Post on 05-Apr-2015
Gesundheitspsychologie
WS 2006/2007
Prof. Dr. Jürgen Hoyer
Vorlesung Gesundheitspsychologie WS 2006/2007
Teil I. Grundlagen• Gesundheit und Gesundheitspsychologie
• Modelle des Gesundheitshandelns
Teil II. Forschungsthemen• Schutz- oder Risikofaktoren der Gesundheit
• Optimismus
• Selbstaufmerksamkeit, Ausdruckshemmung, Ärgerkontrolle
• Veränderungsstadien
Teil III. Anwendungsmöglichkeiten• Psychoedukation und Compliance
• Compliance-Programm für Bluthochdruckkranke
• Stressbewältigungsprogramm
Vorlesung I: Was ist Gesundheit?
1. Was ist Gesundheit?
2. Gesundheitsmodelle
„GESUNDHEIT IST ALLES, OHNE GESUNDHEIT IST ALLES NICHTS“
(SCHOPENHAUER 1851)
Brockhaus (1969):
„Gesund, lat. sanitas, der Zustand, in dem sich Lebewesen befinden, wenn alle ihre Organe ungestört tätig sind und harmonisch zur Erhaltung ihres ganzen Wesens zusammenwirken sowie ihre Fortpflanzung gewährleisten (im Gegensatz zu Krankheit)“
Definition 1
WHO (1946):
„Gesundheit ist ein Zustand vollständigen körperliche, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“.
WHO (1987):
„Gesundheit ist die Fähigkeit und die Motivation, ein wirtschaftlich und sozial aktives Leben zu führen“
Definition 2-3
„Gesundheit ist überhaupt nicht nur ein medizinischer, sondern überwiegend ein gesellschaftlicher Begriff. Gesundheit wieder herzustellen heißt in Wahrheit: Den Kranken zu jener Art von Gesundheit zu bringen, die in der jeweiligen Gesellschaft die jeweils anerkannte ist, ja in der Gesellschaft selbst erst gebildet wird“ (Ernst Bloch, 1955)
Definition 4
„Gesundheit im positiven Sinn besteht in der Fähigkeit des Organismus, ein Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, das ihm erlaubt, mehr oder weniger frei von starkem Schmerz, Unbehagen, Handlungsfähigkeit oder –einschränkung zu leben“ (Engel 1960)
Definition 5
Definitionen 6-7
„Ein Zustand, gekennzeichnet durch relativ gute Anpassung, Gefühle des Wohlbefindens und die Verwirklichung der eigenen Potentiale und Fähigkeiten.“ (Wolman 1973)
„Gesundheit ist ein Gleichgewichtszustand, der auch verstanden werden kann als kybernetischer Regelkreis auf ganz verschiedenen Ebenen – innerhalb und zwischen: Körper und Psyche; Individuum und Gesellschaft“(Voigt 1978)
Bipolares Konzept von Gesundheit und Krankheit
Franke, A. (2006). Modelle von Gesundheit und Krankheit. Bern: Huber.
Unabhängigkeitsmodell von Gesundheit und Krankheit
Franke, A. (2006). Modelle von Gesundheit und Krankheit. Bern: Huber.
Häufige Kriterien der Gesundheit in der Literatur
(vgl. Franke, 1993; auch: Becker, 2006)
• Störungsfreiheit• Leistungsfähigkeit• Rollenerfüllung• Homöostase/Gleichgewichtszustand• Flexibilität• Anpassung• Wohlbefinden
Rogers (1959): Konzept der „fully functioning person“ Freud (o.J. ): Kriterien der „Arbeits- und Liebesfähigkeit“
Zweidimensionales Modell von Befund und Befinden
Franke, A. (2006). Modelle von Gesundheit und Krankheit. Bern: Huber.
FAZIT
• Gesundheit ist ein hypothetisches Konstrukt (im wissenschaftstheoretischen Sinne)
• Es besteht keine Einigkeit über die Definitionen von Gesundheit (und Krankheit)
• Für die Gesundheitspsychologie entscheidend ist die Konzeption von „Gesundheit“ als einer Dimension mit einem positivem Pol
• Das gilt sowohl für den „Befund“ (objektive Daten) als auch das „Befinden“ (subjektive Daten).
GESUNDHEIT IST OFFENSICHTLICH SCHWIERIG ZU
DEFINIEREN --- IST ES MIT „KRANKHEIT“ EINFACHER?
Dichotomes Konzept von Gesundheit und Krankheit
Franke, A. (2006). Modelle von Gesundheit und Krankheit. Bern: Huber.
Definitionen 8-9
• „Denn Krankheit und Gesundheit sind nicht Gegensätze, die sich bekämpfen, sie sind gleichberechtigte und notwendige Lebensäußerungen, etwa so wie Schlafen und Wachen, Nacht und Tag, Ruhe und Arbeit ... Wer ist gesund, wer ist krank?? Die Narren nur vermögen es zu unterscheiden!“ (Groddeck, 1910)
• „Das Leben ist nicht zimperlich, und man mag wohl sagen, dass schöpferische, geniesprudelnde Krankheit, Krankheit, die hoch zu Ross die Hindernisse nimmt, in kühnem Rausch von Fels zu Felsen springt, ihm tausendmal lieber ist als die zu Fuß latschende Gesundheit“ (Thomas Mann 1955)
Was ist normal?
Homosexualität? Kinder prügeln? Selbstbefriedigung? Alkohol trinken? „Wie im Falle der Devianz unterliegt auch der Begriff der Perversion
einem historischen Wandel, weil sich der Umfang des Denkbaren ändern kann. Viele Verhaltensformen, die in unserer zeitgenössischen Welt als deviant angesehen werden, kommen in anderen gesellschaftlichen Kontexten überhaupt nicht vor. Häufig liegt dies jedoch nicht daran, dass solche Verhaltensweisen dort unterdrückt würden, sondern buchstäblich daran, dass sie dort buchstäblich undenkbar sind.“ (Simon, 1995)
Normbegriffe
Ideale Norm Funktionale Norm Statistische Norm
Dimensionale versus kategoriale Variablen
Dimensionen versus Kategorien in der Psychopathologie
Latente Variable
Virus qualitativ, diskret, kategorial
Introversionquantitativ, dimensional
Intelligenzquantitativ, dimensional
Syphiliskategorial
Indikatorvariable
Fieberquantitativ, dimensional
MMPI-Itemja-nein, kategorial
Hawie-Scorequantitativ, dimensional
Wassermann-Reaktionkategorial
Ist Gesundheit etwas Körperliches oder etwas
Psychisches?
Mens sana
in corpore sano
Differenzierung von Gesundheitsbegriffen
(Becker, 2006)
• Aktuelle und habituelle Gesundheit• Körperliche und psychische
(seelische) Gesundheit
Mechanismen der Beeinflussung psychischer Variablen auf der Grundlage körperlicher Erkrankungen
(nach Hoyer et al., 2002)
Psychische VariablenNegative Affektivität
Selbstwirksamkeit
Körperliche ErkrankungSchweregrad
DauerSchmerzen
BeeinträchtigungPathophysiologie
Entstellung
Biologische Mechanismen
Direkte Effekte
hormonelle
neurochemische
metabolische
Indirekte Effekte
Nebenwirkungen
Schlafstörungen
Verhaltens-mechanismen
Unterbrechung der Routine
Krankheitsverhalten
Maladaptive Copingstrategien
Kognitive Mechanismen
Kognitive Verzerrung
Wahrgenommener Stress und
Kontrollverlust
Bedrohung des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeit
Soziale Mechanismen
Interferenz in der sozialen
Rollenfunktion
Vermeidung durch Mitglieder des
sozialen Netzwerkes
Zerfall sozialer Netzwerke
2. Gesundheitsmodelle
Modell von Paulus
Grundvorstellungen psychischer Gesundheit
Psychische Gesundheit
Selbstverwirk-lichung
Integrale psychische Gesundheit
Produktive Anpassung
Psychische Gesundheit
Selbstverwirk-lichung
Integrale psychische Gesundheit
Produktive Anpassung
Person (Umwelt) (Person) Umwelt
Selbstentfaltung/ - realisierung
„gutes Leben“
Selbsterhaltung
„Überleben“
Typ
Schwerpunkt (Unterstreichung)
Prozess/
Produkt
Übergeordnetes Ziel
Grundvorstellungen psychischer Gesundheit
Modell von Becker
Das dem Trierer Persönlichkeitsfragebogen zugrunde liegende hierarchische Strukturmodell
der seelischen Gesundheit (Becker)
Seelische Gesundheit
Seelisch-körperliches Wohlbefinden
SelbstaktualisierungSelbst- und
fremdbezogene Wertschätzung
Das dem Trierer Persönlichkeitsfragebogen zugrunde liegende hierarchische Strukturmodell
der seelischen Gesundheit (Becker)
Seelische Gesundheit
Seelisch-körperliches Wohlbefinden
SelbstaktualisierungSelbst- und
fremdbezogene Wertschätzung
Sinn
erfüllt-
heit
Selbst-
verges-
senheit
Beschwer-
Defreiheit
Expan-
sivität
Selbst-
wert-
gefühl
Auto-
nomie
Liebes-
fähig-
keit
Sinnerfülltheit?
Video mit Viktor Frankl: http://logotherapy.univie.ac.at/d/audioD.html
Ausgehend von der Psychoanalyse Sigmund Freuds und der Individualpsychologie Alfred Adlers entwickelte der Psychiater und Neurologe Viktor E. Frankl (1905–1997) in den frühen Dreißiger Jahren einen eigenständigen Ansatz, für den er den Doppelbegriff „Logotherapie und Existenzanalyse“ prägte.
Modell von Antonovsky
Prologue: Evolution of a New Perspective
A statistically significant difference between groups simply means that more of Group A than of Group B are high than can be accounted for by chance. It does not mean that no one in Group B is high. More than a few women among the concentration camp survivors were well adapted, no matter how adaptation was measured. Despite having lived through the most inconceivably inhuman experience, followed by Displaced Persons camps, illegal immigration to Palestine, internment in Cyprus by the British, the Israeli War of Independence, a lengthy period of economic austerity, the Sinai War of 1956, and the Six Day War of 1967 (to mention only the highlights), some women were reasonably healthy and happy, had raised families, worked, had friends, and were involved in community activities.
aus: Antonovsky (1979)
Kohärenzgefühl (Antonovsky, 1990)
.... ist ein umfassendes und überdauerndes Gefühl des Vertrauens, dass
1. die inneren und äußeren Umweltreize im Lebenslauf strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind (=Verstehbarkeit),
2. die Ressourcen, die verfügbar sind, um die Anforderungen, die an eine Person gestellt werden, bewältigen zu können (=Handhabbarkeit) und
3. die Anforderungen Herausforderungen darstellen, für die sich Anstrengung und Engagement lohnen (=Bedeutsamkeit).
Kohärenz-sinn
Erfolgreiche Spannungs-bewältigung
Erfolgloser Versuch
einer Spannungs-bewältigung
Stress-zustand
Krankheits-erzeuger
und „schwache Glieder in der Kette“
Gesundheits-Krankheits-Kontinuum
(HEDE-Kontinuum)
Spannungs-zustand
Psychosoziale, psychische und biochemische
Stressoren
Schematische, verkürzte Darstellung der Gesundheitstheorie von Antonovsky (Becker, 1982, S. 11)
Schematische, verkürzte Darstellung der Gesundheitstheorie von Antonovsky (Becker, 1982, S. 11)
Sozio-kultureller
und historischr
Kontext
Psychosoziale, genetische und konstitutionelle generalisierte Widerstands-quellen (GRR)
Spezifische Lebens-
erfahrungen
Kohärenz-sinn
Erfolgreiche Spannungs-bewältigung
Erfolgloser Versuch
einer Spannungs-bewältigung
Stress-zustand
Krankheits-erzeuger
und „schwache Glieder in der Kette“
Gesundheits-Krankheits-Kontinuum
(HEDE-Kontinuum)
Spannungs-zustand
Psychosoziale, psychische und biochemische
Stressoren
...ich bin, was ich erfahren habe....
Flow
Flow
„FLOW: a state in which people are so involved in an activity that nothing else seems to matter; the experience itself is so enjoyable that people will do it even at great cost, for the sheer sake of doing it“
(Csikszentmihalyi, Flow- The Psychology of Optimal Experience, 1990, p.4)
Literaturempfehlung