Post on 14-Sep-2020
Ein Stern, der viele Namen trägt
Wir hätten da eine guteund eine schlechteNachricht. Die gute:Laut der 2017erAusgaben der Gourmetführer
gibt es einen neuen Spitzenreiter in der Region. Allerdings steht das Olivo mit Küchenchef Nico Burkhardt nicht ganz obenauf unserer Liste, weil es aufgewertet worden wäre – etwa mit einem zweiten Sterndes „Guide Michelin“, auf den viele schonlange warten. Nein, das Olivo steht deshalban der Spitze, weil Rolf Straubinger mit seinem Burgrestaurant Staufeneck abgewertet wurde – im „Gault Millau“ von 17 auf 16Punkte. Dies ist die schlechte Nachricht.
Nun ist das mit der Bedeutung von Bewertungen so eine Sache. Der „Gault Millau“ etwa spielt in der Gourmetszene längstnicht mehr eine so große Rolle. Laut einerUmfrage des Magazins „Sternklasse“ imHerbst 2015 unter 5000 Gastronomen liegter im Ansehen nur auf Platz fünf. Auf Platzzwei hinter dem unantastbaren „Guide Michelin“ ist demnach der jüngste und ausführlichste aller Führer – der „Gusto“. Insofern sind manche Urteile relativ zu sehen, besonders die lächerlichen 13 Punktefür die Speisemeisterei. Wenn die Testerdes „Gault Millau“ fair wären, hätten auchdie Schwabenstube und das Top Air einenPunkt mehr. Marco Akuzun ist mit dem Flughafenrestaurant dennoch verdient nach oben geklettert.
Es gibt noch weitere guteNachrichten: Vielleicht wirdStuttgart bald doch wieder indie ZweiSterneLiga aufsteigen. Denn nachdem sich ausder Zirbelstube SebastianPrüßmann gen Frankfurt verabschiedethat, kommt nun Denis Feix. Der hatte zuletzt im Il Giardino in Bad Griesbach zweiSterne. Außerdem gibt es zwei neue Sternerestaurants in der Region: Welcome back inunserer Liste, Michael Oettinger, in der ohne Stern kein Platz mehr ist. Und herzlich willkommen Ben Benasr!
Die Auszeichnung für die Gutsschenkeim Schlosshotel Monrepos war zu erwarten, seitdem die Familie Finkbeiner von derTraube Tonbach in Baiersbronn im Januar2014 die Pacht in Ludwigsburg übernommen hat. Besonders seitdem im Januar2016 Ben Benasr als Küchenchef der Gutsschenke engagiert worden ist. Er war zuvorim Landhaus Stricker auf Sylt mit einemStern und 18 Punkten. Die für das HausWürttemberg erkämpfte Auszeichnung –das MonreposAnwesen befindet sich imBesitz der Hofkammer – ist aber die ersteeigene des 36Jährigen. Benasr sagt: „Das Wichtigste ist der Stern. Das ist wie eineMedaille bei den Olympischen Spielen.“Der Profi ergänzt: „Die Gäste glücklich zumachen, ist mindestens genauso wichtig.“
Und das ist im Schlosshotel Monreposnicht einfach. „Die Gutsschenke ist ebeneine Gutsschenke“, sagt Katrin Hosbeinund meint: eine Traditionsadresse mit tra
ditioneller Klientel. Sie ist mit ihrem Ehemann Ralph die Chefin vor Ort. Zuvor wardas Direktionspaar im Colombi in Travemünde. Aber Ben Benasr bekomme viel Zustimmung für seine „sehr wirtschaftliche“Arbeit, die sich aus „intelligent einkaufen“und „alles verwerten“ zusammensetzt.
Für ihn ist sein neuer Job eine Art Heimkommen, auch weil seine Lebensgefährtin Kim Krehl stellvertretende Verkaufsdirektorin im Monrepos ist. Geboren ist Benasrin Tunesien, aufgewachsen in Abu Dhabi.Der Krieg in der Golfregion trieb die liberale Familie zurück nach Tunis, wo der Vater,ursprünglich technischer Zeichner, eineBäckerei eröffnete. Mit seiner Schwesterführte Benasr zwei Jahre lang den elterlichen Betrieb, ehe er auf Schloss Weitenburg seine Ausbildung zum Koch absolvierte. Es folgten Schnupperphasen in französischen Spitzenküchen, unter anderem bei Superstar Joël Robuchon, bis Benasr nachStationen in Fellbach, Avignon, Unterreichenbach, Ettlingen, Karlsruhe, Stuttgart und Sylt nun in Ludwigsburg gelandet ist.
Ben Benasr ist original französisch geprägt, aber seine Küche ist weltoffen – mitmediterranen und orientalischen Einflüssen. Jüngst habe er in der Gutsschenke Falafel mit PurpleCurryJus angeboten undBegeisterung ausgelöst. Teamarbeit sei ihm
ganz wichtig, „man kann nichtmit elf Ronaldos spielen“, sagter als Hobbyfußballer. Nun, inseiner Küche sind ohnehinnur zwei weitere Ausgebildeteund eine Küchenhilfe. Undwenn man ihn so sieht undhört, dann spürt man: Benasrist gekommen, um zu bleiben.
Armin Karrer ist längst angekommen. Seit 13 Jahren ist der gebürtigeKufsteiner in Fellbach, seit mehr als 20 Jahren hat er einen Stern. Karrer ist derAltmeister in Fellbach, einer Stadt mit45 000 Einwohnern und jetzt drei Spitzenrestaurants. 2015 kam der Stern für PhilippKovacs im Goldberg, 2016 der für Michael Oettinger und sein Restaurant im Familienbetrieb, der leicht mit Karrers Hausverwechselt werden kann: hier Zum Hirschen, dort Hotel Hirsch. Aber, so Karrer:„Brotneid gibt’s nicht. Ich freue mich fürMichael. Er und Philipp sind herausragende Köche, die es wirklich verdient haben.“
Karrer kann auch granteln – nicht zuUnrecht. Vom „Gault Millau“ wird seinGourmetrestaurant Avui seit Jahren mitwenigen Zeilen und ohne Wertung abgespeist, wohl auch, weil es „nur“ an vierAbenden offen hat.
Ohnehin scheint der Tester ein Problemmit Karrer zu haben und schrieb zu den zuletzt immerhin 16 Punkten in der 2015erAusgabe: „Auf die Garnitur aus dehydriertem Geknusper der vergangenen Molekularzeit könnten wir gut verzichten.“ Bewertungen sind Karrer inzwischen egal: „Manbraucht die Gourmetführer nicht. Vieleverbreiten Unwahrheiten und testen nichtmehr.“ Karrer selbst bezeichnet sich als
„absolut kritikfähig“ und ehrgeizig. „Ichbin keineswegs müde, gebe Gas und bin sogut wie nie.“
Das können wir nach einem UndercoverBesuch bestätigen, zumindest raucht und kracht und schäumt es nicht so sehrwie früher. Wichtiger als die Kritik ist Karrer die Wirtschaftlichkeit, die er im gesamten Haus mit Hotelbetrieb und Hauptres
taurant – das bekommt mit seiner traditionelleren Ausrichtung 14 Punkte vom „Gault Millau“ – im Auge haben muss.„Welches Sternelokal ist denn jeden Abendausgebucht?“, fragt Karrer, der schon Plänefür ein Restaurant der Zukunft hat. Und wie immer dieses dann auch aussehen mag,eines sei „ganz, ganz wichtig: Die Gästemüssen wählen können“.
Topgastronomie Die Spitzenrestaurants mehren sich in der Region Stuttgart. In der Saison 2017 zeichnete der „Guide Michelin“ 22 Adressen aus. Von Matthias Ring
Armin Karrer (oben) ist der Altmeister in Fellbach, Ben Benasr der neue Küchenchef derGutsschenke im Schlosshotel Monrepos. Fotos: factum/Weise, Stoppel
Kann man denn bald nirgendwomehr vernünftig essen?!“ So etwashört man von Kollegen, wenn man
sich damit beschäftigen muss, dass es immer mehr Sterne in der Region gibt. Doch,man kann – vielleicht sogar in den 22 Restaurants, die unsere Liste zeigt. Aber was istmit den Adressen für die „normalen“ Gäste,die nicht 300 Euro für einen Abend zu zweit investieren können oder wollen? Die gibt es natürlich zuhauf, denn man mussauch klar sagen: Sternerestaurants sind diegroße Ausnahme. Und häufig sind sie eine Welt, die vielen verschlossen bleibt.
Dabei rufen doch alle Gourmetführerden Trend zum „casual fine dining“ aus.Und wo bitte gibt es das in Stuttgart? So gutwie nirgends, es sei denn, man is(s)t als Gast schon sehr selbstbewusst. Denn casual fine dining bedeutet nicht nur, dass manohne Anzug und Krawatte speisen darf.Nein, der Trend soll auch heißen, dass manunkompliziert essen kann, ohne großes Gedöns und ohne großes Menü. Aber die Realität sieht meist so aus, dass man vier Stunden am Tisch sitzt – und das muss bezahlt werden. Aber will das wirklich jeder? Wären nicht auch eine Vorspeise, ein Hauptgericht und ein geteiltes Dessert möglich?Dann könnte der Tisch vielleicht sogarzweimal an einem Abend belegt werden.
Zugegeben, eine logistische Herausforderung, die man lieber mit Zwangsmenüszu umgehen sucht. Sei es mit der ÀlacartePreispolitik oder mit einem einzigen Menü „zur Wahl“, gerne auch als Überraschung. Da kann man sich dann darüberaustauschen: „Meine Gänseleber ist wunderbar schmelzig. Und wie ist deine?“ – „Meine ist ekelhaft fettig.“ Sorry, wolltenwir uns bedingungslos ausliefern, was durchaus spannend sein kann, gingen wir wenn schon, denn schon nach Berlin, wo esmit geballter Faust heißt: Gegessen wird,was auf den Tisch kommt – und das kommt„brutal lokal“ nicht von weiter her als 90, 60, 50 Kilometer. Oder wie wär’s mit einemGourmettrip nach Hamburg zu Kevin Fehling mit seinem Chef’s Table? Ein Tisch, einMenü – aber drei Sterne!
So gesehen herrscht bei aller Vielfalt deracht Sterneküchen in Stuttgart der Mainstream. Und aus dem würden wir uns gernewas aussuchen. So lange aber überkommene Rituale wie Gänseleber als fragwürdigerAuftakt oder Käsewagen als mächtiges Finale eines FünfGängeMenüs immer und immer wieder aufgeführt werden, wird es wenig neue Gäste geben. Zumindest nichtsolche, die „vernünftig essen“ wollen.
Immer wieder Gänseleber
Rituale Wer neue Gäste für
die Sterneküche will, muss
über manch alte Gewohnheit
nachdenken. Von Matthias Ring
Kommentar
„Der Stern ist wie eine Medaille bei den Olympischen Spielen.“Ben Benasr,Küchenchef Gutsschenke
DIE BESTEN RESTAURANTS DER REGION UND IHRE BEWERTUNG IN DEN GROSSEN GOURMETFÜHRERN
Burgrestaurant Staufeneck,Salach
Gutsschenke, SchlosshotelMonrepos, Ludwigsburg
Restaurant
17
15
16
13
15
15
16
16
16
16
15
3,5 2,5
2,5
2
2
2,5
1,5
2,5
1,5
2,5
3,5
3
2,5
3,5
2,5
3
2,5
2,5
2,5
3
16
15
15
16
16
16
16
17
15
GuideMichelin
GaultMillau
Fein-schmecker
Schlemmer-Atlas Der große GuideGusto Restaurant
GuideMichelin
GaultMillau
Fein-schmecker
Schlemmer-Atlas
Der große GuideGusto
Quellen: Guide Michelin (max. drei Sterne), Gault Millau (max. 20 Punkte), Gusto (max. zehn Pfannen) , Feinschmecker (max. fünf F), Schlemmer Atlas (max. fünf gekreuzte Kochlö�el), Der große Guide (max. fünf Kochmützen)StZ-Grafik: zap
Landhaus Feckl,Ehningen
Olivo, Hotel Graf Zeppelin,Stuttgart-Mitte
Maerz im Hotel Rose,Bietigheim-Bissingen
Avui, Zum Hirschen,Fellbach
Wielandshöhe,Stuttgart-Degerloch
Délice,Stuttgart-Mitte
Yosh,Stuttgart-Killesberg
Top Air,Stuttgart-Flughafen
Schwabenstube, Hotel Adler, Asperg
Landgasthof am Königsweg,Ohmden
5, Stuttgart-Mitte
Speisemeisterei,Stuttgart-Hohenheim
Oettingers Restaurant,Hotel Hirsch, Fellbach
Lamm Rosswag,Vaihingen/Enz
Kerzenstube,Backnang
Krone,Waldenbuch
Zirbelstube, Schlossgarten,Stuttgart-Mitte
Malathounis,Kernen-Stetten
Bachofer, Waiblingen
2
Goldberg, Fellbach Kontakt
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