Autismus von zwei Seiten – Erfahrungen in der Arbeit mit Eltern von Kindern mit ASS Esther Manser

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Autismus von zwei Seiten – Erfahrungen in der Arbeit mit Eltern von Kindern mit ASS Esther Manser Matthias Huber Kinder- und Jugendpsychiatrische Poliklinik KJPP Bern. Übersicht. Definition Autismusspektrum Autismus von zwei Seiten Pädagogische Notwendigkeiten und Implikationen - PowerPoint PPT Presentation

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Autismus von zwei Seiten –

Erfahrungen in der Arbeit mit Eltern von Kindern mit ASS

Esther Manser

Matthias Huber

Kinder- und Jugendpsychiatrische Poliklinik

KJPP Bern

Übersicht

1. Definition Autismusspektrum

2. Autismus von zwei Seiten

3. Pädagogische Notwendigkeiten und

Implikationen

4. Besonderheiten im Umgang mit Eltern

5. Erfahrungen in der Elterngruppe

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1. Definition Autismusspektrum

Autismusspektrum:

•Frühkindlicher Autismus (= Kanner-Autismus):

Low Functioning (LFA) vs. High Functioning (HFA): IQ>75

•Atypischer Autismus

•Asperger-Autismus (= Asperger-Syndrom): AS

Prävalenz Autismusspektrumstörungen:

•0.9%

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Gemeinsamkeiten – Unterschiede (ASS)

Gemeinsamkeiten

• Kommunikationsschwierigkeiten

• «Kontaktstörung»

• Besonderheiten der Wahrnehmungsinformationsverarbeitung

• Spezialinteressen und Stereotypien

Unterschiede

Asperger-Syndrom:

• Keine Beeinträchtigung betr. kognitiver Entwicklung und Sprachentwicklung

• motorische Ungeschicklichkeit

Wahrnehmung von zwei Seiten: Raum betreten

Neuro-typisch Autismus-typisch

- Schwerpunkt Personen

(Sozialfokussiert-sozialorientiert)

- Schwerpunkt Objekte

(Objektfokussiert-objektorientiert)

- Sensorisches:

Filtern und Diskriminieren

(Sozialfokussiert)

- Sensorisches: alles gleichzeitig, Reizüberflutung

(Objektfokussiert)

- Schnelle Anpassung - Anpassungsschwierigkeiten

- Übersicht - Detail

- Intuition und Logik - vor allem Logik

- Überblicksmenschen - Detailmenschen

©Matthias Huber

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2. Autismus zwei Seiten

Was wird von aussen wahrgenommen und interpretiert? Was läuft innerlich ab?

Gefühle

-> Freude über ein Ereignis

Von Aussen: Freude nicht erkennbar (mimisch, gestisch, verbal)

Von Innen: Freude

-> Freude über die Begegnung

Von Aussen: Freude nicht erkennbar (mimisch, gestisch, verbal)

Von Innen: Freude

=> Was passiert in der Beziehung?6

Antwortlatenz

Von Aussen: Keine Reaktion ersichtlich, «Wo ist die Frage hingekommen?»

Von Innen: Frage verstehbar?

Innerliche Suche nach der korrekten Antwort, am Überlegen,

Vorbereiten der Antwort

=> Konsequenz?

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Umgang mit Sprache:

Von Aussen:

Knappe, kurze («ja»/«nein»/«weiss nicht»)

situations-inadäquate Antworten («Ich mag Hockey. Du auch?»)

Explizites Verstehen funktioniert, implizites nicht («Lieblingsfarbe?», «Sag’, wenn du Hilfe brauchst…»)

Von Innen:

Ständiges Überlegen wie etwas gemeint ist

oder stereotypes innerliches Wiederholen der Frage

wortwörtliches, logisches Verstehen («Putzt immer sein Zimmer!»)

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Kommunikation: Eigene Bedürfnisse ausdrücken, anmelden

Zum Beispiel Toilette benötigen:

Von Aussen: Wer nichts sagt, braucht nichts… («dem geht es gut»)

Unhöflich, öffnet alle Türen

Wirkt egoistisch

Von Innen: Sich innerlich aufsagen, dass man Toilette braucht, nicht

daran denken/vergessen, es mitzuteilen -> sich selber (ohne

Hilfe) auf Suche machen

Indirektes Mitteilen («Ich will sofort heim» oder weglaufen)

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Mitteilen von Unangenehmem und Überforderung

Von Aussen: Weder verbal noch nonverbal Anspannung und Stress

ersichtlich («er hat keine Probleme damit»)

«Plötzliche» Impulsdurchbrüche

Von Innen: Innere Anspannung und Stress steigt, teilweise mit Wissen

warum, teilweise ohne zu wissen warum

Bleibt innerlich gefangen…

Konsequenz: Hohe Anpassungsleistung z.B. in Schule, auf Gruppe dann innerlich Zusammenbruch mit aggressivem Verhalten oder totalen Blockaden («Stressbarometer»)

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Umgang mit Reziprozität im Dialog

Von Aussen: Ausschweifendes Antworten (detailfixiert)

kein Ping-Pong («turn-taking»), selektive Auswahl von

bestimmten Wörtern und Begriffen

Von Innen: Kann nicht mimisch/gestisch ablesen, was der andere will, ¨

Unvollständiges Wissen, was man sagen soll und darf,

gründliches, korrektes Antworten, alles ist wichtig (keine

Prioritäten)

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Blickkontakt

Von Aussen: Vermeiden/Ignorieren von Blickkontakt oder ständiges

Starren

Schaut hin, wenn die meisten weg schauen

Schaut weg, wenn die meisten Menschen hinschauen

Von Innen: Muss schauen und weiss nicht warum

Muss schauen und weiss nicht wann

Muss schauen und weiss nicht wie lange

=> Konsequenz?

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Langsamkeit

Von Aussen: Es passiert scheinbar nichts, keine Reaktion, keine Regung

Blockaden oder Wutausbrüche bei erneutem Fragen

Von Innen: Sich gedankliches einhängen, zum richtigen Zeitpunkt, am

richtigen Ort, in der richtigen Position, langes innerliches

Vorbereiten auf einen Handlungsablauf

Beginnen, wenn innerlich alles klar ist, vorher nicht

Bei Unterbruch von aussen, wieder von vorne anfangen

=> Konsequenz: Können nicht beliebig beschleunigt werden («Mach schneller» -> Werden noch langsamer…)

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3. Pädagogische Notwendigkeiten und Implikationen

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©Huber&Manser

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Schulalltag/Gruppenalltag

• Rolle der Bezugsperson (im Detail erklären)

• Probleme, über das Ohr Informationen aufzunehmen („Herausfiltern“)

• Gruppenarbeiten: unübersichtlich, nicht regelhaft, laut, mit Stress verbunden

• Turnen: viele Reize, schnelles Reagieren, durcheinander rennen, unausgesprochene

Regeln, Turnhalle akustisch ungewöhnlich

• Pausenplatz: Häufig stressreichster Ort, soziales Miteinander kann nicht

decodiert werden → ständige Angst vor unvorhersehbaren Angeboten und

Sanktionen Gleichaltriger

• Lärm: Reizüberflutung → „Wutanfälle“, „Verweigerung“, „Blockaden“

• Veränderungen → Angst, Unsicherheit, Orientierungsverlust

©Huber&Manser

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• Lachen anderer Kinder/von Erwachsenen kann nicht immer richtig gedeutet

werden.

• Missverständnisse: Versteht nicht, wie eine Aufforderung gemeint ist, tut

dann nichts oder das Falsche

• Stereotypien: Wiederkehrende Geräusche/Fragen, Bewegungen,

motorische „Unruhe“→ hilft dem Betroffenen Halt im Chaos zu finden, kann

andere Kinder manchmal stören

• Plötzlich auftretende und hartnäckige Schulverweigerung

©Huber&Manser

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Pädagogische Notwendigkeiten/Implikationen

• Vom Detail zum Ganzen hin (zuerst Details „vorstellen“)

• Nach Möglichkeit Reizüberflutung reduzieren, Schaffen von zeitlich und

örtlich präzise umschriebenen „Ruheinseln“.

• Bereiche klar voneinander abgrenzen („Wann bin ich für mich, wann mit den

Anderen?“)

• Abläufe erklären, überschaubar darstellen fördert Selbstständigkeit

(Strukturierung und Visualisierung)

• Seine eigenen Tätigkeiten kommentieren (vor sich Hinsprechen, ohne Anspruch

auf Antwort des Gegenübers; «laut» Denken, «laut» Fühlen)

©Huber&Manser

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Pädagogische Notwendigkeiten/Implikationen

• Übergänge vorausplanen und klar formulieren (Vorinformation, Strukturieren)

• Sätze mit genauen Begriffen bestücken;

„bald“, „nachher“, „später“ ersetzen durch genaue zeitliche Angaben.

• Offene Fragen vermeiden, durch konkrete ersetzen („Schöne Ferien

gehabt?“ „Hat es dir gefallen?“ „Wie geht es dir?“)

• Wahrnehmungsspezifische (-berücksichtigende) Diskussionen:

Wie verhalten sich Menschen in diesem Raum, in anderen Räumen? Gibt es

Gesetzmässigkeiten, etc.? Beobachtungsfähigkeit des Betroffenen

aktivieren/zunutze machen. Fernziel: Transfer und Generalisierung

• Spezialinteressen nutzen (schulisch und im Alltag)

4. Besonderheiten im Umgang mit Eltern

Odyssee der Eltern betreffend Abklärungen und Einschätzungen in der Regel von verschiedensten

Fachpersonen (neg./pos. Feedback)

•«Erziehungstipps», die nicht den gewünschten Erfolg brachten

•Sich nicht ernst genommen fühlen

Cave:•Teamspaltung («Also bei mir geht es problemlos»)

•Andere Fachleute nicht disqualifizieren

•Kein gemeinsames Fallverständnis

Wünsche der Eltern an die Fachpersonen•Fachpersonen nutzen Wissen von Eltern im Umgang mit Ki/Ju

•keine Schuldzuweisungen (indirekt/direkte)

•Einbezug der Geschwister

•Psychoedukation über ASS

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Wünsche der Eltern an Fachpersonen ff:

•Aufklärung über mögliche Schulungsformen und berufliche Integration

•angepasste (heil-)pädagogische Massnahmen

•Unterstützung der Eltern im Helfernetz (Schule, Verwandtschaft,…)

•Geschwister- und Klassenaufklärung

•Entlastungsmöglichkeiten (Wochenend- und Ferienentlastung, u.a.)

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Unterschiedliche Zugänge von Müttern und Vätern

•Familiennorm

•Elternteil auch betroffen

•Übersetzer-Rolle

•«Symbiose» Mutter und Kind, die keine ist (Tel. für Lehrstelle)

Familientherapie

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5. Erfahrungen in Elterngruppe

Zusammensetzung der Elterngruppe:

•10 Elternteile (offene Gruppe)

•Mitglieder des Behandlungsteams

•Co- Leitung Fachperson mit ASS und Fachperson ohne ASS

•Alle 2 Monate 90 Min.

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Erfahrungen:

•Andere Eltern kennenlernen

•Nicht in der Minderheit sein, nicht «exotisch» sein

•Zusammenkunft von Eltern, deren Kinder noch in Behandlung sind und von

Eltern, deren Kinder nicht mehr teilstationär behandelt werden

(d.h. Eltern von Kindern mit neu gestellter Diagnose und Eltern von Kindern, bei

denen die Diagnose schon früher gestellt wurde)

•Offenes Diskutieren von autismus-typischen Problemen und Austausch von

Erfolgen / Misserfolgen

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• Austausch von hilfreichen Strategien untereinander

• Gegenseitiges Mut machen, nicht aufzugeben

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