Post on 10-Sep-2019
DIPLOMARBEIT
Titel der Diplomarbeit
„Nationale Identität Dalmatiens unter Österreich
mit Berücksichtigung der kroatischen Ethnogenese“
Verfasserin
Matilda Erak
angestrebter akademischer Grad
Magistra der Philosophie (Mag. phil.)
Wien, 2012
Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 312
Studienrichtung lt. Studienblatt: Geschichte
Betreuer: ao. Univ.-Prof. Dr. Karl Vocelka
1
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ......................................................................................................................... 2
1. Einleitung ................................................................................................................. 6
2. Erste österreichische Regierung ..................................................................... 10
2.1 Heimatliebe und konservative Kaisertreue....................................................... 11
2.2 Mutterland und aufkeimende Anschlussgedanken ............................................ 16
3. Dalmatien unter Napoleon: Antifranzösische Haltung ..................................... 19
4. Wieder Österreich.................................................................................................. 24
4.1 Slawische Identität und italienische Kultur ...................................................... 27
4.2 Illyrismus und Panslawismus ................................................................................ 29
5. Annexionisten, Autonomisten und Sprachendisput ....................................... 34
6. Politisches Aufblühen .................................................................................... 47
6.1 Nationales Erwachen ............................................................................................. 49
6.2 Kroatentum und Feindbilder ................................................................................. 61
7. Politische Neuordnung ................................................................................... 65
7.1 Südslawentum und serbischer Nationalismus ....................................................... 67
7.2 Sieg der Nationalideologie .................................................................................... 69
8. Kroatische Ethnogenese und nationale Identitätsbildung .............................. 75
8.1 Ethnogenese und kollektive Identität .................................................................... 78
8.2 Das kroatische Mittelalter ..................................................................................... 81
8.3 Kroatische Stammeswerdung ................................................................................ 88
8.4 Konstruktion einer nationalen Identität ................................................................. 92
9. Zusammenfassung .......................................................................................... 96
Literaturverzeichnis ........................................................................................... 100
Anhang .............................................................................................................. 104
2
Vorwort
„Großvater, wenn man dich zur Zeit Jugoslawiens fragte, welcher Nationalität du angehörst,
was hast du damals geantwortet?“ – „Dass ich Kroate bin, selbstverständlich.“ Ich war noch
ein Teenager, dennoch kam mir die Frage: Woher weiß dieser politisch vollkommen
desinteressierte, einfache dalmatinische Bauer mit einer Bildung von zwei Volksschuljahren,
dass er Kroate ist? Und wieso überwog bei ihm nicht das Gefühl, Jugoslawe zu sein, obwohl
er sein gesamtes Leben bis zum Zerfall Jugoslawiens in jenem Staat verbracht hatte?
Als Kind, das zwischen Österreich und Jugoslawien, später Kroatien, aufwuchs, begriff ich,
dass man auf seine Herkunft stolz sein kann, aber auch, dass gewisse Zugehörigkeiten
abgelehnt werden. Wenn ich sagte, ich würde „jugoslawisch“ sprechen, erklärte man mir, dass
diese Sprache nicht existiere. Wenn ich die vom jugoslawischen Staat propagierte
Bezeichnung „serbokroatisch“ hernahm, besserte man mich wiederum aus: „Kind, wir
sprechen kroatisch“.
Weiters wurde mir bewusst, dass es eine Antipathie zwischen Nationalitäten geben kann,
diese erlebte eines Tages ihren Höhepunkt, als mein Vater zur Tür hereinkam mit den Worten:
„Die Serben haben uns den Krieg erklärt.“ In Dalmatien sagt man auch heute noch gerne:
„Wir Dalmatiner sind die größten Kroaten.“ In Wien, andererseits, fiel mir auf, kaum
patriotischem Gedankengut zu begegnen, zumindest keinem, das mit dem in Dalmatien
vorherrschenden, vergleichbar wäre. Warum mochten sich Serben und Kroaten nicht, und
warum waren Dalmatiner stolz darauf, Kroaten zu sein, während man in Wien kaum
jemanden mit einem österreichischen Wappen auf der Brust vorfinden konnte?
Diese Fragen beschäftigten mich in meiner Jugend, und im Laufe meines Geschichtsstudiums
versuchte ich, derartigen Erscheinungen und den entsprechenden Ismen auf den Grund zu
gehen. Ich lernte, dass politische Ereignisse aus der Vergangenheit als gemeinschaftliches
ideologisches Erbe an die folgenden Generationen weitergegeben werden können. Dabei ist
das dem Menschen angeborene Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer größeren Gruppe, und
das daraus resultierende Wir-sie-Bewusstsein ausschlaggebend. Obwohl es im auslaufenden
19. Jahrhundert durchaus eine südslawische Annäherung gab, standen bald Politik und
Religion der serbisch-kroatischen „Brüderlichkeit“ im Wege. Sie hatten nicht das gleiche
Selbstverständnis entwickelt, trotz der Nachbarschaft und großer sprachlicher
Übereinstimmung besaßen sie schließlich nicht die gleiche Identität. Die anfängliche Idee
3
eines vereinenden Vielvölkerstaates konnte nicht alle Vereinten zufrieden stellen. Im Rahmen
des SHS-Staates und der darauf folgendenden jugoslawischen Diktatur breitete sich in
Kroatien eine Stimmung gegen die serbische Obrigkeit aus. Der über ein Jahrhundert alte
Wunsch vieler Kroaten nach einer selbstständigen nationalen Identität konnte im
Vielvölkerbund nicht erfüllt werden. „Die“ Serben wurden spätestens nach dem Attentat auf
Stjepan Radić zum Feindbild, „die“ Kroaten wurden es vor allem nach der Ermordung des
serbischen Königs in Frankreich. Wenige Jahre später erhielten die Feindbilder, genährt durch
die Geschichten über verübte Gräueltaten, eine weitere Tiefe, die einen wurden Ustaše, die
anderen Četnici. Die menschenverachtenden Handlungen im Zuge des Zweiten Weltkriegs
dienten hervorragend als Grundlage zur beidseitigen hassschürenden Mythenbildung, und zur
Denunziation gesamter Bevölkerungen. Die kommunistische Regierung konnte die
nationalistischen Tendenzen und die seit Jahrzehnten schlummernden und immer wieder
ausbrechenden Feindschaften im Großen und Ganzen unterdrücken. Es wurde mittels
staatlicher Repression und Propaganda versucht, den Vielvölkerstaat zu einer neuen
südslawischen Nation zu formen, doch nach dem Tod des jugoslawischen Führers zu Beginn
der 1980er waren die Eskalationen und das Ende der südslawischen Einigkeit absehbar.
Kroatien konnte „endlich“ autonomer Nationalstaat werden. Sein Streben nach einem
„eigenen“ Staat, in dem Sprache, Religion und Nation einheitlich sind, wurde, wie bei vielen
europäischen Ethnien im 19. Jahrhundert geboren. Einigen wurde die Selbstständigkeit
schließlich gewährt, zahlreiche Nationen konnten ihre Identitäten spätestens nach dem
Zweiten Weltkrieg etablieren, und ihre Staaten dementsprechend formen. Bei anderen, wie
den Kroaten machte sich ein Gefühl der Versäumnis breit, folglich trachtete man auch in der
Nachkriegszeit nach der Gewährung des „historisch belegten Staatsrechtes“. Erst mit dem
Untergang des Kommunismus konnte Kroatien das nachholen, was das, aus seiner Sicht,
fortschrittliche, westliche Europa bereits vor Jahrzehnten durfte – die eigene nationale
Identität ausleben. Und während der Patriotismus im „fortschrittlichen“ Europa im letzten
Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bereits an Bedeutung verloren hatte, war Kroatien dabei, sich
seiner nationalistischen Euphorie in vollen Zügen hinzugeben.
Die Geburt des Nationalismus war ausschlaggebend für die Entwicklung Europas nach dem
langen 19. Jahrhundert, sie ist auch heute noch Basis des vorherrschenden politischen
Denkens. Aus den ideologischen Strömungen jenes Jahrhunderts und dem Kampf um die
Vormachtstellung der führenden Nationen resultierten zwei Weltkriege, und daraus wiederum
unser heutiges Europa in seinen politischen Grenzen. Deshalb erschien mir gerade das lange
19. Jahrhundert als besonders spannend.
4
Im Laufe meines Studiums befasste ich mich mit der Nationalideologie, woraus sich ein
weiterer aufschlussreicher Aspekt ergab. So wie für die Erschaffung eines nationalen
Feindbildes auf vergangene politische Ereignisse zurückgegriffen wird, so wurden auch für
die Erschaffung der Nationen historische Fakten aus der auslaufenden Antike und dem
Mittelalter herangezogen. Aus den einstigen „Völkern“ wurden im Laufe des fortschreitenden
19. Jahrhunderts allmählich „Nationen“. Das Vorhandensein Jahrhunderte alter schriftlicher
Überlieferungen wurde zur Legitimation politischer Forderungen. Um die Entstehung der
nationalen Ideologie vollständig zu beleuchten, sollte folglich auch die der Nation als Basis
dienende Volkswerdung nicht außer Acht gelassen werden.
In Anbetracht meiner eigenen Vergangenheit, meiner frühen Berührung mit Nationalismus
und Feindbildern, und den spannenden, damit in Beziehung stehenden ideologischen
Mechanismen, entschied ich mich, die vorliegende Arbeit diesem Thema zu widmen. Der
kroatische Nationalismus wurde in der geschichtswissenschaftlichen Forschung bereits relativ
ausgiebig untersucht, weshalb ich mich auf Dalmatien konzentrieren wollte. Bis aufs kurze
französische Intermezzo war dieser Teil der Monarchie im langen 19. Jahrhundert von
Kroatien durchgehend administrativ getrennt. Umso interessanter ist es, zu hinterfragen,
weshalb sich hier der kroatische Nationalismus neben den anderen politischen Strömungen
schließlich als stärkste Tendenz durchsetzen konnte.
Der dalmatinische politische Werdegang wird chronologisch aufgebaut, dabei sollen die
aufkommenden Ideologien aufgezeigt werden, die sich dort seit der österreichischen
Übernahme 1797 bis zum Zerfall der Monarchie etablieren konnten. Auf welchem Wege,
unter welchen politischen Umständen, gelangte das österreichische Dalmatien zu seiner
nationalen Identität, und welche ideologischen Strömungen konnte das lange 19. Jahrhundert
in Dalmatien hervorbringen, das sind zunächst die zentralen Fragen dieser Arbeit. Um dem
nationalen Selbstverständnis vollständig auf den Grund zu gehen, sollen folgend auch die
kroatische Stammeswerdung und der Beginn des Kroatentums behandelt werden. Wie wurden
die Kroaten zum Volk, welcher historischer Fakten bediente sich der kroatische
Nationalismus, um seine Daseinsberechtigung zu formulieren, und wie konnte die kroatische
Identität in Dalmatien die vom „Mutterland“ getrennten Jahrhunderte überdauern, das soll
abschließend geklärt werden.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts werden in Dalmatien vermehrt publizistische Werke gedruckt,
die von den vorherrschenden Parteien stark beeinflusst waren. Diese Schriften spiegeln die
ideologischen Strömungen jener Zeit ausgezeichnet wieder, und werden hier zur
Veranschaulichung politischer Diskussionen herangezogen. Aufgrund unzureichender
5
publizistischer Möglichkeiten in den Jahrzehnten zuvor mussten sich politisch Engagierte der
Literatur bedienten, um ihre Anliegen zu veröffentlichen, weshalb folgend auch literarische
Beispiele die Kontroversen jener Zeit demonstrieren sollen. Auch diese sind dank ihrer
emotionalen Färbung hervorragende Zeitzeugen. Was die kroatische Nationalgeschichte
betrifft, so wird die Produktion entsprechender Literatur seit dem Zerfall des
kommunistischen Staatenbundes ergiebig nachgeholt. Mitunter muss man sich dabei der nun
verbreiteten kroatisch-nationalistischen Färbung bewusst sein, im Großen und Ganzen kann
man aber auf eine Fülle kroatischer, und auch dalmatinischer Geschichtswerke zurückgreifen.
Insbesondere sei hierbei Grga Novak erwähnt, ein dalmatinischer Historiker aus Hvar, der
sich bereits in den 1940ern intensiv Dalmatiens Vergangenheit widmete. Besonders erfreulich
ist, dass er bei seiner Beschäftigung mit dem 19. Jahrhundert zahlreiche Originaltexte
berücksichtigte, und gegebenenfalls ins Kroatische übersetzte. Sein Beitrag zur
dalmatinischen Historiographie ist beachtlich, in zahlreichen themenbezogenen
wissenschaftlichen Werken wird er zitiert. Auch Ernest Bauer stützte sich bei seiner
Veröffentlichung „Drei Leopardenköpfe in Gold“ auf Novaks Werke. Viele kroatische
Geschichtswerke gehen auf das dalmatinische 19. Jahrhundert mangelhaft ein, anders ist das
bei Šidak, Gross, Karaman und Šepić, die das politische Geschehen und die Entwicklung des
Parteiwesens in Dalmatien ausführlich bearbeitet haben. Die dalmatinische Nationalideologie
wurde erfreulicher Weise insbesondere von Antoni Cetnarowicz und sehr ausgiebig von
Konrad Clewing untersucht. Die Ethnogenesen im dalmatinischen und kroatischen Raum
können aufgrund mangelhafter Quellenexistenz nicht zur Gänze beleuchtet werden, Walter
Pohl trug allerdings im Zuge seiner Forschung über die Awaren Wesentliches zur kroatischen
Volkswerdung bei, ebenso Neven Budak und der Slawist Radoslav Katičić.
Alles in allem fand ich eine gute wissenschaftliche Ausgangslage für die Bearbeitung meines
Themas vor, sodass ich mich der vorliegenden Arbeit mit Erwartung auf Klärung der
gestellten Fragen widmen konnte.
6
1. Einleitung
Dalmatien als geographische Bezeichnung hat eine zwei Jahrtausende alte Geschichte. Das
ursprüngliche, nach seinen illyrischen Siedlern benannte, Illyricum wird im ersten Jahrhundert
geteilt. Das südliche Illyricum superius, erhielt einen neuen, vom illyrischen Stamm der
Delmaten abgeleiteten Namen. Als römische Provinz erstreckte sich Dalmatien entlang der
Adria von Istrien bis Moesien und Macedonien, im Norden bis zur pannonischen Grenze. Im
Laufe der Zeit schrumpfte sein Territorium, unter Diokletian verlor es seine südlichsten
Gebiete, nach der Teilung des Reiches fällt es dem Westen zu. Heute bezeichnet Dalmatien
den Süden Kroatiens, eingebettet zwischen den dinarischen Gebirgszügen Velebit und Dinara
als Grenze zu Bosnien-Herzegowina und der kroatischen Gespanschaft Lika. Sein adriatischer
Küstenstreifen beginnt unterhalb der Kvarner-Bucht mit der Insel Pag, führt bis nach
Dubrovnik zur montenegrinischen Landesgrenze, und ist gekennzeichnet von zahlreichen
vorgelagerten Inseln.
Das Gebiet Dalmatiens war bis zum 20. Jahrhundert geprägt von einem politischen, sozialen
und kulturellen Gegensatz zwischen den adriatischen Städten und dem Hinterland, das durch
seine schwer überwindbaren Gebirgszüge, von der Küste teilweise auch geographisch
abgegrenzt war. Vor allem die Städte und Inseln zogen die Aufmerksamkeit der sie
umgebenden Mächte auf sich, so war Dalmatiens Küste stets begehrt, das Hinterland zum
Großteil vernachlässigt. Eine Reihe von europäischen Gewalten nahmen auf die
dalmatinische Geschichte Einfluss, Rom, Byzanz, Venedig, die Osmanen, Ungarn und nicht
zuletzt Österreich.
Die von Rom zivilisierte Küste Dalmatiens wurde zu Beginn des 7. Jahrhunderts von
slawischen Stämmen im Zuge ihrer Wanderungen besiedelt, ab etwa 800 werden hier aus
jenen Siedlern hervorgegangene kroatische Fürstentümer verzeichnet. Nach dem Zerfall des
kurzlebigen kroatischen Königreiches (925-1102) wird die kroatische Krone an Ungarn
übergeben. Noch während seiner Existenz war das kroatische Reich stets dem Vordringen der
Nachbarmächte ausgesetzt, die Küste war aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen
begehrt. Zwischen den Franken und Byzanz versuchten die kroatischen Regenten ihre
Vorherrschaft zu sichern, die letztlich davon abhing, wie stark die Konkurrenz war,
beziehungsweise, wie diplomatisch man mit dieser umging. Als adriatische Macht kam
Venedig hinzu, das ab nun einen Jahrhunderte dauernden Einfluss auf die Küste Dalmatiens
7
ausüben sollte. Das Erbe der kroatischen Herrscherdynastie übernahmen einige
Adelsfamilien, die vom Hinterland aus mit der Küstenregion liebäugelten, allerdings
erfolglos. Teile jener Adelsgeschlechter konnten sich in bosnischen Territorien etablieren, und
trugen dort gemeinsam mit dem Franziskanerorden zur Erhaltung eines Kroatentums bei.
Auch die ungarische Regentschaft konnte sich durch Venedigs Präsenz und das Vordringen
der Osmanen in Dalmatien nicht dauerhaft durchsetzen, so blieb die wiederholt erkämpfte
Herrschaft über die dalmatinische Küste, mit Ausnahme des autonomen Dubrovnik, bei
Venedig. Die von den Ungarn vereinnahmten Gebiete, konnten im Laufe des 15. Jahrhunderts
Stück für Stück wieder der venezianischen Oberhoheit unterstellt werden. Das venezianische
Dalmatien existierte bis zur politischen Wende 1797. Die zur selbstständigen Republik
gewordene Stadt Dubrovnik hielt ihre Autonomie noch bis Napoleons Einmarsch. Ihre Blüte
erlebte sie im 16. Jahrhundert, indem sie durch ihre geographische Lage zu einem
bedeutenden Handelszentrum wurde, und intensive Beziehungen zu den ins Hinterland
vorgedrungenen Osmanen pflegte.
Nach dem Fall Bosniens und der Herzegowina drangen die Osmanen bis in kroatische
Gebiete vor. Den massiven kriegerischen Auseinandersetzungen hielten die Ungarn auf Dauer
nicht stand, worauf sie sich schließlich geschlagen geben, und als Ergebnis der politischen
Entwicklung von 1526/27 Ferdinand als neuen König ernennen. Die kroatische Krone wird
nach einer entsprechenden Abstimmung des kroatischen Landtags ebenfalls an die
Habsburger übergeben. Die folgende politische Geschichte Kroatiens ist gekennzeichnet von
einem Ringen um Autonomie innerhalb der Monarchie, und einem Kampf gegen die
ungarische Vorherrschaft und die zunehmende Magyarisierung. Sein Territorium wird
zersplittert, die Gebiete rund um Bosnien werden zur separat verwalteten Militärzone, welche
als Schutz vor den Osmanen folglich einer steten Gefahr ausgesetzt ist.1
Das venezianische Dalmatien war geprägt von Katastrophen und wiederholten territorialen
Verschiebungen durch das osmanische Vorrücken. Nicht nur während der venezianisch-
türkischen Kriege (1645-69, 1684-99 und 1714-18) kam es zu Übergriffen auf die
dalmatinische Küste, bei welchen die einheimische Bevölkerung stets Venedig unterstütze.
Die osmanische Bedrohung löste mehrere Migrationswellen aus, zudem war die Region
Hungerperioden und Pestepidemien ausgesetzt, worauf die Bevölkerungszahl stark absank.
1 vgl. Ivo GOLDSTEIN, Hrvatska povijest (Biblioteka Jutarnjeg lista. Povijest, 21. knjiga, Zagreb 2008) 165, Edgar HÖSCH, Geschichte der Balkanländer von der Frühzeit bis zur Gegenwart (München 42002) 62, 90f, Robert A. KANN, Geschichte des Habsburgerreiches 1526-1918 (= Forschungen zur Geschichte des Donauraumes, Bd. 4, Wien/Köln/Graz 1977) 31-36, Rudolf KISZLING, Die Kroaten. Der Schicksalsweg eines Südslawenvolkes (Graz/Köln 1956) 24-50, Trpimir MACAN, Hrvatska povijest. Pregled (Zagreb 1995) 67, 79ff, 118
8
Ende des 17. Jahrhunderts beruhigte sich die Lage allmählich als die Osmanen langsam
wieder zurückgedrängt wurden. Mit dem Friedensvertrag von 1699 zwischen dem Kaiser und
dem Sultan, wurde der seit 1683 geführte Krieg beendet, und Venedig festigte seine
dalmatinischen Besitztümer bis Boka Kotorska. Dubrovnik blieb durch die taktische
Anerkennung der kaiserlichen Obrigkeit nach wie vor autonom. 1714 kam es entlang der
türkisch-dalmatinischen Grenze erneut zu kriegerischen Auseinandersetzungen, worauf
wenige Jahre später neue Friedensverhandlungen und territoriale Aufteilungen folgten. Das
dalmatinische Territorium, das sich Venedig im Laufe des 15. Jahrhunderts sichern konnte,
erhielt die Bezeichnung acquisto vecchio, ein schmaler Küstenstreifen mit den Städten von
Novigrad bis Omiš und den vorgelagerten Inseln. Mit dem Frieden von Sremski Karlovci
1699 und dem von Požarevac 1718 wurde das Gebiet erweitert. Venedig verlor das im Krieg
besetzte Hinterland Dubrovniks, konnte aber die dalmatinische Grenzlinie bis zur
Herzegowina verschieben, die danach bis zum Ende des ersten Weltkriegs erhalten blieb. Das
Hinterland und die Städte Obrovac, Knin, Drniš, Sinj, Imotski und Metković, sowie die Bucht
von Kotor bildeten das acquisto nuovo und nuovissimo. Dalmatiens Küste wurde somit mit
dem Hinterland vereint, folglich war es doppelt so groß wie im 15. Jahrhundert. Doch nun
hatte Venedig nicht mehr die Kapazität, viel in diese Region zu investieren. Lediglich die
bessergestellte städtische Gesellschaft konnte auf Kosten der ländlichen Gebiete noch relativ
gut leben, während jene langsam verarmten, Landwirtschaft, Handel und Infrastruktur
rückgängig waren und die Waldbestände dezimiert wurden.2
Die administrative Leitung Dalmatiens unterstand dem Generalprovisor mit Sitz in Zadar.
Dieser wurde vom venezianischen Rat auf drei Jahre gewählt, und gehörte für gewöhnlich
dem venezianischen Adel an. Es unterstand ihm eine Leibgarde, und neben seiner Position als
oberster Gerichtsherr hatte er die Befehlsgewalt über die in Dalmatien positionierte Armee
und Flotte. Das Land war unterteilt in autonome Gemeinden mit Gemeindevorstehern. Die
Arrondissements wurden zum Teil noch nach mittelalterlichen Statuten verwaltet, für die
später eroberten Gebiete galten neuere venezianische Gesetze. Bereits seit dem auslaufendem
Mittelalter unterstanden die dalmatinischen Städte dem Einfluss venezianischer
Patrizierfamilien, welche sich über den consilium maius, den Großen Rat, ihre Privilegien
2 vgl. Ernest BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold. Österreich in Dalmatien (Wien/München 1973) 38-61, Antoni CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien im 19. Jahrhundert. Vom „Slawentum“ zur modernen kroatischen und serbischen Nationalidee (= Menschen und Strukturen. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien, Bd. 16, Frankfurt am Main 2008) 19f, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 161-226, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 86ff, KANN, Geschichte des Habsburgerreiches, 68-75, MACAN, Hrvatska povijest, 110, 112f, Grga NOVAK, Prošlost Dalmacije, knjiga prva i druga (Split 2004) knj. dr. 42
9
sichern konnten. Grundsätzlich existierten seit dem 17. Jahrhundert drei dalmatinische
Bevölkerungsschichten: der Adel, die Bürger und die Landbevölkerung.3
Im Laufe des 15. Jahrhunderts war Venedig noch bemüht, nach Dalmatien strömende
Flüchtlingswellen der vor Osmanen Fliehenden aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina
abzuwehren, im folgenden Jahrhundert jedoch, ändert es seine Politik diesbezüglich, wodurch
der Fortschritt des Slawisierungsprozesses innerhalb der Städte begünstigt, und die
dalmatinisch-romanische Sprache zunehmend verdrängt wird. Auch Angehörige des
kroatischen Adels gelangen in die dalmatinischen Städte, wo sie weiterhin die Erinnerung an
ihre Vergangenheit pflegen, und in die Gesellschaft einbringen. Insbesondere in Dubrovnik
und Split mit seinen vorgelagerten Inseln entsteht zu Beginn der Neuzeit eine Art slawisch-
kroatischer Protonationalismus, der sich in der Literatur führender Schriftsteller niederschlägt.
Heimatliebe und die Verehrung des Eigenen sowie der Vergangenheit und ihrer Protagonisten
stehen dabei im Vordergrund. Jene von italienischer Renaissance und Humanismus
beeinflusste Dichter greifen bereits um 1500 zur eigenen Volkssprache, so Marko Marulić
(1450-1524) aus Split oder Ivan Gundulić (1589-1638) aus Dubrovnik, mit seinem
unvollendeten Epos Osman.4
Wie bereits erwähnt, befand sich die dalmatinische Bevölkerung während der sogenannten
Türkenkriege auf der Seite Venedigs. Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts widersetzte sie
sich den Osmanen auch häufig selbstständig, das dalmatinische Hinterland und die kroatische
Militärgrenze waren stets von Übergriffen geprägt. Jene „Heldentaten“ wurden dichterisch
festgehalten und dienten der Moralhebung. Insbesondere zwei Franziskaner sorgten dafür,
dass die Heimatliebe der kroatischen Bevölkerung eine literarische Glorifikation erfuhr.
Andrija Kačić-Miošić (1704-1760) und Filip Grabovac (1697-1749) ließen ihre Werke in
Venedig drucken. Grabovac verfasste 1747 „Cvit razgovora naroda i jezika iliričkog aliti
hrvackog” und huldigte damit nicht nur das eigene Volk, sondern auch die eigene Sprache.
Weiters erlaubte er sich darin, Kritik am venezianischen Regime zu üben, indem er meinte,
die Kroaten würden kämpfen, die Erträge aber andere an sich reißen. Ihm war die
Rückständigkeit der bäuerlichen Bevölkerung bewusst, andererseits kritisierte er die
kroatische Tendenz, ausländischen Vorbildern nachzueifern, und das Eigene zu
3 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 61f, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 62, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. pr., 179 4 vgl. Antun BARAC, Geschichte der jugoslavischen Literaturen von den Anfängen bis zur Gegenwart (Wiesbaden 1977) 25-30, 45-48, Josip VRANDEČIĆ, Nacionalne ideologije u Dalmaciji u 19. stoljeću, in: Hans-Georg FLECK (Hg), Dijalog povjesničara-istoričara, 4., Pečuh, 20.- 22.10.2000 (Zagreb 2000) 77-94, hier 78
10
vernachlässigen.5 Diese und vergleichbare politisch-philosophische Gedanken und
entsprechende Texte sollten folglich die nächsten Generationen der kroatischen und
dalmatinischen Intellektuellen beeinflussen, und wesentlich zum dalmatinischen
Identitätsfindungsprozess beitragen.
2. Erste österreichische Regierung
Ende des 18. Jahrhunderts leitet das Vorgehen Napoleons eine politische Neuordnung in
Europa ein. 1797, am 18. April sowie am 17. Oktober, werden bei Friedensverhandlungen in
Leoben und Campo Formio die Gebiete der untergegangenen Republik Venetien neu
zugeteilt. Da sich das geschwächte Venedig entschieden hatte, weder Österreich noch
Frankreich im Krieg zu unterstützen, entschieden nun Österreich und Frankreich, Venedig
unter sich aufzuteilen. Im April erhält Österreich Istrien und das adriatische Küstenland von
Kvarner bis Boka Kotorska, im Oktober hört die Republik Venedig offiziell auf, zu existieren.
Österreichs Verluste wie die von Belgien und der Lombardei, werden schließlich mit der
Übernahme der Stadt Venedig entschädigt. Der kroatische Landtag und das ungarische
Parlament bemühten sich um eine Annexion Dalmatiens, worauf der Kaiser mit Ablehnung
und Verschiebung der Frage reagierte.6
Um 1800 hat Dalmatien inklusive Dubrovnik rund 265.000 Einwohner, etwa zu vier Fünfteln
besteht es aus Katholiken, zu rund einem Fünftel aus Anhängern der orthodoxen Kirche, die
sich einerseits im Zuge der durch die Osmanen ausgelösten und von den Habsburgern
unterstützten Migrationen im Hinterland angesiedelt hatten, zum anderen durch die Einnahme
der Bucht von Kotor als acquiso nuovo hinzugekommen waren. Die Bevölkerung setzte sich
mit über 90 Prozent aus einfachen christlichen Bauern zusammen, welche außerhalb der
Städte relativ rückständig und abgeschieden lebten. Das später eroberte Hinterland fungierte
unter Venedig als eine Art Militärgrenze. Man siedelte dort ehemalige türkische Leibeigene
als Schutzzone an. Diese sogenannten Morlaken oder Vlachen erhielten Land zum Bebauen
und waren frei. In Stadtnähe waren die Bauern nach einer anderen agrarischen Tradition in
Kolonate unterteilt, die sogenannten Kolonen waren demnach abhängig von den jeweiligen 5 vgl. BARAC, Geschichte der jugoslavischen Literaturen, 59f, BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 75, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 42 6 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 93-103, 108, CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 17, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 227ff, KANN, Geschichte des Habsburgerreiches, 201f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 47ff
11
Landbesitzern. In den größeren dalmatinischen Städten lebte eine dünne Bürgerschicht, die,
im Gegenteil zum Hinterland, längere Zeit unter venezianischem Einfluss gestanden hatte,
und von venezianischer Politik und Kultur geprägt worden war. Italienisch war die Sprache
der Oberschicht, Bildung vor allem dieser vorbehalten, und wurde vornehmlich außerhalb
Dalmatiens in italienischen Bildungsstätten geboten. Durch die sprachliche Barriere war für
die Bevölkerung der ehemaligen acquistos nuovo und nuovissimo ein Zugang zur Bildung
kaum möglich. Der Großteil der slawischen Intelligenz waren Geistliche, katholische sowie
orthodoxe.7
Nach der österreichischen Machtübernahme war die Bevölkerung der neuen Regierung
gegenüber vorwiegend wohlgesonnen, allerdings konnten auch bereits erste Anzeichen einer
Annäherung an das „Mutterland“ Kroatien festgestellt werden. Mitte Juni 1797 besetzt das
kaiserliche Heer die Inseln Rab, Krk, Lošinj und Pag. Am 30. Juni werden die Truppen in
Zadar feierlich begrüßt, danach folgten Šibenik, Trogir, Sinj, Klis, Split, Makarska, Obrovac,
Novigrad und Knin, sowie die Inseln Brač, Korčula, Hvar und Vis. Die gesamte Operation
erfolgte vollkommen friedlich unter der Leitung von General Matija Rukavina. Das Volk
feierte und schwor nach der zeremoniellen Messe Gehorsam und Ergebenheit. Mit großer
Freude stellten die Untergebenen fest, dass sich die einmarschierenden Truppen einer ihnen
verständlicher Sprache bedienten, die ersehnte Vereinigung mit dem „Mutterland“ rückte für
manche dadurch näher.8
2.1 Heimatliebe und konservative Kaisertreue
Die Ideale der Französischen Revolution konnten europaweit Anklang finden, und ebneten
die Bahn für weitere politische Umwälzungen in den folgenden Jahrzehnten. Durch die stete
osmanische Bedrohung, die Abhängigkeit von Ungarn und Österreich, und die territoriale
Instabilität gab es in Kroatien bereits seit dem ausgehenden Mittelalter vereinzelte
Intellektuelle, die mittels ihrer literarischen Werke diese Missstände kritisierten und Ideen
einer Vereinigung propagierten. Während sich dieser Tradition entsprungene, gebildete
Kroaten sehr wohl mit der französischen Ideologie anzufreunden wussten, konnte eine
7 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 61, CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 20ff, Jakov GELO, Demografske promjene u Hrvatskoj od 1780. do 1981. godine, Razvoj stanovništva na tlu SR Hrvatske, 1. knjiga (Zagreb 1987) 95, Ljubo KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove u historiji i umjetnosti. Pomorska biblioteka Jadranske straže, kolo II, svezak III (Split 1934) 53 8 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 104-114, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 55f
12
größere revolutionäre Anhängerschaft in der dalmatinischen Region Ende des 18.
Jahrhunderts allerdings nicht verzeichnet werden. Die Bevölkerung bestand, wie gesagt, vor
allem aus einfachen, traditionstreuen Christen, und die Geistlichkeit in Dalmatien hatte hohen
Einfluss. Diese war ihrerseits bedacht, ihren eigenen Standard zu halten, mit Freiheit und
Gleichheit war dies nicht vereinbar. Nach dem Machtwechsel in Venedig wurden rund 10.000
dalmatinische Soldaten wieder nach Hause geschickt, viele von ihnen berichteten von
gottlosen, weder Glaube noch Kirche achtenden Franzosen. Man kann durchaus behaupten,
dass sich die Dalmatiner an das alte Regime gewöhnt hatten, nur wenige konnten sich für die
neue französische Politik und die venezianische demokratische Republik begeistern.
Vereinzelte Intellektuelle aus der städtischen Bevölkerungsschicht befassten sich durchaus
mit dem revolutionären Gedankengut, wie die Brüder Garagnin aus Trogir, allerdings kann
hierbei nicht von einer größeren Bewegung gesprochen werden.9
Diese konservative Haltung der Bevölkerung kam der neuen Regierung im Zuge der
Machtübernahme sehr gelegen, zudem war ihr bewusst, dass Dalmatien eine kaiserliche
Armee mit kroatischen Soldaten vermutlich mit Freude empfangen würde. Der Großteil
Dalmatiens sympathisierte mit dem Kaiser und dem katholischen, traditionellen Österreich.
Eine Delegation aus Zadar, beispielsweise, dem dalmatinischen Regierungssitz, vertraute dem
Kaiser ihre Stadt an, mit der Bitte, er möge ihnen seine Soldaten rasch zukommen lassen.
Auch die Aristokratie aus Split bemühte sich, dem Kaiser ihre wohlwollende Haltung zu
vermitteln. Hier herrschte eine regelrechte Angst vor dem französischen Einmarsch, wofür
eigens eine Stadtwache organisiert wurde.10
In Kroatien andererseits gab es eine größere Anhängerschaft der Revolution, deren
Grundsätze man für kroatische Belange heranzuziehen versuchte:
„Ovako Francuz sam govori,
zato noć i dan se bori,
da potere gospošćinu
i utvrdi slobošćinu.”11
Die revolutionären Verse nehmen sich ein Beispiel an den Franzosen, und wollen auffordern,
sich gegen die Privilegierten für die eigene Freiheit einzusetzen.
9 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 95f, 109, CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien,17, KISZLING, Die Kroaten, 51-54, MACAN, Hrvatska povijest, 114, 117, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 48f 10 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 97, CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 17, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 228, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 49f 11 unbekannt, aus: Franjo FANCEV, Dokumenti za naše podrijetlo Hrvatskoga preporoda (1790-1832) (Zagreb 1933) XLV
13
In Split gab es lediglich einen nennenswerten Vertreter der französischen Ideologie. Juraj
Antun Matutinović, der aus Venedig nach Dalmatien heimgekehrte Oberst, bemühte sich,
Gegner des alten Regimes für die neue, demokratische Idee zu begeistern. Allerdings zeigte
sein Engagement wenig Erfolg, und löste eine Welle von Unruhen aus. Das demokratische
Gedankengut war für die damalige dalmatinische Bevölkerung zu modern, zudem verbreiteten
Matutinovićs Gegner das Gerücht, die Franzosen würden Klöster und Kirchen zerstören und
dem Volk den Glauben rauben. Aufgrund der Angst vor einer französischen Übernahme hat
man in Split den Untergang des einst mächtigen Venedigs beklagt, der Anschluss an ein
neues, französisches Venedig kam hierbei nicht in Frage.12
Auch in Kroatien verbreitete sich die Angst vor den Franzosen, gleichzeitig wird die Liebe
zum Eigenen propagiert. Ein gutes Beispiel hierfür ist Tito Brezovački, der im kajkavischen
Dialekt das belehrende Gedicht „Horvat Horvatom horvatski govori“ verfasst, das in Zagreb
im „Novi Kalendar za leto 1801“ gedruckt wird. Kalender waren zu jener Zeit ein beliebtes
Medium, um schriftliche Inhalte auch ans einfache Volk zu bringen. In seinen Versen schürt
der Autor die Angst vor den Feinden, verarbeitet aktuelle politische Ereignisse und fördert
den Stolz auf die eigene Identität. Hier ein Auszug:
„(…) Leto vre deveto teče,
da Francuzi vzeli meče,
vzeli puške i paganete,
poražali purgar’, kmete.
(…) Francuzi su vse odnesli,
zlato, srebro v Pariz znesli;
cirkve jesu porobili,
o grehota! oskrunili.
(…) Oni vele: vsaka vera
da je prava, dobra mera
naj veruje, gdo kaj hoče,
druge nima potreboče.
Je to pravo, o Horvati,
govorenje? vam je znati;
jedna vera je jedina,
to je navuk Božja sina. (…)”13
12 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 95-98, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 228, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 50 13 Tito BREZOVAČKI, 1800, Horvat Horvatom horvatski govori, aus: FANCEV, Dokumenti za naše podrijetlo, 45
14
Lang und ausführlich beschreibt Brezovački in 61 Strophen die französische Unart, die
kriegerische Habgier und die Gottlosigkeit. Er wendet sich an „seine lieben Kroaten“, macht
sich Sorgen um deren Attitüden, befürchtet, dass sie durch französische Gedanken von der
katholischen Tugend abkommen könnten. Die von Frankreich propagierte Religionsfreiheit
wird hier negativ ausgelegt, die Franzosen als Kirchenschänder beschrieben. Der Autor
kritisiert diejenigen Kroaten, die von diesen Ideen bereits erfasst wurden, und warnt, dass dort
wo der Franzose hinkommt, nur Böses verbreitet wird. Nur ein Glaube ist der richtige, und
das ist die Lehre des Sohnes Gottes. „Die Kroaten“ sind für den Schreiber eine klar definierte
Einheit, das Volk, das kroatisch spricht und den kroatischen Ländern entstammt. Als
wesentlichstes Unterscheidungsmerkmal zu den Feinden ist die Religion, die französische
Blasphemie steht dem kroatischen Katholizismus gegenüber.
Texte mit ähnlichem Inhalt beeinflussten auch die dalmatinische Bevölkerung. Im Juni 1797
wurde in Split ein anonymer Aufruf geschrieben. Den Druck brachte man in der gesamten
Umgebung in Umlauf, und las ihn an öffentlichen Plätzen vor. Darauf kam es in den
folgenden Tagen zu Unruhen, Matutinović wurde getötet, und die Stadt Split, entschlossen,
sich dem Kaiser anzuschließen, entsandte eine Delegation nach Wien. Auch in Trogir und
Šibenik kam es zu antidemokratischen Aufständen, bei welchen unter anderem der
französische Konsul sterben musste. Die in Volkssprache, vermutlich von Pater Andrija
Dorotić, einem Franziskaner aus Sumartin auf Brač, verfasste Schrift, richtete sich an das
dalmatinische Volk, und sollte durch das für franziskanische Schreiber charakteristische
Besinnen auf die eigene Heimat und Frömmigkeit der aufkeimenden demokratischen Idee
entgegenwirken:14
„Narode slavni! (...) Radi tvoje rabrenosti svih Narodi boje te se i štuju te dostojno, a
poradi virnosti svih te žele i prilažu ti se dragovoljno. Ove tvoje kriposti mnogi Narodi
žele imati, dali ne imadu, mnogi nenavidu te i nastoje, daj izgubiš i potlačiš. De čuvaj
dakle vitežki tvoje vlastite kriposti, koje su dika i slava imena tvoga. Narode slavni! Ti si
podložan bio dosad pri vedrom duždu mletačkome, komu si se bio povoljno podložio, da
te vlada i upravlja po pravici i po zakonu Isukrstovu, i da te uzdrži u viri katoličkoj. (...)
iztirali su te nepošteno iz Mletaka i neharno izdali. Pak evo su dužda odbacili, vićnike su
i gospodu razurušili, (...). Na pristolje sada su postavili jakovljevce (…). Oni isti, koji su
te izdali, sad opet držeći te budalasta žele, da se njima složiš. (...) Promotri dakle Slavni
14 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 98, 101, BARAC, Geschichte der jugoslavischen Literaturen,59f, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 228, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 52ff
15
Narode dalmatinski, sve potanko, što san ti sad pokaza, i zagrli svit, koga ti daje tvoj brat
i prijatelj, koji želi ti dobro i svaku čestitost.”15
Dieser Text hebt die Tugend des „ruhmreichen dalmatinischen Volkes“ hervor, nach welcher
„andere trachten“. Vor allem die katholische Frömmigkeit wird hierbei betont. Der
ehemaligen Regierung Venedigs hat sich das dalmatinische Volk folgsam untergeben, nun
wurde es aber von den „gottlosen Jakobinern“ verraten und aus Venedig vertrieben.
Fehlgeleitete Dalmatiner wiederum, liebäugeln mit der neuen Regierung, wovor der Verfasser
warnt. Das als Einheit angesprochene Volk soll sich seiner Vorfahren besinnen, und den
eigenen Brüdern vertrauen.
Solch eine Form von Heimatliebe, die proklamierte Liebe zu Gott und Vaterland, wurde jetzt
für politische Zwecke verwendet, hatte aber bereits vor dem Umbruch einen Weg in die
Literatur gefunden. Die gebildeten Geistlichen konnten nun darauf zurückgreifen. Etwa ein
halbes Jahrhundert zuvor, hatte ein Franziskaner eine Reihe von Werken verfasst, welche
nach wie vor in den Klöstern gelesen wurden. Der bereits erwähnte, aus Brist bei Makarska
stammende, Andrija Kačić Miošić, der hauptsächlich in Dalmatien und Bosnien tätig war,
beschäftigte sich mit südslawischer Tradition und Geschichte. Er erkannte die
Schwierigkeiten der bäuerlichen Bevölkerung, und bemühte sich, ihre Vergangenheit
schriftlich zu verarbeiten, und dadurch der Volksbildung beizutragen. Insbesondere sei hier
das Werk „Pismarica – Razgovor ugodni naroda slovinskoga“ (1756) erwähnt, eine Chronik,
welche die Ereignisse von Alexander dem Großen bis zum 18. Jahrhundert behandelt. Kačić
Miošić gibt in der zweiten, erweiterten Ausgabe von 1759 an, er widme das Werk jenen, die
außer der slovinski keiner anderen Sprache mächtig seien. Der Autor, für den die Termini
slovinski und rvatski gleichbedeutend waren, wandte sich also in seiner Volkssprache ans
eigene Volk in der Hoffnung, dessen Geschichte festhalten und die einfache Bevölkerung
belehren zu können. Der Plan ging auf, „Pismarica“ wurde populär und war für viele die
einzige Bildungsquelle. Werke wie dieses dienten in der Umbruchszeit Ende des Jahrhunderts
zur Huldigung „des Eigenen“, und stützten die Tendenz zur Wiedervereinigung mit dem
Mutterland Kroatien.16
Die Franziskaner waren im Kroatien und Dalmatien des auslaufenden 18. Jahrhunderts ein
fester Bestandteil der Gesellschaft. Sie hatten stets engen Kontakt zur einfachen Bevölkerung
15 anonym, 1797, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 52 16 vgl. BARAC, Geschichte der jugoslavischen Literaturen, 60, BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 75, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 217f, Šimun MUSA, Andrija Kačić Miošić i njegovi prosvjetiteljski i jezični prinosi, in: Croatica et Slavica Iadertina II (Zadar 2006) 249-258, hier 249f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 51
16
und konnten diese entsprechend beeinflussen, und Klöster ihres Ordens gab es in ganz
Dalmatien.17 Zu den Franziskanern jener Zeit schreibt Bauer (angelehnt an Novak):
„Diese kroatischen Franziskaner der Provinz des hl. Erlösers waren ohne Ausnahme
echte Volkssöhne und Patrioten. Aus ihren Reihen gingen hervorragende Dichter und
Schriftsteller, wie z. B. fra Andrija Kačić und fra Paško Jukić, hervor, ihre Klöster in
Visovac, Zaostrog, Živogošće, Makarska, Šibenik, Sinj, Karin, Knin, Omiš, Imotski,
Sumartin und in Dobro (Split) waren seit jeher Mittelpunkte, in denen sich Ordensleute,
hervorgegangen aus dem Volke und erzogen für das Volk, sammelten. In ihren Händen
befanden sich zahlreiche Pfarreien im Küstenland und im Hinterland Dalmatiens, so
dass sie jederzeit Kontakt mit dem einfachen Volke hatten. In den Klöstern wurden
Bücher und Schriften kroatischer Verfasser gelesen, und alle Franziskaner waren sich
ihrer kroatischen Abkunft vollkommen bewusst.“18
Jene gebildeten Geistlichen kannten die dalmatinische, beziehungsweise, kroatische
Geschichte, so setzten sie sich im eigenen Interesse für die Idee einer Wiedervereinigung mit
dem kroatischen „Mutterland“ ein. Die alte ungarisch-kroatische Krone und das
traditionstreue, katholische Kaisertum waren ihnen weitaus lieber als das emporkommende
revolutionäre Gedankengut, das der Geistlichkeit weniger wohlgesinnt war.19
2.2 Mutterland und aufkeimende Anschlussgedanken
Neben der katholischen Kaisertreue und der Liebe zum Eigenen entwickelte sich die
Zuneigung zum Slawischen und Kroatischen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass
Termini wie „Eigenes“, „Slawisches“ oder „Kroatisches“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts
nicht absolut definiert waren, und es dabei aus heutiger Sicht Raum für Interpretation gibt.
Wie bereits Kačić Miošić, so bedienten sich auch andere Autoren der genannten
Bezeichnungen willkürlich. Mal hatten zwei Termini die gleiche Bedeutung, dann wieder
nicht. Die Volkszugehörigkeit definierende Bezeichnungen wurden je nach politischer
Intention herangezogen, oft wird „das Eigene“ lediglich durch seinen Gegensatz abgegrenzt.
Es kann dalmatinisch, slawisch, christlich und/oder kroatisch sein, die genaue Definition der
gewählten Bezeichnung lässt sich im Detail nur aus dem jeweiligen Zusammenhang
erkennen. Vereinfacht gesagt ist das „Eigene“ zunächst vor allem durch die Sprache definiert, 17 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 51 18 BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 99 19 vgl. ebd., 100, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 51
17
im Allgemeinen gehört es zur großen slawischen Familie, in weiterer Folge ist es kroatisch
auf Grund der überlieferten Abstammung, und „dalmatinisch“ steht hauptsächlich im
Zusammenhang mit der Region.
Mit der Übernahme Dalmatiens durch Österreich wurde in Kroatien und Ungarn der Wunsch
nach einem Zusammenschluss laut, der allmählich auch in Dalmatien eine Anhängerschaft
fand. Die Tendenz zum Anschluss beruhte auf dem historischen Faktum, dass Dalmatien vor
der endgültigen Einnahme durch Venedig zur ungarischen Krone gehört hatte. Da Ungarn nun
Teil Österreichs war, führte dies zur Schlussfolgerung, der Kaiser als ungarischer König hätte
ein natürliches Anrecht auf das Gebiet. Die Bevölkerung in Kroatien empfand man als „die
Eigene“, oder sie wurde zumindest als „Brudervolk“ bezeichnet. Man besinnte sich auf den
„kroatischen Ursprung“, das einstige Königreich mit seinen kroatischen Herrschern, unter
welchen Kroatien und Dalmatien einst vereint gewesen waren. Diese vorherrschende
Selbstwahrnehmung, sowie die stark ausgeprägte christliche Tradition war verständlicher
Weise vielmehr mit dem Kaiserreich vereinbar als mit dem französischen, revolutionären
Gedankengut. Der aus Kroatien stammende General Rukavina verstand die Übernahme als
Befreiung, so wurde er auch von der dalmatinischen Bevölkerung empfangen, als Befreier,
nicht als Okkupant. Adel und Klerus erhofften sich durch die neue Regierung nicht nur den
Erhalt des bestehenden Besitzes, sie sahen darin auch die Aussicht auf weitere, historisch
„belegte“ Privilegien.20
Aufgrund ihres politischen Interesses im Zuge der Umbruchszeit nahmen die Franziskaner
eine führende politische Rolle ein. Sie bemühten sich nicht nur, die kroatische Heimatliebe
bei der dalmatinischen Bevölkerung zu propagieren, sie trugen auch dazu bei, dass sich die
Tendenz zum Anschluss ans einstige Mutterland verbreitete. Die Intention der Franziskaner
wurde in der folgenden Passage aus einem Brief von Pater Paško Sekula an Pater Andrija
Dorotić im Juni 1797 eindeutig zum Ausdruck gebracht:21
„Budući da je dalmatinsko kraljevstvo ostalo bez one legitimne vlade, kojoj su se
svojevremeno od svoje volje bili predali ovi narodi, i kako su se zbog toga nama obratili
poglavice osamdeset i četiri okružja i parohija, koje administriraju redovnici, koji su pod
našom vlašću, izjavljujući svoju živu želju, da budu sjedinjeni s narodima i s kraljevinom
Hrvatskom, s kojom su prije bili, kao pridružena snaga, sjedinjeni s krunom i
kraljevstvom Ugarske, moleći nas, da se zauzmemo u ovom vrlo važnom poslu; a kako
nas je osim toga izvijestio prečasni generalni vikar grčkog (pravoslavnog) stanovništva,
20 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 109, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 228, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 58f 21 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 100f, NOVAK, Prošlost Dalmacije knj. dr., 51
18
da tu istu želju imaju i svi pravoslavni, koji pod njega pripadaju; zbog toga, želeći izići
ususret pravednim željama sviju, stavljamo Vam u dužnost, da pođete k Uzvišenom
Prijestolju Njegova Veličanstva Cara i kralja, te ga zamolite, da primi ovu iskrenu (...) i
slobodnu predaju, uz iste uvjete, i uz one pravice sviju naroda. U tu svrhu mi Vam
dajemo punomoć od strane gore naznačenih naroda Dalmacije, eda nastojite, da
ostvarite takvu predaju, prema uputama, koje će Vam dati poglavice komuna Splita,
Trogira, Šibenika i Obrovca. (...)“22
Die ehemalige Regierung wird als legitim bezeichnet, da man sich ihr einst freiwillig
unterworfen hatte. 84 Bezirke haben ihren „Wunsch geäußert, mit den Völkern und dem
Kronland Kroatien vereint zu sein, mit welchen sie einst zusammen waren“, „vereint mit der
Krone und dem Königreich Ungarn“. Auch der „griechische (orthodoxe)“ Generalvikar sei
mit dem gleichen Wunsch an sie herangetreten, „denn alle ihm unterstellten Orthodoxen
haben den gleichen Wunsch“. Interessant ist der Plural bei „den Völkern“ Dalmatiens,
wonach ersichtlich ist, dass Dalmatien für den Verfasser keine homogene Einheit darstellt.
Weiters fällt auf, dass die serbisch-stämmige Bevölkerung nicht ihrer ethnischen Herkunft
entsprechend, sondern nach ihrer Glaubensrichtung definiert wird. Noch bestehen zwischen
den beiden Glaubensrichtungen keine gravierenden Gegensätze, die orthodoxen Geistlichen
kooperieren mit den Franziskanern, beide verfolgen das gleiche politische Ziel.23 Durch den
Respekt, den sie von der ländlichen Bevölkerung genießen, sind sie in der Lage, diese zu
beeinflussen, und offiziell „für das Volk“ zu sprechen, was ihren eigenen politischen
Ambitionen mehr Gewichtung verleiht.
Nicht nur die Franziskaner setzen sich für die Idee eines politischen Anschlusses an Kroatien
ein. General Baron Rukavina führt die ihm aufgetragene Mission, seiner Überzeugung
entsprechend, im Namen der ungarischen Krone durch. Im Juli 1797 berichtet er Graf Thurn,
dem Zivilkommissar für Istrien und Dalmatien, über die positiv verlaufende Besetzung
Dalmatiens, welche bereits vor dem endgültigen Frieden von Campo Formio begonnen
wurde. In einem Brief schreibt er über die Bereitschaft aller Bevölkerungsschichten, sich dem
ungarischen König zu unterwerfen. Er habe der Bevölkerung erklärt, der Kaiser sei zugleich
König von Ungarn, Kroatien und Dalmatien. Die Akzeptanz der Dalmatiner sei zudem vor
allem durch seine eigene Abstammung und seinen in Dalmatien bekannten Familiennamen
möglich gewesen. Als einer „von ihnen“ habe er eine alsbaldige ungarische Administration,
wie zu Zeiten ihrer Vorfahren, versprochen. Wien war wenig erfreut über eine derartige
22 Paško SEKULA, 1797, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 51f 23 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 101, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 52
19
Tendenz, weshalb Thurn von Innenminister Graf Thugut den Auftrag erhielt, jegliche
Annexionsbegehren in Dalmatien zu unterbinden.24
Es war offensichtlich, dass die dalmatinische Bevölkerung das Kaiserreich nur bedingt
befürwortete. Die Legitimation der neuen Regierung war für die Mehrheit rein über Ungarn
gegeben. Darauf berief sich Rukavina, und das verbreitete Zugehörigkeitsgefühl zu Kroatien
unterstützte seine Einstellung. Seitens des Reiches machte man sich über kroatische
„historische Rechte“ wenig Gedanken. Dalmatien war für Österreich vor allem strategisch
von Bedeutung, Rukavinas Vorgehen mit Betonung der ungarischen Krone stieß in Wien auf
Ablehnung, insbesondere die zentralistisch Denkenden versuchten diese Entwicklung zu
unterdrücken. In Dalmatien hisste man währenddessen die ungarisch-kroatische Fahne, und
die Städte begannen, sich mit ihren Belangen an den Ban in Kroatien zu wenden. Diese
Entwicklung fand ihr endgültiges Ende, als 1802 schließlich verlautbart wurde, Österreich
habe Dalmatien aufgrund von Einbußen anderer Territorien erhalten, weshalb der Kaiser nicht
verpflichtet sei, dieses Gebiet den Ungarn zu unterstellen. Die Annexionsfrage wurde auf
unbestimmte Zeit verschoben.25
Die künftigen Versuche der österreichischen Regierung, Dalmatien administrativ zu
integrieren werden bereits wenige Jahre darauf unterbrochen. Am 26. Dezember 1805, beim
Frieden von Pressburg, der das Ende des Dritten Koalitionskrieges einleitet, muss Österreich
Dalmatien und Teile der Militärgrenze an Napoleon abtreten. In weiterer Folge verliert
Dubrovnik seine Autonomie, es kommt zu einer Neuordnung und administrativen
Umstrukturierung der von Frankreich übernommenen Territorien.26
3. Dalmatien unter Napoleon: Antifranzösische Haltung
Auch nun versprachen sich die neuen Herren vor allem einen strategischen Nutzen von der
Einnahme der adriatischen Küste. Ihre geographische Lage bot für Frankreich militärische
und wirtschaftliche Vorteile. Durch Dalmatien ergab sich für Napoleon eine direkte
Nachbarschaft mit den wohlgesinnten Osmanen, und im Falle eines Krieges hätte das
24 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 104ff, 110ff, KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove, 164, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 58f 25 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 111f, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 229; NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 59ff 26 vgl. KANN, Geschichte des Habsburgerreiches, 210f, MACAN, Hrvatska povijest, 127, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 62ff
20
französische Heer durch das osmanische Territorium nach Russland gelangen können. Der
annektierte Besitz wurde dem Königreich Italien unterstellt, von wo aus Napoleons Truppen
unter Marmont in die neuen Gebiete vorrückten. Zu Beginn des Jahres 1806 vollzieht man
den Machtwechsel, Vincenzo Dandolo wird dalmatinischer Statthalter. Die Franzosen
kommen im Februar nach Knin und Split, danach folgen weitere Städte. Auch Russland
wollte sich strategische Vorteile an der Adria sichern, und versuchte, Napoleons Pläne zu
durchkreuzen, indem es unter montenegrinischer Mithilfe die Inseln Korčula, Brač und Vis,
sowie die Bucht von Kotor besetzte. Das Vorgehen war vergebens, denn bereits 1807 musste
alles den Franzosen überlassen werden, das russisch-französische Verhältnis wurde mit dem
Frieden von Tilsit stabilisiert, und die russische Flotte zog sich zurück. Die inzwischen
geschwächte selbstständige Republik Dubrovnik gab den französischen Truppen die
Erlaubnis, durch ihr Territorium Richtung Kotor zu ziehen. Seit dem Erdbeben 1667 hatte die
Stadt ihre einstige Stellung nicht mehr wiedererreicht, und nun besiegelte das französische
Vorgehen ihr Schicksal. Nach dem Sturm auf ihre Festungen, wurde mit dem 28. Jänner 1808
die Adelsrepublik Dubrovnik offiziell Italien unterstellt.27
Das neue Regime empfing man nicht so bereitwillig wie das vorangegangene. Die
Bevölkerung sah sich konfrontiert mit einer neuen Regierung, einem neuen, westlichen,
Einfluss. Anfängliche Rekrutierungsversuche führten zu Unruhen und Aufständen, doch bis
Ende des Jahres 1806 konnten diese eingedämmt werden, und schließlich wurde auch die
Errichtung einer neuen Administration abgeschlossen. Dalmatien bestand nun aus vier von
Delegaten verwalteten Distrikten, Zadar, Šibenik, Split und Makarska. Diese wurden in
Kantone mit Vizedelegaten unterteilt, die Kantone wiederum bestanden aus Gemeinden mit
eigenen amministraziones communales. In den Dörfern gab es die sogenannten Dorfältesten,
die anziani, und die proveditura generale regulierte Inneres, Finanzen, Recht, Bildung und
Militär. Was die Gesetzgebung betrifft, so ergab sich diese aus einer Mischung ehemaliger
venezianischer, erst kürzlich eingeführter österreichischer und neuer französischer
Verordnungen. Mit der Zeit wurde versucht, bestehende Privilegien bestimmter Schichten
abzuschaffen, was zu Protesten vor allem seitens der Geistlichkeit führte.28
Der ehrgeizige neue dalmatinische Generalprovidur, der Venezianer Apotheker Vincenzo
Dandolo, bemühte sich um einen wirtschaftlichen Aufschwung. In Split ließ der aus einer
alten Adelsfamilie Stammende eine Handelskammer einrichten, und bestimmte Zollabgaben
27 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 130, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer 89, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 67, Ludwig STEINDORFF, Kroatien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Ost- und Südosteuropa. Geschichte der Länder und Völker (Regensburg 2001) 94f 28 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 68f, STEINDORFF, Kroatien, 95f
21
senken. Märkte in allen Distrikten entstanden, und das Postnetz wurde erweitert. In ganz
Dalmatien wurden neue Bildungsstätten errichtet, 32 Volksschulen, sieben Gymnasien, und
acht Kunst- und Handwerksschulen, weitere universitäre Einrichtungen waren in Planung.
Das Gesundheitswesen profitierte ebenso vom neuen Statthalter, er ließ Krankenhäuser
eröffnen und die Pockenimpfung einführen. Die venezianische Regierung hatte das
dalmatinische Gebiet stark vernachlässigt. Im Großen und Ganzen war es sich selbst
überlassen, Venedig investierte nur in Profitables, der allgemeine Fortschritt der Region war
nachrangig. Bei der französischen Übernahme fand man ein lückenhaftes, baufälliges
Straßennetz vor. Dandolo war sich dessen bewusst, und setzte sich für eine
Generalüberholung ein, wonach alle größeren Küstenstädte über eine effizientere Verbindung
mit dem osmanischen Bosnien verfügten. Die Straßen wurden breiter, nun konnten auch
beladene Wagen problemlos Güter transportieren, zuvor waren viele Wege nur mit einzelnen
Lasttieren passierbar gewesen. Nach und nach waren sämtliche dalmatinischen Städte
verbunden, wovon der Handel profitierte. Exportiert wurden unter anderem Salz, Wein, Öl,
Schnaps, Fleisch, Fisch und Obst, importiert, beispielsweise, Weizen, Wachs, Eisen, Wolle
und Felle.29
Anfang Juli 1806 wandte sich die neue Regierung an die Bevölkerung. Die Verlautbarung
verfasste man im Verwaltungszentrum Zadar, sowohl in italienischer als auch in
vorherrschender Volkssprache. Dandolo, der in Venedig auf der Seite der Demokraten
politisch engagiert gewesen war, versprach dem „mutigen, treuen und guten“ Volk, sich um
seine Belange zu kümmern. Kurz darauf wird, ebenfalls in Zadar, ein neues Wochenblatt
gedruckt, am 12. Juli 1806 erscheint die erste Ausgabe des zweisprachigen „Il Regio Dalmata
– Kraglski Dalmatin“. In dieser ersten dalmatinischen Zeitung versuchte Dandolo vor allem
wirtschaftliche Vorzüge Dalmatiens hervorzuheben, und Nutzungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Sie bestand bis 1810 und hatte eine Auflage bis zu 1000 Stück. Das Amtsblatt des Providurs
geht in die kroatische Geschichte als erstes kroatisches Blatt ein, womit auch Begründer
Dandolo in Anerkennung verewigt wird.30
Neben einer zunächst durchaus positiven Entwicklung fand die Bevölkerung dennoch Anlass,
sich gegen die neuen Herren aufzulehnen. Die Kürzung der Privilegien beschnitt Geistliche
und Adel, das konservative Volk war vom modernen Einfluss überfordert. Innovationen wie
die Einführung der Zivilehe und die allgemeine Religionsfreiheit provozierten eine negative
Grundhaltung im traditionellen Dalmatien. Diese Stimmung hatten die russischen Besatzer
29 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 121, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 69f, 73-81, 85, STEINDORFF, Kroatien, 95f 30 vgl. GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 231, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 67ff, STEINDORFF, Kroatien, 95f
22
vor dem Frieden von Tilsit für ihre eigenen politischen Zwecke genutzt. Es gelang ihnen, die
Ansässigen zum Aufstand zu bewegen, was im Februar des Jahres 1807 zur russischen
Einnahme der Insel Vis, und im April zur Bombardierung der Insel Hvar führte. Die
Aufstände breiteten sich entlang der Küste aus und dauerten bis Juni an, als die in Split und
anderen Küstenstädten stationierten französischen Soldaten schließlich den Sieg davontrugen.
Zahlreiche ehemals Privilegierte, sowie antifranzösische Anführer wurden in Folge enteignet
und zum Tode verurteilt.31
Solche Maßnahmen führten dennoch nicht zur Beruhigung der Lage. Die französische Zeit ist
geprägt von organisierten Übergriffen auf die Regierenden. Diese Entwicklung kam
Österreich sehr gelegen, denn es liebäugelte mit der Wiedereinnahme des verlorenen
Gebietes. Durch Napoleons Vorgehen hatte das Heilige Römische Reich inzwischen sein
Ende gefunden, Franz als dessen Kaiser musste abdanken. Als neue deutsche politische
Formation entstand der Rheinbund, Österreich und Preußen mussten sich der französischen
Vormacht stellen. Im Falle eines österreichischen Sieges gegen Napoleon, würde die
antifranzösische Haltung einen österreichischen Einzug in Dalmatien wesentlich erleichtern.
1808 schlossen sich in Kroatien vor dem französischen Regime Geflohene zu einer
dalmatinischen Freiwilligenlegion. Im Juli des folgenden Jahres spitzte sich die Lage zu. Auf
der einen Seite versuchte der militärische Befehlshaber, Marschall Auguste-Frédéric-Louis
Marmont (1774-1852), seine Soldaten aus Dalmatien zu schaffen, um sie Napoleon im Krieg
zur Verfügung zu stellen, auf der anderen Seite drang das österreichische Militär in
Kooperation mit den Freiwilligen allmählich zur Küste durch. Hier wurde die inzwischen
bewaffnete dalmatinische Kampftruppe zum Aufstand gegen die Franzosen aufgerufen, das
österreichische Heer wiederum jubelnd begrüßt. Eine Stadt folgte der anderen, Skradin,
Šibenik, Trogir, Split, sowie Brač und Hvar, bis schließlich lediglich Zadar, Knin, Klis und
die Festung Hl. Nikola bei Šibenik französisch blieben. Nichts desto trotz siegte Napoleon bei
Wagram, und festigte abermals seine Herrschaft beim Frieden von Schönbrunn am
14. Oktober 1809, was nicht nur sämtliche Entwicklungen in Dalmatien zunichte machte,
sondern auch eine weitere französische Gebietserweiterung mit sich führte. Zahlreiche
Aufständische flüchteten nach Kroatien oder Bosnien, einige wurden zum Tode verurteilt,
andere konnten wiederum durch eine im April 1810 verlautbarte Amnestieverfügung der
Strafe entkommen. Das erweiterte Territorium bekam einen neuen Namen. Dalmatien und das
am 28. Jänner 1808 Italien unterstellte Dubrovnik gehörten jetzt zum regno delle provincie
illiriche, mit Ljubljana als Hauptstadt (le gouvernement des provinces d’Illyrie) und 31 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 126, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 70f, STEINDORFF, Kroatien, 95f
23
Marschall Marmont als Befehlshaber. In dieser neuen französischen politischen Einheit, den
Illyrischen Provinzen, wurden Dalmatien und Istrien mit Teilen Zivil- und Militärkroatiens,
Slowenien, Triest, Villach, Krain und Görz zusammengefügt.32
Dalmatien unterstand nun nicht mehr Italien, ein Regierungswechsel folgte, somit sah sich
Dandolo im Jänner 1810 gezwungen, seinen Posten zu verlassen. Die Illyrischen Provinzen
wurden in sechs Zivil- und einen Militärdistrikt unterteilt, die Zivildistrikte bestanden aus 20
Arrondissements, fünf davon befanden sich in Dalmatien: Zadar, Šibenik, Split, Makarska
und Hvar. Dubrovnik, Korčula und Kotor bildeten eine eigene Einheit.33
Lediglich einige Intellektuelle arrangierten sich mit den Franzosen. Die allgemeine Haltung
der Bevölkerung war bis zuletzt unverändert, obwohl man durchaus behaupten kann, dass die
französische Regierung Engagement zeigte. In den Volksschulen wurde Unterricht in
Muttersprache angeordnet, und durch die zugesprochene Amnestie für die Aufständischen
von 1809 versuchte man, Geflohene zur Heimkehr zu bewegen. Allerdings musste trotz
Dandolos Einsatz die Wirtschaft letztlich regelmäßig Verluste verzeichnen. Vieles wurde
nicht aufgrund eines Überschusses sondern wegen der Notwendigkeit verkauft, der Region
fehlte vor allem Weizen, und der Krieg brauchte die Ressourcen auf. Im Mittelmeer gab es
immer wieder Piratenübergriffe, sowie britische und russische Seeblockaden. Zahlreiche
beladene Schiffe wurden gestohlen oder zerstört, auch die neuen Handelsrouten konnten dies
nicht wettmachen.34
Letztlich war die antifranzösische Haltung des Großteils der dalmatinischen Bevölkerung
unverändert. Die privilegierte Stadtbevölkerung fühlte sich ihrer Vorteile beraubt, für die
Landbevölkerung passte der moderne Geist nicht zu ihrer traditionellen Prägung. Die
Vorarbeit der Franziskaner bereits während der kurzen österreichischen Phase trug dazu bei,
dass sich eine neue politische Orientierung nicht durchsetzen konnte. Die antifranzösische
Geistlichkeit, ebenso ihrer Privilegien beraubt, hatte die breiten Massen nach wie vor hinter
sich, und trachtete gemeinsam mit ihnen nach einer Wiedereinsetzung der vorangegangenen
Herrschaft.
32 vgl. GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 230, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 153, KANN, Geschichte des Habsburgerreiches, 207, MACAN, Hrvatska povijest,127, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 72f, STEINDORFF, Kroatien, 97 33 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 130, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 231, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 73 34 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 134, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 230f, KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove, 163ff, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 73-81, 85
24
4. Wieder Österreich
Nach den Aufständen von 1809 musste sich die antifranzösische, austrophile Strömung
verdeckt halten, allerdings nur für kurze Zeit. Durch den erfolglosen Feldzug Napoleons
gegen Russland 1812 und das abermalige Aufflammen des Krieges 1813 verlor Frankreich
seine Vormachtstellung. In Dalmatien hatten Regimegegner erneut die Chance, ihre
Überzeugung öffentlich zu vertreten. Das französische Militärkroatien wechselte umgehend
die Seite, folgend okkupierte Österreich die Kvarner Bucht und die Inseln Rab und Pag. Am
27. Oktober 1813 erreichte das österreichische Heer unter General Tomašić in Begleitung
britischer Alliierter die dalmatinische Grenze, und übernahm eine Stadt nach der anderen bis
Dubrovnik und Kotor. Am 7. Juli 1814 ließ Tomašić verlautbaren, Dalmatien, Dubrovnik und
Boka Kotorska einschließlich aller vorgelagerter Inseln seien Österreich zugesprochen
worden. Nun gehörte der gesamte Küstenstreifen, ohne Unterbrechung, der österreichischen
Krone, sämtliche französische Reformen wurden für nichtig erklärt.35
Bei der zweiten österreichischen Übernahme gab es keinerlei öffentliche Debatte darüber, ob
dies auch tatsächlich gerechtfertigt sei. Politisch gesehen war die Region völlig ergeben.
Regierungswechsel, neue geographische Grenzen, Überholung von Administration und
Gesetzgebung folgten. An der Regierungsspitze des nun offiziell „Königreich“ genannten
Dalmatien standen ein Statthalter, zugleich auch Zivil- und Militärgouverneur, und das
Landesgubernium, die Landesregierung. Diese unterstand direkt dem Ministerium in Wien.
Es gab vier Arrondissements, Zadar, Split, Dubrovnik und Kotor, die in Bezirke unterteilt
waren, weiters in Gemeinden mit eigenen amministraziones und consiglios communales und
den für drei Jahre aufgestellten Vorstehern, den podestas. Zadar wurde sowohl politisches als
auch kirchliches Zentrum, als Landeshauptstadt, Sitz des Statthalters und des Landtags, sowie
neu ernanntes Erzbistum.36
Adel und Geistlichkeit hofften auf eine Wiederherstellung der alten Privilegien und lukrative
Regierungsposten. Die Franzosen vertraten den Grundsatz der sozialen und rechtlichen
Gleichheit, deshalb hatten sie die Stände aufgehoben, einige Klöster schließen und den
35 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 132f, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 232, KANN, Geschichte des Habsburgerreiches, 212ff, KISZLING, Die Kroaten, 49f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 81f, 87, STEINDORFF, Kroatien, 97 36 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 134f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 85f, 88, Marko TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien von 1855 bis 1875. Politische und kirchenpolitische Aspekte mit einem Rückblick auf die Entstehung und Entwicklung der Bistümer in den kroatischen Ländern (ungedr. geistesw. Diplomarbeit, Wien 1996) 46f, 52f
25
Religionsunterricht absetzen lassen. Allerdings war die österreichische Regierung nicht daran
interessiert, alte Privilegien wieder einzuführen, so verlor die dalmatinische Aristokratie
endgültig alle Vorrechte. Höhere Posten wurden grundsätzlich nicht von Einheimischen
bekleidet, zumeist zog man dafür Männer mit italienischer Muttersprache heran, den
italienischen Einfluss waren die Dalmatiner seit geraumer Zeit gewohnt.37
Kaiser Franz I., der 1818 sein Illyrisches Königreich besuchte, das bis zur Revolution als
napoleonisches Erbe ohne Westkroatien und das Königreich Dalmatien existierte, soll zum
Erfolg der kurzen französischen Verwaltung gesagt haben: „Schad’ dass s’net länger blieben
san!“38 Wirtschaftlich und politisch war auch Dalmatien nahezu einem Entwicklungsstillstand
ausgesetzt. Österreich investierte in den adriatischen Küstenstreifen nur das Allernötigste, es
hatte kein Interesse, sich auch als Seemacht zu etablieren. Während Produktion und Handel
international einen Aufschwung erlebten, sank die Nachfrage nach Gütern aus dem
osmanischen Reich. Der Einsatz von Dampfmaschinen ermöglichte einen schnelleren
Transport und günstigere Preise, mit welchen die Osmanen großteils nicht mehr mithalten
konnten. Dadurch sah man auch keine Notwendigkeit, den Warentransfer zwischen Bosnien
und Dalmatien zu fördern. Mit dem Mittelmeer konnte die Adria auf diese Weise nicht mehr
konkurrieren, wodurch die Hafenstädte an Bedeutung verloren. Triest verfügte über den
wichtigsten adriatischen Hafen, der Waren aus aller Welt empfing, daneben war für die
Monarchie nur noch Venedig als Umschlagplatz interessant. Dalmatien, das zu den ärmsten
Teilen der Monarchie gehörte, überließ man im Großen und Ganzen seinem Schicksal, und
diese Haltung gegenüber der östlichen Adria behielt Österreich auch in den folgenden
Jahrzehnten. Weder in den Handel noch in die Infrastruktur, den Ausbau des
Eisenbahnnetzes, zum Beispiel, wollte die Regierung investieren. Eine Bahnverbindung nach
Bosnien-Herzegowina ergab sich erst nach der Okkupation. Auch zu Kroatien existierte bis
ins 20. Jahrhundert keine, nach jahrelangem Kampf gewährte man erst 1913 den Bau eines
Bahnnetzes durch das Velebit-Gebirge. Die Strecke Split-Zagreb konnte durch den
Kriegsausbruch allerdings erst im Jahre 1925 fertiggestellt werden. Die natürlichen
Ressourcen wie Wein, Oliven, Obst und Fisch wurden nicht gefördert, auf dalmatinischen
Wein griff man lediglich zurück, als es in Italien und Frankreich 1858 und 1874 bis 1885 zu
Produktionsausfällen kam, ansonsten hielt man die Produktion zu Gunsten Italiens zurück.
37 vgl. GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 230f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 86f 38 vgl. Wolfgang HÄUSLER, Ban Jellačić reitet ... Der kroatisch-ungarische Konflikt von 1848 und die Krise der Habsburgermonarchie, Vortrag vom 5. Mai 1992 (Wien 1992) 10
26
Die Dalmatiner produzierten vorwiegend für den Eigenbedarf, und die erste
fischverarbeitende Fabrik wurde erst Ende des Jahrhunderts errichtet.39
Kulturell beschränkte sich das öffentliche Leben lediglich auf die christliche Tradition, wie
das Feiern der regional verehrten Heiligen. Der anfänglich umfangreich geplante Ausbau des
Schulwesens konnte von der französischen Regierung im Endeffekt nur fragmentarisch
durchgeführt werden. Die begonnenen Reformen hatten zu wenig Zeit, um sich durchzusetzen
und wurden von Österreich anschließend im Keim erstickt. 1814 gab es keine einzige
öffentliche Grundschule mehr, lediglich eine Hand voll größerer Städte konnte eine höhere
Schule vorweisen. Dandolos ursprünglicher Plan hatte die finanzielle Beteiligung sowohl der
Gemeinden als auch der Eltern beinhaltet. Vor allem die kleineren Ortschaften waren damit
finanziell überfordert, folglich hing die Grundausbildung von der Inanspruchnahme eines
Privatlehrers ab. 1816 wurde laut Beschluss wieder ausschließlich Italienisch in allen
Bildungseinrichtungen eingeführt, neben Deutsch diente Italienisch als führende
Amtssprache.40
Obwohl nun die historischen Teile des einstigen kroatischen Königreichs gemeinsam einem
Herrscher unterstanden, waren diese kroatischen Territorien administrativ getrennt. Seit dem
Wiener Kongress unterstand Dalmatien offiziell Wien, Kroatien und Slawonien waren nach
wie vor von Ungarn abhängig, und sahen sich mit einer stetig zunehmenden Magyarisierung
konfrontiert. Diese Umstände zusammen mit den Ideen der Französischen Revolution gaben
den Anstoß für die Geburt des kroatischen Nationalgefühls. In Kroatien hatte sich inzwischen
ein neuer Terminus etabliert, „illyrisch“, der zunächst vor allem für sprachliche, slawische,
beziehungsweise kroatische, Belange Verwendung fand, in den 1830ern aber Synonym für
die kroatische nationale Wiedergeburt wurde. Dem Terminus liegt die falsche Annahme
zugrunde, das kroatische Volk stamme von den antiken Illyrern ab, andererseits greift er die
von den Franzosen eingeführte und von den Habsburgern bis zur Revolution beibehaltene
geographische Bezeichnung auf, die wiederum an die römische Tradition anknüpfen wollte.
Die von der deutschen Romantik inspirierte verklärende Heimatliebe und die politische
Abhängigkeit von „fremden Kronen“ förderten Ideen der Selbstständigkeit, aber auch der
Zusammenschließung mit „verwandten Völkern“, so breitete sich neben dem Illyrismus auch
der vom slowakischen Literaten Jan Kollár begründete Panslawismus aus, als weitere
politische, übernationale Ideologie, welche auf die Erstarkung der slawischen Gebiete in- und
39 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 134-138, CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 19, KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove, 166f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 87f, 175f, 180ff 40 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 139, CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 20f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 87ff
27
außerhalb des Kaiserreichs abzielte.41 „Narod bez narodnosti jest tijelo bez kosti“ wurde zum
Leitspruch der illyrischen Vorreiter, und der Kampf für die eigene Nationalsprache stellte den
wesentlichsten Punkt in der Findung einer nationalen Identität dar.42
Dalmatien ist zu diesem Zeitpunkt politisch noch relativ inaktiv. Auf der slawischen
intellektuellen Seite stehen nach wie vor in erster Linie Geistliche, die Mehrheit der
gebildeten Schicht fühlt sich dem Italienischen verbunden. Die ländliche Bevölkerung ist von
der Bildung de facto ausgeschlossen, sieht sich folglich mit der Sprachenproblematik nicht
konfrontiert. Durch den kroatischen Einfluss und die politisch und kulturell engagierten
kroatischen Geistlichen wird die Sprachenfrage schrittweise auch in Dalmatien zum Thema
und führt zum Beginn einer nationalen Identitätssuche.
4.1 Slawische Identität und italienische Kultur
Das Schulwesen entwickelte sich unter der österreichischen Regierung sukzessive. 1817 gab
es in der Gemeinde Dubrovnik, beispielsweise, zehn öffentliche Grundschulen, in Makarska
zwei, in Kotor gar keine. 1829 hatte Dalmatien immerhin schon 33 öffentliche und einige
wenige private Grundschulen. 1839 stieg die Zahl auf 55 reguläre und 15
Sonntagsgrundschulen, und Ende der 1840er waren es insgesamt bereits über 150. Im
Schuljahr 1845/46 wurden rund 6.500 Schulkinder verzeichnet, mehr als doppelt so viele
hatten keinerlei Zugang zur Bildung. Unterrichtet wurde in den ersten beiden Schuljahren
entweder nur auf Italienisch oder auf Italienisch und Volkssprachlich, die höheren
Schulstufen mussten sich allein aufs Italienische beschränken, in einigen Gymnasien griff
man auch auf Deutsch zurück. In Zadar, Split und Dubrovnik gab es jeweils ein Gymnasium
mit sechs Schulstufen, allerdings hatte der Erlass von 1829 die Aufnahme von Schülern nicht-
bürgerlicher Herkunft verboten, es sei denn, es handelte sich um außerordentlich begabte
Kinder. Somit konnte das Bestehen des Italienischen als Träger der intellektuellen Schicht
gewährleistet, beziehungsweise, das Etablieren des Slawischen verhindert werden, was im
österreichischen Sinne war. Italienisch war nicht nur offizielle Amtssprache, sondern auch die
Sprache der Würdenträger, der Edlen und Gelehrten, folglich war die dalmatinische
Intellektuellen-Schicht dementsprechend geprägt. Diese entfernte sich vom Volkssprachlichen
41 vgl. GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 232, HÄUSLER, Ban Jellačić reitet, 12, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 153f 42 vgl. Ivo FRANGEŠ, Nemčićev „Pogled u Veneciju“ (Putositnice), in: Nikola BATUŠIĆ (Hg), Dani hvarskog kazališta. Hrvatska književnost od preporoda do Šenoina doba (Split 1999) 35-45, hier 35
28
und empfand allein die italienische Sprache und Kultur als erstrebenswert, belohnt wurde
diese Haltung häufig mit einem guten Posten im Verwaltungsapparat. Zudem standen keine
volkssprachlichen Lehrkörper zur Verfügung, da es wiederum keine volkssprachlichen
Ausbildungsstätten für diese gab.43
Als Folge jener Gegebenheiten verkümmerte der volkssprachliche Buchdruck in Dalmatien.
Während bedeutende literarische Texte und Publikationen vornehmlich italienisch waren,
wurden in Volkssprache nahezu ausschließlich liturgische Texte gedruckt. Es gab vereinzelte
Autoren, weiterhin vor allem aus den Reihen der Geistlichen, welche sich bemühten, diesem
Umstand entgegenzuwirken. 1843, zum Beispiel, setzte sich der Franziskaner Donat Fabjanić
in seinem Werk Alcuni cenni sulle scienze e lettere dei secoli passati in Dalmazia für die
„illyrische“ Sprache und den Druck dalmatinischer Literatur ein. Andere wandten sich an das
Volk in seiner eigenen Sprache in Form von Versen, und versuchten damit, die
Wertschätzung des Eigenen zu fördern.44
„Jedno nebo nas pokriva
isti jezik nas jedini,
među ostalim zabavami
jezikom se našiem brini,
er s jezikom dičnost prava
i slovinska cavti slava!”45
Mit diesen Versen wollte der Verfasser die Bedeutung der eigenen Sprache hervorheben.
„Wir werden von einem Himmel bedeckt und durch die gleiche Sprache geeint.“ Der Leser
wird aufgefordert, sich um die „unsrige“ Sprache zu kümmern, denn dadurch erblüht auch die
„slovinska slava“, der slawische Ruhm. Der Autor aus Dubrovnik verwendet den Terminus
„slovinska“ als Definition des Eigenen, über die slawische Sprache wird die eigene Identität
bestimmt, die Gruppe geeint und anderen gegenüber abgegrenzt.
Das folgende von Dujam Srećko Karaman festgehaltene Volkslied besingt das eigene Volk,
arvatski narod, und beruft sich somit auf seinen kroatischen Ursprung, die Bürger von Split
werden als Arvati deklariert.
„Na ijadu i osam stotina
dvaest i pet suvišje godina
stopru biše izteklo proliće
43 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 139ff, CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 22f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 90f, 173 44 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 92f 45 Antun KAZNAČIĆ, 1823, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 92
29
i procvalo po dolinan cviće;
knjigu pišu od Splita gospoda
arvatskoga slavnoga naroda…”
„Draga braćo, mi smo od Varoša
sveti Duje na dobro nan doša!
Pa kad vide splitskoga Arvata
nek se odma sakriju za vrata…”46
Das Volk bildet hier bereits eine Einheit unter dem Ethnikon Arvati. Das kroatische Volk ist
wiederum ruhmreich, ein Kroate aus Split Respekt einflößend. Weiters wird hieraus
ersichtlich, dass sich in den italienisch dominierten Städten eine slawische Intelligenz
herausbildet, die sich darum bemüht, eine eigene Identität zu schaffen.
Die politische Entwicklung der letzten Jahrhunderte führte zu kulturellen und traditionellen
Unterschieden in den venezianischen acquistos. Ethnisch betrachtet „empfindet“ sich
Dalmatien noch nicht als Einheit, die verschiedenen Termini und Identitätsvorstellungen
existieren neben einander, stammten ursprünglich aus verschiedenen Regionen und fangen an,
zu verschmelzen und einander abzulösen. Zunächst steht die städtische italienische Sprache
der ländlichen Volkssprache gegenüber, unter der Bevölkerung kristallisiert sich dies als das
wesentlichste Unterscheidungsmerkmal heraus. Jene italienisch-stämmigen Einwohner
können sich mit einer dalmatinischen, regionalen Identität am ehesten identifizieren. Im
Hinterland existiert das „Slawentum“, „slavenstvo“, sowohl für katholische als auch
orthodoxe Dalmatiner, in der Gegend Dubrovniks überdauerte eher der Terminus
„slovinstvo“, wie in den obigen Versen von Kaznačić. Und die kroatische Identität wurde
vorwiegend durch die Franziskaner erhalten, mit einem wesentlichen Kern in der Neretva-
Region.47
4.2 Illyrismus und Panslawismus
Die bei der Intelligenzschicht bestehende Sprachkontroverse mündete, wie in Kroatien,
schließlich in einer politischen Bewegung. In Dalmatien konnte der Illyrismus allmählich
Anklang finden, und stand bald im Gegensatz zum Italienischen. Die Ausdehnung der
kroatischen politischen Entwicklung auf Dalmatien wurde in den 1840ern vor allem durch
46 Dujam Srećko KARAMAN, 1825, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 93 47 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 22
30
zwei Faktoren ins Rollen gebracht. 1841 bereisen zwei Protagonisten der Illyrischen
Bewegung Dalmatien, und 1844 wird die literarische Zeitschrift Zora Dalmatinska
herausgebracht. Ljudevit Gaj und Ivan Mažuranić (1814-1890), Jurist und Schriftsteller der
kroatischen Renaissance, später Politiker, Präsident der Matica ilirska und 1873-1880
kroatischer Ban, sowie die Zora mit Ante Kuzmanić als Herausgeber, beeinflussen die
Intelligenz Dalmatiens. Folglich bilden sich zwei Lager heraus, die sich hauptsächlich über
die Sprache differenzieren. Die Heimatliebenden setzen sich nach wie vor für das Eigene,
slawische/kroatische, ein, die anderen sind für die italienische Tradition. Zu Beginn der
Bewegung herrscht noch eine relative terminologische Freizügigkeit die Begriffe „slawisch“,
„illyrisch“ und „kroatisch“ betreffend. Anfangs werden sie häufig gleichbedeutend verwendet,
mitunter bezieht sich „das Slawische“ und „das Illyrische“ auf den gesamten südslawischen
Raum. Mit der Zeit wird „slawisch“ allmählich verdrängt und vom „Kroatischen“ und
„Illyrischen“ vertreten. Diese beiden Termini verschmelzen zunehmend, und der letztere wird
schließlich zum Ausdruck des kroatischen Nationalismus, den man als eindeutig politische
Bewegung ab den 1830ern wahrnehmen kann. Die zentrale Gestalt Ljudevit Gaj (1809-1872)
wollte insbesondere über die sprachliche Emanzipation den Weg zur nationalen Autonomie
ebnen. 1830 erscheint Gajs „Kurze Grundlage der kroatisch-slawischen Rechtschreibung“
(„Kratka osnova horvatsko-slavenskoga pravopisanja“), worin er sich um die Normierung
der Volkssprache bemüht, und eine einheitliche Rechtschreibung für alle Südslawen
vorschlägt, was aus seiner Sicht ein Gegenpol zum Ungarischen darstellen würde. In den
nächsten Jahren wird in Kroatien eine für das größtmögliche Gebiet annehmbare Sprache als
Standard festgelegt, mit dem im südslawischen Raum am weitesten verbreiteten štokavischen
Dialekt als Basis. Bereits 1835 gibt Gaj bekannt, dass seine ursprünglich in kajkavischer
Sprache verfasste Publikation auf Štokavisch erscheinen wird. Seine „Novine horvatske“ mit
dem Beiblatt „Danica horvatska, slavonska i dalmatinska“, deren Titel aufgrund der Zensur
folgend mehrmals geändert wird, gelten als offizieller Beginn der kroatischen nationalen
Wiedergeburt. Im ersten Erscheinungsjahr veröffentlicht darin Antun Mihanović sein Gedicht
„Horvatska domovina“, welches 1846 eine musikalische Begleitung erhält und Ende des
Jahrhunderts zur kroatischen Hymne erklärt wird.48
In den 1830ern konnte auch in Dalmatien erstmals eine Bewegung im nationalistischen Sinne
vernommen werden, und zwar bei der orthodoxen Intelligenz. Diese Strömung wird als
Vorstufe des erst im folgenden Jahrzehnt aufflammenden dalmatinischen Illyrismus
48 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 23, FRANGEŠ, Nemčićev „Pogled u Veneciju“, 35, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 235, 237, 242f, 266, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 154, MACAN, Hrvatska povijest, 134-142
31
bezeichnet. Božidar Petranović (1809-1874) aus Šibenik lässt in Zadar ein in Kyrillisch
gedrucktes Blatt veröffentlichen, den „Srpsko-dalmatinski Almanah za ljeto 1836“, später
„Srpsko-dalmatinski Magazin“. Der orthodoxe Jurist war als Richter in Split tätig, und wurde
sowohl von Ljudevit Gaj als auch Vuk S. Karadžić, dem serbischen Sprachreformator,
beeinflusst. Er deklarierte sich selbst als „Illyrer aus Dalmatien“, und betrachtete Serben und
Kroaten als Teile eines Stammes. Die Intention seiner Publikation lag darin, das
dalmatinische Volk zu ermutigen, für seine eigene Sprache und Kultur einzustehen, und sich
der in Kroatien erwachten nationalen Bewegung anzuschließen. Die slawische Literatur sollte
bezeugen, dass die eigene Volkssprache sehr wohl für Kunst, Kultur, Politik und Öffentliches
geeignet ist. 1843 wurden folgende Verse veröffentlicht:49
„Što nepomnja nami krati,
što navidnost huda otima,
Ilir ište da povrati,
da od tuđinijeh priuzima.
Brzo u skupu priskočite,
za podpomoć svetu odluku,
duh i glase podignite,
braći svojoj dajte ruku.
Jednodušno nek se oglase
na narodno na pozvanje,
nek Latinac snebiva se
da smo od njeg ništa manje.”50
Hier wird wiederum zwischen dem Eigenen und dem Fremden unterschieden, in diesem Fall
wird dafür das Ethnikon „Ilir“ der Bezeichnung „Latinac“ entgegengesetzt. „Braći svojoj
dajte ruku“, gebt euren Brüdern die Hand, soll das Zusammengehörigkeitsgefühl des
dalmatinischen und kroatischen Volkes fördern, und schließlich soll sich dieses eine Volk
bewusst werden, dass es dem „lateinischen“ in keiner Weise unterlegen ist.
1844 rief Antun Kuzmanić, unter Mitarbeit von Petar Preradović und Ivan August Kaznačić,
die bereits erwähnte Zeitschrift „Zora Dalmatinska“ ins Leben. Die in Zadar herausgegebene
Publikation wurde, im štokavisch-ikavischen Dialekt verfasst, und fand auch in Kroatien ihre
Leser. Die Intention glich derjenigen von Božidar Petranović, der Kampf für die eigene
Sprache stand im Vordergrund. „Zora“ setzte sich für die Einheit aller Kroaten ein,
49 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 23, Konrad CLEWING, Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung. Dalmatien in Vormärz und Revolution (München 2001) 199, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 94 50 Antun KAZNAČIĆ, 1843, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 94
32
Dalmatien ist kroatisches Land und die kroatische Sprache sollte in allen Lebensbereichen
Anwendung finden. Im ersten Jahr konnte die Zeitschrift 746 Abonnenten verzeichnen, und es
schien, als wäre die italienisch geprägte Intelligenz bereit, umzudenken. 1844 drückte das
Andrija Stazić folgendermaßen aus:51
„... sramotna nemarljivost za nauk našega jezika bila je nadvladala toliko, da se je narod
s njim sramovao, kako sa svojim imenom i sobom istim.”52
Er spricht von einer schändlichen Unachtsamkeit der eigenen Sprache gegenüber, die dazu
geführt hatte, dass sich das Volk sowohl für seine Sprache als auch für seinen Namen und
sich selbst schämte.
Eine andere Publikation vertrat eine etwas weitläufigere Auffassung vom
Zusammengehörigkeitsgefühl. Der in Šibenik geborene, in Italien ausgebildete Nikola
Tommaseo befürwortete zu Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit die Vereinigung der
Südslawen, dabei bezieht er sich neben den Kroaten in Dalmatien, Kroatien und Slawonien
auch auf das Volk in Bosnien, Herzegowina, Montenegro und die Serben in Ungarn. Im Zuge
der revolutionären Ereignisse verändert der Autor später seinen Standpunkt gegenüber den
Kroaten, da er durch deren Beteiligung an der Suppression des ungarischen Aufstands
enttäuscht wird. Aufgrund der Zensur kann Tommaseos „Iskrica“ erst 1848 veröffentlicht
werden, Mitte der 1840er schrieb er:53
„... Dalmacijo moja, malena si među jugoslavenskim sestrama svojim, ali mi neki glas
govori da ti nećeš biti manja ni ružnija, nego da će se pjesme tvoje na deleko čuti, i
upokojit će u grebu sinove tvoje ...”54
Regionaler Stolz und Heimatliebe sprechen aus Tommaseos Zeilen. In seinen Werken
bekennt sich der ursprünglich für die italienische Vereinigung kämpfende Dalmatiner zu
seinen Wurzeln, nennt Dalmatien seine Heimat, das dalmatinische Volk deklariert er als
kroatisch und die eigene Sprache als illyrisch. Darüber hinaus will er Dalmatien nicht nur mit
dem Mutterland Kroatien, sondern mit all seinen „südslawischen Schwestern“ vereinen.
Zunächst identifiziert sich der Autor selbst immer häufiger als Slawe, bringt Publikationen
unter dem Titel „Slaven“ heraus, und bezeichnet sein Dalmatien als eine Tochter „slovinske
matere naše“. Er kämpft für das Ansehen seiner Muttersprache, die, seiner Meinung nach, in
51 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 23, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 95, Jakša RAVLIĆ, Mihovil Pavlinović, in: Rafo BOGIŠIĆ (Hg.), Franjo Rački. Mihovil Pavlinović. Natko Nodilo. Blaž Lorković. Izbori iz djela (= Pet stoljeća hrvatske književnosti 33, Zagreb 1969) 107-128, hier 110 52 Andrija STAZIĆ in Zora dalmatinska, 1844, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 95 53 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 44, CLEWING, Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung, 37f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 95f 54 Nikola TOMMASEO, 1848, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 96
33
keiner Weise der lateinischen oder griechischen nachsteht. In seiner Frühphase ist er am
ehesten der slawodalmatinischen Strömung unterzuordnen. Ein weiterer Aufruf, „Proglas na
Hàrvate i druge puke slavjanske“ macht Tommaseos romantisierte Liebe zu allem
Slawischen und insbesondere Südslawischen deutlich:55
Bratjo!
Velika obitelj slavjanska budi se I poznaje sama sebe. Vrěme narodah je došlo. – Razsuta
i raztàrgana uda sakupljaju se; kroz odsěčene žile teče opet kàrv oživljavajuća. O
Hàrvati! Od Austrie pogàrdjeni, a Italii màrzki kao orudje samosilja, svět vas ne pozna; i
malo ih je koji znaju, da se vi preko deset godinah borite u svojoj zemlji za jezik, za
narodnost i dostojanstvo duše svoje. Nezna svět, da ste vi pàrvi podkušali svàrći jaram
Meternichov, dočim su vas drugi vaši saveznici i drugari u robstvu dàržali kao stado.
(…) Hàrvati, koji ste još u Talianskoj, da prolěvate kàrv taliansku, izbavite se od prikora;
položite ono oružje sramotno, nemilo. Hàrvatska vas želi: mati vaša poslala je jako
zahtěvanje u Beč, da se dignete iz Italie, i da nebudete kàrvolije i žàrtve. Hàrvati, Česi,
Poljaci, vi, pod težkom Austriom ugnjeteni, ustanite, vrěme je. Budite narodi i nestojte
podvàrženi odlomku tudjega naroda. (…) Austria narasla je po ženitbi i lukavoj
uztàrpljivosti. (…)
Razlučimo Austriu od Němačke. S pravom velikom Němačkom pobratite se kao sa
sestrom. A ti nesrěćna Poljska! nećeš moći uskàrsnuti u pravi život, ako neljubiš svoju
nemilu kàrvnicu, Rusku, koja je ipak tvoja sestra. (…).
Ustanite Hàrvati, Česi, Poljaci, bratjo! iz okovah kujte mače, a iz jarma štape za obranu.
Vi, toliko vremena sgàrbljeni pod austrianskim štapom, dignite se uzpravo: preobladat
ćete migom. Na noge bez màrzosti i bez straha. Bog je narodah s vami.”56
Der Aufruf richtet sich an Tommaseos „Brüder“, die Kroaten und andere slawische Völker.
Im weiteren Verlauf des Textes wendet er sich an das tschechische und polnische Volk,
ebenso Russland wird als Polens „Schwester“ genannt, ohne welche sich Polen nicht erheben
kann. Unmissverständlich äußert der Autor seine Antipathie gegenüber Österreich. Er
versucht, panslawistische Nationalgefühle zu wecken, denn „die Zeit der Völker ist
gekommen“, diese werden aufgerufen, sich zu erheben und sich von ihren Fesseln zu
befreien, aus ihnen „Schwerter zu schmieden“ um sich zu verteidigen. Die Slawen sind laut
Tommaseo „eine große Familie“, deren „zerstreute und zerrissene Gliedmaßen“ wieder
zusammenfinden, und durch deren „abgetrennte Adern wieder belebendes Blut fließt“.
Feindbilder sind Metternich und Österreich, aber auch Italien, denn diese „fremden Völker“
55 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 44, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 95f 56 Nikola TOMMASEO, 1848, aus: Ivan MILČETIĆ, Nikola Tommaseo, in: Hrvatsko kolo, knjiga I. (Zagreb 1905) 308-336, hier 330
34
haben dafür gesorgt, dass Kroatien unterjocht blieb, unbemerkt von der restlichen Welt, im
letzten Jahrzehnt vergeblich für seine Freiheit und seine eigene Sprache kämpfend.
Deutschland hingegen soll wie eine Schwester behandelt und von Österreich getrennt werden.
Wie eine „Viehherde“ wurden die Slawen in Gefangenschaft gehalten, ihre heldenhafte
Vergangenheit ist in Vergessenheit geraten. Tommaseo wendet sich an die Kroaten, die nach
wie vor in Italien „Blut vergießen“, sie mögen „die schändlichen, unbarmherzigen Waffen
niederlegen“ und zu ihrer „Mutter“ Kroatien zurückkehren. Er fordert ein Ende der Kämpfe,
appelliert an die menschliche Barmherzigkeit, denn für das „listige“ Österreich, das nur durch
Heirat groß geworden sei, lohne es sich nicht, Opfer zu bringen. Christliche Elemente sind
ebenso vorzufinden, „wir hassen nicht diejenigen, die uns hassen“. Zudem verfügen die
Slawen über Eigenschaften wie Ehrlichkeit und edelmütige Treue. Tommaseos Intention ist
eindeutig das Ende der großen Monarchie, dem gegenüber stellt er die Slawen, die er zwar
durchaus einzeln anspricht, aber schließlich als eine Einheit tituliert, als „pleme slavjansko“,
das seinen Platz unter den großen Völkern finden wird.
5. Annexionisten, Autonomisten und Sprachendisput
Genährt durch die europaweit vorherrschende Tendenz Ende der 1840er kam es innerhalb der
Monarchie zu erheblichen politischen Spannungen. Die nationalen Revolutionen riefen
massive Forderungen hervor, die Intelligenz war in Aufruhr und es kam zu politischen
Umwälzungen. Metternich musste abdanken und der vom Nationalgefühl geleitete ungarische
Aufstand konnte 1849 schließlich mit Hilfe des russischen Zaren Nikolaus abgewehrt werden.
Gemeinsam mit serbischen, rumänischen und slowakischen Truppen kämpften auch die
Kroaten unter Ban Josip Jelačić gegen das ungarische Vorhaben. Kaiser Franz Joseph bestieg
den Thron, 1852 folgte der sogenannte, nach Minister Alexander Bach benannte, „Bachsche
Neoabsolutismus“, der durch seine zentralistische Staatsführung gekennzeichnet war.
Sämtliche revolutionären Tendenzen und nationalen Forderungen werden dadurch in den
folgenden Jahren unterdrückt.57
Im Zuge des Revolutionsjahres konnte man im Südosten der Monarchie politische
Strömungen und intellektuelle Kontroversen wahrnehmen. Während Kroatien seine historisch
57 vgl. HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 155, KANN, Geschichte des Habsburgerreiches 291-298, STEINDORFF, Kroatien, 109ff
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begründeten Ansprüche an Dalmatien erhob, gab es hier weiterhin zwei Lager, das den
Anschluss an Kroatien Befürwortende, und jenes, das ein autonomes Dalmatien bevorzugte.
Zu den sogenannten Annexionisten gehörten sich als Kroaten bezeichnende Dalmatiner, aber
auch orthodoxe Dalmatiner serbischer Herkunft. Autonomisten waren Italiener, italienisch
Gebildete und Privilegierte, die durch einen eventuellen Anschluss Machteinbußen fürchteten.
Die Sprachenfrage betreffend gab es nach wie vor einen gravierenden Gegensatz. Dalmatien
wird nun allmählich politisch aktiver, die intellektuelle Schicht nimmt zu, und kann ihre
Gedanken in einigen Publikationen veröffentlichen. Von der kroatischen Seite werden die
Stimmen nach einer Einverleibung Dalmatiens immer lauter, Annexion und Sprache sind
auch hier politischer Schwerpunkt. Nichts desto trotz führte das zunächst turbulente Ende der
1840er durch den Neoabsolutismus zu einem anschließenden Rückgang politischer
Aktivitäten im Laufe der 1850er.
Trotz der Repression gab es in Dalmatien auch während des Neoabsolutismus eine
wahrnehmbare publizistische Tätigkeit. Insbesondere in Zadar werden ab Mitte des
Jahrhunderts zahlreiche Publikationen geboren. Neben der „Zora dalmatinska“ existierte in
den 1850ern (1849 bis 1866) der von Demarchi Rougier herausgegebene „Glasnik
dalmatinski“, an welchem Ante Kuzmanić als Redakteur mitarbeitete.58 Dalmatinische
Aktivisten hatten somit die Möglichkeit, ihren Gefühlen und politischen Anliegen Ausdruck
zu verleihen:
„Jedan veliki uzrok nevolja našega naroda jest vladanje talijanskoga jezika.”
„Slavjanski duh, Slavjanski jezik, Slavjanski nauk (...), pravo je da obuzimaju širom svu
ovu Dalmaciju, jera smo mi pravi Hrvati starinom, ipak od same naše međašne braće
možemo sebi podpor steći.“
„Narodna straža ima biti odivena po hrvatskom kroju.“ (...)
„(…) Živila naša narodnost hrvatska!” (…)
„Kad tako budemo složni, tadar i ova malina građana, što talijanski misli, promislit će
se, priznat će, da je velika potriba hrvatski misliti, hrvatsku našu narodnost dizati.”59
Laut obigen Auszügen wird die politische Neuordnung mit Freude und Hoffnung für die
dalmatinische Zukunft aufgenommen, im Vorherrschen der italienischen Sprache sieht man
den Leidensquell des eigenen Volkes. Dalmatiner sind durch ihre Vergangenheit „echte
Kroaten“, darüber hinaus sind sie Slawen und müssen mit ihren Brüdern zusammenhalten.
Die slawische Sprache und Bildung, der slawische Geist, die kroatische Uniform und die 58 vgl. Divna Antonina MRDEŽA, Nacrt za stih u zadarskim časopisima druge polovice XIX. stoljeća, in: Nikola BATUŠIĆ (Hg), Dani hvarskog kazališta. Hrvatska književnost od preporoda do Šenoina doba (Split 1999) 414-422, hier 415f 59 veröffentlicht in Zora Dalmatinska, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 98
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kroatische Nationalität werden gefeiert. „Wenn wir so vereint sind, dann wird auch diese
Wenigkeit der Bürger, die italienisch denkt, umdenken, sie wird zugeben, dass das Verlangen
groß ist, kroatisch zu denken und unsere kroatische Nationalität zu erheben.“
Die Publikation „Zora Dalmatinska“ war das wichtigste Sprachrohr der Annexionisten. In
der Ausgabe vom 24. April 1848 fordert der Artikel „Hrvatska i talijanska strana u
Dalmaciji“, dass für die neuen Ämter in den dalmatinischen Gemeinden nur „echte Kroaten
unseres Stammes“ gewählt werden sollen. In seinem Artikel vom 8. Mai schreibt Matija
Ban:60
„Kad naš jezik bude vladati, onda ćemo i mi vladati i ispraviti se. Ne treba nam učenih
Talijana, imamo i mi svojih, koji su kroz kraljeve škole prošli i koji znaju što nam
triba.“61
Während die neue Verfassung in Dalmatien zur freudigen Umsetzung führte, provozierten die
revolutionären Ideen in Kroatien eine Forderung nach der Vereinigung aller kroatischen
Länder und mehr Autonomie innerhalb der Monarchie. Dalmatien sollte wie einst mit
Kroatien und Slawonien vereint werden, denn es sei kroatisch „dem Recht, der Geschichte
und dem Volk entsprechend.“ Am 25. März 1848, bei der Versammlung in Zagreb, wurde ein
Volksbegehren verfasst, und anschließend dem Kaiser nach Wien übermittelt.62 Die
„Zahtěvanja naroda“ verlangten unter anderem:
„krepko i novo sjedinjenje u svakom smislu naše po zakonu i dogodovštini k nama
pripadajuće kraljevine Dalmacije s kraljevinom hrvatskom i slavonskom.“63
Die Kroaten drückten sich hiermit eindeutig aus: „Dalmatien gehört in jeder Hinsicht
rechtmäßig uns“. Zagreb wandte sich auch an die dalmatinischen Gemeinden und informierte
diese über das Begehren mit der Aufforderung, dementsprechend mitzuwirken.
„Zato vas, slavna gospodo i braćo (…) koji ste poglavarstvo i organ naroda pozivamo
da, spominjući se da ste jedan narod s nami, da jedna krv u naših žila vrije, da nas jedan
isti materinski jezik skopča, one korake učinite i ona sredstva poprimite, koja svrhi našeg
političkog sjedinjenja vode.“64
Mit diesem am 30. März 1848 in der Zeitschrift „Novine dalmatinsko-hrvatsko-slavonske“
veröffentlichten Aufruf wendet sich Kroatien an seine dalmatinischen Brüder, erinnert sie
60 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 104f 61 Matija BAN, in Zora Dalmatinska, 1848, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 105 62 vgl. GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 249ff, MACAN, Hrvatska povijest, 144-149, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 99f, STEINDORFF, Kroatien, 106f 63 Auszug aus Zahtěvanja naroda, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 100 64 veröffentlicht in Novine dalmatinsko-hrvatsko-slavonske, 1848, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 100
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daran, dass sie dem gleichen Volk angehören, dass das gleiche Blut durch ihre Adern fließt,
und sie die gleiche Muttersprache sprechen, mit dem Ziel, eine Vereinigung zu erreichen.
Bogoslav Šulek, Publizist und Anhänger der Illyrischen Bewegung, wandte sich an Dalmatien
mit seinem Aufruf „Braćo Dalmatinici“, und Josip Jelačić spricht in „Narodu hrvatskome i
srbskome u trojednoj kraljevini Dalmacije, Hrvatske i Slavonie“ die gesamte Bevölkerung
aller kroatischen Länder an. Šulek, der sich auf die vom Kaiser bereits mehrfach versprochene
Reinkorporation berief, fordert das Ende des in Dalmatien vorherrschenden Italienischen, und
prophezeit, dass nur jene, die dalmatinisch sprechen, und von einer slovinska Mutter
abstammen, in Dalmatien regieren werden. Jelačić, der im Kampf gegen die aufständischen
Ungarn Heldenstatus für die kroatische Bevölkerung erlangte, drückt seine Hoffnung für sein
neues Amt aus.65
„Povratite se sada mila braćo naša (…) stopite se s nami u jedno tijelo. Do sada se je
mogao samo onaj u Dalmaciji na kakovu čast popeti, koji je znao talijanski, odsele će
samo onaj upravljati, koji znade dalmatinski, kog je slovinska majka rodila!”66
„Ja sam od Njegovog Veličanstva imenovan također banom Dalmacije; zato se tvrdo
nadam da pravičnosti kralja i od krepke volje naroda, da ovo moje naimenovanje neće
ostati kod samog naslova.”67
Über derartige Appelle waren nicht alle in Dalmatien erfreut. Diejenigen, die in italienischer
Tradition ausgebildet worden waren, und höhere Ämter bekleideten, fürchteten natürlich,
durch eine politische Umstrukturierung ihre Posten zu verlieren. Andere wiederum wurden
von der österreichischen Regierung in Dalmatien eingesetzt, und hatten demnach keinerlei
Bezug zu Sprache oder Tradition der Einheimischen. Insofern kann man verstehen, dass ein
Aufruf wie „odsele će samo onaj upravljati, koji znade dalmatinski, kog je slovinska majka
rodila“ bei den Würdenträgern im Allgemeinen keine Begeisterung hervorrief. Die Gegner
der Annexion setzten nun alles daran, das kroatische Vorhaben zu unterbinden, befürworteten
eine autonome Stellung Dalmatiens innerhalb der Monarchie oder sympathisierten mitunter
mit den Entwicklungen in Venetien, wo der bereits erwähnte dalmatinische Intellektuelle
Tommaseo mitwirkte. Tommaseo hatte inzwischen seine verklärte Vorstellung vom
Slawentum abgelegt, und wandte sich wieder der italienischen Kultur zu. Das ländliche Volk
war grundsätzlich nach wie vor austrophil, und in ganz Dalmatien begrüßte man die
militärischen Erfolge der kaiserlichen Armee. So wurden Versuche seitens der neuen
65 vgl. KANN, Geschichte des Habsburgerreiches, 275-290, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 100, STEINDORFF, Kroatien, 107ff 66 Bogoslav ŠULEK, Braćo Dalmatinici, 1848, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 100 67 Josip JELAČIĆ, Narodu hrvatskome i srbskome u trojednoj kraljevini Dalmacije, Hrvatske i Slavonie, 1848, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 100
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Regierung Venetiens, den dalmatinischen „Bruder“ wieder einzuverleiben, umgehend im
Keim erstickt.68
Die dalmatinischen Gemeinden freundeten sich nur zögernd mit dem Vereinigungsgedanken
an. Sympathien dem kroatischen „Mutterland“ gegenüber waren da, die sogenannte nationale
„Wiedergeburt“ war allmählich im Gange, allerdings hatte man Angst vor weiteren,
überstürzten Veränderungen. Dass Kroatien nach wie vor mit seiner Bindung an Ungarn
kämpfte, dessen war man sich in Dalmatien bewusst. Beruhigende Worte wurden den
dalmatinischen Gemeinden von der Varaždiner Versammlung im Mai geschickt:69
„Mi svi žitelji Hrvatske i Slavonije jesmo jednaki pred sudom i svi smo slobodni. Kod nas
već neima preimućstva i prvenstva radi rođenja, neima nevoljnika, neima spahije, neima
kmeta. Već smo svi slobodna braća.”
„Kao slobodni ljudi imamo slobodu govora, pisanja i pečatnje ili štampanja.”70
Solche ermutigenden Worte über die kroatische Freiheit konnten die dalmatinische
Ergebenheit dem Kaiser gegenüber im Endeffekt nicht untergraben. Trotz eines vorhandenen
Zusammengehörigkeitsgefühls folgte man nicht der Bitte, zur nächsten kroatischen
Versammlung dalmatinische Vertreter zu entsenden. Die ländliche Bevölkerung hatte kaum
den Ansatz, sich mit Politik zu beschäftigen, sie hatte hauptsächlich mit dem Überleben zu
kämpfen, und in der Vergangenheit hatte ihnen das der Kaiser stets durch Nothilfen gesichert.
In den Städten war die kroatische Nationalidee noch in der Minderheit. Die Gemeinden
Šibenik, Omiš und Drniš, beispielsweise, ließen Zagreb wissen, dass sie trotz aller Sympathie
dem Ruf des Kaisers folgen würden. Split lehnte als einzige Gemeinde aufgrund einer pro-
italienischen Einstellung ab. Zadar verweigerte einen Zusammenschluss vor allem wegen der
kroatischen Abhängigkeit von Ungarn. In dem in Zadar herausgegebenem Wochenblatt, „La
Dalmazia dopo la liberta della stampa”, später „La Dalmazia Constituzionale”, schrieb
Špiro Petrović im Mai 1848:71
„Uporno tražiti naše sjedinjenje s Hrvatskom, pa sve i onda, kako bi to netko htio, kad bi
se ona odijelila od Ugarske, bilo bi upuštati se u prevrat i revoltu.”72
Das überwiegend katholische Dubrovnik war stolz auf sein Slawentum und konnte eine
ausgeprägte illyrische Bewegung vorweisen. Folglich war es Zagreb gegenüber positiv
68 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 44f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 103f 69 vgl. KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove, 167, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 105 70 Verlautbarung der Gemeinde Varaždin, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 105 71 vgl. CLEWING, Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung, 239, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 105ff 72 Špiro PETROVIĆ, 1848, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 107
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eingestellt und unterstützte die kroatischen Intentionen. Im zweisprachigen Wochenblatt
„Rimenbranze della settimana“ vom 1. April 1848 konnte man lesen:73
„u Dubrovniku bi misao o sadruženju trojedne kraljevine nadvladala, kad ne bi
burokracija potajno rovarila i podmećala, ali sa burokracijom, a pri kratkosti vremena,
teško da će ovaj posao ispasti.“74
Ivan August Kaznačić verlangte in seinem Dubrovniker Blatt „L’Avvenire“ „eine föderative
Einrichtung der österreichisch-ungarischen Monarchie“ sowie einen „Anschluss Dalmatiens
an Kroatien und die slawische Bruderschaft“, und das wohl emotionalste Schreiben bekam
Zagreb von den Annexionisten der ehemaligen Republik:75
„Vaši nacionalni programi, koje smo srdačno primili, daju nam sigurno jamstvo Vaše
bratske ljubavi i narodnog osjećaja. Zahvalni na ovome i na duhu koji udahnjuje Vaša
nastojanja, mi se osjećamo zahvaćeni istim osjećajima i zato slijedimo umom i srcem,
vrućim željama i ljubavlju, Vaša nastojanja i Vaše želje. Vi plemeniti, valjani i jaki, mi
mali, slabi i bez snage, ponosimo se da imamo iste osjećaje vjernosti i pouzdanja.”76
Die Dubrovniker Gemeinde empfand sich im Großen und Ganzen für zu schwach, als dass sie
auch vor dem Kaiser für ihre Überzeugung hätte eintreten können, dennoch zögerte sie nicht,
dem Stil der „Zora Dalmatinska“ entsprechend, ihre kroatisch-patriotischen Gedanken in
ihren Blättern zu veröffentlichen. Als Opposition dazu fungierte die Publikation „La Gazzetta
di Zara“. Hierin wurden jegliche Vereinigungsversuche als staatsfeindlich deklariert. Zudem
beeinflussten die Nachrichten über die im Krieg eingesetzten kroatischen Soldaten die
dalmatinische öffentliche Meinung. Vereinigungsbefürworter ließen sich davon abschrecken
und in ihrem Vorhaben bremsen, beispielsweise Stjepan Ivičević, ein Vertreter der nationalen
Wiedergeburt. Ivičević, der zu Beginn seiner politischen Tätigkeit Anhänger des Illyrismus
und für manche der dalmatinische Gaj ist, kommt in weiterer Folge vom Annexionsgedanken
ab, und verfolgt eine Regionalideologie, mit dem Ziel eines autonomen Dalmatien. Diese
regionale Identität, das „Slawodalmatinertum“, grenzt sich dennoch von dem ebenso nach
Autonomie strebenden „Italodalmatinertum“ ab. Ivičević verwendet folgend das Ethnikon
„Hrvati“ für diejenigen, die in Italien kämpfen, für das „Wir“ gebraucht er „Iliri“:77
73 vgl. CLEWING, Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung, 199f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 105f 74 veröffentlicht in Rimenbranze della settimana, 1848, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 106 75 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 161, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 106 76 Schreiben der Stadt Dubrovnik an Zagreb, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 106 77 vgl. CLEWING, Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung, 207f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 106f
40
„Mi smo Iliri, ali je protivna stranka jača, daleko jača, otkad se javlja iz Milana da su
Hrvati tamo počinili nasilja. …”78
Am 23. März 1848 wird Josip Jelačić Ban von Kroatien. Nach dem Beschluss des Kaisers
bestätigt dies am 25. auch der von Ljudevit Gaj und Ivan Kukuljević einberufene kroatische
Landtag. Der 1801 in Petrovaradin Geborene war Offizier in der Militärgrenze und hatte
Kontakt zur illyrischen Bewegung. Beim folgenden Kroatischen Sabor im Mai wird das Ende
des Feudalismus bestätigt, weiters befürwortet der Ban eine föderative Umstrukturierung der
Monarchie, sowie die administrative Zusammenfügung aller kroatischen Länder. Am
2. Dezember ernennt ihn Kaiser Franz Joseph zum Gouverneur von Rijeka und Statthalter
Dalmatiens. Jelačić dazu:79
„S radošću (...) vas pozdravljam, mili i slavni moji Dalmatinci! S veseljem vidim u sebi
ponovljenu onu svezu narodnog bratinstva, koja će biti kadra da putem ustavne slobode
sjedinjenom brigom obezbijedi najvažnije pole svih udova jednog plemena.“80
Jelačić begrüßt mit Freude das dalmatinische Volk, und sieht das Bündnis der „völkischen
Bruderschaft“ wiederhergestellt, spricht von den „Gliedmaßen eines Stammes“. Die
Ernennung Jelačićs zum Statthalter führte zunächst zur Verwirrung, denn nun sah es so aus,
als wäre tatsächlich der erste Schritt zu einer Vereinigung getan. Zum Ausdruck ihrer Freude
wurden dem Ban von der Stadt Dubrovnik patriotische Gedichte gewidmet, die Zora
Dalmatinska forderte zum Feiern auf, und die Insel Korčula verfasste eine öffentliche
Begrüßung des neuen Gouverneurs:81
„Naš jezik, naša narodnost, sve u jednu riječ, što je naše, za toliko vjekovah pogaženo,
potlačeno, uništeno, s vami se neumrli Jelačiću, podiže, ponavlja, pomlađuje.”82
Korčula sieht in Jelačić die Möglichkeit einer Wiederherstellung von all dem, was „ über so
viele Jahrhunderte niedergetreten, unterjocht und zerstört wurde“.
Nichts desto trotz betonte die österreichische Regierung, keinerlei einigende Absichten mit
Jelačićs neuer Position zu verfolgen. Dalmatien bleibt nach wie vor ein von Kroatien getrennt
verwaltetes Kronland, lediglich auf die slawische Mehrheit in der Region wurde mit der Wahl
des Gouverneurs Rücksicht genommen, so Minister Stadion am 18. Dezember 1848.
Tatsächlich wurde Jelačić folglich von Präsidial-Administrator Ghetaldi vertreten, welcher
78 Stjepan IVIČEVIĆ, 1848, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 107 79 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 162, MACAN, Hrvatska povijest,149, 152, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 107f, STEINDORFF, Kroatien, 106 80 Josip JELAČIĆ, 1848, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 107f 81 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 162f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 108 82 Verlautbarung der Gemeinde Korčula, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 108
41
lediglich Anweisungen aus Wien ausführte. Jelačić selbst reiste erst wieder im September
1851 nach Dalmatien und ließ sich abermals vom Volk feiern.83
Nicht alle dalmatinischen Gemeinden waren mit Jelačićs Amt zufrieden. Split befürwortete
eine separate Stellung Dalmatiens und stand dem kroatischen Ban skeptisch gegenüber. Am
28. Dezember entsandte die Stadt eine Petition ans Ministerium, mit dem Ansuchen, eine
Zusammenlegung der beiden Kronländer nicht zu überstürzen. Dabei wurden sowohl die
dalmatinische Herkunft als auch die eigene, dalmatinische Sprache hervorgehoben, man wolle
weder Italiener noch Slawe sein, sondern Dalmatiner. Das Slawodalmatinertum tritt erst in
den Revolutionsjahren in Erscheinung, dabei griff man auf die lange Geschichte Dalmatiens
zurück, und auf die Tatsache, dass sogar mittelalterliche kroatische Fürsten Dalmatiner
gewesen waren. Vor 1848 war diese Tendenz nicht zu erkennen, die Revolutionszeit drängte
aber dazu, sich zu bekennen. Italiener wurden zu Gegnern, und sofern man sich dem Norden
und anderen Slawen nicht anschließen wollte, blieb lediglich die Option einer eigenen
dalmatinischen Identität.84
Anhänger der italianità, zu denen sich Tommaseo letztlich gesellte, konnten durchaus
slawische Wurzeln haben. Die Herkunft spielte hierbei weniger eine Rolle, als die
Einstellung, die Bildung und das Zugehörigkeitsgefühl. Diesen Männern wurde
Kroatenfeindlichkeit unterstellt, da sie Gerüchte über Jelačićs Kampf gegen den
Katholizismus aufgrund seiner angeblichen Orthodoxie verbreiteten. Der öffentliche Auftritt
der Italodalmatiner, inspiriert durch die revolutionären Ereignisse in Venedig, erweckte
zunehmend Feindlichkeit bei der Opposition, sie seien „fremde Würdenträger, die jeder
hasst“, eine Minderheit „die niemand kennt“:85
„…činovnici stranci koje svak mrzi, talijanski emigranti, koje nitko ne pozna i mali dio
građana.”86
Zu Beginn des Jahres 1849 verstummten die Reinkorporationsstimmen allmählich, und die
dalmatinische Öffentlichkeit begann, das Beste aus den bestehenden politischen Umständen
zu machen. Einige Fortschritte führte die Revolutionszeit schließlich doch mit sich. In Zadar
eröffnet man den Kulturverein Slavjanska lipa, und im Schulwesen findet die Volkssprache
sukzessive Einzug. Allerdings werden Zeitschriften wie „Zora Dalmatinska“ mit einer – aus
heutiger Sicht lachhaften – Auflage von 200, oder die „Gazzetta di Zara“ mit etwa 300
83 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 108, 117 84 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 163f, CLEWING, Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung, 318f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 108 85 vgl. CLEWING, Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung, 330f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 109 86 Matija BAN, in: L’Avvenire, Nr. 30, 1849, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 109
42
Stück, abgesetzt, beziehungsweise ersetzt. Die folgenden Jahre der absoluten Regierung
ließen keinen Raum mehr für eine politische Umstrukturierung der Kronländer. Dennoch kam
es in Dalmatien zu einem gesteigerten Nationalgefühl, man begann, über seine Zugehörigkeit
nachzudenken, und die eigene Sprache als Ausdruck einer kollektiven Herkunft gewann noch
mehr an Bedeutung. Auch in der Literatur war diese politische Tendenz zu finden:87
„Kad ti dica budu Slavjanići,
Kada Giorgi, Gondola i drugi
Opet budu Gjorgjić, Gundulići.”88
„Ko će toj podlosti
Da se povine?
Pustit da hrvatsko
Ime mu izgine?
Da rodom vlada mu
Tuđinski rod?”89
In den ersten Versen ist die vorrangige Bedeutung der Sprache zu erkennen. Die Sprache
deklariert die Zugehörigkeit, auch die Eigennamen spiegeln dies wieder. Das dalmatinische
Volk wird zum Kroatentum und zur endgültigen Befreiung vom Italienischen aufgerufen. Die
Autoren von Publikationen wie „Dubrovnik cvijet narodnog književstva“ betonen, dass kein
Grund mehr zur Italophilie bestehe, man solle mit Stolz mit dem Eigenen, dem Kroatischen
umgehen.
Zu Beginn der 1840er gab es in Dalmatien keine öffentliche Schule, in welcher in
Volkssprache unterrichtet wurde, sie konnte auch weder vor Gericht noch in Administration
angewandt werden. Es gab kein offizielles Verbot eines entsprechenden Unterrichts,
allerdings hätte das mittels privater Budgets finanziert werden müssen. Diesem Umstand
versuchte man auf politischem Wege entgegenzuwirken. Bei der Versammlung im September
1848 bemühten sich Abgeordnete, für jede größere dalmatinische Gemeinde ausschließlich
sogenannte „illyrische“ Grundschulen auf Staatskosten durchzusetzen, weiters entsprechende
Übersetzungen der Unterrichtsbücher, sowie die Einführung des volkssprachlichen
Unterrichts in höheren Schulen zu bewirken. Folgend wurde mit diesem Ansuchen zunächst
die Etablierung der Muttersprache als Unterrichtssprache in allen Grundschulen erreicht. Mit
87 vgl. CLEWING, Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung, 244f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 109, VRANDEČIĆ, Nacionalne ideologije u Dalmaciji u 19. stoljeću, 81 88 Petar PRERADOVIĆ, Dubrovniku, in: Dubrovnik cvijet narodnog književstva, 1. Ausgabe, Dubrovnik, 1849, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 109 89 Matija BAN, Hrvatima, in: Dubrovnik cvijet narodnog književstva, 2. Ausgabe, Dubrovnik, 1850, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 109
43
dieser Entwicklung waren nicht alle Dalmatiner einverstanden. Die Italienischstämmigen und
in italienischer Tradition Geschulten waren vor allem gegen eine Einführung der
dalmatinischen Volkssprache im administrativen Bereich. Eine derartige Umstellung schien
ihnen unzumutbar. Es war in ihrem Interesse, dass die Sprachverhältnisse beim Alten blieben,
obwohl laut einer Zählung von 1843 von 400.777 Einwohnern lediglich rund 16.000 Italiener
deklariert worden waren. In Split, beispielsweise, war der Italiener Giuseppe Nanni
Protagonist der antislawischen Fraktion und der italienischen Nationalbewegung. Er sprach
sich energisch gegen die Forcierung der „rückständigen“ Volkssprachlichkeit aus.90
„Gospodo! Ovo je pitanje života ili smrti, znanja ili neznanja, vi treba da odlučite
hoćemo li iz XIX. stoljeća ući u slijedeća ili ćemo se vratiti u XIV.-o.“91
Theatralisch verkündet Nanni, es ginge bei der Sprachproblematik um Leben und Tod,
Wissen und Unwissen. Für ihn war die Verwendung des Dalmatinischen gleichbedeutend mit
einer Rückentwicklung ins 14. Jahrhundert.
Solche Widrigkeiten ließen die Durchsetzung der Volkssprache im Unterricht nur zögerlich
zu. Im Schuljahr 1849/50 gab es bei 157 öffentlichen Grundschulen lediglich in nur 12 rein
muttersprachlichen Unterricht, in 18 erfolgte der Unterricht ausschließlich in Italienisch, und
die restlichen bedienten sich beider Sprachen. Nichts desto trotz war dies der Beginn einer
volkssprachlichen Etablierung, abgesehen vom Schulwesen konnte diese Tendenz allmählich
auch in Administration und Rechtswesen wahrgenommen werden.92
In den folgenden Jahren waren politische Aktivitäten durch die stramme Regierungsform
relativ eingedämmt. Innerhalb Dalmatiens brodelte der Kampf der Oppositionen im Stillen
weiter. Die Städte stellten sich jeweils auf eine Seite, so ergaben sich zwischen diesen
politische und intellektuelle Spannungen. Da es in den 1850ern schwieriger wurde, politische
Anliegen öffentlich zu debattieren, bediente man sich der Literatur als Werkzeug für
politische Zwecke.
Ivan Kukuljević Sakcinski, Anhänger des Illyrismus und kroatischer Abgeordneter, war ab
den frühen 1850ern für die literarische Zeitschrift „Neven“ tätig, welche mitunter zu den
wichtigsten dieser Zeit gehörte. Sie wurde mit der Intention herausgegeben, die nationale
Wiedergeburt Kroatiens mittels Literatur voranzutreiben und den Absolutismus zu
90 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 29, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 111f 91 Giuseppe NANNI, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 112 92 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 115f
44
bekämpfen. Kukuljević schreibt in seinem Artikel „Jedna između naših književnih bijedah“
(„Eine unserer literarischen Armseligkeiten“) in „Neven“ 1852:93
„Ovih danah osvjedočismo se opet da nam je u duhovnom obćenju blizja Francezka,
Engleska i daleka sjeverna Europa, nego li naša pobratimska Dalmacija. U Dubrovniku
izišlo je kod tiskara Martekina još god. 1849. i 1850 njekoliko naših knjigah, a mi
nedobismo vijesti o njima sve do ovih danah, gdje nam njekako po slučaju dodje u ruke.
Zar nije ovo sramota za naše jugoslavenske knjigoprodatelje? Zar se pri takvom
nehajstvu može podignuti naše, ili ma koje drugo književstvo?“94
Kukuljević ist empört über die Tatsache, dass bereits 1849 und 50 in Dubrovnik einige
„unserer Bücher“ herausgegeben worden seien, und dass man es in Kroatien erst nun durch
Zufall erfahren habe. Dieser Zustand sei eine Schande für „unseren südslawischen“
Literaturtransfer, und es sehe so aus, als sei „uns Frankreich, England und das ferne
Nordeuropa im geistigen Austausch näher, als unser brüderliches Dalmatien“.
Dieses nationale Zusammengehörigkeitsgefühl bringt ihn dazu, in den 1850ern auch
literarisch weniger bedeutende Werke zu veröffentlichen, wie das eines ihm unbekannten
Autors, der sich seinerseits mit der politischen Uneinigkeit der dalmatinischen Städte
beschäftigte. Antun Kaznačić (1784-1874) aus Dubrovnik, Vater vom später ebenso
bekannten Ivan August, war Anhänger der kroatischen nationalen Wiedergeburt und im
Kreise von Matija Ban tätig. Der Jurist und Dichter bediente sich im Laufe seiner
schriftstellerischen Tätigkeit zunächst des Lateinischen und Italienischen, wechselt aber dann
zur Muttersprache. In Form von Versen lässt er die Bewohner zweier dalmatinischer Städte,
Zadar und Dubrovnik, mittels eines Dialogs die vorherrschende politische und sprachliche
Diskrepanz erörtern. Zadar als Symbol für die fremde Okkupation, den Einfluss fremder
Bürokratie steht im Gegensatz zu Dubrovnik, das als Hüter des Eigenen, der Tradition, für
seine Sprache und Vergangenheit einsteht.95
Der Mann aus Dubrovnik wird Dubrovčanin genannt, jener aus Zadar jedoch nicht Zadranin
sondern Dalmatin. Für den Autor scheint Dubrovnik nach wie vor eine traditionsreiche,
ehemals selbständige Institution zu sein, der Dalmatin ist Vertreter der dalmatinischen
Bürokratie, nicht der gemeinen slawischen Bevölkerung Dalmatiens.
93 vgl. Nikola KOLUMBIĆ, Stariji hrvatski pisci u časopisima pedesetih i šezdesetih godina 19. stoljeća, in: Nikola BATUŠIĆ (Hg.), Dani hvarskog kazališta. Hrvatska književnost od preporoda do Šenoina doba (Split 1999) 136-146, hier 138 94 Ivan KUKULJEVIĆ SAKCINSKI, Jedna između naših književnih bijedah, publiziert in: Neven, I, 1852, Nr. 15, 237, aus: KOLUMBIĆ, Stariji hrvatski pisci, 138f 95 vgl. KOLUMBIĆ, Stariji hrvatski pisci, 141
45
„(…) Rados mi je prava, opeta
Nakon mnogo, mnogo ljeta
Parvostolne pazit zide,
Gdi gospoda pàrva side. (…)
Evo mjesta, kog je mila
Vlast cesarska uzvisila.
Tu uljudne sve nauke
Dalmatinu prida u ruke. (…)
Ah, moj Bože! jeli sreća
Svoj dàržavi jasnija, veća!
Da se u mjestu poglavnomu
O jeziku brinu svomu. (...)“96
Nach vielen Jahren besucht der Mann aus Dubrovnik die Stadt Zadar wieder, drückt seine
Freude darüber aus, und glorifiziert sie als ruhmreich. Durch die „gnädige kaiserliche
Herrschaft“ sei dieser Ort „erhoben“ worden. Hier, wo echte Edelmänner vorzufinden sind,
stehen dem „Dalmatin“ Wissenschaften zur Verfügung. „Ach, mein Gott! ist es nicht ein
Glück“ dass man sich hier „um die eigene Sprache kümmert.“ Dort wo man Bildung
respektiert, dort pflegt man auch „unsere Sprache“, schlussfolgert er. Darauf der Dalmatin:
„(…) Ne targaj se brez opaza
O čovječe svietla obraza!
Ne muči se. U ovom gradu
Za svoj jezik malo znadu.
Ovdi’e ludo, potišteno
Govorenje svoje rodjeno. (...)“97
Der Mann aus Zadar begegnet seinem Dialogpartner durchaus mit Respekt, „oh du Mann mit
lichtem Antlitz“. Allerdings erklärt er wehmütig, dass der andere sich irre, und die
Vorstellung, die jener von Zadar hat, nicht den Tatsachen entspreche. Hier in dieser Stadt
wisse man wenig von der eigenen Sprache.
„(…) Kako? Ovo l’ mjesto nije
Dalmatinsko, kako prije?
Nijel’ rodu slovinskome
Baraković pjevo svome?
I s pjesmami i s knjigami
96 Antun KAZNAČIĆ, Razgovor Dubrovčanina i Dalmatinca o narodnom jeziku, aus: KOLUMBIĆ, Stariji hrvatski pisci, 141f 97 ebd., 142
46
Ime steko Zadru i nami?
Nijel’ Šimun Budineo
Na Slovane slavu uzpeo? (…)“98
In den obigen Versen baut der Autor Persönlichkeiten ein, die bereits etwas für ihr
„slawisches Geschlecht“, sowohl für Zadar als auch für „uns alle“ geleistet haben, so
Baraković mit seinem literarischen Werk. Der Dubrovniker wundert sich über die Zustände in
Zadar, „Wie? Ist denn dieser Ort nicht mehr dalmatinisch wie früher?“ Darauf wieder der
niedergeschlagene Dalmatin:
„(...) To je njekad nazbilj bilo,
Nu sve je danas potamnilo.
Sad Dalmatin, ki sried grada
Pobjegao je s bàrda od glada, (…)“99
„Tatsächlich war das einst so, doch heute ist alles dunkel geworden“, wird hier erwidert.
Auch die sozialen Missstände werden thematisiert, anhand des Dalmatiners „vom Berg“, der
sich, um seinen Hunger zu stillen, in die Stadt hinab begeben hat.
„Nek’ se Zadar usioni
Dubrovniku s tog pokloni.
Nek Kotoru hrabrenomu
Kruni nazbilj glavu u tomu.
Nek spovieda: da meu nami
Još su rodnog duha plami.
Da je jezik nam ugodni,
Vàrhu svieh domorodni.
Jer svoj jezik tko neljubi
Domorodstva razlog gubi.“100
Schließlich wird Zadar aufgefordert, sich an Dubrovnik und dem „tapferen“ Kotor ein
Beispiel zu nehmen. Es möge sich seiner Heimat besinnen, denn über allem stehe die eigene
Sprache, ohne welche man „den Sinn für die Heimatliebe verliere“.
Kukuljević brachte obiges Werk mit der Absicht heraus, zu einen, was zusammengehört, sich
weiters vom Fremden zu lösen. Demnach gehörte Dalmatien zu Kroatien, doch dafür müsste
zunächst Dalmatien homogenisiert werden. Darüber steht die südslawische, weiters aber auch
die panslawistische Idee. Die politische Intention dahinter ist der Sturz – oder zumindest die
98 ebd., 142f 99 ebd., 143 100 ebd., 143f
47
Loslösung von – der Monarchie. Doch dieses Vorhaben erwies sich als schwieriger, als
erhofft. Zu Beginn der 1860er, nach dem Fall des Absolutismus, was ein Schritt in die richtige
Richtung hätte sein sollen, war eine Vereinigung mit Kroatien noch weit entfernt, denn nicht
einmal innerhalb Dalmatiens war diese bis dahin gelungen.
6. Politisches Aufblühen
Nach einem Jahrzehnt der Eindämmung öffentlicher ideologischer Gedanken durch die
absolute, zentralistische Regierung, lässt sich die inzwischen weiter angewachsene
Intelligenzschicht nun nur noch schwer davon abhalten, für ihre Ideale einzustehen. Zu
Beginn der 1860er konnte man in Dalmatien rund 13.000 Menschen mit gehobeneren Berufen
zählen, darunter etwa 1.200 Geistliche, rund 450 Künstler und Schriftsteller, 284 Ärzte, 122
Militärbedienstete, weiters Händler, Fabrikanten, Gewerbetreibende, Immobilienbesitzer
sowie 69 Rechtsanwälte und Notare.101 Vor allem aber die wachsende Zahl der slawischen
Intellektuellen trägt im Laufe der 1860er zu einer Veränderung der politischen Landschaft bei.
Durch das stetige Bevölkerungswachstum gibt es immer mehr schulpflichtige Kinder, durch
die steigende Anzahl an kroatisch unterrichtenden Bildungsstätten werden immer mehr
Dalmatiner nicht ausschließlich italienisch geprägt.
Dalmatien blüht politisch auf, Parteien werden gegründet, umbenannt, fusioniert, aber auch
wieder zersplittert, um sich neu zu formieren. Der Kontakt zu kroatischen Politikern wird
gepflegt, an die Regierung werden unermüdlich Forderungen gestellt. Die politischen
Kontroversen fechtet man im Zuge der Landtagssitzungen aus, aber nun auch wieder vermehrt
in Publikationen, deren Inhalte zu öffentlichen Diskussionen, und mitunter zu
Ausschreitungen führen. Nach wie vor bedient man sich der Literatur als Sprachrohr für
politische Anliegen und die Verbreitung nationalen Gedankenguts innerhalb der
Intellektuellenschicht. Zahlreiche Drucke werden von politisch engagierten Protagonisten ins
Leben gerufen, einige können sich auf Dauer nicht etablieren, andere wiederum setzen sich
durch, und bleiben ihrer Leserschaft trotz widriger Umstände und Unterbrechungen jahrelang
erhalten. Der „Narodni list“, beispielsweise, wird ab 1862 in Zadar herausgegeben und
schafft es bis ins Jahr 1920. Auch die literarischen, kulturellen Zeitschriften erleben einen
Aufschwung. Bereits 1848 war die Matica dalmatinska in Planung, konnte aber durch die
101 vgl. TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 54
48
absolutistische Repression nicht umgesetzt werden. Das an das kroatische Vorbild Matica
hrvatska angelehnte Verlagshaus sollte als literarischer Verein zur kulturellen und politischen
Volksbildung beitragen, und kann durch den Umschwung im August 1862 schließlich
eröffnet werden.102
Nach der neoabsolutistischen Phase konnte man in Dalmatien weiterhin zwei Hauptlager
vorfinden. Die Volkspartei (Narodna stranka) ging aus den Annexionisten hervor, diese stand
nach wie vor in Opposition zu den Autonomisten. Das Erstarken der Volkspartei führte immer
häufiger zu Ausschreitungen und Manipulationen seitens der Machthabenden. Auch die
Feindlichkeit gegenüber Italienisch-Stämmigen wurde zunehmend schwerwiegender. Die
Sprachenfrage war nach wie vor aktuell, allerdings hatte sie inzwischen eine deutlichere
nationalistische Färbung erhalten. Stand zuvor eher das Slawische dem Italienischen als
heimatliches Kulturgut gegenüber, so sind jetzt der Kroate als patriotischer Einheimischer und
der Italiener als machtgieriger Eindringling einander feindlich gesinnt.
Der dalmatinische Landtag setzte sich aus 43 Abgeordneten zusammen, wobei 41 gewählt
wurden, die anderen beiden Stimmen waren Virilstimmen der Erzbischöfe von Zadar, des
katholischen und des orthodoxen.103 Die Regierung versuchte offiziell Verständnis für
nationale Belange zu demonstrieren, de facto bemühte sie sich aber stets, die Autonomisten
zu unterstützen und auf den Landtag manipulativ Einfluss zu nehmen, sodass sie sich einen
ihr angenehmen Wahlausgang sichern konnte. Auch innerhalb Dalmatiens, auf
Gemeindeebene, waren solche Taktiken üblich.
Wie es möglich war, eine Wahl durch ihre Planung im Vorfeld zu beeinflussen, lässt sich an
der Gemeindewahl von Split Ende der 1860er demonstrieren. Man war sich bewusst, dass der
Großteil der ländlichen Bevölkerung die volksparteilichen Vertreter wählen würde, also
beschloss die Gemeinde, lediglich direkt in Split die Möglichkeit zur Stimmabgabe
anzubieten. Für die Bewohner der umliegenden Dörfer war die Reise zur Stadt erstens
aufwändig, zweitens waren sie dort nicht willkommen, und wurden fallweise auch attackiert.
Die Regierung ignorierte den Protest seitens der Landbevölkerung, worauf das Wahlergebnis
dementsprechend ausfiel.104
Die 1860er werden politisch und gesellschaftlich turbulent. Landtags- und Gemeindewahlen,
aber auch Versammlungen eskalieren häufig, gegebenenfalls folgen Neuwahlen. Es besteht
ein Stadt-Land Gegensatz, und die dalmatinischen Städte bilden ebenso wenig eine Einheit,
denn auch diese stehen politisch entweder auf der einen oder anderen Seite. Dubrovnik,
102 vgl. MRDEŽA, Nacrt za stih u zadarskim časopisima, 416, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 174 103 vgl. TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 59 104 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 166
49
beispielsweise, wird leidenschaftlicher Verfechter der kroatischen Ideologie, Split unter
Statthalter Bajamonti, bleibt lange Zeit autonomistisch. Die Sprachenfrage spitzt sich zu und
fließt langsam in Nationalismus über. Kroatien, das für seine nationale Identität bereits seit
dem Illyrismus leidenschaftlich eintritt, verlangt die Reinkorporation seiner historischen
Territorien immer nachdringlicher, während sich in Dalmatien die Nationalideologie
ausbreitet, und über eine immer größere Anhängerschaft verfügt.
6.1 Nationales Erwachen
Zu Beginn des Jahrzehnts standen sich ein stetig wachsendes slawisches und ein zahlenmäßig
relativ geringes italienisches, autonomistisches Lager entgegen. Im August 1860 wird in
Zagreb eine an die Regierung gerichtete Schrift gedruckt, „Glas hrvatsko-slovinski iz
Dalmacije.“ Darin wird abermals der italienisch-slawische Gegensatz zum Ausdruck
gebracht.105
„Njekolicina talijanskih pridošlica, te domaćih gnjusnih odmetnika narodnosti svoje,
gazi sada svu Dalmaciju, niti joj dade da odahne, čim ju truje, sve više i više, dan na dan,
smrtonosnim otrovom.“106
Der Autor dieser Zeilen spricht von einigen wenigen italienischen Einwanderern, welche
gemeinsam mit einigen Abtrünnigen des eigenen Volkes Dalmatien niedertrampeln und jeden
Tag aufs Neue mit todbringendem Gift verseuchen. Weiters ist zu lesen:
„Dalmacija ne treba talijanskog jezika za službeni jezik dok ima svoj lijep i bogat.“107
„To nisu Talijani (...) nego na našu štetu i sramotu potalijanjeni Srbo-Hrvati, koji
bjesnoćom poturica hoće da širom svijeta rastrube Dalmaciju za talijansku državu ...“108
„U Dalmaciji ima najviše 15.000 onih koji talijanski govore, i to u nekim primorskim
gradovima. U ostalim pak mjestima Dalmacije Talijana neima ter neima, izuzevši jedino
činovnike, koji su više negoli jezikom Talijani.“109
Die Schönheit der eigenen Sprache wird hier wiederum hervorgehoben, diese mache das
Heranziehen des Italienischen als Amtssprache überflüssig.
105 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 171, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 119 106 Glas hrvatsko-slovinski iz Dalmacije, 1860, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 119 107 ebd. 108 ebd. 109 ebd.
50
Diejenigen, die Dalmatien für den italienischen Staat gewinnen wollen seien keine Italiener,
vielmehr „zu unserem Schaden und unserer Schande italienisierte Serbo-Kroaten“. Der
Ausdruck Serbo-Kroaten vereint hierbei die serbisch-orthodoxe Minderheit Dalmatiens mit
der katholischen, sich als kroatisch definierenden Mehrheit. Noch treten diese beiden
Gruppen gemeinsam auf, allerdings sind sie vorwiegend nicht mehr einheitlich Slawen,
sondern Serben und Kroaten. Laut der bereits erwähnten, in Zadar 1846 veröffentlichten
Volkszählung, „La Dalmazia descritta“, hatte Dalmatien 1843 eine Bevölkerung von
400.777 Einwohnern, davon 323.271 Katholiken und 77.690 Orthodoxe. 1987 veröffentlichte
Statistiken geben für die Jahre 1840, 1850 und 1860 lediglich 358.528, 356.460,
beziehungsweise 347.237 Einwohner an. Im obigen Artikel geht der Verfasser von höchstens
15.000 „jener, die Italienisch sprechen“ aus. Diese seien vor allem in Küstenstädten
vorzufinden, in anderen Ortschaften seien lediglich die Würdenträger Italiener. Zur
Sprachproblematik im Schulwesen konnte der Schrift folgendes entnommen werden:110
„Dalmacija broji 230 učionica i 4 više gimnazije. Od tih škola, osim jednog vrlo malog
broja nahodećih se u rukam pravoslavnoga svećenstva (...) sve su talijanske. Realke,
nautičke učione također su talijanske. U mnogim od ovih učionicah, osobito u ženskim,
hrvatski se ni štiti ni uči.“111
Aus diesem Absatz kann entnommen werden, dass die wenigen Schulen, in denen in
Volkssprache unterrichtet wird, vor allem „in den Händen der orthodoxen Geistlichkeit“
seien. Nach wie vor dominiere das Italienische im gesamten Schulwesen. Im Großen und
Ganzen kann 1860 eine nur geringe Veränderung des italienisch-volkssprachlichen
Gegensatzes vernommen werden. Im Laufe der letzten Dekade war es für die Dalmatiner, die
sich für ihre eigene Sprache einsetzten, kaum möglich, ihre Ansprüche durchzusetzen.
Folglich wurden die antiitalienischen Stimmen lauter und fordernder. Seitens der Regierung
gab es weiterhin hauptsächlich für italienische Schulen finanzielle Mittel, das einzige
volkssprachliche Gymnasium finanzierte die Gemeinde zusammen mit dem
Franziskanerorden in Sinj. Durch den partiellen volkssprachlichen Unterricht hatten zwar
auch Kinder aus dem Hinterland Zugang zur Bildung, aber vor allem nur auf
Grundschulniveau, beziehungsweise, bis sie des Italienischen mächtig und somit für die
weitere Ausbildung qualifiziert waren. Häufig wurden danach höhere Schulen außerhalb
Dalmatiens besucht, insbesondere in Padua und anderen italienischen Städten der Monarchie.
Im Jahre 1861 gab es in Dalmatien 157 öffentliche Grundschulen. Laut dem anonym von
110 vgl. GELO, Demografske promjene u Hrvatskoj, 95, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 111, 119 111 Glas hrvatsko-slovinski iz Dalmacije, 1860, aus: NOVAK, 2004, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 119
51
„einem Dalmatiner“ („jedan Dalmatin“) verfassten Broschüre „Zaorija na talijanstvo svoje“
werden die dalmatinischen Kinder „vom eigenen Volk entfremdet“. Als Beispiele nennt man
darin die Gymnasien in Zadar und Dubrovnik, wo von 146 Schülern 136 dalmatinische
Slawen und zehn Italiener, beziehungsweise bei 145 Schülern lediglich zwei italienische
Kinder unterrichtet werden. Wie in Split war dennoch auch in diesen beiden Gymnasien nach
wie vor Italienisch Unterrichtssprache. Der Ruf nach dem Kroatischen in Schule, Amt und
Kirche wurde erneut laut.112
Kroatien war zu der Zeit bemüht, sich von der ungarischen Obrigkeit zu lösen. Bei der
Reichstagsversammlung im September 1860 wurde der Wunsch nach kroatischer
Selbstständigkeit formuliert und der Anschluss Dalmatiens aufs Neue thematisiert. Die
zentralen Gestalten dieser Forderungen waren Josip Juraj Strossmayer (1815-1905), der
Bischof von Đakovo, sowie der kroatische Reichstagsabgeordnete Ambroz Vraniczany.
Strossmayer, als Anführer der kroatischen Volkspartei, berief sich auf die historische
Einigkeit Kroatiens und Dalmatiens, weiters wurde seine Abneigung gegen die dalmatinische
Intelligenz ersichtlich, die sich nach wie vor aufgrund ihrer italienischen Tendenz gegen einen
Zusammenschluss aussprach. Vertreter dieser Fraktion, wie Borelli, sprachen sich gegen eine
Annexion und für eine dalmatinische Autonomie aus. Dazu Strossmayer:113
„Ko hoće da nađe prave simpatije za Hrvatsku i Slavoniju, taj neka pođe među onih
400.000 dalmatinskih Slavena koji govore istim jezikom kojim i mi i neka pita svakoga
koga od ovih 400.000 ljudi sretne ‚Ko si i kojim jezikom govoriš?‛, i dobit će odgovor:
‚Ja sam Hrvat i hrvatski govorim‛.“114
Strossmayer war Gegner des österreichischen Zentralismus und verfolgte das Ziel einer
südslawischen politischen Erstarkung. Im obigen Auszug seiner Darlegung definiert er die
Slawen in Dalmatien als Kroaten, die „die gleiche Sprache sprechen wie wir“, er meint
400.000 Menschen in Dalmatien würden sagen „ich bin Kroate und kroatisch spreche ich“.
Nach wie vor hatten diese Debatten wenig Einfluss auf die Regierung, aber sie fanden
Anklang in der kroatischen und dalmatinischen Öffentlichkeit. Die neue Verfassung von 1860
führte zur Einführung eines Reichstags und brachte Kroatien eine nationale Amtssprache und
mehr Autonomie, seine ersehnte Dreieinigkeit wurde allerdings weiterhin ignoriert. Eine
Zusammenlegung wurde ausgeschlossen, begründet durch das nicht vorhersehbare zukünftige
112 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 170f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 119, 122, 138, 173 113 vgl. GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 263, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 120, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 58 114 Josip Juraj STROSSMAYER, 1860, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 120
52
kroatisch-ungarische Verhältnis, zudem war der dalmatinische Landtag immer noch
überwiegend dagegen.115
Die in italienischen Teilen der Monarchie ausgebildete slawisch-stämmige Intelligenz
empfand nach ihrer Rückkehr in die dalmatinische Heimat das Volkstümliche gegenüber dem
Italienischen häufig als rückständig und stillos, und fühlte sich dem italienischen Lager
zugehörig. Zusammen mit der von der Regierung berechnend eingesetzten, überwiegend
italienischen Administration, bildete jene Intelligenz die Führung Dalmatiens, und war
folglich autonomistisch. Der Großteil der dalmatinischen Einwohner, das einfache slawische
Volk, war auch noch in den 1860ern von einer Mitsprache ausgeschlossen. Die wenigen aus
der gemeinen Bevölkerungsschicht mit einer höheren Bildung waren großteils entfremdet und
romanisiert, folglich war der Träger der dalmatinisch-slawischen Identität das ungebildete
Volk, die Bauern, die Fischer und die einfachen Arbeiter, die immerhin über 90 Prozent der
Bevölkerung ausmachten, aber auch Kleriker, die mit Begeisterung kroatische Literatur aus
Kroatien studierten.116
Zu Beginn der 1860er kann noch nicht von einer allgemein vorherrschenden nationalen
Identität in Dalmatien gesprochen werden. Die Führungsschichten der Städte und größerer
Gemeinden lenkten das politische Geschehen, und standen weiterhin nicht gemeinschaftlich
auf der gleichen Seite. Die Gemeinde Split, beispielsweise, wurde von einem in Padua
ausgebildeten Arzt, Bürgermeister Ante Bajamonti, geleitet. Folglich sprach sich Split, wie
Zadar, gegen eine Vereinigung mit Kroatien aus, und appellierte im Dezember 1860 an
andere, dasselbe zu tun, worauf viele Gemeinden wie Omiš, Vis, Sinj, Teile Hvars, Trogir
oder Korčula folgten. Dubrovnik, Kotor, andere Teile Hvars und weitere kleinere Gemeinden
wollten sich Bajamonti nicht anschließen. Hier konnten bereits erste nationalistische
Tendenzen wahrgenommen werden, von kleinen, sich dem Kroatischen zugehörig fühlenden
Intelligenzschichten. In den folgenden Wochen hielt die Anschluss-Debatte zwischen den
zwei Gemeindefraktionen an und läutete einen langen öffentlichen Kampf zwischen
Annexionisten und Autonomisten ein.117
„Varoški i građanski puče! (...) Dalmatinci bijasmo, jesmo i bićemo: Dalmatinci i braća,
ljubićemo kogagodir krasna ova zemlja goji, bude li taljanski, oli slavjanski oli inaćije
115 vgl. GOLDSTEIN, Hrvatska povijest,263f, MACAN, Hrvatska povijest, 161, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 120f 116 vgl. MACAN, Hrvatska povijest, 161, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 122-125 117 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 34f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 124ff, Jaroslav ŠIDAK, Mirjana GROSS, Igor KARAMAN, Dragovan ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda g. 1860-1914 (Zagreb 1968) 53
53
govoriti. Tko tako ne bude mislio, neka se odaleći od otačbine, jerbo je nedostojan
njezinog imena. (...)“118
Im obigen öffentlichen Schreiben wendet sich Bajamonti an die Bevölkerung. Sein Aufruf
richtet sich an alle Bewohner der Spliter Gemeinde, die Wir-Formulierung schließt die
Regierenden mit ein und betitelt die Gesamtheit als Dalmatiner, die „wir waren, sind und sein
werden“. Die Brüder Dalmatiens sind durch ihre „herrliche“ Region vereint, dabei soll es
keine Rolle spielen, welche Sprache die Einzelnen sprechen, sei es Italienisch, Slawisch oder
etwas Drittes. Anders Denkende sind ihres Erbes und Namens nicht würdig. Weiters heißt es:
„Građanski i varoški puče! Pruženom rukom na oltaru, gdi počiva pepel našeg
Odvetnika, Dujma Svetoga, mi se kunemo da ćemo obraniti vaša prava i vašu korist
protiva svakoga koji bi smio na vas nasertati. ... Tko u deset godinah mogaše strošiti
400.000 fiorinah za utažiti pučke potribe i jade, neće, Bogami, izdati časnu svoju naruku.
(...) I da bi tko hotijo vas navesti u nesklad, pitajte ga: A što si ti učinio za puka, da puk u
tebi imade ufanje. Mi smo dosad dilovali (…). Neka smart nas izkrači, ako je privara u
našim ričima… Živila naša sveta vira; živio Slavni Car; živila naša otačbina
Dalmacia!”119
Hier wird das Bestehende gepriesen. Es wird betont, dass die Gemeinde sich bisher, in den
letzten zehn Jahren umfassend um ihre Bürger gekümmert habe und weiterhin werde. „Wir
schwören, dass wir eure Rechte verteidigen werden und eure Vorteile gegenüber jedem, der es
wagen würde, euch entgegenzutreten.“ Der Bevölkerung soll suggeriert werden, dass sie
bisher gut versorgt wurde, und eine Veränderung gleichzeitig eine Bedrohung darstelle. Dabei
wird auf die allgemeinen Werte und ihre Symbolik zurückgegriffen. Begriffe wie der Heilige
Doimus, der Schutzpatron Splits, seine Asche am Altar, „unser heiliger Glaube“, der Kaiser
sowie das Vaterland Dalmatien heben das Gemeinsame, Vereinende und Immerwährende
hervor.
Wie bereits festgestellt, bemühte man sich auf der kroatischen Seite, Dalmatien für sich zu
gewinnen. Seitens der österreichischen Regierung wollte man Kroatien territorial nicht
erweitern, solange dieses noch Teil Ungarns war. Eine Ausdehnung des ungarischen
Einflusses sollte auf jeden Fall verhindert werden, zudem war der Aufschwung der
Nationalidee eine potenzielle Gefahr für die Monarchie. Deshalb versuchte die Regierung das
politische Geschehen durch entsprechende Rahmenbedingungen zu beeinflussen. Nach dem
neuen Wahlrecht stellten die städtischen Kurien 21 Abgeordnete, die ländlichen 20, wodurch
eine autonomistische Mehrheit gesichert war. Im Februar 1861 wurde der prokroatischen 118 Kundgebung der Gemeinde Split, 1861, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 129 119 ebd.
54
dalmatinischen Delegation zwar Verständnis kundgetan, allerdings erklärte Wien auch, dass
in dieser Angelegenheit ohne Beteiligung des geschlossenen dalmatinischen Landtags nicht
verhandelt werden könne. Man wusste, dass Dalmatien diesbezüglich zweigeteilt war, mit
antikroatischen Hauptvertretern Zadar und Split und den mehrheitlich prokroatischen
Gemeinden Dubrovnik und Boka Kotorska. Bei der Versammlung im Jänner 1861 sprach sich
das heute montenegrinische Kotor einstimmig für eine Inkorporation mit Kroatien aus, und
befürwortete die Entsendung einer Delegation nach Zagreb, um dort intensiv an dieser Frage
zu arbeiten, zudem sprach es sich gegen Zadars antikroatische Haltung aus. In Mittel- und
Norddalmatien waren prokroatische, nationalistische Tendenzen eher im ländlichen Bereich
zu finden, wo sich immer noch vor allem Geistliche darum bemühten, dem einfachen Volk
seine nationale „Zugehörigkeit“ bewusst zu machen. Diese wandten sich ebenfalls zu Beginn
des Jahres 1861 an die Regierung in Wien:120
„Budući da u Dalmaciji (...) narod hrvatski za sada ne može drugim putem izjaviti svoje
želje i težnje, ovim očitovanjem dolipodpisani očitujemo svečano: da puk hrvatski u
Dalmaciji pri svijesti narodnosti svoje želi što prije sjedinjenje s braćom u Hrvatskoj i
Slavoniji.“121
Für die Verfasser dieser Zeilen sind die Dalmatiner ein „kroatisches Volk“, welches sich
„seiner Nationalität bewusst“ ist, und „schnellstmöglich eine Vereinigung mit den Brüdern in
Kroatien und Slawonien wünscht“. Dieses Ansuchen wurde von Vertretern zahlreicher
Ortschaften im Hinterland von Zadar, Šibenik und Split unterzeichnet, wie Skradin, Kistanje,
Miljevci, Drniš, Klis, Rupe, Mirlovići, aber auch von vereinzelten Intellektuellen aus
Makarska, Split und Brač. Darunter waren katholische und orthodoxe Geistliche,
Bürgermeister, Ärzte, Lehrer, Juristen. Die Volkszugehörigkeit der in den jeweiligen
Gemeinden lebenden „Seelen“ wurde einige Male deklariert, und zwar als „Slavjani“, „pravi
Slavjani“ oder „čisti Slavjani“, orthodoxe Popen verwendeten zudem die Bezeichnungen
„pravi Slavesinovi“, „hrabri Slave majke sinovi“ und „slavenski sinovi“. Obwohl die
Intention dieser Schrift die Bekennung zum kroatischen Volkstum ist, werden die Dalmatiner
von den Geistlichen – egal ob katholisch oder orthodox – einigend als Slawen betitelt. Die
katholischen Geistlichen, die sich hier politisch engagierten, waren nach wie vor
hauptsächlich Franziskaner, gleichermaßen waren die Orthodoxen Dalmatiens für eine
Vereinigung mit Kroatien. Diese politische Entwicklung kann als Beginn eines
gesamtdalmatinischen nationalen Erwachens bezeichnet werden. Hatte die nichtslawische
120 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 129-132, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda, 53 121 Schreiben dalmatinischer Geistlicher an die Regierung, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 130
55
Intelligenz die Macht, eine Kroatisierung Dalmatiens in den Städten abzubremsen, so war es
der Geistlichkeit möglich, das einfache Volk nach und nach national zu „mobilisieren“.122
Die Autonomisten versuchten nun ebenfalls, auf das Hinterland einzuwirken. Sie bemühten
sich, die Dorfgemeinden über ihre Vorsteher für sich zu gewinnen, wobei diesen, bei einer
organisierten Sitzung, beispielsweise, die Nachteile eines Anschlusses aufgezeigt wurden: in
Dalmatien würde die kaiserliche Obrigkeit schwinden, an die Macht kämen die Bane, das
Militär und die Aristokratie, worunter vor allem das Bauerntum zu leiden hätte. Auch vor
Anklagen und Verhaftungen schreckten die Anschlussgegner mit Unterstützung der
Regierung nicht zurück. Annexionsbefürwortern wurde Hochverrat, Panslawismus und Hetze
vorgeworfen, so kamen auch Geistliche vorübergehend in Untersuchungshaft.123
Die vorherrschende Kontroverse sollte der dalmatinische Landtag endgültig klären. Die
entscheidende Versammlung im April 1861 wurde mithilfe des Ministerpräsidenten Anton
Schmerling, der seiner zentralistischen Führung entsprechend Bajamontis Intentionen bis
1865 unterstützte, so zusammengestellt, dass eine antikroatische Mehrheit gesichert war. Der
orthodoxe Erzbischof von Zadar war Anhänger der Annexionisten, der katholische
unterstützte die Autonomisten. Am 18. des Monats entschied man sich mehrheitlich gegen die
Entsendung von Abgeordneten, welche in Zagreb eine Vereinigung Dalmatiens mit Kroatien
ausarbeiten würde. Folgende Protestversuche seitens der Annexionisten wurden im Mai in
Wien wiederum durch Schmerling und Bajamonti, gedämpft. Grundsätzlich ging man mit
dieser Problematik mit einer gewissen Hinhaltungstaktik um. Einerseits gab man sich seitens
der Regierung in gewisser Weise verständnisvoll und durchaus bereit, Angesuchtes zu
überdenken, andererseits unterstützte man mehr oder weniger verdeckt die autonomistische
Opposition.124
Nichts desto trotz ließen es sich dalmatinische Delegaten nicht nehmen, nach Wien auch in
Zagreb für ihr Ziel einzustehen. Allerdings wurden sie hier mit Freude aufgenommen, im
kroatischen Landtag fanden sie Gehör. Am 22. Mai 1861 begrüßte der Protagonist der
dalmatinischen nationalen Wiedergeburt, Mihovil Pavlinović, seine „Brüder nach einer
Trennung von mehreren Jahrhunderten“. Hier konnte er die Missstände im dalmatinischen
Landtag demonstrieren, wo die 15.000 Italiener der städtischen Bevölkerung mehr
Abgeordnete stellen durften als die 410.000 „Kroaten“. Der von einer bäuerlichen Familie aus
122 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 27-31, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 131f 123 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 133, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda, 55f 124 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 39f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 132-134, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda, 58, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 58f
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der Nähe Makarskas abstammende Pavlinović (1831-1887) wird folgend, neben Miho Klaić
(1829-1896) aus Dubrovnik, führendes Mitglied der dalmatinischen Volkspartei, geleitet von
einer katholisch-konservativen kroatischen Nationalideologie, der er bereits bei einer
Versammlung 1861 durch den Gebrauch des als Amtssprache nicht genehmigten Kroatischen
Ausdruck verleiht.125
In den damaligen Medien wie „La voce Dalmatica“ konnte die Kontroverse verfolgt werden.
Öffentliche Reden, des Spliter Bürgermeisters zum Beispiel, wurden gedruckt, und gaben
Gegnern die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Bajamonti vertrat die Theorie, Kroatien würde
Dalmatien „schlucken“ und somit die Dalmatiner in der neuen Formation „verschwinden“
lassen. Neben Pavlinović entgegnete ihm ein anonymer Verfasser, A. K. M, in einer
Broschüre. Man geht davon aus, dass es sich dabei um den Franziskaner Ante Konstantin
Matas handelte, den Direktor des 1852 gegründeten Gymnasiums in Sinj. In der Broschüre
heißt es:126
„Takvog sjedinjenja niti mi želimo niti nam ga Hrvati nude, već naše sjedinjenje je
takovo da nam ostane naša autonomija. Mi se ponosimo (…) da smo narod Hervatski
imenom, jezikom, kervi i običajem, da nas ima prišli 400.000, da vam nismo robovi već
sugrađani, da s vami imamo jednake deržavne terete, s toga zahtivamo i jednaka
prava.“127
„Weder wünschen wir solch eine Vereinigung, noch bieten uns die Kroaten sie an“, schreibt
der Verfasser, womit er sich auf die Art Inkorporation bezieht, wie Bajamonti sie darstellt. Zu
Beginn dieser Aussage gibt es einen Wir-sie-Gegensatz, „die Kroaten bieten uns“ etwas an,
aber bereits im zweiten Satz deklariert sich der Schreiber selbst als kroatischer
Volksangehöriger, „wir sind stolz, dass wir ein kroatisches Volk sind, nach dem Namen, der
Sprache, dem Blut und der Tradition ...“. Er betont, dass „wir uns“ nicht unterordnen, sondern
auf „unsere“ Autonomie und Gleichberechtigung bestehen werden. Das „Wir“ ist für den
Verfasser nicht dalmatinisch, Dalmatien ist lediglich eine Region, die nationale Zugehörigkeit
wird eindeutig als kroatisch deklariert:
„Dalmatinaca (...) kao naroda nejma. Sudeć po kervi i jeziku mi nemamo u Dalmaciji
nego jedan jedini narod – Hervatski, koji govori hervatski, a po uplivu okolovšćine umi
govoriti talijanski. (…) upitaj one Tvoje varošane, Solinjane, Kaštelane, Poljičane,
Cetinjane, Zagorane u jednu rič, jednog po jednog raspitaj sve težake, koji škula
125 vgl. GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 268f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 134f, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 56 126 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 35, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 136f, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda, 53 127 A. K. M., Šilo za ognjilo, aus: NOVAK, 2004, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 137
57
talianskih ne pohadjaše, kojim jezikom govore? Odgovorit će Ti: Hervatskim. Kako dakle
možeš reći ‚Dalmacija nije bila hervatska, Dalmatinac neće biti nikada Hervat’?
Dalmatinci ne govore nikim jezikom Slovinskim, već izvisno i istinito govore jezikom
Hervatskim i živu po Hervatskom običaju. (…) Hervatstvo se u Dalmaciji probudilo i jur
zagazilo stazom svog vlastitog razvitka. …”128
„Dalmatiner als Volk gibt es nicht”, „... wir haben in Dalmatien ein einziges Volk – das
kroatische“, was das nationale Selbstverständnis betrifft, so ist dies die Kernaussage des
Verfassers. Er bezieht sich aufs „kroatische Blut“, die kroatische Tradition und Sprache. Nur
durch äußere Umstände beherrscht ein Teil der Bevölkerung das Italienische. Wenn man die
einfache Bevölkerung nach seiner Sprache fragt – dabei zählt der Verfasser einige Ortschaften
im Hinterland Splits auf – jeder wird antworten, er spreche kroatisch, und nicht „irgendein
Slawisch“. „Wie kannst du also sagen, Dalmatien war nicht kroatisch, der Dalmatiner wird
niemals Kroate sein’?“, empört sich der Autor. Abschließend hält er fest, dass das
„Kroatentum in Dalmatien erwacht“ sei. Er distanziert sich vom bisher tradierten, einenden
Slawischen und hebt das Kroatische als eigenständige Identität hervor.
Matas gehörte zum Kreis Mihovil Pavlinovićs, und war ebenso wie dieser für die
dalmatinische nationale Wiedergeburt von Bedeutung. Er sprach dem Italienischen seine
erstrangige Bedeutung ab, wehrte sich energisch gegen die Autonomisten und anerkannte das
kroatische Anrecht auf Dalmatien. Ähnliches kann man in der im Jänner 1861 erschienenen
Schrift „Considerazioni sull’ annessione del regno di Dalmazia a quelli di Croazia e
Slavonia“ lesen. Auch hier wird das Kroatentum als einzige Nationalität in Dalmatien
hervorgehoben, weshalb es, abgesehen von den wirtschaftlichen Vorteilen und der
gemeinsamen Geschichte, „dem nationalen Recht” entspreche, sich zu vereinen. Während die
Annexionsgegner vor allem die Angst vor der Militarisierung und dem Autonomieverlust
schürten, wurde ihnen seitens der Opposition die Besorgnis um die Handelsbeziehungen mit
Italien und den persönlichen Status vorgeworfen.129
Der in den 1840ern politisch aktive Dalmatiner Nikola Tommaseo meldete sich wieder zu
Wort. Tommaseo hatte eine eigene Haltung zu Kroatien, denn trotz seiner Liebe zum
Slawischen, war er von den Kroaten politisch enttäuscht. Als Gegner des österreichischen
Kaisertums und ehemaliger Anhänger Venedigs, war er mit dem Einsatz der Kroaten im
Kampf gegen die Ungarn und im Krieg in Italien nicht einverstanden, und propagierte
energisch die dalmatinische Autonomie, wie in seiner Publikation „Ai Dalmati“ – „den
128 ebd. 129 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 31, 44, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 137f, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 57
58
Dalmatinern“. Seine panslawistische Tendenz war zwar noch vorhanden, allerdings auch die
Bewunderung der italienischen Bildung und Kultur, sowie ein reges Interesse an der
politischen Entwicklung Italiens. Wie einst ihm selbst, so sollte es der slawischen
Bevölkerung weiterhin möglich sein, eine italienische Ausbildung zu absolvieren. Das
einfache, ländliche Volk dürfe slawisch sein, die städtische Elite solle aber italienisch bleiben.
Er hielt den Übergang zur, von ihm nach wie vor „slawisch“ bezeichneten, Volkssprache als
Amtssprache für unumgänglich aber zu jenem Zeitpunkt noch für überstürzt. In seinen
späteren Schriften sticht Tommaseos Antipathie für das Kroatische und Volkssprachliche
immer deutlicher hervor. In der Publikation „La questione dalmatica riguardata nei suoi
nuovi aspetti“, mit der zeitgleich erschienen volkssprachlichen Ausgabe „Parnica
dalmatinska razviđena s njezinih novih pogledih“, nimmt er sich heraus, den Kroaten ein
mangelndes Slawentum vorzuwerfen. Sollte es ihnen gelingen, „ernsthaft Slawen zu werden“,
so würde er eine Union befürworten.130
Neben Tommaseos weiteren Broschüren „Via facti, la Croazia e la fraternita di nuovo ai
Dalmati“, „La parte pratica della questione – Ai Dalmati – terzo scritto” und „Dello statuto
ungherese e croato – se possa alla Dalmazia applicarsi” erschienen Schriften anderer
Autoren, die zum Teil auf einander Bezug nahmen: in Split „I partiti in Dalmazia” vom
gemäßigten Annexionisten Ignacije (Ignat) Bakotić, „Poslanica Dalmatincima” von Ante
Kuzmanić, der radikale Autonomist Duplančić schrieb „Della civiltà italiana e slava in
Dalmazia”, „L’autonomia della Dalmazia – considerazioni” und „Risposta all’opuscolo del
Sign. Vincenzo Duplancich” von den Annexionisten Ivan Danilo und Šime Ljubić, sowie „Un
voto per l’unione” vom Rechtswissenschaftler und Anhänger der Volkspartei Kosta
Vojnović. Solche Schriften machten es möglich, vorherrschende Kontroversen öffentlich zu
diskutieren.131
Dalmatien ist intellektuell gespalten, die nationale Frage wird bereits auch außerhalb der
Städte thematisiert, die Frage der Sprache offen ausgefochten. Die oben genannten Schriften
machen das deutlich. Die Croatophilen bemühten sich, die italienisch geprägte Intelligenz auf
ihre Seite zu ziehen, und verfassten deshalb ihre Schriften großteils nach wie vor auf
italienisch. Obwohl sie selbst slawischer Abstammung waren, beherrschten viele der
Gebildeten ihre Muttersprache nicht mehr, nun galt es, auch bei dieser Schicht, den nationalen
Geist zu wecken. Abgesehen von dem Ziel, in allen Bereichen endgültig auf die eigene
130 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 44f, CLEWING, Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung, 362, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 138ff 131 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 45, 47, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 139, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda, 53f ,TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 57
59
Sprache umzusteigen, war es für die nur volkssprachlich versierte, nun langsam wachsende
Intelligenz notwendig, auch auf Kroatisch zu publizieren. Daraus ergab sich, dass vermehrt
zweisprachig gedruckt wurde. Das 1862 ins Leben gerufene Blatt „Il Nazionale“, zum
Beispiel, hatte ein volkssprachliches Beiblatt unter Danilos Leitung, „Prilog k Narodnomu
Listu“, oder einfach „Narodni list“. Ebenso wie „La Voce Dalmatica“ diente „Il Nazionale“
als Diskussionspodium, so kam es mitunter zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen
Autoren der beiden Blätter. Hervorstechend ist die Polemik zwischen Tommaseo und dem
von der Insel Mljet stammenden Politiker Nadko Nodilo, einem Freund Pavlinovićs.
Tommaseo bemühte sich in „La Voce“ um eine autonome dalmatinische Identität, worauf
Nodilo (1834-1912), der 1867 als Redakteur beim „Nazionale“ arbeitete und später Professor
für allgemeine Geschichte an der Universität Zagreb war, im „Nazionale“ antwortete:132
„Zašto nas slavni Tommaseo hoće da dijeli više nego nas je Gospod Bog podijelio?”133
Beide Seiten hatten in intellektuellen Kreisen zahlreiche Vertreter, und man diskutierte
leidenschaftlich. Auch außerhalb Dalmatiens fand „Il Nazionale“ Anklang, so in Zagreb,
Rijeka aber auch in Belgrad, Wien und Padua. Versuchten die Autonomisten nationalistische
Schriften verbieten zu lassen und aus der Öffentlichkeit zu verbannen, so richteten sich
Vertreter der Volkspartei eigene öffentliche Leseräume ein, „Slavjanske Čitaonice“, erstmals
1862 in Boka Kotorska. Mit den fortschreitenden 1860er Jahren entstanden immer mehr
solche intellektuellen Zentren in allen größeren Städten Dalmatiens, wo die nationalistische
Ideologie Fuß fassen und weitere Anhänger für sich gewinnen konnte. Man verfolgte das
politische Geschehen in Kroatien, Slawonien und der Herzegowina, aber auch der gesamten
slawischen Welt, man besinnte sich der gemeinsamen Vergangenheit mit „den Brüdern
jenseits des Velebit-Gebirges“ und schmiedete Pläne für die Zukunft. Der „Nazionale“ wurde
bald zur nationalistischen Stimme Dalmatiens, wofür der Herausgeber eine Verurteilung
wegen Volkshetze und Bußgeldforderungen erdulden musste.134
Im Jänner 1863 versammelte sich der dalmatinische Landtag zum zweiten Mal, wobei die
Wahlrichtlinien für die dalmatinischen Gemeinden festgelegt wurden, zwei Jahre später
folgten erstmals Wahlen auf der Gemeindeebene. Die Frage des Anschlusses war bereits vor
dem Landtag eingedämmt worden, aber die Sprachenfrage konnte diesmal keineswegs
132 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 140f, Jakša RAVLIĆ, Natko Nodilo, in: Rafo BOGIŠIĆ (Hg.), Franjo Rački. Mihovil Pavlinović. Natko Nodilo. Blaž Lorković. Izbori iz djela (= Pet stoljeća hrvatske književnosti 33, Zagreb 1969) 211-305, hier 213ff, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda, 53-61, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 57 133 Nadko NODILO, in: Il Nazionale, Nr. 22, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 141 134 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 191, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 141f, 144, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda, 56
60
ignoriert werden. Prokroatische Vertreter verlangten Zweisprachigkeit in allen
Rechtsangelegenheiten. Weiters bestand man auf eine Gleichberechtigung des Kroatischen
mit dem Italienischen in allen schulischen und administrativen Institutionen. Um diesem
Ansuchen Kraft zu verleihen, wechselten zwei Vertreter, Pavlinović und Kulišić, während der
Versammlung von Italienisch auf Kroatisch.135
Die zweite dalmatinische Versammlung brachte eine dritte Fraktion zu Tage. Bei den
Autonomisten gab es eine Gruppe von Kaiser- und Österreichtreuen, deren Intention es war,
vom Regierungsapparat zu profitierten, wie Luigi Lapenna, der im Sinne der zentralistischen
Politik Schmerlings handelte. Bald geriet diese Sparte unter Beschuss, vor allem als seitens
der Regierung offensichtlich manipulativ in die Besetzung administrativer Posten eingegriffen
wurde. Die liberale autonomistische Fraktion unter Bajamonti arbeitete folglich mit der
annexionistischen Fraktion zusammen, um Lapennas Vorgehen zu unterbinden. Aus dieser
Entwicklung resultierte 1864 Bajamontis „Unione liberale“. Diese neue, zweigeteilte Partei
machte es sich zum Ziel, Freiheit und Fortschritt für die gesamte dalmatinische Bevölkerung,
sowie das Fortbestehen des Blattes „Il Nationale“ zu sichern. Sollte es zu einer
Anschlussmöglichkeit an Kroatien kommen, so war man sich einig, dass jede Fraktion der
Partei frei wählen könne und man sich der Mehrheit anschließen würde. Die Einigkeit gegen
das übermäßige Eingreifen der Regierung in dalmatinische Belange führte dazu, dass liberal
Gesinnte angeklagt wurden oder ihre Posten verloren, im April 1864 erreichte die
österreichtreue dalmatinische Regierung eine Auflösung des dalmatinischen Landtags. Im
Zuge der Neuwahlen, bei denen es nun lediglich die Fraktionen Pro- und Kontra-Regierung
gab, wurde die Volkspartei zum Staatsfeind gemacht. Die Lage spitzte sich zu, als man deren
Anhänger öffentlich bedrohte, und Zusammenkünfte untersagte. An die dalmatinische Spitze
kam Lapenna, worauf weitere Versetzungen, Entlassungen, Verhaftungen, mitunter auch
Gefängnisstrafen folgten. Ende 1865 wurden die Gefangenen wieder entlassen, als es General
Franz Freiherr Philippovich von Philippsberg (Franjo Filipović) möglich wurde, die harte
Regierungsweise von den schließlich abgesetzten Lapenna und Statthalter Lazarus von
Mamula durch eine neue Taktik abzumildern.136
135 vgl. NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 143, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda, 58 136 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 31, 79-88, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 143-146, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda , 58, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 60
61
6.2 Kroatentum und Feindbilder
Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen Österreichs gegen Bismarcks Preußen und
das verbündete, neue Königreich Italien kam auch Dalmatien in Bedrängnis. Man konnte sich
zwar nicht vorstellen, dass Italien in der Lage sei, Dalmatien zu erobern, allerdings hielt man
es in mehreren Gemeinden – trotz der Unstimmigkeiten im Vorfeld – für notwendig, dem
Kaiser Loyalität auszusprechen. Bei der Insel Vis kämpften Dalmatiner als Teil des
österreichischen Heeres gegen die italienische Flotte, so wurde der Sieg schließlich in ganz
Dalmatien gefeiert. Diese aktuelle politische Entwicklung verstärkte die bereits bestehende
Distanz zu den dalmatinischen Italienern. Der alte ideologische Kampf gegen Italien wurde
nun auch physisch ausgefochten. Obwohl Dalmatien als Teil der Monarchie gekämpft hatte,
wurde das siegreiche Kroatentum hervorgehoben, und mit historischen Ereignissen aus der
kroatischen Geschichte verglichen. Diesen vorherrschenden Tenor drückte man in Form von
Heldenerzählungen und Liedern aus, oder poetisch, wie der passionierte Nationalist Stjepan
Buzolić mit seinen romantisierenden, nationalistisch gefärbten Versen:137
„Talijanci, je l’ vam do inata?
More vam je i polje široko.
Al’ u zemlju i prava Hrvata
Ne dirajte ko u svoje oko;
Jer tako nam i vjere i Boga,
Hrvatim je, ko svakom, do svoga.
Hrvat voli izgubiti glavu,
Nego ime i poštenje svoje;
Za svoj narod, za dom i za slavu
Pregorjet će sve, pod nebom što je.
To Vis kaže, to i Bog zahtjeva,
To mu vila od postanka pjeva.”138
Der Autor versteht die kroatische Nationalität der Dalmatiner als von Natur aus gegeben. Ein
„echter Kroate“ hält „an seinem Eigenen“ fest, es wird vollkommen selbstverständlich davon
ausgegangen, dass es sich hierbei um kroatisches Land handle. Dalmatien wird nicht erwähnt,
es besteht lediglich der Gegensatz Kroate – Italiener. Gott und Glaube verstärken die
137 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 199, CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 31, KANN, Geschichte des Habsburgerreiches, 251ff, NOVAK, 2004, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 147 138 Stjepan BUZOLIĆ, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 148
62
Intensität der Drohung an die habgierigen Feinde. „Ein Kroate verliert lieber das Leben, als
seinen Namen und seine Ehrbarkeit; für sein Volk, sein Heim und die Ehre ...“ wird er sich
allem entgegensetzen. „Das sagt Vis, das verlangt Gott.“ Vis steht nun symbolisch für den
Mut und den Einsatz der Kroaten für das Eigene, mit Gott an ihrer Seite ist die Richtigkeit des
Gesagten unbestreitbar.
Nach dem Sieg bei Vis ließ man dem Kaiser zahlreiche Glückwünsche aus Dalmatien
zukommen. Aufschlussreich ist eine Passage aus dem Schreiben des Landtags, verfasst Ende
November 1866:
„Vidjev (...) da je uslijed krvi koju su oni junaci prolili u viškim vodama, obranjen rodni
naš kraj od tuđinske navale, Sabor Dalmatinski zahvaljuje našoj mornarici i njezinom
vođi Guljelmu Tegetthoffu na sjajnoj pobjedi pri posljednjem boju hrvatske zemlje.
Izrazuje dužnu počast vrijednim mornarima, koji su svojom krvi zapečatili vjernost kralju
i ljubav narodu. ...“139
Der Landtag drückt eine durchaus regierungstreue Haltung aus, „unsere Heimat“ wurde von
den „Helden“ bei Vis verteidigt. Weder wird diese Heimat näher definiert, noch diejenigen,
die sie vor dem „feindlichen Ansturm“ verteidigten. Die ebenso wenig näher definierten,
blutvergießenden Matrosen werden geehrt, da sie mit ihrem Einsatz ihre Loyalität dem Kaiser
gegenüber, und ihre Liebe für das Volk unter Beweis stellten. Der Landtag bedankt sich bei
„unserer Marine“ und deren Anführer. Er drückt damit seine Zugehörigkeit zum
monarchischen Ganzen aus, lässt es sich aber dennoch nicht nehmen, zugleich eine politische
Aussage unterzubringen. „Der dalmatinische Landtag dankt (...) Tegetthoff für den
glänzenden Sieg in der letzten Schlacht des kroatischen Landes“, damit deklarierten die
Verfasser wiederholt ihre nationale Ideologie und ihr primäres Zugehörigkeitsgefühl aus.
Die maßgeblichen Folgen des Krieges waren die Auflösung des Deutschen Bundes, und der
Ausgleich mit Ungarn 1867, wodurch das Reich zur Doppelmonarchie Österreich-Ungarn
wurde. De facto war Österreich keine Großmacht mehr. Nachdem Venedig verloren ging,
zogen sich viele Italiener aus Dalmatien zurück, die Regierung stand nun vor dem Problem,
über weniger adäquate Beamte für diese Region zu verfügen. Die gewonnene Schlacht bei Vis
löste eine Welle des kroatischen Nationalismus aus, der Italiener wurde jetzt zum nationalen
Feindbild. Auch Intellektuelle, die das Italienische als Kulturgut und Bildungstradition
schätzten, waren von dem eindeutig politisch motivierten, kriegerischen Angriff seitens des
Mentors enttäuscht. Das weiterhin vorherrschende Sprachproblem spitzte sich aufs Neue zu,
139 Schreiben des dalmatinischen Landags an die Regierung, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 148
63
denn nun war das bis dahin ungeliebte Italienisch verhasst und feindlich. Im „Nazionale“
vom 4. August 1866 konnte man lesen:140
„Za našim snažnim oklopnjačama (...) treba da stoji narod, zadovoljan u svojim
zakonitim pravima, da ne bude stranac u svojoj kući, da se u školama i sudu može
potpuno služiti svojim jezikom, da ne mora zavidjeti povlaštenom položaju u kojem se
nalazi jezik onoga naroda koga udaljiše od nas naši vrijedni mornari svojom krvlju i
svojom srčanošću. ...“141
„Hinter unseren gewaltigen Panzerschiffen soll ein Volk stehen, zufrieden mit seinen
gesetzlichen Rechten, das nicht fremd im eigenen Haus ist, das sich in Schulen und vor
Gericht zur Gänze seiner eigenen Sprache bedienen kann, das nicht neidisch sein muss wegen
der privilegierten Stellung in der sich die Sprache jenes Volkes befindet, das unsere fleißigen
Matrosen mit ihrem Blut und ihrem Wagemut von uns fernhielten ...“ Die Botschaft ist
eindeutig, mehr Autonomie und der uneingeschränkte Übergang zur eigenen Sprache – somit
das Ende einer sprachlichen Fremdherrschaft. Die Formulierung „unsere Matrosen“
vernachlässigt die Tatsache, dass die Flotte beim Kampf bei Vis nur zum Bruchteil
dalmatinisch war. Das Blut jener tapferen Männer hat die Fremden abgehalten, und dies soll
nun gewürdigt werden, indem man sich von allem Fremden befreit.
Ende 1866, im November, kam es bei der Landtagsversammlung zu Auseinandersetzungen,
worauf die „Liberale Union“ aufgelöst wurde. Eine neue autonomiebefürwortende Partei
wurde bereits wieder im Jänner 1867 ins Leben gerufen, im gleichen Monat allerdings entließ
man – unter anderen – auch den dalmatinischen Landtag, worauf Neuwahlen folgten. Die
Volkspartei sah sich in der gleichen Lage wie zuvor. Die inzwischen wieder geeinte
autonomistische Fraktion wurde nach wie vor von Regierung und Bürokratie unterstützt. Die
Wahlen fielen entsprechend aus, 26 zu 15. Die 15 Nationalisten lehnten es folgend ab, am
Reichsrat teilzunehmen, da sie nicht gewillt waren, über die ungarische Frage zu debattieren,
solange die dalmatinische Zugehörigkeit nicht geklärt war. Nach dem offiziellen Ausruf einer
dualistischen Monarchie fühlten sich die Autonomisten bestätigt, denn jetzt sah man kaum
noch eine Möglichkeit, Dalmatien Kroatien anzuschließen. Die nationalistische, prokroatische
Fraktion wurde beschuldigt, panslawistisch und staatsfeindlich, mitunter sogar russophil zu
sein. Auch deren Medium „Il Nazionale“ stand wiederum unter staatlichem Beschuss und
140 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 200, KANN, Geschichte des Habsburgerreiches, 255, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 148f, Adam WANDRUSZKA, Österreich-Ungarn vom ungarischen Ausgleich bis zum Ende der Monarchie (1867-1918), in: Theodor SCHIEDER (Hg.), Europa im Zeitalter der Nationalstaaten und europäische Weltpolitik bis zum Ersten Weltkrieg (= Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 6, Stuttgart 1973) 353-399, hier 355f 141 Artikel aus Il Nazionale, 4. August 1866, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 149
64
wurde des Hochverrats beschuldigt. Es folgten Verhaftungen und Gefängnisstrafen von
redaktionellen Mitarbeitern und Autoren des Blattes, wie Ivan Danilo.142
In Kroatien hatte man mit der neuen politischen Situation ebenso zu kämpfen. Die Folgen des
Dualismus sollten bei der Versammlung in Zagreb geklärt werden. Im Zuge dessen bekamen
die Kroaten eine offizielle Stellungnahme seitens der dalmatinischen Nationalisten, welche
am 11. Mai 1867 verlesen wurde:
„Braćo! Jurve stopljeni dušom i gojeći jednake zakonite požude, mi pohlepno iščekivamo
onaj čas, kad sjedinjenje Dalmacije, Dubrovnika i Kotora s Hrvatskom i Slavonijom bude
činom dovršeno. To sjedinjenje mi držimo da je od glavne potrebe za spasenje narodnosti
naše i dostignuće prave samostalnosti, čiju smo vidjeli samo prevarnu sjenu u ovo šest
godina kušanja od nas pretrpljenih. To će se sjedinjenje dovršiti, kad Dalmacija mogla
bude slobodno iskazati svoje želje pod upravom takovog izbornog zakona, po kome bude
moguće istinito, a ne pretvorno zastupstvo našega puka. Braćo! Hrabrenošću, vjerom i
postojanošću, pobijedit ćemo... Vaše bolesti i naše su bolesti, Vaše pobjede i naše
pobjede… Živio naš ustavni kralj! Živila Trojedna kraljevina!”143
Abermals drücken die Dalmatiner ihr Zugehörigkeitsgefühl zum kroatischen Volk, zu ihren
„Brüdern“ aus, mit deren „Seelen“ sie „verschmolzen“ sind. Um die eigene nationale Identität
retten zu können, ist es laut dem Schreiben dringend nötig, das dreieinige Kronland Kroatien
offiziell zusammenzufassen, denn nur so kann die wahre Selbstständigkeit erlangt werden.
Nur durch ein neues Wahlgesetz wird Dalmatien seinem Wunsch nachgehen können, nur so
könne man sich der „falschen Vertreter unseres Volkes“ entledigen. Auch hier habe man die
gleichen Anliegen, durch „Mut, Ausdauer und Glaube werde man siegen“. „Eure Krankheiten
sind unsere Krankheiten, Eure Siege unsere Siege... Es lebe der verfassungsmäßige König! Es
lebe das dreieinige Kronland!“ Anhand der Formulierung des abschließenden Ausrufs kann
man annehmen, dass Kroatien für die Verfasser über allem steht, letztlich auch über dem
König. Die Dreieinigkeit ist absolut. Was bei den Kroaten für Beifall sorgte, wirkte sich beim
Regenten gegenteilig aus, und nach einem abermaligen Ansuchen auf „rechtmäßige“
Annexion des „kroatischen Territoriums“ wurde der kroatische Landtag aufgelassen. Im Jahr
darauf kam es zwischen Ungarn und Kroatien zum Ausgleich, welcher Kroatiens Autonomie
in inneren Angelegenheiten wie Kultus, Schulwesen und Justiz, aber auch den ungarischen
142 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 201f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 149ff, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda , 60 143 Izjava manjine dalmatinskog sabora, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 151
65
Einsatz für die Annexion Dalmatiens sichern sollte. Die Finanzen unterlagen Ungarn, ebenso
der kroatische Ban war dem ungarischen Ministerpräsidenten unterstellt.144
Die 1860er endeten abgesehen vom Aufstand in der Bucht von Kotor relativ ereignislos. Der
von den Autonomisten abgelehnte Statthalter Philippovich versuchte sich während seiner
Amtszeit für die Volkssprache einzusetzen, doch schließlich gab er, wie andere auch, auf.
Seinen Posten übernahm General von Wagner, auf diesen folgte im Dezember 1869 General
Gavrilo (Gabriel) Rodić und für die zivilen Belange Josef Fluck. Die Volkspartei machte es
sich zum Ziel, jede Stadt, jede einzelne Gemeinde „national aufzuklären“ und für sich zu
gewinnen. Als Gegner standen den Nationalisten wie Pavlinović oder Klaić, die Regierung,
der Großteil der Beamten und des vermögenden Bürgertums, sowie der Großteil des Landtags
gegenüber. Miho Klaić, der in Padua Architektur studiert hatte, wurde inzwischen zur
führenden Größe der Volkspartei, die durch die Ereignisse in Boka kotorska 1869
abermaligen Anschuldigungen ausgesetzt war. Den lokalen Protest in Krivošije löste eine
Wehrdienstanordnung aus, der Aufstand sorgt kurzzeitig für allgemeine politische Aufruhr,
denn Statthalter Wagner vermutet dahinter einen panslawistischen Übergriff, an dem
angeblich nicht nur die russophile, radikale Volkspartei beteiligt war, sondern auch
Montenegro unter Fürst Nikola. Schließlich konnte nichts davon bewiesen werden, und
General Rodić gelang es 1870, sich mit den Aufständischen zu einigen.145
7. Politische Neuordnung
1868 wurden 218 Grundschulen gezählt, in 126 davon unterrichtete man kroatisch, in den
anderen italienisch oder zweisprachig, und in einer deutsch. Von den rund 19.500 Kindern
gingen etwa 8.700 zur Schule. Obwohl die Nationalisten ausgebremst und mit
Regelmäßigkeit bei der Regierung als Panslawisten, Staatsfeinde und Hetzer denunziert
wurden, schien mit dem 16. Oktober 1869 ein bedeutender Schritt in ihrem Sinne
unternommen worden zu sein. Mit diesem Datum wurde die dalmatinische Volkssprache,
offiziell inzwischen kroatisch genannt, als Unterrichtssprache in den Gymnasien von
Dubrovnik und Kotor eingeführt. Was die Demographie betrifft, so zählte Dalmatien Mitte
der 1870er 457.000 Einwohner, wovon 21 Prozent in den Städten lebten. Anderen Angaben
144 vgl. MACAN, Hrvatska povijest, 173, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 152, STEINDORFF, Kroatien, 113f 145 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 118, 143-153, MACAN, Hrvatska povijest, 179f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 152, 155, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 57
66
zufolge (Gelo, der Boka Kotorska nicht berücksichtigte) gab es 1870 403.149, 1880 432.284
Dalmatiner. Lediglich weniger als ein Prozent gehörte nicht dem katholischen oder
orthodoxen Glauben an, die Katholiken stellten mit 82 Prozent die Mehrheit. Für die Jahre
1890, 1900 und 1910 gibt Diklić 527.426, 593.784 und 645.666 Einwohner mit einem rund
83-prozentigen römisch-katholischem Anteil an, wovon nur mehr rund drei Prozent die
italienische Bevölkerung ausmachte.146
Die Zahl der kroatischen Nationalisten stieg stetig, und in ganz Dalmatien konnte man
inzwischen die kroatische Fahne wehen sehen. Im Juli 1870 spiegelte sich diese Wende bei
den Landtagswahlen wieder, bei welchen die Volkspartei erstmals den Sieg davon trug. Mit
25 gegen 16 Stimmen stellten die Narodnjaci Stefan Mitrov Ljubiša aus Boka Kotorska als
Landtagsvorsitzenden auf, sowie weitere vier für den Reichsrat, Đorđe Vojnović, Ivan Danilo,
Petar Budmani und Josip Antonietti. Diese fünf Männer trennen sich 1873 von der
Volkspartei und gründen ihre gemäßigte Narodno-srednjačka stranka, aufgrund ihrer erstmals
am 23. April erschienenen Zeitschrift „Zemljak“ auch Zemljaci genannt. Durch die Wende
wurden die Landtagssitzungen folgend auch auf Kroatisch abgehalten und protokolliert. Die
ersten Sitzungen boykottierten die Autonomisten mittels Abwesenheit oder
Mandatsniederlegung. Im September 1870 richtete Dalmatien, abermals vergebens, ein
Annexionsappell an die Regierung. Im darauf folgendem Jahr, am 14. Oktober, bittet der
weiterhin unermüdliche Landtag um Erlaubnis, kroatische und slawonische Abgeordnete
einladen zu dürfen, um die gemeinsame Zukunft zu erörtern. Trotz der ungebrochenen
Haltung seitens der Regierung, konnte innerhalb Dalmatiens langsam etwas bewegt werden.
Nach und nach übernahm die Narodna stranka die Oberhand in den Gemeinden, und sorgte
somit für die allmähliche Etablierung des Kroatischen in administrativen Angelegenheiten.
Die Regierung warf der Partei Panslawismus vor, es kam mitunter auch zu Protesten, indem
Schreiben von Gemeinden oder Einzelpersonen nicht angenommen wurden, weil sie nicht in
der erwünschten Sprache verfasst worden waren. Es gab auch solche, die zwar slawischer
Abstammung waren, aber aufgrund ihrer politischen Überzeugung dennoch vorgaben, die
kroatischen Dokumente nicht zu verstehen. Dennoch, die kroatische Nationalideologie war
nun nicht mehr aufzuhalten, und gewann zunehmend die Oberhand in Politik, Kultur und
Öffentlichkeit.147
146 vgl. Marjan DIKLIĆ, Pravaštvo u Dalmaciji do kraja Prvoga svjetskog rata (Zadar 1998), 18, 22, GELO, Demografske promjene u Hrvatskoj, 88, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 156f, 174 147 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 169-179, 181-197, MACAN, Hrvatska povijest, 179f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 157ff, STEINDORFF, Kroatien, 127, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda , 105f
67
Weitere Zeitschriften werden ins Leben gerufen, so in Split 1884 „Narod“, mit Dinko Politeo
als Redakteur. 1891 kommt in Dubrovnik „Crvena Hrvatska“ unter Mitarbeit von Frane
Supilo heraus, als Sprachrohr für die 1894 gegründete, vom kroatischen Staatsrecht geleitete
Rechtspartei (Stranka prava). Ab 1894 wird ebenfalls in Split „Jedinstvo“, später „Naše
jedinstvo“, publiziert, „Lovor“ von Katalinić Jeretov erscheint ab 1897. Weitere Spliter
Blätter waren „Sloboda“, „Pučka sloboda“ oder „Pučki list“. Auch einige nennenswerte
literarische Zeitschriften brachte das ausgehende Jahrhundert hervor, in Dubrovnik 1878-1882
„Slovinac“ von Ivan August Kaznačić, der zunehmend mit dem national erwachten Serbien
sympathisiert, Mitte der 80er „Iskra“ in Zadar, von Nikola Šimić, einem Mitarbeiter der
Matica dalmatinska, oder „Novi vijek“ ab 1897.148
Bis zum Weltkrieg hielt die Nationalfraktion die Mehrheit. Neben der Narodna stranka
entstand die Splitterpartei Narodna hrvatska stranka, später nur Hrvatska stranka. Die
Autonomaška und Srpska stranka hatten bis 1918 sechs bis sieben, beziehungsweise, sechs bis
neun Mandate. Die Stranka prava existierte nur während der letzten drei Mandatsperioden
(1895, 1901, 1908) mit drei bis acht Mandaten, und die kurzlebige Splitterpartei Čista stranka
prava hatte drei Stimmen während der Mandatsperiode 1901-1908.149
7.1 Südslawentum und serbischer Nationalismus
1876 gab es die nächste Landtagswahl, diesmal konnte die Volkpartei mit sogar 30 zu elf
Stimmen gewinnen. Die schwindende Macht der Autonomisten in den 1870ern ließ deren
Abneigung gegen das Slawische steigen, und alles „Über-Slawische“ stand im Gegensatz zur
Monarchie. Neben dem Panslawismus und Südslawismus, erhob sich als selbstständige
Nationalideologie das Serbentum, alles regierungsfeindliche Tendenzen, mit welchen die
Gegner der Narodnjaci diese gerne in Verbindung brachten. Bereits um 1800 hatte die
serbische Nationalidentität ihre Geburt erlebt. Die serbische Bevölkerung hatte sich gegen die
türkische Vormacht erhoben, und war bereits seit dem 13. Jahrhundert unter den Nemanjiden
durch ihre autonome serbische Kirche „national“ zusammengeschweißt. 1830 wurde Serbien
unter Miloš Obrenović zum Fürstentum, 1878 souverän, und vier Jahre darauf zum
Königreich. Diese Entwicklung des serbischen Mutterlandes, sowie die sprachlich-kulturelle
148 vgl. MRDEŽA, Nacrt za stih u zadarskim časopisima druge polovice XIX. stoljeća, 416, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 174f, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda, 111 149 vgl. DIKLIĆ, Pravaštvo u Dalmaciji, 70
68
Arbeit von Dositej Obradović und Vuk Karadžić beeinflusste die Orthodoxe Bevölkerung
Dalmatiens, die sich zunehmend als serbisch deklarierte, und mitunter pan- oder
südslawistische Färbungen aufwies. In der in Split seit 1875 herausgegebenen Zeitschrift
„L’Avvenire“ konnte man 1876 lesen:150
„U posljednje smo vrijeme mogli konstatirati da je spomenuti Rodić (…) član srbske
Omladine, tajnog društva kojemu je svrha stvaranje jedne jugoslavenske države.“151
Hier wurde General Gavrilo Rodić von politischen Gegnern öffentlich beschuldigt, der
serbischen Organisation „Omladina“ anzugehören, „einer geheimen Gesellschaft, deren
Zweck es ist, einen südslawischen Staat zu erschaffen.“ Rodić war seit dem Aufstand in der
Bucht von Kotor verantwortlich für das Gebiet, in welchem zunehmend serbische,
montenegrinische, südslawische oder panslawistische Tendenzen vermutet wurden. Mit dem
national erstarkten Serbien und Montenegro im Norden strömten deren Annexionsbegehren
Richtung Kotor. Der Aufstand der Herzegowina gegen die Türken 1875 untermauerte die
Theorie des „slawischen Zusammenhalts“. Es gab tatsächlich dalmatinische Freiwillige, die
sich dem Aufstand anschlossen, und die Gemeinden Kotor und Dubrovnik unterstützten die
Aufständischen medizinisch und administrativ. Die in den slawischen Teilen der Monarchie
sowie in Russland und Serbien aufkeimende Idee eines großen panslawischen Reiches als
neue europäische Großmacht wurde seitens der Regierung gefürchtet. Der Panslawismus, und
ebenso der Jugoslawismus, die Vereinigung aller Südslawen zum neuen Staatsgebilde,
genährt durch die gemeinsame Feindschaft zu den Türken, aber auch zu Österreich, stellten
nun eine hervorragende Denuntionmöglichkeit gegen die dalmatinischen Annexionisten
dar.152
Der Krieg Serbiens und Montenegros gegen die Türken 1876 brachte eine neue ideologische
Strömung in Dalmatien zu Tage, das Nationalserbentum. Durch die Befreiung der Serben von
türkischer Vorherrschaft wuchs ihre nationale Identität, diese wirkte sich wiederum auf die
serbisch-stämmigen Dalmatiner aus. Bis in die 1870er bildeten die serbisch-orthodoxen
Bewohner Dalmatiens keine separate Einheit. Die dalmatinische Geistlichkeit setzte sich
immer geschlossen für politische Belange und die Sprachenfrage ein, auch für den Anschluss
an Kroatien wurde in der Narodna stranka gemeinsam gekämpft. Durch die neue politische
Entwicklung im „Mutterland“, aber auch durch die Ereignisse im benachbarten Bosnien und
der Herzegowina ergab sich zwischen der als kroatisch und der als serbisch deklarierten
150 vgl. HÄUSLER, Ban Jellačić reitet, 10ff, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer von der Frühzeit bis zur Gegenwart, 63-67, 164ff, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 160f 151 Artikel veröffentlicht in: L’Avvenire, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 160 152 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 147f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 160
69
Bevölkerung Dalmatiens allmählich ein Gegensatz, welcher der Regierung verständlicher
Weise nur recht kam. 1876 verlautbarte Ljubiša, das ehemalige Mitglied der Volkspartei und
Befürworter des Anschlusses, er habe sein Mandat verloren, weil er Serbe und orthodox sei.
Die Gegenseite, wie Pavlinović in seinem Werk „Hrvatski razgovori“, sprach von einer
gewissen Brüderlichkeit der Serben und Kroaten, „die Sprache und das Blut“, aber nicht
„Kultur und Geschichte, auch nicht ihr Begehren und staatliches Recht“ betreffend. 1877
wurde in den Zeitschriften über den Anschluss Bosniens und der Herzegowina öffentlich
diskutiert, wobei sowohl Kroatien als auch Serbien Anspruch erhoben. Im gleichen Jahr
forderte der „Glas Crnogorski (Crnogorca)“ eine eigene serbische Partei in Dalmatien. Die
Lage in Dalmatien spitzte sich zu, als schließlich 1878 das österreichische Heer in Bosnien
und Herzegowina einmarschierte und es annektierte, was der „Narodni List“ befürwortete.
Die serbische Fraktion reagierte darauf mit einer öffentlichen Ablehnung des Anschlusses an
Kroatien und der Forderung eines Zusammenschlusses von Dalmatien mit Bosnien und
Herzegowina. Nun entfachte offiziell der serbisch-kroatische Gegensatz, zunächst in
parteilichem Rahmen der Fraktionen Narodnjaci und Zemljaci. 1879 kommt es zur
endgültigen Spaltung der Nationalisten, die Serbische Nationalpartei (Srpska narodna
stranka) wird gegründet. 1880 erscheint deren Blatt „Srpski list“, das die Meinung vertrat,
Dalmatien sei laut historischen Fakten immer schon serbisch gewesen. So wurde der
politische und nationale Gegensatz in Dalmatien um noch ein weiteres Element vertieft.153
7.2 Sieg der Nationalideologie
1875 stattete Kaiser Franz Joseph Dalmatien einen Besuch ab. Nach Triest, Venedig und
Istrien bereiste er im April und Mai sowohl Küste als auch Hinterland, unter anderem Pag,
Zadar, Benkovac, Obrovac, Šibenik, Knin, Split, Omiš, Imotski, Dubrovnik und Kotor. Er
wurde während seines gesamten Aufenthaltes überall freundlich und festlich empfangen,
wofür sich der Kaiser herzlichst bedankte. Die Volkspartei nahm die Anwesenheit des Kaisers
wieder, und weiterhin beharrlich, zum Anlass, ihre Überzeugung zu demonstrieren. Die
Publikation „Narodni List“ schrieb wie folgt:154
153 vgl. CETNAROWICZ, Die Nationalbewegung in Dalmatien, 207, 215-227, 239f, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 291, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 161f, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda , 110 154 vgl. Doris DIESS, Die Reisen Kaiser Franz Josephs I. 1867-1916 (ungedr. geistesw. Diss. Wien 2000) 106-140, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 159
70
„Zdravo kralju! – Nasljedniče Držislava Silnoga, Krešimira Velikoga, Zvonimira
Blagoga, koji danas sprvom stupaš u ovu kolijevku hrvatstva, zdravo!“
„Zdravo hrvatski kralju, Franjo Josipe I.! (...)“155
Der kroatische Heroismus und der Sinn für die kroatische nationale Identität wird durch die
Aufzählung historisch belegter kroatischer Herrscher demonstriert, deren Nachfolger der
„kroatische König“ Franz Joseph I. ist. Dieser „betritt“ nun „die Wiege des Kroatentums“,
Dalmatien als autonomer Begriff ist nicht von Bedeutung, im Vordergrund steht die
territoriale Zugehörigkeit zu Kroatien.
Mit der Pensionierung General Rodićs übernimmt der reaktionäre General Jovanović dessen
Posten 1881. Durch ihn kommt es in Dalmatien zu dem Versuch einer Germanisierung.
Italienisch war rückläufig, und in den deutschsprachigen Regierungsreihen hatte sich kaum
jemand die Mühe gemacht, Kroatisch zu lernen. Jovanović meinte, die Lösung dieses Mankos
mit einer Germanisierung der dalmatinischen Administration zu erlangen. Selbstverständlich
stellte sich die Volkspartei gegen ihn, worauf abermalige Versetzungen, Entlassungen und
Eindämmungsversuche des „Narodni List“ und der Kontakte zu Kroatien seitens der
Regierung folgten. Die kroatientreuen Anhänger der Volkspartei konnten aber inzwischen
auch die städtischen Regionen für sich gewinnen. Ein großer Schritt war die Eroberung des
italienischen Split, das unter Bürgermeister Bajamonti jahrelang im italienischen Geiste
geführt worden war. 1882 kam es zur endgültigen Wende. Bei den Gemeindewahlen im Juli
konnte die Volkspartei von 36 30 Stimmen für sich gewinnen. Dieses Ereignis beeinflusste
nun ganz Dalmatien, und fand auch in Kroatien Anklang. Jovanovićs Versuche, die
Volksparteigegner für sich zu mobilisieren, blieben, wie man bei den nächsten
Landtagswahlen 1883 sehen konnte, fruchtlos. Im April konnte die nationale Fraktion auch
hier die Mehrheit gewinnen, 26 Mandate. Die inzwischen im Landtag vertretene Serbische
Partei erlangte acht, die Autonomisten sieben Stimmen.156
1881 erreicht Kroatien die lang ersehnte Annexion der Militärgrenze, was die Anzahl der
serbischen Bevölkerung auf 26 Prozent steigen lässt. Zur gleichen Zeit ist die
Nationalisierung Dalmatiens mit einem 20-prozentigen serbischen Anteil, der sich vor allem
in der Bucht von Kotor befindet, voll im Gange. Das Italienische wird stetig weiter
zurückgedrängt, und die geplante Germanisierung bereits im Keim erstickt. Die Narodnjaci
hatten in nahezu allen Gemeinden die Mehrheit, und die kroatische Sprache nahm eine immer
155 öffentliches Schreiben der dalmatinischen Volkspartei an Kaiser Franz Joseph 1875, in: Narodni List, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 159 156 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 239-241, DIKLIĆ, Pravaštvo u Dalmaciji, 70, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 166f, ŠIDAK, GROSS, KARAMAN, ŠEPIĆ, Povijest hrvatskog naroda, 155
71
wesentlichere Rolle im dalmatinischen Alltag ein. Bei den Reichsratswahlen 1884 wurden
von Dalmatien für das Wiener Parlament nur mehr ausschließlich Kroaten gestellt. 1887 gab
es lediglich eine Gemeinde, wo noch Autonomisten vorherrschten, Zadar, im restlichen
Dalmatien waren sie weit in den Hintergrund getreten. Dalmatiens Hauptstadt nahm für die
Orthodoxie eine besondere Stellung ein. Während des französischen Intermezzos gründete
man 1808 ein orthodoxes Bistum in Šibenik, allerdings wurde der Bischofssitz 1841 auf
Zadar übertragen, als zweites orthodoxes Zentrum kam 1869 Boka Kotorska hinzu. Folgend
waren diese beiden Gemeinden die wesentlichen Anziehungspunkte für die dalmatinischen
Serben.157
Die Kroatisierungstendenz wirkte sich auf die Namensgebung der Partei- und
Medienlandschaft aus. Hatten nationalistische Gruppierungen bis jetzt das Attribut „völkisch“
oder „heimisch“, so zog man nun überwiegend „kroatisch“ oder „Kroatien“ für die
Benennung heran, wie die Zeitschrift „Crvena Hrvatska“, oder der Hrvatski narodni klub,
eine Fraktion der Volkspartei, die folgendes Ziel verfolgte:158
„Narodni hrvatski klub stoji nepomično na stožernom temelju državnoga prava
hrvatskoga i cjelokupnosti Hrvatske. Prema tomu, teži da se Dalmacija što skorije sjedini
s Hrvatskom i Slavonijom i da se Hrvatskoj državi povrate sve stare njezine česti.“159
Die Partei besteht auf das „kroatische Staatsrecht“ und die kroatische Einheit, dem
„kroatischen Staat“ sollen seine „alten Teile zurückgegeben“ werden. Die Basis dieser
Ideologie stellt allein die historische Überlieferung des mittelalterlichen kroatischen
Königreichs dar. Darauf beruht das erwähnte „Staatsrecht“, man soll Kroatien das
„zurückgeben“, was es vor rund 800 Jahren inne hatte. Der 1892 entstandene „Kroatische
Klub“, unter der Leitung Juraj Biankinis (1847-28), strebte ebenso in erster Linie eine
Annexion an, gehörte aber zu den Radikalen, die sich offen gegen die Regierung aussprachen.
Unter Mitwirkung von Ante Trumbić (1864-1938) und Frano Supilo (1870-1917) wurde
daraus 1894 die Rechtspartei. Die kroatische Rechtspartei unter Ante Starčević (1823-1896)
gab die Richtlinien vor, und beeinflusste die dalmatinischen parteigebundenen Publikationen
„Crvena Hrvatska“ von Supilo oder „Katolička Dalmacija“, später „Hrvatska Kruna“, vom
Geistlichen Ivo Prodan. Das in Zadar unter dem Motto „Bogu i Hrvatskoj“ herausgegebene
Blatt verlautbarte:160
157 vgl. GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 291, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 168 158 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 243f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 168, 174, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 55f 159 Parteiprogramm des Kroatischen Volksklubs, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 168 160 vgl. DIKLIĆ, Pravaštvo u Dalmaciji, 247f, 253, MRDEŽA, Nacrt za stih u zadarskim časopisima, 416, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 168f, 174
72
„Težimo, dopuštenim sredstvima (...) za uspostavljanjem ujedinjene i samostalne
Hrvatske pod slavnom krunom Habsburgovaca. To je ukratko bio, to jest, i ostat će naš
politički program.”161
Die Katholiken bleiben den Habsburgern treu. Obwohl sie nach einem selbstständigen,
vereinten Kroatien streben, soll dies dennoch unter der „ruhmreichen Krone der Habsburger“,
und nur mit „erlaubten Mitteln“ erreicht werden. Die kroatische Rechtspartei fand in
Dalmatien sehr schnell Anhänger, wo sich insbesondere katholische Geistliche dafür
begeisterten. Die Separation der Rechtspartei in Kroatien löste auch in Dalmatien eine
Zersplitterung aus, so entstand daraus die Reine Rechtspartei (1898-1906). Ab 1906 bis zum
Krieg wird die Partei wieder unter dem ursprünglichen Namen und deklarierter Anlehnung an
Starčevićs Vision von einem selbstständigen Kroatien geführt. Im April 1905 kam es zur
Gründung einer neuen Partei, die aus den Narodnjaci hervorging. Die Kroatische Partei hatte
folgendes Programm:162
„Hrvatska stranka stoji nepomično na stanovištu sjedinjenja kraljevine Dalmacije s
kraljevinama Hrvatskom i Slavonijom na temelju narodnoga i državnoga prava,
smatrajući to sjedinjenje znamenitim korakom za oživotvorenje vrhovnog narodnog cilja,
koji teži na to da se sve zemlje napučene Hrvatima slože ustavnim sredstvima u jedno
samostalno državno tijelo.“163
Hier beruft man sich auf das „Staats“- und „Völkerrecht“. Der Staat hat ein Anrecht auf die
Vereinigung seiner Einzelteile, das Volk hat ein natürliches Recht, seinem Staat anzugehören.
Die Kroatische Partei verfolgt dieses „höchste Ziel des Volkes, alle mit Kroaten bevölkerte
Länder mit verfassungsmäßigen Mitteln in einen selbstständigen Staatskörper“ zu vereinen.
Die Kroatische Partei war im September des Jahres 1905 mit Vertretern des kroatischen
Parlaments an der sogenannten „Resolution von Rijeka“ beteiligt. Das gemeinsame Ziel
versuchte man hierbei durch die Anlehnung an das ungarische Separationsvorhaben zu
erreichen. Am 3. Oktober wurde in der Schrift erklärt, dass man mit der ungarischen Intention
einverstanden sei, und die Selbstständigkeit sowohl für das ungarische als auch für das
kroatische Volk von Vorteil wäre. Weiters hielt man fest, die dalmatinische Inkorporation sei
unumgänglich, und Dalmatien gehöre ohnedies de facto zu Kroatien. Für den weiteren Kampf
für die Vereinigung kroatischer Länder stellt die „Resolution von Rijeka“ ein wesentliches
Dokument dar, das sowohl von kroatischen als auch dalmatinischen Politikern kooperativ für
161 Auszug eines Artikels in Katolička Dalmacija, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 169 162 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 245f, DIKLIĆ, Pravaštvo u Dalmaciji, 361ff, 391-394, GOLDSTEIN, Hrvatska povijest, 261, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 168ff 163 Parteiprogramm der Kroatischen Partei, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 170
73
ein gemeinsames Ziel verfasst wurde. Weiters wirkte sie sich auch auf die serbische Fraktion
aus, die in ihrer „Resolution von Zadar“ unter Mitwirkung serbischer Politiker aus Kroatien
am 17. Oktober bekannt gab:164
„Što se tiče zahtjeva braće Hrvata za reinkorporaciju Dalmacije Hrvatskoj i Slavoniji,
koja je i pozitivnim zakonom zajamčena, pripravne su srpske stranke uložiti i svoju snagu
za ostvarenje ovog zahtjeva, ako se s hrvatske strane ukloni zapreka koja je dosad
priječila srpskoj strani na Primorju da se za sjedinjenje izjavi, a to je da se sa strane
Hrvata obavezno prizna ravnopravnost srpskog naroda s hrvatskim.“165
Die Kernaussage der von 26 serbischen Abgeordneten verfassten Resolution ist, dass man
bereit sei, sich dem Ansuchen der kroatischen „Brüder“ und der „Resolution von Rijeka“
anzuschließen, allerdings unter der Bedingung der Gleichberechtigung für die serbische
Bevölkerung. Die ungarisch-kroatische Annäherung wurde allerdings kurz darauf durch eine
weitere Magyarisierungsmaßnahme 1907 unterbrochen. Im dalmatinischen Landtag kamen
sich die kroatische und die serbische Seite kurzzeitig etwas näher, man versprach sich am 16.
Oktober 1905 offiziell, man werde:166
„raditi rame uz rame kao jednakopravna braća u narodnopolitičkim pitanjima, a
posebice nastojati složnim silama da se što prije oživotvori sjedinjenje Dalmacije s
Hrvatskom i Slavonijom kao glavni preduvjet osiguranju bolje im zajedničke narodne
budućnosti.“167
Wieder ist von gleichberechtigten „Brüdern“ die Rede. Man werde „Schulter an Schulter
arbeiten“, und mit „vereinten Kräften“ eine Vereinigung anstreben, um eine bessere
„gemeinsame Zukunft“ zu sichern. Diese vereinten Kräfte währten nicht lange, denn bereits
bei den nächsten Reichstagswahlen kam es wieder zu nationalen Gegensätzen. Bis zum Ende
der Monarchie sollte die Vereinigungsfrage nicht mehr geklärt werden. Das fortwährende
Verlangen seitens des dalmatinischen Landtags blieb hingehalten und ignoriert. Die
Inkorporationsfrage Bosniens und der Herzegowina erschwerte die dalmatinische Annexion
zusätzlich, und führte zu weiteren Konflikten mit der serbischen Seite.168
Die kroatischen Nationalisten konnten zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Großen und Ganzen
auf eine erfolgreiche Kroatisierung Dalmatiens zurückblicken, auch für den Reichsrat 1911
wurde kein einziger Autonomist mehr aufgestellt. Bis auf Zadar gab es in allen Gemeinden
164 vgl. KISZLING, Die Kroaten,75f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 170f 165 Resolution von Zadar, 1905, aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 171 166 vgl. KANN, Geschichte des Habsburgerreiches, 403, KISZLING, Die Kroaten, 77, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 171f 167 aus: NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 172 168 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 263, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 172
74
Dalmatiens eine kroatisch-nationale Mehrheit. Die Sprachenfrage wurde laut einem
Regierungserlass von 1912 endlich geklärt, womit Kroatisch offizielle Amtssprache
Dalmatiens wurde. Zu der Zeit verfügte Dalmatien über 435 öffentliche und 25 private
Grundschulen. In allen öffentlichen bis auf eine, in Zadar, und in 13 privaten fand der
Unterricht auf Kroatisch statt, wobei nun inzwischen 62.800 Kinder schulpflichtig waren, und
60.158 davon auch unterrichtet wurden. Mit der Eröffnung eines kroatischen Gymnasiums in
der letzten „antikroatischen Instanz“ Zadar, war die endgültige Kroatisierung des
dalmatinischen Schulwesens gesichert.169
Neben den anfänglichen Gegensätzen slawisch-italienisch und Annexionisten-Autonomisten
ergaben sich ideologische Gruppierungen, die sich weiter abgrenzten. Alles in allem kann zu
Beginn einer spürbaren Politisierung um 1848, die sich hauptsächlich auf den städtischen
Bereich beschränkte, von fünf dalmatinischen Identitätskonstrukten gesprochen werden. All
diese Strömungen fanden sich ab den 1860ern in der Parteilandschaft wieder, und waren
durch gegebene Umstände mitunter gezwungen, sich anderen Gruppierungen anzuschließen,
um ein höheres, gemeinsames Ziel zu verfolgen, oder schlicht, um einen größeren politischen
Spielraum zu erlangen. Ausgehend von der kroatischen Wiedergeburtsbewegung erlangte der
Illyrismus das dalmatinische Territorium, der sowohl katholische als auch orthodoxe
Anhänger hatte, und sich vor allem um eine eigene slawische Identität innerhalb der
Monarchie bemühte. Daraus resultierte das Kroatentum mit dem Nationalismus als treibende
Kraft, und der Annexion an Kroatien als Hauptanliegen. Die Italodalmatiner waren wie die
Slawodalmatiner für ein autonomes Dalmatien, die ersteren versuchten allerdings dabei ihre
italienische Identität zu bewahren. Den Slawodalmatinern wurde Italophilie vorgeworfen, und
falscher Regionalismus, der nur der Vertuschung ihrer wahren Hinwendung diente.
Schließlich erlangten auch die Orthodoxen Dalmatiens eine nationale Identität. Diese waren
bereits seit geraumer Zeit durch ihren Glauben und die Tätigkeit ihrer geistlichen Führer
intensiver mit einander verbunden. Zu Beginn der dalmatinischen Identitätssuche sahen sie
sich selbst vornehmlich als Slawen und befürworteten einen Zusammenschluss mit Kroatien
und/oder anderen Slawen. Durch das Erstarken Serbiens und die radikaler werdende
kroatische Nationalideologie wuchs auch der serbische Nationalismus. Diese beiden
Strömungen werden folglich zum stärksten Gegensatz in- aber auch außerhalb Dalmatiens.
Mit dem Ausbruch des Krieges 1914 musste Europa von den Mächtigen neu gestaltet werden.
Auch Dalmatien gehörte zu den Territorien die im Falle einer österreichischen Niederlage
„zugewiesen“ werden sollten. Am 10. April 1915 erhob Italien der Monarchie gegenüber
169 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 263f, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 156, 172ff
75
unter anderem Anspruch auf einen Teil Dalmatiens. Am 26. des gleichen Monats
unterzeichnete man den „Londoner Pakt“, worin Italien neben anderen österreichischen
Territorien Nord- und Mitteldalmatien sowie einige vorgelagerte Inseln zugesichert wurden.
Allerdings entstand mit dem Zerfall der Monarchie ein neues Staatsgebilde, SHS, der Staat
der Slowenen, Kroaten und Serben, dessen Gründer Dalmatien automatisch integrierten.
Dalmatien trat mit dem 1. Dezember 1918 offiziell dem SHS-Staat bei. Nichts desto trotz
besetzte Italien einige dalmatinische Städte und Inseln, worauf sich die französische Flotte in
Rijeka, die US-amerikanische in Split und Kotor, und die englische ebenfalls in Kotor
positionierte. Die Okkupation hielt noch bis 1923 an, von Italien nicht besetzte Teile
Dalmatiens nahm das serbische Militär ein. Bei der Friedenskonferenz in Paris sprach sich
US-Präsident Wilson im April 1919 gegen die Ansprüche Italiens aus, was die
Verhandlungen zwischen Italien und dem SHS-Staat noch nicht beendete. Erst mit dem
Vertrag von Rapallo konnte man sich vorerst einigen, Italien bekam unter anderem Istrien und
einige dalmatinische Inseln, der Rest Dalmatiens – abgesehen von Zadar – ging an die
Slowenen, Kroaten und Serben. Innerhalb dieses Staatenbundes hörte Dalmatien als
administrative, politische Einheit offiziell am 26. April 1922 auf, zu existieren.170
8. Kroatische Ethnogenese und nationale Identitätsbildung
Es wurde deutlich gemacht, dass sich bei der dalmatinischen Bevölkerung schließlich der
Nationalismus durchgesetzt hatte. Neben dem Serbentum war die kroatische nationale
Identität vorherrschend, da sich Dalmatien mehrheitlich als kroatisch empfand. Das kann man
als gegeben hinnehmen, versucht man aber dieser nationalen „Empfindung“ nachzugehen,
muss man historisch zurückgreifen, und bis ins beginnende Mittelalter zurückblicken. Welche
geschichtlichen Fakten wurden in verfremdeter Version herangezogen, um der dalmatinischen
Bevölkerung im 19. Jahrhundert eine nationale Identität zu sichern? Wie wurde aus einem
historisch belegten Kollektiv eine nationale Identität, und wer waren die Identitätsträger?
In der dalmatinischen Geschichte des 19. Jahrhunderts griff man auf verschiedene
Selbstdefinitionen zurück, um sich von „den Anderen“ abzugrenzen. Zunächst konnte man
sich durch das Christentum von den Osmanen, durch den traditionellen Katholizismus von
170 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 265-270, KISZLING, Die Kroaten, 100, NOVAK, Prošlost Dalmacije, knj. dr., 184-188
76
den feindlichen Franzosen abgrenzen. Das Slawentum verband einen größeren Teil der
Bevölkerung, es „verbrüderte“ durch die sprachliche Einheit, und stand im Gegensatz zu den
Deutschen und den Italienern. Im Zuge der Entstehung des nationalistischen Gedankenguts
wurde das Kroatentum geboren, eine Ideologie, die auch in Dalmatien Nährboden fand. Die
entsprechenden historischen Fakten waren vorhanden, man musste sie nur passend
zurechtbiegen. Zu jeder Ideologie gibt es für gewöhnlich ein Feindbild, das den regionalen
Gegebenheiten und akuten politischen Umständen entspricht. Dem Slawischen steht das
Deutsche und Italienische gegenüber, dem Kroatentum das Serbentum, dem Katholizismus
die Orthodoxie. Aus dem übergreifenden Slawentum entspringen weiters der Panslawismus
und der Jugoslawismus. All diese Erscheinungen stehen in Bezug zur dalmatinischen Region,
schließlich setzte sich jene Identität durch, deren Ursprung man bereits im Mittelalter findet.
Im Vorfeld der Französischen Revolution kam es zur Bildung einer neuen Ideologie, einem
Nationalbewusstsein. Diese Tendenz erlebte ihren absoluten Ausbruch Ende des 18.
Jahrhunderts in Frankreich und verbreitete sich folgend über den ganzen Kontinent. Man
begann, die Bevölkerung innerhalb bestimmter Grenzen als ein homogenes Ganzes zu
definieren, das seine Daseinsberechtigung durch Gleichheit fand, vor allem durch die gleiche
Sprache und „Abstammung“. Um diese Abstammung zu untermauern, wurden historische
Fakten herangenommen, und den akuten politischen Bedürfnissen entsprechend, als
sogenanntes historisches Recht, pervertiert, der Gipfel dieser Perversion war schließlich der
deutsche NS-Staat. Aber auch heute noch wird das politische Geschehen von nationalen
Identitäten geprägt, auch heute noch hat die Allgemeinheit ein verzerrtes Bild von
„Abstammung“ und „Ursprung“ einer Nation, eines Volkes. Der Grund dafür ist die
romantisierte, verklärte Darstellung historischer, insbesondere spätantiker bis
hochmittelalterlicher, Fakten im Laufe des 19. Jahrhunderts. Um der eigenen „Nation“
Gewichtigkeit zu verleihen, wurde ihr „Ursprung“ heroisiert, die Taten ihrer einstigen Führer
glorifiziert. Nach den Weltkriegen erhielten wir mehr oder weniger „homogenisierte
Nationen“ mit entsprechenden Nationalstaaten, obwohl in diesem Gedankengut ein
grundlegender Fehler verankert ist. Die Vorstellung eines „reinen Volkes“ mit einem
„gemeinsamen Ursprung“ und dem „gleichem Blut“ ist ein Irrglaube. Zudem muss man
hierbei auch die Stellung der Frau berücksichtigen. Frauen hatten im Laufe der Geschichte
zumeist eine untergeordnete Stellung, die Träger von Identitäten waren Männer, und diese
„bedienten“ sich der Frauen, ohne unbedingt auf ihre ethnische Zugehörigkeit Rücksicht zu
nehmen. Wenn eine Frau folglich von einer anderen Sippe aufgenommen wurde, vererbte
77
diese auch ihr „Blut“ an die Folgegenerationen. Dies wurde von den konstruierten
Herkunftsgeschichten stets außer Acht gelassen.
Die wohl gravierendste Schwierigkeit bei der Betrachtung antiker und mittelalterlicher
Bevölkerungsgruppen sind die mangelhaften Quellen. Antike „Barbarenvölker“ kennen wir
vor allem durch die einseitige Darstellung römischer Schreiber, die ihre eigene Sichtweise, ihr
eigenes Weltbild mit verarbeiteten. „Barbaren“ pflegten leider nicht, Tagebuch über ihre
Taten und Gedanken zu führen. Ähnlich verhielt es sich mit „den Slawen“. Die ersten
Aufzeichnungen über diese Bevölkerungsgruppe wurden von Nichtslawen gemacht, wobei es
diesen vor allem darum ging, ihre eigene Macht, die insbesondere durch die Christianisierung
erfolgte, auszuweiten, und weitere Bevölkerungsgruppen in ihr Territorium einzuverleiben. Es
wurde uns überliefert, dass die Slawen durch die sogenannte Völkerwanderung aus dem
Nordosten Europas kamen und Mittel- und Südosteuropa besiedelten. Sprachwissenschaftlich
betrachtet trennten sie sich zu diesem Zeitpunkt von ihren „baltischen Brüdern“, verließen
somit die baltoslawische Sprachfamilie und emanzipierten sich durch das eigene Urslawische.
Zum Teil werden die slawischen Neusiedler mit der bereits vorhandenen Bevölkerung
assimiliert, so in griechischen Regionen zum Beispiel, anderswo bildeten sie eigene
Herrschaftsformationen heraus. In Mitteleuropa lebten die slawischen Stämme in einer Art
Symbiose mit den Awaren, da sie, anders als bei anderen Gruppierungen, zunächst wohl
keinen eigenen Anführer hatten. Weiters sind uns die Alpenslawen bekannt, die Mitte des 7.
Jahrhunderts unter dem Anführer Samo ein eigenes Herrschaftsgebiet vorweisen. Deren
„Nachfahren“, die Karantanen, verfügten dann schon rund hundert Jahre später über eigene
Fürsten. Diese sahen sich aufgrund der awarischen Bedrohung gezwungen, ein Bündnis zu
suchen, und wandten sich den Bayern zu. Boruth, der erste karantanische Fürst, nahm das
Christentum an, somit begann die erste slawische Christianisierung.171
Die wissenschaftliche Forschung wurde – und wird zum Teil immer noch – von durch den
Nationalismus verzerrten Denkmustern belastet. Erst in den sechziger Jahren des letzten
Jahrhunderts wurde man sich dessen bewusst, und es kam insbesondere in der
Geschichtsforschung zu Umbrüchen im Umgang mit bis dahin für lange Zeit festgefahrenen
Begriffen wie „Volk“, „Stamm“ oder „Stammesbildung“. Die nach wie vor verankerte
nationale und „völkische“ Ideologie des 19. Jahrhunderts musste nach dem Zweiten Weltkrieg
171 vgl. Hans-Dietrich KAHL, Der Staat der Karantanen. Fakten, Thesen und Fragen zu einer frühen slawischen Machtbildung im Ostalpenraum (7. – 9. Jh.) (Ljubljana 2002) 79f, Walter POHL, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567-822 n. Chr. (München 1988) 256-261, Herwig WOLFRAM, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung, Österreichische Geschichte 378-907 (Wien 1995) 301-304, DERS., Salzburg, Bayern, Österreich. Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit (München 1995)
45f
78
endlich zurückgelassen werden. Es war notwendig, die konservativen Muster zu überdenken,
und die frühmittelalterliche Ethnogenese, aber auch die Völkerwanderung, neu zu beleuchten.
Unsere Aufgabe ist es heute, verfälschende Denkmuster abzulegen, und mit historischen
Überlieferungen ohne verzerrende Filter umzugehen.172 Will man nun verstehen, warum
bestimmte Ideologien im 19. Jahrhundert Fuß fassen konnten, muss man sich einerseits der
politischen Umstände und ihrer Verklärungsmechanismen jener Zeit bewusst sein,
andererseits aber auch die einstigen historischen Fakten betrachten, deren man sich bedient
hatte.
8.1 Ethnogenese und kollektive Identität
Vor dem Nationalismus fühlte man sich eher kleineren Territorien zugehörig, einer Stadt,
beispielsweise, oder seiner heimatlichen Region. In der Spätantike, im Römischen Reich, gab
es vor allem zwei Identitäten. Man unterschied zwischen römischen Bürgern, den
Zivilisierten, und den Nicht-Römern, den Barbaren. Die aus dieser Zeit überlieferten Quellen
sind lediglich solche, die von den Ersteren verfasst wurden. Diese Texte sind gefärbt vom
Wir-Bewusstsein jener Verfasser. Bis ins frühe Mittelalter hinein haben wir kaum Zeugnisse
von „barbarischer“ Selbstwahrnehmung, die ethnischen Gruppierungen waren den
Vorurteilen der römischen Weltanschauung ausgeliefert. Doch, wie wurde die römische
Identität definiert, was machte einen Römer zum Römer, was einen Barbaren zum Barbaren?
Das Römische Reich war zunächst ein flexibles Territorium, immer wieder wurden
Menschengruppen, Ethnien oder Völker, wenn man so will, aufgenommen, assimiliert und die
Grenzen des Reiches verschoben. Die Aufnahme ins Reich war gleichbedeutend mit
militärischem Dienst. Erst Ende des 4. Jahrhunderts wurde die Erhaltung der eignen
Stammesordnung der „Immigranten“ seitens des Imperiums toleriert, denn das Reich verlor
an Macht, und immer mehr Menschen strömten herbei, um vor allem von den natürlichen
Ressourcen der wärmeren Gebiete zu profitieren. Das Reich war als patria die Heimat von
verschiedenen gentes, doch deren Zugehörigkeit zur lokalen Formation gewann zunehmend
an Bedeutung. Um ihren eigenen Interessen nachzugehen, waren immer mehr Menschen
172 vgl. Hermann FRÖHLICH, Versuch einer Bilanz oder von der Unmöglichkeit einer Zusammenfassung, in: Herwig FRIESINGER, Falko DAIM (Hg.), Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern, Teil 2, (Wien 1990) 351, Bernhard ZELLER, „Geglaubte“ Ethnizität im frühen Mittelalter. Historische Ethnographie in Wien. Zu Theorie, Methodik und Ergebnissen (ungedr. geistesw. Diplomarbeit, Wien 1999) 6, 15-22
79
bereit, „unzivilisiert“ zu werden. In der Zeit des fließenden Übergangs zwischen Spätantike
und Frühmittelalter traten an Stelle des westlichen römischen Imperiums zunehmend neue
Reiche, barbarische Königreiche, welche nach ihrer Christianisierung folglich die Struktur des
neuen Europa formten. Die einstige Differenzierung zwischen Römer und Barbar ist
bedeutungslos geworden. Das alte Modell Zivilisation - Barbarentum wurde durch die
Unterscheidung Barbarenvolk mit oder ohne König abgelöst. Ausschlaggebend für die
Bildung neuer Stammesverbände, neuer Völker, war der Anführer, der Herrscher. Vereinfacht
gesagt unterstand diesem ein Heer, aus welchem ein Volk entstand, für dessen Zusammenhalt
wiederum Gesetz und Zusammengehörigkeitsgefühl von Nöten waren. Nur durch einen
König konnte sich ein barbarisches Volk zu etwas Höherem entwickeln, und um dessen
Herrschaft rechtfertigen zu können, mussten Herkunftsgeschichten, Stammesgeschichten
konstruiert werden. Wolfram spricht von der „Entstehung von origo und lex, von
Herkunftsgeschichte und Volksrecht“173. Durch diese, von Überlieferungen abgeleitete, oft als
Auftragswerk entstandene, männliche, origo gentis, wurde die gens – in den Quellen häufig
synonym mit Heer – zum populus. Die Basis der origo ist eine gentile Memoria, die eine
wesentliche Rolle in der Ethnogenese spielt. Aufgrund dieser von Generation zu Generation
weitergegebenen „Erinnerung“ an die zum Teil tatsächlich vorgefallenen Ereignisse aus der
„gemeinsamen“ Vergangenheit, entsteht, so Reinhard Wenskus 1961, ein „Traditionskern“,
eine von den Protagonisten der Herkunftsgeschichte abstammende Herrschergruppe, die den
Namen trägt, und in deren Umkreis sich eine politische Einheit herausbildet. „Ethnogenesen
sind keine Angelegenheit des ,Blutes’“ 174, der Traditionskern hält heterogene Gruppen
zusammen, von denen sich Teile wiederum abspalten und zu neuen sozialen Gebilden
formieren können. Die von der Allgemeinheit lange für selbstverständlich gehaltene „reine
Abstammung“, und die von einander unabhängig entstandenen Völker, entsprechen nicht der
Realität. Eine gens wächst nicht bloß von Generation zu Generation, sondern vielmehr durch
Mitglieder, die zur Annahme der entsprechenden Tradition, des „Stammesbewusstseins“,
bereit sind. Auf diese Weise kann man auch einen Römer definieren. Nicht die Abstammung
macht ihn zu diesem, sondern seine Verschmelzung mit römischer Tradition und römischem
Recht, ungeachtet seiner sprachlichen und kulturellen Herkunft. Und die römische Tradition
stützte sich auf die Tatsache, dass der populus Romanus, der aus integrierten gentes bestand,
im Unterschied zu den barbarischen Völkern eine Geschichte vorweisen konnte. Nach
Wolfram verfügen konstruierte Stammesgeschichten über typische Merkmale. Zum einen
173 Herwig WOLFRAM, Einleitung oder Überlegungen zur origo gentis, in: Herwig WOLFRAM, Walter POHL (Hg.), Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern, Teil 1 (Wien 1990) 21 174 ebd., 30
80
muss der Traditionskern heldenhaft eine Gefahr überwinden, falls die „Mutprobe“ das
Besiegen einer anderen gens ist, so bleibt diese oftmals Feind für alle Zeiten. Zum anderen
spielt der Wechsel zum christlichen Glauben eine zentrale Rolle in der origo.175
Die Christianisierung der pannonischen und dalmatinischen Gebiete erfolgte bereits in der
Antike noch zur Römerzeit. Salona verfügte über einen eigenen Bischof, auch andere Städte
wie das antike Epidaurum, heute Cavtat, oder Mukurum und Jadera, heute Makarska,
beziehungsweise Zadar. Im Zuge Diokletians Christenverfolgung wurde, beispielsweise, auch
Bischof Doimus von Salona ermordet. Dieser Mann wird später heiliggesprochen und geht als
Duje, Schutzpatron von Split, ins dalmatinische Kulturgut ein. Nach den Goten und
Byzantinern drangen auch Awaren und Slawen in das einstige Dalmatien vor. Die christlich
geprägte Bevölkerung der Region Salona richtete sich 614, nach der Zerstörung ihrer Stadt
durch die Eindringlinge, ein neues Zentrum ein, rund um den Diokletianpalast im heutigen
Split.176
Die Christianisierung der Slawen stellt einen wichtigen Aspekt der mittelalterlichen
slawischen Identitätsfindung dar. Die slawischen Stämme des pannonischen Raumes, die
noch keine origo gentis und keine großen Anführer oder Traditionskerne vorweisen konnten,
lebten in enger Verbindung mit den Awaren. Sie hatten ursprünglich keine hoch entwickelte,
zentralisierte Organisationsform, dafür aber eine flexible Lebensweise, und diese dürfte
zunächst die Ethnizität jener Slawen ausgemacht haben.177 Nach der Vertreibung der Awaren
durch Karl den Großen mussten sie sich neu organisieren. Auf den ehemals awarischen
Territorien entstanden zu Beginn des 9. Jahrhunderts selbstständige slawische
Herrschaftsgebiete, eingebettet zwischen dem fränkischen und dem byzantinischen Reich,
welche beiderseits nach der Expansion ihres Einflusses trachteten. Fränkische Missionare
hatten die Aufgabe, die Slawen für sich zu gewinnen, was der mährische Fürst Rastislav
umgehen wollte. Aus diesem Grund wandte er sich mit der Bitte nach slawisch sprechenden
Missionaren an Byzanz, worauf die beiden Brüder Konstantin (später Kyrill) und Method in
175 vgl. Patrick J. GEARY, Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen (Frankfurt am Main 22002) 54, 62, 71-76, 120-125, 157f, Walter POHL, Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration (Stuttgart 22005) 14-30, Reinhard WENSKUS, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen Gentes (Köln/Graz 1977) 13-23, 72ff, Herwig WOLFRAM, Auf der Suche nach den Ursprüngen, in: Walter POHL (Hg.), Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters (= Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 8, Wien 2004) 11-22, hier 16, DERS., Überlegungen zur origo gentis, 20-31, DERS., Grenzen, Räume, Mentalitäten (Vortrag im Wiener Rathaus am 25. Oktober 1994, Wien 1995) 13, 19f, ZELLER, „Geglaubte“ Ethnizität im frühen Mittelalter, 6, 19, 24f, 41ff, 56 176 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 22, 24, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 29ff 177 vgl. KAHL, Der Staat der Karantanen, 38-40, POHL, Awaren, 94ff, 111, 126, WENSKUS, Stammesbildung und Verfassung, 13-23, WOLFRAM, Grenzen, Räume, Mentalitäten, 23, 26, DERS., Slawische Herrschaftsbildungen im pannonischen Raum als Voraussetzung für die Slawenmission, 249f, DERS., Überlegungen zur origo gentis, 20-31, ZELLER, „Geglaubte“ Ethnizität im frühen Mittelalter, 108
81
die slawischen Gebiete entsendet wurden. Sie entwickelten eine slawische Schrift, und
begannen, liturgische Texte ins Slawische zu übersetzen, was vom damaligen Papst gebilligt
wurde. Die Missionare und ihre Schüler verbreiteten die slawische Liturgie im gesamten
slawischen Raum, gelangten bis an die Adria. Kyrill zu Ehren entwickelten seine Schüler zu
Beginn des 10. Jahrhunderts eine an das Griechische angelehnte slawische Schrift und
benannten sie „Kyrillisch“. Beide von den Missionaren entworfene Schriften finden im
slawischen Raum schnell Anklang und setzen sich auch im kroatischen und dalmatinischen
Raum durch. Die Glagolica wird in Kroatien auch heute noch als nationales Kulturgut
betrachtet, da sie am kroatischen Boden am längsten tradiert wurde. Die Arbeit dieser
Missionare legt den Grundstein für die Entwicklung folgender slawischen Identitäten, denn
mit der Christianisierung in eigener Sprache wird die Bedeutung dieser enorm angehoben,
und die Bevölkerung dementsprechend geprägt und verschweißt.
8.2 Das kroatische Mittelalter
Es gibt lediglich einige Überlieferungen, aus denen wir heute die Anfänge einer
mittelalterlichen kroatischen Staatsform rekonstruieren. Die Zeit in welcher wir mehr oder
weniger selbständig regierende, sich selbst als Kroaten bezeichnende, Anführer einer relativ
definierten kroatischen Region vorfinden, beläuft sich auf lediglich drei Jahrhunderte, einen
König kann Kroatien erst ab 925 vorweisen. Das kroatische Mittelalter fängt im 9.
Jahrhundert an, die autonome kroatische Staatsform findet offiziell schon zu Beginn des 12.
Jahrhunderts ihr Ende. Das kroatische Reich war gekennzeichnet durch seine geographische
Lage zwischen Ost und West, zwischen fränkischem und byzantinischem Einfluss, sowie
einer Hinwendung zu Rom.
Im Laufe des 7. Jahrhunderts besiedeln slawische Stämme die Region des heutigen Kroatien.
Ende des Jahrtausends beschreibt um 950 der Byzantiner Konstantin Porphyrogennetos in
seinem Werk De administrando imperio jene Zuwanderung, und spricht von „Kroaten“,
welche ursprünglich aus Bayern kamen, wo nun Weißkroaten leben. Er zählt fünf Brüder auf,
von welchen einer Chrobatos hieß, diese kamen nach Dalmatien, wo sie Awaren vorfanden
und sie besiegten. Ein Teil jener Kroaten splitterte sich ab, ging nach Pannonien, und hatte
82
einen eigenen Anführer.178 Porphyrogennetos grenzt das kroatische Gebiet auf das
Territorium zwischen den Flüssen Arsia (Raša) im östlichen Istrien und Cetina südöstlich von
Spalatum ein.179
Die Anfänge kroatischer Staatsformen sind ab etwa 800 dokumentiert. Allerdings wurden die
dalmatinischen Kroaten auch zu Beginn ihrer Geschichte vom Norden separat verwaltet. Im
Norden, Pannonisch-Kroatien, regierte Vojnomir, man geht davon aus, dass Karl der Große
im Kampf gegen die Awaren von ihm unterstützt wurde. Der Süden unterstand Višeslav, die
beiden kroatischen Herrscher respektierten sich laut Überlieferung. Daneben gab es kleinere
autonome Einheiten wie die Region um Dubrovnik und um den Fluss Neretva, Istrien war seit
Ende des 8. Jahrhunderts fränkisch. Es ist fraglich, inwieweit man bei den anfänglichen
kroatischen Regierungseinheiten tatsächlich von Selbstständigkeit sprechen kann. Umringt
von fränkischer und byzantinischer Obrigkeit mussten sie immer wieder um ihre Existenz
bangen, denn die beiden Großmächte trachteten danach, ihre Macht auszudehnen, und übten
auf das dazwischenliegende Gebiet Druck aus.180
Der südkroatische Regent Višeslav geht als erster christlich getaufte Kroate in die Geschichte
ein. Er hinterließ uns sein Vermächtnis in Form einer Steininschrift in Nin um das Jahr 800,
wo er residierte. Die Nachfolger der beiden kroatischen Fürsten konnten den Zusammenhalt
aufgrund der umgebenden Mächte nicht erhalten, da der in Sisak residierende Fürst Ljudevit
Posavski (ca. 810 - 823) einen von Byzanz unterstützten Aufstand gegen die Franken inizierte
(819 - 822), und der „Südkroate“ Borna (ca. 810 - 821) die fränkische Unterstützung gegen
Byzanz benötigte.181 Vom bellum Liudeviticum, den Auseinandersetzungen Ludwigs des
Frommen mit dem unterpannonischen Fürsten Ljudevit, aber auch von Borna, dem dux
Dalmatiae atque Liburnieae, berichten die Annales Regni Francorum. Man kann das
Unterpannonien Ljudevits als die Geburt des späteren Slawonien betrachten. Das antike
Liburnien war ursprünglich ein Teil Dalmatiens, das mittlerweile die Region zwischen Istrien
und Dalmatien kennzeichnete, Bornas Dalmatien dürfte sich auf Küste und Hinterland bis
etwa Split erstreckt haben, mit Ausnahme der byzantinisch regierten Städte Iadera, Tragurium
und Spalatum. Das Hinterland zog sich wahrscheinlich bis ins Hochland vom heutigen Lika,
178 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 25, MACAN, Hrvatska povijest, 11f, vgl. Walter POHL, Das Awarenreich und die „kroatischen“ Ethnogenesen, in: Herwig WOLFRAM, Andreas SCHWARCZ (Hg.), Die Bayern und ihre Nachbarn I (Wien 1985), 293-298, hier 293ff 179 vgl. Radoslav KATIČIĆ, Die Anfänge des kroatischen Staates, in: Herwig WOLFRAM, Andreas SCHWARCZ (Hg.), Die Bayern und ihre Nachbarn I (Wien 1985), 299-314, hier 305 180 vgl. HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 44, MACAN, Hrvatska povijest, 15f 181 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 26, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 44, 60, MACAN, Hrvatska povijest, 15ff
83
denn Borna wird in den fränkischen Annalen auch als dux Guduscanorum, heute Gacka,
bezeichnet.182
Der nächste nennenswerte Fürst im Süden ist Trpimir (ca. 845 - 864), dem die arabischen
Überfälle zugute kamen. Das geschwächte Byzanz und Venedig ermöglichten ihm eine
Erstarkung des eigenen Territoriums. Er besiegt den byzantinischen Statthalter in Zadar 846
und die Bulgaren 855 im Nordosten des heutigen Bosnien. Er holt gebildete Benediktiner zu
sich, und lässt ihnen ein Kloster in Rižinice nahe Klis errichten. Obwohl sein Erbe keiner
seiner drei Söhne antrat, wurde er zum Namensgeber der kroatischen Herrscherdynastie
Trpimirovići, die bis zum Ende des 11. Jahrhunderts regieren werden. Zu seiner Zeit kann
man bereits von einem gefestigten Regierungssystem sprechen. Ihm standen Hofbeamte und
andere Würdenträger zur Seite, auch eine intakte Hofkanzlei konnte er vorweisen. Unter
seiner Regentschaft entstanden neue kroatisch besiedelte Ortschaften wie Bribir oder Knin,
zudem wurden römische Ruinen überbaut, so in Solin, Skradin, Karin oder Senj. Im Codex
aquileiensis wird Trpimir dominus genannt, weiters ist sein Name in einer Steininschrift in
Rižinice erhalten geblieben. In einer Urkunde aus dem Jahre 852 bezeichnet er sich selbst als
dux Chroatorum. Die am 4. März verfasste Überlieferung ist das älteste erhaltene Dokument
eines kroatischen Regenten und die älteste Bezeugung des Ethnikons in einheimischen
Quellen.183 In diesem sogenannten Codex diplomaticus regni Croatiae, Dalmatiae et
Slavoniae wird Trpimirs Herrschaftsgebiet als regnum Chroatorum bezeichnet.184
Auf Trpimir folgte Domagoj (864 - 876), der Sprössling einer anderen Familie. Er hatte mit
Venedig und den Arabern zu kämpfen, während sich Byzanz unter Kaiser Basileios I. die
Region um den Fluss Neretva sicherte, und 870 Dalmatien zum byzantinischen Thema
ernannte. Die Söhne von Domagoj konnte Trpimirs Sohn Zdeslav (878 - 879) mit Byzanz’
Hilfe vertreiben. Die dalmatinischen Städte unterstützten ihn, doch dessen Kooperation mit
dem Osten wurde ihm übel genommen, worauf Zdeslav nach kurzer Regentschaft gestürzt
und getötet wird.185
Fürst Branimir (879 - 892) konnte zeitweilig die Byzantiner abwehren, musste aber aufs Neue
mit Venedig kämpfen. Papst Johannes VIII. bestätigt dem Fürsten seine Regentschaft über die
kroatischen Gebiete in einem Brief vom 7. Juni 879. Branimir ist in fünf Relikten mit
Inschriften verewigt, unter anderem wird er bei Benkovac als dux Crvatorum bezeichnet.186
182 vgl. KATIČIĆ, Die Anfänge des kroatischen Staates, 300-306 183 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 27, KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove, 28f, MACAN, Hrvatska povijest, 17-20 184 vgl. KATIČIĆ, Die Anfänge des kroatischen Staates, 307 185 vgl. HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 47, MACAN, Hrvatska povijest, 20ff 186 vgl. MACAN, Hrvatska povijest, 22-27
84
Neben dem geringfügig abweichenden dux Cruatorum wurde uns aber auch dux Sclavorum
als Branimirs Titel überliefert. Diese von der Bezeichnung der Sprache abgeleitete
Benennung fand auch noch 925 Anwendung, als es bereits einen kroatischen König gab. Die
päpstliche Urkunde Codex diplomaticus spricht von Slavinorum regna in Dalmatien, weiters
von der Sclavonia oder Sclavinia terra.187
Unter Branimir als Gegner Byzanz’ etablierte sich Kroatien als dem Papst untertäniges, und
von diesem anerkanntes christliches Fürstentum. Im 8. und 9. Jahrhundert werden weitere
Bistümer wie Skradin, Dubrovnik, Kotor oder Nin gegründet. Es besteht die Möglichkeit,
dass Theodosius, der als episcopus Chroatorum in die Geschichte eingegangene Bischof von
Nin, 879 in Rom persönlich mit Method zusammentraf. Zu dem Zeitpunkt wurde das
Kroatien Branimir kirchenpolitisch Rom unterstellt, und die slawische Liturgie konnte sich im
dalmatinischen Hinterland trotz widriger Umstände etablieren.188 Auch auf dem Hof wurde
slawisch gesprochen, das belegen in lateinischer Sprache überlieferte Urkunden, in denen aber
höfische Bedienstete wie dvornik, vinotoč oder sokolar, volkssprachlich festgehalten
wurden.189
Auf Branimir folgte Fürst Muncimir, ein weiterer Sohn Trpimirs (892 - 910). Sein wohl
größtes Vermächtnis ist sein Sohn Tomislav, denn dieser wird als der erste kroatische König
in die Geschichte eingehen. Tomislav, der 925 zum König gekrönt wird, behält seine
Regentschaft bis 928 und führt die Herrschaftslinie Trpimirović fort. Er verfügte über 100.000
Fußsoldaten, eine Kavallerie von 60.000, zudem 180 Schiffe. Für die folgende Geschichte
Kroatiens leistete er Wesentliches, denn es gelang ihm, nach dem Sieg über die Ungarn, das
südliche kroatische Fürstentum mit dem Norden zu einen. Unter ihm kam es auch zur
kirchenpolitischen Vereinigung dalmatinischer Bistümer mit dem gesamten kroatischen
Herrschaftsgebiet. Dem Erzbischof von Split unterstand nun offiziell ganz Dalmatien und
Kroatien. Zudem einigte sich Tomislav mit Byzanz und übernahm die Verwaltung der
dalmatinischen Städte wie Split, Trogir und Zadar. Obwohl er Syrmien und Ostslawonien an
die Ungarn abtreten musste, besiegte er die Bulgaren Kaiser Simeons und festigte sein Gebiet
von Istrien über Bosnien bis ins heutige Montenegro (Duklja, Zahumlje), inklusive einiger
vorgelagerter Inseln.190
187 vgl. KATIČIĆ, Die Anfänge des kroatischen Staates, 307 188 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 28, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer 54, MACAN, Hrvatska povijest, 16, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 32, 47ff 189 vgl. KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove u historiji i umjetnosti, 29 190 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 29, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 56, KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove, 30, MACAN, Hrvatska povijest, 27-31, TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 33
85
Während der Regentschaft Tomislavs Nachfolger Trpimir II. (928-935) und Krešimir I. (935-
945) blieb die Lage des Königreichs im Großen und Ganzen stabil. Tomislavs Enkel Miroslav
regierte lediglich von 945 bis 949. Nach dessen Ermordung im Zuge eines Thronfolgestreits
folgte Mihajlo Krešimir II (949 - 969). Die Streitigkeiten schwächten das Reich, und Byzanz
gelang es wiederum, die Oberhand über die dalmatinischen Städte zu gewinnen, zu denen
Mihajlo Krešimir ein gutes Verhältnis hatte. Unter ihm wurde das Reich in kleinere
Regierungseinheiten unterteilt, und jeweils einem sogenannten župan unterstellt, weiters gab
es auch drei Bane mit eigenen Regionen. Sein Sohn Stjepan Držislav (969 – 997) wird unter
Kaiser Basileos II. zum Exarchen von Dalmatien ernannt, und dessen Königswürde öffentlich
anerkannt. Die Söhne Stjepan Držislavs, entfachten einen Thronfolgestreit, der wiederum zur
Schwächung und zum Zerfall des Reiches führte. Die vertriebenen Anhänger des
Thronfolgers Svetoslavs etablierten sich im Norden, wo sie aufgrund einer gemeinsamen
Verwandtschaft mit der venezianischen Familie Orseolâ von den ungarischen Arpaden
unterstützt wurden.191
Erst unter Petar Krešimir IV. (1058 - 1075) erstarkte das Reich wieder. Ihm gelang es durch
eine zeitweilige byzantinische Schwäche, die Küstenstädte zu übernehmen, die allerdings eine
gewisse autonome Regierung behielten, wie Bischof, Prior und den Rat. Unter ihm zogen
zahlreiche kroatische Siedler in die byzantinisch geprägten Siedlungsgebiete, weiters bemühte
er sich um die Entwicklung kroatischer Niederlassungen wie Nin, Biograd, Karin, Skradin
und Šibenik und ließ Klöster errichten. Einige kroatische Familien konnten nun in Städten wie
Zadar und Split Ansehen erlangen. Da der Regent kinderlos blieb, wurde der slawonische Ban
Dmitar Zvonimir aus dem Norden als Mitregent eingesetzt, ebenfalls ein Nachfahre Trpimirs.
Danach wurden einmal mehr Norden und Süden vereint. Neben Slawonien gelang es Petar
auch Bosnien, sowie das Fürstentum Neretva ins kroatische Reich einzuverleiben, wodurch es
zu seiner größten Ausdehnung gelangte. Der Mitregent übernahm schließlich den Thron
(1075 – 1089), und wurde 1076 von Papst Gregor VII. zum König gekrönt. Neben Tomislav,
der als erster kroatischer König in die Geschichte eingeht, werden Krešimir und sein
Nachfolger Zvonimir als die mächtigsten kroatischen Regenten verehrt, denen es gelang,
Kroatien und Dalmatien unter einer Krone zu vereinen.192
Dmitar Zvonimir nutzte seine guten Verhältnisse zu den Arpaden, und heiratete Helene
(Jelena), eine Schwester Gézas I. In Zeiten der Krisenzuspitzung zwischen Ost- und
Westkirche schwor der in Knin Residierende dem Papst seine Loyalität, im Gegenzug wurde
191 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 30, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 56, KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove, 30, MACAN, Hrvatska povijest, 31ff, 38 192 vgl. HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 56, MACAN, Hrvatska povijest, 38ff
86
ihm ein geeintes regnum Dalmatiae et Chroatiae zugesprochen. Dmitar förderte den Handel,
die weitere Urbanisierung sowie die Reichhaltigkeit der Klosterbibliotheken. Er versuchte
durch wirtschaftliche Maßnahmen wie Gewerbeprivilegien und kaufmännische Verträge die
Kluft zwischen dem kroatischen Hinterland und den romanisch-byzantinisch geprägten
Städten mit ihrer Vulgärlatein sprechenden Bevölkerung zu überbrücken, worauf es
zunehmend zur Assimilierung kroatischer Neusiedler mit der Stadtbevölkerung kam. Zu den
bedeutendsten Relikten der kroatischen Geschichte gehört die Steinplatte aus Baška auf Krk,
Bašćanksa ploča. Sie bezeugt Dmitar Zvonimirs Donation dem dortigen Kloster. Die Inschrift
wurde dem König zu Ehren um 1100 von den Geistlichen des Klosters im regionalen Dialekt
und in glagolitischer Schrift verfasst. Somit stellt die Steinplatte das älteste erhaltene Relikt
dar, welches einen kroatischen Herrscher in Volkssprache nennt, Zvonimir, kralj hrvatski.
Sprachwissenschaftlich ist sie von großer Bedeutung, denn sie gehört zu den wenigen
Fragmenten, aus welchen wir die damalige Sprache der Region studieren können. Dmitar
Zvonimirs Sohn verstarb früh, so hinterließ der König keinen Nachfolger.193
Stjepan II., Neffe Petar Krešimirs und letzter Nachfahre Trpimirs, trat die Thronfolge an
(1089 - 1091). Nach dessen Tod war man sich hinsichtlich des Nachfolgers nicht einig, so
befürworteten Dmitars Witwe Jelena, einige Privilegierte und die dalmatinischen Städte eine
Einsetzung des ungarischen Königs zum kroatischen Regenten. Das Reich fing an zu
zerfallen, die dalmatinischen Städte splitterten erneut ab. Im Binnenkroatien wurde Almos,
der Stiefsohn von König Laszlo I. (Ladislaus) zum Herrscher ernannt, worauf 1094 ein neues
Bistum in Zagreb entsteht.194
Diejenigen, die für eine weitere Existenz eines kroatischen Reiches waren, wählten für die
südlicheren Gebiete Petar II. Svačić zum König (1093 - 1097). Allerdings konnte er im
Kampf gegen Laszlos Sohn, den ungarischen König Kálmán (Koloman), keinen Sieg
davontragen, und nach vergeblichen kroatischen Aufständen im Jahre 1099, wurde das
offizielle Ende des autonomen kroatischen Königreiches mit der pacta conventa 1102
besiegelt. Darin bestätigt der kroatische Adel, vertreten von den Vorstehern zwölf
Geschlechter, die Herrschaft der Arpaden, im Gegenzug erhält jener Privilegien. Laut Vertrag
steht an der Spitze des neuen ungarisch-kroatischen Staatsgebildes der ungarische König, dem
wiederum ein Ban oder Herzog als Statthalter untersteht. 1102 wird Koloman in Biograd zum
kroatischen König gekrönt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt untersteht Slawonien vollständig
193 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 32f, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 56, KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove, 30f, MACAN, Hrvatska povijest, 40f 194 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 33, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 62, MACAN, Hrvatska povijest, 42f
87
dem ungarischen Einfluss, der Norden wird von Ungarn einverleibt, während der Süden im
Küstenbereich weiterhin um Autonomie kämpft und ihn umringenden Mächten ausgesetzt
ist.195
Während sich im Norden des ehemaligen kroatischen Reiches das feudalistische System
ausbreitete und eine von den Arpaden abhängige Adelsoligarchie mit eigenem Banus und
Landtag durchsetzte, etablierten sich im Süden einzelne Kleindynastien, die aus den
ehemaligen župans resultierten und eine relative Autonomie genossen. Die Macht der
Arpaden war auf lange Sicht nicht ausreichend, um sich die adriatischen Gebiete dauerhaft zu
sichern. Adelsfamilien wie die Frankopans aus Krk, die Šubićs aus Bribir oder die Kačićs aus
Omiš kämpften einerseits um ihre Vormachtstellung im Küstenbereich, hielten aber auch nach
Bedarf zusammen, so gegen die ungarische Obrigkeit oder im Zuge der tatarischen Übergriffe
1241/42. Die dalmatinischen Küstenstädte mit vorstehenden Fürsten und Bischöfen hatten
durch den byzantinischen Einfluss eigene rechtliche und administrative Systeme entwickelt,
unterschieden sich somit vom Hinterland und standen ebenso wenig hinter dem ungarischen
Regenten. Allerdings bildeten die Städte in sich keine geschlossene Einheit, zudem mussten
sie sich immer wieder Übergriffen aus dem Hinterland stellen, wodurch die Festigung der
Vormachtstellung Venedigs erleichtert wurde.196
Ende des 13. Jahrhunderts konnten sich im Hinterland die Gutsbesitzer Šubić Bribirski,
aufgrund ihrer 1347 erworbenen Burg Zrin später auch Zrinski genannt, gegen ihre
Konkurrenten durchsetzen. Pavle I. war als Banus Gebieter über den südlichen Teil des
einstigen Königreichs (1273 - 1312), mit Ausnahme des Küstengebietes, zudem unterstanden
ihm Teile Bosniens. Er bezeichnete sich selbst als „Ban von Kroatien und Dalmatien und Herr
von Bosnien“. Seine Familie war den Franziskanern gegenüber großzügig, so hinterließ,
beispielsweise, Pavao II., der Bruder des Banus, den Geistlichen in Bribir und der Kirche von
Skradin zahlreiche liturgische Werke. Letzten Endes konnte die Familie dem Druck der sie
umringenden Mächte nicht standhalten, um ihre Vormachtstellung dauerhaft zu bewahren,
denn insbesondere der römisch-byzantinischen Tradition treue städtische Würdenträger
fühlten sich von den Großgrundbesitzern im Hinterland bedroht, und verbreiteten Geschichten
über das unsittliche, habgierige Verhalten jener „selbsternannten Regenten“.197
Im Laufe des 14. Jahrhunderts wurde die Familie Šubić von Angehörigen der Anjou abgelöst.
Zu der Zeit konnten sich bis zur osmanischen Übernahme autonome bosnische Herrscher im
195 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 33, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 62, KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove, 32f, MACAN, Hrvatska povijest, 43, 45-47 196 vgl. MACAN, Hrvatska povijest, 47f, 50, 55 197 vgl. HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 75, KARAMAN, Dalmacija kroz vjekove u historiji i umjetnosti, 65, MACAN, Hrvatska povijest, 49ff, 60
88
Osten und Südosten, um das Neretva-Delta, etablieren. Das dalmatinische Hinterland war
geprägt von Kämpfen um die Vormachtstellung seitens der bosnischen Regenten, Aufständen
der kroatischen Adeligen und entsprechenden ungarischen Gegenmaßnahmen. Entlang der
Küste gelang es Venedig, sich trotz zwischenzeitlicher Niederlagen gegen König Ludwig von
Ungarn in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, letztlich zu behaupten. Ungarn war durch
das osmanische Vordringen geschwächt, weshalb es die eroberten Städte zu Beginn des 15.
Jahrhunderts wieder an Venedig abtrat. Venedig war allerdings ab nun gezwungen, mit den
Osmanen um die Adria zu ringen. Auch das aus einer Fluchtsiedlung vor awarischen und
slawischen Stämmen im 7. Jahrhundert entstandene Dubrovnik musste zahlreiche Angriffe
und Eroberungsversuche überstehen, dennoch war es im Stande, seine Autonomie durch
taktische Beziehungen zu den jeweils Machthabenden zu erhalten, und bis zum 15.
Jahrhundert sein Territorium zu erweitern.198
Was die Kirchenpolitik betrifft, so wurden nach dem Untergang der kroatischen
Herrscherdynastie weitere Bistümer auf dalmatinischem Boden gegründet, beispielsweise
Hvar um 1145 oder 1296 Šibenik. Die dalmatinischen Städte bewahrten sich ihre
kirchenpolitische Identität, und obwohl lange nicht mehr politisch kroatisch, hatte der
Erzbischof von Split, beispielsweise, wenn auch rein formell, nach wie vor den Titel „Primas
Dalmatiae totiusque Croatiae“.199
8.3 Kroatische Stammeswerdung
Es ist weder möglich, einen eindeutigen „Ursprung“ eines Volkes festzulegen, noch ist es
realistisch, von einer „ethnischen Reinheit“ auszugehen. Nicht nur wandernde
Menschgruppen brachten gewisse strukturelle Eigenschaften mit sich, auch Regionen, die
bereits von anderen Kollektiven bewohnt wurden, wiesen politische und soziale Strukturen
auf. Diese konnten von den Ankömmlingen verworfen, angenommen oder mit ihren eigenen
Strukturen kombiniert werden. Teile von Gemeinschaften oder solche in ihrer Ganzheit
verließen im Laufe der Geschichte ihre Heimatregionen, nahmen unterwegs auch andere
Ziehende mit sich, besiedelten neue Territorien, und gelangten dadurch zu neuen Einflüssen.
Mitunter kam es darauf zu Assimilationen mit Altsiedlern, und irgendwann – oftmals von
anderen – erhielten sie einen bleibenden Namen und wurden somit zum Stamm. Das
198 vgl. HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 87, 89, MACAN, Hrvatska povijest, 50, 60-63 199 vgl. TROGRLIĆ, Bischofsernennungen in Dalmatien, 37-41, 45
89
Territorium des heutigen Kroatien wurde in der Antike unter anderem von Illyrern und Kelten
bewohnt, die dalmatinische Küste, in der Region Split und vorgelagerte Inseln, von Griechen.
Folgend kamen die Römer und assimilierten bald das gesamte Gebiet. Von antiken ethnischen
Gruppen blieben uns viele geographische Bezeichnungen erhalten, so bekam Dalmatien
seinen Namen von den Römern nach den dort lebenden Delmaten, die Griechen tauften,
beispielsweise, die Inseln Hvar und Vis – Pharos und Issa. Die jeweiligen
Bevölkerungsgruppen Dalmatiens hinterließen alle ihre Spuren, prägten die Region auf ihre
Weise oder gingen in anderen auf.200
Mit dem allmählichen Zerfall des Römischen Reiches drangen zahlreiche Stämme in die
römischen Gebiete, die Awaren konnten sich im pannonischen Raum etablieren, und
versuchten, ihr Territorium Richtung Südosten auszudehnen. Der Eroberungszug nach
Thessalonike und Konstantinopel 626 bleibt schließlich ohne Erfolg, allerdings gelangen
dadurch slawische Stämme in die adriatische Küstenregion. Nach genauer Betrachtung
entsteht der Eindruck, als hätten sich slawische Teile eines awarischen „Vielvölkerkollektivs“
allmählich abgespalten. Genau in diese Zeit wird die slawische Ethnogenese im
dalmatinischen Raum angesiedelt, deren Struktur ab nun allmählich mit der bereits
bestehenden Kultur verschmelzen wird.201 Sowohl die Städte als auch die Bevölkerung
Küstendalmatiens trugen einen römischen Kern in sich, so unterschieden sie sich zunächst
von der slawisierten Umgebung. Die Städte hatten ihre eigenen Statute und Gesetze, nach
römischer Sitte wurde man zum Bürger einer Stadt, wenn man ihre Regeln befolgte.202
614 zerstörten die ankommenden awarischen und slawischen Stämme das romanisch-
christlich geprägte Salona. Es wurde uns überliefert, dass der aus Salona stammende Papst
Johannes IV. mit jenen Eroberern zu tun hatte. In den Vitae Romanorum pontificum wird
berichtet, dass Abt Martin 641 im Auftrag des Papstes von heidnischen Slawen Reliquien und
christliche Sklaven wieder abkaufen sollte, welche jene im Zuge der Eroberung aus Salona
entwendet hatten. Daraus können wir schließen, dass die Stämme von damals in der Region
geblieben waren. Von Porphyrogennetos erfahren wir, wie Kroaten und Serben offenbar als
Sicherung gegen die Awaren im Auftrag von Kaiser Herakleios in ihre neue Heimat kamen.
Allerdings berichtete er erst im 10. Jahrhundert von diesen Ereignissen. Zwischen der
slawischen Ankunft und der byzantinischen Quelle liegen lediglich einige steinerne
Inschriften und Urkunden als Beweise einer „kroatischen“ Existenz vor, wie jene Kollektive
vom „slawischen Stamm“ zum „kroatischen Volk“ wurden, müssen wir rekonstruieren.
200 vgl. BAUER, Drei Leopardenköpfe in Gold, 14, MACAN, Hrvatska povijest, 7f 201 vgl. POHL, Das Awarenreich und die „kroatischen“ Ethnogenesen, 293 202 vgl. VRANDEČIĆ, Nacionalne ideologije u Dalmaciji, 78
90
Neben „De administrando imperio“ gehören „Das Königreich der Slawen“ aus dem
„Ljetopis Popa Dukljanina“ und die „Historia salonitana“ von Erzdiakon Thomas zu den
ältesten Quellen des kroatischen Mittelalters. Es ist anzunehmen, dass die kroatische
Volkswerdung mit dem Untergang der Awaren zu tun hatte. Erst mit dem Verschwinden jenes
Stammes finden wir kroatische gentile Einheiten. Abgesehen von ihrem Eigennamen, haben
die Kroaten möglicher Weise auch ihren Fürstentitel Ban, vom Awarenkhagan Baian
abgeleitet, als awarisches Erbe mit auf den Weg bekommen.203
Bis jetzt konnte nicht eindeutig geklärt werden, woher die Kroaten ihr Ethnikon erhielten, es
besteht die Vermutung, dass es aus dem Awarischen stammte und zunächst ein Statthaltertitel
oder eine Reiterkriegerbezeichnung war.204 Womöglich war es eine soziale Bezeichnung einer
awarischen, reiternomadischen Führungsschicht, „die sich im Verlauf des 7. und 8.
Jahrhunderts mit dem slawischen Adel vermischte und dabei ihre Sprache aufgab.“205 Die
Eigennamen Horόathos und Horúathos sind in zwei griechischen Inschriften erhalten
geblieben, zudem existierten bis ins fortgeschrittene Mittelalter slawische Regionen außerhalb
des mittelalterlichen Kroatiens, so in Russland, Polen und Tschechien, welche das Ethnikon
in ihrer geographischen Bezeichnung beinhalteten, beispielsweise Velika Hrvatska oder Bijela
Hrvatska.206 Chrobatos als männlicher Eigenname wurde uns, wie zuvor erwähnt, von
Porphyrogennetos überliefert, er berichtete auch von den Weißkroaten, die nördlich der
Karpaten ansässig waren. Von einem Kuvrat, der 635 gegen die Awaren zog, erzählt Patriarch
Nikephoros zu Beginn des 9. Jahrhunderts. Als das Ethnikon ab 800 langsam Fuß fasst,
werden die Kroaten nicht ausschließlich so bezeichnet. Für die Franken war der kroatische
Fürst der dux Dalmatiae atque Liburniae, Gottschalk von Sachsen, der am Hof von Fürst
Trpimir lebte, nennt jene Gemeinschaft Dalmatini. Im folgenden Jahrhundert belegt die
Gründungsurkunde des Prager Bistums zwei kroatische Stämme, und im russischen Raum
werden Kroaten durch eine Chronik in Pruth und Dnjestr lokalisiert. Als geographische
Bezeichnung findet man das Ethnikon ab dem fortgeschrittenen 10. Jahrhundert auch im
ehemals karantanischen Raum, so den Kärntner Kroatengau.207 Die päpstliche Urkunde von
925 greift auf die übergreifende Bezeichnung Sclavi zurück. Man könnte sagen, dass die
bezeichnete gens für Außenstehende zunächst der Sprache nach zur Familie der Sclavinia, in
203 vgl. Neven BUDAK, Tumačenje podrijetla i najstarije povijesti Hrvata u djelima srednjovjekovnih pisaca, in: DERS. (Hg.), Etnogeneza Hrvata (Zagreb 1995) 73-78, hier 73, HÖSCH, Geschichte der Balkanländer, 38, KATIČIĆ, Die Anfänge des kroatischen Staates, 310, POHL, Das Awarenreich und die „kroatischen“ Ethnogenesen, 293ff 204 vgl. POHL, Das Awarenreich und die „kroatischen“ Ethnogenesen, 293f, 298 205 Otto KRONSTEINER, aus: POHL, Das Awarenreich und die „kroatischen“ Ethnogenesen, 297 206 vgl. MACAN, Hrvatska povijest, 11 207 vgl. POHL, Das Awarenreich und die „kroatischen“ Ethnogenesen, 294f
91
weiterer Folge zur kroatischen Untergruppe gehörte, somit entspräche deren Anführer der
Titel dux gentis Sclavorum Chroatorum. Der Sachse Gottschalk unterschied in seinen
Aufzeichnungen weiters zwischen den slawischen Dalmatini und der städtischen
Bevölkerung, den Latini Graecorum imperio subiecti. Die fränkischen Annalen sehen hier
ebenfalls verschiedene Bevölkerungsschichten, die Romani und die Sclavi.208
Einer Stammeswerdung, beziehungsweise, einer Rechtfertigung für die Herrschaft liegt eine
Stammessage zu Grunde. Im Falle des kroatischen Traditionskerns wurden uns leider keine
selbst verfassten Herkunftsgeschichten überliefert. Die Aufzeichnung Porphyrogennetos’
weist sagenhafte Züge auf, es ist möglich, dass er ihm Berichtetes niederschrieb, und dieses
Berichtete, seit Jahrzehnten von einer Generation zur nächsten weitergegeben worden war.
Auffällig sind die fünf Brüder der Chrobatos, wobei einer von ihnen wiederum Chrobatos
heißt. Die Zahl fünf ist in einigen Stammesmythen zu finden, auch bei der bulgarischen
Herkunftsgeschichte gibt es fünf Brüder. Pohl spricht von einer „gemeinsamen
kosmologischen Vorstellung bei Nomadenvölkern“209, wobei mit der Zahl ein Zentrum und
die vier Himmelsrichtungen symbolisiert werden. „Das Fünf-Brüder-Motiv ist (...) die
mythologische Projektion einer im Awarenreich und im südrussischen Raum unter
Reiternomaden üblichen rituellen Raumaufteilung“210. So wird ein größerer Stamm in fünf
kleinere gespalten, und jeder zieht mit seinem Anführer in eine eigene Richtung. Dies würde
erklären, warum man kroatische geographische Bezeichnungen von Deutschland bis Russland
und Griechenland vorfinden konnte. Die gemeinsame Überwindung von Schwierigkeiten, wie
landschaftliche Hindernisse oder kriegerische Auseinandersetzungen, stärkt das
Zusammengehörigkeitsgefühl, solch ein einschneidendes Erlebnis wäre im Falle der Kroaten
der Aufstand gegen die Awaren. Als das awarische Reich schließlich untergegangen war,
hätte sich – sofern wir von einer Titelfunktion des späteren Ethnikons ausgehen – der Titel
eines abtrünnigen Stammesanführers auf die gesamte gentile Einheit übertragen lassen.211 Der
Name des Anführers wird an die gesamte gens weitergegeben, und mit der Wahrnehmung der
Außenwelt und durch schriftliches Festhalten einer Herkunftsgeschichte, eines
Traditionskerns, der von Generation zu Generation fortbesteht, wird das Volk als Einheit
zusammengehalten.212
Die Anfänge einer slawischen Stammeswerdung im heute kroatischen Raum weisen
awarische Züge auf. Die Termini ban oder župan haben wahrscheinlich einen turksprachigen
208 vgl. KATIČIĆ, Die Anfänge des kroatischen Staates, 307f 209 POHL, Das Awarenreich und die „kroatischen“ Ethnogenesen, 295 210 ebd., 296 211 vgl. ebd., 295f, 298 212 vgl. WOLFRAM, Auf der Suche nach den Ursprüngen, 16-19
92
Ursprung. Das im awarischen Stammesverband verbreitete Slawische blieb dem kroatischen
Stamm erhalten, was man vor allem aus den ältesten kroatischen Ortsbezeichnungen
schließen kann. Nach ihrer Loslösung von den Awaren haben die „Protokroaten“ zunächst als
von der Steuer befreite, heidnische „Föderaten“ des byzantinischen Reiches gelebt, und als
Abwehrpuffer zu den awarischen Stämmen gedient. Das kroatische Fürstentum wurde
schließlich nach altbewährter, römischer Tradition strukturiert. Die in der neu besiedelten
Region etablierte Regierungstradition wurde an die neuen Siedler vererbt. Den deklarierten
populus als politische Einheit führte sein dux an, dieser entsprang wiederum einer aus einer
Heerestradition entsprungenen Herrschaftsfolge, welche die Regentschaft legitimierte. Nun
wurde auch die christliche Komponente der angrenzenden Großreiche einverleibt, denn für
ein legitimes, traditionelles Stammesfürstentum war die Zugehörigkeit zum Christentum eine
Notwendigkeit. Ein Föderatenvertrag zwischen dem byzantinischen Reich und den
dalmatinischen Slawen in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts sicherte den
verfassungsmäßigen Fortbestand des kroatischen Ethnikons innerhalb des Stammesverbandes
bis in die Karolinger Zeit.213 Die kroatische gens hatte schließlich eine kroatische patria mit
einem kroatischen dux erhalten, und konnte sich mit dieser Herrschaftsgrundlage – zumindest
für einige Zeit – als selbstständiges Herrschaftsgebiet zwischen den Großmächten in Ost und
West behaupten.
8.4 Konstruktion einer nationalen Identität
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung
mit dem Phänomen Nationalismus, dabei wurden seine wesentlichen Merkmale definiert:
„das von der Nation besessene oder beanspruchte Territorium, kulturelle Charakteristika wie
Sprache, Sitte und Gewohnheiten, Literatur (...), unabhängige (souveräne) Regierung oder
Wunsch danach (Nationalstaatsprinzip), Glaube an eine gemeinsame Geschichte (die
erfunden sein kann) und an gemeinsamen Ursprung, Liebe und Achtung für Angehörige der
gleichen Nation (...), Stolz auf die Leistungen der Nation, besonders die kriegerischen (...),
Geringschätzung oder Feindschaft für andere, vergleichbare Gruppen, insbesondere, wenn
diese die nationale Existenz zu bedrohen scheinen, Hoffnung auf eine große und glorreiche
213 vgl. KATIČIĆ, Die Anfänge des kroatischen Staates, 308-312
93
Zukunft der Nation.“214 In seiner Arbeit zu Dalmatien in der Zwischenkriegszeit geht
Aleksandar Jakir ebenso auf den Nationalismus ein. Bezugnehmend auf Bruckmüller u. a.
spricht er von einer Notwendigkeit dieser „emotionalen Massenmobilisierung“ und
„Gruppenidentifikation mit Ausschließlichkeitsanspruch“, vor allem dann „wenn eine
Gesellschaft unter Modernisierungsdruck gerät“.215
Sämtliche oben genannten Charakteristika des Nationalismus entsprechen der
vorherrschenden politischen und gesellschaftlichen Ideologie im Kroatien und Dalmatien des
fortgeschrittenen 19. Jahrhunderts, und der „Modernisierungsdruck“ war spätestens ab 1848
in der gesamten Monarchie vorzufinden. Zudem liegt es offenbar in der Natur des Menschen,
etwas umso mehr zu wollen, je schwieriger es zu erlangen ist. So sehr die äußeren Umstände
Kroatien sein beanspruchtes Territorium nicht gestatteten, umso emotionaler wurde sein
Verlangen danach. Die gemeinsame Sprache und Religion waren die wesentlichen einenden
Faktoren, untermauert wurde die Gruppenidentifikation durch den überlieferten gemeinsamen
Ursprung. Die Erinnerung an die Vergangenheit trugen die Traditionskerne in sich, auch
nachdem das kroatische Königreich bereits zerfallen war. Die Adelsfamilien gemeinsam mit
den Geistlichen ließen das Kroatentum nicht sterben, in literarischer Form verewigten einige
Intellektuelle die „gemeinsame Vergangenheit“ und werteten die Herkunftsgeschichte durch
Heldentaten und Protagonisten auf. Das einfache, ungebildete Volk, beeinflusst durch die
Geistlichkeit, trug die verklärte Geschichte in Form von mündlicher Überlieferungen von
einer Generation zur nächsten, bis das menschliche Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit zur
gegebenen Zeit zur Massenbewegung und allgemein vorherrschenden Ideologie wurde. Die
Ereignisse aus Antike und Mittelalter missbrauchte man, um diese neue Ideologie zu
rechtfertigen, und ihr eine immerwährende, mystische Gewichtung zu verleihen. Doch weder
die antiken noch die mittelalterlichen Regierungseinheiten dachten zu ihrer Zeit in uns heute
vertrauten nationalen Maßstäben.216
Die Sprache diente zu Beginn als hervorstechendes Unterscheidungsmerkmal gegenüber
anderen Gruppierungen. Sobald die ehemals heidnische Stammesformation zu einem
christlichen, die römischen Regierungsnormen achtenden, Stammesfürstentum mit Anführer
geworden war, wurde sie auch von ihrer Umgebung als Staatsgebilde wahrgenommen. Die
214 Walter SCHLESINGER, Die Entstehung der Nationen. Gedanken zu einem Forschungsprogramm, in: Helmut BEUMANN, Werner SCHRÖDER (Hg.), Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Ergebnisse der Marburger Rundgespräche 1972-1975 (= Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter, Bd. I, Sigmaringen 1978) 11-62, hier 57 215 vgl. Aleksandar JAKIR, Dalmatien zwischen den Weltkriegen. Agrarische und urbane Lebenswelt und das Scheitern der jugoslawischen Integration (= Südosteuropäische Arbeiten für das Südost-Institut München, 104, München 1999) 51, Anm. 42 216 vgl. SCHLESINGER, Die Entstehung der Nationen, 17
94
ethnische Einheit formierte sich politisch zum Volk, und konnte durch ihren Anführer mit
anderen Völkern Verträge abschließen, ihr Territorium bevölkern und Kriege führen. Intern
hatte sie eine Eigenbezeichnung, die sich langsam auch gegen die auf die Sprache bezogene,
verallgemeinernde Fremdbezeichnung durchsetzte. Durch die Hinwendung zur päpstlichen
Oberhoheit konnte sich das kroatische Fürstentum letztlich auch als Königreich etablieren. So
wurde der Stamm zum Volk, das Volk zum Königreich. Dieses Königreich war dennoch
keine ethnische oder kulturelle Einheit, wie man es Jahrhunderte später gerne gesehen hätte.
Im beanspruchten Territorium herrschte von Beginn an eine ethnische Inhomogenität, denn
die begehrten Städte waren im Laufe ihrer Geschichte unterschiedlichen Einflüssen
ausgesetzt. Je nach vorherrschender Oberhoheit wurden sie entsprechend geprägt, nahmen
neue kulturelle Züge auf. Die umliegende Landbevölkerung konnte nur allmählich auch in
den Städten Fuß fassen. Das Hinterland fungierte als Kulturträger der untergegangenen
kroatischen Königsdynastie, Sprache und Tradition jenes Reiches blieben außerhalb der
multikulturellen Städte erhalten.
Mit der Zeit wurde der Stadt-Land-Gegensatz durch die wachsende Intelligenzschicht der
städtischen Bevölkerung verstärkt. Das einfache Volk hatte keinen Zugang zur Bildung, also
wurde das „Einheimische“ Synonym für Rückständigkeit. Nur vereinzelte Intellektuelle
hatten das Bedürfnis, diese Barriere zu überwinden, und griffen in ihrer Tätigkeit auch zur
Sprache der ländlichen Bevölkerung. Als Gegenbewegung zur Stadt-Land-Kluft besinnte man
sich, beeinflusst durch die Romantik, auf Heimatliebe, Ursprung und Wurzeln. Die
wachsende Anzahl slawisch sprechender Stadtbevölkerung und der Einsatz der Geistlichkeit
unterstützten diese Entwicklung. In ihrer Tätigkeit standen die geistigen Führer stets in
Kontakt mit der Landbevölkerung, gemeinsam bewahrten sie die „Erinnerung“ an ihr
Kroatentum. Die eigene Sprache diente als Abgrenzung Anderssprachigen gegenüber, zur
Selbstdefinition, und zur Stärkung des „Solidaritätsbewusstseins nach innen hin, das (...)
durch gemeinsames geschichtliches Schicksal erzeugt, zugleich aber eine gemeinsame
geschichtliche Zukunft zu formen gewillt ist.“217
Die Eigenbezeichnung überdauerte schließlich die Zeit, blieb als Identität erhalten. Obwohl
eine Bevölkerung selbst fortwährend im Wandel ist, und stets „fremden“ Einflüssen
ausgesetzt ist, stellt der eigene Name die Kontinuität dar, auf die man sich später berufen
kann.218 Auch nach dem Untergang des kroatischen Königshauses gab es Adelsfamilien, die
217 vgl. SCHLESINGER, Die Entstehung der Nationen, 22 218 vgl. Walter POHL, Identität und Widerspruch. Gedanken zu einer Sinngeschichte des Frühmittelalters, in: DERS. (Hg.), Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters (= Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 8, Wien 2004) 31
95
sich in der Folgezeit als Regenten zu behaupten versuchten. Sie entsprangen der kroatischen
Tradition, hielten sich durch die Fremdregierung der Städte vor allem im Hinterland auf, und
hatten ebenfalls engen Kontakt zu Bevölkerung und Geistlichkeit. Diese Männer tradierten
das Erbe des untergegangenen kroatischen Reichs, und trugen dazu bei, dass die
Vergangenheit nicht vergessen wurde. Durch die osmanische Bedrohung konnten sie sich
heldenhaft für ihre Heimat einsetzen, was unter dem Volk schnell zur romantisierter
Mythenbildung führte. Kroatischer Adel, katholische Geistlichkeit und die einfache
Landbevölkerung standen im Gegensatz zum nicht-christlichen Feind, und trachteten nach der
Einnahme der polyethnischen, mehrsprachigen Städte.
Mit der aufkeimenden Illyrischen Bewegung galt es nun, die Gegensätze zu vereinen, und aus
dem Gegebenen eine einheitliche kroatische Nation zu konstruieren. Kroatien besinnte sich
der „guten alten Zeit“, als Dalmatien vereint mit seinem „Mutterland“ gewesen war. Dabei
wurden wesentliche Fakten einfach außer Acht gelassen. Schon zu Beginn der registrierten
kroatischen Geschichte, waren Norden und Süden nicht vereint, mitunter standen ihre
Regenten sogar auf verschiedenen Seiten. Unbeachtet blieb die, historisch betrachtet, relativ
kurze Existenz einer kroatischen Dynastie, die Unbeständigkeit einstiger territorialer Grenzen,
sowie die Abhängigkeit von den umgebenden Machthabenden. Die größeren dalmatinischen
Städte waren stets von anderen Sprachen und Kulturen geprägt, waren nie „rein kroatisch“,
und nur wenige Jahre unter einem kroatischen Regenten. Vielmehr strebten sie danach,
autonome Einheiten zu werden, so wie dies Dubrovnik gelungen war. Weiters gab es noch die
serbisch-stämmige, orthodoxe Bevölkerung, die zu Beginn der nationalen Bewegung durch
die Zusammenarbeit der geistlichen Führenden zunächst keinen gröberen Störfaktor für die
kroatische Nationalideologie darstellte. Doch mit dem Erwachen des serbischen
Nationalismus, gab es eine weitere „Unreinheit“, die die Durchsetzung einer einheitlichen,
nationalen Verwaltungseinheit erschwerte.
Einige wenige, stark vereinfacht dargestellte Auszüge aus der regionalen Geschichte wurden
herangezogen, um den Anspruch auf ein nationales Staatsgebilde und territoriale
Zusammenfügung zu erheben. Vor allem die Tatsache, dass es einst ein kroatisches
Königreich mit kroatischen Herrschern gegeben hatte, war ausschlaggebend. Dem zugute kam
das in der ländlichen Bevölkerung erhalten gebliebene Kroatentum, und die von Generation
zu Generation weitergegebene „Erinnerung“ an frühere Zeiten. Als Grundlage der völkischen
Zusammengehörigkeit diente neben dem Glauben die eigene Sprache, die nun als Träger des
Erbes und der Kultur fungierte. Ende des 18. Jahrhunderts trug die romantische Verklärung,
und Vertreter wie Herder maßgeblich zur Verbreitung dieses Kultur- und
96
Sprachnationalismus bei.219 Die Geistlichkeit übernahm eine politische Rolle und bemühte
sich, nationales Gedankengut in der ländlichen Bevölkerung zu formen. Das, was bereits als
„Erinnerung“ vorhanden war, glorifizierte man und verarbeitete es in heimatliebenden Texten.
Man lehrte das einfache Volk, stolz auf seine Herkunft und seine einstigen Führer zu sein.
9. Zusammenfassung
1797 wird das venezianische Dalmatien Österreich zugesprochen. Die dalmatinische
Bevölkerung ist der neuen Herrschaft nahezu ausnahmslos zugetan, so verläuft der Wechsel
friedlich. Durch die insbesondere bei der Landbevölkerung im Hinterland der Küstenstädte
vorherrschende christlich-konservative Einstellung kann man sich im Allgemeinen mit dem
Kaisertum identifizieren, sowohl von der katholischen, als auch von der orthodoxen Seite. Die
gebildete Geistlichkeit sorgte dafür, den Patriotismus der ländlichen Bevölkerung für
politische Zwecke zu mobilisieren. Um einer eventuellen französischen Übernahme
vorzubeugen, bemühten sich Franziskaner, das Volk zu belehren, es an die kroatischen
Wurzeln zu erinnern, und ihre Liebe zur Heimat und zum Eigenen zu erwecken. Durch das
dalmatinische Kroatentum und die kroatisch-ungarischen Begehren beeinflusst, wurde auch in
Dalmatien der Wunsch nach einem Anschluss an Kroatien laut. In den Städten gab es
lediglich Vereinzelte, die mit der neuen demokratischen Regierung Venedigs sympathisierten.
Venedigs Vorherrschaft war man gewohnt, doch das französische Regime konnte in
Dalmatien nicht Anklang finden. Das traditionelle, katholische Österreich, zu dem auch
Ungarn, Kroatien und andere Slawen gehörten, passte vielmehr zur eigenen Identität, auch die
orthodoxe Minderheit bildete dabei keine Ausnahme. In der kurzen Phase der ersten
österreichischen Regentschaft kann sich in Dalmatien folglich eine ideologische
Hauptströmung durchsetzen, die durch die ungarisch-kroatische Geschichte bedingte
christliche Kaisertreue. Die Franziskaner trugen dazu bei, mittels historischer Überlieferungen
und belehrender Texte das in der Bevölkerung schlummernde Kroatentum zu festigen. Diese
Einstellung wurde auch während des französischen Intermezzos beibehalten, wenn nicht noch
verstärkt. Das zuvor Befürchtete trat tatsächlich ein, und es stellte sich heraus, dass die breite
219 Andreja ZORIĆ, Nationsbildung als „kulturelle Lüge“. Eine vergleichende Untersuchung zur kroatischen und tschechischen nationalen „Wiedergeburtsbewegung“ des 19. Jahrhunderts (= Slavistische Beiträge, Bd. 445, München 2005) 36-40
97
Bevölkerung nicht gewillt war, sich der neuen Regierung zu fügen. Und obwohl es auch zu
positiven Veränderungen kam, hielt man am Altbewährten fest.
Die Grundsätze der Französischen Revolution konnten sich in Dalmatien kaum etablieren,
allerdings gelang dies in Kroatien, wo Intellektuelle begannen, ihre eigene nationale Ideologie
zu konstruieren. Diese Tendenz mündete im Illyrismus, der kroatischen nationalen
Wiedergeburt, die ihren Höhepunkt in den 1830ern erlebte. Nach und nach erfasste diese
Bewegung auch das dalmatinische Territorium, welche dort, aufgrund der weitaus
inhomogeneren Bevölkerungsstruktur, zu einer ersten sprachlich-kulturellen Spaltung führte.
Die Küstenstädte waren Jahrhunderte lang anderen Einflüssen als das Hinterland ausgesetzt
gewesen, so war die städtische Bevölkerung vornehmlich dem italienischen Kulturgut
zugetan, im Hinterland fühlte man sich dem Slawischen und Kroatischen zugehörig. Ab den
1840ern kann man auch in Dalmatien illyristisches und panslawistisches Streben vernehmen.
Dabei gibt es allerdings keine eindeutige Trennung zwischen diesen Ideologien, auch ist der
Illyrismus nicht immer ausschließlich auf das Kroatentum bezogen. Je nach Intention der
Fürsprecher ist der Illyrismus kroatisch-national oder in süd- bis panslawistischer Weise
ausgelegt, alle illyristischen Strömungen wollen sich allerdings von der italienischen,
beziehungsweise ungarischen, Vorherrschaft abgrenzen und durch den Kampf für die eigene
Sprache mehr Autonomie erlangen.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erfuhr Dalmatien einen publizistischen Aufschwung, die
herausgegebenen Blätter waren durchwegs politisch gefärbt. Darin konnte die inzwischen
angewachsene Intelligenz Stellung nehmen und sich für ihre Ambitionen einsetzen. Der
slawisch-italienische sprachliche Gegensatz mündete angeregt durch die revolutionäre
Stimmung in zwei politischen Lagern: das slawisch-kroatische setzte sich vorwiegend für eine
Annexion mit Kroatien ein, die italienisch geprägte Schicht war für eine dalmatinische
Autonomie und beharrte auf dem dalmatinischen Regionalismus, vor allem, um ihre
Privilegien innerhalb der Monarchie beizubehalten. Die Annexionisten und die Autonomisten
stellten folgend den größten ideologischen Gegensatz dar, zudem teilten sich die letzteren in
Slawo- und Italodalmatiner. Anders als beim Slawentum und entsprechend der römischen
Tradition hatten auf der italienischen Seite weder der Name noch die Abstammung eine
größere Bedeutung. Geborene Slawen konnten sich demnach jederzeit zur italianità
bekennen, sofern sie über die entsprechende Bildung und politische Überzeugung verfügten.
Nach der relativ ereignislosen neoabsolutistischen Phase erblühte Dalmatien mit Beginn der
1860er politisch. Parteien wurden gegründet, und im Zuge der Landtags- und
Gemeindewahlen kam es immer wieder zu turbulenten Auseinandersetzungen. Angelehnt an
98
das politische Geschehen in Kroatien mündete die annexionistische Bewegung in der
Volkspartei (Narodna stranka), die in Opposition zu den Autonomisten stand. Zu den
sogenannten Narodnjaci gehörten sowohl dalmatinische Kroaten als auch dalmatinische
Serben. Die stärksten Befürworter der Annexion waren zu dem Zeitpunkt Dubrovnik und
Kotor, obwohl es in der Bucht von Kotor eine orthodoxe Mehrheit gab. Diese fühlte sich
jedoch dem Slawentum zugehörig. Bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts arbeitete die
christliche Geistlichkeit in Dalmatien stets zusammen, und war gemeinsam daran beteiligt,
eine Annexion mit Kroatien zu erlangen. Während sich das Kroatentum im Laufe der 1860er
zunehmend abgrenzte und durchsetzte, verstärkte sich mit dem Krieg 1866 die Antipathie
gegenüber italienischen Dalmatinern. Dennoch gelang es der Regierung durch entsprechendes
Eingreifen, die autonomistische Dominanz zu fördern, um ihre eigenen Interessen zu wahren.
Im folgenden Jahrzehnt konnte der politische Umschwung jedoch nicht mehr aufgehalten
werden. Der Nationalismus setzte sich als stärkste Ideologie durch, und das vom kroatischen
Nationalismus geleitete Lager konnte Oberhand gewinnen. Eine neue Generation an
Intellektuellen war herangewachsen, diese hatte von der allmählichen Emanzipation der
kroatischen Sprache während ihrer Ausbildung profitiert, und war dementsprechend
patriotisch. Nach und nach wurden die Städte „kroatisiert“ und das Kroatische verdrängte
sukzessive das Italienische aus dem öffentlichen Leben. Das Kroatentum stand nun in
Opposition zur serbischen Minderheit, und den italienischen „Eindringlingen“. Der serbische
Nationalismus erfasste die orthodoxe Bevölkerung, und spiegelte sich in der dalmatinischen
Parteilandschaft wieder. Die Kluft zwischen dem Kroaten- und dem Serbentum, dem
kroatischen Katholizismus und der serbischen Orthodoxie, begann zu wachsen. Bei all den
politisch-philosophischen Varianten eines Selbstverständnisses ging der Nationalismus als
stärkste Kraft hervor. Übrig blieben schlicht Kroaten, Serben und Italiener. Die Ersteren
konnten diesen Gegensatz letztlich bis zur Gegenwart nicht überwinden.
Im Zuge der Aufarbeitung der kroatischen Stammeswerdung konnte verdeutlicht werden, dass
jegliche Berufung auf einen „völkischen Ursprung“ aus geisteswissenschaftlicher Sicht
untragbar ist. Auch ist das von Kroatien und folglich Dalmatien geforderte „historische
Staatsrecht“ nicht mit der historischen Überlieferung vereinbar. Den Nationalismus muss man
als ein menschliches Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu etwas Größerem verstehen, ähnlich
einer Religion. Gemeinsamkeiten wie Sprache und die gentile memoria fungieren dabei als
einende Kraft unter einem gemeinsamen Namen. Träger des Kroatentums waren die
dokumentierten Herrscher, nach ihnen übernahmen die Adelsfamilien die Rolle des
Traditionskerns. Der kroatische Adel und die katholische Geistlichkeit standen in Verbindung
99
mit der einfachen Landbevölkerung des dalmatinischen Hinterlands, wo sich das vom
Mutterland Kroatien getrennte Dalmatien seine kroatische Identität erhalten konnte.
Unbeachtet blieb im 19. Jahrhundert die Tatsache, dass bereits zu Beginn der kroatischen
Geschichte – ähnlich wie auch noch unter Österreich – die Städte relativ autonome,
multikulturelle Einheiten waren. Demnach musste die dalmatinische Nationalideologie die
Städte für sich gewinnen, um sich absolut durchzusetzen. Durch den Einzug der kroatischen
Sprache in sämtliche Bereiche des öffentlichen dalmatinischen Lebens, und der
entsprechenden Bildung heranwachsender Generationen gelang dies schließlich.
Ein weiterer, äußerst spannender Gesichtspunkt der hier bearbeiteten Problematik ist der
soziologisch-psychologische. Das Bedürfnis des Menschen nach völkischer, nationaler
Zugehörigkeit und seine Suche nach historischer Legitimation konnten im Rahmen dieser
Arbeit nicht berücksichtigt werden, allerdings bieten diese Aspekte interessante
Möglichkeiten für zukünftige Forschungsansätze.
100
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Abstract
Die vorliegende Arbeit untersucht den politischen Wandel des österreichischen Dalmatien,
dessen Ideologien und Identitätskonstrukte. Dalmatiens Küste und Hinterland waren
unterschiedlichen Mächten ausgesetzt, folgend etablierten sich zwei differenzierte
Bevölkerungsschichten, das christlich-traditionelle Bauerntum, und das venezianisch geprägte
städtische Bürgertum. Während Kroatien mit dem Illyrismus seine nationale Wiedergeburt
erlebte, befassten sich wenige dalmatinische Intellektuelle mit süd- und panslawistischen
Ideen. Kroatien erhob Anspruch auf sein einstiges Territorium, Dalmatien war diesbezüglich
zunächst zweigeteilt. Dabei gingen Autonomisten und Annexionisten hervor, die sich in der
späteren Parteilandschaft wiederfanden. Die annexionistische Narodna stranka stand in
Opposition zu den vornehmlich der italienischen Kultur zugehörigen Autonomisten. Im
letzten Jahrhundertviertel etablierte sich der Nationalismus als dominierende Ideologie, das
Kroatentum stand nun im Gegensatz zur serbisch-orthodoxen Minderheit. Die
immerwährende Forderung nach Annexion blieb bis zum Weltkrieg unerfüllt.
Die Entstehung des Kroatentums und dessen Erhalt in Dalmatien wurden folgend betrachtet.
Die kroatische Ethnogenese vollzog sich höchstwahrscheinlich nach der Loslösung slawischer
Stämme von awarischer Herrschaft. Die christianisierten Slawen brachten ab 800 eigene
kroatische Herrscher hervor. Nach dem kurzlebigen Königreich blieben kroatische
Adelsfamilien im Hinterland bestehen, während die multikulturelle, romanisch-byzantinische
Küste teilweise slawisiert und stets umkämpft war. Träger der kroatischen Tradition waren
kroatischer Adel, Franziskanerorden und Landbevölkerung. Von Generation zu Generation
wurde die „Erinnerung“ an den kroatischen „Ursprung“ weitergegeben, die Sprache diente als
wesentlichste Definition des Eigenen. Durch die Literatur konnte die kroatische Identität in
die dalmatinische Kultur einfließen, und von der Intellektuellenschicht weitertradiert werden.
Die „gemeinsame Vergangenheit und gefühlte Zugehörigkeit“ diente im 19. Jahrhundert als
Grundlage für die Konstruktion der kroatischen und dalmatinischen Nationalidentität.
105
Lebenslauf
Matilda Erak, geboren am 2. Mai 1976 wuchs in Wien und Danilo Gornje nahe Šibenik,
Kroatien, auf. Nach der Matura in Wien absolvierte sie eine touristische Ausbildung an der
Europäischen Wirtschaftsschule. Während des Studiums der Geschichte und Slawistik an der
Universität Wien arbeitete sie als freie Mitarbeiterin am Institut für Mittelalterforschung der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Im Bereich der Geschichtswissenschaft lag
ihr Schwerpunkt auf der europäischen Neuzeit und dem südosteuropäischen Raum, an der
Slawistik studierte sie Kroatisch und entdeckte ihre Vorliebe für politische Sprache und
slawische Sprachgeschichte.