Post on 27-Mar-2019
Kinder bekommen keine Thrombosen oder doch? Christoph Bidlingmaier
Abteilung Pädiatrische Hämostaseologie
Kinderklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München
Thrombosen im Kindesalter
betreffen
insbesondere Früh- und Neugeborene
Jugendliche in der Pubertät
Kinder auf Intensivstationen oder mit chronischen Erkrankungen
Kinder mit angeborenenen Risikofaktoren
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Dijk et al. , Paediatric Resp Reviews 2012
Exogene Risikofaktoren
Perinatale Erkrankungen Asphyxie, maternaler Diabetes, ARDS
Medizinische Interventionen Gefäßkatheter (~ 50%), Immobilisation, Gips, chirurgische Eingriffe
Akute Erkrankungen Trauma, Sepsis, Dehydrierung
Chronische Erkrankungen Onkologische, renale,
kardiale oder entzündliche
Erkrankungen
Andere Medikamente (Steroide, Pille, Asparaginase, ...)
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Thromboselokalisationen
Neugeborene Ältere Kinder
Katheterassoziiert Katheterassoziiert
Nierenvenenthrombosen Unterschenkelvenenthrombosen
Schlaganfall Bein-Beckenvenenthrombosen
Cava-Thrombosen Sinusvenenthrombosen
Intrakardiale Thrombosen Isolierte Lungenembolie
Sinusvenenthrombosen Armvenenthrombosen
Mesenterialvenenthrombosen Intrakardiale Thrombosen
Pfortaderthrombosen Milzvenenthrombosen
Organe / ZNS Extremitäten
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Klinische Untersuchung
arterielle Thrombosen
ggfs. Temperaturunterschied, Sättigung seitendifferent
blasse, kühle Extremität, Schmerz, fehlender Puls
CAVE: Indikation für arterielle Zugänge streng stellen !
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Thrombosen erkennen -> Umfangsdifferenz (Stase)
Venöse Thrombosen
Stasezeichen:
Zyanose
Schwellung
Schmerz
Umgehungskreisläufe
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Weitere klinische Zeichen
Nierenvenenthrombose (insb. Neugeborene)
Hämaturie Abdominelle Schwellung
Katheterassoziierte Thrombose (Onko, Intensiv)
Verstopfter Katheter
Stasezeichen der betroffenen Extremität
Umgehungskreisläufe
ZNS-Geschehen z.B. Sinusvenenthrombose / Infarkt
Hemiparese
Krampfanfälle
Hirndruckzeichen
Koma
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Akute Labordiagnostik
Immer (zur Diagnostik, Therapieplanung)
Thrombozytenzahl (Thrombozytensturz)
D-Dimere (hoch sensitiv, wenig spezifisch = hilfreich wenn 0)
Hämoglobin (hämorrhagisch ?)
Quick, PTT, Fibrinogen (vor Therapie)
Wünschenswert, da substituierbar:
Antithrombin (soll bei Thrombose in den „Erwachsenennormbereich“)
Protein C (bei Sepsis/Purpura ggfs. blind geben!)
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Thrombophilie Screening (60% der Patienten sind positiv)
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
hereditärer Risikofaktor Prävalenz Normalbevölkerung
Prävalenz Thrombose- patienten
Thromboserisiko (erhöht)
Faktor-V-Leiden-Mutation (G1691A)
2 – 7% 20 – 30% 3 – 5 fach (heterozygot) 50 – 80 fach (homozygot)
Faktor-II-Mutation (G20210A)
2 – 4% 5 – 15% 3 fach (heterozygot)
Antithrombin-Mangel 0,02% 1% 10 – 20 fach
Protein-C-Mangel 0,2 – 0,3% 2 – 3% 10 fach
Protein-S-Mangel 0,1 – 0,2% 1 – 2% 10 fach
Lipoprotein(a)-Erhöhung 7% 20% 2 – 4 fach wenn > 30 mg/dl wenn > 1 Jahr
Metaanalyse: Young G; Circulation, 2008
Im Kopf haben: Homocystein, CDG, PNH, APS
OUT: FXII, „alle“ Polymorphismen (MTHFR, PAI, ...) !
Lipoprotein (a): steigt ebenfalls im ersten Lebensjahr an.
Andrew et al. (1991)
Altersabhängige Parameter
Thrombophilie Screening -> Zeitpunkt des Screenings
Wer wird untersucht ?
Immer Patient
Manchmal Angehörige
immer bei familiärem Antithrombinmangel, Protein C/S Mangel
sonst wenn erstgradige Verwandte bis 25 / 30 J. betroffen
Mädchen vor Pille, auch bei „älteren“ betroffenen Verwandten
Wenn man asymptomatische Säuglinge untersucht, dann
erst mit 6-12 Monaten
positives Thrombophiliescreening ohne Thrombose: keine Krankheit nur statistisches Risiko!
Thrombophilie Screening -> Indikationen
Bildgebung
Ultraschall, Duplex Sonographie bzw. Farbdoppler
Phlebographie / Angiographie / iv-DSA
MR-Angiographie / MR-Phlebographie
Spiral-CT (Lungenembolien)
CT-Angiographie (insb. Erwachsene)
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Allgemeine Überlegungen
Prüfung des individuellen Nutzen / Risiko – Verhältnisses
Kaum kontrollierten Studien
Behandlung nach adaptierten Therapieempfehlungen für Erwachsene
keine gesonderte Zulassung der Antikoagulanzien im Kindesalter (Unterschrift der Eltern !)
psychische Belastung / notwendiges Monitoring
Prüfung der Indikationen
venöse / arterielle Thrombosen mit / ohne Begleitblutungen
drohender Organverlust / vitale Bedrohung
Langzeitprognose / Spätfolgen
Prüfung des Therapiezieles
Thrombusauflösung, Thrombuswachstum und Thrombusentstehung
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Therapieoptionen
Thrombektomie
Thrombolyse
Antikoagulation
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Nebst guter Rheologie, Kompression und Mobilisation. (= in der Regel keine Bettruhe !)
Thrombektomie
Indikation:
lebensbedrohliche Thromboembolien
drohender Organverlust
drohender Extremitätenverlust
ggfs. auch drohende Wachstumsstörung (selbst wenn Umgehungskreisläufe relativ gut erscheinen!)
Bei größeren, arteriellen Gefäßen und ggfs. auch bei
langstreckigen venösen Thrombosen älterer Kinder
IMMER RÜCKSPRACHE MIT GEFÄSS-CHIRURGIE bzw.
INTERVENTIONELLER RADIOLOGIE.
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Thrombolyse
Thrombolyse Indikation:
• lebensbedrohliche Thromboembolien
• drohender Organverlust
• drohender Extremitätenverlust/Wachstumsstörung
• Basilaristhrombose oder bei beobachteten Infarkt
CAVE: hohes Blutungsrisiko (bis 40%) !!! Eher zurückhaltend, wenn, dann innerhalb von Studien (CHEST Ib) oder als ultima ratio
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Dosierungsbeispiel:
rtPA 0,2 mg/kgKG i.v. über 30 Minuten, dann 0.5-1-2.5 mg/kgKG/Tag
lokale TH: 0,5 mg/kg/1h - ggf. nach 6-8 Std. wdh
Kontrolle: D-Dimer-Anstieg HWZ: 4 - 9 Min.
Begleitheparinisierung 100 E/kg/d während Lyse, in Lysepause 300 E/kg/d
Ggfs. Ultraschall-Assistierte lokale Lyse (EKOS Thrombolyse)
Zusammenfassung Thrombektomie und Thrombolyse
Thrombektomie und Lyse müssen bei
vitaler Bedrohung, arteriellen Verschlüssen oder
drohendem Extremitätenverlust diskutiert werden.
Insbesondere bei älteren Kindern (> 10 J)
sollten interventionelle Verfahren, lokale Lyse ....
überlegt werden..
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Antikoagulation: Gut verfügbare Medikamente
Akuttherapie:
„normales“ Heparin iv = unfraktioniertes Heparin (UFH)
subkutanes Heparin = niedermolekulares Heparin (NMH)
Sekundärprophylaxe (im Anschluß an Akuttherapie):
NMH, UFH
Langzeitprophylaxe (Jahre) / Primärprophylaxe:
orale Vitamin K Antangonisten (Coumadin/Marcumar)
Thrombozytenfunktionshemmer (z.B. ASS), NMH
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Therapie und Monitoring UFH (= iv Heparin)
„Vollheparinisierung“ Bolus: 75 E/kg in 10 Min. , dann 20-30 E/kg/h
Ziel PTT: 60-80 Sek
Monitoring: 1. Kontrolle 4-6 h nach Bolus / Therapiebeginn
dann 2 – 4 x täglich ...
Prophylaxe: Kontrolle 1 x täglich („normal“ – 50 sek)
Beachte: AT-Spiegel: soll im Normbereich liegen
Interaktionen mit Infusionslösungen
CAVE HIT: Thrombozyten messen ! Alle 2 d von d4 bis d10.
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Nebenwirkung Blutungen unter Heparin
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München Chest 2012;141;e737S-e801S
Antidot Protamin: vorsichtig einsetzen, strenge Indikation,
Gefahr von Blutungen und Thrombosen
Sicherer: Heparin absetzen, abwarten, (EK)
Niedermolekulare Heparine: Vor- und Nachteile
Vorteile
kein Einfluß durch Diät oder Medikamente
subkutane Gabe - gute Akzeptanz, mehr Mobilität
bessere Bioverfügbarkeit und fehlende Kumulierungsgefahr
gute Vorhersehbarkeit und Steuerbarkeit
minimales Monitoring
eher geringeres Risiko für Blutungen, HIT (?) und Osteoporose
geringere Kosten als UFH
Nachteile
längere Halbwertszeit (6 – 8 Std.)
-> Absetzen 12 – 24 Std. vor jeglichen Eingriffen (LP!)
Kein spezifisches Antidot
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Universität München
Dosierung LMWH im Kindesalter
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München Chest 2012;141;e737S-e801S
Anti-Faktor-Xa-Messung
Prophylaxe: keine allgemeine Notwendigkeit Ziel: 0.2 – 0.4 E/ml (bei Kindern jedoch meist zu empfehlen)
Therapie: 1. Kontrolle: 2 h (1-3 Jahre) - 4 h (> 3 Jahre) Ziel: 0.4 – 0.8 E/ml nach 2. / 3. s.c.-Gabe dann entsprechend Dosisanpassung stabile Werte: 1 (-2) x / Woche in den ersten 4 Wochen dann 1 x / Monat CAVE: Thrombozytenzahl wg. HIT-Gefahr
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Allgemeine Empfehlungen LMWH
Dosisreduzierung bei Thrombozytopenie, Nieren-, Leberinsuffizienz
regelmäßiges Monitoring
regelmäßiges Überdenken der Indikation im Verlauf
regelmäßig interdisziplinär denken (inkl. Hausarzt vor Ort!)
CAVE: zusätzliche gerinnungsaktive Medikamente (z.B. ASS)
keine i.m. / i.a.-Injektionen (Impfungen subkutan)
Therapieänderung vor Operationen, LP oder bei Verletzungen
Aufklärung von Patient, Eltern und Umgebung (z.B. Schule, Sport)
Notfallausweis
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Zusammenfassung NMH
Trotz fehlender Zulassung im Kindesalter
(und trotz der kommenden neuen Antikoagulantien)
sind NMH die Standardtherapie.
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Orale Antikoagulanzien
Vitamin K Antagonisten Cumarine
Marcumar® Coumadin® Phenprocoumon Warfarin (Deutschland) (Welt)
Längere t 1/2 kein Übergang in MM
Indikation: Langzeitantikoagulation !
Ziel INR: Kardiologie 2.5 – 4.5 arterielle Thrombosen 2.5 – 4.0 venöse Thrombosen 2.0 – 3.5
Problem: Säuglinge
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Therapie bei Überdosierung von Vitamin K Antagonisten
Fragen: blutets ?
blutet es wegen der Überdosierung ?
blutets schlimm ?
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1 . Leichte Überdosierung: Marcumar absetzen bis INR < 3,5 (dauert meist 2-3 Tage) 2. Mittelschwere Überdosierung: ggf. 5-10 mg Vitamin K oral (Wirkung nach etwa 1Tag) 3. Schwere Überdosierung (lebensbedrohliche Blutung): 0.5 – 1 mg/kg Vitamin K langsam i. v. (Wirkung nach 4 Std), FFP oder PPSB
CAVE: gerade bei Herzkindern geht „keine Antikoagulation“ oft nicht
Vitamin K Effekt hält sehr (!) lange an
rFVIIa überlegen (kurze HWZ)
Thrombozytenaggregationshemmer = ASS
Indikationen: Prophylaxe arterieller Thrombosen (APL, Kardiologie, Kawasaki, ...) nach unkompliziertem Hirninfarkt nach Dissektionen Dosierung: ASS p.o. [Grad IIa]: (1 -) 3 – 5 mg/kg/d (Clopidogrel p.o.: 1 mg/kg/d (Cardio 0.2 mg/kg/d))
Probleme:
kaum Erfahrungen bei Säuglingen
Blutungsneigung, lange Wirkung, kein spezifisches Antidot
Monitoring ?
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Monitoring z.B. Multiplate ASPI Test
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Alternativ PFA 100
Ohne Aspirin
mit Aspirin
Normwerte Kinder: Halimeh et al. Klin. Pädiatrie (2010);222(3):158-63
Zusammenfassung (alte) Orale Antikoagulation
Die Domaine der oralen Antikoagulation
mit Vitamin K Antagonisten oder ASS
ist die Langzeitprophylaxe.
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Neue (orale) Antikoagulantien
Keine Zulassungen bei Kindern
De facto wirklich wenig Erfahrungen bei Kindern
Schwieriges Monitoring
Kein echtes Antidot (wenn dann z.B. PPSB)
Unklare Nebenwirkungslage
Studien laufen
EMEA Empfehlung: nicht außerhalb von Studien !
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Dauer der Sekundärprophylaxe
3 - 6 Monate
heterozygoter Einzeldefekt
Rekanalisation
kein exogener Risikofaktor mehr
6 - 12 Monate
kombin. Defekte
weiter exogener Risikofaktor
Länger bzw. auf Lebenszeit
bestimmte homozygote / kombinierte Defekte
spontane / lebensbedrohliche Thrombosen
Antiphospholipid – Antikörper – Syndrome
Kinderkardiologie
LEITLINIEN: http://ph-muenster.de Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Primärprophylaxe
Dr. von Haunersches Kinderspital
Universität München
Prophylaxe nur in Ausnahmefällen
Prophylaxe nach früherer Thrombose in Risikosituationen
Prophylaxe bei schweren Risikofaktoren
Prophylaxe bei Jugendlichen mit beginnenden Pubertätszeichen (ab Tanner 2) wie bei Erwachsenen einzustufen
> 12 / 14 Jahren; > 40 kg / BMI 25
Prophylaxe unter Hormontherapie (z.B. Großwuchstherapie) wie bei Erwachsenen einzustufen
Kurzzeit-Prophylaxe mit UFH oder NMH
Pädiatrische Hämostaseologie München
PD Dr. Karin Kurnik
PD Dr. Christoph Bidlingmaier Dr. Martin Olivieri Dr. Sebastian Hütker
www.kinder-gerinnung.de
Tel: 089-5160-2853 /-2811
24h: 0172-9062397
Universität München
Dr. von Haunersches Kinderspital (Prof. Dr. C. Klein)
Therapieoptionen bei Kindern 2014
Sinusvenenthrombosen ohne Begleitblutung mit Begleitblutung (> 1 LM)
NMH (hoch dosiert), (Vollheparin i.v.) (niedrig dosiert) UFH / später NMH
Hirninfarkte ohne Begleitblutung mit Begleitblutung
NMH / UFH (niedrig dosiert), ASS keine Therapie (evtl. später NMH / ASS)
Unilaterale Nierenvenenthrombosen ohne V. Cava Thrombose mit V. Cava Thrombose
NMH (hoch dosiert) NMH (hoch dosiert), Lyse
Bilaterale Nierenvenenthrombosen Lyse, NMH / UFH (hoch dosiert)
Venöse Thrombosen NMH (hoch dosiert) Lyse nur aus vitaler Indikation, Thrombektomie/Katheterlyse ggfs. bei älteren Kindern (EKOS Katheter)
Arterielle Thrombosen Thrombektomie, Lyse, UFH / NMH (hoch dosiert)
ZVK – Thrombosen NMH (hoch dosiert), lokale Lyse, Entfernung
Intracardiale Thrombosen Thrombektomie, NMH / UFH (hoch dosiert) (RS Kardiologie)
Meningokokkensepsis Protein C – Konzentrat (human), FFP, AT – Konzentrat
Lungenembolien NMH / UFH (hoch dosiert), Lyse, Thrombektomie