Post on 25-Aug-2019
Das französische Gesundheitssystem
und Kontinuität in der Versorgung
Merkmale und Schlüsselzahlen
Wichtigste Herausforderungen der französischen
Gesundheitspolitik
Laut OECD:
Relativ hohe Lebenserwartung im Vergleich
zu anderen Ländern (82,3 Jahre gegenüber
80,5 im Durchschnitt)
Geringere Anzahl übergewichtiger oder
adipöser Erwachsener als in den meisten
anderen Ländern
Guter Zugang zur Gesundheitsversorgung
und eine der niedrigsten Selbstbeteiligung
für den Patienten weltweit
Überdurchschnittliche Qualität im Hinblick
auf die Betreuung von Herzinfarkt- und
Schlaganfallpatienten
Zunehmend verlängerte Lebensdauer bei
Krebspatienten
Wichtigste aktuelle
Herausforderungen:
-Alterung der Bevölkerung, wobei die
Auswirkungen auf die
Gesundheitsausgaben von der
Entwicklung des Gesundheitszustands
der älteren Menschen abhängt - der
Anteil an über 80-Jährigen könnte bis
2040 auf mehr als 9 % ansteigen
(gegenüber derzeit 5 %)
– Explosion chronischer
Erkrankungen, von denen rund 15
Millionen Franzosen betroffen sind
❖ Französisches BIP = 2000 Mrd. Euro.
❖ 190,7 Mrd. Euro = Gesamtbudget für öffentliche Ausgaben der
Krankenversicherung (Ohne Arbeitsunfälle und vom Patienten finanzierte
Gesundheitsausgaben, z. B. Selbstbeteiligung).
❖ Bei diesem Betrag ist zu berücksichtigten, dass 70 % der Ausgaben der
Krankenversicherung von der staatlichen Krankenkasse übernommen wird,
der Rest wird von Zusatzversicherungen getragen, 5 % der Ausgaben
verbleiben zu Lasten des Versicherten.
❖ 12 % des BIP = Gesamtausgaben für Gesundheitsleistungen in Frankreich.
Indikatoren
Versorgungsangebot in Frankreich
❖ Gesundheit ist eine Staatsaufgabe
➢ Dezentrale Bereitstellung auf Ebene der Verwaltungsregionen (d.h. außerhalb der Zuständigkeit
der gewählten regionalen Gebietskörperschaften) über Regionale Gesundheitsagenturen (ARS)
➢ Einrichtung der ARS im Jahre 2010 => unter Leitung des Gesundheitsministeriums
Neuordnung im Jahre 2015 (13 Regionen anstelle von 22).
➢ Duales System: ARS tragen die Verantwortung für das Leistungsangebot und verwalten die
Abstimmung der verschiedenen Bereiche des Angebots auf regionaler Ebene, die Verwaltung des
Finanzierungssystems verbleibt auf nationaler Ebene.
Leistungsangebots in Frankreich
Zusammensetzung des Leistungsangebots in Frankreich:
• Ambulante Versorgung der Gesundheitsdienstleister: Allgemeinärzte und
Fachärzte, Zahnärzte, Apotheker, Krankenpflegekräfte...
• Krankenhaussektor, unterteilt in 3 Hauptkategorien: öffentliche Krankenhäuser,
gemeinnützige Privatkliniken und gewinnorientierte Privatkliniken.
• Medizinisch-soziale Strukturen, zu denen unter anderem Pflegeheime
(EHPAD) und Einrichtungen für behinderte Menschen zählen.
Das System zeichnet sich durch die Trennung zwischen den Bereichen
Ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, und medizinisch-soziale
Versorgung aus.
Schüsselzahlen des Versorgungsangebots (2017)
➢ Anzahl an stationären Betten in Krankenhäusern: 1981: 392.644 Betten - 2018: 148.223 Betten: Minus 62%
➢ Durchschnittliche Verweildauer im Bereich Medizin-Chirurgie-Frauenheilkunde:1980: 10,2 Tage – 2018: 5,6 Tage : Minus 45%
➢ 337 Ärzte pro 100.000 Einwohner (Durchschnitt der EU-Länder: 370).
➢ 77,5 Millionen Tage pro Krankenhauspatient, davon 44,5 % Nachsorge undRehabilitation.
➢ Ziel der Krankenversicherungsausgaben (ONDAM): 195,2 Mrd. Euro im Jahr 2018, d. h. 296 Mio. Euro pro 100.000 Einwohner (182,3 Mrd. Euro im Jahr 2015).
➢ Davon:➢ 40,5 % für Gesundheitseinrichtungen.
➢ 9,7 % für soziale und medizinisch-soziale Einrichtungen.
➢ 44 % für ambulante Versorgung.
Finanzierung der Gesundheitseinrichtungen
Qualität der medizinischen Versorgung
➢ Die regionalen Gesundheitsbehörden genehmigen und beurteilen die
Versorgungstätigkeiten auf der Grundlage der von Regulierung und Planung:
➢ Frankreich beschränkt als einziges Land den Erwerb von umfangreicher Geräteausstattung für den
Gesundheitsdienstleister (frei praktizierende Anbieter oder Krankenhäuser) - bei Neugründung von
Gesundheitseinrichtungen sowie bei der Ausübung von 18 Versorgungstätigkeiten, einschließlich Tätigkeiten,
die in Form von Alternativen zu einem Krankenhausaufenthalt oder dem Einsatz umfangreicherer
Geräteausstattung ausgeführt werden: Ausarbeitung eines medizinischen Projekts für jede
Versorgungstätigkeit, Integration in das regionale Gesundheitsprojekt mit einer bestimmten Anzahl möglicher
Neugenehmigungen (quantifizierte Bilanz des Versorgungsangebots) für jedes Gesundheitsgebiet innerhalb
eines Zeitraums von 5 Jahren.
➢ Die regionalen Gesundheitsbehörden (ARS) beurteilen jede Versorgungstätigkeit einer
Gesundheitseinrichtung vor Verlängerung der Genehmigung (alle 5 Jahre bis 2018, danach alle 7 Jahre) auf
der Grundlage der technischen Funktionsbedingungen; die Agenturen (ARS) verfügen ferner über ein
„Inspektions“-Tool zur Beurteilung der Übernahme und zur Gewährleistung, dass die Qualität und Sicherheit
der Versorgung sichergestellt sind.
➢ Die Hohe Gesundheitsbehörde zertifiziert alle Gesundheitseinrichtungen in Abständen
von 4 bis 6 Jahren und akkreditiert Praxen bestimmter medizinischer Fachbereiche.
➢ Die Krankenversicherung setzt ein Risikomanagementprogramm mit einem Teil
„Angemessenheit der Versorgung“ ein, der sich gezielt mit der Abstimmung zwischen einer
Pathologie und den entsprechenden Betreuungsbedingungen befasst.
Beurteilung der Versorgungsqualität durch die Nutzer
➢ Der Nutzer (Patient, Angehöriger...) wird zunehmend in die Beurteilung der Qualität der
medizinischen Betreuung eingebunden, insbesondere durch Messung der Zufriedenheit.
Patientenvertreter nehmen an der Kommission für Nutzerbeziehungen und
Betreuungsqualität (CRUQPC) teil, die bei den Gesundheitseinrichtungen eingerichtet
wurden.
➢ Die Gesundheitseinrichtungen sind gesetzlich verpflichtet, die Zufriedenheit jährlich zu
beurteilen. Das Ergebnis dieser Beurteilungen kann online eingesehen werden (Messung
der Zufriedenheit und der Erfahrung von Patienten nach einem mehr als 48-stündigen
Krankenhausaufenthalt (Medizin-Chirurgie-Frauenheilkunde): e-Satis +48h MCO - Zugang
über die Website der hohen Gesundheitsbehörde).
➢ Die Patienten wirken an der Verbesserung der Betreuungsqualität mit und können in diesem
Sinne über ein spezielles Portal unerwünschte Ereignisse melden:
https://signalement.social-sante.gouv.fr/psig_ihm_utilisateurs/index.html#/accueil
Herausforderung Schnittstellenprobleme
➢ 1. Schritt: Gesundheitsministerin Marisol Touraine: Überwindung vertikaler Abschottung,
Verlagerung der Organisation der Betreuung auf territoriale Ebene.
▪ Koordination der stationären Betreuung und Organisation der Kooperation zwischen Krankenhäusern auf
territorialer Ebene als Voraussetzung für die Koordination des Versorgungsangebots für die Bevölkerung
(Verbundkrankenhäuser auf territorialer Ebene).
▪ Koordination der Prozessabläufe (Patient Journey) zwischen ambulanter und stationärer Behandlung durch
Bereitstellung gemeinsamer Informationsplattformen für alle Beteiligten des Versorgungsangebots. Einführung
von Regulierungsinstrumenten in Form von nationalen Programmen unter der Leitung der regionalen
Gesundheitsagenturen (unterstützende territoriale Plattformen, Teams für die Primärversorgung, territoriale
Verbände der Gesundheitsfachkräfte, Digitale Dienstleistungen zur Unterstützung der Koordination).
➢ 2. Schritt: Aktuelle Gesundheitsministerin Agnès Buzyn: Ziel ist es, den Patienten ins
Zentrum des Systems zu stellen und die Versorgung rund um den Patienten zu
koordinieren:
▪ Ausbau der Vorbeugung.
▪ Nach Behandlung der Pathologien: Einrichtung individueller Prozessabläufe. Übernahme und Anpassung der
digitalen Instrumente (Sharing Tools). Zur Vernetzung des Fachpersonals im Gesundheitswesen werden derzeit
horizontale Strukturen eingerichtet:
▪ Gesichertes Mail-System für das Gesundheitswesen (ambulant/stationär)
▪ Interoperabilität (vom gesamten Fachpersonal im Gesundheitswesen gemeinsam genutztes Format für
den Austausch von Patientendaten)
Herausforderungen der finanziellen Abstimmung
verschiedener Arten der Betreuung
Im französischen Gesundheitssystem sind ambulante Versorgung, stationäre Versorgung
und nachstationäre Versorgung stark voneinander getrennt:
➢ Die Abstimmung zwischen den verschiedenen Betreuungsarten (Akutversorgung,
Nachsorge und Rehabilitation, ambulante Versorgung) wird von den regionalen
Gesundheitsagenturen dezentral verwaltet...
➢ …über die Finanzierung wird jedoch auf nationaler Ebene entschieden, fernab vom
Patienten, mit getrennten Budgets ohne Fungibilität.
Im Hinblick auf die nachstationäre Versorgung gestaltet sich die Finanzierung für jeden
Patienten anders, je nach Vertrag mit eventuellen Zusatzversicherungen. Eine
Zusammenlegung der Gelder ist nicht geplant.
➢ Artikel 51 des Gesetzesentwurfs über die Finanzierung der Sozialversicherung 2018
sieht die Möglichkeit vor, Versuchsprojekte durchzuführen, die von den aktuellen
Finanzierungsarten abweichen.
Schnittstelle zwischen ambulanter
und stationärer Behandlung
Digitale Instrumente sind für ein zuverlässiges Zusammenspiel zwischen den verschiedenen
Betreuungsarten unerlässlich.
➢ Gesundheitsministerin Marisol Touraine: Welche Bedingungen für die medizinische
Koordination? Gewählte Lösung: Gemeinsam genutzte Patientenakte unter der Aufsicht der
nationalen Krankenkasse (CNAM).
➢ Aktuelle Gesundheitsministerin Agnès Buzyn:
▪ Das Programm e-parcours zielt auf den Wandel der territorialen Organisationen und
sieht den Einsatz von digitalen Instrumenten vor, die insbesondere die Interoperabilität
der digitalen Dienste und die Integration in professionelle Tools ermöglichen.
▪ Die Bestandsaufnahme der Ressourcen deckt zwei Herangehensweisen ab:
✓ Erfassung aller Einrichtungen in einem bestimmten geografischen Gebiet, die
Gesundheitsleistungen anbieten.
✓ Diese Herangehensweise lässt sich operativ herunterbrechen über die Software
„Trajectoire“, mit deren Hilfe der Patient nach einem Krankenhausaufenthalt
weiterüberwiesen werden kann - zur Verlegung von Kurzzeitpatienten in eine
Nachsorge- und Rehabilitationsstation oder in die außerklinische Pflege.
Herausforderungen der Umstellung von durchschnittlicher
Aufenthaltsdauer auf Organisation der „Patient Journey“
Bei der Koordination chronischer Erkrankungen ist das Krankenhaus nicht die
bestplatzierte Instanz auf der Skala des Versorgungsangebots:
➢ Echte medizinische Primärversorgung stützt sich bei der Koordination chronischer
Erkrankungen auf eine Abstufung der Versorgung, um dadurch an Effizienz zu
gewinnen. Dieser Ansatz berücksichtigt alles, was den Patienten direkt angeht:
ergänzende Untersuchungen, Pflegebedürftigkeit, Hilfe bei Verrichtungen des
täglichen Lebens.
➢ Ziel ist es, eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten und
eine Behandlungsunterbrechung zu vermeiden, die dem Gesundheitssystem hohe
Kosten verursachen. In dieser Perspektive ist die Abstimmung mit der Tagesklinik
ein wesentlicher Faktor zur Vorbeugung akuter Fälle.
➢ Bei der Patient Journey stimmen sich die Gesundheitsdienstleister ab und
organisieren sich um den Patienten. 3 Möglichkeiten: Pflegeheim, zu Hause oder
Nachsorge/Reha.
Problematik der Gewinnung qualifizierter Fachkräfte
Die Problematik der Gewinnung qualifizierten Personals ergibt sich vorrangig aus den
territorial unterschiedlichen Zugangsbedingungen. Dabei besteht ein globales Problem im
Hinblick auf den Zugang zur Versorgung, sowohl im ambulanten als auch im stationären
Bereich. Verschiedene Maßnahmen sollen Abhilfe schaffen:
➢ Territorialer Gesundheitspakt: Förderung der Niederlassung von Ärzten in
strukturschwachen Gebieten.
➢ 2520 Verpflichtungsverträge für den öffentlichen Dienst. Ärzte und Zahnärzte in
Ausbildung erhalten ein Stipendium in Höhe von 1200 € brutto pro Monat und
verpflichten sich im Gegenzug, sich in einem strukturschwachen Gebiet
niederzulassen.
➢ 580 Kontaktärzte im medizinischen Notfalldienst, d.h. Allgemeinärzte, die für den
Notfalldienst ausgebildet sind und vor den mobilen Diensten für Notfallmedizin und
Reanimation eingreifen.
➢ Entwicklung der Telemedizin (Probleme bei der Finanzierung der Tätigkeiten werden
noch gelöst).
➢ Entwicklung multidisziplinärer Ärztehäuser.
Reform des Versorgungssystems
Im Rahmen der Neugestaltung des Gesundheitssystems hat die aktuelle
Gesundheitsministerin, Agnès Buzyn, eine Reform eingeleitet, die auf 5 großen
Strukturprojekten basiert:
• Qualität und Angemessenheit
• Finanzierung und Vergütung
• Digitalisierung im Gesundheitswesen
• Humanressourcen
• Territoriale Organisation
Ziel ist es, das Gesundheitssystem in seiner Gesamtheit zu hinterfragen, um
sich den heutigen Herausforderungen zu stellen und das Gesundheitssystem für
die Zukunft vorzubereiten - in der Perspektive, den Patienten bei allen
Überlegungen und kommenden Entwicklungen stärker als je zuvor in den
Mittelpunkt zu stellen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!