Post on 10-Jul-2020
Können wir Zivilcourage lernen?Können wir Zivilcourage lernen?
Prof. Dr. Margarete BoosUniversität Göttingen
Institut für Psychologie
Zivilcourage - Teil von Kriminalprävention Begriff Zivilcourage
Prozessmodell der Hilfeleistung Prozessmodell der Hilfeleistung
Welche Kompetenzen braucht man, um zivilcouragiert zu
handeln?
Lernmöglichkeiten für Zivilcourage Lernmöglichkeiten für Zivilcourage
München, 13.09.2009Dominic Brunner, ein 50 Jahre alter Manager50 Jahre alter Manager aus München, wird durch zwei Teenager zudurch zwei Teenager zu Tode getreten, als er jüngere Opfer schützen wollte.
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W l h Sit ti f dWelche Situationen erfordern Zivilcourage?ivilcourage?
Nicht nur spektakuläre Situationenp Sondern gerade auch: Häusliche Gewalt (z B gegen Kinder gegen Frauen) Häusliche Gewalt (z.B. gegen Kinder, gegen Frauen) Sexuelle Belästigung (z.B. am Arbeitsplatz)M bbi i d S h l Mobbing in der Schule
Bedrohungssituationen im öffentlichen Raumll h k k Institutionelle Ungerechtigkeit und Diskriminierung
Spot:http://www.goettinger-tageblatt de/Nachrichten/Goettingetageblatt.de/Nachrichten/Goettingen/Uebersicht/Zivilcourage-Informationen-in-40-Sekunden-Filmzeit?tsUser=Ts
Praktische Übung
„Murmelgruppen“ zum Spot
Wie kann ich hier mit Zivilcourage handeln?
Was muss ich bedenken?
Drei prototypische Situationen
Parole: Über eine nicht anwesende Person/Gruppe wird abfällig gesprochen
Pöbelei: Eine Person wird verbal Pöbelei: Eine Person wird verbal angegriffen
Prügelei: Eine Person wird tätlich Prügelei: Eine Person wird tätlich angegriffen
Brandstätter-Morawietz et al. (2008)
Drei prototypische Situationen
Parole: Über eine nicht anwesende Person/Gruppe wird abfällig gesprochen
Pöbelei: Eine Person wird verbal Pöbelei: Eine Person wird verbal angegriffen
Prügelei: Eine Person wird tätlich Prügelei: Eine Person wird tätlich angegriffen
Brandstätter-Morawietz et al. (2008)
ZivilcourageZivilcourage –ein komplexes soziales Geschehenp
BystanderBystander
Opfer Täter/inOpfer Täter/in
BystanderBystander
Handelnde/r
Opfer Täter/inOpfer Täter/in
Hilfeverhalten Zivilcourageüb i d i d i i it überwiegend in der dyadischen Interaktion statt
in einem weiteren sozialen Feld
statt positive soziale Konsequenzen
negative soziale KKonsequenzen
Von bestimmten
Konsequenzen
i lfäl i i i Von bestimmten Einstellungen beeinflusst, z B Wechselseitigkeit
Vielfältige situative Einflüsse
z.B. Wechselseitigkeit
Bystander
Handelnde/r
Opfer
Bystander
Handelnde/r
Opfer Täter/in
Was ist Zivilcourage?
Ei ti öff tli h H dlEine mutige, öffentliche Handlung zu Gunsten bedrohter Dritter, motiviert durch die Sicherung von humanitären, demokratischen Grundüberzeugungen, die möglicherweise mit negativen Konsequenzen für den/die Handelnde/n verbunden ist.
(Jonas, Boos, & Brandstätter, 2008)
Zivilcourage fördern ‐
Maßnahmen und VoraussetzungenMaßnahmen und Voraussetzungen
Zivilcourage als ein Element von P ä tiPrävention
Zivilcourage ist weder Allheilmittel noch Alleinheilmittel.Eine Einbindung in ein Präventionskonzept ist auf organisationaler, institutioneller oder sozialräumlicher b diEbene notwendig.
Prävention ist kein Thema nur für Risikogruppen ( i ll Tä /i d O f )(potentielle Täter/innen und Opfer).
Zivilcourage als Präventionsmaßnahme für die zunächst scheinbar „Nichtbetroffenen“.
Zivilcourage im Kontext von PräventionsperspektivenPräventionsperspektiven
Generalprävention Primärprävention Sekundärprävention
Täter/in Life Skills Trainings, Anti‐Aggressionstrainings Täter‐Opfer‐AusgleichTäter/in Life Skills Trainings,z.B. Soziale Kompetenz
Anti Aggressionstrainings Täter Opfer Ausgleich
Opfer Life Skills Trainings,z.B. Aufklärung zu Missbrauch
SelbstbehauptungstrainingsSelbstverteidigung
Anti‐Re‐Viktimisierungs‐Maßnahmen
Missbrauch
Bystander Liebevolle warmherzige
Life Skills Trainings,z.B. Zivilcouragetraining
Reflexion eigenen Verhaltens in
Erziehung, faire Auseinandersetzung der Eltern mit ihren
Notfallsituationen
Kindern;Unterstützung durch eine Gruppe
Fokussierung auf den/die Täter/in
(Jonas, 2009)
… und nicht auf Opfer oder Bystander
(Jonas, 2009)
Mediale Maßnahmen alleinMediale Maßnahmen allein reichen nicht aus.
Die Wirkung von VorbildernDie Wirkung von Vorbildern
Historische Vorbilder vermitteln heute nur den ideellen Wert von Zivilcourage
Sie vermitteln HEUTE nicht mehr, wie Zivilcourage tatsächlich gezeigt werden kann.
D V h l S hi S h ll ä h b i i l i “ Das Verhalten von Sophie Scholl wäre heute beispielsweise „nur“ gutes demokratisches Verhalten.
Die Wirkung von Zivilcouragepreisen
Die Wirkung von ZivilcouragepreisenDie Wirkung von Zivilcouragepreisen
Zi il hi ht hä fi i V b Zivilcourage geschieht häufig im Verborgenen. Zivilcouragierte Menschen wollen oft nicht mit
ihrem Verhalten in der Öffentlichkeit dargestellt werden.
Ausgezeichnete Individuen werden im Nachhinein oft negativ bewertet.o t egat be e tet
Oftmals finden sich im Nachhinein bedeutende Kritik oder Gegendarstellungen,z B bei Rebecca Katzschmann Mittweidaz.B. bei Rebecca Katzschmann, Mittweida, ausgezeichnet durch das Bündnis für Toleranz und Demokratie, 2008.
Können wir Zivilcourage lernen?
Zivilcourage – eine Frage der PersönlichkeitPersönlichkeit
Ungerechtigkeitsempfindeng g p Empörung, wenn soziale Regeln nicht
eingehalten werdeneingehalten werden Empathie
S lb t t Selbstvertrauen Selbstkonsistenz
Brandstätter-Morawietz et al. (2009)
Zivilcourage – situative BedingungenKitty GenoveseKitty Genovese
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Prozessmodell der Hilfeleistung(Latané & Darley, 1970)(Latané & Darley, 1970)
Schritt 5Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4
HilfeleistungWeg zur Hilfeleistung
Schritt 5
handeln
Schritt 1
bemerken, dass etwas
Schritt 2
das Ereignis als eine Not‐
Schritt 3
sich für die Hilfeleistung
Schritt 4
entscheiden, wie zu
Hi d i
dass etwas geschieht
Hi d i
situation interpretieren
Hi d i
verantwortlich fühlen
Hi d i
helfen ist
Hi d i
soziale Hemm n
Hindernis
Ablenkung
Hindernis
pluralistische I noran
Hindernis
Verantwortungs‐diff sion
Hindernis
Kompetenz‐man el
Hindernis
HemmungIgnoranz diffusion mangel
Weg zur Verweigerungvon Hilfe fehlende Hilfeleistungvon Hilfe
Trainingsangebote für Zivilcourage
Es gibt zahlreiche nicht evaluierte „ZC‐Angebote“, die vielfach Anti Gewalt oder Konflikttrainings sindAnti‐Gewalt‐ oder Konflikttrainings sind.
Psychologisch fundierte und empirisch evaluierte Trainings Kleine Schritte statt HeldentatenKleine Schritte statt HeldentatenProf. Dr. Veronika Brandstätter, Uni ZürichZielgruppe: ältere Jugendliche, Erwachsene
Göttinger Zivilcourage Impulstraining (G ZIT) Göttinger Zivilcourage‐Impulstraining (G‐ZIT)Prof. Dr. Kai Jonas und Prof. Dr. Margarete BoosZielgruppe: ältere Jugendliche, ErwachseneA f h t! Aufgschaut!Polizei München und Prof. Dr. Dieter Frey, LMU MünchenZielgruppe: Schulkinder bis Jahrgangstufe 9
Zammgrauft!Polizei München und Prof. Dr. Dieter Frey, LMU MünchenZielgruppe: Jugendliche ab Jahrgangstufe 9g pp g g g
Die häufigsten Fehlannahmen….
Gegen den/die Täter/in ˃ Opferbezogen… statt dessen:
Gegen den/die Täter/in agieren
Alleine eingreifen
˃ OpferbezogeneingreifenU ü h Alleine eingreifen
Eigenes Potential unterschätzen
˃ Unterstützung suchen
˃ Paradox intervenierenunterschätzen
Standardrezepte d
˃ Verhaltensprinzipienanwenden
Vom Ergebnis her b t
˃ Auch kleine Dingehelfenbewerten helfen
Paradoxe Intervention
Ziel: Handlungsspielraum gewinnen Handlungsspielraum gewinnen Tätermacht (unter‐) brechen
Wie? Den Konflikt scheinbar negiereng Nicht Partei ergreifen Überraschungseffekte nutzen g
Zivilcourage lernen …
Lernen Sie Ihre Zivilcourage zu Lernen Sie, Ihre Zivilcourage zu entwickeln (Training)
„Kleine Schritte statt Heldentaten“ Suchen Sie sich Vorbilder Suchen Sie sich Vorbilder Handeln Sie opferorientiert Unterstützung suchen, andere Zuschauer/innen ansprechenZuschauer/innen ansprechen
Machen Sie sich bekannt
Zivilcourage lernen …
Nicht drohen oder beleidigen Nicht drohen oder beleidigen Körperkontakt zum/zur TäterIn pvermeiden
Seien Sie Zeuge/Zeugin und alarmieren Seien Sie Zeuge/Zeugin und alarmieren Sie die Polizei
Anforderungen an die Vermittlung von Zivilcourage in modernen Migrations‐gesellschaftengesellschaften
Sozialer Kontext: K llidi d V h lt ök l i ?Kollidierende Verhaltensökologien?
• Normative StandardsH h S lb tüb
• Unklare normativeSt d d Eh k lt• Hohe Selbstüberzeugung:
Anordnungen werden befolgt. • Geringe (körperliche) Konflikterfahrung• Geringes Wissen über die
Standards, Ehrkultur• Hohe Selbstüberzeugungin Konfliktsituationen
• Große Konflikterfahrung• Geringes Wissen über die Verhaltensökologie der „Täter“
• Große Konflikterfahrung• Geringes Hemmungs‐niveau
Zivilcourage –Ei ( ) ü htEin (un‐)erwünschtes Verhalten?
Öffentliche Aufforderung zu mehr Zivilcourage Dennoch bleibt das Verhalten in einer legalen
Grauzone Verdienstkreuze und Preiseversus Staatliche Institutionen, die individuelle oder
Zivilcourage in der Gruppe negativ sanktionierenZivilcourage in der Gruppe negativ sanktionieren
Abhängig vom Täter/in oder Opfer…
Zivicourage ist meist „gut“ und wird unterstützt wenn… Die Bewertung des/der Täter/in Die Bewertung des/der Täter/in
einheitlich negativ ist
Zivicourage ist meist schlecht“ Zivicourage ist meist „schlecht und wird unterstützt wenn… Die Bewertung der/des Täter/in gut ist Der Staat selbst das Ziel der Intervention ist Die Intervention auf „Fehler im System“ hinweist
Zivilcourage ist gegenwärtig ein rein „westliches“ Konzept – trifft aber auf„westliches Konzept trifft aber auf Mitglieder anderer Kulturkreise. Wertebasis von Zivilcourage baut auf christlich‐judäischen und
demokratischen Grundwerten westlich individualisierter G ll h f fGesellschaften auf.
Vermittlungsproblem gegenüber Mitgliedern anderer KulturkreiseKulturkreise
Notwendigkeit der Übersetzung der Wertegrundlage in diese Kontexte, z.B. Ehrkulturen,
Anpassung der didaktischen Konzepte
Vielen Dank fürVielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit