Post on 27-Jan-2016
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Sauerstoff in der Notfallmedizin:
Nützlich? Schädlich? Überflüssig?C. Kill, W. Dersch in „Der Notarzt“ (Heft 2, 2013, S.49ff.)
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Grundlagen
- Keine andere Maßnahme in der Notfallmedizin
so etabliert
- Wirkmechanismus der Erhöhung geeignet, auf einfache
Weise hypoxische Zustände schnell zu behandeln
- Erhöhtes O2-Angebot in der Atemluft kann zumindest
teilweise Defizite im O2-Transport und der O2-
Verfügbarkeit auf zellulärer Ebene ausgleichen
- Therapie logisch und einleuchtend
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Grundlagen
- Seit mehreren Jahrzehnten Zweifel an der Richtigkeit
vor allem von unkritisch hohen Dosen
- Diskutiert werden schädliche Wirkungen, die jedoch
für den Anwender nicht unmittelbar sichtbar werden
- Mögliche Verstärkung inflammatorischer Reaktionen
während der Reperfusion nach Ischämie
- Mögliche Verschlechterung der Perfusionsverhält-
nisse ischämischer Areale im Myokard
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Grundlagen
In der Diskussion ist O2-Gabe bei zwei wichtigen
Notfallereignissen:
1. Während der Reanimation und nach Wiederher-
stellung des Spontankreislaufes
2. Beim ACS ohne vorbestehende Hypoxie vor und
während einer Reperfusionstherapie
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Hypoxie, Normoxie, Hyperoxie - Sicher nicht sinnvoll ist eine „permissive Hypoxie“
beim Lungengesunden (unstrittig)
- Objektivierung einer Hypoxie in der Präklinik nur
durch die Pulsoxymetrie möglich
- Nur bei ausreichender kapillärer Perfusion und bei
Fehlen von Dyshämoglobinämien verwertbar
- Keine Aussagen jedoch über den tatsächlichen O2-
Gehalt möglich (vom Hb abhängig)
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Hypoxie, Normoxie, Hyperoxie - Erschwert zusätzlich durch techn. Ungenauigkeiten der
Pulsoxymetrie
- Werte im oberen Normbereich lassen keine Interpre-
tation bzgl. des art. Sauerstoffpartialdruckes zu
- Bei einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 5% ist für
einen invasiv gemessenen SaO2 von 95% ein SpO2
von mind. 98% erforderlich
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Hypoxie, Normoxie, Hyperoxie - SpO2-Wert von 94% als unterer Normwert könnte zu
niedrig sein
- Smith in Resuscitation 2010; 83: 1201ff. :
Bei einem Kollektiv von 37 000 internistischen Pat.
wurde gezeigt, dass die Mortalität bei einem SpO2 von
95% und weniger steigt.
Konsequenz für Smith et.al.: Normwertbereich sollte
zwischen 96 und 98% liegen
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Hypoxie, Normoxie, Hyperoxie - Gabe von O2 scheint beim vital gefährdeten Pat.
aufgrund der zahlreichen Unbekannten nach wie vor
schlüssig zu sein
- Mögliche Schäden durch Hyperoxie sollte in Betracht
gezogen werden (PaO2 > 300mmHg)
- Ziel: Vermeidung einer Hypoxie bei gleichzeitiger
Vermeidung einer erheblichen Hyperoxie
- Sichere Etablierung einer SpO2-Untergrenze
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Reanimation und Sauerstoff 2 unterschiedliche Phasen :
1. Phase der mechanischen CPR ohne ROSC
- Minimales HZV führt zu schlechter Durchblutung
von O2-sensitivem Gewebe bei gleichzeitig stark
eingeschränktem Gasaustausch
- Maximale O2-Zufuhr scheint hier logisch
- Experimentelle Daten zeigen allerdings kein ver-
bessertes Outcome beim Lungengesunden
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Reanimation und Sauerstoff 2. Phase der Reperfusion nach ROSC - Überangebot von O2 in zuvor hypoxischem Gewebe durch sehr hohe O2-Partialdrücke - Gefahr der Förderung inflammatorischer Prozesse - Kilgannon in JAMA 2010; 303: 2165ff.: Deutlich supranormale O2-Partialdrücke über längere Zeit verschlechtern Outcome (hinrei- chend großes Kollektiv)
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Reanimation und Sauerstoff - Hahn in Resuscitation 2010; 81: 53:
Beobachtete im Tierexperiment den typischen
Verlauf des zerebralen Blutflusses und der zerebra-
len O2-Sättigung während und nach Kreislaufstill-
stand. Zerebrale O2-Sättigung bleibt durch den
reduzierten Blutfluss pathologisch erniedrigt, steigt
jedoch nach ROSC massiv an.
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Reanimation und Sauerstoff - Diese Daten führten zu den ERC-Empfehlungen 2010:
1. Maximale O2-Konzentrationen während CPR
2. Ab ROSC nur „normale“ SpO2 anstreben mit Wahl
der niedrigst erforderlichen O2-Konzentration
Nach Meinung der Autoren sollte sich die Leitlinien-
empfehlung von 94 – 98% aufgrund der oben dar-
gestellten Gründe an der oberen Grenze von
97 – 98% orientieren
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Reanimation und Sauerstoff - Derzeit keine Empfehlung für Beatmung nur mit
Raumluft, weil eine pulsoxymeztrische Validierung
unter Reanimation nicht möglich ist.
- Experimentelle Daten allesamt nur von lungen-
gesunden Tieren
- Unklarheit, ob hochnormale PaO2-Werte unter Reani-
mation nicht doch die O2-Verfügbarkeit unter Minder-
perfusion verbessern könnten
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Myokardinfarkt und Sauerstoff - Früher galt: Verbesserung des O2-Angebots bei
kritischer Reduktion der Perfusion in einzelnen
Myokardabschnitten durch supranormale Oxygenation
des arteriellen Blutes
- Heute gilt eher: Hohe O2-Partialdrücke sollen einen
direkten negativen Einfluss auf die Koronarperfusion
haben.
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Myokardinfarkt und Sauerstoff - Seit 2010 folgende Richtlinien (ILCOR): Beim Fehlen von Hypoxie oder einer respirator. Beeinträchtigung soll auf die O2-Gabe beim Myokardinfarkt verzichtet werden, wenn SpO2 mindestens 94 % beträgt. Zugrunde liegen 13 Studien (jüngste 1997); jedoch keine Studie schloss Pat. mit PCI ein; Weder positive noch negative Effekte auf das Überleben wurden gefunden
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Myokardinfarkt und Sauerstoff - Cochrane-Analyse aus 2010 fand ebenfalls keine
Unterschiede im Überleben und im Analgesieeffekt
abhängig von der O2-Gabe
- Aber: erstmaliges Einbeziehen einer prospektiven
Studie an Kollektiv mit Myokardinfarkt und Notfall-
PCI (Ukholkina in Interventional Cardioangiology
2005; 9: S.45ff.)
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Myokardinfarkt und Sauerstoff - 137 Patienten wurden mit oder ohne Sauerstoff für
3 Stunden nach perkutaner Koronarintervention
behandelt
- Untersucht wurden max. CK-MB und das Auftreten
kardiovaskulärer Komplikationen
- Signifikante Unterschiede zugunsten der O2-Gabe
(deutlich geringere CK-MB-Anstiege)
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Myokardinfarkt und Sauerstoff - Studie von Ranchord (Am Heart J 2012; 163: S.168ff.)
fand keine Unterschiede bei Pat. mit unkompliziertem MI bzgl.
Myokardschaden oder Outcome (Titrierte Gabe von O2 mit Ziel
SpO2 93-96% ggü. fixer Gabe von 6l O2/min)
- Cochrane-Review zur HBO-Therapie beim Myokardinfarkt:
(Bennett, Cochrane Database of Systematic Reviews 2011)
Nach den z.Zt. gängigen Theorien müssten sich hier evtentuelle Neben-
wirkungen maximieren.
Überraschend: eindeutig positive Resultate zugunsten der HBOT
bzgl. Mortalität, Schmerzreduktion, Komplikationsraten und Bio-
markerverlauf
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Myokardinfarkt und Sauerstoff
Studienergebnisse führen zumindest zu weiterer
Verunsicherung über den Stellenwert der O2-Gabe
beim Myokardinfarkt !
Schwierig für den Notarzt, nach dieser Datenlage
sich die empfohlene untere SpO2-Grenze von 94%
zu tolerieren
Sauerstoff in der Notfallmedizin
• Fazit
Von den Autoren vorgeschlagener Weg :
Beim Patienten mit Spontankreislauf sollte
eine dosierte O2-Inhalation angeboten werden,
um eine SpO2 von 98-99% zu erreichen !