Olaf Möllenkamp Arbeitsgericht Lübeck Alkohol und Suchtkrankheiten im Betrieb – Rechtlicher...

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Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Alkohol und Suchtkrankheiten im Betrieb –

Rechtlicher Rahmen und Handlungsspielraum

Arbeitgebervereinigung Lübeck – Schwerin e.V.

Lübeck – 1. Juli 2010

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

I. Grundlagen zu Suchterkrankungen

II. Umgang mit Sucht im laufenden Arbeitsverhältnis

III. Arbeitsrechtliche Maßnahmen ohne Kündigung

IV. Kündigung wegen Suchterkrankung und Suchtmittelmissbrauch

V. Mitbestimmungsfragen

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

I. Grundlagen zu Suchterkrankungen

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Suchterkrankung bezeichnet ein komplexes Geschehen von

• seelischen• körperlichen und• sozialen

Wechselwirkungen, wobei die Grenzen zwischen

• Genuss• Missbrauch und• Abhängigkeit

fließend sind.

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Zur Sucht kommt es erst dann, wenn die Umstände des Suchtmittelgebrauchs zusammen mit der Rauschwirkungen einen Drang zur ständigen Wiederholung der Gesamtsituation erzeugen.

Dies ist in der Regel verbunden mit Dosissteigerung und Kontrollverlust.

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

78%

11%

5%

3% 2% 1%Suchtmittel (geschätzt)

Alkohol

Tabletten

Amphetamine

sonstige BTM

Glücksspiel

Internet

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Merkmale für Suchtverhalten

• wiederholte Alkoholfahne

• häufiges Zuspätkommen und viele Fehlzeiten

• Überreaktion bei Kritik von außen

• Verstrickung in Widersprüche und Lügen

• Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen

• Realitätsverlust

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Merkmale für Suchtverhalten

• Angst und Unruhezustände

• Ausweich- und Isolationstendenzen

• Suche von Konsumgelegenheiten

• Bagatellisierung von Suchtverhalten

• Konflikte in der Familie

• Beteuerungen zukünftiger Abstinenz

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Aspekte von Suchtvoraussetzungen

• Verfügbarkeit des Suchtmittels

• Persönlichkeit des Abhängigen

• betriebliche Einflüsse und Bedingungen

• erlebte positive Wirkung

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Betriebliche Einflüsse und Bedingungen

• Bindeglied in sog. „Nasszellen“

• anlassabhängiger erwünschter Konsum

• Persönlichkeitsbeurteilung nach Trinkfestigkeit

• empfohlene Spannungsregulierung in Drucksituationen

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Allgemein geschätzte betriebliche Dunkelziffer

5 %

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

II. Umgang mit Sucht im laufenden Arbeitsverhältnis

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Suchtmittelmissbrauch ohne Sucht

Beispiel: Kundenberater steht mit Alkoholfahne am Schalter

• berührt den verhaltensbedingten Bereich

• Kontrollfrage: Kann er es noch steuern?

• setzt auch ohne ausdrückliches Alkoholverbot keine besondere Verbotsnorm voraus

(„Sozialbild“)

• in Betriebsordnung enthalten

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Suchtmittelmissbrauch ohne Sucht

Abmahnungserfordernis

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Suchtmittelmissbrauch ohne Sucht

• Abmahnungshäufigkeit einzelfallabhängig

• entscheidend auch:

- konkrete Außenwirkung- Gefährdungspotenzial- Suchtmittelcharakter

• sodann: ordentliche oder ggf. fristlose Kündigung möglich

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Suchtmittelmissbrauch mit Sucht

• betrieblicher Umgang mit betroffenen Kollegen

• Bedeutung des kollegialen Umfelds(Co-Abhängigkeit)

• Umgang mit Verdachtssituationen

• Umgang mit „Ernstfallsituationen“

• Handlungspflichten des Arbeitgebers

• Aufklärungs- und Kontrollmöglichkeiten

• Dokumentation

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Betrieblicher Umgang mit betroffenen Kollegen

• Offensiv oder defensiv?

• Wer soll handeln?

• stark abhängig vom Verdachtsgrad

• Reaktionen bedenken

• rechtlich kaum Einschränkungen oder Vorgaben

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Bedeutung des kollegialen Umfelds (Co-Abhängigkeit)

• Duldungs- oder Konfrontationsverhalten?

• aktive Förderung der Suchtsituation

• Umfeldförderung der Sucht bei Problemumfeld

• Versetzung- und Umorganisationsperspektive?

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Umgang mit Verdachtssituationen

• Aufforderung zum Suchtmitteltest

• Teilnahmeverpflichtung?

• arbeitsvertragliche Regelungen von Kontrollen

• nicht erhärteter Verdacht

• negative Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Umgang mit „Ernstfallsituationen“

• Handlungsoptionen bei erhärtetem Verdacht

• angeordnetes Arbeitsende

• Heimfahrtproblematiken

• Versicherungsschutz

• Maßnahmen bei Rückkehr

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Handlungspflichten des Arbeitgebers

• allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

• anlassabhängige Fürsorge

• Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB

• Konflikt mit dem Rechtskreis des Arbeitnehmers

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Aufklärungs- und Kontrollmöglichkeiten

• Alkohol: Dräger Evidential

• andere BTM: schwierig

• Glücksspiel: Detektiveinsatz

• Online: schwierig

körperliche Kontrollmaßnahmen Freiwilligkeit

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Dokumentation

• Fotos

• Protokoll und Notizen

• „Zeugenpräparierung“

• neutrale Dritte (auch Fremdabteilung)

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Wer soll handeln?

Vorgesetzter Leitung

Kollege Betriebsrat

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Innerbetriebliche Hilfestellungen:

• Vorgesetztenschulungen

• Informationsveranstaltungen Gesundheit

• Bildung eines innerbetrieblichen Arbeitskreises

• anonymer Ansprechpartner

• Hilfsangebot des Betriebsrats

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Außerbetriebliche Hilfestellungen:

• Suchtberatungsstelle

• Fachklinken

• betreutes Wohnen

• Selbsthilfegruppen

• fachärztliche Betreuung

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Hauptgründe für das Scheitern von Hilfestellungen:

• Selbstbetrug und konsequente Verweigerungshaltung des Betroffenen

• mangelndes Feingefühl bei Vorgesetztenführung

• Unstimmigkeiten im Kollegenumfeld

• Überlagerung privater Faktoren gegenüber demArbeitsbereich

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III. Arbeitsrechtliche Maßnahmen ohne Kündigung

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Mögliche Maßnahmen:

• Ermahnung

• Weisung

• Abmahnung

• Versetzung

• Therapieaufforderung

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Therapieaufforderung

• Teilnahme kann nicht erzwungen werden

• Wahl einer Therapieeinrichtung/-maßnahme ist Arbeitnehmersache

• keine Kontaktaufnahme ohne Einwilligung Datenschutz

• Therapieverweigerung kann bei Interessenabwägung bei Kündigung zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

IV. Kündigung wegen Suchterkrankung und Suchtmittelmissbrauch

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Kündigungsarten bei Suchtmittelmissbrauch

verhaltensbedingte Kündigung

personenbedingte Kündigung

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verhaltensbedingte Kündigung

Voraussetzungen

1. vertragswidriges Verhalten (Verschulden)

2. negative Prognose

3. i.d.R. Abmahnungserfordernis

4. Interessenabwägung

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

verhaltensbedingte Kündigung

Besonderer Problembereich:

Wie kann der gerichtsfeste Beweis des vertragswidrigen Alkoholkonsums geführt werden?

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Sinnvolle Beweismittel:

• Zeugen des Konsumvorgangs

• Zeugen für Konsumfolgen oder Messvorgang

• Geständniszeugen

• anerkennende Quittung von Abmahnungen

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

personenbedingte Kündigung

Voraussetzungen

1. Grund in der Person des Arbeitnehmers

2. negative Prognose

3. Verhältnismäßigkeit

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Prozessuale Weichenstellung

verhaltensbedingte Kündigung

personenbedingte Kündigung

Arbeitnehmer bestreitetAlkoholerkrankung

Arbeitnehmer gestehtAlkoholerkrankung ein

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

• Abmahnungshäufigkeit einzelfallabhängig

• entscheidend auch:

- konkrete Außenwirkung- Gefährdungspotenzial- Suchtmittelcharakter

• sodann: ordentliche oder fristlose Kündigung möglich

Abmahnungserfordernis

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

personenbedingte Kündigung

Unterfall: Krankheitsbedingte Kündigung wegen Suchterkrankung

Zentraler Problempunkt:

1. Grund in der Person des Arbeitnehmers

2. negative Prognose

3. Verhältnismäßigkeit

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

personenbedingte Kündigung

Negative Prognose

Bundesarbeitsgericht:

I.d.R. nur zu bejahen, wenn eine längerfristige Entziehungsmaßnahme erfolglos verlaufen ist (Therapieversager)

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Längerfristige Entziehungsmaßnahme:

• keine Bezeichnung eines Zeitraums

• keine bloße Entgiftung im Wochenbereich

• in der Praxis 2,eher 3 bis 4 Monate verlangt

• bei wiederholter Maßnahme ggf. kürzerer Zeitraum

• Nachweispflicht durch Arbeitnehmer

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Problem bei Sonderkündigungsschutz:

• personenbedingte Kündigung ist ordentliche Kündigung

• es besteht u.U. tariflicher Sonderkündigungsschutz gegen ordentliche Kündigungen

• Hilfsmodell: außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist

• aber: Anforderungen eher hoch

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Konsequenzen:

• Weichenstellung fällt voll ins Arbeitgeberrisiko

• Sachverhalts- und Ursachenaufklärung häufig erst im Prozess möglich

• personenbedingte Kündigung faktisch bis Therapie (-versuch) ausgeschlossen

• durch zusätzliche Belastung mit Prozess droht Arbeitnehmer weiter abzurutschen

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Typisches arbeitsgerichtliches Verfahren:

• Eingang als verhaltensbedingte Kündigung

• Offenbarung als alkoholkrank in der Verhandlung

• Einigung auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses

• häufig: Zahlung einer Abfindung

• gelegentlich: Erteilung einer Wiedereinstellungs-zusage nach

nachgewiesener erfolgreicher Therapie

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Gesprächsstufenprogramm

1. Erst- oder Informationsgespräch

2. Das Problem-Reflexionsgespräch

3. Strategie- und Kontrollgespräch

4. Zweites und weitere Kontrollgespräche

5. Abmahnungsgespräch

6. Vorläufiges Abschlussgespräch

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

V. Mitbestimmungsfragen

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Betriebliche Mitbestimmung bei:

• betrieblichem Alkoholverbot (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) Zustimmung

• Kündigung (§ 102 BetrVG) Anhörung

• Versetzung (§ 99 BetrVG) Zustimmung

• BEM (§ 84 Abs. 2 SGB IX)

• allgemeiner Auskunftsanspruch (§ 80 Abs. 2 BetrVG)

• Vorgesetztenschulungen (§ 98 BetrVG)

• evtl. aus Betriebsvereinbarung Sucht

• nicht bei Abmahnung und Direktionsrechtsausübung

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Betriebsvereinbarung Sucht?

Vorteile:

• klarer Handlungsfahrplan bei konkreten Fällen

• Einbeziehung der Ressource Betriebsrat

• Signal für arbeitsgerichtliches Verfahren

Nachteile:

• starke Standardisierung eines sehr individuellen Bereichs

• Durchschlag auf Kündigungsschutzprozess bei Fehlern

Olaf MöllenkampArbeitsgericht Lübeck

Olaf MöllenkampRichter am Arbeitsgericht

Arbeitsgericht LübeckNeustraße 2a23568 Lübeck

Tel. (0451) 389 78 45Fax (0451) 389 78 50

olaf.moellenkamp@arbgsh.landsh.dewww.olaf-moellenkamp.de