Geschichte der Mathematik - imsc.uni-graz.at · Mohammed ibn-Musa al-Khwarizmi 75 ! 780-850....

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Geschichte der Mathematik

SS 2016, K. Baur

I. Elemente der Algebra im antiken Babylon

II. Geometrische Algebra im antiken Griechenland

III. Symbole und Variablen

IV. Algebra im Mittelalter in Arabien und in Europa

V. Erste Errungenschaften der Algebra in Europa

VI. Algebra im 17. und 18. Jahrhundert

VII. Die Theorie der algebraischen Gleichungen im 19. JH

VIII. Zahlentheorie & die Anfänge der kommutativen Algebra

IX. Lineare und nicht kommutative Algebra

72

IV. Algebra im Mittelalter, Arabien und Europa

73

74

Kubische Gleichungen und Schnittpunkte von Koniken

Mohammed ibn-Musa al-Khwarizmi

75

!  780-850. Mathematiker, Astronom, Geograph.

!  Abhandlungen zu Arithmetik, zu Algebra

!  Zur Arithmetik („Dixit Algorithmi“)

!  Zur Algebra: „Ein kurzes Buch über die

Rechenmethoden al-jabr und al-muqabalah“

Textbeispiel „Falls es dazu kommt, `zehn und Ding zu multiplizieren mit Ding weniger zehn’, so ist dies dasselbe wie falls gesagt würde `Ding und zehn mal Ding weniger zehn‘. Dann sagst Du also, Ding multipliziert mit Ding ist ein positives Quadrat; und zehn mal Ding ist zehn Dinge positiv und minus zehn mal Ding ist zehn Dinge negativ. Dann nimmst Du das Positive vom Negativen weg, dann bleibt nur ein Quadrat. Minus zehn multipliziert mit zehn ist 100, was vom Quadrat abgezogen werden muss. Das ist, zusammen genommen, ein Quadrat weniger 100 dirhem.“

76

Klassifikation quadratischer Gleichungen a,b,c>0

!  „Quadrate, die Wurzeln sind“: ax2=bx

!  „Quadrate, die Zahlen sind“: ax2=c

!  „Wurzeln, die Zahlen sind: bx=c

!  „Quadrate und Wurzeln, die Zahlen sind: ax2+bx=c

!  „Quadrate und Zahlen, die Wurzeln sind“: ax2+c=bx

!  „Wurzeln und Zahlen, die Quadrate sind“: bx+c=ax2

77

Lösung: drei Schritte

!  1. Ergänzung zum Quadrat

!  2. Rausziehen der Wurzel.

!  3. Geometrische Begründung.

78

x2

25

5

5

x

x

Weitere Entwicklung !  Algebrabücher von Abu Kamil, von Al-Karadschi

!  Abu Kamil erinnert an und ergänzt diese um für k=3,4,5,6,8.

!  Beispiel: Lösbarkeit der Gleichung

!  Al-Karadschi: Schrift Al-Fakhri.

!  Unendlich viele positive und negative Potenzen der Unbekannten (via Verhältnisse).

79

x0 x1 x2xk

y2 = −x2 + ax + b

Al-Fakhri !  und

“Wisse, dass das Verhältnis zwischen dem Teil eines Dings zum Teil eines Quadrats wie das Verhältnis vom Teil eines Quadrates zum Teil eines Kubus ist, wie das Verhältnis vom Teil eines Kubus zum Teil eines Quadrat-Quadrates, wie das Verhältnis vom Teil eines Quadrat-Quadrates zum Teil eines Quadrat-Kubus und daher dass die Verhältnisse von Teilen unendlich fortlaufen unter dieser Regel.”

80

x : x2 = x2 : x3 = ...1x: 1x2=1x2: 1x3= ...

Allgemeine Regeln

81

!  Für alle

!  Dann negative Zahlen, Multiplikationsregeln

(+)(+)=(+) (+)(-)=(-) (-)(+)=(-) (-)(-)=(+)

!  Und Regeln

1xm: 1xn=xn

xm1xm

⋅1xn=1xm+n

n >m

axm − bxm = (a− b)xm axm − bxm = −(b− a)xm axm − (−bxm ) = (a+ b)xm

1xm

⋅ xn = xn−m

a > b a < b

Werk von Al-Karadschi, Forts.

!  „Algebra ist die Kunst, bestimmte und unbestimmte Gleichungen zu lösen“.

!  Ausführungen zur Lösbarkeit von Gleichungen wie

82

y2 = ax2 + bx + c

y2 = −x2 + bx + c

Weg von der diophantischen Tradition

!  Untersuchung von quadratischen Irrationalitäten bei Abu-Kamil, etwa

!  Später zurück zu Methoden der Antike.

!  Khayam versucht, kubische Gleichungen zu klassifizieren.

!  Lösungen von Gleichungen als eigener Zweig.

83

a ± b = a+ b± 2 ab

Lösungen von Gleichungen

!  „Die Kunst der Algebra und Almuqabala ist eine wissenschaftliche Kunst deren Objekt die absolute Zahl ist und messbare Grössen, die unbekannt sind, aber die sich auf bekannte Dinge beziehen, so dass es möglich wird, sie zu bestimmen... Das Ziel dieser Kunst ist, Beziehungen zu finden, die das Subjekt mit den festgelegten Daten verbinden. Die Perfektion dieser Kunst besteht in der Kenntnis von Methoden zur Untersuchung, die es ermöglichen, einen Weg zur Bestimmung der erwähnten Unbekannten zu finden, numerische sowie geometrische.“

84

Astronomie und Algebra

!  Motivation, numerische Methoden zur Lösung von Gleichungen zu finden.

!  Höhepunkt: Arbeiten von Al-Kashi (15. JH)

!  „Schlüssel zur Arithmetik“: 10er-System bei Brüchen

!  „Über den Umkreis“: Annäherung an π

!  „Über die Sehne und den Sinus“: Dreiteilung des Winkels.

85

Rückblick !  Man kann sagen, dass die Algebra in Arabien ein

unabhängiges Forschungsgebiet wurde, das sich mit der Lösung von bestimmten und unbestimmten Gleichungen beschäftigte. Insbesondere waren beliebige ganzzahlige Potenzen der Unbekannten (Variablen) eingeführt worden und Regeln, wie man mit ihnen rechnet.

!  Im Vergleich mit der Periode von Diophant ist ein Rückschritt zu vermerken, nämlich das Fehlen der Symbolen. Die Unbekannte (und manchmal sogar Zahlen selbst) und ihre Potenzen wurden in Worten aufgeschrieben, das machte die Algebra unbeholfen und es erschwerte das Rechnen.

86

Algebra in Europa – erste Schritte

!  13. JH – „frühe Renaissence“

!  Algebra kam über drei Wege nach Europa (Arabien, Spanien, Byzanz).

!  Erster wichtiger europäischer Mathematiker: Leonardo von Pisa (Fibonacci), 1180-1240.

87

Leonardo von Pisa !  Buch vom Abakus (Arithmetik, Algebra, Geometrie)

!  Beispiel: Hasenproblem.

!  Buch Flos

!  Buch Liber Quadratorum

!  (I)

!  (II)

88

x3 + 2x2 +10x = 20

x2 + 5= u2 x2 − 5= v2

Gleichung (I) !  Fibonacci hat die Gleichung umgeschrieben:

!  Er zeigte, dass gelten muss 1<x<2 (nicht ganzzahlig)

!  Dann zeigte er, dass es keine rationale Lösung gibt

!  Dann zeigt er, dass x nicht die Wurzel von einem Quadrat sein kann.

!  Zum Schluss gibt er eine Annäherung

89

x3

10+x2

5+ x = 2

Gleichung (II) !  Zwei Probleme aus Buch II, Arithmetica (Diophant)

!  �

!  Lösungsansatz: rechtwinkliges Dreieck (Pythagoras).

90

x2 + y2 = a2 x2 + y2 = a2 + b2 ≠

A B

C

M

N

r

aq

p

Fermats letzter Satz (erster Zugang)

!  Lösungen für (II): x=41/12 (erste Gleichung).

!  Bedingung a=4kl(k+l)(k-l) für die zweite Gleichung.

!  Kongruum.

!  „Ein Kongruum kann kein Quadrat sein.“

91

x4 + y4 = z4

Algebraischer Symbolismus.

!  Die deutschen Kossisten und die Entwicklung der Algebra in Italien.

!  Nach Leonardo von Pisa: 300 Jahre Vakuum

!  15. JH: zwei wichtige Ereignisse

!  Fall von Konstantinopel, Wissen " Europa

!  Erfindung des Buchdrucks.

92

Notationen für Potenzen von x

!  Additive Version (wie bei Diophant). Erste drei Potenzen gegeben (siehe Folie 62), dann

!  Multiplikativ, Anatolius von Laodicea . Erste drei Potenzen gegeben. Dann Quadrat-Quadrat, als nächste : nicht ausdrückbar. Quadrat-Kubus, dann wieder nicht ausdrückbar.

!  Aufzählung (Michael Psellos): erste Zahl, zweite Zahl, dritte Zahl, vierte Zahl, etc.

93

x4 = ΔνΔ x5 = ΔΚν x6 =ΚνΚ

x4x5 x6

x7

x x2

x3 x4

Symbole für Variablen

!  Die arabische Algebra verwendete keine Symbole.

!  Leonardo von Pisa: Strecken, radix, res, census

!  Jordanus Nemorarius: Buchstaben

!  Maestro Gilio: Abkürzungen

5 meno ®di 25 meno R di 10

94

L. Pacioli (Übersicht über 14./15. JH)

!  Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioni et Proportionalità. Erstes gedrucktes Mathematikbuch. Mathematik der Zeit, Buchhaltung.

!  Symbole für 29 Potenzen der Unbekannten. Multiplikativ. Auch für eine zweite Variable und ihr Quadrat.

!  Negative Zahlen, analog wie Diophant, Al-Karadschi:

95

Più via più sempre fa più. Meno via meno sempre fa più.

Più via meno sempre fa meno. Meno via più sempre fa meno.

Potenzen nach L. Pacioli !!

numero! Zahl!

co.! cosa! Ding!

ce.! censo! Quadrat!

cu.! cubo! Kubus!

ce.ce.! censo!di!censo! Quadrat7Quadrat!

primo!relato! erste!nicht!Ausdr.!

ce.cu.! censo!di!cubi! Quadrat7Kubus!

secundo!relato! zweite!nicht!Ausdr.!

ce.ce.ce.! censo!de!censo!de!censo! Quadrat7Q7Q!

cu.cu.! cubo!de!cubo! Kubus7Kubus!

ce. ! censo!de!primo!relato! Quadrat!der!ersten!nicht!Ausdrückb.!

terzo!relato! dritte!nicht!Ausdr.!

...! ...! !... ! !... !

nono!relato! neunte!nicht!Ausdr.!

96

n0

p0r0

20 r0

30 r0

90 r0

x0

x1

x2

x3

x4

x5

x6

x7

x8

x9

x10

x11

x29

Additives System !  Dionisius Gori Libro et trattato della praticha d’alcibra

(1544)

97

1.co.! 6.ce.cu.! 11.cu.cu.!R.!R.! 16.!ce.ce.ce.ce.!

2.ce.! 7.ce.cu.!R! 12.cu.ce.ce.! 17.!ce.ce.ce.ce.!R.!

3.cu.! 8.ce.ce.ce.! 13.cu.ce.ce.!R.! 18.ce.cu.cu.!

4.ce.ce.! 9.cu.cu.! 14.ce.ce.cu.!R.! 19.ce.cu.cu.!R.!

5.ce.ce.!R! 10.cu.cu.!R! 15.!cu.ce.ce.!R.! 20.ce.ce.ce.ce!R.!

Kossisten x° ∅! Dragma,!Numeros! Zahl!

x1 Radix,!Coss! Wurzel,!Sache!

x2 Zensus! Quadrat!

x3 Cubus! Kubus!

x4 Zensus!de!Zensu! Quadrat7Quadrat!

x5 β! Sursolidum! taube!Zahl!

x6 Zensuicubus! Quadrat7Kubus!

x7 biβ! Bissursolidum! zweite!taube!Zahl!

x8 Zensus!Zensui!de!Zensu! Quadrat7Q7Q!

x9 Cubus!de!Cubo! Kubus7Kubus!

98

Stifel, Chuquet !  Michael Stifel (Arithmetica integra): und

lateinische Grossbuchstaben (wiederholt) für Unbekannte

!  Nicolas Chuquet: für

!  Beispiel: multipliziert mit gibt

99

123 12x3

83 7−1m 562

Aufgaben aus [K] !  Aufgaben 3l, 32, 33,36 (Seite 361 in [K])

!  Die Fibonaccifolge: Rekursion mit

Man zeige und

!  Man beweise, dass Kongruen durch 24 teilbar sind.

!  Finde mit und .

!  Ist die Summe von zwei Zahlen gegeben und das Produkt ihrer Quadrate, so ist jeder der Teile bestimmt. Bsp: und

100

u0 = u1 =1un+1 = un +un−1

x, y, z x2 + x = z2 x2 − x = y2

x + y = 9 x2y2 = 324

V. Erste Errungenschaften der Algebra in Europa

101

Bombelli, Cardano, Viète

102

Girolamo Cardano (Autobiographie):

!  “I was born in this century in which the whole world became known; whereas the ancients were familiar with but little more than a third part of it. ... For what is more amazing than pyrotechnics? Or the fiery bolts man has invented, so much more destructive than the lightning of gods? Nor of thee, O Great Compass, will I be silent, for thou dost guide us over boundless seas, through gloomy nights, through the wild storms seafarers dread, and through the pathless wilderness. The fourth marvel is the invention of the typographic art, a work of man’s hands, and a discovery of his wit – a rival, forsooth, of the wonders wrought by divine intelligence. What lack we yet unless it be the taking of Heaven by storm!“

103

Gleichungen 3. und 4. Grades

!  Scipione del Ferro löst mit

!  Wissen an seinen Schüler Fiore weitergegeben

!  Fiore forderte N. Tartaglia heraus zum Duell

!  Ansatz von Tartaglia zur Gleichung:

!  Damit:

104

x3 + px = q p,q > 0

x = u− v

u3 − v3 + (u− v)(p−3uv) = q

Lösungsformeln

!  Als Lösung zu mit

fand Tartaglia

!  Kurz darauf: Lösung von mit :

!  „irreduzibler Fall“

105

x3 + px = q p,q > 0

x = (q2)2 + ( p

3)3 + q

23 − (q

2)2 + ( p

3)3 − q

23

x = q2+ (q

2)2 − ( p

3)33 −

q2− (q

2)2 − ( p

3)33

x3 = px + q p,q > 0

Tartaglia und Cardano

106

Cardano: „The aim I pursued was not riches or idleness, not honors, not high positions, not power but, insofar as I could achieve it, the immortalization of my name. “

Bombelli – Die komplexen Zahlen

!  Buch Algebra (1550, 1572, 1929)

!  Einfluss von Diophant

!  Algebra, Werk von 1572:

!  Zahlenbereich, Potenzen, irrationale Grössen

!  „minus“

107

Komplexe Zahlen !  Operationstafel (Bombelli)

!  Operationen mit den neuen Zahlen

108

più di meno via più di meno fa meno

più di meno via meno di meno fa più

meno di meno via più di meno fa più

meno di meno via meno di meno fa meno

„Algebra“, Teil II,III !  Gleichungen vom Grad 1,2,3,4 mit Wurzelausdrücken

!  Potenzenschreibweise, Produktregel für Potenzen

!  Operationen mit Monomen

!  272 Probleme mit Lösungen

109

François Viète

110

François Viète, born at Fontenay in Poitou, was a profound and original thinker who understood the most secret mysteries of the most abstruse sciences and easily succeeded in all the projects that an intelligent man could conceive and carry out. But among his various occupations, and the wealth of affairs with which his vast and tireless spirit was always aoocpied, he more particularly turned his attention to mathematics, and his excellence was such that all the results obtained by the Ancients, of which time has deprived us by destroying their writings, all these he rediscovered for himself and recalled them to men's minds, sometimes even adding further results of his own. His powers of concentration were such that he often remained three days together in his study without eating and even without sleeping, except by occasionally resting his head on his hand to refresh himself with a few moments of slumber. (De Thou, 1625)

La Rochelle

02/05/16 06:10La Rochelle - Google Maps

Page 1 of 1https://www.google.com/maps/place/La+Rochelle,+Frankreich/@46.1620345,-1.2463008,7z/data=!4m2!3m1!1s0x48015383c9253d75:0x405d39260ee9640

Google Maps

Kartendaten © 2016 GeoBasis-DE/BKG (©2009),Google,Inst. Geogr. Nacional 50 mi

La Rochelle

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Buchstabenkalkül !  1591 Isagoge in artem analyticem: Formelsprache

!  3 Regeln (Substutition, Klammerlösen, Reduktion)

!  Homogene Grössen werden addiert, subtrahiert

!  Bereiche nach Dimensionen

!  Formeln für die Operationen

112

Bereich der Zahlen !  Homogene Grössen werden addiert, subtrahiert

!  Bereiche nach Dimensionen

!  Formeln für die Operationen

113

V = R+(0)∪R+

(1)∪...∪R+(k )∪...

Weitere Werke !  Ad logisticam speciosam notae priores Formeln wie

!  Genesis triangulorum Dreiecksberechnungen

!  Zetetica (unbestimmte, bestimmte Gleichungen)

!  De aequatinum recognitione et emendatione Untersuchung von Gleichungen mit Koeffizienten, Satz von Vieta

114

(A±B)n = An ± nAn−1B+!±Bn

Richtungen !  Reduktion von Termen in Gleichungen mittels

Substitutionen (Tschirnhaus später)

!  Symmetrische Funktionen

115

Aufgaben (S 418f. [K])

!  Aufgaben 7,8,19,27,29,32

116

Literatur:

I. Bashmakova, G. Smirnova, The Beginnings & Evolution of Algebra Dolciani Mathematical Expositions, 23, The Mathematical Association of America, 2000

V. J. Katz, A History of Mathematics. An Introduction, 3rd Edition, Addison-Wesley, 2008

117