Post on 07-Sep-2020
6 Nr. 300 | Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2018STUTTGARTER ZEITUNGPOLITIK
E in kleines Dorf im Norden Syriensist am Freitag zum Brennpunkteiner Entwicklung geworden, die
für den weiteren Verlauf des fast acht Jahrealten Konfliktes vorentscheidend seinkönnte. Wie Videos syrischer Regierungsanhänger zeigten, hissten Soldaten die Fahne Präsident Baschar alAssads auf den Dächern der Ortschaft Arima an der Schnellstraße M4, rund 20 Kilometer südwestlichder Stadt Manbisch. Die Fahnen signalisierten die Rückeroberung der Gegend umManbidsch. Der Vormarsch von AssadsTruppen erfolgte auf Einladung der Kurdenmiliz YPG, die eine Invasion des nahenNachbarn Türkei befürchtet.
„Wir laden die syrischen Regierungstruppen ein, die Kontrolle über die Gebietezu übernehmen, die wir ihnen entzogen haben, insbesondere von Manbidsch, und diese Gebiete gegen eine türkische Invasion zuverteidigen“, hieß in einer Erklärung derkurdischen Volksverteidigungseinheiten(YPG), welche das Zweckbündnis mit demsyrischen Militär dokumentierte. Der syrische Armeesprecher sagte nach dem Einmarsch in Manbidsch, das Militär werde„den Terrorismus zerschlagen und alle Invasoren und Okkupanten besiegen“.
Schon bald könnte Assad auch andere Gebiete im Osten Syriens wieder unter seineHerrschaft bringen. Manbidsch, das nur 30Kilometer südlich der türkischen Grenzeliegt, ist schon länger ein Zankapfel imkomplizierten Geflecht der Interessen vonKurden, AssadRegierung, Türkei, USAund Russland in Syrien. Vor zwei Jahrenhatten die kurdischen YPGKämpfer dieStadt mit Unterstützung der USA vom Islamischen Staat erobert. Die Türkei fordertevon den USA den Rückzug der Kurdenmiliz, die sie als Ableger der Terrororganisation PKK betrachtet. Nachdem die Amerikaner kürzlich den Abzug der USTruppenaus Syrien ankündigten, drohte die türkische Regierung mit einem Einmarsch in
Manbidsch und in anderen kurdischen Gebieten in OstSyrien. Der türkische Präsident Erdogan äußerte sich am Freitag vorJournalisten zu den Entwicklungen inNordsyrien: „Unser Ziel ist es, der YPG eineLektion zu erteilen und wir sind gewillt,dies zu tun.“
Die türkische Armee verstärkte ihreTruppenpräsenz an der Grenze, von Ankara unterstützte syrische Rebellengruppenschickten Kämpfer nach Manbidsch. Nördlich der Stadt zogen Ankaratreue Milizenihre Kämpfer für einen Angriff zusammen.Diese Offensive will die YPG verhindern,indem sie Assads Soldaten zu Hilfe ruft. Regierungstreue syrische Kommentatorenmeldeten auf Twitter, an dem VorstoßRichtung Manbidsch seien zwei Eliteeinheiten – die Republikanische Garde und dieso genannte TigerBrigade – beteiligt. Dassbei Manbidsch die berüchtigtsten Truppenaus Assads Armee aufgeboten werden, solloffenbar die Warnung an die Türkei unterstreichen, bloß keine Schlacht um die Stadtzu riskieren.
Bis zum Freitagmittag hatten die Regierungssoldaten die Außenbezirke von Man
bidsch erreicht. Möglicherweise wartetensie auf den Abzug der Amerikaner aus derStadt. Assad könnte künftig auch andereGebiete im Osten Syriens von den Kurdenübernehmen, die mit dem Abzug der USAihren Beschützer verlieren. Die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoganangekündigte Militärintervention Ankarasgegen die YPGSelbstverwaltung im OstenSyriens wird damit unwahrscheinlicher,denn die syrische Regierung kann sich aufdie Unterstützung Russlands verlassen.Moskau plant für die kommenden Wochenein Spitzentreffen von Präsident WladimirPutin, Erdogan und dem iranischen Staatschef Hasan Ruhani, um über die Lage in Syrien zu sprechen.
Unter Assads Herrschaft wird die YPG ihrAutonomiegebiet im Osten Syriens wohlkaum aufrechterhalten können. Der syrische Präsident strebt die Wiederrichtungeiner starken Zentralregierung an – während die Kurden ohne die Rückendeckungder USA in einer schwachen Verhandlungs
position sind. Auch außenpolitisch endetdas Jahr für Assad mit guten Nachrichten.Seine jahrelange Isolation in der arabischen Welt geht zu Ende. Staaten, die bisher regierungsfeindliche Rebellen in Syrien unterstützten und Assads Sturz anstrebten, bemühen sich um einen Neuanfang. Nachdem Assad kürzlich den sudanesischen Staatschef Umar alBaschir in Damaskus begrüßen konnte, gaben jetzt dieVereinigten Arabischen Emirate die Wiedereröffnung ihrer Botschaft in der syrischen Hauptstadt bekannt.
Auch Bahrain erklärte, seine Botschaftin Damaskus sei in Betrieb. In Tunesienlandete unterdessen der erste Linienflugeiner syrischen Fluggesellschaft seit Jahren. Der russische NahostBeauftragteMikhail Bognadow sieht Assad bereits aufdem Weg zur Wiederwahl als Präsident. Assad sei ziemlich populär bei den Wählern,sagte Bogdanow der NachrichtenagenturBloomberg. Selbst die türkische Regierung,die lange zu den unerbittlichsten Feindendes syrischen Präsidenten gehörte, hat sichinzwischen mit dem Gedanken an AssadsVerbleib im Amt angefreundet.
Syrische Armee marschiert in Manbidsch einKrieg Die Kurden bittenDamaskus um Beistand gegendie Türkei. Von Thomas Seibert
Mitglieder der kurdischen Sicherheitskräfteposieren inManbidsch. Foto: AP
Unicef
Gewalt gegen Kindernimmt weiter zuDas UNKinderhilfswerk Unicef hat einenunzureichenden Schutz für Kinder in Konfliktgebieten weltweit angeprangert. 2018habe sich ein „schockierender“ Trend fortgesetzt, teilte die Organisation mit. In vielen Ländern hätten Kinder ein „extremesAusmaß an Gewalt“ erlitten, sagte der Leiter der UnicefNothilfeprogramme, Manuel Fontaine. „Und die Weltgemeinschafthat sie weiterhin im Stich gelassen.“ Allzulange schon würden in bewaffneten Konflikten nahezu ungestraft immer schlimmere Gräueltaten begangen, so der Experte. Kinder seien direkt angegriffen, alsmenschliche Schutzschilde missbraucht,getötet, verstümmelt oder für den Kampfrekrutiert worden, so das UNHilfswerk.Vergewaltigung, Zwangsverheiratungenund Entführungen gehörten inzwischen zuden „Standardtaktiken“ in Konflikten wiein Syrien oder im Jemen.
Allein in Syrien wurden nach UNAngaben zwischen Januar und September nachweislich 870 Mädchen und Jungen getötet– der höchste Wert in diesem Zeitraum seitBeginn des dortigen Konflikts im Jahr 2011.Im Jemen seien im vergangenen Jahr 1427Kinder getötet oder verletzt worden. Nochhöher fiel die Zahl in Afghanistan aus, wo inden ersten neun Monaten des Jahres rund5000 getötete oder verletzte Heranwachsende gezählt worden seien. KNA
IN SYRIEN TREFFEN VIELE INTERESSEN AUFEINANDER
Afrin
dünnbesiedelte
Gebiete
IRAKSYRIEN
JORDANIEN
TÜRKEI
LIBANON
Mitt
elm
eer
Homs
Palmyra
Idlib Aleppo Al-Rakka
Damaskus
Manbidsch
Quelle: ISW, reliefweb, OCHAStand der Gebiete 13. Dezember
100 km
IS
IS
Kurdenwurden bisher durch Truppen der USA unterstützt
Rebellen
Konfliktparteien in Syrien
Regierungunterstützt durch Truppen von Russland,Iran
Gebiet kontrolliert von:
Türkei/Rebellen
StZ-Grafik: loc
DieTürkei fordert von denUSAdenRückzug derKurdenmilizen
Assadwill in Syrien eine starkeZentralregierung einrichten
Mauerbau
Trump droht mitGrenzschließungUSPräsident Donald Trump hat mit einerSchließung der Grenze zu Mexiko gedroht,sollte ihm weiterhin das Geld für den Baueiner Mauer verwehrt werden. „Wir werden gezwungen sein, die Südgrenze komplett zu schließen, wenn uns die destruktiven Demokraten nicht das Geld für dieVollendung der Mauer geben“, erklärteTrump auf dem KurznachrichtendienstTwitter. Im Streit über den USHaushaltlehnen die Demokraten Trumps Milliardenforderung für den Bau einer Mauer ander Grenze zu Mexiko strikt ab. AP