Erlebniswerte sind in vielfacher Hinsicht wichtig, durch sie erhalten wir
unsere geistigen Kräfte, welche wir in anderen Bereichen sinnvoll einsetzen können
(vgl. Längle 2014).
Dritte Hauptstraße – Einstellungswerte
Wo soll der Sinn liegen, wenn ein Leben durch Krankheit oder ein Schicksal bedingt
ist, was kann hier noch Gutes geschehen und gefunden werden? Für aussichtslose,
schmerzhafte Lebenssituationen scheint der Mensch von Natur aus wenig gerüstet
zu sein. Wenn wir bedenken, wie schwer es ist, den Tod eines nahestehenden
Menschen anzunehmen oder wie hilflos jemand ist, wenn ihm plötzlich eine
unheilbare Krankheit diagnostiziert wurde, dann kann in solchen Momenten weder
eine schöpferische Leistung noch die Fähigkeit Schönes zu erleben helfen. Längle
(2014) spricht vom Ertragen des Leidens, dass im Wie des Leidens noch Freiheit ist,
dass es noch Wahlmöglichkeiten gibt. Durch das Erkennen, welche Wahl einem
möglich ist, welche Wahl die eigene ist, kann man im Leiden noch eine Freiheit, eine
versteckte Chance finden – einen kleinen Gestaltungsraum, um nicht nur Opfer zu
sein oder sich ausgeliefert zu fühlen. Hier liegt der Wert in der Einstellung gegenüber
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dem Leid, in der Art und Bereitschaft, wie das Leid ertragen wird, wie sich jemand
dem Leben stellt, der tiefsten Herausforderung des Lebens (vgl. Längle 2008).
6.1. Das Menschenbild der Logotherapie und Existenzanalyse
„Wenn wir, sagtest du, die Menschen nur nehmen, wie sie sind, so machen wir sie
schlechter. Wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen
wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.“ Johann Wolfgang von Goethe
Das Menschenbild der Logotherapie stellt Viktor E. Frankl im Konzept der
Dimensionalontologie vor. Demnach wird der Mensch als dreidimensionales Wesen
gesehen, als somatische, psychische und geistige Dimension. Dabei geht es nicht
um eine Drei-Schichten-Theorie. Die drei Seins-Formen durchdringen einander
vollständig. Frankl bezeichnete das Zusammentreffen der drei Dimensionen als
Einheit trotz Mannigfaltigkeit (vgl. Lukas 2014).
Auf die somatische Dimension beziehen sich alle körperlichen Begebenheiten. Dazu
zählt das organische Zellgeschehen, sowie die biologischen-physiologischen
Funktionen des Körpers, einschließlich der dazugehörigen chemischen und
physikalischen Prozesse. Die psychische Dimension des Menschen betrifft den
Bereich der Empfindlichkeiten, Instinkte, Triebe, Gefühle, Begierden und Affekte. Zu
den seelischen Wahrnehmungen zählen auch die intellektuellen Fähigkeiten des
Menschen, seine Verhaltensmuster und sozialen Konditionierungen. Die geistige
Dimension beinhaltet das Urmenschliche, sie ermöglicht die Stellungnahme zum
körperlichen und psychischen Befinden und auch die freie selbstbestimmte
Willensentscheidung. In ihr finden wir das Interesse an Kunst, schöpferisches
Gewahrsein, ethisches Empfinden (Gewissen), sowie das Werteerleben und auch
die Religiosität. In der Logotherapie wird diese Dimension als das wirklich
Menschliche verstanden. Angesichts dessen, dass wir uns die beiden anderen
Ebenen, die somatische und die psychisch-soziale auch mit den Tieren teilen. Diese
geistige Ebene wird in der Logotherapie als noetische Dimension bezeichnet. Die
beiden anderen Ebenen werden als Psychophysikum zusammengefasst (vgl. Lukas
1986, 2014).
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Abbildung 2: Das Konzept der Dimensionalontologie (Lukas, 1986, S. 27)
Der Ansatz der Logotherapie liegt hauptsächlich in der noetischen Dimension des
Menschen. Lukas zufolge: „Frankl bezeichnete die Logotherapie als Psychotherapie
vom Geistigen her auf Geistiges hin“ (Lukas 2014, S.19). Damit unterscheidet sich
die Logotherapie sehr deutlich von den übrigen psychotherapeutischen Schulen,
legen diese doch den Fokus mehr auf die psychische Ebene sowie der Beleuchtung
des unbewusst Triebhaften. Obwohl die Logotherapie die Ergebnisse dieser
Vorgehensweisen nicht bezweifelt, war es doch der Verdienst Frankls die spezifisch
menschlichen Aspekte des Seins in die bestehenden Psychotherapien einzugliedern
(vgl. Lukas 2014). Dazu äußert sich Frankl: „Innerhalb dieses unseres dimensionalen
Schemas ergibt sich nun aus der Dreidimensionalität des Menschen, dass das
eigentlich Menschliche erst aufscheinen kann, sobald wir uns in die Dimension des
Geistigen hineinwagen. Als Mensch wird der Mensch erst sichtbar, wofern wir diese
„dritte“ Dimension in seine Betrachtung einbeziehen: erst dann werden wir des
Menschen als solchen ansichtig“ (Frankl 1994, S.65-66). Das Seelisch-Soziale und
Körperliche wird bei der Logotherapie nicht unberücksichtigt, vielmehr ist es ein
definiertes Erkunden und Erforschen dessen, in welchem Umfang das geistige
Potenzial im Menschen aktiviert werden kann. Um geistige Frustrationen zu
beseitigen, psychische Störungen zu verbessern und Erleichterung bei
psychosomatischen Leiden zu ermöglichen (vgl. Lukas 2014). Dazu Lukas: „Wo die
traditionelle Psychologie im Wesentlichen „seelische Abhängigkeiten“ aufdeckt,
fördert die Logotherapie „geistige Unabhängigkeiten“ zutage, und wo die
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herkömmliche Psychotherapie „neurotische Arrangements“ analysiert, registriert die
Logotherapie „existentielles Engagement“ (Lukas 2014, S.21).“
6.2. Gesprächsform- und Gesprächsstil-Elemente der Logotherapie und
Existenzanalyse
Die Logotherapie wird nicht nur im engeren psychotherapeutischen Bereich zum
Beispiel bei Angst- Verhaltens und Persönlichkeitsstörungen angewendet. Sie kann
auch für junge Menschen auf dem Weg zum Erwachsenwerden eine Hilfestellung
sein als auch für alte Menschen, wenn es um einen Lebensrückblick oder um
Maßnahmen eines Abschieds geht. Die Vorgehensweisen bewähren sich auch als
Hilfestellung bei Konfliktlösungen in Beziehungen, familiären Angelegenheiten und
belastenden Themen im zwischenmenschlichen Bereich. Insbesondere in
Krisensituationen sei es durch Arbeitslosigkeit oder Schicksalsschläge können die
logotherapeutischen Ansätze Unterstützung bieten und zum Verstehen der
Sinnhaftigkeit betragen. Dabei benützt sie als einziges vermittelndes Element die
Sprache. Lukas (2014) bezeichnet die Logotherapie als „eine therapeutische,
pädagogische, philosophische als auch seelsorgerliche Gesprächsform“ (Lukas
2014, S. 64). Das Ziel dabei ist, ein empathisches, vertrauensaufbauendes
Gesprächsklima zu erschaffen. Um dies zu ermöglichen, ist der/die Therapeut/in zu
einer unbedingten Annahme des Klienten/der Klientin als Person aufgerufen, als
auch die eigene Echtheit und Authentizität zu demonstrieren. Was nicht heißen
muss, dass auch das Gesagte des Klienten/der Klientin von dem Therapeuten/der
Therapeutin angenommen werden muss. So ist die Logotherapie nicht wertneutral,
ganz im Gegenteil. Das Gesagte wird prüfend reflektiert in Hinsicht dessen
Werthaftigkeit, Realitätsnähe und Verantwortbarkeit (vgl. Lukas 2014, Frankl 2012).
Diese überdenkende Reflexion des vom Klienten/von der Klientin Gesagten findet im
Dialog statt, der/die Therapeut/in tritt nicht als Belehrender auf, er hat auch keine
Spiegelfunktion. Bei diesem Gedankenaustausch bemühen sich beide in
sinngemäßer Übereinstimmung, der Wahrheit des Gesagten ein Stück näher zu
kommen. Für Frankl war es wichtig, dass die Werteneutralität nicht missbräuchlich
angewendet wird, in dem zum Beispiel der/die Therapeut/in seine Wertemaßstäbe
dem Klienten/der Klientin auferlegt. Seiner Auffassung nach, sind die Menschen in
ihren tiefsten inneren Schichten, selbst Maßstab des Werteerlebens in ihrem Dasein.
In diesem Sinne geht es bei der therapeutischen Begleitung der Klient/innen darum,
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diese vor Selbstverleugnung und Selbstverrat ihres wahren „Seins“ zu bewahren
(vgl. Lukas 2014, Frankl 1996). Frankl betont dazu: „Wenn wir davon ausgehen, dass
das Gewissen eine Art Sinn-Organ ist, dann gleicht es einem Souffleur, der einem
„eingibt“, in welche Richtung wir uns zu bewegen haben, um an die Sinnmöglichkeit
heranzukommen, deren Verwirklichung eine gegebene Situation uns abverlangt. An
diese Situation müssen wir aber jeweils einen bestimmten Maßstab anlegen, und
zwar einen Wertmaßstab“ (Frankl 1996, S.58).
Die folgenden Gesprächsfaktoren wurden von der Autorin Elisabeth Lukas (2014)
zusammengestellt, welche ihrer Auffassung nach übereinstimmend mit den
logotherapeutischen Ansätzen sind. Dabei handelt es sich um vier Gesprächsstil-
Elemente:
Die Person aufwerten
Zur Klarheit verhelfen
Mit Alternativen spielen
Dem Sinn nachspüren
Erstes Gesprächsstil-Element: Die Person aufwerten
Der amerikanische Psychologe Carl Rogers (1983) hat mit seinen Schriften bewusst
gemacht, wie wichtig ein respektvoller Umgang mit seelisch kranken Menschen in
den Therapien und Beratungsgesprächen ist. Um ein Vertrauensklima und eine
Mitarbeit des Klienten/der Klientin aufzubauen, braucht es eine aufrichtige Haltung
und Zugewandtheit des Therapeuten/der Therapeutin. Die Lehre Rogers konzentriert
sich auf ein geduldiges, wertfreies Anhören des Leides, gekoppelt mit freundlichen
Rückfragen und Ich-stärkenden Interventionen (vgl. Rogers 1983). Grundsätzlich
stimmt Lukas (2014) dieser Vorgehensweise zu, ergänzt jedoch mit der
logotherapeutischen Haltung, dass die zwei Positiva in jedem Menschen zu
erkennen sind. Das sind: die guten Seiten in der gegenwärtigen Situation und seine
zukünftigen Entfaltungsmöglichkeiten, welche vielleicht noch im Verborgenen
schlummern. Auf das Therapeutengespräch bezogen bedeutet das: jede Gelegenheit
zu nutzen um dem Ratsuchenden mit seinen beiden Positiva zu konfrontieren.
Anstelle des Nichtwertens ist das Aufwerten im Vordergrund. Natürlich verlangt das
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Aufrichtigkeit und Intuition von Seiten des Therapeuten/der Therapeutin und soll nicht
in ein gedankenloses Verteilen von Komplimenten ausarten (vgl. Lukas 2014).
Zweites Gesprächsstil-Element: Zur Klarheit beitragen
Eine bekannte Aussage von Frankl ist, dass das Leid den Menschen hellsichtig
macht, eine sogenannte philosophische Durchsichtigkeit des Lebens erschafft. Dies
kann im besten Fall so zutreffen, doch gibt es auch die andere Seite, in der
Menschen in der Folge eines Leides in eine große Verzweiflung und Verbitterung
fallen. In der therapeutischen Arbeit wird so auch das Lichten der inneren Schau von
leidtragenden Klient/innen zur Aufgabe des/der Beratenden. In solchen Fällen reicht
es laut Lukas (2014) nicht aus, wenn der/die Therapeut/in bloß präsent ist, obwohl
dies natürlich sehr wichtig ist, doch braucht der/die Klient/in auch anregendes
Material um Erkenntnis und Einsicht zu erlangen, eine Möglichkeit zur geistigen
Auseinandersetzung. Ein Beitrag zur Klarheit kann sein, dass vorschnelle
Interpretationen verringert werden, sowie das Aufdecken der Widersprüche. Dabei
können Kommunikationstechniken, wie Rückfragen, eine einladende Aufforderung
nach besserer Erklärung des Gesagten, eine Auflockerung von festgefahrenen
Ansichten ermöglichen (vgl. Lukas 2014).
Drittes Gesprächsstil Element: Mit Alternativen spielen
Alternativen wahrzunehmen, ist die Fähigkeit von einem frei unabhängig und
selbstbestimmt denkenden Menschen. Doch nicht immer ist es so einfach, sehr oft ist
es notwendig, dass der/die Therapeut/in im Dialog mit dem Klienten/der Klientin, erst
ein Fundament für alternative Vorgehensweisen erschaffen muss. Eine Möglichkeit
wäre, ähnlich eines Brainstormings gemeinsam spielend andere Reaktionen,
Antworten und Handlungen zu sammeln. Dabei lässt man der Phantasie freien Lauf,
in der Regel kommt der/die Klient/in sehr bald aus seinem vorherigen Denken, dass
er keine Wahl hat und nicht anders reagieren kann heraus. Im weiteren
Gesprächsverlauf kann in Ruhe eine geeignete Lösung für zukünftige alternative
Reaktionen ausgearbeitet werden (vgl. Lukas 2014).
Viertes Gesprächsstil-Element: Dem Sinn nachspüren
Im logotherapeutischen Gespräch ist der/die Therapeut/in sehr engagiert, den
Menschen mit seiner inneren Stimme in Verbindung zu bringen. Im Sinne eines
Nachspürens, was der Moment abverlangt, bezogen auf die gegenwärtigen
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Situationen im Leben, auch dessen Schutz und Wachstum. Auch wenn das
Entdeckte nicht immer einfach ist oder vom zuvor Gewünschten abweicht, kann es
doch von Dauer sein und zur Heilung beitragen. Lukas ist überzeugt: „Dass das
Leben einen bedingungslosen Sinn hat, den es unter keinen Umständen verliert, ist
unser „erst“klassiges Therapeutikum“ (Lukas 2014, S. 95). Die vier Gesprächsstile
fließen im Beratungsgespräch ineinander über, sie zeigen logotherapeutische
Interventionen auf und lassen sich mit den Methoden der Logotherapie sehr gut
kombinieren (vgl. Lukas 2014). Im nachfolgenden Kapitel wird auf die Methoden der
Logotherapie näher eingegangen.
6.3. Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse
Im Grunde besteht die Logotherapie und Existenzanalyse nicht aus einem
reichhaltigen Angebot von Methoden und Techniken. Es liegt vielmehr an der
Befähigung des/der behandelnden Therapeuten/Therapeutin, sein
Methodenrepertoire individuell zu wählen und auf die jeweiligen Bedürfnisse und
belastenden Lebensumstände eines jeden Klienten/einer jeden Klientin abzustimmen
(vgl. Lukas 2014). Grundsätzlich lassen sich zwei große Richtungen in der heutigen
Anwendung der Logotherapie und Existenzanalyse unterscheiden: Einerseits die
Ausprägung rund um den Einflussbereich von Elisabeth Lukas, die sich eng an der
ursprünglichen Lehre von Viktor E. Frankl orientiert und andererseits die
Weiterentwicklung der Logotherapie und Existenzanalyse von Alfried Längle, der die
Grundkonzepte von Frankls Lehre ausgebaut und die Personale Existenzanalyse als
eigenständiges und umfassendes therapeutisches Verfahren begründet hat. Im
Folgenden werden sowohl die Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse nach
Viktor E. Frankl und Elisabeth Lukas sowie die Methoden der Personalen
Existenzanalyse nach Alfried Längle näher vorgestellt.
Dereflexion
Die Dereflexion wird bei Menschen angewendet, die sich in einer übersteigernden
Selbstbeobachtung befinden. Sei es um ein Symptom, ein psychisches Befinden
oder die Ausübung einer Tätigkeit. Wenn es um Krankheiten geht, so können sich
Symptome durch die intensive Hyperreflexion durchaus verschlimmern. Das
Gelingen von Tätigkeiten wird durch permanentes Beobachten der jeweiligen
Ausführung behindert, da es die unbewussten Prozesse stört. In der Anwendung der
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Dereflexion wird die erhöhte Aufmerksamkeit umgelenkt. Sei es auf einen der
Situation innewohnenden Wert, oder die Möglichkeit einer Sinnverwirklichung. Lukas
spricht von einem Wandel, weg vom egozentrierten Denken hin zu einer
sinnorientierten Hingabe. Durch die Möglichkeit zur Selbsttranszendenz, kann dann
inneres Wachstum stattfinden. (vgl. Lukas 1986).
Die paradoxe Intention
Die paradoxe Intention bietet die Möglichkeit zur Selbstdistanzierung, indem die
psychisch bedingten Auslöser durch eine Abwendung unwirksam werden. Bei den
Auslösern geht es vor allem um eine negative Erwartungshaltung insbesondere bei
Ängsten (vgl. Lukas 2014). Um den Kreislauf der selbsterfüllenden Prophezeiung zu
unterbrechen, wünscht sich der/die Klient/in das zuvor Befürchtete, natürlich nur für
einen kurzen Moment. So soll sich zum Beispiel ein/e Klient/in, welche/r unter einer
Errötungsangst leidet, wünschen, dass er/sie bei der nächsten Situation knallrot wird.
Sollte jemand Angst haben vor einer Gruppe zu reden, wünscht sich diese Person,
dass sie vor lauter Angst kein Wort rausbringt und sich total blamiert (vgl. Frankl,
2015). In der Anwendung und Vermittlung der paradoxen Intention spielt der Humor
eine bedeutende Rolle, für den therapeutischen Effekt ist es auch wichtig, dass
der/die Therapeut/in den Mut hat, dem Klienten/der Klientin das Eintreffen des
Befürchteten mit überschwänglichem Stil zu demonstrieren. Laut Frankl (2014, S.
244) wird durch diese Art und Weise des Vorgehens, „der Angst der Wind aus den
Segeln genommen“, der zwanghafte Mechanismus durchbrochen.
Einstellungsmodulation
Der Begriff der Einstellungsmodulation wurde von der Frankl-Schülerin Elisabeth
Lukas ins Leben gerufen. Dabei wird dem Klienten/der Klientin vermittelt, seine
geistige Einstellung zu einem positiven oder negativen Zustand zu verbessern. Ein
positiver Sachverhalt ist verbesserungsbedürftig, wenn die Errungenschaften und
Lebensumstände reichhaltige Ressourcen darstellen, jedoch von der betreffenden
Person nicht wertgeschätzt werden, indem sie trotzdem ein freudloses, jammerndes
Dasein pflegt. Hier hilft laut Lukas die Methode der Einstellungsmodulation um den
„Willen zum Sinn“ zu aktivieren (Lukas 2014, S.102). Bei negativen Tatbeständen,
wird der Fokus darauf gelenkt, eine innere positive Einstellung zu erreichen, in
Übereinstimmung mit dem persönlichen Gewissen. Ist der negative Sachverhalt
unveränderbar, sei es durch Krankheit oder Schicksalsschläge, bleibt doch die
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Freiheit, eine andere Einstellung zu wählen erhalten, eine geistige Haltung
einzunehmen, wie das Unveränderbare getragen wird (vgl. Lukas 2014).
Methoden aus der Personalen Existenzanalyse nach Alfried Längle
Der Frankl-Schüler Alfried Längle hat mit der Personalen Existenzanalyse ein
eigenständiges Therapieverfahren entwickelt, in dem die Logotherapie und
Existenzanalyse nach Frankl einen integralen Bestandteil darstellt. In der Personalen
Existenzanalyse nach Längle wird jedoch das Verständnis des Menschseins und der
Wege, wie der Mensch zu einer erfüllten Existenz gelangen kann, nicht mehr alleinig
an die logotherapeutische Hauptmotivation „Sinn“ gebunden, sondern um drei
weitere existenzielle Grundmotivationen erweitert.
Die vier Grundmotivationen
Die vier Grundmotivationen beziehen sich auf die tiefsten im inneren liegenden
Beweggründe des Menschen. Dabei geht es um die vier Grundbedingungen der
Existenz, die Gegebenheiten auf die der Mensch in der Welt trifft, und welche tiefen
Motivationen und Gelegenheiten sich daraus für ihn ermöglichen: Im Sein-Können,
Leben-Mögen, Selbstsein-Dürfen, Sinnvolles-Wollen. In jeder Grundmotivation
zeichnet sich ein existenzieller Aspekt des menschlichen Seins ab (vgl. Längle
2013). Im Beratungsgespräch in der existentiellen Auseinandersetzung wird auf vier
Dimensionen eingegangen: Faktizität, Wert, Identität und Sinn (vgl. Längle 2014).
Die Personale Positionsfindung
Bei dieser Methode wird in drei Schritten an einem Aufbau einer stabilen emotionalen
Grundlage gearbeitet, um eine zuverlässige Entscheidungsfähigkeit zu erzielen. Die
Vorgehensweisen werden bei Opferhaltungen, Falscheinschätzungen, Verstricktsein
in ein Thema, als auch bei generalisierenden Mutmaßungen und festgefahrenen
Glaubenssystemen angewendet. Mit gezielten Fragetechniken wird mit der Position
nach außen, nach innen sowie zum Positiven gearbeitet (vgl. Längle 2014).
Die Willensstärkungsmethode
Obwohl der Wille beim Menschen den Mittelpunkt für Größe und Freiheit darstellt, ist
der Mensch in so manchen Aspekten dem Willen ausgeliefert. So besteht nicht die
Möglichkeit das Wollen zu wollen oder über dem Willen zu bestimmen, ihm vom
Intellekt heraus Vorgaben zu machen (vgl. Längle 2014). Frankl dazu: „Wir müssen
© Roswitha Schmuck 34
es dem Willen überlassen, etwas zu wollen oder es nicht aufzugreifen“ (Frankl 1982,
S.76). Für den Klienten/die Klientin muss es einen subjektiven Wert geben um den
Willen in Gang zu bringen, diesen muss er selbst wahr und wichtig nehmen, um eine
Zielerreichung zu ermöglichen. Bei der Willensstärkungsmethode wird der Wille
wachgerufen, gesammelt, formiert und auch kritisch hinterfragt. Laut Längle (2014)
unterstützt die Anwendung die Entschlossenheit des Menschen sich auf einen
gewählten Wert einzulassen, wenn die Sinnhaftigkeit immer deutlich im Blickwinkel
bleibt. Die Methode eignet sich, wenn Gewolltes nicht umgesetzt wird, Mangel an
Durchhaltevermögen besteht und Unklarheiten und Unwissen bezüglich des eigenen
Wollens sich zeigen (vgl. Längle 2014).
© Roswitha Schmuck 35
7. Logotherapeutische und existenzanalytische Ansätze für HSP-
Klient/innen
Die Gesprächsform der Logotherapie und Existenzanalyse scheint für hochsensible
Menschen äußerst gut geeignet zu sein, da die Auseinandersetzung mit dem „Sinn
des Lebens“ und dem Verstehen der Sinnhaftigkeit für HSP ein zentrales Thema ist.
Sie zeigt sich bei der Berufswahl, in den persönlichen Beziehungen, im Umgang mit
physischen und psychischen Themen, ihren Lebensumständen und alltäglichen
Anforderungen. So kann die Frage nach dem Sinn von HSP tief beeindruckend
wahrgenommen werden, im Positiven als auch im Negativen. Die
Auseinandersetzungen mit den vier Grundmotivationen sowie auch die Wertearbeit
sind Vorgehensweisen, die HSP eine Möglichkeit zur Selbstreflexion bieten. Die
Fähigkeit über sich selbst, über die eigene Persönlichkeit, über das (eigene) Leben
nachzudenken, zu hinterfragen, ist für HSP nicht neu, man könnte sagen, es wurde
ihnen mit ihrem angeborenen Persönlichkeitsmerkmal in die Wiege gelegt. Da viele
HSP schon ihr ganzes Leben lang, das Gefühl haben anders zu sein oder dass mit
ihnen etwas nicht stimmt, kann die Selbstdistanzierung neue Perspektiven eröffnen.
Die Methoden Dereflexion, Einstellungsmodulation und die paradoxe Intention
können sich für HSP als ein sehr praktikables Handwerkszeug erweisen, um von der
Hyperreflexion wegzukommen und Überreaktionen sowie Überstimulationen zu
verringern und vorzubeugen. Doch auch das Einnehmen von neuen Einstellungen
als auch der unkonventionelle Ansatz seinen Ängsten zu begegnen, wie in der
Anwendung der paradoxen Intention, kann durchaus hilfreich für Hochsensible sein,
da sie sehr offen sind für Neues und stetig auf der Suche nach brauchbaren
Hilfsmitteln, um mit ihrer Veranlagung zurecht zu kommen. Zusammenfassend kann
man sagen, dass das Menschenbild, die Heilkunde als auch das Weltbild der
Logotherapie sehr ansprechend für HSP sein kann. Die vorliegende Arbeit geht der
Frage nach, ob und wie der Einsatz von Methoden der Logotherapie und
Existenzanalyse in der Lebens- und Sozialberatung eine Hilfestellung für HSP
ermöglichen kann.
© Roswitha Schmuck 36
8. Forschungsfragen
Aufgrund der oben genannten Ausführungen kann sich die Logotherapie und
Existenzanalyse sehr gut für die Beratung von hochsensiblen Personen eignen.
Daher soll mit der vorliegenden Arbeit untersucht werden, ob der Einsatz von
logotherapeutischen und existenzanalytischen Ansätzen in der Lebensberatung eine
Unterstützung für hochsensible Personen sein kann. Des Weiteren soll aufgezeigt
werden, welche spezifischen Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse für
HSP in verschiedenen Lebensbereichen hilfreich sein können. Die ersten beiden
zentralen Forschungsfragen dieser Arbeit lauten daher:
FF1: Können die logotherapeutischen und existenzanalytischen Ansätze für
hochsensible Personen eine Unterstützung sein?
FF2: Welche Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse können HSP bei den
beruflichen Anforderungen, im sozialen Umfeld und in den persönlichen
Beziehungen unterstützen?
Schließlich hat die bisherige Forschung gezeigt, dass Hochsensible häufig mit
verschiedenen Problemen in Therapien und Beratungen konfrontiert sind, wie etwa,
dass zu wenig auf ihre sensible Veranlagung eingegangen wird oder der/die
Berater/in über zu wenig Vorwissen über dieses Persönlichkeitsmerkmal verfügt (vgl.
Sellin, 2012). Daher ist es ein weiteres Ziel dieser Arbeit, herauszufinden, welche
Bedeutung die Thematisierung des Persönlichkeitsmerkmals Hochsensibilität in der
logotherapeutischen Lebensberatung hat. Daher lautet die dritte Forschungsfrage:
FF3: Ist die Thematisierung der Hochsensibilität, in der logotherapeutischen
Lebensberatung wichtig?
© Roswitha Schmuck 37
9. Empirischer Teil
9.1. Methode
9.1.1. Ablauf der Studie
Um die oben genannten Forschungsfragen zu untersuchen, wurden aus
vorhergehenden Beratungen drei Klienten/innen kontaktiert, bei denen sich
Merkmale zeigten, welche auf eine mögliche Hochsensibilität hinwiesen. Die
Klienten/innen hatten zuvor noch keine Erfahrungen in Bezug auf die Thematisierung
der Hochsensibilität und den Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse in
Beratungen gemacht. Im ersten Schritt wurde ein Fragebogen verschickt, der von
den Teilnehmer/innen ausgefüllt zurückgesendet wurde. Aufgrund ihrer Testwerte im
Fragebogen bestätigte sich die Annahme, dass die drei Personen (2 weiblich, 1
männlich) im Alter von 30 bis 48 Jahren hochsensible Personen sind. Daraufhin
wurde telefonisch Kontakt aufgenommen, um die Teilnahme am empirischen Teil
meiner Abschlussarbeit zu besprechen. Im zweiten Schritt wurden mit jedem
Klienten/jeder Klientin zwei logotherapeutische Beratungen im Abstand von jeweils
14 Tagen durchgeführt. Nach weiteren 14 Tagen wurde mit jedem Klienten/jeder
Klientin ein leitfadengestütztes Interview (Helferich 2011) durchgeführt. Zur
Durchführung des leitfadengestützten Interviews wurde ein Leitfaden in Anlehnung
an Helferich (2011) entwickelt. Ziel des leitfadengestützten Interviews war die
Evaluierung der Beratungen (siehe Leitfaden im Anhang). Die Interviews wurden
nach Mayring (2002) transkribiert (Methode: Wörtliche Transkription mit Übertragung
ins Schriftdeutsche, siehe Anhang) und ausgewertet. Alle Teilnehmer/innen wurden
über die Aufzeichnung und Dokumentation der Beratungen und Interviews informiert
und gaben ihr schriftliches Einverständnis zur Teilnahme und zur Verwendung ihrer
Daten für wissenschaftliche Zwecke und in anonymisierter Form.
9.1.2. Fragebogen
Der Fragebogen diente dazu, hochsensible Personen für die vorliegende Arbeit zu
rekrutieren. Eine leicht modifizierte Version der HSP-Skala nach Aron (2015a) wurde
im Fragebogen verwendet, die zusätzlich mit Fragen aus dem HSP-Fragebogen von
Sellin (2012) ergänzt wurde. Insgesamt enthielt der finale Fragebogen 31 Aussagen,
die mit „zutreffend“ oder „nicht zutreffend“ beantwortet werden konnten (siehe
Anhang). Nach Aron (2015a) kann eine Person als HSP identifiziert werden, wenn
mehr als 52 % der Aussagen mit „zutreffend“ beantwortet werden. Die für die
vorliegende Arbeit ausgewählten Teilnehmer/innen beantworteten mehr als 70 % der
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Aussagen mit „zutreffend“ (Genaue Werte: 23, 25, 27) und konnten somit als HSP
bezeichnet werden.
9.1.3. Angewendete Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse
In den Beratungen wurden die logotherapeutische Gesprächsform und die
Gesprächsstilelemente nach Elisabeth Lukas angewendet (vgl. Lukas 2014).
Themenspezifisch wurde das Menschenbild der Logotherapie, die Trotzmacht des
Geistes, die Sinnfrage, die Dialektik von Schicksal und Freiheit besprochen. Darüber
hinaus wurde mit den folgenden logotherapeutischen Methoden gearbeitet.
Die Auseinandersetzung mit den vier Grundmotivationen:
Für den Gesprächsaufbau und Vertiefung der Inhalte wurde mit den vier
Grundmotivationen: Sein-Können - Leben-Mögen - Selbstsein-Dürfen und
Sinnvolles-Wollen gearbeitet. Daraus wählten die Klient/innen ein aktuelles Thema,
bei dem die Hochsensibilität derzeit als Belastung wahrgenommen wird. Die
Methode ist sehr gut geeignet um in der existentiellen Ausauseinandersetzung auf
die vier Dimensionen – Faktizität, Wert, Identität und Sinn einzugehen (vgl. Längle
2014).
Dereflexion:
Die Methode Dereflexion hat sich bewährt um einer übersteigerten
Selbstbeobachtung von physischen Symptomen entgegenzuwirken, als auch um das
erhöhte beobachten eines Verhaltens einer nahestehenden Person zu unterbrechen
und den Fokus zu verändern. Dabei wird die erhöhte Aufmerksamkeit auf einen
positiven Aspekt umgelenkt und das Erkennen eines Wertes ermöglicht (vgl. Lukas
1986).
Willensstärkungsmethode:
Diese Vorgehensweise wird angewendet, um die Motivation einer neuen Wahl und
ein verändertes Verhalten anhaltend zu verstärken. Um dies zu erreichen wird ein
bereits vorhandener innerer Wert aufgegriffen, um die Entschlossenheit und den
Willen zur Umsetzung aufrecht zu erhalten. Die Methode eignet sich, wenn Gewolltes
nicht umgesetzt wird, Mangel an Durchhaltevermögen besteht und Unklarheiten und
Unwissen bezüglich des eigenen Wollens sich zeigen (vgl. Längle 2014).
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Einstellungsmodulation (Finale Vorleistung):
Diese Methode erweist sich als sehr hilfreich um ein festgefahrenes Muster im
Beziehungserleben zu unterbrechen. Die Finale Vorleistung ist ein Willensakt,
welcher gewollt von einem der Beteiligten gesetzt wird. Die Handlung (neues
Verhalten) wird auf ein Ziel gerichtet, jedoch ohne die Erwartung, dass sich dadurch
auch der Konfliktpartner verändert oder eine positive Aktion setzt. Ein/e Beteiligte/r
wählt sich beständig anders zu verhalten, auch wenn die andere Person gleich
weitermacht. Die Methode ist eine hilfreiche Maßnahme um in scheinbar
festgefahrenen Konfliktsituationen, für die Betroffenen einen Handlungsspielraum zu
ermöglichen. (vgl. Lukas 2008).
Die Vergangenheit neu bewerten – Reframing:
Diese Vorgehensweise ermöglicht eine neue Perspektive und Stellungnahme
bezüglich vergangener Entscheidungen. Dabei werden die vergangenen Wahlen und
Handlungen mit dem gegenwärtigen Wissen objektiv betrachtet, in einen neuen
Bezugsrahmen gesetzt und neu bewertet. Die Methode bewährt sich, wenn der/die
Klient/in sich Vorwürfe bezüglich vergangener Wahlen macht (vgl. Aron 2015b).
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9.2. Dokumentation der Fallbeispiele
9.2.1. Fallbeispiel 1
1. Beratung mit Teilnehmerin 1
Teilnehmerin 1 ist laut HSP-Fragebogen eine hochsensible Person. Über
Hochsensibilität hat sie schon gelesen und dabei vermutet, selbst eine HSP zu sein.
Wir besprechen die Thematik der Hochsensibilität und wie ihre erhöhte
Wahrnehmung den Bereich Lebensstil, Gesundheit, soziale Beziehungen und Arbeit
beeinflusst. Die Klientin hat ihren Lebensstil sehr auf ihre Hochsensibilität
abgestimmt. Sie meidet große Gruppen und Menschenansammlungen sowie
extreme Reizüberflutungen. Ihren Worten folgend: „Ich schaue auf mich und meine
empfindsamen Bedürfnisse.“ Auch die Urlaube, Hobbies und Freizeitaktivitäten sind
auf ihre erhöhte Empfindsamkeit abgestimmt. Dabei findet die Familie Kompromisse,
sodass es für alle Familienmitglieder passend ist. Teilnehmerin 1 achtet aufmerksam
auf ihre Gesundheit, sie ernährt sich biologisch und bewegt sich auch gerne in der
Natur. Die Hochsensibilität spürt sie intensiv an der Körperwahrnehmung, dazu sagt
sie lachend: „Ich spüre, wenn meine Haare wachsen.“ Wenn sie unerklärliche
Schmerzen hat, kommt es leicht zu einer Überreaktion und Angst, dass es
möglicherweise eine schlimme Krankheit sein könnte. Beruflich ist Teilnehmerin 1 als
selbstständige Yogalehrerin sehr erfolgreich. Sie berichtet, dass sie ihre berufliche
Tätigkeit als erfüllend wahrnimmt. Hier hat sie ein Umfeld, in dem sie ihre
Hochsensibilität als Qualität und Gabe leben kann. In ihren sozialen Beziehungen
empfindet die Klientin ihre erhöhte Wahrnehmung und die Neigung zur
Überstimulation des Öfteren als unangenehm. Auch das Gefühl anders, kompliziert
und eine Außenseiterin zu sein, wird ihr manchmal aufgrund der Reaktionen und
Aussagen von ihren Mitmenschen vermittelt. Doch so geht es mir schon mein ganzes
Leben, sagt sie tief berührt. Sie spricht auch davon, wie schwer es ist, permanent
Kompromisse einzugehen. Entscheide ich mich für die soziale Gesellschaft, obwohl
es mir dann bei Kontakten gar nicht gut geht, oder geht es in Richtung Isolation? Sie
spricht von einer Handvoll Leuten, bei denen sie sich wohl fühlt und einfach so sein
kann, wie sie ist. Als sehr belastend empfindet die Klientin ihre Hochsensibilität in der
Partnerbeziehung. Von ihrem Lebensgefährten bekommt sie bezüglich ihrer
überreizten Reaktionen kein Verständnis, ganz im Gegenteil. Er spricht von
Übertreibung und kritisiert sie täglich mit Aussagen wie: „Sei nicht so empfindlich, du
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nervst mit deinem Übertreiben, was hast du schon wieder, kannst du nicht einmal
eine Ruhe geben.“ „Täglich habe ich das Gefühl, dass ich so wie ich bin, für meinen
Partner nicht annehmbar bin, jeder Tag ist ein Kompromiss“, erzählt sie weinend.
Ich frage sie, ob sie die Partnerbeziehung als Thema für die Arbeit mit der
Logotherapie und Existenzanalyse wählen möchte. Teilnehmerin 1 ist einverstanden.
Als Einstieg erkläre ich das Menschenbild der Logotherapie, dann arbeiten wir mit
den vier Grundmotivationen der Personalen Existenzanalyse (vgl. Längle/Bürgi
2014). Wir besprechen, wie sie die Beziehung zu ihrem Lebensgefährten erlebt, was
sie motiviert und erfüllt. Teilnehmerin 1 erlebt die Partnerbeziehung als sehr
anstrengend, als Grund sieht sie hauptsächlich die Unterschiede in der
Wahrnehmung. Sie ist motiviert, eine gemeinsame Lösung zu finden, für
gegenseitiges Verstehen der Andersartigkeit.
Der Auftrag von Teilnehmerin 1 ist, an der Beziehung und an ihrer Einstellung zu
ihrem Partner zu arbeiten.
Wir arbeiten mit den vier Grundmotivationen. Teilnehmerin 1 erzählt, dass sie in
ihrem Muttersein, im Beruf und mit wenigen engen Freunden und beim Erleben ihrer
Interessen, sie selbst sein kann und das Gefühl der gegenseitigen Annahme und
Wertschätzung erfährt. Nicht so in der Partnerbeziehung, permanent hat sie das
Gefühl nicht so sein zu können und zu dürfen, wie sie ist. Sie findet, dass sich beide
in der Beziehung nicht frei fühlen und das gemeinsame Beziehungserleben nicht
mögen. Die täglichen Auseinandersetzungen empfindet sie auf essentieller Ebene
zutiefst verletzend. Trotz allem sieht sie Sinn am gemeinsamen Ziel, die Kinder bis
zur Selbstständigkeit zu begleiten. Da gibt es Einigkeit, in der Grundeinstellung, in
der Haltung, jedoch nicht in der Vorgehensweise. Sie fährt fort, wie sehr sie die
Einstellung, dass Familie und Kinder an erster Stelle kommen von ihrem Partner
schätzt. Ihre Worte dazu: „Er ist ein herzensguter Mensch, in vielen Bereichen
großzügig und tolerant, so hat er meine Yogaausbildung sehr unterstützt, sowohl
finanziell als auch im familiären Bereich. Wir können im Moment nur unser Elternsein
leben, doch ich möchte am Thema weiterarbeiten, dass sich die täglichen
Reibungspunkte verringern und unsere Beziehung wieder Qualität bekommt.“ Am
gemeinsamen Erziehungsauftrag kann sie für beide einen sehr hohen Wert
erkennen, eine gemeinsame Hingabe an die Aufgabe der Elternschaft. Aus dieser
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Einsicht schöpft sie Kraft und Motivation, mit den täglichen Uneinigkeiten zurecht zu
kommen.
Ich mache eine Zusammenfassung der besprochenen Themen und wir kommen zum
Abschluss. Ich frage die Klientin. wie es ihr jetzt geht. Sie antwortet: „Mir geht es gut,
es ist einiges in Bewegung gekommen, im positiven Sinne. Ich habe es auch als sehr
angenehm empfunden, einfach mal frei über meine Hochsensibilität reden zu
können.“ Wir besprechen die Vorgehensweise für das nächste Gespräch und
schließen das Beratungsgespräch.
2. Beratung mit Teilnehmerin 1
Teilnehmerin 1 erscheint mit sehr guter Laune zur Beratung. Ich frage, wie es ihr
geht und wie sie sich nach unserem letzten Treffen gefühlt hat. Sie erzählt, dass sie
sehr viel in Bezug auf die Beziehung nachgedacht und reflektiert hat. Dabei habe sie
sich auch immer wieder mit den vier Grundmotivationen und ihren Notizen
auseinandergesetzt. Sie schließt mit: „Wir müssen unbedingt, an den täglichen
Reibereien etwas verändern, das steht so an.“
Wir arbeiten am Auftrag von Teilnehmerin 1 weiter. Sie entscheidet sich für ein
Etappenziel. Dabei geht es darum, dass der Lebensgefährte mehr von den täglichen
Anforderungen mit den Kindern übernehmen soll. Sie sagt, wenn ich ihn darum bitte,
sagt er, ja kein Problem. Bei der Ausführung ist er jedoch des Öfteren unzuverlässig,
zum Beispiel vergisst er obwohl vereinbart, ein Kind vom Bahnhof abzuholen, oder er
kommt in der Regel zu spät. Durch dieses Verhalten kommt Teilnehmerin 1 in einen
Dauerstress, da sie ja eine hochsensible Person ist, braucht sie klare Regeln,
Zuverlässigkeit und Sicherheit. Sie äußert sich dazu: „Täglich bin ich in einer
Überreaktion und Überstimulierung. Ich kritisiere sein Verhalten, nörgle und jammere
herum, doch damit geht’s mir nur noch schlechter, sagt sie sehr bedrückt.“
Zu Beginn wähle ich mit der Dialektik von Schicksal und Freiheit zu arbeiten.
Bei dieser Vorgehensweise geht es darum, herauszuarbeiten, in welchen Bereichen
in der Partnerbeziehung zum aktuellen Thema die Klientin das Gefühl hat, dass sie
keine Wahlmöglichkeit hat (schicksalhafter Bereich) und wo sie einen persönlichen
Freiraum sehen kann, eine Wahlmöglichkeit.
Zum schicksalhaften Bereich notieren wir:
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Zweifel, Unsicherheit, sich nicht frei fühlen, sie hat den Löwenanteil in der
Organisation und Betreuung der Kinder, als HSP plant sie voraus, der Partner plant
gar nicht, das empfindet sie als unzuverlässig, sie übernimmt mehr um sich den
Stress des Einforderns zu ersparen und nicht enttäuscht zu werden, hat das Gefühl,
dass sie kritisieren muss, fühlt sich nicht frei, da sie Bereiche der Kindererziehung
nicht wirklich abgeben kann.
Zum persönlichen Freiraum notieren wir:
Sich über Worte Klarheit schaffen, die Konsequenzen der Unzuverlässigkeit dem
Partner übergeben, die Erkenntnis, dass der Partner sehr oft die großen Sachen
übernimmt, die Großzügigkeit des Partners in anderen Bereichen schätzen, dem
schicksalhaften Bereich weniger Beachtung schenken, Aufhören mit dem Jammern,
Nörgeln und Kritisieren.
Ich frage Teilnehmerin 1 bei welchem der gesammelten Themen zum persönlichen
Freiraum sie sich am meisten angesprochen fühlt. Sie sagt sofort: „Dass ich mit dem
Kritisieren, Nörgeln und Jammern aufhöre, das kostet so viel Kraft, das ist mein Ziel!“
Meiner Frage, ob dieses Ziel dem zuvor gewählten Etappenziel vorausgeht, stimmt
die Klientin zu.
Zur Unterstützung biete ich Teilnehmerin 1 die Methode Finale Vorleistung (eine
Methode der Einstellungsmodulation von Elisabeth Lukas) an. Ich erkläre, worum es
bei dieser Methode geht. Teilnehmerin 1 wählt als finale Vorleistung, dass sie
bezüglich ihres Lebensgefährten mit dem Kritisieren, Nörgeln und Jammern aufhören
will. Wir festigen die Wahl, indem wir anhand eines Rollenspiels ihr neues Verhalten
durchspielen. Des Weiteren ermuntere ich sie, sich kurz geistig das neue Verhalten
vorzustellen um abzuklären, ob es in ihrem Inneren wirklich stimmig ist und sie sich
nicht überfordert. Nach dieser Innenschau, atmet Teilnehmerin 1 tief durch und sagt:
„Ja, das fühlt sich gut an, es ist nicht neu für mich, mir ist unser Muster bekannt und
ich weiß auch, es wird sich Einiges verändern, wenn ich auf sein Verhalten anders
reagiere.“
Ich mache noch eine kurze Zusammenfassung vom Gespräch, dann schließen wir
das Beratungsgespräch.
© Roswitha Schmuck 44
9.2.2. Fallbeispiel 2
1. Beratung mit Teilnehmerin 2
Teilnehmerin 2 ist nach Auswertung des HSP-Fragebogens eine Hochsensible
Person. Sie hat bereits von Hochsensibilität gehört und darüber gelesen. Was für sie
neu ist, ist die Information, dass das Persönlichkeitsmerkmal Hochsensibilität
angeboren ist. Sie dachte, es hätte mit den Erfahrungen der Kindheit zu tun, wenn
man sensibel reagiert oder sehr schnell überreizt ist. Ihre eigene Veranlagung sieht
sie durchaus als Gabe und Talent, welches sowohl im Freundeskreis als auch in
ihrer Familie wertgeschätzt wird. Wir gehen näher auf die Themen Lebensstil,
Gesundheit, soziale Beziehungen und Arbeit ein. Teilnehmerin 2 achtet auf einen
ruhigen Lebensstil, kein Lärm und keine großen Menschenansammlungen. Sie ist
gerne alleine in der Natur, die Möglichkeit eines Rückzugs ist ihr wichtig. Zum Thema
Gesundheit ist ihr Motto: „Krankheit hat in meinem Leben keinen Platz, deshalb
ernähre ich mich gesund, mache Sport und kümmere mich auch um mein
psychisches Wohlbefinden.“ Das Sozialleben von Teilnehmerin 2 beschränkt sich auf
Familie und den Kontakt zu einer engen Freundin und einer Arbeitskollegin. Mehr
brauche ich nicht, ich halte nichts von oberflächlichen Bekanntschaften und
unbedeutenden Gesprächen, erklärt sie dazu. Bei ihrer Arbeit hat sie sich sehr wohl
gefühlt, da sie mit einer Kollegin, welche sie auch als HSP einschätzen würde ein
Büro geteilt hat. Zurzeit ist Teilnehmerin 2 in Karenz und kümmert sich um ihren 15-
Monate alten Sohn.
Ich frage, ob es ein Thema gibt, bei dem sie die Hochsensibilität als Belastung
empfinde?
Darauf antwortet sie, dass sie von Schuldgefühlen geplagt wird, bezüglich ihres
Sohnes. Sie habe sich während der Schwangerschaft sehr bewusst ernährt, sehr
darauf geachtet, nicht zu viel Gewicht zuzulegen. Dann ist ihr Sohn zur Welt
gekommen und hat nur 2,45 kg gewogen. Der zuständige Arzt hat ihr erklärt, dass
sie regelmäßig zur Nachsorgeambulanz müsse, weil bei so wenig Gewicht die
Entwicklung beobachtet werden müsse. Ihre Reaktion darauf war sofort: „Ich bin
Schuld, ich habe in der Schwangerschaft zu wenig gegessen.“ Seitdem schaut sie
bei jeder Entwicklungsphase, obwohl alles der Norm entspricht, vergleicht ihr Kind
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mit Gleichaltrigen, macht sich Sorgen, wenn der Kleine mal an einem Tag weniger
isst, rennt ihm mit dem Essen hinterher.
Der Auftrag von Teilnehmerin 2 ist: An der Überreaktion und den Schuldgefühlen zu
arbeiten.
Wir besprechen das Menschenbild der Logotherapie, als Intervention wähle ich die
Methode Dereflexion, mit Berücksichtigung der Hochsensibilität. Es werden die
gegenwärtigen Auslöser der Überreaktion und Überstimulation herausgearbeitet.
Teilnehmerin 2 kann erkennen, dass sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf die
scheinbaren Mängel in der Entwicklung ihres Kindes lenkt. Sie sagt, dass es ihr nun
klar ist, wie sie sich selbst in die Überreaktion bringt und dann, wenn sie
überstimuliert ist, kommen die Schuldgefühle. Schlussendlich kreisen ihre Gedanken
und auch Emotionen nur mehr um die Schuldgefühle. Das bedeutet, zuerst ist
Teilnehmerin 2 in einer Hyperreflexion indem sie ihr Kind ständig beobachtet,
bewertet und vergleicht. Dabei liegt die ganze Aufmerksamkeit beim Negativen,
daraufhin gibt sie sich die Schuld und geht wieder in eine Hyperreflexion in Bezug
auf ihre falschen Entscheidungen und Fehler in der Vergangenheit.
Ich erkläre der Klientin die Vorgehensweise der Dereflexion, bezogen auf das
aktuelle Thema. Gemeinsam wird eine veränderte Vorgehensweise bezüglich der
Hyperreflexion erarbeitet. Teilnehmerin 2 will sich von der erhöhten Beobachtung
ihres Sohnes ablenken, indem sie ihre ganze Aufmerksamkeit zum Positiven lenkt.
Das Kind einfach annimmt, wie es ist, Vertrauen hat, dass der Kleine sich gesund
entwickelt, einfach mit ihm spielt und Spaß hat. Sie erkennt: „Das Schöne an der
Hochsensibilität ist, dass man ja auch im Positiven eine erhöhte Wahrnehmung hat.“
Ich motiviere sie, ihre soeben gewählte neue Einstellung in Ruhe geistig
durchzugehen, um zu schauen, ob es im Innern stimmig ist. Nach einer kurzen Weile
sagt sie: „Ja, das fühlt sich gut an, ich glaube das krieg ich hin.“
Ich mache eine Zusammenfassung der wichtigsten Bereiche des Gesprächs und
frage Teilnehmerin 2 wie es ihr jetzt geht? Ihre Antwort: „Ich bemerke schon eine
Erleichterung, es war das erste Mal, dass ich mit jemanden über meine
Schuldgefühle gesprochen habe und der Bezug zur Hochsensibilität und meinen
Überreaktionen war hilfreich. Generell fand ich die Informationen, wie sich die
Hochsensibilität in allen Lebensbereichen zeigt, als sehr interessant und auch
aufschlussreich.“
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Wir besprechen die weiteren Vorgehensweisen für das nächste Gespräch und
schließen das Beratungsgespräch.
2. Beratung mit Teilnehmerin 2
Teilnehmerin 2 erzählt, dass es ihr die letzten zwei Wochen nach unserem
Beratungsgespräch sehr gut gegangen ist. Auch die Anwendung der Dereflexion
hätte gut funktioniert, sie kann jetzt entspannter mit ihrem Sohn umgehen. Die
Schuldgefühle sind weniger geworden, jedoch noch nicht ganz weg. Sie mache sich
noch Vorwürfe, warum sie sich während der Schwangerschaft nicht besser bei ihrem
Arzt informiert hat.
Dazu biete ich ihr eine hilfreiche Übung aus dem Arbeitsbuch für Hochsensible von
Elaine Aron an. Die Übung „Neubewertung der Vergangenheit“. Dabei ruft man sich
die Zeit des Ereignisses ins Gedächtnis zurück, die Stimmungen, Einstellungen und
auch das damalige Wissen, aus dem heraus man Entscheidungen getroffen hat (vgl.
Aron 2015b).
Dabei kann Teilnehmerin 2 erkennen, dass sie sich in der Schwangerschaft sehr
bewusst ernährt hat. Sie hat keine Süßigkeiten gegessen und auch nicht zu
fetthaltige Speisen, doch sie hat nicht gehungert. Sie meint: „Ja, ich hätte mich bei
meinem Arzt besser informieren sollen, ob ich genug esse und alles in Ordnung ist.
Das würde ich aus jetziger Sicht machen.“ Sie versteht nun auch, dass sie nach der
Geburt, als sie gesehen hat, dass das Kind nur sehr wenig Gewicht hatte, in eine
Überreaktion gegangen ist und „sich“ sofort die Schuld gegeben hat. Für die Ärzte
war es einfach ein zartes Kind, das aufgrund des niedrigen Gewichtes in der
Entwicklung beobachtet werden soll. Ich frage Teilnehmerin 2 ob sie dieses
Verstehen unterstützt, sie antwortet: „Ja, ich denke schon, ich muss mir das nur
immer wieder ins Gedächtnis holen.“
Ich wähle als Ergänzung mit der Methode Einstellungsmodulation aus der
Logotherapie zu arbeiten. Dazu will Teilnehmerin 2 als erstes ihre negative
Einstellung in Bezug auf vergangene Wahlen und Handlungen ändern. Indem sie
den Fokus auf das Positive lenkt, dass das Kind gesund ist, sich gut entwickelt, sie
wohnt in einem schönen neuen Haus mit ihrem Partner, sie schließt mit: „Es gibt
vieles in meinem Leben, das gut ist, und dafür will ich dankbar sein.“
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Ich mache noch eine Zusammenfassung vom heutigen Beratungsgespräch und wir
schließen die Beratung.
9.2.3. Fallbeispiel 3
1. Beratung mit Teilnehmer 3
Teilnehmer 3 ist laut Auswertung des HSP-Fragebogens eine Hochsensible Person.
Vom Persönlichkeitsmerkmal Hochsensibilität hat Teilnehmer 3 zuvor noch nichts
gehört. Wir besprechen nochmals seine Antworten des Fragebogens und ich gebe
ihm noch zusätzliche Informationen. Dazu besprechen wir, wie die erhöhte
Wahrnehmung und das sehr schnell überreizte Nervensystem sich im Bereich des
Lebensstils, der Arbeit, die Gesundheit und auch die sozialen Beziehungen zeigen
kann.
Teilnehmer 3 pflegt einen sehr ruhigen zurückgezogenen Lebensstil, er bezeichnet
sich selbst als Einzelgänger. Seine sozialen Kontakte beschränken sich auf seine
Familie und seine Schwiegereltern. Er hat keine Freundschaften, das sei ihm zu
anstrengend, er leide nicht unter seiner Zurückgezogenheit, erklärt er mir.
Teilnehmer 3 ernährt sich aufgrund seiner Lebensgefährtin sehr gesund, seine
Partnerin legt großen Wert auf biologische Lebensmittel und eine ausgewogene
Ernährung. Für ihn hätte eine gesunde Ernährung keine Wichtigkeit, er schätzt
jedoch das Bemühen seiner Partnerin. Er betreibt keinen regelmäßigen Sport, ab
und zu macht er Nordic Walking. Doch wenn er physische Schmerzen hat und es
ihm psychisch nicht gut geht, dann schränkt er die körperliche Bewegung gänzlich
ein. Teilnehmer 3 hatte vor einem Jahr einen Schlaganfall. Vom Schlaganfall hat er
keine bleibenden physischen Einschränkungen. Vor einer Woche hat er wieder zu
arbeiten begonnen. Er fühlt sich körperlich noch nicht ganz fit, spricht von ständigen
Kopf- und Rückenschmerzen und dass er sich bei der Arbeit nur sehr schwer
konzentrieren kann. Er hat mit seinem Arzt darüber gesprochen, dieser meinte, dass
er zu viel grüble. Teilnehmer 3 fühlt sich in Bezug auf sein körperliches Befinden
nicht verstanden, weder vom Arzt, noch von seiner Partnerin und seinem Umfeld.
Dazu sagt er: „Alle sagen, ich soll mich zusammenreißen, nicht jammern und mich
nicht so hängen lassen, aber was soll ich tun, wenn ich ständig Schmerzen habe.“
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Ich frage Teilnehmer 3, was ihn zurzeit am meisten belaste. Er habe Angst, wieder
einen Schlaganfall zu bekommen. Jedes ähnliche Symptom vergleicht er mit damals.
Darin erkenne er schon seine Hochsensibilität und wie er mit seiner erhöhten
Beobachtung der Symptome die Angst schüre.
Der Auftrag von Teilnehmer 3 ist: Er möchte an seiner Überreaktion, bezüglich der
körperlichen Wahrnehmungen arbeiten.
Zu Beginn erkläre ich das Menschenbild der Logotherapie und wir beginnen mit den
vier Grundmotivationen der Personalen Existenzanalyse (vgl. Längle/Bürgi 2014).
In der existentiellen Auseinandersetzung geht Teilnehmer 3 auf folgende Themen
ein. Seit dem Schlaganfall ist es für ihn schwer, mit den täglichen Anforderungen
zurecht zu kommen. Auch den Umgang mit seinem 16-Monate alten Sohn empfinde
er als anstrengend. Er hat keine Lust auf Unternehmungen, darunter leide auch
schon die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin. Dazu äußert er sich, dass er sich
selbst in seinem Leben nicht mag, wie er ist, seinen physischen und psychischen
Zustand, doch das sei nicht erst seit dem Schlaganfall so, schon sein ganzes Leben
sei er unzufrieden mit sich selbst und den Bedingungen in seinem Leben. In den
letzten Jahren hat er sein Leben ganz auf die Wünsche der Lebensgefährtin
abgestimmt, aus Angst, dass er sie sonst verliert. Er ist sehr betroffen von dem
Gefühl, nicht so sein zu dürfen, wie er ist. Zur vierten Grundmotivation, was seinem
Leben Sinn gibt, antwortet er: „Meine Familie, ich möchte ein guter Vater sein, doch
das geht ja nicht, weil ich ständig Schmerzen habe.“
Wir besprechen die „Trotzmacht des Geistes“, trotzdem ja zum Leben sagen, auch
wenn ich mich bezüglich meines physischen und psychischen Zustandes nicht gut
fühle. Als logotherapeutische Intervention wähle ich die Dereflexion. Die Methode
eignet sich, wenn es um eine erhöhte Selbstbeobachtung und Hyperreflexion geht.
Wir besprechen die Vorgehensweise der Methode. Aus dem heraus ergibt sich für
den Klienten, dass er trotz vorhandener Schmerzen seine Aufmerksamkeit auf das
Zusammensein und Spielen mit seinem Sohn lenken will. Das Positive sehen, Pläne
machen, was er alles mit seiner Lebensgefährtin und dem Kind unternehmen
möchte. Ich habe das Gefühl, dass sich an seiner Grundstimmung, etwas verändert
hat, ich bringe es zur Sprache und er bestätigt mit: „Ja, ich fühle mich jetzt leichter,
das Reden tut gut. Ich finde auch die Auseinandersetzung mit den vier
Grundmotivationen sehr interessant, solche Fragen, ob ich mein Leben mag, oder ob
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ich so sein darf, wie ich bin, stellt man sich sonst nicht. Doch es hat wirklich gut
getan, darüber zu reden. Bis zum nächsten Treffen werde ich versuchen mit der
Dereflexion zu arbeiten und ich hoffe, dass es mir gelingt.“ Ich fasse die wichtigsten
Themen des Gesprächs zusammen und wir kommen zum Abschluss.
2. Beratung mit Teilnehmer 3
Teilnehmer 3 berichtet, dass es ihm seit unserem letzten Gespräch besser geht. Er
hat sich bei der Arbeit schon ganz gut eingearbeitet. Die Kopfschmerzen kommen
nur noch ganz selten, an den Rückenschmerzen habe sich nichts verändert. Auf
meine Frage, wie es ihm mit der Angst, dass er wieder einen Schlaganfall
bekommen könnte, geht, antwortet er: „Diese Angst ist fast ganz weg, auch die
ähnlichen Symptome, ich weiß auch nicht warum. Vielleicht weil ich bei der Arbeit
abgelenkt bin. Die Anwendung der Dereflexion für zu Hause, hat nur teilweise
funktioniert, weil ich am Abend und auch am Wochenende meistens sehr müde bin,
da ist es für mich dann schwieriger die Aufmerksamkeit auf das Positive zu lenken.“
Wir arbeiten am Auftrag weiter, dazu wünscht er sich vermehrt Sport zu betreiben,
sowie aktiver und präsenter für seine Familie da zu sein, da sich im letzten Jahr alles
um sein körperliches und psychisches Befinden gedreht habe. Es gab keine
gemeinsamen Unternehmungen mehr, die Partnerbeziehung und das Familienleben
habe darunter gelitten.
Ich wähle mit der Willensstärkungsmethode zu arbeiten. Diese Methode eignet sich
sehr gut, wenn etwas gewollt, aber nicht getan wird; zur Überwindung von
Unangenehmen; bei Unklarheiten bezüglich des eigenen Wollens; bei fehlender
Durchhaltekraft. Dabei wird auf fünf Ebenen gearbeitet: die Grundarbeit,
Problemebene, Verinnerlichung, Sinnhorizont, Festigung (vgl. Längle/Bürgi 2014, S.
222).
Aus der Auseinandersetzung mit der Willensstärkungsmethode ergibt sich, dass
Teilnehmer 3 seinen Beitrag am Wohlbefinden der Familie leisten will. In Bezug auf
seine Müdigkeit möchte er sich mehr bewegen, körperliche Übungen für die Stärkung
des Rückens machen. Gemeinsam mit der Lebensgefährtin Unternehmungen für die
Wochenenden besprechen und planen. Den Willen zum Handeln holt er sich aus der
Wertearbeit, mit seiner Erkenntnis, dass die Familie für ihn das Wichtigste ist und er
zum familiären Wohlbefinden beitragen kann. Beim Besprechen der Zielhemmungen
wird dem Klienten klar, dass er aufgrund der vielen Ereignisse (positive und
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negative) in den letzten zwei Jahren überfordert und schlussendlich verzweifelt war.
Zuerst der Umzug ins neue Haus, dann die Geburt des Kindes und drei Monate
später der Schlaganfall – mit der Veranlagung der Hochsensibilität war er verstärkt in
einer Überreaktion und Überstimulation. Ihm wird klar, dass er dieses letzte Jahr zur
Erholung gebraucht hat, dieses Verständnis für sich selbst gibt ihm Ruhe und Kraft
und verringert den Druck für ein schnelles Bessergehen.
Bei der Verinnerlichung und Festigung, bestätigt er nochmals, dass Familie für ihn
einen sehr hohen Wert hat. Dazu erzählt er aus seiner Lebensgeschichte: „Ich wurde
als Baby im Alter von drei Monaten zur Adoption weggegeben und konnte nicht bei
meinen Eltern aufwachsen. Deshalb will ich es jetzt besser machen und für meinen
Sohn da sein, ein Vorbild sein.“ Diese Wahl möchte er täglich festigen, indem er
auch schon bei der Arbeit daran denke, wie schön es ist, nach Hause zu kommen
und eine Familie zu haben, die auf ihn wartet. Wir schließen die Anwendung der
Willensstärkungsmethode. Ich frage Teilnehmer 3, wie es ihm jetzt geht, er antwortet
mit: „Gut, es war schon etwas anstrengend, doch ich kann mir von der heutigen
Beratung Einiges mitnehmen.“ Ich mache noch eine Zusammenfassung und schließe
das Beratungsgespräch.
9.3. Evaluierung der Beratungen
Zur Evaluierung der Beratungen wurde mit jedem Klienten/jeder Klientin ein
leitfadengestütztes Interview geführt. Ziel dieser Interviews war es, die zentralen
Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit zu beantworten. Einerseits dienten die
Interviews daher dazu, herauszufinden, ob die Ansätze der Logotherapie und
Existenzanalyse für hochsensible Personen annehmbar sind und welche Methoden
hinsichtlich der Belastungen von hochsensiblen Personen eine Hilfestellung bieten.
Andererseits war es Ziel der Evaluierung zu untersuchen, ob die Thematisierung der
Hochsensibilität in der logotherapeutischen Lebensberatung wichtig ist.
Die Interviews ergeben Gemeinsamkeiten im vorrangigen Auftreten der
Überreaktionen und Überstimulationen. Dabei ist zu erkennen, dass diese vermehrt
in familiären und persönlichen Beziehungen auftreten. Auslöser sind Unverständnis
und Kritik von außen bezüglich der Hochempfindlichkeit als auch Probleme von
nahestehenden Personen. Im Umgang und den entwickelten Strategien gibt es
Parallelen beim Vermeidungs- und Rückzugsverhalten. Im Stadium einer starken
© Roswitha Schmuck 51
Überreaktion und Überstimulation sind die Klient/innen auch bereit, Hilfestellung von
außen anzunehmen. Bei der Anwendung der logotherapeutischen Methoden haben
sich alle sehr wohl und verstanden gefühlt. Sie konnten auch eine Wirkung während
der Anwendung wahrnehmen und auch nach den Beratungen spürten sie eine
anhaltende Verbesserung des derzeit belastenden Themas und dass sie jetzt anders
damit umgehen können. In der Auseinandersetzung mit der Sinnfrage, zeigen sich
deutliche Gemeinsamkeiten. Die Klient/innen stellen sich diese Frage in Bezug auf
aktuelle Ereignisse, doch auch auf die gesamte Lebensbilanz. Dabei haderten zwei
Klient/innen stark mit der Sinnfrage, was folgende Aussage deutlich macht: „Was hat
das für einen Sinn, wenn ich jetzt das Beispiel mit meinem Kind nehme, dass er jetzt
das Gleiche bei den Augen hat wie ich, das mit dem Schlecht-Sehen, was hat das für
einen Sinn? Also diese Sinnhaftigkeit hinterfrage ich immer wieder“ (Teilnehmerin 2,
Z.94/95). Eine weitere Stellungnahme: „Ja, ich habe mir halt schwer getan, weil ich
halt keinen Sinn darin sehen konnte. Ich meine, weil es (der Schlaganfall) keinen
Sinn hat. Doch jetzt geht es mir wieder besser, durch die Familie und mein Kind, das
gibt mir wieder Sinn“ (Teilnehmer 3, Z. 50-52). Die zweite Aussage veranschaulicht,
wie der Klient in eine Selbsttranszendenz geht und den Fokus auf das Positive in
seinem Leben lenkt, was ihm wieder Sinn gibt. Eine Klientin sieht die Sinnfrage als
Bereicherung in ihrem Leben, dazu sagt sie: „[..] Wofür wäre das Leben, wenn all
diese Erlebnisse keinen Sinn hätten. Das ist für mich die einzig richtige Erklärung,
dass hinter allem eine Sinnhaftigkeit steckt“ (Teilnehmerin 1, Z.65/66).
Das Verständnis des Menschenbildes der Logotherapie sowie die Ansätze zur
Selbstdistanzierung und Selbsttranszendenz empfanden die Klient/innen
durchgehend als unterstützend. Da sie das Menschenbild jeweils mit ihren gewählten
Themen in Verbindung brachten, ergaben sich unterschiedliche Aussagen. So
konnte man von der Trotzmacht des Geistes profitieren, von der Bewusstmachung
der Erkenntnisse, als auch von einer Einstellungsveränderung. Übereinstimmung
zeigte sich auch in der Frage, ob sie sich vorstellen könnten, die Methoden der
Logotherapie auch selbstständig anzuwenden. Die Rückmeldungen dazu waren
einstimmig positiv, so konnten die Klient/innen bereits über Erfolgserlebnisse
bezüglich der Anwendung der Methoden zu Hause, nach den Beratungsgesprächen,
berichten. Zur letzten Frage des Interviews, zur Wichtigkeit der Thematisierung der
Hochsensibilität in den Beratungsgesprächen, ergaben sich übereinstimmende
Antworten. So sind sich alle Teilnehmer/innen einig, dass es wichtig ist, die
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Hochsensibilität einzubeziehen und auch direkt anzusprechen. Dadurch fühlten sie
sich verstanden und konnten offen darüber sprechen. Es milderte den Stress
bezüglich der Annahme, dass man anders ist, als auch das Gefühl, dass etwas mit
einem nicht stimmt. Des Weiteren empfanden sie es als beruhigend und hilfreich, zu
erfahren, dass Hochsensibilität ein Persönlichkeitsmerkmal ist und viele Menschen
hochsensibel sind. Eine Person meinte ergänzend, dass der/die Berater/in über
Hochsensibilität Bescheid wissen sollte, um dann zu entscheiden, ob es zur Sprache
gebracht werden soll oder auch nicht, bezugnehmend auf den/die jeweilige/n
Klienten/Klientin. Auf die Frage, ob sie noch etwas mitteilen möchten, antworteten
zwei Klient/innen, dass sie mit der Logotherapie weiterarbeiten werden. Einer Klientin
war es ein Bedürfnis eine Mitteilung für alle Hochsensiblen zu machen, ihre
Botschaft: „Für alle, die hochsensibel sind, lasst euch nicht unterkriegen. Ihr seid
genau so, wie ihr seid in Ordnung, seht die Hochsensibilität als Möglichkeit, dass es
eine wunderbare Gabe ist. Das möchte ich euch allen mitteilen.“ (Teilnehmerin 1,
Z.124-126).
9.4. Beantwortung der Forschungsfragen
Durch die vorliegende Arbeit konnten Antworten auf alle Forschungsfragen gefunden
werden. Einerseits hat sich gezeigt, dass logotherapeutische und existenzanalytische
Ansätze sehr gut für die Beratung von hochsensiblen Personen geeignet sind.
Eingebunden in die logotherapeutische Gesprächsform und Gesprächsstile,
bewährten sich die Ansätze Frage nach dem Sinn, die Trotzmacht des Geistes und
die Dialektik von Schicksal und Freiheit besonders gut.
Die Ergebnisse aus den Beratungsgesprächen bestätigen auch, dass die
angewendeten Methoden für HSP eine hilfreiche Unterstützung sein können. Die
logotherapeutischen Maßnahmen stärkten die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung und
Selbsttranszendenz, dies ermöglichte für HSP eine bessere Handhabbarkeit der
Überreaktionen und Überstimulationen. Dazu wurden folgende Methoden
angewendet: Auseinandersetzung mit den vier Grundmotivationen, Dereflexion,
Einstellungsmodulation und die Willensstärkungsmethode. Des Weiteren konnte
veranschaulicht werden, dass es im logotherapeutischen Beratungsgespräch für
HSP sehr wichtig ist, das Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität zu
thematisieren und ihre andersartige Wahrnehmung themenspezifisch zu
berücksichtigen.
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10. Schlussbetrachtungen
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zeigten, dass sich die Logotherapie und
Existenzanalyse bei den Teilnehmer/innen als valide Methode zur Unterstützung von
HSP herausgestellt hat. Dies bestätigte sich durch die Anwendung der Ansätze und
Methoden zu gewählten Themen der Klient/innen, in denen sie die Hochsensibilität
als Belastung wahrnahmen. Zu diesem Zwecke wurde das Persönlichkeitsmerkmal
Hochsensibilität erklärt und besprochen, wie die andersartige Veranlagung die
Bereiche Lebensstil, Gesundheit, Arbeitswelt und das Sozialleben beeinflussen kann.
Die Arbeit hat einerseits aufgezeigt, dass die Methoden bei den Teilnehmer/innen
geeignet sind, um aktuell vorhandenen Überreaktionen und Überstimulationen
entgegenzuwirken. Andererseits konnten die Klient/innen die Vorgehensweisen auch
zum Selbstmanagement und als Prävention einsetzen. Besonders bewährt hat sich
dabei die Methode der Dereflexion, da HSP dazu neigen, stärker zu reflektieren als
normal Wahrnehmende (Hyperreflexion), was offensichtlich durch die erhöhte
Wahrnehmung von äußeren und inneren Reizen ausgelöst wird. Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass die angewendeten Methoden von den Klient/innen
durchgehend als angenehm, wirkungsvoll und hilfreich bewertet wurden.
Hervorheben möchte ich dabei, dass vor allem die sinnzentrierten Ansätze der
Logotherapie und Existenzanalyse von hochsensiblen Menschen besonders
geschätzt wurden, da sich HSP permanent mit der Sinnfrage beschäftigen, im
Positiven wie im Negativen. Des Weiteren konnte die Logotherapie mit den Ansätzen
des Menschenbildes wie der Trotzmacht des Geistes und der Dialektik von Schicksal
und Freiheit neue Perspektiven und Wahlmöglichkeiten eröffnen. Die dargestellten
Ergebnisse veranschaulichen sehr deutlich, dass die Gesprächsform und -stile der
Logotherapie sowie die Thematisierung der andersartigen Wahrnehmung
hochsensiblen Klient/innen ein Gefühl von Sicherheit und Annahme vermittelt. Dieser
Aspekt ist aus meiner Sicht zentral in der Beratung von HSP, da viele hochsensible
Menschen das Gefühl haben, anders zu sein und nicht dazuzugehören.
Abschließend kann festgestellt werden, dass die Forschungsfragen FF1 und FF3
dieser Arbeit bei den Teilnehmer/innen mit JA beantwortet werden konnten, da sich
gezeigt hat, dass logotherapeutische und existenzanalytische Methoden wertvolle
Ansätze für die Beratung von hochsensiblen Personen bieten können und die
Thematisierung dieses Persönlichkeitsmerkmals in der Beratung von zentraler
Bedeutung ist. Die Forschungsfrage FF2 wurde teilweise bestätigt. Die vorliegende
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Arbeit konnte zeigen, dass logotherapeutische und existenzanalytische Methoden die
Teilnehmer/innen im sozialen Umfeld und in persönlichen Beziehungen unterstützen
kann. Da sich die gewählten Themen der Klient/innen vorwiegend auf die Bereiche
Gesundheit, Lebensstil, persönliche und soziale Beziehungen bezogen, blieb der
Einsatz logotherapeutischer und existenzanalytischer Methoden bei Problemen von
HSP im Bereich der Arbeitswelt jedoch ungeklärt. Um diese Frage beantworten zu
können, bedarf es daher weiterer Untersuchungen. Zudem sollten sich zukünftige
Forschungsarbeiten auch den Langzeiteffekten des Einsatzes von
logotherapeutischen und existenzanalytischen Methoden widmen. Schließlich stellt
die Untersuchung der Wirksamkeit logotherapeutischer und existenzanalytischer
Beratungen bei hochsensiblen Personen aus anderen Altersgruppen wie etwa bei
Jugendlichen oder älteren Menschen eine wichtige Anregung für die zukünftige
Forschung dar.
Zu guter Letzt sei erwähnt, dass im Rahmen der vorliegenden Arbeit erstmals der
Einsatz logotherapeutischer und existenzanalytischer Methoden zur Beratung von
hochsensiblen Personen erforscht wurde. Damit leistet die Arbeit einen wertvollen
Beitrag zum Forschungsfeld der Hochsensibilität und schafft wichtige Impulse für
zukünftige Forschungsarbeiten.
© Roswitha Schmuck 55
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[21.08.2015]
© Roswitha Schmuck 58
12. APPENDIX A: Fragebogen
Liebe/r Teilnehmer/in
Vielen Dank für Ihr Interesse an dieser Befragung teilzunehmen. In dieser Studie geht es um die Erfassung von Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal. Alle Angaben werden selbstverständlich streng vertraulich behandelt und dienen ausschließlich dem Zweck dieser wissenschaftlichen Studie. Es gibt keine richtigen und keine falschen Antworten. Antworten Sie bitte einfach spontan und aus dem Bauch heraus.
Ich stimme der Teilnahme an dieser Befragung zu:
Anleitung: Beantworten Sie jede dieser Fragen ganz nach Ihrem Empfinden. Antworten Sie mit „zutreffend“, wenn die Aussage auf Sie zutrifft. Antworten Sie mit „nicht zutreffend“, wenn sie auf Sie nicht zutrifft.
1. Ich fühle mich durch starke Sinneseindrücke leicht überwältigt.
Zutreffend Nicht zutreffend
2. Ich scheine Feinheiten in meiner Umgebung wahrzunehmen.
Zutreffend Nicht zutreffend
3. Die Stimmungen anderer Menschen beeinflussen mich unnötig stark.
Zutreffend Nicht zutreffend
4. Ich reagiere eher empfindlich auf körperlichen Schmerz.
Zutreffend Nicht zutreffend
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5. Ich habe an geschäftigen Tagen das Bedürfnis, mich zurückzuziehen – entweder ins Bett, in einen abgedunkelten Raum oder an einen anderen Ort, wo ich allein sein und mich von Reizen erholen kann.
Zutreffend Nicht zutreffend
6. Auf Koffein reagiere ich heftiger als viele andere Menschen.
Zutreffend Nicht zutreffend
7. Ich fühle mich schnell überwältigt von Dingen wie grellen Lichtern, starken Gerüchen, rauen Stoffen oder Einsatzwagen mit Martinshorn in der Nähe.
Zutreffend Nicht zutreffend
8. Oft beschäftigen mich selbst kleine Dinge stark, die andere oder ich gesagt haben.
Zutreffend Nicht zutreffend
9. Laute Geräusche bereiten mir Unbehagen, ich spüre es auch körperlich.
Zutreffend Nicht zutreffend
10. Kunst und Musik bewegen mich tief.
Zutreffend Nicht zutreffend
11. Manchmal liegen meine Nerven derart blank, dass ich nur noch allein sein möchte.
Zutreffend Nicht zutreffend
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12. Ich bin ein gewissenhafter Mensch.
Zutreffend Nicht zutreffend
13. Ich bin schreckhaft.
Zutreffend Nicht zutreffend
14. Es bringt mich leicht aus der Fassung, wenn ich in kurzer Zeit viel erledigen muss.
Zutreffend Nicht zutreffend
15. Wenn andere Menschen sich in einer Umgebung unwohl fühlen, weiß ich eher als manch andere, was notwendig ist, um Wohlbefinden herzustellen.
Zutreffend Nicht zutreffend
16. Ich werde ärgerlich, wenn man von mir erwartet, zu viele Dinge gleichzeitig zu tun.
Zutreffend Nicht zutreffend
17. Ich gebe mir große Mühe, Fehler zu vermeiden oder Dinge nicht zu vergessen.
Zutreffend Nicht zutreffend
18. Gewaltszenen im Kino oder Fernsehen scheinen mich tiefer zu beeindrucken als andere.
Zutreffend Nicht zutreffend
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19. In neuen Umgebungen, fühle ich mich schnell von all den Eindrücken überwältigt und brauche gewöhnlich etwas länger als andere, um mich zu orientieren.
Zutreffend Nicht zutreffend
20. Reisen scheint mich mehr anzustrengen als andere.
Zutreffend Nicht zutreffend
21. Der Kontakt mit anderen Menschen laugt mich manchmal aus.
Zutreffend Nicht zutreffend
22. Ich fühle mich unangenehm aufgeregt, wenn sich um mich herum viel abspielt.
Zutreffend Nicht zutreffend
23. Großer Hunger löst bei mir eine starke Reaktion aus, er stört nachhaltig meine Konzentration und beeinträchtigt meine Stimmung.
Zutreffend Nicht zutreffend
24. Veränderungen in meinem Leben treffen mich sehr heftig.
Zutreffend Nicht zutreffend
25. Ich bemerke und genieße feine Düfte und Geschmäcker, schöne Klänge oder Kunstwerke.
Zutreffend Nicht zutreffend
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26. Oft beschäftigt mich etwas stark, das ich unterlassen oder nicht gut genug gemacht habe.
Zutreffend Nicht zutreffend
27. Ich fühle mich häufig missverstanden, weil ich offenbar mehr und andere Dinge wahrnehme als andere. Manchmal fühle ich mich aus diesem Grund auch sehr allein.
Zutreffend Nicht zutreffend
28. Wenn zu viel Unruhe herrscht, reagiere ich gereizt, fahrig, mit Stress oder körperlichen/emotionalen Symptomen.
Zutreffend Nicht zutreffend
29. Harmonie ist mir wichtig, sonst leide ich unter der Atmosphäre.
Zutreffend Nicht zutreffend
30. Ich brauche viel Rückzug und Zeit für mich.
Zutreffend Nicht zutreffend
31. Als Kind haben meine Eltern und Lehrer mich als sensibel oder schüchtern angesehen.
Zutreffend Nicht zutreffend
Danke für die Teilnahme, bitte speichern Sie dieses PDF und senden Sie es an
info@emotionales-wohlbefinden.at
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13. APPENDIX B: Interview-Leitfaden
Leitfrage Stopp & Memo Aufrechterhaltungsfragen Laut HSP-Fragebogen bist du eine hochsensible Person. Wie hast du dich gefühlt, als du das erfahren hast?
Überreaktion / Überstimulation
Lebensbereiche: Familie, Arbeit, soziale Beziehungen, Lebensstil
Zum Beispiel?
Kannst Du das genauer beschreiben?
Gibt es eine konkrete Situation, die dir dazu einfällt?
Wenn du in eine sogenannte Überreaktion oder Überstimulation kommst. Wie gehst du damit um?
Entwickelte Strategien
Vermeidungsverhalten
Kampf oder Fluchtreaktionen
Kannst Du ein Beispiel nennen?
Fällt dir dazu eine konkrete Situation ein?
Was meinst Du genau?
Bei den Beratungsgesprächen hast du ein Thema gewählt, wo du zurzeit die Hochsensibilität als Belastung empfindest. Wir haben mit den Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse gearbeitet. Was hältst du von diesen Methoden?
Gefühl bei der Anwendung
Veränderung
Wirkung
Hast du ein Beispiel?
Kannst Du mir das genauer beschreiben?
War das schon immer so?
Im logotherapeutischen Gespräch hat die „Frage nach dem Sinn“ eine zentrale Bedeutung. Wie war das für dich als HSP?
Gesprächsform
Übereinstimmung mit der Lebenseinstellung
Waren diese Ansätze neu für dich?
Kannst Du das genauer beschreiben?
Hast du ein Beispiel?
Können das Verständnis des Menschenbildes der Logotherapie und die Ansätze zur
Sozialleben
Beziehungen
Beruf
Kannst du ein Beispiel nennen?
Was meinst du genau?
© Roswitha Schmuck 64
Selbstdistanzierung und Selbsttranszendenz, für dich eine Hilfestellung sein, wenn du in eine Überreaktion oder Überstimulation kommst?
Kannst Du dir vorstellen, dass du die Methoden und Ansätze der Logotherapie auch selbst anwenden kannst, wenn sich belastende Themen zeigen?
Bereich
Arbeit
Lebensstil
Sozialleben
Wo genau?
Fällt dir dazu eine konkrete Situation ein?
Wir kommen jetzt zu unserer letzten Frage. Bei der Anwendung der Logotherapie und Existenzanalyse, haben wir das Persönlichkeitsmerkmal „Hochsensibilität“ berücksichtigt und thematisiert. Wie hast Du dich bei diesen Gesprächen gefühlt?
Wichtigkeit, Bedeutung
Gibt es eine konkrete Situation, die dir dazu einfällt?
Kannst du mir das genauer beschreiben?
Wir sind jetzt am Ende des Interviews angekommen? Gibt es noch etwas, was du mitteilen möchtest?
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14. APPENDIX C: Interview-Transkripte
Interview Nr. 1 Interview mit Teilnehmerin 1
Datum der Aufnahme 27.02.2016
Ort der Aufnahme Frauental
Dauer der Aufnahme 16:68 Minuten
Interviewer/in Roswitha Schmuck
Datum der Transkription 29.02.2016
Transkribient/in Roswitha Schmuck
Besonderheiten keine
Transkriptionsregeln Wörtliche Transkription mit Übertragung ins Schriftdeutsche (Mayring 2002)
1 I Laut HSP- Fragebogen bist Du eine hochsensible Person. Wie hast Du dich
2 gefühlt, als Du das erfahren hast?
3 B Also für mich war das nicht ganz neu, dass ich eine hochsensible Person bin,
4 ich habe schon bevor ich den Fragebogen ausgefühlt habe, gewusst, dass sehr
5 Vieles auf mich zutreffen wird. Ich habe schon im Alltag sehr oft gespürt, dass
6 ich im Umfeld immer wieder meine Schwierigkeiten damit habe.
7 I Diese Neigung in eine Überreaktion oder Überstimulation reinzukommen, in
8 welchen Lebensbereich würdest Du sagen, zeigt es sich am stärksten bei dir?
9 B Bei mir sicher, bei der Familie und in der Beziehung.
10 I Hast Du da ein Beispiel, wie du in eine Überreaktion, Überstimulation
11 reinkommst?
12 B Naja, ich werde dann von meiner Familie gerne als überempfindlich,
13 hingestellt das zeigt mir dann immer, dass es da Unterschiede im Empfinden
14 gibt und das führe ich zurück auf die Hochsensibilität.
14 I Wenn Du in eine Überreaktion oder Überstimulation kommst, wie gehst Du
15 damit um, hast Du da Strategien entwickelt?
16 B Manchmal geht es mir nicht gut damit, weil ich dann einfach so ein Gefühl von
17 Unzulänglichkeit habe. Beziehungsweise immer so das Gefühl habe, wenn ich
18 so reagiere wie ich von meiner Veranlagung her bin, pass ich nicht. Da tue ich
19 mich ganz schwer damit und Strategien sind dann nicht immer so zur
20 Verfügung, wie ich es gerne hätte.
21 I Gehst Du dann in ein Vermeidungsverhalten oder ziehst Du dich zurück?
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22 B Manchmal kann es sein, dass ich mich zurückziehe, manchmal gehe ich auch
23 in eine Konfrontation. Also ganz unterschiedlich, je nach Thema.
24 I Fällt dir dazu eine konkrete Situation ein, hast du ein Beispiel?
25 B Ja, zum Beispiel, wenn ich weiß, wir fahren irgendwo hin, wo viele Menschen
26 sind, entweder stimme ich mich ganz darauf ein, da habe ich schon Strategien
27 entwickelt, aber es kann auch sein, dass ich gar nicht mitfahre, ich lasse es
28 von vornherein bleiben.
29 Große Gruppen und Menschansammlungen, habe ich nicht so gerne. Da sage
30 ich mir, lass das lieber, doch wenn mein Partner dann sagt, was hast du denn
31 schon wieder, was erschrecken dich denn die Leute, was tust du da so herum,
32 da merke ich, dass ich da anders reagiere, als viele andere.
33 I Wenn ich dich richtig verstanden habe, bleibst du manchmal zu Hause, doch
34 nicht immer, du fährst auch mal mit.
35 B Ja, wenn die Vorteile überwiegen, da sage ich mir, da triffst du auch liebe
36 Leute, oder da erwartet dich ein feines Konzert oder ein so feiner Abend, dann
37 überwiegen für mich die Vorteile, dann gehe ich halt darauf ein. Unterm Strich
38 muss für mich ein Gewinn rauskommen, ich sage mir, das nehme ich jetzt auf
39 mich.
40 I Und mit dieser Einstellung machst du dann positive Erfahrungen.
41 B Ja, das ist für mich dann ok, dann geht es mir gut.
42 I Bei den Beratungsgesprächen hast du ein Thema gewählt, wo Du zurzeit die
43 Hochsensibilität als Belastung empfindest. Wir haben mit den Methoden der
44 Logotherapie und Existenzanalyse gearbeitet. Was hältst du von diesen
45 Vorgehensweisen?
46 B Das sind feine Möglichkeiten, um unter stressigen Umständen mit der
47 Hochsensibilität besser umgehen zu können.
48 I Und als wir diese Methoden angewendet haben, wie hast du dich während der
49 Anwendung gefühlt?
50 B Ja, also zum Teil habe ich mir während des Gesprächs gedacht, es gibt mehr
51 Personen, die das haben, also zu wissen, man ist nicht alleine mit dieser Gabe
52 oder diesem Fluch, wie immer man es auch nennen mag, es kann auf jeden
© Roswitha Schmuck 67
53 Fall sehr hilfreich sein.
54 B Allein darüber Bescheid zu wissen, das ist schon eine Unterstützung, das
55 man weiß man ist so wie man ist ok, es ist ein Teil der Persönlichkeit.
56 I Konntest du während der Anwendung der Methoden eine Veränderung oder
57 Wirkung spüren?
58 B Durch das Bewusstwerden kann man dann schon wieder anders damit
59 umgehen, in der Partnerbeziehung, in der Familie, schon das Bewusstsein
60 macht eine Veränderung aus.
61 I Im logotherapeutischen Gespräch hat die Frage nach den Sinn eine zentrale
62 Bedeutung. Wie war das für dich als HSP? Fühlst Du dich mit dieser
63 Gesprächsform verstanden?
64 B Ja, auf jeden Fall, also für mich gibt es nichts außerhalb der Vorstellung, dass
65 das alles einen Sinn hat. Wofür wäre das Leben, wenn all diese Erlebnisse
66 keinen Sinn hätten. Das ist für mich die einzig richtige Erklärung, dass hinter
67 allem eine Sinnhaftigkeit steckt. Jede Begegnung, jede Beziehung, jede
68 Auseinandersetzung auch einen Sinn macht.
69 B Also wenn ich dich richtig verstanden habe, diese Sinnfrage stellst Du dir des
70 Öfteren.
71 B In allem, ich denke, es gibt nichts, wo nicht auch ein Sinn dahinter steckt oder
72 ein Konzept, es muss einfach alles Hand und Fuß haben und einen Sinn
73 haben.
74 I Also gibt es da eine Übereinstimmung zu deiner Lebenseinstellung als
75 hochsensible Person zum Ansatz der Logotherapie.
76 B Ja, auf jeden Fall.
77 I War das schon immer so, dass du die Sinnhaftigkeit hinterfragt hast?
78 B Ja, doch, als Jugendliche, sagt man sich, was grübelst so viel, denk nicht so
79 viel nach, diese Geschichten kommen dann ja eher, dass man so auf
80 Widerstand stößt.
81 I Also, das ist so von außen gekommen.
82 B Ja, natürlich auch von mir selber zum Teil, dass ich mir gesagt habe, warum
83 kann ich nicht einfach etwas so nehmen, wie es ist, ohne zu hinterfragen. Das
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84 behindert einen ja, gerade wenn man jung ist. Weil man ja auch merkt, nicht
85 jeder beschäftigt sich so intensiv mit dieser Sinnfrage.
86 I Das heißt, du hast dich mit anderen verglichen, die das nicht gemacht haben
87 und du hast auch deine eigenen Gedanken hinterfragt.
88 B Ja, ganz sicher und das macht man ja, weil man dazu gehören will und passt
89 sich an, das ist dann auch ein Zwiespalt, entweder schenke ich meinen
90 eigenen Bedürfnissen so viel Aufmerksamkeit und gesteh mir das auch zu,
91 oder will ich dazu gehören, das ist immer ein Thema.
92 B Kann das Verständnis des Menschenbildes der Logotherapie und die
93 Ansätze zur Selbstdistanzierung und Selbsttranszendenz, für dich eine
94 Hilfestellung sein, wenn du in eine Überreaktion oder Überstimulation
95 kommst?
96 B Ja auf jeden Fall, wenn es greifbar ist, im Moment der Überreaktion und die
97 Strategie dann als Wahlmöglichkeit zur Verfügung steht.
98 I Kannst du dir vorstellen, dass Du die Methoden und Ansätze der
99 Logotherapie auch selbst anwenden kannst, wenn sich belastende Themen
100 zeigen?
101 B Ja, der achtsame Umgang, das Bewusstsein haben, da gibt es eine
102 Möglichkeit, da ist es eine gute Vorgehensweise sich selbst wieder aus
103 seinen Mustern rauszuhelfen und anders zu reagieren, mit Hilfe dieser
104 Methoden.
105 I Hast du da ein Beispiel?
106 B Ja, diese finale Vorleistung, das war wunderbar, hat fein funktioniert. Dadurch
107 entsteht wieder ein positiver Kreislauf, wenn man merkt, es geht einmal und
108 wenn es einmal geht, dann geht es auch ein zweites Mal.
109 Da entsteht dann auch in umgekehrter Richtung ein positiver Kreislauf,
110 es macht wieder Sinn.
111 I Wir kommen jetzt zur letzten Frage. Bei den logotherapeutischen
112 Beratungsgesprächen haben wir das Persönlichkeitsmerkmal der
113 Hochsensibilität berücksichtigt und thematisiert. Wie hast Du dich bei diesen
114 Gesprächen gefühlt?
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115 B Na ja, es ist ein Gefühl von verstanden werden, das hat Platz, einen Raum,
116 ja, das hat sich gut angefühlt.
117 I Würdest du sagen, dass es wichtig ist, auf die Thematik der Hochsensibilität
118 einzugehen?
119 B Auf jeden Fall, schon, weil man dann ja auch das Gefühl kriegt, man ist in
120 Ordnung so wie man ist. Das hat einen Raum, einen Platz und es ist wieder
121 alles in Ordnung.
122 I Wir sind jetzt am Ende des Interviews angelangt. Gibt es noch etwas, was du
123 mitteilen möchtest?
124 B Ja, für alle die hochsensibel sind, lasst euch nicht unterkriegen. Ihr seid
125 genau so, wie ihr seid in Ordnung, seht die Hochsensibilität als Möglichkeit,
126 dass es eine wunderbare Gabe ist. Das möchte ich euch allen mitteilen.
127 I Ich danke dir, für deine Teilnahme.
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Interview Nr. 2 Interview mit Teilnehmerin 2
Datum der Aufnahme 25.02.2016
Ort der Aufnahme Leibnitz
Dauer der Aufnahme 17:36 Minuten
Interviewer/in Roswitha Schmuck
Datum der Transkription 29.02.2016
Transkribient/in Roswitha Schmuck
Besonderheiten keine
Transkriptionsregeln Wörtliche Transkription mit Übertragung ins Schriftdeutsche (Mayring 2002)
1 I Laut HSP – Fragebogen bist Du eine hochsensible Person. Wie hast Du dich
2 gefühlt, als Du das erfahren hast?
3 B Ich hab eigentlich schon gewusst, dass ich sensibel bin, hochsensibel, ja der
4 Ausdruck war für mich schon ein wenig ungewöhnlich. Aber als wir das dann
5 besprochen haben, hab ich mich schon einstufen können.
6 I Diese Neigung zur Überreaktion und Überstimulation, in welchem
7 Lebensbereich zeigt sie sich bei dir am stärksten?
8 B Die Überreaktionen habe ich bei der Familie daheim, wenn da irgendetwas ist,
9 dann will ich sofort alles ausprobieren, ein Mittel finden und schauen, wie ich
10 das Problem wieder lösen kann. Ja und bei mir selbst eben auch, ich will
12 immer alles gleich gemacht haben. Eine Lösung finden, dass alles passt.
13 I Hab ich das richtig verstanden, meinst Du damit alles perfekt zu machen,
14 gewissenhaft zu machen?
15 B Ja genau, und auch schauen, dass Probleme schnell gelöst sind, ja und
16 auch sofort reagieren.
17 I Wenn du in eine Überreaktion oder Überstimulation kommst, wie gehst Du
18 damit um?
19 B Ja, das ist es eben, ich texte alle gleich zu.
20 I Also mit Reden.
21 B Ja, das kommt darauf an, also bei einigen Situationen, da schaue ich und
22 beobachte zuerst, wie es ist. Doch bei manchen Themen, so wie jetzt zum
23 Beispiel bei meinem Kind, wenn er etwas hat, da werde ich schon sehr unrund,
24 also da bin ich nicht ganz bei mir, da bin ich sehr unrund. Dass ich
25 irgendwie schnell zu einer Lösung komme. Ich kann es nicht immer von einer
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26 neutralen Position sehen, wenn es mich persönlich betrifft oder Leute, die mir
27 sehr nahestehen, dann ist es schon sehr oft so, dass ich schon sehr
28 überreagiere und einfach nicht klar denken kann.
29 I Und hast du da Strategien entwickelt, wie du da wieder rauskommst?
30 B Ja schon, ich versuche dann mich selbst zu beruhigen, also zuerst kann man
31 wirklich sagen im wahrsten Sinn des Wortes renne ich im Kreis. Und dann
32 schau ich, dass ich ein wenig runter komme und denke, was mach ich jetzt?
33 Oder ich versuche zu schauen, Schritt für Schritt zu schauen, dass ich wieder
34 ruhiger werde und dass ich das dann mehr mit Abstand betrachten kann. Ist
35 nicht immer ganz einfach für mich, muss ich sagen.
37 I Und bei diesem Schritt für Schritt ruhiger werden, wendest du da etwas an,
38 hast du da Entspannungstechniken oder so etwas Ähnliches?
39 Ja, ich sage mir immer wieder, ich bin ruhig, ich bin ruhig oder es ist alles gut,
40 es ist alles gut. Das kommt oft vor, oder ich halte einfach die Stirn und den
41 Hinterkopf, das ich mal kurz innehalten kann um dann Schritt für Schritt
42 schauen zu können, was ich machen kann.
43 I Gibt es auch Situationen, wo Du in ein Vermeidungsverhalten gehst, damit
44 es nicht zu einer Überreaktion oder Überstimulation kommt? Oder Rückzug?
46 B Ja, schon auch, schon auch, also das ist so, konkret fällt mir da jetzt nichts
47 ein, in manchen Situationen, da ist es so, dass ich gar nichts mache. Da lass
48 ich mich dann ein wenig hängen, also da ist es dann so, dass ich, ja da habe
49 ich Momente, da kann ich nicht mehr, ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, ich
50 will nicht mehr.
51 I Also wenn du in einer richtigen Überlastung bist.
52 B Ja, wenn ich wirklich total überlastet bin und dann kommt eines nach dem
53 anderen. Und dann ist es auch so, dass es mal sein kann, dass ich wirklich
54 eine Zeitlang nicht mehr kann, aus, es geht nicht mehr.
55 I Wenn dann dieser Zeitpunkt gekommen ist, wie kommst du da dann wieder
56 raus? Holst du dir Unterstützung?
57 B Ja, also, wenn es ganz schlimm ist, dann hol ich mir Unterstützung, sonst
58 baue ich mich selbst auf, ich sage mir, es hilft nichts, du musst schauen, dass
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59 du da jetzt irgendwie weiterkommst. Ja, ich rapple mich wieder auf und
60 versuche eine Lösung zu finden.
61 I Bei den Beratungsgesprächen hast Du ein Thema gewählt, wo Du zurzeit die
62 Hochsensibilität als Belastung empfindest. Wir haben mit den Methoden der
63 Logotherapie und Existenzanalyse gearbeitet. Was hältst du von diesen
64 Vorgehensweisen?
65 B Es war für mich neuartig, ich habe ja schon viel an mir gearbeitet, aber eher im
66 kinesiologischen Bereich, ja es war eine interessante Erfahrung für mich,
67 dass man auch mit diesen Methoden, jemanden dazu bringen kann, dass
68 er umdenkt. Dass er einfach eine andere Sichtweise bekommen kann.
69 I Und während den Beratungsgesprächen, wie hast du dich da gefühlt?
70 B Ja, eigentlich, also gefühlt, ja, es ist schon tief reingegangen, das
71 muss ich schon sagen, also ich habe auch geweint, ich hätte nicht
72 gedacht, dass auch ein Gespräch so tiefgehend sein kann, weil ich sonst ja
73 eher körperlich an meinen Themen gearbeitet habe.
74 I Und konntest du nach der Anwendung der Methoden der Logotherapie eine
75 Veränderung, eine Wirkung spüren?
76 B Ja, schon, also es hat sich bei mir schon eine Wirkung gezeigt, natürlich,
77 und wenn ich merke, dass ich wieder ein wenig in das Thema reinkomme,
78 dann wende ich das an, was mir geraten worden ist.
79 I Meinst du die Methoden von der Logotherapie?
80 B Ja, schau auf das Positive, schau was er (Sohn) kann und nicht was er nicht
81 kann, also ich habe das schon in mir abgespeichert und hole es dann einfach
82 wieder her.
83 I Im logotherapeutischen Gespräch hat die Frage nach dem Sinn eine zentrale
84 Bedeutung. Wie war das für dich als HSP? Sich mit dieser Frage
85 auseinanderzusetzen?
86 B Ja, der Sinn, also ich bin schon ein Mensch, der oft hinterfragt, was alles im
87 Leben überhaupt Sinn macht. Man wird geboren, man arbeitet, man stirbt.
88 Was ist der Sinn? Natürlich man kriegt Kinder, schaut auf dies und das, ja….
89 also diesen Sinn den hinterfrage ich wirklich oft.
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90 I Fühlst du dich mit dieser Gesprächsform verstanden? Mit diesem Hinterfragen
91 nach der Sinnhaftigkeit?
92 B Ja, schon, aber wie gesagt, was ist wirklich der Sinn, das Wort, was
93 hat das zum Beispiel für einen Sinn, wenn ich jetzt das Beispiel mit meinem
94 Kind nehme, dass er jetzt das Gleiche bei den Augen hat wie ich, das mit dem
95 Schlecht-Sehen. Was hat das für einen Sinn? Also „diese“ Sinnhaftigkeit
96 hinterfrage ich immer wieder.
97 I Also, wenn ich dich jetzt richtig verstehe, hinterfragst du dieses Warum?
98 B Ja, schon, doch den Sinn dahinter, warum ein kleines Kind das jetzt haben
99 muss. Ok, als Erwachsener, alter Mensch kann ich das verstehen, aber das
100 kleine Kinder das haben müssen, das versteh ich nicht.
101 I Im Beratungsgespräch war es ja ein Thema, dieses weg vom „Warum“
102 hin zum „Wozu“, war das für dich hilfreich?
103 B Ich habe schon probiert, das so anzuwenden, doch ich bin mit dem Wozu
104 nicht so weitergekommen, das muss ich sagen und ehrlich gestehen.
105 I Kannst du eine Übereinstimmung sehen, zum Beispiel mit der Frage nach der
106 Sinnhaftigkeit und auch das Stellung beziehen, zu dem, was im Leben gerade
107 passiert, passt das zu deiner Lebenseinstellung? Kannst Du da eine
108 Übereinstimmung sehen, als hochsensible Person?
109 K Ja, schon natürlich, auch, dass ich noch viel lernen muss und auf mich
110 bezogen noch viel aufarbeiten, beziehungsweise verstehen muss, warum
111 manche Dinge so sind, wie sie sind. Also ich versteh das und kann auch damit
112 umgehen, aber es ist für mich ein irrsinniger Lernprozess, das Kind ist für
113 mich ein Lernprozess und vieles von mir wird mit aufgearbeitet.
114 I Können das Verständnis des Menschenbildes der Logotherapie und die
115 Ansätze zur Selbstdistanzierung und Selbsttranszendenz, für dich eine
116 Hilfestellung sein, wenn du in eine Überreaktion oder -stimulation kommst?
117 B Ja, schon, also wenn ich wieder in das Negative verfalle, dass ich dann
118 einfach mehr an das Positive denke.
119 I Also mit dem Fokus zum Positiven gehen?
120 B Ja, einfach den Fokus auf das Positive richten und da habe ich schon
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121 gemerkt, dass ich mich schneller rausholen kann.
122 I Wir kommen jetzt zu unserer letzten Frage. Bei den logotherapeutischen
123 Beratungsgesprächen haben wir das Persönlichkeitsmerkmal der
124 Hochsensibilität berücksichtigt und auch thematisiert. Wie hast du dich bei
125 diesen Gesprächen gefühlt? Wenn die Hochsensibilität einbezogen wurde?
126 B Das hat mir sehr gut gefallen, da habe ich mich verstanden gefühlt. Weil ich ja
127 sehr dazu tendiere, es war für mich schon sehr angenehm, dass ich
128 verstanden wurde, also ich habe immer gedacht ich bin falsch oder
129 irgendetwas stimmt nicht mit mir, aber dass es mehr solche Menschen gibt,
130 dass es die Hochsensibilität gibt, auch, dass man diese Überreaktionen hat,
131 das hat mir schon gut getan, im Gespräch darauf einzugehen.
132 I Würdest du sagen, dass es wichtig ist, im Beratungsgespräch mit
133 hochsensiblen Personen, dass die Thematik der Hochsensibilität thematisiert
134 wird?
135 B Ich denke, dass es auf die Person ankommt und auf das Thema, also ich
136 kann das jetzt nicht sagen, was andere brauchen, ich glaube die
137 Persönlichkeit weist jeweils darauf hin. Und der Berater soll erkennen, ist das
138 jetzt eine hochsensible Person und ist es passend, das anzusprechen.
139 I Wir sind jetzt am Ende des Interviews angelangt, gibt es noch etwas, was du
140 mitteilen möchtest?
141 B Also für mich ist es jetzt wichtig, mit dem noch weiterzuarbeiten,
142 auch immer wieder zu Hause eine Übung anwenden.
143 Dass man sich öfter mit den Themen beschäftigt, dass man einen Anker hat.
144 I Ich danke dir für deine Teilnahme.
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Interview Nr. 3 Interview mit Teilnehmer 3
Datum der Aufnahme 25.02.2016
Ort der Aufnahme Leibnitz
Dauer der Aufnahme 12:74 Minuten
Interviewer/in Roswitha Schmuck
Datum der Transkription 01.03.2016
Transkribient/in Roswitha Schmuck
Besonderheiten keine
Transkriptionsregeln Wörtliche Transkription mit Übertragung ins Schriftdeutsche (Mayring 2002)
1 I Laut HSP Fragebogen bist Du eine hochsensible Person. Wie hast Du dich
2 gefühlt, als du das erfahren hast?
3 B Ja, also da habe ich nichts Besonderes gefühlt, ich habe mir auch nichts dabei
4 gedacht.
5 I War es das erste Mal, dass Du etwas über Hochsensibilität erfahren hast oder
6 hast Du zuvor schon davon gehört?
7 B Nein, ich habe zuvor nichts darüber gehört.
8 I Bei der Hochsensibilität geht es um die Neigung in eine Überreaktion oder
9 Überstimulation zu kommen, in welchem Lebensbereich zeigt sich das bei dir?
10 B Ich würde sagen, im Privaten.
11 I Wo im Privaten, in der Familie oder mit Freunden?
12 B Bei der Familie.
13 I Kannst du da ein Beispiel nennen? Wie sich die Überreaktion oder
14 Überstimulation da zeigt?
15 B Ja, mit Kritik kann ich nicht umgehen.
16 I Also, wenn du kritisiert wirst.
17 B Ja, ich wehre mich zwar nicht, aber es trifft mich halt schwer, innerlich.
18 I Du nimmst die Überreaktion, dann eher im Innern wahr?
19 B Ja, genau, im Innern, da arbeitet es dann.
20 I Wenn du die Überreaktion im Innern dann so stark wahrnimmst, wie gehst du
21 damit um?
22 B Ja, ich friss es in mich hinein.
23 I Sprichst du es mal an, oder ziehst du dich eher zurück?
24 B Ich sage gar nichts, bin im Innern jedoch sehr aufgewühlt.
© Roswitha Schmuck 76
25 I Habe ich dich richtig verstanden, nach außen zeigst du gar keine Reaktion,
26 doch im Innern, da spielt sich viel ab, würdest du sagen, dass du da in einer
27 Überreaktion bist?
28 B Ja, schon, auf alle Fälle.
29 I Gehst du in bestimmten Situationen auch in ein Vermeidungsverhalten?
30 B Ja, sicher.
31 I Kannst Du mir da ein Beispiel nennen? Wie zeigt es sich dann?
32 B Ja, also ich mache Dinge nicht, wo ich kritisiert werden könnte, bemühe
33 mich Kritik auszuweichen, so in der Art, es geht zwar nicht immer aber….ja.
34 I Kennst du auch Situationen, wenn es belastend für dich wird, das kann jetzt
35 auch auf einen anderen Lebensbereich bezogen sein, zum Beispiel
36 Arbeit wo du mit Kampf oder Flucht reagierst?
37 B Kampf nicht, eher mit Flucht und Rückzug, ich gehe halt dem Ganzen aus
38 dem Weg. Und versuche keine Fehler zu machen. Doch bei der Arbeit geht es
39 eh gut, weil ich gut bin.
39 I Bei den Beratungsgesprächen hast du ein Thema gewählt, wo Du zurzeit die
40 Hochsensibilität als Belastung empfindest. Wir haben mit den Methoden der
41 Logotherapie und Existenzanalyse gearbeitet. Wie hast Du dich bei der
42 Anwendung dieser Methoden gefühlt, wie war das für dich?
43 K Ja, eigentlich gut.
43 I Konntest Du während oder nach der Anwendung eine Veränderung eine
44 Wirkung spüren?
45 B Ja, schon, also die Angst ist schon noch da, doch es ist weniger geworden, es
46 ist jetzt besser. Die Angst habe ich ja nur, wenn sich körperliche Symptome
47 zeigen, wenn es normal ist dann ja nicht. Doch es ist jetzt schon besser.
48 I Beim logotherapeutischen Gespräch hat die Frage nach dem Sinn eine
49 zentrale Bedeutung. Wie war das für dich als HSP? Hast du dich da
50 verstanden gefühlt?
50 B Ja, ich habe mir halt schwer getan, weil ich halt keinen Sinn darin sehen
51 konnte. Ich meine, weil es (Schlaganfall) keinen Sinn hat. Doch jetzt geht es
52 mir schon besser, durch die Familie und mein Kind, das gibt mir wieder Sinn.
© Roswitha Schmuck 77
52 I Stellst Du dir die Sinnfrage des Öfteren?
53 B Ja, schon, immer wieder.
54 I Können das Verständnis des Menschenbildes der Logotherapie und die
55 Ansätze zur Selbstdistanzierung und Selbsttranszendenz, für dich eine
56 Hilfestellung sein, wenn Du in eine Überreaktion oder Überstimulation kommst?
57 B Ja, sicher, ich kann mit den Schmerzen besser umgehen, indem ich mich halt
58 ablenke.
59 I Kannst du da ein Beispiel nennen, wie lenkst du dich von den Schmerzen
60 ab?
61 B Ja, also im Privaten, indem ich mit dem Buben spiele, meine Aufmerksamkeit
62 auf die Familie lenke. Beruflich lenkt mich die Arbeit ab, dann ist es leichter.
63 I Habe ich das richtig verstanden, du schaust in der Familie mehr auf das
64 Positive, lenkst dich ab und dadurch geht es dir mit den Schmerzen besser?
65 B Ja, sicher, man lenkt sich selbst ab, von den Schmerzen.
66 I Und beruflich lenkt dich die Arbeit ab.
67 B Ja, die Arbeit und auch die Gespräche mit den Arbeitskollegen, das
68 Zusammensein mit Anderen.
69 I Kannst Du dir vorstellen, dass du die Methoden und Ansätze der
70 Logotherapie auch selbst anwenden kannst, wenn sich belastende Themen
71 zeigen?
72 B Ja, im Grunde schon, dass ich mich immer wieder von meinen Schmerzen
73 ablenke, egal womit, du musst dich halt selbst vom Schmerz ablenken.
74 I Meinst du damit das trotzdem ja zum Leben sagen, so wie wir es in der
75 Beratung besprochen haben.
76 B Ja, an das Positive denken, die Familie und an das, was gut ist.
77 I Wir kommen nun zur letzten Frage, bei den logotherapeutischen
78 Beratungsgesprächen haben wir das Persönlichkeitsmerkmal der
79 Hochsensibilität berücksichtigt und thematisiert. Wie hast du dich bei diesen
80 Gesprächen gefühlt?
81 B Ja, gut, hat schon gepasst.
82 I War es angenehm für dich, dass ein Bezug zur Hochsensibilität hergestellt
© Roswitha Schmuck 78
83 wurde.
84 B Ja sicher, wenn man auf die Sensibilität eingeht, dann redet man halt
85 leichter, es geht leichter.
86 I Würdest Du sagen, dass es wichtig ist, in Beratungsgesprächen, dass darauf
87 eingegangen wird?
88 B Ja, schon, man tut sich leichter mit den Antworten, weil sonst hat man das
89 I Gefühl der Berater ist zu forsch und dann sagt man wieder nichts, frisst es
90 wieder in sich hinein. Ich bin sowieso nicht jemand, der viel redet. So redet
91 man doch etwas mehr, als Hochsensibler.
92 I Versteh ich das jetzt richtig, die Berücksichtigung der Hochsensibilität hat dir
93 im Beratungsgespräch auch Sicherheit gegeben?
94 B Ja, genau, genau so.
95 I Ja, wir sind jetzt am Ende des Interviews angelangt, gibt es noch etwas was
96 Du uns mitteilen willst?
97 B Ja, es war für mich angenehm, hat mir schon viel gebracht, ich würde gerne
98 weitermachen, ja… und sonst möchte ich noch danke sagen.
99 I Ich sage auch danke, für deine Teilnahme.
© Roswitha Schmuck 79
15. APPENDIX D: Datenschutz-Vereinbarung
Datenschutz-Vereinbarung
Name:__________________________________________________________________________
Anschrift:_______________________________________________________________________
Ort des Interviews:________________________________________________________________
Datum des Interviews:_____________________________________________________________
Ich, der/die Interviewte, erkläre
Ich habe an dem oben genannten Interview teilgenommen und war mit der Aufzeichnung des
Interviews auf Audioband einverstanden. Ich überlasse Frau Roswitha Schmuck für ihre
Abschlussarbeit ihrer Ausbildung zur Dipl. psychosoziale Beraterin als Schenkung alle Nutzungsrechte
an den im Rahmen des Interviews entstandenen Dokumenten und stimme einer Verwendung für
ausschließlich wissenschaftlichen Zwecke in anonymisierter Form zu.
___________________________________________________
Datum:
____________________________________________________
Unterschrift der/des Interviewpartner/in
____________________________________________________
Unterschrift Interviewerin