MONTAG, 25. MAI 2009 Eine «Autostadt», die boomt · 2020. 3. 26. · sondern trank nur ein Glas...

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Samstagmorgen, mitten in der«schönsten Barockstadt derSchweiz». Sehen und Gese-

hen werden heisst die Devise. Eineder besten Plätze für diese Beschäf-tigung bietet das Strassencafé desHotels «Krone». Hier kann man esmehr als nur eine Weile aushalten,etwa beim Latte Macchiato oder ei-nem Weissen der Bürgergemeinde.Stets schweift der Blick auf die Fla-nierenden und auf das imposanteBauwerk der St.-Ursen-Kathedrale.

DenschönstenBlickaufdiefrüh-klassizistische rosafarbene Fassadedes Hotels, auf Stadtpaläste undKronenplatz sowie auf das Treibenin der Hauptgasse hat man von denTreppenstufen der Kathedrale aus.Das heutige Hotel hat 1772 derTes-siner Architekt und Stadtbaumeis-terPaoloAntonioPisonigebaut,derauchamBauderKathedralemitderberühmten Freitreppe mitwirkte.

Vor dem heutigen Bau wurde dieSt.Ursenpinte erwähnt. Hier labtensich Pilger, die zu den Gräbern derStadtheiligen Urs und Viktor reis-ten. Erstmals urkundlich erwähntwurde das Hotel «Krone» 1418; eszählt damit zu den ältesten Hotelsder Schweiz. Seit dem Umbau im18. Jahrhundert fanden hier vieleFestlichkeiten und Empfänge statt,die das Patriziat veranstaltete. Werdas Haus betritt, ist umgeben von

Klassizistisch in der BarockstadtHISTORISCHE HOTELS IN DER SCHWEIZ (VI)

wertvollen Möbeln und Gegen-ständen, doch verstaubt wirkt esnicht. Schon in der Eingangshalleentdeckt man Geschichtsträchti-ges: Eine Rechnung von 1797 be-zeugt die vorgesehene Bewirtungvon Napoleon und seines Gefolges.Napoleon war auf dem Weg zumKongress in Rastatt, aber seine Kut-sche erlitt einen Achsenbruch, under musste in Solothurn nächtigen.Aus Angst vor einen Anschlag ver-liess er aber seine Kutsche nicht,

sondern trank nur ein Glas Wasser.Die Rechnung für die Beheizungder reservierten Zimmer und denPferdewechsel in Höhe von 1417Louis d’Or ist nie bezahlt worden.

Der Rundgang durch das fünfstö-ckige Haus mit seinen breitenTrep-pen und Fluren, den Stichen undreich verzierten Schränken ausdem Barock, die aus dem Kloster St.Urban stammen, ist ein Genuss für

Liebhaber von Antiquitäten. Besu-cher kämen oft ins Schwärmen,sagt Marie-Thérèse Dörfler. Seit1996 führt sie die «Krone»; seit eini-gen Jahren ist ihr Sohn, GregoryDörfler, mitverantwortlich.

Da das Hotel eng mit der Ge-schichte Solothurns verbunden ist,wird auch so manche Touristen-gruppe hierher geführt. Die Stadt-führerin Marie-Christine Eggerstattet der «Krone» regelmässig ei-nen Besuch ab – «ein Muss, so etwa,

wenn es um die Liebesfreuden inder lebensfrohen, katholischenStadt geht». Auch Casanova näch-tigte einmal in der «Krone» und hathier einiges erlebt, immerhin spie-len 80 Seiten seiner Biografie in So-lothurn. Natürlich verliebte er sichauch in eine Solothurnerin, näm-lich in die hübsche Aristokratin Lu-dowica von Roll. Es lohnt sich, eineNacht in den Kronezimmern mitzeitgenössischen erotischen Sti-chen zu verbringen.

Ein anderes Juwel des HotelsliegtimHinterhof:ImBarockgartenmit Blick auf den Chor der Jesuiten-kirche lässt es sich an lauen Som-merabenden fürstlich dinieren (13Gault-Millau-Punkte). Marie-Thérèse Dörfler: «Den Garten habeichimJahr1997neuanlegenlassen.Vorher weideten hier Esel.» Heutezählt die Gartenanlage zu den zehnschönsten Gourmet-Restaurantsder Schweiz, meint Gault Millau.

Ein Anziehungspunkt für Per-sönlichkeitenistdie«Krone»immernoch. So sitzt man vielleicht unver-hofft neben bekannten Gesichtern.Etwa neben Karikaturist «Nico»CadskyoderChrisvonRohr.EinAb-stecher in die renovierte Lounge-Bar sollte man auch nicht verpas-sen; dieWände sind mit «Nico»-Ka-rikaturen geschmückt.

Lioba Schneemann

Das HotelDiverse Angebote wie etwa eineNacht zum «Vernunft-geht-vor-Vor-zugspreis» (Fr. 150.– im Doppelzim-mer, Fr.100.– im Einzelzimmer): DasAngebot gilt für Spontanübernach-tungen ab 22.30 Uhr, wenn man inder Krone diniert und eventuell zuviel Alkohol konsumiert hat.Im Sommer im Kronengarten:Neben den A-la-carte-Gerichten gibtes ein klassisches Gourmet-Menumit jeweils fünf Gängen sowie Amu-se-Bouche, Espresso und Friandisesab Fr 95.–; das vegetarische Gour-met-Menu ab Fr 65.–.Hotel Krone, 4500 SolothurnTel. 032 626 44 44;www.diekrone.ch

«Swiss Historic Hotels»Die «Krone» gehört zur Vereinigungder Swiss Historic Hotels, diemomentan 43 Mitgliederbetriebehat und dieses Jahr ihr fünfjährigesBestehen feiert.www.swiss-historic-hotels.ch

SolothurnPrivate, kulturhistorische Stadtfüh-rungen in historischen Kostümenbietet Marie-Christine Egger an.Tel. 076 533 11 55,www.solothurn-stadtfuehrungen.ch

REISE-INFOS

Die «Krone» ist eng mit der Geschichte Solothurns verbunden.

Eine «Autostadt», die boomtVolkswagen hat in Wolfsburg rund ums Ausliefern von Neuwagen einen Themenpark samt Kultur-Veranstaltungen geschaffen

So kann man sich irren: Wir erwar-teten eine krisengebeutelte Desti-nation und trafen eine Boom-Stadt. Die bei Ökonomen umstrit-tene deutsche «Umweltprämie»,weniger liebevoll auch «Abwrack-prämie» genannt, machts möglich:2500 Euro erhält, wer seineSchrottlaube auf den Abbruchbringt und ein neues, umwelt-freundlicheres Auto kauft. Das be-schert der Volkswagen-Gruppe zu-sätzliche Nachfrage; Möbelhänd-ler, Kleiderverkäufer und anderestöhnen hingegen, weil ihnen ent-geht, was die Deutschen für ihrliebstes Konsumgut ausgeben.

Die «Autostadt» geht über dasThema Auto hinaus. Natürlichkommt dieses nicht zu kurz: Im«ZeitHaus» dokumentiert eine ein-drückliche Sammlung die Ent-wicklung des Motorfahrzeugs vom«Benz Patent-Motorwagen Num-mer 1» von 1886 – einer dreirädri-gen Kutsche mit Motörchen – bisheute. Und in architektonisch an-spruchsvollen Marken-Pavillonspräsentieren Volkswagen und sei-ne Töchter Audi, Skoda, Seat, Lam-borghini, Bentley und Bugatti ihreProdukte, letzteres mit weit mehrals einer Million Euro so teuer wieeine Luxusvilla, aber viel schneller.

Mobilität für Grosse und Kleine

Fünf- bis Elfjährige können inMiniatur-VW-Beetle-Kabrios in ei-nem Verkehrspark das Verhaltenauf der Strasse üben und erhaltennach bestandener Prüfung einen«Kinder-Führerschein».

Die Grossen dürfen sich derweilin mächtigen Geländewagendurch einen künstlichen Parcoursmit Treppen, Furten, Naturpisten,wackligen Brücken und steilen Hü-geln quälen. Oder sie lernen in ei-

nem Sicherheits- und einem Spar-training, wie man das Auto in kriti-schen Lagen beherrscht, und wieman benzinsparend fährt.

Aber wie gesagt, das Auto istnicht alles hier. Die Autostadt en-gagierte mit Maria Schneider eineKreativdirektorin, die sich nicht

Krise. Welche Krise? Die«Autostadt» floriert. Hier, aufeinem riesigen Parkgeländemit Seenlandschaft bei Wolfs-burg, übergibt Volkswagenjedes dritte in Deutschland ver-kaufte Modell seinen Besitzern.

A R T U R K . V O G E L

nur um Ausstellungspavillons,Museum und die Gestaltung dergrosszügigen Park- und Seenanla-gen kümmert, und die die Kunstausgewählt hat, die im Fünfsterne-hotel Ritz-Carlton an den Wändenhängt. Sie hat aus der Autostadtauch eine kulturelle Destination

gemacht. Movimentos, das von ihrgegründete Festival für zeitgenös-sischen Tanz (es findet in diesemMoment und noch bis 31. Maistatt), hat sich einen Ruf weit überDeutschland hinaus geschaffen.

Zudem ist Maria Schneider Her-ausgeberin des viermal jährlich er-

scheinenden Hochglanzmagazins«StadtAnsichten». Die Kreativ-direktorin hat auch, wie uns Mar-ketingmann Nicholas Batten ver-rät, darauf gedrängt, dass in denneun Restaurants auf dem Gelände– von Mövenpick betrieben – nurnoch biologisch angebaute, saison-

Zweimal 400 Autos passen in die zwei 48 Meter hohen, zwanzigstöckigen Autotürme.

Die Kleinen können einen «Kinder-Führerschein» erwerben.Fauchendes Biest: Auch Lamborghini hat einen eigenen Pavillon.

gerechte, meist aus der Umgebungstammende Produkte verarbeitetwerden. Von Café und Pizzeriaüber ein Steakhaus und ein Japan-Restaurant bis zum Gourmet-Lo-kal mit drei Michelin-Sternen wer-den hier alle Gaumen befriedigtund alle Budgets berücksichtigt.

Das alles macht die vor neunJahren gegründete «Autostadt»zum attraktiven Touristenziel undzum zweitmeistbesuchten Frei-zeitpark Deutschlands nach demEuropapark Rust: Mehr als acht-zehn Millionen Besucher sind seitdem Jahr 2000 gekommen.

«Letztendlich mehr verkaufen»

Maria Schneider beherrscht denGestus der Kulturmanagerin per-fekt, aber sie will uns nichts vorma-chen. Kunst, Kultur und Kulinari-sches sind nicht Selbstzweck: «Esist unsere Aufgabe, ein positivesBild von Volkswagen zu verbreitenund letztendlich mehr Autos zuverkaufen.»

Seit neun Jahren gelingt dies der«Autostadt» bestens, zum grossenVergnügen der Konzern-Dirigen-ten: Die Übergabe von Autos wirdhier als emotionales Erlebnis in-szeniert. Mit glänzenden Augenwarten jüngere und ältere Paareund Familien, teils mitsamt Gross-eltern, auf das ersehnte Automobil.

Durch einen unterirdischenTunnel werden die Autos vom be-nachbarten Fabrikgelände in zweizwanzigstöckige gläserne Türmegefahren und dort vor der Ausliefe-rung gestapelt. Gemäss einer prä-zisen Agenda gelangen sie – vollautomatisiert – auf den Spanntep-pich im Besucherzentrum, wo vonden Besitzern und ihrem auf Hoch-glanz polierten, neuen Gefährtrasch noch ein paar Fotos geschos-sen werden.

4500 Exemplare der MarkeVolkswagen, nur diese wird so ver-trieben, werden hier wöchentlichabgesetzt, sagt MarketingmannBatten. Das sei rund ein Drittel al-ler in Deutschland verkauften VWsund – dank der Abwrackprämie –vierzig Prozent mehr als 2008.

[i] EINLADUNG Die «Autostadt»hat zur Besichtigung eingeladen.

24 REISEN MONTAG, 25. MAI 2009

L. SCHNEEMANN

KAI-UWE KNOTH