Post on 04-Nov-2019
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Die biologische Vielfalt der Schweiz ist reich und einzigartig. So gedeihen in den 235 verschiedenen Lebensraumtypen des Alpenlandes unter anderem 88 Farnarten und rund 2500 einheimische Blütenpflanzen. Ein Reichtum, den die Schweiz den beachtlichen Höhengradienten, der geologischen Vielfalt und der über lange Zeit traditionellen Bewirtschaftung des Kulturlandes zu verdanken hat. Die Trockenlegung von Mooren und Sümpfen, die Verbauung von Uferlandschaften, der erhöhte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und der Klimawandel sind nur einige Faktoren, die in den vergangenen 100 Jahren zu einem massiven Verlust der Artenvielfalt führten.
Die Bestände der Pflanzenarten sanken auf ein erschreckend tiefes Niveau. Die im Juni 2019 veröffentlichte «Rote Liste» des Bundesamtes für Umwelt (Bafu)
zeigt auf, dass aktuell 3656 Arten und 98 Lebensräume als national gefährdet gelten. Diese machen 34 Prozent der rund 10 700 bewerteten Arten beziehungsweise 59 Prozent der 167 beurteilten Lebensraumtypen aus.
«Im Kanton Fribourg ist mit 700 Pflanzenarten rund ein Drittel des kantonalen Wildpflanzenbestandes vom Aussterben bedroht», berichtet Gregor Kozlowski. Der Biologe ist wissenschaftlicher Leiter und Kurator des botanischen Gartens Fribourg und kam vor über 25 Jahren in die Universitätsstadt. Im Alpinum, Steingarten oder Arboretum – in 21 Abteilungen gedeihen auf einer Gesamtfläche von gerade einmal 1,8 Hektaren weit über 5000 Pflanzenarten.
Das Aufgabenfeld der schweizweit 22 Botanischen Gärten – einst bestaunten die
Besucherinnen und Besucher hauptsächlich exotische Pflanzen – habe sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt, meint Kozlowski. So auch im botanischen Garten der Universität Fribourg. «Die Öffentlichkeitsarbeit rücke immer stärker in den Fokus. Wir möchten unsere Besucher für die Welt der Pflanzen und ihre Bedeutung in den Ökosystemen der Erde sensibilisieren», präzisiert der Biologe.
Die Erhaltung von Pflanzen, die auf natio naler und internationaler Ebene vom Aussterben bedroht sind, zählt zu einer der bedeutendsten Herausforderungen des botanischen Gartens Fribourg. Dank des grossen Engagements zählt der Botanische Garten Fribourg weit über die Kantons und Landesgrenzen hinaus zu einem der bedeutendsten Kompetenzzentren für den Artenschutz.
DAS LEISE STERBEN DER SCHWEIZER FLORA Sie sind die Letzten ihrer Art – ein Drittel der Wildpflanzen der Schweizer Flora sind gefährdet und davon 111 Arten vom Aussterben bedroht. 55 Arten gelten bereits als ausgestorben oder verschollen. In den botanischen Gärten kämpft man um das Überleben der gefährdeten Pflanzen arten, um die Biodiversität langfristig zu erhalten und zu fördern, so auch im botanischen Garten der Universität Fribourg (FR). Text: Christine Huld
Oben: Die Kleine Teichrose Nuphar pumila findet sich im Rahmen eines aktuellen Ex-situ-Erhaltungsprojektes im botanischen Garten der Uni Fribourg.Links: Hochalpine Pflanzen wie das Berner Sandkraut Arenaria bernensis verschwinden aufgrund der Erwärmung des Klimas. Fotos: Botanischer Garten Fribourg
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Erhaltung gefährdeter WildpflanzenIn der «Globalen Strategie zum Schutz der Pflanzen» (Global Strategy for Plant Conservation, GSPC) hat sich die Schweiz mit 193 anderen Vertragspartnern im Rahmen der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, die Hälfte aller für die pflanzliche Artenvielfalt bedeutenden Gebiete der Erde zu sichern. Der Schutz der Lebensräume ist die wichtigste Massnahme, um das Aussterben von seltenen und bedrohten Pflanzenarten zu verhindern.
Neben der ExsituErhaltung – der Kultur von Pflanzen ausserhalb ihres natürlichen Lebensraumes – zähle die Wiederansiedlung in geeigneten Habitaten zu den bedeutenden Massnahmen, um seltene und gefährdete Pflanzenarten zu erhalten. In der Schweiz verfolgen vor allem die grösseren und universitären botanischen Gärten
wie der Botanische Garten der Universität Fribourg eigene ExsituErhaltungsprojekte. «Kleineren Gärten fehlen meistens die entsprechenden finanziellen, personellen und baulichen Möglichkeiten», ergänzt der Biologe und fügt hinzu: «Denn selbst die Erhaltungskulturen kleinwüchsiger Arten benötigen ausreichend Platz – um die genetische Vielfalt nicht allzu sehr verarmen zu lassen, müssen möglichst viele Pflanzen mit unterschiedlichen Genotypen kultiviert werden.» Das Team von Gregor Kozlowski zählt 15 Mitarbeitende. Diesem gehören neben Forschern ein achtköpfiges Gärtnerteam, Mitarbeitende der technischen Abteilung und der Öffentlichkeitsarbeit sowie Studierende der Universität an. In der täglichen Arbeit sei, so der Biologe, die Zusammenarbeit mit der kantonalen Naturschutzfachstelle, dem Bundesamt für
Umwelt oder auch staatlichen Stellen im Ausland sehr eng. Das nationale Daten und Informationszentrum der Schweizer Flora Info Flora, das die Botanischen Gärten bei Arterhaltungsprojekten berät, erarbeitet Empfehlungen zu ExsituProgrammen und verlinkt die beteiligten Fachstellen.
Vermehrung und WiederansiedlungDie Sumpf und Wasserpflanzen sind in der Schweiz die vom Aussterben am stärksten bedrohten Arten. «Mit der Trockenlegung von Mooren und Sümpfen wurde das leise Sterben unzähliger Pflanzenarten schon sehr früh eingeläutet», erklärt Kozlowski. Neben der Kleinen Teichrose Nuphar pumila findet sich das Berner Sandkraut Arenaria bernensis im Rahmen der aktuellen ExsituErhaltungsprojekte im Botanischen Garten Fribourg. «Die Kleine Teichrose ist eines
Oben: Im Alpinum, Steingarten oder Arboretum – in den 21 Abteilungen des botanischen Gartens gedeihen
auf einer Gesamtfläche von gerade einmal 1,8 Hektaren weit über 5000 Pflanzenarten.
Rechts: Der Biologe Gregor Kozlowski sammelt mit seinem Team Pflanzenteile oder Samen der gefährdeten
Pflanzenarten am natürlichen Wuchsort. Fotos: Botanischer Garten Fribourg
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der beispielhaftesten Glazialrelikte Mitteleuropas», betont der Biologe. Sie wächst im stehenden, nährstoffarmen und leicht sauren Wasser von Seen und Teichen wie beispielsweise im Lac des Joncs (FR), dem Gräppelensee (SG) und dem Kämmoosteich (ZH). Mit ihren millimeterdünnen Schwimmblättern bildet die gelbblühende Teichrose auf der Wasseroberfläche einen einzigartigen Lebensraum. «Trockenlegung, Wasserverschmutzung und ein zu hoher Nährstoffgehalt haben der feuchtliebenden Pflanzenart heute weitgehend die Lebensgrundlage geraubt», zeigt Kozlowski auf.
Auch hochalpine Pflanzen wie das Berner Sandkraut verschwinden, so Kozlowski, aufgrund der Erwärmung des Klimas. Das Berner Sandkraut wurde vom Neuenburger Botaniker Claude Favager 1955 auf dem Leiterenpass im Gantrischgebiet (BE)
entdeckt. Das weiss blühende Sandkraut gedeiht fast ausschliesslich in kühlen, nördlich exponierten Hängen oberhalb von 2000 Metern. Zur Erhaltung der seltenen und gefährdeten Pflanzenarten werden Pflanzenteile oder Samen der Raritäten am natürlichen Wuchsort gesammelt, im botanischen Garten vermehrt und in den natürlichen Lebensräumen wiederangesiedelt. Das Monitoring der Wiederansiedlungsprogramme bildet die Grundlage für die Empfehlungen, welche die Forscher den Behörden aussprechen, um künftige Massnahmen, wie beispielsweise die Einrichtung genügend grosser Pufferzonen zum Schutz der Populationen, einzuleiten.
Es beschäftigt Kozlowski, dass nur ein geringer Anteil der gefährdeten Pflanzenarten – jährlich sind dies im Botanischen Garten Fribourg nur zwei bis drei Arten –
den Schutz ihrer Art erfahren. Die finanziellen Mittel, die den botanischen Gärten für den Artenschutz zur Verfügung gestellt werden, würden bei Weitem nicht ausreichen, um dem leisen Verschwinden unzähliger Pflanzenarten entgegenzuwirken. «Pflanzen sind die Grundlage des Lebens – eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der politischen Entscheidungsträger ist wichtiger denn je, um die gefährdeten Arten mit gezielten Massnahmen vor dem Aussterben zu schützen», betont Gregor Kozlowski.
Die Erhaltung von Pflanzen, die auf nationaler und internationaler Ebene vom Aussterben bedroht zählt zu einer der bedeutendsten Herausforderungen des botanischen Gartens Fribourg. Foto: Christine Huld