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Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 1 / 27
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben Ein neues mathematisches Modell zu sehr schnellen Berechnung von Ketten- und Spreizkräften, Stützung, Schlupf und Wirkungsrad
Prof. Dr. P. Tenberge 0 Kurzfassung
Der Wirkungsgrad von Ketten-CVTs hängt von den Reibungskräften und dem Schlupf
zwischen der Kette und den Scheiben ab. Der Schlupf selbst resultiert aus elastischen Defor-
mationen der Scheiben, der Wellen und der Kette sowie den zusätzlichen Gleitbewegungen
bei Übersetzungsänderungen. Die örtlichen Reibungskräfte ergeben sich aus den örtlichen
Spreizkräften und den örtlichen Reibungskoeffizienten. Für die Berechnung dieser
Zusammenhänge wurde ein neuer mathematischer Algorithmus entwickelt, der auch in
Betriebspunkten mit veränderlicher Übersetzung gute Ergebnisse berechnet und sehr schnell
arbeitet. Weitere Ergebnisses dieser Berechnungen sind die Scheibenspreizkräfte, die nötig
sind, um ein bestimmtes Drehmoment bei einer bestimmten Übersetzung und Übersetzungs-
änderung zu übertragen, und der Wirkungsgrad sowie die Sicherheit gegen Durchrutschen.
Mit diesem Werkzeug wird es nun einfacher, die Konstruktionen, die hydraulischen Steuer-
systeme und die Regelstrategien solcher CVTs zu verbessern, um höhere Drehmoment-
kapazitäten zu erlangen oder um die Verlustleistungen zu reduzieren.
The efficiency of chain-CVTs depends on friction forces and slip between the chain and the
pulleys. The slip itself results from the elastic deformations of the pulleys, shafts, and the
chain and from additional motions between chain and pulleys when changing the trans-
mission ratio. The local friction forces depend on the local axial clamping forces and the local
friction coefficients. A new mathematical model has been developed to calculate these
relationships even in conditions with variable transmission ratio and furthermore with a very
high calculation speed. Additional results are the relations between the clamping forces,
which are necessary to transmit a certain torque at a certain ratio and a particular adjusting-
speed, and the efficiency as well as the safety from gross slip. With this new tool it is much
easier to improve the design of the CVT as well as the hydraulic system and the control
strategies resulting in higher torque capacities and reduced power losses.
Dieser Aufsatz ist Dr. Otto Dittrich gewidmet für mehr als 50 Jahre sehr erfolgreiche Entwicklungsarbeit an Ketten-CVTs
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 2 / 27
1 Einleitung
Ein stufenloses Umschlingungsgetriebe besteht nach den Bildern 1 und 2 aus einem ersten
Scheibensatz A und einem zweiten Scheibensatz B mit je einer Festscheibe und einer axial
beweglichen Losscheibe sowie einem Umschlingungsmittel. Die folgenden Betrachtungen
gelten insbesondere für Getriebe mit gliedrigen Umschlingungsmitteln wie z.B.
Wiegedruckstückketten oder Schubgliederbändern, also mit einer endlichen Zahl von
Kontaktstellen zu den Scheiben.
Scheibensatz B(Abtrieb)
Umschlingungsmittel(Laschenkette)
Scheibensatz A(Antrieb)
Bild 1: Variator (Scheibensätze, Kette, Hydraulik) aus dem Audi-CVT „multitronic“
In so einem stufenlosen Umschlingungsgetriebe erfolgt die Kraftübertragung durch Reib-
kräfte in den geschmierten Kontakten zwischen der Kette und den Keilscheiben. Die
Reibungszahlen liegen hier je nach Schmierstoff und Oberflächenrauheiten in einem Bereich
zwischen 0,07<µ<0,11. Das heißt, es sind sehr hohe Kontaktnormalkräfte für eine hohe
Drehmomentkapazität erforderlich. Diese hohen Kontaktnormalkräfte deformieren die
Kettenbolzen und die Scheiben, die in Hinblick auf das Getriebegewicht leicht bleiben sollen.
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 3 / 27
Die Deformationen führen dazu, dass die Kette die Scheiben nicht mehr auf einem
Kreisbogen umschlingt, sondern bei der Umschlingung radial in die Keilrille einwandert oder
aus ihr herauswandert.
Scheibensatz B(Abtrieb)
Umschlingungsmittel(Kette oder
Schubgliederband)
Festscheibe B
Losscheibe B
Scheibensatz A(Antrieb)
Festscheibe A
Losscheibe A
Bild 2: Schematischer Aufbau eines stufenlosen Umschlingungsgetriebes
Zu diesen Gleitbewegungen kommt noch ein Längsschlupf hinzu, der sich aus der
Kettenlängselastizität und der Laufradienänderungen aufgrund der radialen Bewegungen
ergibt. Außerdem gibt es zusätzliche Gleitbewegungen aufgrund der Verstellbewegungen,
wenn man die Übersetzung ändert.
Alle Gleitbewegungen summieren sich zu einem Gesamtschlupf zwischen Kette und
Scheiben. Die örtlichen Reibungskräfte wirken den örtlichen Gleitbewegungen entgegen und
bewirken die Kraftänderung in der Kette und damit die Drehmomentübertragung im Getriebe.
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 4 / 27
0 10 20 30 400
2
4
6
8
bolt-Nr. on the wrap curve
Fmin
kN
Fmax
kN
XSA 48.7kN= SB 25.6kN= TA 250Nm= Pan 52.4kW=
Fu 3558N= ηKS 95.86%=
FF 260N= µmax 0.09= F [kN] Fmax 6224N= PVA 1330W=
Fmin 2666N= PVB 839.5W=
∆ S [kN] ε 2.335= SA 48.7kN=
ζ 1.901= SB 25.6kN=
100 0 100 200 300
100
0
100
vKS from the chain towards the disks
00
aV
mm
100 0 100 200 300
100
0
100
friction forces acting on the chain
00
aV
mm
100 mm⋅ 335mmps scale_v⋅= 100 mm⋅ 398N scale_F⋅=
0 10 20 30 40450
360
270
180
90
0
90
180
270
360
450
bolt-Nr. on the wrap curve
180−
180
Xstiffness "normal"=
iV 0.5= vK 14.72ms
=
γ [°] rA 70.3mm= nA 20001
min=
rB 35.1mm= nB 39841
min=
drAdt 20mms
=diVdt 0.52−
1s
=
drBdt 27−mms
=
input A output B
r-rm [µm]
Bild 3: Instationärer Betriebszustand:
iV=0.5, diV/dt=-0.52 Hz, TA=250 Nm, nA=2000/min, ε=2.335, SB=25.6 kN
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 5 / 27
Bild 3 zeigt in maßstäblicher Darstellung für einen beispielhaften Betriebszustand mit
Verstellbewegungen die örtlichen Gleitgeschwindigkeiten vKS der Kette gegenüber den
Scheiben, die örtlichen Reibungskräfte R, die örtlichen Laufradien r der Kettenbolzen im
Vergleich zum mittleren Laufradius rm, die sich aus der Überlagerung aller
Geschwindigkeitskomponenten ergebenden Gleitwinkel γ, den Verlauf der Kettenkraft F und
die örtlichen Spreizkräfte ∆S.
Solche Zusammenhänge sind aus Messungen und theoretischen Untersuchungen für
stationäre Betriebszustände sehr wohl seit langem bekannt [1-9]. Die heute verfügbaren
Berechnungsalgorithmen [7, 8] benötigen aber lange Rechenzeiten, um einen Betriebspunkt
zu analysieren und sind oft nur von Spezialisten zu bedienen. Es fehlt bisher ein Werkzeug
zur Unterstützung der Entwicklungsprozesse, mit dem diese Zusammenhänge für stationäre
Betriebszustände und auch für Verstellvorgänge ausreichend genau, schnell und einfach
berechnet werden können. In diesem Aufsatz wird dazu ein neuer Berechnungsansatz
vorgestellt.
2 Getriebedaten
Die Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben soll beispielhaft an einem
Getriebe mit folgenden Daten erläutert werden.
Daten zum Scheibensatz:
Achsabstand des Variators: aV = 155 mm
maximaler Laufradius: rmax = 74 mm
Steifigkeit der Scheiben: normal
Führungslänge der Losscheibe: FLLS = 68 mm
Führungsspiel der Losscheibe: SpielLS = 20 µm
Krümmungsradius der Scheiben: rWölbung = 1653 mm
Abstand Wölbungsmittelpunkt zur Scheibenachse: rW = 234 mm
Daten zur Kette:
Kettenlänge: LK=649 mm
Kettenbreite: bK = 24 mm
Kettenmasse: mK = 0,778 kg
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 6 / 27
Anzahl der Kettenglieder: zKE = 78
Kettenteilung: TK = 8,321 mm
Kettenlängselastizität: clK = 324,5 µm/N
Kettenquerelastizität (an jedem Bolzen): cqK = 5,714 µm/N
Reibwert:
Maximaler Reibwert zwischen Kette und Scheiben: µmax = 0,09
Der Reibwert kann entweder als konstant angenommen werden oder als variabel nach frei
definierbaren Reibgesetzen. Diese Reibgesetze ergeben sich aus dem Abgleich der
Rechenergebnisse mit experimentellen Untersuchungen. Nach bisherigen Untersuchungen
erhält man mit konstanten und auf beiden Scheibensätzen gleichen Reibwerten gute
Übereinstimmungen mit Versuchsergebnissen.
3 Gleitbewegungen und Kräfte zwischen Kette und Scheiben
Aus der Kettenlänge und dem Achsabstand der Scheibensätze ergeben sich für jede
Übersetzung die Nennlaufradien und die Nenn-Umschlingungswinkel. Bei Übersetzungs-
änderung mit der Verstellgeschwindigkeit diV/dt sind die Laufradienänderungen drA/dt und
drB/dt auf den Scheibensätzen unterschiedlich. Die Bilder 4 und 5 verdeutlichen diese
Zusammenhänge.
Die Zugkraft im Kettentrum, der auf den treibenden Scheibensatz A aufläuft, wird mit Fmax
bezeichnet, die Zugkraft im anderen Kettentrum mit Fmin. Auf den Umschlingungsbögen
wirken auf die Kette Fliehkräfte, die zu einer zusätzlichen Zugkraft FF in der Kette führen.
Diese Kraft hängt von der Kettengeschwindigkeit und der Kettenmasse pro Länge ab.
FF
m KL K
v K2
⋅
Die Kettenkraft FF beeinflusst nur in sehr geringem Maß über die damit verbundene
zusätzliche Kettendehnung die Kraftübertragung im Getriebe. Im Folgenden ist mit der Kraft
F die Kettenkraft ohne Fliehkraftanteil FF gemeint.
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 7 / 27
Scheibensatz B(Abtrieb)Umschlingungsmittel
ωFmin+FF
Fmax+FF
Scheibensatz A(Antrieb)
αα
ω
Bild 4: Nennradien rA und rB und Nennumschlingungswinkel αA und αB
0 0.5 1 1.5 2 2.50
20
40
60
80
rArB
Variatorübersetzung iV
Nen
nlau
frad
ien
[mm
]
0 0.5 1 1.5 2 2.5150
100
50
0
diV/dt = 1 HzdiV/dt = 2 HzdiV/dt = 3 Hz
Variatorübersetzung iV
drA
/dt [
mm
/s]
0 0.5 1 1.5 2 2.51.6
1.4
1.2
1
0.8
0.6
Variatorübersetzung iV
drA
/drB
Bild 5: Nennradien rA und rB und deren zeitliche Änderung über der Variatorübersetzung iV.
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 8 / 27
Die Kegelscheiben des Variators haben eventuell eine Krümmung (rWölbung). In Verbindung
mit balligen Kettenbolzen führt dies zu unterschiedlichen Kontaktstellen Bolzen-Scheibe bei
verschiedenen Übersetzungen und damit über der Getriebelebensdauer zu vermindertem
Verschleiß. Diese Scheibenkrümmung führt außerdem zu einem mit dem Laufradius der
Kette veränderlichen Keilwinkel des Scheibensatzes.
Bild 6 zeigt neben einer unverformten Losscheibe eines Variators die Verformung einer
Variatorscheibe bei Belastung mit einer Einzelkraft. Aus solchen FEM-Berechnungen erhält
man für jede Scheibe eine Matrix zur Berechnung der Deformation an der Stelle k bei einer
Belastung an der Stelle j. Die gesamte Scheibendeformation kann man dann aus der
linearen Überlagerung aller Einzeldeformationen aufgrund aller Kontaktkräfte zwischen Kette
und Scheiben berechnen.
Bild 6: Scheibendeformation bei Belastung mit einer Einzelkraft
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 9 / 27
Zu diesen Deformationen kommt noch das Aufklaffen der Losscheibe hinzu. Dies hängt von
der Führungslänge und dem Führungsspiel der Losscheibe ab und von der Wirkrichtung der
Gesamtspreizkraft. Aus dem Klaffen ergibt sich ein mit dem Umschlingungswinkel α
veränderlicher Keilwinkel β(α).
Berücksichtigt man noch die Stauchung eines Kettenbolzens, so kann man die radiale
örtliche Verlagerung der Kette in die Keilrille berechnen.
DeformationLosscheibe
aufgrund aller dS
+Verkippung
Bolzen-stauchung
aufgrund des örtlichen dS
∆r
Bild 7: Radiale Bolzenverlagerung aufgrund verschiedener Deformationsanteile
DeformationFestscheibe
aufgrund aller dS
Bild 8 verdeutlicht die Geschwindigkeitsverhältnisse in einem Kontaktpunkt zwischen Kette
und Scheiben. Auf dem momentanen Laufradius hat die Scheibe eine Geschwindigkeit vS.
Die Kette hat eine Geschwindigkeit vK, die sich mit der Gesamtkettenkraft (F+FF) verändert.
Die Richtung κ der Kettengeschwindigkeit hängt von der kleinen radialen Ein- oder
Auswanderung aufgrund der elastischen Deformationen ab. Eine schnelle Übersetzungs-
verstellung mit dem Gradienten diV/dt führt zu einer zusätzlichen, durchaus großen radialen
Verstellgeschwindigkeit vv. Dieser überlagert sich noch eine Komponente vu in Umfangs-
richtung. Aufgrund des Kontinuitätsgesetzes kann die Kette nur an einer Stelle radial
gegenüber der Scheiben gleiten. Alle anderen Kettenbolzen haben dann zusätzlich eine
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 10 / 27
Gleitgeschwindigkeit in Umfangsrichtung, die linear mit dem absoluten Winkel zwischen der
rein radial gleitenden Stelle und diesem Kettenbolzen wächst. Aus der Überlagerung all
dieser Geschwindigkeiten erhält man die Gleitgeschwindigkeit vKS der Kette gegenüber der
Scheibe und den Gleitwinkel γ.
γ
κ
α
ω
Bild 8: Geschwindigkeitsverhältnisse in einem Kontaktpunkt Kette-Scheiben
Bild 9 verdeutlicht die Kontaktkräfte an einem Kettenbolzen. Senkrecht zur Scheibe wirkt die
örtliche Normalkraft ∆N. Sie erzeugt eine Reibkraft R mit einer Komponente R° in der
Stirnschnittebene. Die Axialkomponenten dieser beiden Kräfte ergeben zusammen die
örtliche Scheibenspreizkraft ∆S. Die Reibkraft R° bewirkt die Änderung der Kettenzugkraft.
In Bild 10 sieht man die Kettenbolzen i-1, i und i+1 auf dem Umschlingungsbogen. Am
Bolzen i greifen die Zugkräfte Fi und Fi+1 an. Die Umschlingungssituation ist durch die
örtlichen Umschlingungsradien r gekennzeichnet. Mit der Kettenteilung erhält man daraus
auch die Winkel ∆αi und ∆αi+1. Damit lassen sich nun die Kräftegleichgewichte formulieren
und die Kraftänderung sowie die Kontaktbelastungen berechnen. Für die Analyse der
Kraftänderungen unterscheidet man die folgenden 4 Winkelbereiche des Gleitwinkels γ.
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 11 / 27
Abnahme der Kettenkraft
Zunahme der Kettenkraft
Radiales Auswandern der Kette aus der Keilrille -0° > γ > -90° 0° < γ < 90°
Radiales Einwandern der Kette in die Keilrille -90° > γ > -180° 90° < γ < 180°
β γβs
β
∆
∆
∆
∆
∆
β
ββ
Bild 9: Kontaktkräfte an einem Kettenbolzen
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 12 / 27
Die Gleichungen zur Berechnung der Kettenkräfte und Kontaktkräfte lauten:
Fi 1+ Fi
cos ∆α i( ) sin ∆α i( ) µ cos βs( )⋅ sin γ( )⋅
sin β( ) µ cos βs( )⋅ cos γ( )⋅−⋅+
cos ∆α i 1+( ) sin ∆α i 1+( ) µ cos βs( )⋅ sin γ( )⋅
sin β( ) µ cos βs( )⋅ cos γ( )⋅−⋅−
⋅
∆N12
Fi sin ∆α i( )⋅ Fi 1+ sin ∆α i 1+( )⋅+
sin β( ) µ cos βs( )⋅ cos γ( )⋅−⋅
∆S ∆N cos β( ) µ sin βs( )⋅+( )⋅
tan βs( ) tan β( ) cos γ( )⋅
∆α
γ
∆α
α
αα
Reibkraft imStirnschnitt
Kettenkraft ohne Fliehkraftanteil
Gleit-winkel
Umschlingungs-winkel
Kettenkraft ohne Fliehkraftanteil
Lauf-radius
Bild 10: Änderung der Kettenkraft F durch die Komponente R° der Reibkraft R
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 13 / 27
4 Algorithmus zur Berechnung eines Betriebszustandes
Die Kraftänderung ∆F hängt vom Reibwinkel γ ab. γ hängt von der Gleitgeschwindigkeit vKS
ab, die von den elastischen Deformationen an Kette und Scheiben beeinflusst wird. Diese
hängen wieder von den Kettenkräften und den Kontaktkräften ab.
Wie kann man nun die gesamte Kraftübertragung und den daraus resultierenden Kettenkraft-
verlauf F(α) an beiden Scheibensätzen bei Vorgabe der Übersetzung iV und seiner zeitlichen
Änderung diV/dt, der Vorgabe einer Drehzahl n und des zu übertragenden Drehmomentes T,
z.B. am Antriebsscheibensatz A, und der von der Regelung vorgegebenen Spreizkraft S, z.B.
der am Scheibensatz B, berechnen ?
Der neue Berechnungsalgorithmus löst diese Aufgabe in mehreren ineinander verschach-
telten Berechnungsschritten. Er vermeidet dabei bewusst die numerisch aufwendige und
rechenzeit-intensive Lösung gekoppelter Differenzialgleichungssysteme.
Mit der Übersetzung iV und der Verstellgeschwindigkeit diV/dt kennt man die mittleren
Laufradien rA und rB der Kette auf den Scheibensätzen und der Änderungen drA/dt und
drB/dt. Bei Vorgabe des Drehmomentes TA oder TB kennt man damit auch die zu
übertragende Umfangskraft Fu.
Für die weiteren Berechnungen schätzt man nun erst einmal die Kettenkraft und die
Kettengeschwindigkeit in dem auf einen Scheibensatz auflaufenden Trum. Bei der
Schätzung der Kettenkraft helfen die aus der Erfahrung bekannten Trumkraftverhältnisse ε.
εFmaxFmin
FmaxFmax Fu−
Als erste Kettengeschwindigkeit kann man z.B. die Scheibengeschwindigkeit auf dem
mittleren Radius wählen.
Eine erste Scheibendeformationen erhält man nun aus einem geschätzten Kraftverlauf von
der Kraft im auflaufenden Trum bis zur Kraft im ablaufenden Trum. Hier reicht schon ein
einfacher exponentieller Ansatz für den Kraftverlauf aus. Zusätzlich braucht man hierfür
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 14 / 27
einen sinnvollen Reibwinkelverlauf, den man aus Erfahrungen für den Antriebsscheibensatz
und den Abtriebsscheibensatz schätzen kann.
Tatsächlich würde dieser Rechenalgorithmus sogar mit einem ersten linearen Kraftverlauf
und einem konstanten Reibwinkel funktionieren. Man bräuchte dann aber vielleicht ein oder
zwei Iterationsschritte mehr, bis die exakte Lösung gefunden ist.
Aus den so geschätzten Scheibendeformationen erhält man die örtlichen Kontaktradien der
Kettenbolzen und damit auch die Gleitgeschwindigkeiten für das radiale Ein- und Aus-
wandern infolge der elastischen Deformationen. Zusammen mit den Gleitgeschwindigkeiten
aus der Übersetzungsverstellung erhält man einen neuen Reibwinkelverlauf. Damit kann
man nun die Kraftänderung von der Kraft im auflaufenden Trum bis zum Ende des
Umschlingungsbogens berechnen. Diese Berechnung geht extrem schnell, da die
Kraftänderung von Bolzen zu Bolzen, also ein ∆F/∆α, und nicht in infinitesimal kleinen
Schritten dF/dα ermittelt wird. Die Rechenzeit steigt demnach aber auch mit kleiner
werdender Kettenteilung bzw. einer größeren Anzahl von Kettengliedern.
Die Kraft im ablaufenden Trum stimmt nun nicht mehr mit der aus der Drehmoment-
übertragung geforderten Kraft überein. Deshalb variiert man nun in einer ersten
Iterationsschleife die Kettengeschwindigkeit solange, bis die Trumkraftdifferenz Fmax-Fmin
der zu übertragenden Umfangskraft Fu entspricht. Wenn die Kettengeschwindigkeit viel
größer als die Scheibengeschwindigkeit auf dem mittleren Radius ist, dann beträgt der
Gleitwinkel γ nahezu 90° und die Kettenkraft nimmt in Umschlingungsrichtung stark zu. Wenn
die Kettengeschwindigkeit viel kleiner als die Scheibengeschwindigkeit auf dem mittleren
Radius ist, dann beträgt der Gleitwinkel γ nahezu -90° und die Kettenkraft nimmt in
Umschlingungsrichtung stark ab. Zwischen diesen Extrempositionen gibt es genau eine
Kettengeschwindigkeit im auflaufenden Trum für die geforderte Drehmomentübertragung.
Der Zusammenhang zwischen der Kettengeschwindigkeit und der Umfangskraft ist stark
nicht linear. Trotzdem erreicht man mit einer geschickten Interpolationsroutine in wenigen
Schritten die richtige Lösung.
Der so ermittelte neue Kettenkraftverlauf basiert aber noch auf geschätzten Scheibendefor-
mationen. In einer zweiten Iterationsschleife berechnet man nun mit dem neuen
Kettenkraftverlauf neue Scheibendeformationen und damit wieder einen genaueren
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 15 / 27
Kettenkraftverlauf. Dies macht man so lange bis sich der Kettenkraftverlauf nicht mehr
verändert.
Die Aufsummierung der örtlichen Scheibenspreizkräfte ∆S ergibt die Gesamtspreizkraft S.
Diese steigt mit der Kettenkraft im auflaufenden Trum. Diese bisher geschätzte Kettenkraft
kann nun in einer dritten Iterationsschleife so variiert werden, bis die Gesamtspreizkraft S der
Vorgabe entspricht. Der nahezu lineare Zusammenhang zwischen S und der Funktion 1/(ε-1)
unterstützt hier eine schnelle Konvergenz.
Insgesamt verlaufen die so ineinander verschachtelten drei Iterationen sehr schnell. Die
Rechenzeit steigt mit kleinerer Kettenteilung und örtlich sehr weichen Scheiben, bei denen
eine veränderte Verteilung der Kontaktkräfte zu deutlich anderen Verformungen führt.
Prinzipiell ist dieser Berechnungsalgorithmus für beide Scheibensätze gleich. Man beginnt
die Berechnung für den Scheibensatz, für den die Spreizkraft S von der Regelung vorgeben
ist. Dies ist oft der Abtriebsscheibensatz B. Als Ergebnis erhält man für den anderen
Scheibensatz schon beide Trumkräfte Fmax und Fmin, so dass man hier auf die dritte
Iterationsschleife verzichten kann. Aus den Kontaktbelastungen an diesem zweiten
Scheibensatz erhält man auch die dort für die Kraftübertragung nötige Spreizkraft. Ein
wichtiges Ergebnis dieser Berechnung ist also die sogenannte Stützung ζ als Verhältnis der
Spreizkräfte SA/SB.
Aus den Gleitgeschwindigkeiten zwischen den Kettenbolzen und den Scheiben und den dort
wirkenden Reibkräften erhält man außerdem die örtlichen Verlustleistungen ∆PVA und
∆PVB, die sich zu den Gesamtverlusten PVA und PVB in den Kontakten zwischen Kette und
Scheiben summieren lassen. Daraus resultiert dann schließlich der Wirkungsgrad ηKS der
Kraftübertragung.
5 Berechnungsbeispiele
Einige beispielhafte Berechnungen sollen nun die Leistungsfähigkeit dieses neuen
Entwicklungswerkzeuges zeigen.
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 16 / 27
0 10 20 30 40450
360
270
180
90
0
90
180
270
360
450
bolt-Nr. on the wrap curve
180−
180
X
0 10 20 30 400
0.5
1
1.5
bolt-Nr. on the wrap curve
Fmin
kN
Fmax
kN
X SB 6kN= TA 0.5 Nm= Pan 0.1kW=
Fu 14 N= ηKS 78.77%=
FF 65 N= µmax 0.09=
Fmax 723N= PVA 10.6W=
F [kN] Fmin 2670N= PVB 11.6W=
ε 1.02= SA 5.4kN= ∆ S [kN]
ζ 0.897= SB 6kN=
100 0 100 200 300
100
0
100
vKS from the chain towards the disks
00
aV
mm
100 0 100 200 300
100
0
100
friction forces acting on the chain
00
aV
mm
100 mm⋅ 28mmps scale_v⋅= 100 mm⋅ 103N scale_F⋅=
stiffness "normal"=
iV 2= vK 7.35ms
=
rA 35.1mm= nA 20001
min=
rB 70.2mm= nB 10011
min=
drAdt 0mms
= γ [°] diVdt 0
1s
=
drBdt 0mms
=
input A output B
SA 5.4kN=
r-rm [µm]
Bild 11: Stationärer Betriebszustand:
iV=2.0, diV/dt=0 Hz, TA=0.5 Nm, nA=2000/min, ε=1.02, SB=6 kN
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 17 / 27
Bild 11 verdeutlicht die Kontaktverhältnisse bei der konstanten Übersetzung iV=2.0 und
einem sehr kleinen Antriebsdrehmoment TA=0.5 Nm bei einer Mindestscheibenanpressung
am Abtriebsscheibensatz von SB=6 kN. Obwohl das Drehmoment nahezu 0 ist, verändert
sich die Kettenkraft über beiden Umschlingungsbögen. Die Scheibenanpressungen führen
zu Scheibendeformationen, so dass die Kette auf beiden Umschlingungsbögen zuerst in die
Keilrille einwandert und dann wieder hinaus. Dies führt zu einer auflaufseitigen Kettenkraft-
abnahme und einer anschließenden Kettenkraftzunahme. Die Gleitwinkelverläufe über den
verschieden großen Umschlingungsbögen sind an beiden Scheibensätzen ähnlich. Die
Gleitbewegungen und Reibkraftwirkungen bewirken eine Verlustleistung, die bei der kleinen
Antriebsleistung zu einem niedrigen Wirkungsgrad ηKS führt.
Bild 12 zeigt die Kontaktverhältnisse bei einer konstanten Übersetzung iV=0.5 und relativ hoher
Last TA=250 Nm. Auf dem Antriebsscheibensatz erkennt man etwa in der Mitte des
Umschlingungsbogens den typischen Knick im Kraftverlauf. Dieser ist darauf zurückzuführen,
dass an dieser Stelle der Gleitwinkel von Werten um –180° auf Werte um 0° springt. Dadurch
erhöhen sich in diesem Bereich die örtlichen Kontaktbelastungen und damit auch die
Reibkraft sehr stark. Dies führt zu der Änderung im Kraftgradienten ∆F/∆α.
Auf dem Abtriebsscheibensatz beginnt die Umschlingung mit Gleitwinkeln um 180°. Das
heißt, dass hier die Kraftänderungen ∆F/∆α nahezu 0 sind. Dieser auflaufseitige
Umschlingungsbereich wurde früher als „Ruhebogen“ bezeichnet. Mit dem Umschlingungs-
winkel sinkt der Gleitwinkel von γ=180° hin zu γ=90°. Bei diesen Gleitwinkeln wandert die
Ketten in die Keilrille hinein. Die Kraftänderung ist bei γ=90° maximal. Sinkt der Gleitwinkel
unter 90°, so wandert die Kette wieder aus der Keilrille heraus und die Kettenkraftänderung
wird wieder kleiner.
Der Betriebszustand nach Bild 3 unterscheidet sich von dem nach Bild 12 nur durch die
zusätzliche Verstellbewegung diV/dt<0 hin zu einer noch kleineren Übersetzung. Bei
gleichem Trumkraftverhältnis wird dies durch eine größere Spreizkraft SA am Scheibensatz
A und eine kleinere Spreizkraft SB am Scheibensatz B erreicht. Die zusätzlichen
Gleitbewegungen aus der Übersetzungsverstellung überlagern sich den Gleitbewegungen
aus den elastischen Deformationen. Am Scheibensatz A sinken die absoluten
Gleitbewegungen auf dem ersten Teil der Umschlingung, wo die Kette in die Keilrille
einwandert, und sie steigen in dem Bereich, wo die Kette aus der Keilrille auswandert.
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 18 / 27
0 10 20 30 40450
360
270
180
90
0
90
180
270
360
450
bolt-Nr. on the wrap curve
180−
180
X
0 10 20 30 400
2
4
6
8
bolt-Nr. on the wrap curve
Fmin
kN
Fmax
kN
XSB 27kN= TA 250Nm= Pan 52.4kW=
Fu 3558N= ηKS 96.3%=
FF 260N= µmax 0.09= F [kN]
Fmax 6228N= PVA 1209.9W=
Fmin 2670N= PVB 729.4W=
ε 2.333= SA 46.6kN= ∆ S [kN]
ζ 1.726= SB 27kN=
100 0 100 200 300
100
0
100
vKS from the chain towards the disks
00
aV
mm
100 0 100 200 300
100
0
100
friction forces acting on the chain
00
aV
mm
100 mm⋅ 28mmps scale_v⋅= 100 mm⋅ 103N scale_F⋅=
stiffness "normal"=
iV 0.5= vK 14.72ms
=
γ [°] rA 70.3mm= nA 20001
min=
rB 35.1mm= nB 39811
min=
drAdt 0mms
=diVdt 0
1s
= drBdt 0
mms
=
input A output B
SA 46.6kN=
r-rm [µm]
Bild 12: Stationärer Betriebszustand:
iV=0.5, diV/dt=0 Hz, TA=250 Nm, nA=2000/min, ε=2.331, SB=27 kN
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 19 / 27
0 10 20 30 40450
360
270
180
90
0
90
180
270
360
450
bolt-Nr. on the wrap curve
180−
180
X
0 10 20 30 400
1
2
3
4
5
bolt-Nr. on the wrap curve
Fmin
kN
Fmax
kN
XSB 19.9kN= TA 250Nm= Pan 52.4kW=
Fu 3558N= ηKS 96.17%=
FF 260N= µmax 0.09=
Fmax 4744N= PVA 548.8W= F [kN] Fmin 1186N= PVB 1458.8W=
∆ S [kN] ε 4= SA 28.4kN=
ζ 1.424= SB 19.9kN=
100 0 100 200 300
100
0
100
vKS from the chain towards the disks
00
aV
mm
100 0 100 200 300
100
0
100
friction forces acting on the chain
00
aV
mm
100 mm⋅ 335mmps scale_v⋅= 100 mm⋅ 398N scale_F⋅=
stiffness "normal"=
iV 0.5= vK 14.72ms
=
γ [°] rA 70.3mm= nA 20001
min=
rB 35.1mm= nB 39011
min=
drAdt 0mms
=diVdt 0
1s
= drBdt 27−
mms
=
input A output B
SA 28.4kN=
r-rm [µm]
Bild 13: Stationärer Betriebszustand:
iV=0.5, diV/dt=0 Hz, TA=250 Nm, nA=2000/min, ε=4.000, SB=19.9 kN
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 20 / 27
Dadurch verschieben sich diese Ein- und Auswanderungsbereiche ein wenig. Dies erkennt
man an der geänderten Lage der Stelle, an der der Gleitwinkel von γ=-180° auf γ=0° springt.
Die Kontaktbelastungen nehmen insgesamt etwas zu. Dadurch steigen die Verluste an
diesem Scheibensatz im Vergleich zum stationären Betriebszustand etwas an. Am
Scheibensatz B wird durch die negative Verstellgeschwindigkeit drB/dt<0 die bei dieser
Übersetzung dominierende Einwanderungsbewegung verstärkt. Trotz der etwas kleineren
Kontaktbelastungen erhöhen sich deshalb auch hier die Kontaktverluste etwas.
0 50 100 150 20094
95
96
97
ηKS
%
TA
Nm
0 50 100 150 2001
2
3
4
ε
εK
TA
Nm
0 50 100 150 2001
1.1
1.2
1.3
1.4
ζ
TA
Nm
0 50 100 150 20025
30
35
40
SA
kN
SB
kN
TA
Nm Bild 14: ζmax-Versuch
Betriebspunkt: iV=1.5=konstant, nA=2000/min, µ=0.09, SB=28 kN
Der Wirkungsgrad der Kraftübertragung zwischen Kette und Scheiben sinkt um ca. 0,5%.
Übersetzungsverstellungen hin zu größeren Übersetzungen führen bei kleinen Verstell-
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 21 / 27
geschwindigkeiten zuerst sogar zu einer Wirkungsgraderhöhung. Erst sehr schnelle Verstell-
bewegungen reduzieren dann auch hierbei den Wirkungsgrad merklich.
Im Betriebspunkt nach Bild 13 wird im Vergleich zum Betriebspunkt nach Bild 12 die
Anpressung SB reduziert. Dadurch sinken die Trumkräfte und das Trumkraftverhältnis ε
steigt. Um bei reduzierter Anpressung die gleiche Umfangskraft übertragen zu können, sind
größere Kraftänderungen ∆F/∆α nötig. Am Antriebsscheibensatz nähert sich der Gleitwinkel-
verlauf dem Grenzgleitwinkel γ=-90° und am Abtriebsscheibensatz dem Grenzgleitwinkel
γ=90°. Der „Ruhebogen“ am Abtriebsscheibensatz ist verschwunden. Eine weitere
Steigerung des Drehmomentes würde sehr bald zum Durchrutschen der Kette gegenüber
den Abtriebsscheiben führen.
0 1 2 394
95
96
97
98
ηKS
%
iV0 1 2 3
1
1.5
2
2.5
ε
εK
iV
0 1 2 31
1.2
1.4
1.6
1.8
ζ
iV0 1 2 3
0
20
40
60
SA
kN
SB
kN
iV Bild 15: Verlauf von Stützung, Spreizkräften und Wirkungsgrad über der Übersetzung iV
Betriebspunkt: TA=150 Nm, nA=2000/min, µ=0.09, diV/dt=0/s
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 22 / 27
Obwohl die Spreizkräfte und damit die Kontaktbelastungen deutlich unter denen im
Betriebszustand nach Bild 12 liegen, ist der Wirkungsgrad ηKS etwas kleiner. Dies liegt an
den insgesamt höheren Gleitgeschwindigkeiten kurz vor dem Durchrutschen.
0.07 0.08 0.09 0.1 0.1197
97.2
97.4
97.6
97.8
98
ηKS
%
µmax0.07 0.08 0.09 0.1 0.111
1.5
2
2.5
3
ε
εK
µmax
0.07 0.08 0.09 0.1 0.111
1.5
2
ζ
µmax0.07 0.08 0.09 0.1 0.11
15
20
25
30
35
SA
kN
SB
kN
µmax
Bild 16: Einfluss des Reibwertes auf Stützung ζ und Kettenwirkungsgrad ηKS
Betriebspunkt: iV=1.5=konstant, TA=150 Nm, nA= 1000/min, ε=2.205, µ=0.09
Für jeden Betriebszustand muss es also eine optimale Anpressung geben, bei der sowohl
die Sicherheit gegen Durchrutschen, als auch der Wirkungsgrad gut sind. Bild 14 zeigt für
dieses beispielhafte Getriebe den Verlauf der Stützung ζ=SA/SB bei der konstanten
Übersetzung iV=1.5 und einer konstanten Anpressung SB am Abtriebsscheiben-satz
über dem variierten Antriebsdrehmoment TA. Solche Versuche sind als ζmax-Versuche
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 23 / 27
bekannt. Mit steigendem Antriebsdrehmoment steigt die Stützung ζ bis zu einem
Maximalwert, um danach bei weiter gesteigertem Antriebsdrehmoment wieder zu fallen.
Das Drehmoment bei ζmax ist das Nenndrehmoment TAnenn=135 Nm für diese
Anpressung SB=28 kN. Der Kettenwirkungsgrad ist dann nahezu maximal und es
besteht eine ausreichende Sicherheit gegen Durchrutschen.
40 20 0 20 404
2
0
2
4
0diVdt
Hz
0
drAdt
mmps
40 20 0 20 4090919293949596979899
100
ηKS
%
0
drAdt
mmps
40 20 0 20 400
0.5
1
1.5
2
2.5
1ζ
0
drAdt
mmps
40 20 0 20 400
12
24
36
48
60
SA
kN
SB
kN
0
drAdt
mmps
Bild 17: Einfluss der Verstellgeschwindigkeit drA/dt auf die Spreizkräfte SA und SB, die
Stützung ζ und den Kettenwirkungsgrad ηKS bei konstantem Trumkraftverhältnis ε.
Betriebspunkt: iV=1.5, TA=150 Nm, nA= 1000/min, ε=2.205, µ=0.09
Aus experimentellen ζmax-Versuchen erhält man oft die Vorgaben für die Regelung solcher
CVT. Über solche ζmax-Berechnungen lässt sich mit diesem Programm auch ein Kennfeld
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 24 / 27
für optimale Trumkraftverhältnisse εK als weitere Regelvorgabe für Simulationsrechnungen
ermitteln. Dies ist vorteilhaft, weil sich bei Kenntnis des Trumkraftverhältnisses ε die
Kraftübertragung noch schneller berechnen lässt.
40 20 0 20 404
2
0
2
4
0diVdt
Hz
0
drAdt
mmps
40 20 0 20 4090919293949596979899
100
ηKS
%
0
drAdt
mmps
40 20 0 20 400
1
2
3
4
1
ζ
ε
0
drAdt
mmps
40 20 0 20 400
16
32
48
64
80
SA
kN
SB
kN
0
drAdt
mmps
Bild 18: Einfluss der Verstellgeschwindigkeit drA/dt auf die Spreizkraft SA, die Stützung ζ
und den Kettenwirkungsgrad ηKS bei konstanter Spreizkraft SB.
Betriebspunkt: iV=1.5, TA=150 Nm, nA= 1000/min, SB=32 kN, µ=0.09
Bild 15 zeigt den Stützungsverlauf für dieses Getriebe über der jeweils konstanten Übersetzung
bei jeweils einem aus ζmax-Berechnungen ermittelten optimalen Trumkraftverhältnis ε = εK. Man
erkennt, dass bei konstanter Übersetzung die Spreizkraft am Antriebsscheibensatz SA immer
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 25 / 27
über der am Antriebsscheibensatz SB liegt. Dies ist selbst bei großen Übersetzungen iV mit
einem kleinen Umschlingungsbogen am Antriebsscheibensatz der Fall.
Am Antriebsscheibensatz gibt es deutlich größere Umschlingungsbereiche mit Gleitwinkeln um
γ=0°. Dadurch steigen die örtlichen Spreizkräfte stark an. Die Stützung ζ liegt in Anfahrüber-
setzung knapp über 1 und nimmt zu kleinen Variatorübersetzung hin deutlich zu. Die hohen
Scheibenanpressungen bei Anfahrübersetzung bewirken relativ große Gleitbewegungen und
damit relativ hohe Verluste. Zu kleinen Variatorübersetzungen hin steigt deshalb der
Kettenwirkungsgrad. Diese Ergebnisse sind durch viele Versuche belegt.
Während der Betriebsdauer eines Ketten-CVT glätten sich die Scheiben und die
Kontaktflächen der Kettenbolzen. Dies führt tendenziell zu einer Reduzierung des
Reibwertes. Die Berechnungen nach Bild 16 zeigen, dass sich dann die Stützung ζ verringert
und der Wirkungsgrad ηKS sowie das Trumkraftverhältnis ε leicht erhöhen. Auch diese
Ergebnisse wurden bereits durch Versuche bestätigt.
Die Bilder 17 und 18 zeigen abschließend den Einfluss der Verstellgeschwindigkeit auf
Spreizkräfte, Stützung und Kontaktverluste. Bei den Berechnungen nach Bild 17 soll das
Trumkraftverhältnis ε konstant bleiben, um immer ausreichende Sicherheit gegen
Durchrutschen der Kette zu haben. Bei einer Verstellung hin zu großen Übersetzungen
iV=nA/nB=rB/rA muss man dann die Spreizkraft SB am Abtriebsscheibensatz erhöhen und
die am Antriebsscheibensatz SA reduzieren. Bei einer Verstellung hin zu kleinen
Übersetzungen iV=nA/nB=rB/rA muss man die Spreizkraft SA am Antriebsscheibensatz
erhöhen und die am Antriebsscheibensatz SB reduzieren. Wie bereits oben erwähnt steigt
der Wirkungsgrad bei relativ langsamen Verstellungen hin zu kleinen Übersetzungen sogar
etwas an. Erst bei schnellen Verstellungen fällt in beiden Verstellrichtungen der
Wirkungsgrad der Kraftübertragung.
Bei der Übersetzungsverstellung nach Bild 18 wird die Spreizkraft am Abtriebsscheibensatz
SB konstant gehalten. Um die Übersetzung dann schnell zu verringern, muss SA deutlich
angehoben werden. Der Wirkungsgrad fällt steiler ab als bei der Verstellung nach Bild 17, wo
auch SB reduziert wird. Um die Übersetzung schnell zu vergrößern, muss SA sehr stark
reduziert werden. Dadurch steigt das Trumkraftverhältnis ε und die Sicherheit gegen
Durchrutschen sinkt. Die erhöhten Gleitbewegungen führen dann auch zu größeren
Verlusten.
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 26 / 27
6 Zusammenfassung
Die Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben ist insbesondere bei Verstell-
vorgängen ein komplexer Vorgang, der sich bis heute nur schwer theoretisch vollständig
beschreiben lässt. Die meisten der bis heute entwickelten Rechenprogramme beschränken
sich auf stationäre Betriebszustände, berücksichtigen dabei aber durchaus räumliche
Kettenschwingungen [9]. Alle diese Programme lösen sehr komplexe Gleichungssysteme mit
aufwendigen Algorithmen. Dadurch werden diese Programme aber langsam und zum Teil
auch schwierig zu bedienen.
Das Ziel der hier dargestellten Forschung war die Erstellung eines Berechnungswerkzeuges,
mit dem die Kraftübertragung in U-CVT auch bei Verstellvorgängen sowie relativ schnell und
einfach berechnet werden kann.
Das hierzu erarbeitete Rechenprogramm rechnet mit einem neuen Lösungsalgorithmus, der
anstelle der numerischen Integration eines gekoppelten DGL-Systems über mehrere
ineinander verschachtelte Iterationen die Kräfte auf Kette und Scheiben, die elastischen
Deformationen und die Geschwindigkeitsverhältnisse in Einklang bringt. Das Programm
berechnet die Kraftänderung in der Kette von Bolzen zu Bolzen bei Vorgabe der
Scheibenelastizität und der Kettengeschwindigkeit. Die tatsächlichen Scheibenverformungen
bei vorgegebener Spreizkraft werden durch sehr schnell konvergierende Iterations-
algorithmen berechnet. Dieses neue Rechenprogramm kann darüber hinaus die Belastungen
in der Kette und den Wirkungsgrad des Getriebes bei Verstellvorgängen berechnen. Da auch
der Anpressbedarf bei Verstellvorgängen mit dem Programm berechenbar ist, kann es
Berechnungen zum dynamischen Verhalten von U-CVT und die Entwicklung verbesserter
hydraulischer Steuerungen/Regelungen unterstützen.
Für alle stationären Betriebspunkte liefert das Rechenprogramm Ergebnisse, die sehr gut mit
den sehr jungen theoretischen und experimentellen Ergebnissen von Sattler [7] und Sue [8]
übereinstimmen. Auch die übrigen hier vorgestellten Zusammenhänge zwischen den
Verstellbewegungen und den dazu nötigen Spreizkräften sowie den dabei auftretenden
zusätzlichen Verlusten sind experimentell nachvollziehbar.
Dieses neue Rechenprogramm benötigt für die Berechnung eines Betriebspunktes auf einem
PC mit 512 MB RAM und 3 GHz Taktfrequenz zwischen 30 s und 60 s. Alle in diesem
Aufsatz vorgestellten Berechnungen haben zusammen weniger als 1 h Rechenzeit benötigt.
Kraftübertragung in stufenlosen Umschlingungsgetrieben 27 / 27
Insbesondere wegen dieser hohen Rechengeschwindigkeit ist das Programm gut geeignet,
die Einflüsse einzelner Getriebeparameter wie z.B. der Getriebegeometrie, der Steifigkeiten
der Bauteile, der Reibwerte usw. auf den Wirkungsgrad und den Anpressbedarf zu
beurteilen.
7 Literatur
[1] Dittrich, O.: Theorie des Umschlingungsgetriebes mit keilförmigen Reibflanken.
Diss. TH Karlsruhe, 1953
[2] Schlums, K. D.: Untersuchungen an Umschlingungsgetrieben.
Diss. TH Braunschweig, 1959
[3] Lutz, O.: Zur Theorie des Keilscheiben-Umschlingungsgetriebes.
Konstruktion Bd. 12, 1960
[4] Gerbert, B. G.: Force and Slip Behaviour in V-Belt Drives. Acta Polytechnica
Scandinavica, Mech. Eng. Series No. 67, Helsinki 1972
[5] Tenberge, P.: Wirkungsgrade von Schub- und Zuggliederketten in einstellbaren
Umschlingungsgetrieben. Diss. Ruhr-Universität Bochum, 1986
[6] Sauer, G.: Grundlagen und Betriebsverhalten eines Zugketten-Umschlingungs-
getriebes. Diss. TU München, 1996
[7] Sattler, H.: Stationäres Betriebsverhalten verstellbarer Metallumschlingungsgetriebe.
Diss. Uni Hannover, 1999
[8] Sue, A.: Betriebsverhalten stufenloser Umschlingungsgetriebe unter Einfluss von
Kippspiel und Verformungen. Diss. Uni Hannover, 2003
[9] Srnik, J.: Dynamik von CVT-Keilkettengetrieben. VDI-Fortschrittsbericht Nr. 372
Reihe 12. Düsseldorf, VDI-Verlag 1999 / Diss. TU München, 1998