Normphonetische Transkription: Funktion, Regeln ... · Normvorstellung: Rahmenbedingungen -...

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Seminar für Sprechwissenschaft

und Phonetik

MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT

HALLE-WITTENBERG

Normphonetische Transkription:

Funktion, Regeln,

Anwendungsbereiche

Ursula Hirschfeld / Baldur Neuber

ursula.hirschfeld@sprechwiss.uni-halle.de baldur.neuber@sprechwiss.uni-halle.de

Übersicht

1. Rahmenbedingungen / Beispiele

2. Gegenstand/Funktion der Normphonetik

3. Regelwerk

4. Anwendungsbereiche

5. Aktuelle Projekte / Beispiel Telekommunikation

Normvorstellung: Rahmenbedingungen

- gesellschaftliche Bedürfnisse nach anwendbaren

Lösungen (bereits seit Ende des 19. Jh. und bis heute)

- durch bestehende Disziplinen (z.B. Germanistik, aber

auch Medizin) ungelöste Fragen

- Veränderung der Kommunikationspraxis als Ziel

bedingt Ist- und Sollwerte

Beispiel a: Lehrerbildung

- Nationalstaat (ab 1871) benötigt Angleichung von

Regelungen in der Schriftkommunikation;

Sprechkommunikation zieht nach

- Beobachtung der Wissens- und Vermittlungsdominanz

der Schriftkommunikation in den Schulen bei

erheblichen Desideraten in der Sprechkommunikation

(z.B. fehlende Bewertungskriterien)

- Gegenwart: empirisch-theoretische Untersetzung des

„weichen“ Begriffs der (Sprech)kommunikation als

Schlüsselkompetenz

Beispiel b: Sprach- und Sprechstörungen

Diachronischer Verlauf:

- empirische Erkenntnis, dass viele Störungen nicht

(allein) operativ und medikamentös heilbar sind

- vorwissenschaftliche Übungskonzepte

- Erkenntnis über Notwendigkeit von

Normierungsprozessen (z. B. pathologisches vs.

physiologisches Sprechen)

- empirisch-theoretische Untersetzung von

Übungsbehandlungen

- Gegenwart: Messbarkeitsforderung

Normphonetik

Normphonetik

Teilgebiet der (halleschen) Sprechwissenschaft seit

den 1950er Jahren in Lehre und Forschung

zwischen Phonologie und Phonetik angesiedelt

Funktion

Erstellung von Transkriptionskonventionen

regelbasierte Beschreibung gesprochener

Standardsprache

Normphonetik – Gegenstand

a) (deutsche) Standardaussprache

Standardaussprache/Aussprachestandard unterschiedlich

definiert

hallesche Definition:

Gebrauchsnorm, keine idealisierte Norm

dialektneutral/überregional

situativ/phonostilistisch differenziert

in offiziellen/öffentlichen Situationen erwartet

b) erlaubte/erwünschte und unerlaubte/unerwünschte

Varianten und Abweichungen von der Standardaussprache

Normphonetik – Regelwerk

Regelwerk für normphonetische Transkription:

unterschiedlich je nach Auffassung bzw.

Kodifizierung/Aussprachewörterbuch

Grundlagen: Phonologie (weite Transkription) und

Phonetik (enge Transkription)

IPA-Tafel

Normphonetik – Regelwerk

a) phonologische (weite) Transkription

Plosive: ohne Angabe von Behauchung oder Art der

Verschlusslösung, also [p t k]

Quantität der Vokale: nur lang und kurz, nicht halblang

b) phonetische (enge) Transkription

Assimilationen und Elisionen in der Endungen -en, -el

ausgewählte Assimilationserscheinungen bei den

Konsonanten (Entstimmlichung)

Auslautverhärtung

R-Allophone

Glottisplosiv

Regelwerk – Beispiele

Vokalverbindungen:

[] z. B. in zwei, Mai [] z. B. in aus, Frau

[] z. B. in häufig, Leute ([, z. B. in pfui, hui)

Glottisplosiv (Zeichen: )

- im Wort, z.B. beachten [] - in Wortgruppe, z.B. von Ina vO i, im Ei [ ] (im Mai [ ])

Regelwerk – Beispiele

R-Laute

- konsonantisch (Reibe-R): Rat, Rad [])

- vokalisch: Uhr [])

- nichtakzentuiertes er- / -er : Verehrer []

- nach A-Lauten: Jahr [a: ], Karre []

Regelwerk – Beispiele

Endung -en

nach Vokal /Diphthong sehen []

nach Nasal kommen [O]

nach Frikativ essen [] nach Plosiv

[b, p] haben []

[d, t] bitten [t] [g, k] legen []

nach [l] wollen [vO]

Anwendungsbereiche

alle Teildisziplinen der Sprechwissenschaft: Phonetik,

Rhetorik, Sprechkunst, Therapie

Orthoepieforschung

„Sprechende Aussprachewörterbücher“

andere ein- und zweisprachige Wörterbücher

Sprachsynthese / Sprachausgaben (TTS = Text To Speech)

Deutsch als Fremdsprache

u. a.

Aktuelle Projekte

normphonetische Beschreibung der Standardaussprache als

Basis für Analyse gesprochener Sprache u.a.:

„Sprechendes Aussprachewörterbuch“ Kooperation mit

Univ. Dresden

interkulturelle Kommunikation Russisch – Deutsch

Kooperation mit Univ. Woronesh / Moskau

Ausspracheregeln/-übungen in Deutsch als Fremdsprache

Telekommunikation

Aktuelle Projekte – Beispiel

Analyse und Optimierung von Gesprächen in der

professionellen Telefonie

- seit 2006 mit zahlreichen Qualifikationsarbeiten und

bisher drei Drittmittelprojekten

- Grundfrage: Was kennzeichnet ein gutes Gespräch?

- Wesentliche Teilfrage: Welche Rolle spielen die

phonetischen Mittel?

Ermittelte Qualitätsfaktoren

Faktor: Situationsangemessenheit

Teilfaktor: Höflichkeit

Vorgehensschritte

1. Teilfaktor „Höflichkeit“ wurde auf empirisch-

theoretischem Weg als relevant ermittelt.

2. Hypothese: Höflichkeit wird sprachlich wie auch

phonetisch signalisiert.

3. Kommunikationsexperiment ( NORMBEGRIFF):

Agenten (Hypothese: Repräsentation der Ist-Werte)

vs. Studenten (Hypothese: Repräs. d. Soll-Werte)

4. Hypothesenprüfung (mehrfach)

5. Ableitung von Empfehlungen

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Teilkorpus „Praxistag“

Studentengespräche Agentengespräche

Gesamtkorpus 61 61

analysierte und

annotierte

Gespräche

54 36

davon eher positiv 43 7

davon eher negativ 8 20

Beispiel für Datenaufbereitung (Kunden-, Agentenäußerungen)

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Beispiel Prototypenfindung

überhöflich (Ist-Wert)

höflich (Soll-Wert)

Schlussfolgerung: Umgang mit Normbegriff

- gesetzte Norm (Standardsprache, Standardaussprache)

als Grundvorstellung wg. Ereignisvielfalt

- deskriptiv-präskriptive Ist- und Sollwerte bei

nichtkodifizierten interiorisierten Normen (z.B.

Prosodie)

- Ableitung von Handlungsempfehlungen bzw.

Schulungskonzepten mit anschließender

Erfolgsprüfung