Post on 30-Dec-2015
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Empowerment als Leitkonzept auf dem Weg zur gesundheitsfördernden
Schule
Auftaktveranstaltung zum pädagogischen Schwerpunktthema des
Landesschulrates für Steiermark 2006/2007
Graz, 26.9.2006
Wolfgang Dür, Univ.-Lektor Mag. Dr.
Vier Fragen
1. Wie gesund oder krank sind unsere Kinder?
2. Welche Rolle spielt die Schule für die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen?
3. Wie haben die gesundheitsfördernden Schulen darauf reagiert? Wie erfolgreich war das?
4. Was ist Empowerment? Wie kann Empowerment in der Schule als Leitkonzept eingesetzt werden?
Gesundheit bei Schuleintritt und Primarstufe:
körperliche Gesundheit• ca. 20% ein eingeschränktes Sehvermögen• ca. 10% ein vermindertes Hörvermögen • ca. 10% Erkrankungen des Bewegungsapparates • Karies befallene Zähne: 19% bis 48%• ca. 10% der Kinder mit chronischer Krankheit und/oder
Behinderung • 10% bis 40% der Kinder Erkrankungen des allergischen
Formenkreises (Neurodermitis, allergische Rhinokonjunktivitis, Asthma bronchiale)
• Übergewicht: 7% bis 19% der Kinder sind zu dick; 10- bis 15-Jährigen KärntnerInnen 22% (Burschen), 25% (Mädchen)
(Benkert et al. 2003, Dür et al. 2006, Kromer 2002:116, Robke 1999, Prendergast et al. 1997, Schäfer & Päßler 1996, Ravens-Sieberer et al. 2003, WHO Regionalbüro Europa 2003)
Gesundheit bei Schuleintritt und Primarstufe: psychische (mentale) Gesundheit
• 10% bis 25% Entwicklungsdefizite im Sprachbereich• 5% bis 10% Entwicklungsrückstände der Grob- und
Feinmotorik• 4% bis 7% Teilleistungsschwäche Legasthenie; zusätzlich
10% mit förderrelevanter Leseschwäche • 4% - 7% Teilleistungsschwäche Dyskalkulie; zusätzlich 15%
mit förderrelevanter Rechenschwäche• 10% Angststörungen (Schulangst, Schulphobie,
Sozialphobie) • 8% aggressiv-dissoziale Störungen • 4% - 6% depressive und hyperkinetische Störungen
(ADHS)
Dordel 1998, Krombholz 2005, Straßburg et al. 2003, Thiel 2006, Ihle & Esser 2002, Wittchen 2000, Petermann 1995 Schäfer 1996, Olweus 1993
Subjektive Gesundheit nach Alter und Geschlecht
4142
52
2328
36
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
11 Jahre 13 Jahre 15 Jahre
Knaben
Mädchen
SchülerInnen, die ihren Gesundheitszustandals “ausgezeichnet” beschreiben
Quelle: WHO-HBSC-Survey 2002
Subjektive Gesundheit der österreichischen SchülerInnen im Trend der 90er Jahre
44
35
5453
58
4740
51
4343 34
32
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
1990 1994 1998 2001
11 Jahre
13 Jahre
15 Jahre
SchülerInnen, die ihren Gesundheitszustandals “ausgezeichnet” beschreiben
Quelle: WHO-HBSC-Survey 1990, 1994, 1998, 2002; Dür 2002
Psychische Beschwerden bei 15-jährigen SchülerInnen in Österreich
05
10152025303540
fast täglich mehrmalsw öchentlich
w öchentlich monatlich selten odernie
Burschen Mädchen
Quelle: WHO-HBSC-Survey 2002
Kopfschmerzen, Magen/Bauchschmerzen, Rückenschmerzen, allgemein schlechtes Befinden, Gereiztheit, Nervosität, Schlafstörungen, Nackenschmerzen Ängste, Müdigkeit/Erschöpfung – mindestens ein Symptom nach Frequenz
Ein Blick zu den LehrerInnen (Hofinger et al. 2000)
• 60% der LehrerInnen haben psychische Probleme
• 50% leiden an Burnout• 38% leiden an Herz/Kreislaufproblemen
Welche Rolle spielt die Schule für die Gesundheit der
SchülerInnen?• Ökologische Bedingungen
– Räume, Luft, Lärm– chemische und biologische Kontaminationen
(Schimmel, Staubmilben...)
• Psychosoziale Bedingungen– Schulzufriedenheit– Schulklima– Beziehungen– Demokratie
• Bedingungen des Kernprozesses Lehren/Lernen– Unterstützung durch LehrerInnen– Unterstützung durch MitschülerInnen
Schulzufriedenheit in Österreich
2720
60
2425
60
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
11 Jahre 13 Jahre 15 Jahre
Knaben
Mädchen
Prozentsatz der SchülerInnen, denen es in der Schule “sehr gut“ gefällt, nach Alter und Geschlecht
Quelle: WHO-HBSC-Survey 2002
Subjektive Gesundheit und Schulzufriedenheit
Quelle: WHO-HBSC-Survey 2002
16,8
28,7
48,1
0
10
20
30
40
50
60
nicht/w enig zufrieden zufrieden sehr zufrieden
r = .255 p = .000
SchülerInnen, die ihren Gesundheitszustandals “ausgezeichnet” beschreiben
mit der Schule ...
Subjektive Gesundheit und Unterstützung durch die
LehrerInnenQuelle: WHO-HBSC-Survey 2002
26,430,5
47,0
0,0
5,0
10,0
15,0
20,0
25,0
30,0
35,0
40,0
45,0
50,0
wenig neutral viel
r = .156 p = .000
SchülerInnen, die ihren Gesundheitszustandals “ausgezeichnet” beschreiben
Ausmaß der wahrgenommenen Unterstützung durch LehrerInnen
Subjektive Gesundheit und Unterstützung durch
Mitschüler/innenJugendliche mit „ausgezeichneter“ Gesundheit
Quelle: WHO-HBSC-Survey 2002
r = .136p = .000
27,2 28,4
36,4
44,6
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
keine wenig viel sehr viel
Ausmaß der wahrgenommenen Unterstützung durch MitschülerInnen
Der Effekt von Ungleichheit, Schule, Familie und Selbstwirksamkeit auf die
Gesundheit (Strukturgleichungsmodell)
Schule Familie
Soziale Ungleichheit
Selbstwirk-samkeit
Gesundheit
UnterstützungLehrerInnen
UnterstützungMitschülerInnen
UnterstützungEltern
MonitoringEltern
SubjektiveGesundheit
Lebens-zufriedenheit
.61
.11
.11
.38
.14
.18
.42.21
.61
.54
.79
.64
.56 .72
.45
.30 .29
.22
Quelle: WHO-HBSC-Survey 2002
Erfahrungen aus der Praxis der Gesundheitsfördernden Schulen• Projekte zur Suchtprävention sind nicht oder nur wenig effektiv • Maßnahmen zum Gesundheitsverhalten (Ernährung und
Bewegung) und• „Life-Skills“-Ansätze (Selbstkompetenz, soziale Kompetenz) sind
nur kurzfristig erfolgreich, wenn sie nicht in einen größeren Kontext von Organisations- und Schulentwicklung integriert sind
• Organisations- und Schulentwicklungsmaßnahmen, die nicht den Unterricht verändern, haben wenig Effekte auf die Gesundheit. Umgekehrt: gute Kernprozesse scheinen eine Voraussetzung für erfolgreiche Interventionen zu sein (Clift & Jensen 2005).
• Gesundheitsförderung gelingt besser, wenn sie am Kernprozess Unterricht ansetzt.
Ottawa Charta der Gesundheitsförderung (WHO 1986)
„Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. (...) Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben, sowie dadurch, dass die Gesellschaft in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.“
Empowerment als Hilfe zur Selbstbestimmung
• „If the activity under consideration is not enabling and empowering, then it is not health promotion. These concepts are reflected in the action areas of the Ottawa Charter for Health Promotion which fundamentally advocates a basic change in the way society is organized and resources distributed” (Davies/MacDonald 1998:6).
Nicht-triviale Maschinen (H. v. Foerster 1993, 248)
Input
(x)
Output
(y)
F
Z
z
z’
F... Funktion (Antriebsfunktion)Z... zweite triviale Maschine (Zustandsfunktion)z… interner Zustand
Menschen sind nicht-triviale Maschinen: sie haben ein Selbst, verändern sich, orientieren sich an internen Zuständen,sind unzuverlässig, eigenwillig, unberechen– bar - aber lernfähig. Ihre Unberechenbarkeit ist Bedingungihrer Lernfähigkeit.
Das Problem von Erziehung istdie Tendenz, bei den Lernendenfixe Input-Output-Relationenzu erwarten bzw. einzufordern.
Dem gegenüber wird immer klarer, dass Erziehung nur dann Lernenermöglicht, wenn sie die Eigenheiten des Lernenden akzeptiert und fördert.
Input(x)
Output(y)
Blackbox
Nicht-triviale Maschine
Trivialmaschine
Empowerment - Definition
• Leitdifferenz: empowernd vs. Trivialisierend
• Empowerment bezeichnet die Strategie, in allen relevanten Prozessen des Lehrens, Lernens und Zusammenlebens in der Schule Handlungsspielräume zu suchen und auszubauen, die dem einzelnen Mitglied der Schulgemeinschaft und allen zusammen mehr Kontrolle und Eigenverantwortung für ihr jeweiliges Tun ermöglichen und dadurch ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit steigern.
• Empowerment setzt auf die Förderung von Eigeninitiative, Selbständigkeit und Sozialkompetenzen bei einzelnen und Gruppen im Umgang mit den in der Schule gestellten Aufgaben.
Was muss Empowerment aus der Sicht von SchülerInnen
heißen?• Kontrolle über den Lernprozess• Einfluss auf die schulischen Rahmenbedingungen• Zugang zu Ressourcen
• Bei allen dabei auftauchenden Problemen ist zu fragen: – Wo sind Alternativen, Handlungsspielräume? – Was belastet an der derzeitigen Situation?– Wie müsste es sein, damit es das Wohlbefinden, die
Leistungsfähigkeit und geistige Präsenz verbessert?
Beispiele (1): Kontrolle über den Lernprozess
• Im Unterricht– Aktivierende Methoden und Förderung der
Eigenverantwortung• EVA nach Klippert, Montessori-Unterricht, Freinet-Unterricht, offene
Methoden ...• Projektförmiger Unterricht, Experimente, Exkursionen • Teamteaching
– Lernzielorientierte Beurteilung– Evaluation des Unterrichts durch die SchülerInnen– Eigenverantwortung, Selbstmanagement: Auswahl von
Partnern für Gruppenarbeit, Hausübungsthemen, Arbeitsweisen im Unterricht, ...
– Integrationsunterricht
Beispiele (2): Mitgestaltung der
Rahmenbedingungen• Schulebene, Unterstützung durch die Führung
– Widmung autonomer Stunden• KoKoKo, Soziales Lernen, Schülerparlament, Buddy-System,
Peer-Mediation, ...
– Durchführung von partizipativen Projekten zur Regel- und Kulturentwicklung
• Entwicklung eines wertschätzenden Klimas
– Verhaltensvereinbarungen
– Organisation des Unterrichts: • Stundenplan, Dauer der Schulstunde, Pausenordnung ...
– Etc.
Beispiele (3): Zugang zu Ressourcen
• Unterstützung durch die LehrerInnen
• Verhältnis Unterrichts- und Betreuungszeiten
• Unterstützung durch die MitschülerInnen
• Förderung des Eltern-Schule-Verhältnisses
• Lehrmittel
• Schule als Lebensraum
Gesundheit und Schulleistung
Schulleistung
3,83,63,43,23,02,82,62,42,22,0
sub
jekt
ive
Ge
sun
dh
eit
3,8
3,6
3,4
3,2
3,0
2,8
2,6
2,4
Zusammenhang von Schulleistung und subjektiver Gesundheit (Durchschnitts-werte für 35 Länder; n =162.305 ; r = 0,696)
Quelle: WHO-HBSC-Survey 2002, internationaler Datensatz
www.univie.ac.at/lbimgs
www.hbsc.org