Fotos: dpa/nh Hamas ist ein Teil der Lsung - swp- · PDF fileKonflikte, das massive...

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Politik und HintergrundFreitag, 16. Januar 2009 · Nr. 13 17

A Wird Israel im Gazastreifengelingen, was im Libanon schei-terte: Kann der Feldzug dieHamas schw�chen, nachdemdie Hisbollah 2006 eher nochan Renommee gewann?

Dr. Muriel Asseburg: Poli-tisch wird die Hamas wohlnicht geschw�cht aus dem Krieghervorgehen. Aber es wird Is-rael gelingen, die Infrastrukturder Hamas zu schw�chen – dasbetrifft allerdings nicht nur diemilit�rische, sondern auch diezivile Infrastruktur. Die Frageist allerdings, ob das wirklichals Erfolg zu werten ist oder obes nicht vielmehr eine Gefahrdarstellt. N�mlich die Gefahr,dass mit den Angriffen auf die

Infrastruktur auch die Ord-nungs- und Regierungsf�higkeitim Gazastreifen zerst�rt wird –wie dies auch schon zu Beginnder zweiten Intifada in dengesamten pal�stinensischen Ge-bieten der Fall war. Dies kannletztlich zu einer Situation f�h-ren, in der es im Gazastreifenkeine F�hrung mehr gibt, dieeinen Waffenstillstand aushan-deln und auch durchsetzenkann.

A Erschafft Israel mit seinenSchl�gen auch gegen Zivilistendie n�chste Generation Terro-risten?

Dr. Asseburg: Es liegt auf derHand, dass die jetzige Milit�r-aktion nicht 1,5 Millionen Is-rael-Freunde im Gazastreifenhinterlassen wird, sondern einezutiefst traumatisierte, desillu-sionierte und zum Teil sicher-lich auch radikalisierte Bev�l-kerung. Gruppierungen, die ra-dikaler sind als die Hamas,werden erheblichen Zulauf be-kommen. Mit diesen Gruppenwird man nicht verhandelnk�nnen, weil sie keine nationa-len Interessen verfolgen. Daskann nicht in Israels Sinn sein.

A Hamas ist nicht nur eineTerrororganisation, sondernauch eine soziale Bewegung –f�r deren Zulauf Israel selbstsorgte. Wie kann dies gestopptwerden?

Dr. Asseburg: Vor allem istdie Hamas auch eine politischeOrganisation, die bei den letz-ten Parlamentswahlen haus-hoch gewonnen hat. Es wirdkein Weg daran vorbeigehen,die Hamas als politische Krafteinzubinden. Die Auss�hnungzwischen Fatah und Hamas istletztlich die Voraussetzung f�rFortschritte – in den Pal�stinen-sergebieten und bei einer Kon-fliktregelung mit Israel. Nurwenn es einen Ausgleich gibt,werden Neuwahlen stattfindenk�nnen. Nur so kann es wiedereine handlungsf�hige Regierung

geben. Nur so kann der pal�sti-nensische Pr�sident die Unter-st�tzung f�r Verhandlungen ha-ben. Nur so k�nnen Regelungen�ber die �ffnung der Grenzendes Gazastreifens gefundenwerden. Und die sind notwen-dig, um Handel und wirtschaft-liche Entwicklung �berhaupt zuerm�glichen. Auf Dauer kann janicht die internationale Ge-meinschaft in den Pal�stinen-sergebieten Almosen verteilen,damit die Bev�lkerung �berlebt.

A Muss auch der Westen mitder Hamas verhandeln, umnicht doppelz�ngig zu wirken?Immerhin hat die Hamas Wah-len gewonnen . . .

Dr. Asseburg: Momentangeht es nicht prim�r darum,dass der Westen offizielle Ge-spr�che mit der Hamas f�hrt. Esgeht eher darum, dass er klar-macht, eine innerpal�stinensi-sche Auss�hnung nicht l�ngerzu blockieren – wie noch nachdem Wahlsieg der Hamas. Sosollte die EU vor allem gegen-�ber der Fatah und dem pal�s-tinensischen Pr�sidenten ihreBereitschaft signalisieren, miteiner Regierung der nationalenEinheit wieder zusammenzuar-beiten, wenn sie denn gebildetwird. Die Illusion, die Hamasw�rde sich in Luft aufl�sen,darf nicht gen�hrt werden, etwadurch Gedankenspiele, nachder Gaza-Invasion eine Fatah-Herrschaft im Gazastreifen zuinstallieren.

A Welche Ziele verfolgt dieHamas mit den Raketenangrif-fen auf Israel?

Dr. Asseburg: In erster Liniewollte die Hamas den Teil desWaffenstillstandsabkommenseinfordern, der im Juni 2008zugesagt, aber bisher nicht um-gesetzt worden war. Also dasEnde der nahezu vollst�ndigenBlockade des Gazastreifensdurch die �ffnung der Grenz-�berg�nge nach Israel und�gypten.

A Demnach agiert die Hamasnicht als verl�ngerter Arm Te-herans?

Dr. Asseburg: Sicherlich ver-folgt der Iran auch eigene Inte-ressen, indem er Gruppierun-

gen wie die Hamas unterst�tzt.Doch die Hamasf�hrung kalku-liert sehr genau, welches ihreeigenen Interessen sind – unddie sind nicht deckungsgleichmit denen Teherans. �ber-schneidungen gibt es unter an-derem bez�glich dessen, dassdie Hamas sich im Gazastreifenweiter konsolidieren will unddamit den Preis f�r eine Aus-s�hnung mit der Fatah undeinen Waffenstillstand mit Is-rael in die H�he zu treiben, alsohierbei ihre Hauptforderungendurchzusetzen.

A Wird Israel den Gazastrei-fen erneut besetzen m�ssen, umvor Raketenangriffen sicher zusein?

Dr. Asseburg: Ich denke,daran hat Israel dauerhaft keinInteresse. Vielmehr will Israeldie internationale Gemein-schaft dazu bewegen, Verant-wortung f�r den Gazastreifenzu �bernehmen, um sich selbstdieser entledigen zu k�nnen.

A Keine Verantwortung wol-len die arabischen Staaten �ber-nehmen. Zeigt dies, wie isoliertdie Hamas ist?

Dr. Asseburg: Einerseits ja,andererseits zeigt es auch, wie�ngstlich die arabischen Regimedarauf achten, dass weder Ha-mas noch Hisbollah in ihrenBev�lkerungen Vorbildstatusgewinnen k�nnen. Denn diesk�nnte den islamistischen Op-positionsparteien in diesen L�n-dern zugute kommen. Zudemsind viele Regime in der Region�ber den wachsenden Einflussdes Iran besorgt.

A Barack Obama hat ange-k�ndigt, sich unmittelbar nachseiner Amts�bernahme desNahost-Konfliktes annehmenzu wollen. Bekommt dieserendlich auch in der US-Politikgeb�hrenden Stellenwert einge-r�umt?

Dr. Asseburg: Ich w�re sehrzur�ckhaltend, hier allzu großeHoffnungen zu wecken. H�ltman sich die j�ngsten Resolu-tionen sowohl im Senat alsauch im Repr�sentantenhausvor Augen, die ganz eindeutigzugunsten Israels Partei ergrei-fen und Hamas die alleinige

Verantwortung f�r den Kriegzuschieben, wird deutlich, dassdie neue Administration keineallzu großen Spielr�ume hat,einen v�llig neuen Kurs einzu-schlagen. Ich bezweifle zudem,dass die Obama-Administrationdas tun wird, was notwendig ist,um tats�chlich substanzielleFortschritte im Friedensprozesszu erzielen: n�mlich alle Kon-fliktparteien zu versammeln, andie Hand zu nehmen und aktivzu einem Verhandlungsergebniszu f�hren. Dies ginge nur, wennWashington eine Blaupause f�rden Endstatus vorlegen undkonsequent Druck in RichtungKonfliktregelung aus�ben w�r-de.

A Ein neuer Kurs soll auchgegen�ber Iran eingeschlagenwerden. Endet die Zeit, in derdie Konflikte der Region isoliertbetrachtet wurden?

Dr. Asseburg: Das steht zuhoffen. Allerdings bef�rchte ich,dass wir keine Fortschritte inRichtung Frieden sehen wer-den, solange Washington nichtdie arabischen Staaten und Is-rael gleichermaßen zu einemAusgleich dr�ngt.

A Bedarf Washington der�quidistanz zu den Gegnern?

Dr. Asseburg: Nein, das istnicht n�tig, aber es m�ssen dielegitimen Interessen aller Kon-fliktparteien einbezogen wer-den. Vorrangig geht es dochdarum, die Prinzipien f�r eineZwei-Staaten-L�sung, die allebereits auf dem Tisch liegenund von den Konfliktparteienweitgehend verhandelt wordensind, in eine konkrete Regelungumzusetzen. Zum anderen be-darf es eines Politikwechsels inBezug auf Hamas und Syrien.Ziel Washingtons darf es nichtl�nger sein, die Kluft zwischenFatah und Hamas zu vertiefenund Hamas und Syrien als Teildes Problems statt als Teil derL�sung zu behandeln.

A Welche Chancen bestehen,Syrien in eine Nahost-Friedens-architektur einzubinden?

Dr. Asseburg: Die Chancensind sehr gut, weil Damaskusgroßes Interesse hat, die bislangindirekten Gespr�che mit Israel

auf eine neue Ebene zu heben.Es w�re f�r Syrien ein großerErfolg, nach Verhandlungenunter US-Vermittlung die Go-lanh�hen zur�ckzugewinnen.Durch einen solchen Friedens-prozess k�nnte sich Syrien zu-dem aus der Isolierung durchden Westen befreien.

A Die Frequenz der Waffen-g�nge in der Region steigt.Droht ein großer Showdownzwischen Israel und Iran?

Dr. Asseburg: Ich sehe trotzder j�ngsten Meldungen �bereinen unterbundenen Pr�ven-tivschlag Israels gegen iranischeAtomanlagen nicht, wie eineder beiden Seiten annehmenk�nnte, eine milit�rische Aus-einandersetzung k�nnte dieKr�fteverh�ltnisse wirklich dau-erhaft kl�ren. Die Gefahr aller-dings besteht weiter, dass durchkleinere Auseinandersetzungenoder von den Regierungen nichtkontrollierte Gruppierungeneine Eskalation ausgel�st wurde– wie es etwa beim Libanon-krieg 2006 der Fall war. DieVielzahl ungel�ster, offenerKonflikte, das massive Waffen-arsenal im Nahen Osten sowieMachthaber, die Krieg als Mittelder Politik begreifen, lasseneinen z�gern, die Hand daf�rins Feuer zu legen, dass eskeinen großen Krieg gibt.

A Kennt der Nahe Ostenkeine Kriegsm�digkeit?

Dr. Asseburg: In großen Tei-len der Bev�lkerung ist dieKriegsm�digkeit sehr groß. Daserkl�rt zum Beispiel die Zu-r�ckhaltung der Hisbollah indem aktuellen Konflikt. Dennin der libanesischen Bev�lke-rung h�tte sie derzeit keinenR�ckhalt f�r einen Waffengang.Leider hat sich bei vielen Pal�s-tinensern die Einsicht durchge-setzt, dass es keine realistischeOption f�r einen friedlichenAusgleich mit Israel gibt. Nachihren Erfahrungen haben Ver-handlungen sie ihren Zielennicht n�hergebracht. Und inIsrael steht die Bev�lkerungnahezu geschlossen hinter demWaffengang.

Das Interview f�hrteJoachim Zießler

Dr. Muriel Asseburg (*1968in Stuttgart) leitet die For-schungsgruppe Naher/MittlererOsten und Afrika bei der Stif-tung Wissenschaft und Politik(SWP) in Berlin. Die SWP isteine Denkfabrik, die Bundestagund -regierung in Außen- undSicherheitspolitik ber�t. Finan-ziert wird sie vom Bundeskanz-leramt.

Dr. Asseburg hat Politikwis-senschaft, Volkswirtschaft undV�lkerrecht in M�nchen stu-diert, dort mit einer Disserta-tion zum Staatsbildungsprozessin den pal�stinensischen Gebie-ten promoviert. Sie hat in denUSA, Jerusalem, Ramallah, Da-maskus und Beirut gelebt. jz

M MZur Person

Interviewder Woche

Eine Frau beklagt die Verw�stung ihrer Wohnung in Gaza-Stadt durch eine israelische Rakete. Dr. Muriel Asseburg: Zerst�rt Israel die Hamas als Ordnungskraft, bekommen noch radikalere Kr�fte Zulauf. Fotos: dpa/nh

Hamas ist ein Teil der L�sungExpertin Dr. Asseburg: Auss�hnung mit der Fatah und Akzeptanz durch Israel sind Voraussetzungen f�r Fortschritte

Aufrufe zur M�ßigung verhallen im Gazastreifen ungeh�rt. Israelversch�rft seine Offensive. Die Hamas sendet widerspr�chlicheSignale �ber ihre Verhandlungsbereitschaft aus. Welche Chancengibt es f�r eine Befriedung des Konfliktes? Dr. Muriel Asseburg vonder Stiftung Wissenschaft und Politik, dem gr�ßten Think Tank inEuropa: „Ohne eine politische Einbindung der Hamas l�uft nichts.“