Kapitel 3.10 Die Methode der Aktivierenden Befragung: den ... · 234 Maria Lüttringhaus, Hille...

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Lüttringhaus, Maria/Richers, Hille (Hrsg.): Handbuch Aktivierende Befragung. Konzepte, Erfahrungen, Tipps, für die Praxis. Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen, Nr.29. Bonn: Verlag Stiftung Mitarbeit 2003. Kapitel 3.10 Die Methode der Aktivierenden Befragung: den Sozialraum erkunden, Projekte initiieren, Lernprozesse ermöglichen

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Maria Lüttringhaus, Hille Richers

3.10 Die Methode der Aktivierenden Befragung: den Sozialraum erkunden, Projekte initiieren, Lernprozesse ermöglichen

„Eine Forschung, die nichts anderes als Bücher hervorbringt, genügt nicht“ (Kurt Lewin)

Kennen Sie das auch? Sie sitzen in einem Arbeitskreis und jemand berichtet: „Wir haben eine Aktivierende Befragung durchgeführt.“ Allein dieser kurze Satz löst bei vielen Praktiker/innen in der Regel einen Riesenrespekt aus. Man könnte glatt meinen, diese Methode sei nur etwas für ganz besonders mutige und engagierte Menschen oder für solche, die ihre Freizeit dafür op-fern, oder irgendwelche großen Beträge dafür locker gemacht haben. Des-halb wollen wir zu Beginn unserer Ausführungen klarstellen, dass es groß angelegte, aber eben auch kleine Aktivierende Befragungen geben kann, dass es je nach Auftrag bzw. Selbstverständnis der professionell Tätigen eine Vielfalt von Variationsmöglichkeiten gibt und die Ergebnisse und Erkennt-nisse entsprechend unterschiedlich sind. Dieses breite Spektrum haben wir in unserem Handbuch Aktivierende Befragung zusammengefasst (Lüttring-haus/Richers 2003). Der folgende Artikel soll einen ersten sehr praktischen Einblick in die Methode der Aktivierenden Befragung geben – eine Methode, die in den vergangenen Jahren kontinuierlich an Popularität gewonnen hat. Wir haben dabei auf Grundlagen zurückgegriffen aus Veröffentlichungen von Hephzibah und Richard Hauser (1971), Alf Seippel (1976), Wolfgang Hinte und Fritz Karas (1989) sowie Saul Alinsky (2003), die teilweise nicht mehr aufgelegt werden, jedoch nichts an Aktualität verloren haben. Sie prägten die bundesdeutsche Tradition der Aktivierenden Befragung nachhaltig. In diesem Artikel wollen wir auf dem Hintergrund unserer vielen praktischen Erfah-rungen das Handwerkszeug zur Verfügung stellen. Dazu haben wir einen exemplarischen Fragebogen, einen Ablaufplan und eine Checkliste für die acht Phasen der Betroffenenbefragung zusammengestellt, die sich im Laufe der langen Geschichte der Aktivierenden Befragung herauskristallisiert ha-ben. Die Checkliste enthält die unserer Ansicht nach zentralen Fragestellun-gen, die für die jeweiligen Phasen zu klären sind. Dabei war uns und den Her-ausgebern klar, dass man der gewählten Schwerpunktsetzung auf die prak-tische Umsetzung der theoretischen Fundierung des Ansatzes nicht ausreichend gerecht werden kann. Wir verweisen daher ausdrücklich auf die Beiträge insbesondere von Alf Seippel und Fritz Karas und Wolfgang Hinte, die das Fundament der nachfolgenden praktischen Ausführungen bilden (Ori-ginalbeiträge wiederveröffentlicht in Lüttringhaus/Richers (2003).

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Um die Methode der Aktivierenden Befragung nicht der Beliebigkeit auszu-setzen, liegt uns daran, zu Beginn dieser Publikation zwei grundlegende As-pekte zu betonen. Erstens: Es handelt sich nur dann um eine der hier vorge-stellten Tradition entsprechende Aktivierende Befragung, wenn nach dem Ablaufplan (s.u.) fachlich vorgegangen wird. Zentrales Kriterium ist die Ver-wendung offener Fragestellungen (selbst wenn das Thema der Befragung eingrenzt gewählt wird, z.B. zur Spielplatzsituation), die systematische Vorbe-reitung mit entsprechendem Training und die anschließende Begleitung von Aktivitäten, wo es notwendig ist. Zweitens: Eine Aktivierende Befragung kann in keinem Punkt mit einer repräsentativen statistischen Befragung gleichge-setzt werden.

Die Idee der Aktivierenden Befragung basiert auf den Grundannahmen der Aktionsforschung, bei der Theorie und Praxis nicht getrennt betrachtet wer-den, sondern der Forschungsvorgang bereits ein Teil der Aktivierungsstrate-gie ist (Lewin 1968). Durch offene Fragestellungen werden die Betroffenen angeregt, sich über ihre soziale Wirklichkeit Gedanken zu machen und zu-sammen mit den Aktionsforscher/innen nach möglichen Lösungen zur Ver-besserung der Situation zu suchen. Der Aktionsforscher begegnet den Men-schen des untersuchten Quartiers nicht als der „weise Mensch, der über alles Bescheid weiß“ (Hinte/Karas 2003, S. 37). Anders als bei einer repräsenta-tiven Befragung hat er dementsprechend keine vorgegebenen Stichworte, sondern stellt in der Regel drei offene Fragen: Wie fi nden Sie es hier in ...? (Was gefällt Ihnen? Was stört Sie?) Haben Sie Ideen, wie sich hier etwas ver-ändern könnte? (Wer sollte das tun?) Sind Sie bereit dafür etwas zu tun? (Ha-ben Sie Interesse zur Bewohnerversammlung zu kommen?). Das For-schungsziel besteht darin, Informationen zu erhalten und zugleich praktische Veränderungen in einem sozialen Feld gemeinsam mit den dort lebenden Menschen zu erreichen (Hinte/Karas 2003). In der Erforschung der ganz per-sönlichen Sichtweise, der Eigeninteressen und der jeweiligen persönlichen Ressourcen (source, engl. = Quelle!) liegt der Kern der Aktivierung. Um im Bild der Quelle zu bleiben: Diese Quellen können nur sprudeln, wenn sie ver-bunden sind mit ureigensten Erfahrungen, Interessen und Visionen – nach denen muss gefragt werden! Einer Aktivierenden Befragung geht oftmals eine Fachleutebefragung voraus (Hinte/Karas 2003, Seippel 2003).

Der folgende Fragebogen des Stadtteilprojektes Essen-Altendorf (Lüttring-haus/Richers 2003) zeigt exemplarisch, wie die Antworten auf die (offenen!) Fragen der Aktivierenden Befragung festgehalten werden können. Die Ge-spräche werden anonymisiert dokumentiert. Um überprüfen zu können, ob bestimmte Bewohnergruppierungen (etwa nach Alter und Geschlecht) ausge-wogen erreicht wurden, werden das Alter und Geschlecht festgehalten, ob man mit einer Einzelperson oder Gruppe gesprochen hat, eventuell auch der Beruf – oder unverfänglicher – die Wohndauer (Mundöffnerfrage). Wer fest-hält, ob es sich bei den Befragten um Mieter/innen bzw. Vermieter/innen han-delt, kann die Ergebnisse auch diesbezüglich sichten. Die Einschätzung der Mitwirkungsbereitschaft durch die Befrager/innen anhand der Skala kann ver-hindern, dass allzu große Frustration entsteht, wenn wenige Personen zur an-

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schließenden Bewohnerversammlung erscheinen. Man weiß dann, dass die Mitwirkungsbereitschaft grundsätzlich gering war und Profi s durch eine Akti-vierende Befragung nur sehr bedingt Resignation oder frustrierende Vorer-fahrungen bearbeiten können.

Qualität der Abbildung nicht sehr gut!

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Aktivierende Befragung: Ablauf und Checkliste

Im Folgenden stellen wir die von uns identifi zierten acht Phasen einer Aktivie-renden Befragung vor mit den entsprechenden Hinweisen auf zu klärende Punkte. Weitere Tipps zu den einzelnen Schritten werden im nächsten Kapi-tel gegeben.

1. Phase: Formulierung eines Vorhabens Warum soll dieses Gebiet oder dieses Thema genauer untersucht wer-den?Was sind erste Vermutungen?Wer hat welche Rolle und welches Interesse bei diesem Vorhaben? Wel-ches gemeinsame Interesse haben diejenigen, die eine Aktivierende Be-fragung durchführen wollen? Wie sieht der vorläufi ge Zeitplan aus?Wer ist Auftraggeber? Wer könnte als Auftraggeber bzw. zur Finanzierung gewonnen werden?Wie ist die Finanzierung für die aus der Aktivierenden Befragung entste-henden Aktivitäten und deren weitere Begleitung abgesichert?

2. Phase: Voruntersuchung, Analyse und Auswertung Was wird im Stadtteil direkt beobachtet (teilnehmende Beobachtung)? Was haben wir in einer ersten Befragung bzw. in Gesprächen mit ausgewählten Personen erfahren:a) von den Betroffenen als Expertinnen und Experten ihres Alltags (Be-

wohner/innen des Stadtteils)?b) von den Expert/innen in ihrer jeweiligen Funktion (z.B. Kioskbesitzer/in,

Pfarrer/in, Polizeibedienstete, Schulleitung, kommunalpolitisch enga-gierte Personen)?

Welche relevanten Informationen liefern statistische Daten (Bewohner/in-nen nach Alter, Nationalität, Wohngeld-, Sozialhilfebezug)?Welche weiteren Informationen wurden recherchiert (z.B. Infrastruktur, Grünfl ächen, Gewerbeansiedlung, Bebauung nach Alter und Eigentums-verhältnissen)?

3. Phase: Bewertung und Entscheidung, Konsequenzen aus der Aus-wertung

Nach welchen Kriterien wird entschieden, ob und wo eine Aktivierende Be-fragung durchgeführt wird?Reicht das Potenzial an Veränderungswillen für eine Aktivierung?Wie wird ein Quartier sinnvoll zugeschnitten?Welche der zwei Möglichkeiten wird weiter verfolgt:a) Abbruch? (Bleibt die Entscheidung intern oder soll sie veröffentlicht wer-

den?)b) Weiterarbeit? (Mit welchen Zielen? Mit welchem Zeitplan? Wie umfang-

reich soll die Befragung angelegt sein?)

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4. Phase: Training und Vorbereitung der Befrager/innen Wie und von wem soll befragt werden (Entwicklung des Gesprächsleitfa-dens, Auswahl der Gesprächspartner/innen)?Wie ist die innere Haltung der Befrager/innen? Sind sie offen und neugie-rig? Ist ihnen ihre Rolle klar?Wie und in welcher Form sollen die Ergebnisse der Befragung festgehalten werden (Protokollbögen)?Wie wird die offene Gesprächsführung trainiert und refl ektiert?Wie werden die Befrager/innen geschult, um sicher mit kritischen Ge-sprächssituationen umgehen zu können?Aus welchen Gründen beteiligt sich die Befrager/innen?Was sind mögliche erste Auswertungskriterien?

5. Phase: Hauptuntersuchung Wie viele Bewohner/innen sollen befragt werden (wie viele Bewohner, wie viele Fachleute bzw. Funktionsträger/innen)?Wie werden diejenigen, die befragt werden sollen, vorher informiert (per-sönliches Ankündigungsschreiben, Aushänge, Presse-Info usw.)?Wer befragt wen in welchem Zeitraum (Absprachen zwischen den beteilig-ten Befrager/innen)?Wo gibt es Möglichkeiten zum Austausch (Treffpunkt)?

6. Phase: Auswertung der Befragung Welche Auswertungskriterien bieten sich nach der ersten Sichtung der Er-gebnisse an, um die Ergebnisse zu sortieren und zu dokumentieren?Welche Ergebnisse werden thematisch gebündelt? Bei welchen kleineren Raumeinheiten bietet es sich an, die Ergebnisse zusätzlich räumlich zu sortieren (z.B. Informationen rund um den Jahnplatz)?Wie können die Ergebnisse übersichtlich dargestellt werden?Wie werden die Betroffenen in die Auswertung einbezogen?

7. Phase: Versammlung der Interessierten – Bildung von Aktionsgruppen Wer wird eingeladen und von wem?Wie kann gefördert werden, dass möglichst viele Bewohner/innen kom-men? Wer plant und leitet wie die Versammlung? Welche Methoden können un-terstützend eingesetzt werden (z.B. Sitzordnung, Visualisierung usw.)?Wie werden die Ergebnisse vorgestellt? Welcher Zeitrahmen wird hierfür höchstens angesetzt, um der Diskussion mit den Bewohner/innen genü-gend Raum einzuräumen?Wie können nach der Vorstellung der Ergebnisse das Interesse bzw. die gemeinsame(n) Nenner der anwesenden Bewohner/innen herausgefunden werden?Wie können sich die Anwesenden zur Weiterarbeit zusammenfi nden und verabreden?

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8. Phase: Beratung und Begleitung der entstandenen Gruppen/Organi-sationen

Welche Ziele haben die Bewohner/innen? Sind die Ziele erreichbar? Wie können Bewohner/innen so unterstützt werden, dass die Fachkräfte bei sich andeutenden unrealistischen Vorhaben mögliche Grenzen aufzeigen, um zu verhindern, dass unnötige Frustrationserfahrungen gemacht werden?Wie können die Fachkräfte verhindern, dass Bewohner/innen nicht vor-schnell ausgebremst werden und damit die derzeitige Realität als gegeben und unveränderbar akzeptiert wird?Wie ist die Gruppe zusammengesetzt? Gibt es eine aktive Kerngruppe und daneben weitere unterstützende Personen?Wer vertritt die Gruppe nach außen?Welche Aktions-, Arbeits- und Organisationsformen sind angemessen?Was ist die Aufgabe der begleitenden Fachkräfte? Was sollen sie tun, wie lange und was nicht?

Tipps zu den Phasen der Aktivierenden Befragung

Die vorausgegangenen Ausführungen haben grundlegende Informationen rund um die Aktivierende Befragung geliefert. Im Folgenden wollen wir die-sen Rahmen mit ein paar ausgewählten ganz konkreten praktischen Tipps füllen (Lüttringhaus/Richers 2003). Anmerken wollen wir, dass alle Tipps aus einer jeweils sehr spezifi schen Praxis vor Ort resultieren und somit lediglich Anregungen geben können. Für die Tipps gilt das Motto: „Wenn das so ge-macht wird, dann könnte das Folgendes bewirken.“ Wir haben uns – um Langatmigkeit und Wiederholungen zu vermeiden – für prägnante Formulie-rungen entschieden und auf lange Erklärungen verzichtet.

Tipps zu Phase 1: Formulierung eines Vorhabens

Wer unter den Beteiligten den Unterschied zwischen einer Aktivierenden Befragung und einer Repräsentativen Befragung klarstellt, kann Missver-ständnissen vorbeugen.Wenn eventuellen Auftraggebern und Finanzierern einer Aktivierenden Be-fragung vorher klar dargelegt wurde, dass das Ergebnis nicht vorher fest-gelegt sein darf sondern offen sein muss und es im Entscheidungsbereich der aktivierten Menschen liegt, was sie mit den Ergebnissen machen wol-len, kann man sich im Vorfeld eher konfl iktfrei als nach einer Befragung über das Partizipationsverständnis verständigen. Es empfi ehlt sich, den thematisch offenen Arbeitsauftrag und das Partizi-pationsverständnis schriftlich festzuhalten. Nicht selten kriegen Angestellte hinterher, wenn die aktiv gewordenen Bürger/innen unliebsame Themen aufgreifen, Ärger mit ihrem Arbeitgeber. Dann ist es gut, auf schriftliche Vereinbarungen verweisen zu können, die z.B. beinhalteten Bürger/innen zu aktivieren, ohne die Themen zu selektieren (mit der Ausnahme: Dort, wo Menschenrechte beschnitten werden, unterstützen wir selbstverständ-lich nicht).

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Vermutungen festhalten heißt auch sich selber gegenüber ehrlich sein, denn Vorurteile hat jede und jeder. Das Festhalten von Vermutungen er-möglicht das Hinterfragen von Vorurteilen. Außerdem kann es rückwirkend den Prozess deutlich machen: Am Anfang dachten wir – am Ende ... Es ist sinnvoll, die Ressourcen der im Stadtteil aktiven Institutionen abzu-klären bzw. sie zu gewinnen, z.B. im Rahmen der Voruntersuchung (Zeit für Beteiligung an der Befragung; Räume; Bereitschaft und Equipment, um schriftliche Vorlagen zu erstellen usw.). Zudem gilt es, die Entscheidungs-kompetenzen zu klären. Es ist nicht sinnvoll, alle Akteure mit Sitz und Stimme in einer großen Projektgruppe zusammenzubringen, eine kleine Projektgruppe kann eher handlungsfähig bleiben. Viele mit ins Boot zu nehmen, heißt nicht, alle ans Ruder zu lassen.

Tipps zu Phase 2: Voruntersuchung, Analyse und erste Auswertung

Wer sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Viertel bewegt, kann schon im Vorfeld einen ersten Eindruck vom Leben dort einfangen.Gespräche beim Einkaufen, an der Bushaltestelle oder bei Festen (Schüt-zenfest, Pfarrfest, Kindergarten- oder Schulfeste) sind gute Anlässe, um zu erleben, welche Schlüsselpersonen es dort gibt, um wen oder was sich Kritikpunkte, aber auch Wohlgefallen ranken. Auch die Stadtteilzeitungen bzw. -beilagen bieten wichtige Hinweise auf mögliche Themen und Schlüs-selpersonen.Voruntersuchungen sind wichtig, weil sie wie ein Probelauf sind: Man merkt dann beispielsweise, wie die Fragen ankommen, man bemerkt die eigenen Stolpersteine im Gespräch (z.B. durch Stichpunkte zu lenken, an-statt zuzuhören, eine Diskussion anzufangen usw.) und man bekommt ein Gespür, wann Übersetzungen bzw. zweisprachige Befragerinnen oder Be-frager gebraucht werden.Es ist empfehlenswert, vorher genau zu überlegen, welche Daten wofür benötigt werden, und auch den zeitlichen Umfang der Arbeit zur Datener-forschung zu beschränken. Sonst kann es leicht ein endloses Unterfangen werden, weil es natürlich immer noch neue interessante Daten auszugra-ben gibt.

Tipps zu Phase 3: Bewertung und Entscheidung, Konsequenzen aus der ersten Auswertung

Stadtplanerische Wohnquartiere entsprechen in der Regel nicht dem Ge-fühl und den Kontaktnetzen der Menschen. Der Zuschnitt des Quartiers, in dem die Aktivierende Befragung durchgeführt wird, sollte daraufhin über-prüft werden, ob er dem Lebensgefühl und den realen Lebensverhältnis-sen der Menschen dort entspricht. Zur Aktivierung sind Kleinräumigkeit und gewachsene Bezüge aufgrund von ähnlichen Interessenlagen uner-lässlich.Wenn eine Aktivierende Befragung als Einstieg in längerfristige Gemein-wesenarbeit bzw. Quartiermanagement gewählt wird, ist es sinnvoll, zu-

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nächst ein Gebiet zu wählen, in dem die Aktivierungsbereitschaft vermut-lich nicht allzu brach liegt. Durch einen gelungenen Start mit offensicht-lichen (im wahrsten Sinne des Wortes) und öffentlich wirksamen Aktionen kann das Vertrauen in mögliche Veränderungsprozesse auch bei solchen Bewohner/innen gesteigert werden, die in Gebieten mit eher resignativer Stimmung wohnen. Erst im nächsten Schritt geht es dorthin.Für die Auswertung der Voruntersuchung ist es sinnvoll Kriterien aufzustel-len, an denen erkennbar ist, ob die geplante Aktivierung nach Zielbestim-mung und räumlicher Eingrenzung sinnvoll erscheint. Kriterien können u.a. sein: erkennbare Potenziale, Veränderungsdruck. Dabei geht es um die Rückkopplung zum Anfangsvorhaben: Ändert sich die Zielrichtung? Bleibt der Arbeitsauftrag? Stimmt der Zeitplan? Sind die Gebietsgrenzen sinn-voll? Ist ein besonderes methodisches Vorgehen erforderlich?

Tipps zu Phase 4: Training und Vorbereitung der Befrager/innen

Dort, wo weitere personelle Unterstützung gesucht wurde, haben sich vie-lerorts Anfragen bei Fachhochschulen und Berufsakademien bewährt.Befrager/innen könnten über das Angebot eines Ressourcentauschs inner-halb einer größeren Arbeitsgemeinschaft gewonnen werden (Professio-nelle aus anderen Wohngebieten gehen mit, und im Austausch arbeiten später andere bei ihnen mit).Wichtig, um Misstrauen vorzubeugen, Vorbehalte aus dem Weg zu räu-men oder das Themenspektrum der Befragten allein durch das Auftreten bestimmter Personen einzuschränken, ist die Klarheit der Beteiligten über ihre Rolle im Rahmen der Aktivierenden Befragung: Nicht alle Interessier-ten eignen sich als Befragungspersonen. Insbesondere Leute mit Funkti-onen (d.h. mit Kontrollfunktionen im Stadtteil wie z.B. der Polizei) müssen sich gegenüber den Befragten klar präsentieren können („Sie kennen mich vielleicht sonst in meiner Funktion als ..., heute jedoch bin ich hier mit einer ganz anderen Aufgabe. Heute geht es mir darum ...“). In Bezug auf Mitar-beitende des Allgemeinen Sozialen Dienstes gibt es unterschiedliche Er-fahrungen und Einschätzungen, insbesondere wenn es der eigene Bezirk ist. Es sollte den Verantwortlichen klar sein, dass die aktive Einbeziehung von Menschen mit Entscheidungs- und Kontrollaufgaben ein sensibler Be-reich ist und dass bei den Besuchten eine die Aktivierung behindernde in-nere Blockierung auftreten kann.Klarheit und manchmal auch ein Arbeitstitel für ein Projektteam können helfen, Vorbehalte zu umgehen. Dann kommt man eben nicht von der Ca-ritas (und muss erst fünf Minuten lang klarstellen, dass man keine Spen-densammlung durchführen will), sondern man kommt z.B. als Mitarbei-tende der Projektgruppe Altendorf. Durch die Befragungsgespräche entstehen persönliche Kontakte, die für die Weiterarbeit (u.a. die Begleitung von entstehenden Aktivitäten) wichtig sind. Deshalb ist es notwendig, dass die Gespräche nicht nur von exter-nen, zusätzlichen Kräften (z.B. Studierenden) geführt werden.Die Befragungspersonen sind die Aktiviererinnen und Aktivierer; von ihrer persönlichen Haltung und ihrem klaren Rollenbewusstsein hängt es ab, ob

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die Botschaft einer Aktivierenden Befragung verstanden wird. Die konse-quente Orientierung an den offenen Fragen ist entscheidend für die Ergeb-nisse und sollte deshalb eingeübt werden (z.B. mit Rollenspielen).Hilfreiche Refl exionskriterien im Laufe des Trainings sind: Wurden Sugges-tivfragen oder Ja-Nein-Fragen (geschlossene Fragen) gestellt? Wurden von der Befragungsperson Stichworte vorgegeben, die das Gegenüber in eine bestimmte Richtung lenken? Wurde unnötig diskutiert anstatt zuzuhö-ren und nachzuhören? Hier gilt das Motto: Ich will die Meinung, auf die ich da gestoßen bin, nachvollziehen können – anstatt meine Meinung kundzu-tun. Wurde der Eindruck hinterlassen, dass man sich schon um alles küm-mern würde?Wer die Fragen auf nur einer DIN A4 Seite platziert, hat später auch etwas Handliches. Eine Seite reicht erfahrungsgemäß aus für die notwendigen Notizen – sonst eben die Rückseite verwenden.Der Fragebogen sollte verinnerlicht sein, so dass man während des Ge-sprächs nicht am Fragebogen klebt, sondern sich auf die befragten Per-sonen einlassen kann.Den Begrüßungstext einüben. Die Begrüßung soll Klarheit und nicht Ver-wirrung schaffen. In der Begrüßung sollten Fachbegriffe wie Aktivierende Befragung, Gemeinwesenarbeit, Quartiermanagement usw. nicht auftau-chen („Wir kommen von ... und möchten gerne mit Ihnen sprechen über ..., oder Ihre Meinung hören zu ...“). Wer auf der Rückseite prägnante Zitate festhält, kann später bei der Leser-schaft von etwas ausführlicheren Auswertungen oder bei der Präsentation bei Auftraggebern oder der Politik Bilder bewirken, die der Lebenswelt, die man zu erfassen versuchte, besser gerecht werden als soziologische Ka-tegorien. Zitate reichern pure Zahlen und Fakten an und spiegeln etwas von der Lebendigkeit der Befragungsszenen wieder. Dadurch kann gerade bei einer zusätzlichen schriftlichen Berichterstattung Interesse geweckt werden und zugleich vermieden werden, dass ein Bericht nur Themen und Zahlen enthält, die die Leserschaft eher an eine repräsentative Studie erin-nern. Manchmal lässt es sich nur schwer vermeiden, dass Auftraggeber be-stimmte konkrete Themen erkundet haben wollen. Diese Themen zu Be-ginn der Befragungsgespräche zu benennen, würde die Befragten in eine bestimmte Richtung lenken, was durch die offenen Fragen ja gerade ver-mieden werden soll. Wer diese (hoffentlich nur wenigen) Fragen am Ende platziert, kann die Gefahr der Beeinfl ussung vermeiden. Hilfreich ist es dann zu benennen, dass jetzt ein Schnitt gemacht wird und noch kurz ein paar konkrete Fragen folgen, und dies kurz zu begründen.Wenn das Befragungsteam nach jeder Befragung für sich selbst kurz ein-schätzt, wie hoch wohl die Bereitschaft der soeben befragten Person ist, aktiv zu werden, dann kann im Team später eine Einschätzung getroffen werden, wie hoch die Aktionsbereitschaft im Quartier ist. Um dies zusam-menzutragen, kann bereits bei der Erstellung des Befragungsbogens da-rauf geachtet werden, dass unten auf dem Befragungsbogen eine Skala eingefügt wird (z.B. von -10 bis +10); (s. Befragungsbogen im vorausge-gangenen Kapitel), auf der das Team dann seine Einschätzung festhalten

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kann. Solche Einschätzungen befördern die Refl exion über behindernde Faktoren („Wissen Sie, das ist in diesem Jahr schon die vierte Befragung. Da kommt ja nie was bei raus.“), können zu hohe Erwartungen über die Be-teiligung an der Bewohnerversammlung verhindern und können den Initia-toren der Aktivierenden Befragung den Druck nehmen (vor allem gegen-über externen Auftraggebern), dass sie schuld sind, wenn die Bewoh-nerversammlung gering besucht ist. Stellen Sie sich schon in den Übungen im Vorfeld auf die Frage ein: „Jetzt sagen Sie mal, was halten Sie davon?“ Hilfreich sind Antworten, die den Bogen zurückschlagen: „Ich tu mich da schwer, denn ich wohne ich nicht hier.“ „Wenn Sie das so schildern, kann ich nachvollziehen, dass es für Sie nicht leicht ist, täglich mit dieser Sache konfrontiert zu sein ...“Sicherheit über die eigene Intention erleichtert den Einstieg in die Befra-gung: Wer sich vorbereitet auf Fragen, kann Klarheit ausstrahlen und Skepsis beim Gegenüber abbauen. Hilfreich ist es auf folgende Fragen vorbereitet zu sein: „Was soll dabei herauskommen?“ „Warum machen Sie das eigentlich?“ „Wer kümmert sich darum, dass dann auch mal was pas-siert?“ „Was ist denn Ihr Job dabei?“ „Was passiert auf so einer Versamm-lung?“Dolmetscher/innen, die nicht am Training teilnehmen, sollten zumindest die Philosophie verstehen, um Übersetzungsfehler zu vermeiden. Da wird sonst schon mal – vermeintlich gut gemeint – die Übersetzung durch zu-sätzliche eigene Stichworte angereichert (und damit die offenen Fragen ausgehebelt) oder es schleichen sich Suggestivfragen ein.

Tipps zu Phase 5: Hauptuntersuchung

Wer mit Befragungen anfängt, sollte einen Befragungsnachweis, Dienst-ausweis oder ein sonstiges glaubwürdiges Papier (z.B. Beauftragung durch den im Viertel ansässigen Bürgerverein; Kopie eines Schreibens der Uni o.ä.) haben, warum und in welchem Auftrag er oder sie diese Ge-spräche führt. Es ist ratsam, diese Schreiben der verantwortlichen Organi-sation dabei zu haben, denn wir sollten davon ausgehen, dass Leute so selbstbewusst sind, dass sie zunächst einmal misstrauisch sind! Wenn die Ankündigungen im Vorfeld allerdings erfolgreich gelaufen sind, bleiben sol-che Papiere aber eher in der Tasche. Ein Einstieg, in dem man – wie Co-lumbo – die Dienstmarke zückt, ist vermutlich nicht allzu hilfreich.In einem Befragungsgebiet sollten mindestens 10 % der Haushalte befragt werden (dies ist ein vager Richtwert).Die Befragten sollten vorher informiert sein, dass jemand kommt. Am bes-ten mit einem Handzettel oder einem persönlichem Anschreiben ein paar Tage vorher. Gut ist dabei auch, wenn das Befragungsteam mit Foto(s) vor-gestellt wird. Die Ankündigungen über gefaltete Informationsblätter oder Einladungen hat den Nachteil, dass sie für Werbezettel gehalten werden. Es macht nur ein wenig Mehraufwand, erzielt aber eine enorme Wirkung, wenn das An-schreiben in Briefumschläge getütet und vor dem Einwurf mit Blick auf das Briefkastenetikett auch noch der Name auf den Umschlag geschrieben

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wird. Der weitere Vorteil ist, dass man vor dem Briefkasten oft anhand des Namens die Nationalität einschätzen kann und so zudem die sprachlich passende Textkopie wählen kann.Besonders hilfreich ist eine Mitteilung in der Presse, um die Bedeutung der Befragung hervorzuheben. Erleichternd ist dabei, dass die kostenlosen Werbeblätter und Lokalradios in der Regel mehr gelesen bzw. gehört wer-den als die (teure) Lokalzeitung.Besuche zu zweit (zumindest am Anfang) fördern die Refl exionsmöglich-keiten. In größeren Familien kann man so auch mit mehren Personen spre-chen (vier Ohren hören mehr als zwei). Auf manche Befragte kann das Auftreten von zwei Personen allerdings auch beängstigend wirken. Ge-mischte Teams sind meistens von Vorteil. Reine Männerteams wecken tendenziell schon mal eher das Misstrauen und erschweren manchmal den Kontakt zu Frauen, insbesondere des islamischen Kulturkreises. Wenn be-sondere Zielgruppen erreicht werden sollen, können gemischte Teams sehr hilfreich sein: Ein Deutscher und eine Migrant/in, eine ältere und eine jüngere Person etc.Es ist anstrengend, aktivierende Gespräche zu führen und das Eigeninter-esse des Gegenübers zu erfassen. An Tagen, an denen man sich schlecht fühlt, sollte man keine Gespräche führen. Richtlinien, wie viele Gespräche man an einem 7,5-Stunden-Tag führen kann, sind schwer zu defi nieren. Das ist abhängig von der Auskunftslust der Befragten („Na gut, zehn Minu-ten habe ich Zeit“), wie viel Zeit man für das Drumherum benötigt („Kom-men Sie doch rein auf eine Tasse Kaffee“), wie viel Fülle an Inhalten mir mein Gegenüber liefert („Juchu – eine Schlüsselperson!“), von der Zeit, die mich das Herumlaufen kostet („Mist, schon wieder war keiner im ganzen Haus zu erreichen“) usw. Einige Rückmeldungen, die uns erreichten, plä-dierten dafür mit vier bis sechs Befragungen pro Tag zu kalkulieren. Wir wehren uns da eher gegen starre niedrige Richtwerte, aber auch gegen eine Überfrachtung im Vorfeld.Wenn mehrere Befrager/innen gleichzeitig unterwegs sind, ist es gut, einen verabredeten Ort zu haben, an dem sie zusammenkommen können, um Tee zu trinken, eine Pause einzulegen, um schwierige Situationen mit einer (möglichst konstanten) Ansprechperson gleich besprechen können (Coa-ching des Befragungsteams), aber auch, um Ergebnisse zusammenzutra-gen (siehe Phase sechs). Alternativ könnte ein Refl exions-Jour-Fix pro Wo-che angeboten werden.Für die Dauer einer Aktivierenden Befragung sind verschiedene Modelle denkbar, je nach Zeitbudget der Beteiligten: eine Woche, drei Wochen bis maximal sechs bis acht Wochen. Der Zeitrahmen sollte überschaubar blei-ben, damit die Befragten noch den Zusammenhang zwischen Befragung und später stattfi ndender Bewohnerversammlung erkennen und sich da-ran erinnern können.Wenn im Gespräch andere Menschen generell als Problem benannt wer-den („Die Ausländer stören; die Kinder nerven ...“), ist es unerlässlich, die dahinter liegende Situation zu erkunden, denn wir können nur dazu beitra-gen, Situationen und Handlungen zu verändern. Hier gilt es nicht darüber zu diskutieren, sondern sofort die Frage anzuschließen: „Welche konkreten

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Erfahrungen haben Sie gemacht?“ Damit trennen wir auch die Spreu vom Weizen und können unterscheiden zwischen Vorurteilen und den – dann oftmals nachvollziehbaren – eigenen konkreten Erfahrungen der befragten Menschen.Skepsis bei den Befragten über das Mitschreiben kann beseitigt werden, wenn der Grund für das Mitschreiben benannt wird und zwar so, dass die Befragten den Nutzen erkennen, den sie selber davon haben: „Die Dinge, die Sie benennen, sind uns wichtig. Sie sollten nicht verloren gehen, darum notiert meine Kollegin dies mit. Wir halten das ohne Namensnennung fest. Ist das so o.k.?“Eine klare Arbeitsteilung im Team hilft: Wer befragt? Wer schreibt mit? Dennoch: Wer mitschreibt hat oft den Überblick über noch zu allgemein ge-haltene Themen und sollte sich dann gegen Ende des Gespräches auch einschalten und Konkretisierungen einholen („Jetzt habe ich vorhin mitge-schrieben, dass Sie der Lärm stört. Können Sie uns das noch etwas ge-nauer beschreiben?“). Hilfreich ist es, insbesondere bei der Befragung von Bewohnern/innen an-derer Kulturen, die Einladung, etwas zu trinken, nicht auszuschlagen, um deren Kommunikationsrahmen wertzuschätzen und eine offene Gespräch-satmosphäre zu gestalten.Wird jemand nicht angetroffen, kann man ohne großen Aufwand verdeutli-chen, dass man sich bemüht hat, aber niemand zu erreichen war: Man schiebt einen Brief unter der Haustür durch mit der Mitteilung, dass man bedauert, keinen angetroffen zu haben, dass man eventuell noch einmal kommt oder die Adressaten gerne unter der dort angegebenen Telefon-nummer einen Termin vereinbaren können.Während der Gespräche stößt man nicht selten auf Ressourcen: Räum-lichkeiten, verborgene Brachfl ächen, aber auch auf Menschen, die Kompe-tenzen und Interessen haben, die für die Alltagsarbeit im Stadtteil interes-sant sind: ein ehemaliger Koch, ein Fußballtrainer, eine begeisterte Schachspielerin usw. Was spricht dagegen – freundlich und nicht zu drän-gend – nachzufragen, ob man den Namen auf einem gesonderten Blatt festhalten darf, und ob man gegebenenfalls mal auf die Person zurück-kommen könne, wenn man Unterstützung in dieser Sache braucht. Um dies nicht aus den Augen zu verlieren, haben wir manchmal schon auf dem Fragebogen einen Merkposten mit dem Stichwort „Fähigkeiten“ eingeplant (s. Fragebogen).Von zentraler Bedeutung ist die abschließende Frage: Wollen Sie eingela-den werden, um über die Ergebnisse der Befragung informiert zu werden? Bei dieser Gelegenheit kann dann auch Name, Anschrift und eventuell die Telefonnummer auf einem gesonderten Blatt notiert werden. Dies kann auch für weitere Kontakte hilfreich sein!Wenn der Zeitrahmen, in dem befragt wird, vorher klar abgesprochen ist, kann den Befragten vielleicht schon ein Termin und der Ort für die ab-schließende Bewohnerversammlung genannt werden.Zum Stolperstein kann sich die Einladung zur Versammlung dann entwi-ckeln, wenn man versucht, allzu aufdringlich zu missionieren nach dem Motto: Wenn Sie was stört, dann müssen Sie nun aber auch kommen! Hin-

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derlich sind auch Versuche zu versprechen, dass sich ganz sicher was än-dern wird, wenn man es nur versucht. Ehrlich gemeinte Zurückhaltung ist hier gefragt. Es gilt, die Überzeugung auszustrahlen, dass Veränderungen möglich sind. Dafür kann man eventuell Beispiele aufzuzeigen. Wir können in jedem Fall deutlich machen, dass man sich freuen würde, wenn die Be-wohnerin oder der Bewohner kommen würde. Aber es gilt auch deutlich zu machen, dass man soeben schon wertvolle Informationen erhalten hat, für die man sich bedankt. Wer an diesem Punkt zu aufdringlich wirkt und dem Gegenüber das Recht abspricht, passiv zu bleiben, hinterlässt den Nach-geschmack, dass die Befragung nur ein Trick war, um die Leute zur Ver-sammlung einzuladen und zu Aktivität zu verhaften. Eine ungezwungene Haltung dagegen nach dem Motto: Ihre Informationen waren wichtig und es wäre schön, wenn Sie kommen würden, verspricht mehr Erfolg als päd-agogische Zeigefi nger.

Tipps zu Phase 6: Auswertung der Befragung

Für die Auswertung ist es hilfreich, dass das Befragungsteam sich vorher (bzw. nachdem die ersten Gespräche gelaufen sind) auf erste Schlüssel-begriffe und Kategorien geeinigt hat, die im Laufe der Auswertung ergänzt bzw. differenziert werden können.Wenn es einen Treffpunkt für das Befragungsteam gibt, können evtl. dort Plakate mit den thematischen Überschriften an die Wände gehängt und die Ergebnisse in Form von Strichlisten festgehalten werden. Diese Plakate können später zur Bewohnerversammlung die Wände schmücken und bie-ten so – bereits vor Beginn der Veranstaltung – mögliche Anknüpfungs-punkte zum Gespräch.Wer möglichst zeitnah die Themen bündelt und auswertet, kann dank der noch frischen Erinnerungen an die Gespräche manchmal noch Themen ergänzen („Ach, das hatte ich gar nicht aufgeschrieben!“).Dies ist besonders wichtig, wenn die Befragung durch Jugendliche durch-geführt wird. Ihre Geduld für länger währende Auswertungsprozesse ist begrenzter: Da muss möglichst bald action folgen!Wenn die Ergebnisse im Computer z.B. durch Excel-Tabellen erfasst wer-den, können die Daten gut sortiert, in verschiedenen Kombinationen abge-fragt und später auch grafi sch dargestellt werden.

Tipps zu Phase 7: Bewohnerversammlung und Bildung von Aktions-gruppen

Im Folgenden werden die Tipps rund um die Organisation einer Bewoh-nerversammlung benannt (zur Moderation einer Versammlung s. Lüttring-haus 2003).

Wichtig ist, dass der Veranstaltungsort für die Bewohnerversammlung le-bensweltorientiert und damit niederschwellig ist. Am wichtigsten ist, dass sich die Menschen wohl fühlen. Es gilt, den Fluchtinstinkt der Menschen zu beachten (den kennt vermutlich eine jede und ein jeder von sich: Denken Sie an eine Veranstaltung, von der Sie nicht so recht wissen, was da auf

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einen zukommt; Sie setzen sich vermutlich vorsichtshalber nach hinten). Dementsprechend kann eine Bewohnerversammlung auch ruhig draußen stattfi nden. Da kann man mal eben vorbeischauen mit der großen Tasche in der Hand oder dem Hund an der Leine, denn eigentlich wollte man ja nur mal zum Einkaufen gehen. Die Leute wissen, sie können wieder gehen, ohne ihr Gesicht zu verlieren.Die passende Form für eine Bewohnerversammlung muss immer wieder neu auf die konkreten lokalen Verhältnisse bezogen werden, muss immer wieder vor Ort neu erfunden werden: Mal ist es ein Treffen im Innenhof, mal ein Treppenhausgespräch, mal ein Treffen im Pfarrsaal, ein Spielplatz-fest mit Gesprächsanteilen, mal eine Versammlung im Wohnzimmer einer angesehenen libanesischen Familie.Wer Teilhabe fördern will, sollte bei der Aktivierungsform anfangen. Das heißt: nicht nur schriftlich einladen. Natürlich ist die Aktivierenden Befra-gung schon eine besondere Form der Aktivierung, aber es gibt auch an-dere: z.B. Dias an einer Hauswand, ein Bergmannschor, der ein altes ma-rodes Zechenobjekt verabschiedet oder als einfaches Mittel mit umwer-fender Wirkung: eines dieser kleinen weißen Plastikzelte aufzubauen. Wer schon mal so ein Zelt aufgebaut hat, der weiß wie das ist: Man schimpft laut, andere helfen und weil es dann auch ständig zusammenbricht und to-tal laut klappert. Das sind sozusagen die Stadtteil-Glocken, die zur Ver-sammlung einladen. Die harte Arbeit, die es bedeutet, solche Zelte aufzu-bauen, fördert die Kommunikation schon im Vorfeld. Man kriegt ständig Tipps von den Bürger/innen, der Stadtteil ist durch den Lärm informiert, man ist von Kindern umlagert und man bekommt durch den damit verbun-denen Mitleidseffekt tausend Sympathiepunkte bei den Bewohner/innen – was zudem die Schwellenangst senken kann.Eingeladen werden alle Bewohner/innen über Pressemitteilungen und Pla-kate. Diejenigen, mit denen zum Ende des Interviews vereinbart wurde, dass sie Interesse an den Ergebnissen haben, werden persönlich schrift-lich eingeladen. Ihre Adressen haben wir – getrennt vom Fragebogen – am Ende des Gesprächs auf einem gesonderten Blatt festgehalten. Da es von zentraler Bedeutung ist, dass die betroffenen Menschen in einem Raum zusammenkommen, um sich auszutauschen und organisieren zu können, ist es durchaus sinnvoll, einzelne Personen, mit denen man Interviews ge-führt hat, persönlich anzurufen, um sie an das Treffen und ihr damals ge-äußertes Interesse zu erinnern! Antworten wie „Ich weiß noch nicht, ob ich komme“ sind oft Quasi-Absagen: Die Haltung und Botschaft des Befra-gungsteams ist wichtig: Es geht um Ihre Anliegen (nicht unsere)!Einladende sind die, die die Verantwortung für die Aktivierende Befragung übernommen haben. Wenn es in Zusammenarbeit mit bestehenden, ver-trauten Organisationen passiert, ist es gut, dies deutlich zu machen. Auf Bezüge zu Parteien ist besser zu verzichten!Wichtige Sportereignisse oder Fernsehserien bei der Terminplanung soll-ten mitbedacht werden, um diesen Hinderungsgrund zu umgehen.Plakate mit der Ankündigung zur Aktivierenden Befragung wirken einla-dender, wenn dabei kein pessimistisches Bild forciert wird (Motto: Alles schlecht hier!), sondern verdeutlicht, dass man nach vorne schaut, ohne

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das Viertel diskreditieren zu wollen (z.B.: Was ist los im Südostviertel?; Südostviertel im Aufbruch!). Um Pressemitteilungen zu vermeiden, die die negativen Punkte des Stadt-teils in den Vordergrund stellen und damit den Stadtteil schwarz malen, ist es hilfreich, bei Einladung oder vor Versammlungsbeginn mit den Presse-menschen zu reden und diese zu bitten, durchaus die negativen Punkte und Themen zu benennen, aber im Tenor positiv zu berichten nach dem Motto: Ein Stadtteil ist im Aufbruch; die Bewohner/innen bringen das Quar-tier auf Trab ...Eine Berichterstattung über die Versammlung kann auch darüber erreicht werden, dass eine benannte Vertretung (vor allem der Bewohner/innen!) nachträglich – aus ihrer Sicht – über die Ergebnisse der Versammlung in einem Pressegespräch berichtet. Es ist für die Atmosphäre einer Ver-sammlung nicht unbedingt positiv, wenn gleich die Presse dabei ist.Politiker/innen neigen dazu, auf Versammlungen schnelle Lösungen zu versprechen, die oft zwar kurzfristig einen Mangel beheben, aber nicht be-sonders nachhaltig wirken und zudem die Aktivierung und Organisation der Bewohnerschaft verhindern, nach dem Motto: Ich regele das für Sie. Um das zu vermeiden, ist es sinnvoll, die Politik im Vorfeld über das Ziel der Aktivierenden Befragung zu informieren, ihr eventuelles Engagement zu begrüßen, sie aber darauf hinzuweisen, dass es darum geht – wann im-mer es geht – die Themen gemeinsam mit den Bürger/innen anzupacken. Dazu ist es aber wichtig, dass die Bewohnerschaft sich erst einmal alleine trifft und sich darüber verständigt, was sie verändern will. Dafür ist die An-wesenheit von Vertreterinnen oder Vertretern der Politik bei der ersten Ver-sammlung oft nicht hilfreich. Sie können darauf hingewiesen werden, dass sie ihr Interesse und Engagement auch oder sogar besser durch ein schriftliches Grußwort bekräftigen, indem sie deutlich machen, dass sie die Einwohnerschaft gerne unterstützen wollen, aber erst mal respektie-ren, dass sie sich unter sich austauschen und beraten. Hilfreich und kommunikationsbefördernd wirken auch Plakate mit den The-men, wie sie in der Auswertung gebündelt wurden. So fi nden sich die Leute wieder mit ihren Themen. Das kann ermutigend wirken, weil man Bezug nehmen kann oder auch, weil man sieht, dass das gleiche Thema von vie-len benannt wurde. Man kann dann auch lange (und oft langatmige) Aus-wertungsvorträge über die Ergebnisse der Befragung verkürzen und schnell zur Sache kommen, nämlich ins Gespräch mit den Leuten. Perfek-tionismus in der Darstellung kann im Übrigen demotivierend wirken: Betei-ligung sieht dann so aus, dass mit Powerpoint-Demonstrationen die Leute schlichtweg plattgebeamt oder mit Overhead-Projektoren geblendet wer-den. Die Botschaft einer technisch zu perfekten Vorstellung ist: Da sind Profi s am Werk, die machen das so gut, die sollen das auch weiter ma-chen!Ebenso gilt es zu verhindern, dass zu viele professionell Tätige aus dem Stadtteil anwesend sind. Dann entsteht schnell der Eindruck: Das sind doch so viele, die können das am besten für uns regeln.Wenn Mitglieder des Befragungsteams anwesend sind, sollten sie nicht zu-sammensitzen, sondern im Raum verteilt. So können sie vielleicht Neben-

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gespräche aufgreifen, Leute zum lauten Sprechen animieren oder gegebe-nenfalls der Moderation Hinweise geben (aber Achtung, bitte keine Ko-Lei-tung!).

Tipps zu Phase 8: Begleitung der entstandenen Gruppen

Wenn Leute mit viel Eifer und Aktionsdrang eine Arbeitsgruppe starten, ist es wichtig, dass möglichst bald deutlich wird: Hier geschieht etwas, es lohnt sich zusammenzuarbeiten. Gemeinsame Beschwerdebriefe, Einladungen an zen-trale Personen aus Politik und Verwaltung, Ortstermine mit behördlichen Ver-tretungen sind mögliche erste konkrete Aktionen, die zeigen, dass hier nicht nur geredet wird.

Es gilt zuerst kleine Ziele zu stecken, ohne die größeren aus den Augen zu verlieren, um Erfolge zu erzielen. Dabei gilt es immer wieder deutlich ma-chen, dass voraussichtlich mehrere Schritte notwendig sind, um ans Ziel zu kommen.Jede professionelle Begleitung sollte darauf achten, dass der Spaß nicht zu kurz kommt. So ist z.B. die stringente Moderation einer Arbeitsgruppe unter bezahlten Profi s richtig am Platz. Die moderierende Begleitung von freiwillig und unbezahlt tätigen Gruppenmitgliedern erfordert eine weichere Form der Moderation.Leute, die neu aktiviert sind, wollen in der Regel auch etwas Neues anfan-gen, als neue Gruppe sichtbar sein und nicht in eine alternde Gruppe inte-griert werden. Deshalb sollten sich die Treffen z.B. einen eigenen neuen Namen geben.Es ist Aufgabe der Profi s, ihre Rolle und ihren Auftrag der Gruppenbeglei-tung immer wieder neu abzuklären und nicht ungefragt für andere tätig zu werden. Insbesondere die Vertretung nach außen sollte transparent ge-klärt werden. Dabei sollten sich Profi s zurückhalten! Entscheidend ist, dass die Betroffenen selbst tätig werden.Die professionelle Begleitung von Aktionsgruppen geschieht in dem Span-nungsfeld: so viel Beratung wie möglich und so wenig praktische Über-nahme von Aufgaben wie nötig. Wir Profi s sind immer nur die Restarbei-tenden. Respekt gegenüber dem Expertenwissen der aktiv gewordenen Betroffenen ist gefragt. Profi s fungieren als Organisationsberatung (Berger/Richers 2002). Sie sind nicht selber betroffen, aber sie bringen ihre Kennt-nisse über Prozesse, Strukturen, Strategien und Taktiken mit ein, um die Akteure lösungsorientiert zu unterstützen. Die Aktivitäten sollen Aktionen der Einwohner/innen sein und nicht die der Profi s. Wenn diese sich zunächst etwas nicht zutrauen, ist es die Aufgabe der professionellen Begleitung, sie zu unterstützen (z.B. gemeinsam Infor-mationen beschaffen, Moderation eines Treffens oder eines wichtigen Ge-sprächs einüben, Aufgaben zu zweit erledigen, Arbeitshilfen nutzbar ma-chen). Wenn Profi s die Rolle der Gruppenleitung erst mal annehmen, wer-den sie schwer wieder aus dieser Rolle herauskommen.Ein Mindestmaß an Struktur ist notwendig für die Identifi kation der Grup-penmitglieder mit der Gruppe bzw. der Organisation und gegenüber Dritten. Deshalb sollte sie gemeinsam entwickelt werden. Verteilte Verant-

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wortlichkeiten – je nach Bedarf – (Einladungsverteilung, Protokollführung, Außenvertretung oder Kontakttelefon) sorgen für Verbindlichkeit. Mitglied-schaften können sich festmachen an einer Namensliste, am Mitgliedsbei-trag oder einer Telefonkette. Wichtig ist es zu klären, wer dazugehören will und dass es auffällt, wenn jemand weg bleibt.Protokolle über die Absprachen in der Gruppe sind wichtig – aber bitte nicht zu perfekte Ansprüche. Je knapper und einfacher, desto eher können sie von Bewohnerinnen oder Bewohnern selber übernommen werden.Dauerhaftes Engagement wird nur möglich sein, wenn es gelingt, über ein erstes einzelnes Ziel hinaus ein breiteres Ziele-Programm zu entwickeln, unter dem sich verschiedene Menschen und Gruppen zusammenfi nden können. Daran wird auch erfahrbar, dass viele kleine begrenzte Aktivitäten zusammengesehen Erfolgsschritte sind.

Abschließend liegt uns daran zu betonen: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine Aktivierende Befragung allein bringt den Stadtteil nicht in Schwung. Die Aktivierende Befragung ist ein gutes Instrument für eine Grundmobilisierung in einem Quartier. Sie ist eine wunderbare Methode, aus der sich heraus dann mit einer soliden Begleitung vielzählige Aktivitäten ent-wickeln können. Wer mit dem aktionistischen Interesse antritt, Daten zu sam-meln und eine Hochglanzbroschüre vorlegen zu können, der wird der Idee der Aktivierenden Befragung nicht gerecht. Eine Aktivierende Befragung muss – das wollten wir durch die vielen Tipps deutlich machen -eingebettet sein in ein langfristiges Konzept: „Sie ist keine Seifenblase, die man hochge-hen lässt und bewundert, weil sie so schön bunt ist – und ein Jahr später wundert man sich, dass nichts daraus geworden ist.“ (Hinte, zit. in Lüttring-haus 2003, S. 33). Sie ist nicht ein Projekt, sondern ein grundlegender Zu-gang, durch den Projekte entstehen können.

Literatur

Berger, T./Richers, H.: Aufbau von selbsttragenden Bewohnerorganisationen in der Stadt – wie kann das gehen? In: Gillich,S.: Gemeinwesenarbeit – Eine Chance der sozialen Stadtentwicklung, Gelnhausen 2002.

Hauser, H. u. R.: Die kommende Gesellschaft, München 1971.

Hinte, W./Karas, F.: Studienbuch Gruppen- und Gemeinwesenarbeit, Frankfurt/M. 1989.

Hinte, W./Karas, F. : Die Aktionsforschung in der Gemeinwesenarbeit. In: Hinte, W.: Bewohner ermutigen, aktivieren, organisieren. Methoden und Strukturen für ein ef-fektives Stadtteilmanagement. In: Alisch 1998.

Lewin, K.: Die Lösung sozialer Konfl ikte, Bad Nauheim 1968.

Lüttringhaus, M.: Stadtentwicklung und Partizipation, Bonn 2000.

Lüttringhaus, M./Richers, H.(Hrsg): Handbuch Aktivierende Befragung, Bonn 2003.

Seippel, A.: Handbuch Aktivierende Gemeinwesenarbeit, Gelnhausen/Berlin 1976.