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Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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Reisebericht
Eine Reise auf den Balkan ist immer auch eine Reise in die Vergangenheit. Dies gilt
insbesondere für Bosnien & Herzegowina. Das Land wurde durch den Bürgerkrieg
Anfang der 90er Jahre am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. 200.000 Menschen
starben, Millionen wurden vertrieben. Die Spuren des blutigsten Konflikts in Europa
seit dem zweiten Weltkrieg sind vielerorts noch immer sichtbar. 20 Jahre nach der
Unabhängigkeitserklärung und dem Beginn des Krieges haben wir – Mitglieder der
Jungen Europäischen Föderalisten und der Initiative Ostblick – uns auf den Weg
gemacht, das Land zu entdecken, von dem die meisten bislang nur aus den Medien
gehört haben. Sarajevo, Srebrenica, Mostar, Banja Luka: Seltsam vertraut klingen
diese Namen in unseren Ohren, verbinden wir sie doch mit Bildern und Berichten aus
dem Fernseher ohne je dort gewesen zu sein.
Seit dem Abkommen von Dayton vor 17 Jahren herrscht Frieden im Land. Bosnia-
ken, Serben und Kroaten leben wieder mehr oder weniger zusammen. Das Miss-
trauen sitzt zwar noch tief und offenbart sich bei Wahlen, wo viele Bosnier entlang
der ethnischen Zugehörigkeit ihre Stimme vergeben. Die Korruption ist hoch und die
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wirtschaftliche Entwicklung kommt nur schleppend vorwärts. Trotzdem: die Ruinen
wurden abgetragen, neue Gebäude errichtet, Autos und Straßenbahnen rollen wie-
der über die frühere „Sniper Alley“ durch Sarajevo. Die Menschen versuchen ein
normales Leben zu führen, gehen arbeiten, einkaufen und amüsieren sich in der
Baščaršija, der wunderschönen Altstadt Sarajevos. Zahlreiche Bürgerinitiativen en-
gagieren sich für eine Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit, kämpfen für
ein multiethnisches Bosnien und weisen Wege für die Zukunft des Landes als Teil
der Europäischen Union. Mit einigen Aktivisten haben wir uns in verschiedenen Städ-
ten des Landes getroffen und schreiben in diesem Bericht über unsere Begegnungen
und Gespräche. Alle Teilnehmer der Studienreise haben Tagesberichte verfasst und
ihre persönlichen Gedanken festgehalten.
Dass Bosnien & Herzegowina mehr ist als der schreckliche Krieg, davon konnten wir
uns vor Ort überzeugen. Es dürfte wohl kaum ein Land in Europa so grün sein wie
dieses. Dichte Wälder, atemberaubende Schluchten, bizarre Felsformationen, rei-
ßende Flüsse und wunderschöne Landschaften. Eigentlich das Paradies auf Erden.
Vielleicht kann es dazu werden, wenn die Vergangenheit aufgearbeitet wird, die poli-
tische Klasse echte Reformen anstrebt und die ethnischen Gegensätze überwunden
werden.
Wir setzen auf die junge Generation und sind zuversichtlich, dass die Jugend Bosni-
en & Herzegowinas das Land vorwärts bringen und in die EU führen wird.
Marco Schwarz
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Ankunft in Bosnien & Herzegowina
10. Mai 2012
von Frederike Großmann und Lennart Wiedicke
Treffpunkt am Flughafen Tegel. 08:00 Uhr morgens. Immer noch zu früh. So gönnte sich,
wer brauchte, erst mal einen Kaffee. Als nach kurzer Zeit alle versammelt waren, ging es ans
Einchecken. Lange war’s her, dass man mit Lufthansa geflogen war und so wurde zunächst
der Zeitungsständer mit kostenloser Lektüre gestürmt. Nach kurzer Flugzeit blickten wir be-
reits auf eine unglaublich eindrucksvolle, wunderschöne gebirgige Landschaft, mittendrin
Sarajevo. Nach der Landung ging es vom recht kleinen Flughafen mit unserem Hab und Gut
entlang einer großen, von vielen Lastwagen befahrenen Straße über Kies und Schotter bei
30 Grad Hitze in Richtung Schüler-Helfen-Leben-Haus (SHL), wo wir unsere Unterkunft be-
zogen.
Nachdem wir uns alle ein wenig im SHL-Haus eingerichtet hatten, die letzten Nachzügler der
Gruppe eingetroffen waren und wir ein schnelles Mittagessen genossen hatten, ging es auch
schon los ins Zentrum von Sarajevo. Nach etwa 20 Minuten Fahrt mit der auf den ersten
Blick recht maroden Tram durch die Randgebiete der Stadt, vorbei an von Einschusslöchern
übersäten Wohnblocks, trafen wir in der historischen Altstadt vor dem Büro von „Sarajevo
Insider“ unsere kompetente Stadtführerin. Von ihr erfuhren wir von der Ermordung Franz
Ferdinands, dem Thronfolger Österreich-Ungarns vor fast 100 Jahren, und dass der erste
Weltkrieg eventuell nicht ausgebrochen wäre, wenn nicht dessen Fahrer damals falsch ab-
gebogen wäre. In der Alt-
stadt zeigte sie uns den
blühenden Einfluss der
türkischen Besatzer, unter
deren Herrschaft Bosnien
400 Jahre lang bis zum
Berliner Kongress stand.
Ebenso blühten die eher
bedrückenden „Rosen von
Sarajevo“ in den Straßen –
rot markierte Spuren der
Granateneinschläge aus
Unser Domizil in Sarajewo: Schüler-Helfen-Leben-Haus im Stadtteil Ilidža
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der über dreijährigen Bela-
gerung Sarajevos im Bosni-
enkrieg von 1992 bis 1995.
Die Folgen des Krieges sind
bis heute nicht zu übersehen
– sie zieren das Stadtbild
und das Bewusstsein der
Menschen. Unsere Stadtfüh-
rerin selbst war zusammen
mit ihrer Familie nach
Deutschland geflohen.
Als wir gefühlt auch die letz-
te Ecke der beeindrucken-
den Altstadt gesehen hatten, fanden wir uns bald recht erschöpft in einer kleinen Lokalität,
einem ehemaligen Han - eine Unterkunft für Händler, die in die Stadt kamen - unter freiem
Himmel in den Gassen der Altstadt wieder, um den Abend in entspannter und geselliger
Runde ausklingen zu lassen.
Am Wendepunkt der Geschichte: An dieser Stelle wurde im Juni 1914 der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand erschossen, was den 1. Weltkrieg auslösen sollte
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Politik & Religion
11. Mai 2012
von Felix Mengel
Der erste volle Tag in Sarajevo begann mit dem ersten politischen Gespräch. Dennis Gratz
von der Partei Naša Stranka besuchte uns am Vormittag im SHL-Haus und stand Rede und
Antwort. Politisch ist die 2008 gegründete liberal-ökologische Partei nur lokal in Sarajevo von
gewisser Bedeutung, machtpolitisch spielt die explizit multiethnische Naša Stranka derzeit
kaum eine Rolle in Bosnien & Herzegowina. Dennis lieferte einen interessanten und umfas-
senden Rundumschlag zur politischen Situation im Land. Viele Punkte aus diesem Gespräch
sollten uns auch an den Folgetagen immer wieder begegnen: die sehr schwache Zivilgesell-
schaft, das Ausspielen der "Eth-
nizitätskarte", obwohl machtpoli-
tische Interessen im Vorder-
grund stehen, das fehlende Ver-
trauen in die regierenden Politi-
ker, die hohe Korruption, die
Perspektivlosigkeit der Wirt-
schaft, Verdrängung des Krie-
ges und die Frustration bei der
jüngeren Generation. Insgesamt
ein wirklich spannendes und
lebhaftes Gespräch, das uns für
die folgenden Tage rüstete.
Nach der Fahrt in die Altstadt (Baščaršija) ging es mit dem Besuch der Gazi Husrev Beg
Moschee sowie einem Gespräch mit einem Iman weiter. Die Moschee hatten wir am Vortag
schon bei der Führung kennengelernt, im Gespräch mit dem Iman ging es dann noch einmal
etwas vertiefter zum muslimischen Leben in Sarajevo. Von einer zunehmenden Zahl junger
Muslime aus Sarajevo begleitet, fand ein lebhafter Austausch statt. Nach eine kurzen Be-
sichtigung der Moschee selbst ging es dann noch in Begleitung einiger sehr freundlicher jun-
ger Muslime aus der Moschee zu einem nahegelegenen Kaffee, wo es ein ganz zünftig für
jeden eine Limonade und einen türkischen Kaffee gab. Im Anschluss reifte der Plan, zu ei-
nem nahegelegenen Aussichtspunkt am Rande der Altstadt zu gehen und dort angesichts
Im Gespräch mit Dennis Gratz (Mitte) von Naša Stranka
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des sehr schönen Sommerwet-
ters einen schönen Blick auf die
Stadt zu erhaschen. Der Ausblick
war sehr schön, das zuvor ge-
kaufte Bier bald alle und so ging
es später langsam zurück in die
Stadt, wo wir den Abend bei Bal-
kan-Küche und -Getränken aus-
klingen ließen.
Passend ausgestattet für den Moschee-Besuch
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Unterwegs in die Republika Srpska: Jajce & Banja Luka
12. Mai 2012
von Jochen Aulbach und Lukas Schulte
Per Bus fuhren wir am dritten Tag unserer Studienreise von Sarajevo nach Banja Luka, wo
wir auf halber Strecke eine Pause in Jajce einlegten. Neben dem Pliva-Wasserfall ist Jajce
vor allem für seine Festung und die Altstadt bekannt, die vor der Verleihung des Weltkultur-
erbe-Status steht. Bis Ende des 15. Jahrhunderts war Jajce Sitz der bosnischen Könige und
spielte auch bei der Gründung des Sozialistischen Jugoslawiens eine zentrale Rolle. Nach
einer ausgiebigen Stadterkundung mussten wir beim Mittagessen in einer idyllischen und
schattigen Cepvacinica nach
tapferem Kampf vor den
riesigen Mengen an Fleisch
kapitulieren.
Nach der Weiterfahrt nach
Banja Luka trafen wir uns
dort in einem Restaurant mit
dem Politiker Srdjan Ma-
zalica, Abgeordneter der
SNSD (Unabhängige Sozi-
aldemokraten) im Parlament
der Republika Srpska. Für
Mazalica steht Bosnien vor
der Bewältigung drei großer Aufgaben: die Mitgliedschaft in der NATO, die Umsetzung des
Finci/Sejdic -Urteils sowie die endgültige Abwicklung des Hohen Repräsentanten (OHR). Die
Dayton-Verfassung soll in ihren Grundsätzen beibehalten werden, da nur sie die Interessen
der Serben innerhalb Bosniens beschützen könne. Eine Verletzung der Verfassung bzw.
eine Änderung könnte eine Loslösung der Republika Srpska von der Föderation Bosnien und
Herzegowina notwendig machen. Eine Angliederung an Serbien werde in diesem Fall jedoch
nicht angestrebt, da im zentralistisch-organisierten Serbien die Eigenständigkeit der Republi-
ka Srpska nicht
Beliebtes Fotomotiv: Der berühmte Wasserfall von Jajce
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garantiert werden könne. Außerdem
betonte Mazalica, dass die Unab-
hängigkeitserklärung Bosniens im
Jahr 1992 illegal gewesen sei, da
die serbische Bevölkerung dieser
Erklärung nicht zugestimmt habe.
Angesprochen auf Probleme mit der
Korruption erklärte Mazalica, dass
Korruption kein Tabu-Thema in
Bosnien sei. Der Präsident der Re-
publika Srpska Dodic (ebenfalls
SNSD) sei vor Gericht gestellt, aber
freigesprochen worden. Alltagskorruption z.B. in der Verwaltung stelle ein großes Problem
da. Die politische Kultur in Bosnien sieht Mazalica im Aufwind. Programmatisch setze sich
die SNSD für Investitionsprogramme in Wirtschaft und den Sozialsektor ein. Mazalica vertei-
digte auf mehrfaches Nachfragen die Bildungspolitik in Bosnien, die die ethnische Trennung
der Schülerinnen und Schülern in verschiedene Schulen bzw. Klassen vorsieht.
Nach dem Gespräch mit ihm spaltete sich unsere Gruppe in die Fußball-Ignoranten und die-
jenigen, die das DFB-Pokal-Endspiel zwischen dem Deutschen Meister Borussia Dortmund
und dem Rekordmeister und -pokalsieger Bayern München auch in Bosnien nicht verpassen
wollten. Nach kurzer Suche fanden wir in der Kneipenmeile Banja Lukas ein Lokal, dessen
Wirt nach dem verloren Tennisspiel eines zweitklassigen serbischen Spielers für uns auf Sky
umschaltete. Beschallt von nervtötender Dancemusik verfolgten wir gespannt auf dem
stummen Fernsehbild das torreiche Aufeinandertreffen der beiden besten deutschen Fuß-
ballmannschaften. Dieses wiederum spaltete auch unsere Gruppe in zwei unterschiedliche
Fanlager und ließ das eine davon etwas glücklicher zurück als das andere.
Der bosnisch-serbische Abgeordnete Srdjan Mazalica
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Banja Luka & Travnik
13. Mai 2012
von Janis Kluge & Bartek Pytlas
Der zweite Tag unseres Ausfluges nach Banja Luka begrüßte uns mit einem Wetterum-
schwung. Die Hitze des Vortages war verflogen. Stattdessen hingen über der Stadt dichte
Wolken, die uns einen kühlen Morgen mit Dauerregen bescherten. Trotzdem entschlossen
wir uns, wenigstens einen kleinen Rundgang durch die Stadt zu versuchen.
Obwohl die Stadt Banja Luka während der 1990er Jahre im Gegensatz zu Sarajevo kein
Kriegsschauplatz war, ist auch sie von den Auseinandersetzungen nicht verschont geblie-
ben. So wurden im Laufe des Krieges viele muslimische Architektursymbole im Rahmen eth-
nischer Säuberungen niedergerissen. Der erste Anhaltspunkt unserer Stadtbesichtigung war
die Wiederaufbaustätte der Ferhadija-Moschee. Einst galt das 1579 erbaute Gotteshaus mit
seinem 43m hohen Minarett als eines der beeindruckendsten Beispiele für osmanische Ar-
chitektur in Bosnien. Im Jahre 1993 wurde sie durch bosnisch-serbische Nationalisten ge-
sprengt und in der Folge durch die Behörden der Republika Srpska abgerissen. Der gesamte
Moscheekomplex wurde zu einem Parkplatz umgebaut. Seit 2001 dauern nun die Wieder-
aufbauarbeiten an, immer wieder begleitet von heftigen Protesten nationalistischer Serben.
Die Reise führte uns weiter in das Kastel von Banja Luka, eines der Wahrzeichen der Stadt,
das am linken Ufer des Flusses Vrbas gelegen ist. Wer das Gebäude errichtet hat, ist histo-
risch ungeklärt, allerdings lässt sich die Existenz dieser Burg in Banja Luka bis in die römi-
sche Zeit nachverfolgen. Wer die Burg heute besucht, findet zwischen den halb zerfallenen
Verteidigungsmauern einen – vor allem bei Regenwetter – etwas trostlos aussehenden
Spielplatz. Im Februar 2012 wurde ein Zuschuss aus der Mittel des Instruments der Heran-
führungshilfe der Europäischen Union (IPA) in Höhe von 2,5 Mio. Euro für die Rekonstruktion
und Revitalisierung der Burg genehmigt. Mehrere NGOs bleiben allerdings skeptisch bezüg-
lich der geplanten Umgestaltung des Kastels. Es wird befürchtet, dass dieser zentrale Treff-
punkt der Stadt und Ort des Zusammenkommens der Bewohner von Banja Luka sowie eine
Freifläche für Künstler und Musiker mit der Rekonstruktion, die unter anderen den Bau eines
Hotels und eines Untergrundparkplatzes vorsieht, zur Kommerzialisierung und Veränderung
des historischen Charakters der Burg führen wird. Deswegen fordern mehrere Vertreter der
Zivilgesellschaft eine öffentliche Debatte und mehr Bürgerbeteiligung bei den Rekonstrukti-
onsplanungen des Kastels.
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Auf dem Weg zurück nach Sarajevo machte die Gruppe einen kurzen Zwischenstopp in der
mittelbosnischen Stadt Travnik, dem Geburtsort des bosnischen Literaturnobelpreisträgers
Ivo Andrić. Travnik wuchs in Bedeutung während der ottomanischen Herrschaft, wurde zu
einem wichtigen Handels- und Diplomatie-Zentrum und zur Residenzstadt der bosnischen
Wesire. Nach dieser Zeit verlor Travnik seine zentrale Stellung.
Auch hier wurden unsere Versuche, die Stadt in einem gemütlichen Spaziergang zu erkun-
den, von einem Wolkenbruch vereitelt. Mehrere BosnonautInnen konnten allerdings in dem
kleinen, gemütlichen Cafe Lajpcig (Leipzig ist übrigens die Partnerstadt von Travnik) einen
sicheren und trockenen Hafen finden. Sie wurden trotz Überstrapazierens der räumlichen
Kapazitäten mit viel Gastfreundschaft empfangen und konnten bei leckerem Kaffee und Ku-
chen ihr nächstes „window of opportunity“ Richtung Reisebus abwarten. Andere versuchten
sich durch den Regenvorhang in die „Bunte Moschee“ Travniks zu retten. Während die
durchnässten Schuhe auf der kleinen Veranda warten mussten, konnten sich unsere Füße
auf den weichen Teppichen des Gebetsraumes etwas aufwärmen.
Am späten Nachmittag in Sarajevo angekommen, ließ die Gruppe den Abend gemütlich bei
Wohnzimmergesprächen, Film und russischer Gitarrenmusik ausklingen. Wer sich etwas
später schlafen legte, konnte beim Blick aus dem Fenster Zeuge einer kleinen Sensation
werden: Sind wir an den heißen Vortagen noch mariniert in Sonnencreme von einem schatti-
gen Winkel in den nächsten geflüchtet, fielen nun plötzlich dicke Schneeflocken und verwan-
delten unsere Nachbarschaft in eine frühsommerliche Weihnachtslandschaft.
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Heinrich Böll Stiftung & Sarajevo Open Centre
14. Mai 2012
von Christian Beck & Wenke Henschel
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Krieg & Kultur
15. Mai 2012
von Susanne Schwarz & Christian Diemer
Während unserer Vorbereitungen zur Reise hat sich verschiedentlich gezeigt, dass gerade
Veteranenverbände eine wichtige Rolle in der politischen Kultur des Landes spielen. Wir
luden das CENTRU ZA NENASILNU AKCIJU (Center for nonviolant action, CNA)
http://nenasilje.org/o-nama ein, um mehr darüber zu erfahren. CNA ist eine Nichtregierungs-
organisation, die durch verschiedene Veranstaltungen eine Kultur des Dialogs und der Ge-
waltlosigkeit im ehemaligen Jugoslawien fördert und so einen aktiven Beitrag zur Versöh-
nung leistet. Ohne eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte gibt es keine Zu-
kunft, so die Überzeugung von CNA. Neben einem kurzen Abriss über das Selbstverständnis
der Organisation stellten uns Sandra Khusrawi und ihre Kollege Adnan Hasanbegović ihre
Arbeit mit Kriegsveteranen vor. In speziellen Trainings für ehemalige Kämpfer reflektieren
diese ihr eigenes Handeln und setzen sich intensiv mit der Sichtweise der Kriegsopfer ausei-
nander. Über ein solches Training ist ein beeindruckender Film entstanden, in dem die Vete-
ranen selbst zu Wort kommen und schildern, was in ihnen vorgeht. Der schmerzlichste Punkt
des Trainings ist eine Reise zu Orten, an denen Kriegsverbrechen begangen wurden. Der
Wunsch nach Frieden und einer besseren Zukunft für die junge Generation lässt trotz aller
Herausforderungen Hoffnung aufkommen. Das Gespräch mit Sandra und Adnan war durch
die Interviewsequenzen der Veteranen sehr anschaulich und hat einen Eindruck von der
Bedeutung des CNA geben.
Am Nachmittag teilte sich die
Gruppe dann auf. Einige besuch-
ten die Ausstellung des Histori-
schen Museums über die Belage-
rung Sarajewos. Der größere Teil
der Gruppe besuchte das Goe-
the-Institut der Stadt (s. u.).
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Von April 1992 an belagerte die bosnisch-serbische Armee fast vier Jahre lang die Stadt.
Während dieser Zeit verloren mehr als 11.000 Menschen ihr Leben, tausende wurden ver-
wundet und vertrieben. An all die damit verbundenen Schmerzen, Ängste und Entbehrungen
erinnert die kleine Ausstellung im Museum der Belagerung Sarajevos. Das Gebäude liegt
dicht an der so genannten „Sniper Ally“, wo Scharfschützen von den Hügeln aus das Stadt-
zentrum beschossen. Der kleine Flachbau erweckt den Eindruck als sei er in der Belagerung
arg in Mitleidenschaft gezogen worden und seither nicht renoviert worden. Wasser tropft
durch die Decken, Fenster sind kaputt, Kälte dringt in die Räume und der Fußboden ist stel-
lenweise löchrig. Kurzum, der passende Ort für eine Zeitreise in die frühen 1990er Jahre. Die
Ausstellung vereint persönliche Gegenstände, Zeitungsartikel, Bilder und vieles mehr zu ei-
ner Hommage an den Durchhaltewillen der Bürgerinnen und Bürger Sarajewos. Dabei ver-
zichtet die Ausstellung im Großen und Ganzen auf erläuternde Texte. Dem Besucher wird so
der beklemmende Eindruck der belagerten Stadt vermittelt.
Das Goethe-Institut liegt etwas außerhalb des Stadtzentrums am die Innenstadt durchque-
renden Fluss Miljacka in einem eher unscheinbaren Gebäude. Bei Ankunft unserer kleinen
Delegation fiel eine große Gruppe zumeist junger Bosnier auf, die vor dem Gebäude auf Ein-
lass warteten, wegen am selben Tag stattfindender Sprachprüfungen. Das personelle Auf-
gebot des Goethe-Instituts ist ebenfalls stattlich: neben dem stellvertretenden Institutsdirek-
tor, Dr. Heinrich Stricker, stehen noch zahlreiche einheimische MitarbeiterInnen aus unter-
schiedlichen Sparten für Auskünfte zur Verfügung.
Angesichts der draußen Wartenden erstaunt nicht, dass ca. 500–600 Personen pro Semes-
ter das Sprachkurs-Angebot des Instituts wahrnehmen, Kostenpunkt ca. 120 EUR. Die Moti-
vationen, Deutsch zu lernen, seien unterschiedlich. Neben der Rückkehrer-Generation
wachse umgekehrt eine Generation bosnischer „Fernsehkindern“ heran, die allein durch den
Konsum deutschen Fernsehens („RTL und KiKa“) nahezu „perfekt“ deutsch gelernt hätten.
Für nach Deutschland oder Österreich verreisende Mediziner und Krankenpfleger bestehen
spezialisierte Angebote. Darüber hinaus erfolgt über die sog. „Bildungskooperation Deutsch“
eine indirekte Betreuung der ca. 160.000 deutschlernenden Schüler des Landes, jährlich
zehn der insgesamt 600 bosnischen Deutschlehrer können mithilfe des Goethe-Instituts auf
Fortbildungen unterschiedlicher Dauer nach Deutschland geschickt werden.
Durch die historische Verbundenheit mit der k.u.k.-Monarchie sei allgemein die kulturelle
Kluft nicht allzu groß. Haupt-„Konkurrenz“ um Platz zwei bei den Fremdsprachen-Lernenden
(nach Englisch) sei überraschenderweise die Türkei. Ausgestattet mit reichlichen Geldmit-
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teln, ist es dem Yunus Emre Kulturinstitut möglich, u. a. durch kostenlose Türkischbücher in
der Region Türkischlernen sehr attraktiv zu machen. In der Kulturarbeit hingegen sei das
Goethe-Institut gemeinsam mit dem British Council am aktivsten.
Der Termin beim Goethe-Institut erwies sich als einer der wenigen, bei dem das Thema der
Entitäten und Ethnien nicht ständig im Zentrum stand: Für den Deutschunterricht ergäben
sich trotz des segregierten Bildungssystems quasi keine Unterschiede. Das vom Institut mit-
entwickelte Konzept „Kultur der Religionen“ indes, das einen interkonfessionellen Austausch
in der Schule anregen soll, sei nur in Tuzla und Sarajevo angenommen worden.
Kultur aus Deutschland, dabei nicht (nur) deutsche Kultur, nach Bosnien zu bringen und
bosnische Kultur und Kulturträger nach Deutschland, ist neben der Sprachvermittlung Kern-
aufgabe des Goethe-Instituts. Auf die Frage, inwieweit sich in diesem Rahmen ein Beitrag
zur interethnischen Verständigung leisten lasse, wird deutlich, in welch kleinen Schritten ge-
arbeitet werden muss. Auf direkte Ansprache des Problems werde wohlweislich verzichtet,
am ehesten sei eine Brücke durch Sachthemen herzustellen, „auf Deutschlehrer-
Fortbildungen kommen die ganz gut miteinander klar“. Allerdings gebe es Bestrebungen der
Angehörigen Deutschlehrer-Verbandes in der Republika Srpska, sich vom Landesverband
abzuspalten, man vermute, aufgrund Drucks von oben. Jüngst habe man ein Jazztrio aus
einem deutschen, einem französischen und einem bosnischen Musiker eingeladen, das solle
auch zeigen: Deutschen und Franzosen ist es gelungen, ihre Feindschaft beizulegen.
Schließlich gebe es in der Landessprache unzählige deutsche Lehnwörter, Relikt der k.u.k.-
Vergangenheit und des Gastarbeiter-Austauschs, auch dies gesamt-jugoslawische Verbin-
dungen, in denen das Deutsche – so Stricker – durchaus als Vehikel wirken könne.
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Srebrenica – Zwischen Aufbruch und Lähmung
16. Mai 2012
von Markus Hurnik & Felix Brannaschk
Im Juli 1995 endete auf brutalste Art und Weise mitten in Europa in Srebrenica das Leben
von über 8000 Menschen, vorranging Männer und Jungen. Das größte Massaker auf euro-
päischem Boden nach dem 2. Weltkrieg verübt durch bosnische Serben unter ihrem Anfüh-
rer Ratko Mladić fand innerhalb von drei Tagen vor den Augen der internationalen Öffentlich-
keit statt. Knapp 17 Jahre nach dieser Gräueltat besuchen wir die Gedenkstätte Potočari bei
Srebrenica. Von Sarajevo aus fahren wir ca. 3 Stunden durch Täler, über Berge, durch nicht
näher definierbare Vegetation, unterbrochen von einigen Dörfern und Siedlungen in Richtung
Norden nach Srebrenica. Niemand weiß so genau, was einen dort erwartet. Eine touristisch
vermarktete Gedenkstätte, ein Ort der Abschreckung, ein paar Grab- und Gedenksteine, …?
Angekommen in Potočari lässt sich auf den ersten Blick nicht genau ausmachen, um was es
sich nun genau bei der Gedenkstätte handelt. Auf der linken Seite befindet sich ein großer
ehemaliger Fabrikkomplex, wo auch die UN 1995 einen ihrer Stützpunkte hatte. Rechts vom
Bus sieht man über Mauern hinweg tausende von weißen Grabsteinen hervorstechen, au-
ßerdem zwei Militärjeeps mit EU-Flagge, die vor dem Eingang parken. Rechts vom Bus ste-
Jedes Jahr am 11. Juli werden weitere identifizierte Opfer des Massakers von Srebrenica in der Gedenkstätte in Potočari bestattet
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hen zwei entspannt wirkende bosnische Polizisten, die sich nett mit der Dame vom Souvenir-
laden unterhalten. Und dann sind da noch wir, mit unserem weißen Reisebus.
Nach einem ersten kurzen Überblick am Eingangsbereich empfängt uns Hasan Hasanovic.
Hasan hat soeben die Soldaten der EU-Mission verabschiedet und bittet uns nun unter dem
Dach einer Art „Freiluft-Moschee“ auf dem Friedhofsgelände Platz zu nehmen. In den kom-
menden zwei Stunden berichtet uns Hasan detailliert und lebendig über die Ereignisse vor
17 Jahren. Er selbst zählt zu den sehr wenigen männlichen Überlebenden des Massakers.
Auch sein Vater und sein Zwillingsbruder wurden damals umgebracht. Hasan berichtet von
all den furchtbaren Ereignissen in der Stadt, die man auch überall zu lesen bekommt, nur
dass er alles hautnah selbst miterlebt hat: 1992 Kriegsausbruch und Flüchtlingsströme aus
dem Umland nach Srebrenica, 1993 scheinbar sichere UNO-Sicherheitszone, Blauhelmsol-
daten ohne Befugnisse
in der Stadt, 11. Juli
1995 Angriff auf
Srebrenica, Muslime,
die ins UN-Lager
strömen, fehlgeschla-
gene Versuche der
UNO, den Angriff
durch Luftschläge ab-
zuwenden und
schließlich der Ab-
transport der Be-
wohner von Srebrenica durch bosnische Serben, um eines der größten Verbrechen seit dem
II. Weltkrieg zu begehen.
Was uns am meisten zu schaffen macht, ist, dass diese dreitägige fabrikmäßige Tötung vor
den Augen der UN-Soldaten und damit vor den Augen der Weltöffentlichkeit stattfand. Vor
dem UNO-Gelände wurden am 11./12. Juli die Männer und Jungen von ihren Frauen und
Müttern getrennt und auf Lastwagen Richtung Tod verfrachtet. Die Pässe und Ausweißpa-
piere der Menschen wurden verbrannt. Die übrig gebliebenen Frauen wurden wenig später
nach Tuzla auf bosnisches Gebiet gebracht. Innerhalb von wenigen Tagen war Srebrenica
„ethnisch sauber“. Hasan überlebte nur, da er sich wie viele andere auch nach dem Ein-
marsch der Serben in die umliegenden Wälder flüchtete. Drei Tage ohne Schlaf, Essen und
kaum Wasser!
Hasan Hasanovic konnte aus dem belagerten Srebrenica fliehen
Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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Nach dem Gespräch mit Ha-
san besichtigen wir das
ehemalige Gelände der UNO-
Truppen, wo uns in den ehe-
maligen Fabrikhallen ein Do-
kumentarfilm gezeigt wird.
Anschließend treffen wir un-
sern Dolmetscher und Guide,
der uns zu den „Müttern von
Srebrenica“ bringt. Mit dem
Bus geht es ein kleines Stück
außerhalb des Ortes und auf
einmal ab von der Straße auf
kleine Feldwege und Brücken.
Alles kein Problem für unseren Reisebus, der wie ein außerirdisches Objekt in dieser Umge-
bung gewirkt haben muss. Man fühlt sich in diesem Moment als Tourist etwas fehl am Platz.
Angekommen am Haus, relativ neu und groß, werden wir empfangen und sofort auf zwei
Räume verteilt, wo große Tische eingedeckt sind. Und dann geht es los: Eine Platte mit Es-
sen folgt der nächsten Schüssel gefolgt von wieder einer Platte usw. usw. Irgendwann ist der
Tisch voll, aber unsere Gastgeberin lässt sich davon nicht beirren und bringt munter noch
drei weitere Nachtischteller. Ein echtes Festmahl!
Nach dem Essen versammeln wir uns alle zusammen im großen Wohnzimmer. Drei ältere
Frauen und eine ca. 40-Jährige stehen und sitzen nun vor uns. Es ist schwierig, ins Ge-
spräch zu kommen. Alle der Frauen haben ihre Männer bzw. auch Kinder verloren. Sie wis-
sen zum Teil bis heute nicht, was mit ihnen passiert ist und wo deren Überreste sich befin-
den. Der Schmerz und die Wut auf die Verbrecher schwingen in jedem Satz mit. Was klar
wird ist, dass sich nach dem physischen Genozid nun ein psychischer Genozid vollzieht: Die
bosnisch-serbischen Offiziellen leugnen bis heute das Massaker („Im Krieg gab es auf allen
Seiten Tote.“). Daher gibt es auch keine Mithilfe, noch eventuelle Massengräber ausfindig zu
machen, um Überlebenden die Überreste ihrer ermordeten Männer zu übergeben. Diese
Ungewissheit, gepaart mit mangelhafter Anerkennung des Erlittenen muss furchtbar sein.
Auch 17 Jahre nach dem Genozid konnten noch immer nicht alle Opfer gefunden und identifiziert werden (Foto aus der Gedenkstätte Potočari)
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Die Frauen sind seit 2003 wieder
in Srebrenica, denn erst seit
2001/2002 konnten Muslime zu-
rück in ihre Heimat. Die Stadt ist
bis heute von dem Genozid ge-
zeichnet, die Einwohnerzahl wei-
terhin niedrig und die Wirtschafts-
lage ist alles andere als rosig.
Auch seinen alten Status als Kur-
ort konnte die Stadt nicht halten,
der Massenmord prägt nach wie
vor den Alltag.
Das Gespräch dauert ca. eine
Stunde. Was dabei neben dem Traurigen in Erinnerung bleibt, sind die zwei kleineren Kin-
der, die kreuz und quer durch unsere Gruppe rannten, sämtliche Töne ihres elektrischen
Spielzeugs zum Vorschein brachten und ihre Verwandten auf Trapp hielten. Ein besseres
Bild konnte es wohl nicht geben: das Gespräch über das furchtbare Schicksal der Erwach-
senen und gleichzeitig die Zukunft und Hoffnung durch die Kinder.
Gegen 17.00 Uhr verlassen wir wieder Srebrenica und machen uns erneut auf gen Sarajevo.
Es war sicher der bewegendste Tag der Reise.
Wer über das Thema mehr erfahren möchte, dem empfehlen wir die hervorragende und er-
greifende BBC Dokumentation „A Cry from the Grave“:
www.youtube.com/watch?v=Fliw801iX84
Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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OSCE & Besichtigung des Parlaments von Bosnien & Herzegowina
17. Mai 2012
von Hannah Schwarz und Richard Döbler
Am Donnerstag besuchten wir mit unserer Truppe in Sarajevo die "Organization for Security
and Co-Operation in Europe: Mission to Bosnia and Herzegovina" (Organisation für Sicher-
heit und Zusammenarbeit in Europa; www.oscebih.org). Pünktlich um 10:00 ging es nach
einem kurzen Security Check los und wir wurden im Konferenzraum von Maja Maricic, die
sich selbst als "Press Assistant, Press and Public Information Unit" vorstellte, und ihren Mit-
arbeitern freundlich empfangen. Maja erläuterte den interessierten Teilnehmern mit einer
Powerpoint Präsentation kurz den Aufgabenbereich und die Geschichte des OSCE, und gab
ein wenig Hintergrundwissen bzgl. des Bezuges zu Bosnien und Herzegowina.
Danach gab Suad Salkic, der seine Position als "National Political Officer, Policy and Plan-
ning Unit" erklärte, einige Einblicke in das Mandat des OSCE, die Vorgeschichte und die
momentane politische Entwicklung vor Ort. Suad bezog sich dabei besonders auf die
Schlussakte von Helsinki von 1975 und die Charta von Paris für ein neues Europa von 1990,
denn mit dem Zusammenbruch der Sowjet-Union war es klar, dass ein blockübergreifendes
internationales Abkommen über die Schaffung einer neuen friedlichen Ordnung in Europa
notwendig ist. Mit dem Abschluss des Abkommens von Dayton 1995 begann dann schließ-
lich auch die Mandatsarbeit des OSCE in Bosnien bzgl. der Umsetzung der politischen und
wirtschaftlichen Ziele.
Danach bekamen wir von Stefania Koskova, "Head of Community Engagement Section,
Human Dimension Departement", einige Einblicke in die Arbeit des OSCE mit den Menschen
vor Ort. Hauptaugenmerk hierbei sind die verschiedenen Probleme mit den Entitäten und
den drei Volksgruppen; den Bosniaken, den Kroaten und den Serben. In diesem Bereich
möchte das OSCE besonders in dem Gebiet der Bürgerrechte, den lokalen Stadtverwaltun-
gen, dem ländlichen Raum, dem Parlament und in der Bildung noch viel erreichen.
Den letzten Teil übernahm dann schließlich Marta Valinas, "Legal Adviser, Human Dimensi-
on Departement", die die rechtlichen Aspekte beleuchtete. Hierunter fallen unter anderem
die Kriegsverbrecherprozesse, die Angelegenheiten der verschiedenen Minderheiten, die
Sicherstellung fairer Wahlen, die Unabhängigkeit der Justiz, Bekämpfung der Korruption und
vieles mehr.
Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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Anschließend gab es für die Bosnonauten die Möglichkeit Fragen zu stellen, was von einigen
auch rege in Anspruch genommen wurde. Viele der Fragen drehten sich um Jugendarbeit,
Minderheitenrechte, interreligiöse Angelegenheiten sowie Pressefreiheit und Kooperation,
die vom OSCE-Team auch kompetent beantwortet wurden. Gegen 11:30 war die Debatte
beendet und unsere Balkan-Expediteure verabschiedeten sich mit Gastgeschenken aus
Deutschland und machten sich bereit für den Besuch des Parlaments.
Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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Die Brücke über die Neretva: Ein Besuch in Mostar
18. Mai 2012
von Christiane Barnickel und Sebastian Tomczak
Strahlender Sonnenschein läutete – nach Schnee und Regen der letzten Tage – unsere Aus-
flugs- und Freizeittage ein, mit denen wir die Reise abschließen würden. Frühmorgens schäl-
ten wir uns aus unseren ‚gemütlichen‘ Betten, um per Zug nach Mostar zu fahren. Allein die
Reise (von Mostar ganz zu schweigen) entschädigte für das frühe Aufstehen. An dieser Stel-
le sei ein kurzer Exkurs in das bosnisch-herzegowinische Eisenbahnsystem erlaubt. In Er-
mangelung eines Mehrklassensystems bei der ŽFBH (Željeznice Federacije Bosne i Her-
cegovine), einer der beiden staatlichen Eisenbahngesellschaften, kamen wir in den Genuss,
in einem historischen 1. Klasse-
Waggon aus Beständen der schwe-
dischen Staatsbahn zu reisen; ei-
nem Geschenk Schwedens an den
Staat Bosnien, woran durch eine
kleine Messingtafel erinnert wird.
Dieser Wagen verzückte insbeson-
dere durch seine Holzvertäfelung
sowie die angenehme Beleuchtung
mit nackten, ohne Lampenschirm an
der Wagendecke angebrachten
Glühbirnen. (Ein Ambiente, das aufgrund des Glühbirnenverbotes in der EU, welches sogar
die Einfuhr entsprechender Leuchtmittel durch Verordnung (EG) 245/2009 zur Durchführung
der Richtlinie 2005/32/EG verbieten und folglich strafbar macht, leider nur noch sehr selten in
Westeuropa zu finden ist.) Vor Fahrtantritt empfiehlt es sich, sich mit den örtlichen Beförde-
rungsbedingungen vertraut zu machen. Die wichtigsten Regeln seien hier – ohne Gewähr –
kurz aufgeführt: 1. Das Rauchen ist in den Wagenübergängen erlaubt. 1a) Die Zigarettenkip-
pen sind auszulöschen und durch die dafür vorgesehenen Schlitze auf die Bahngleise zu
entsorgen. 1b) Einheimische dürfen zwecks besserer Belüftung während des Rauchvor-
gangs die Fronttüre des Waggons öffnen; Nicht-Einheimische dürfen dies nicht. 2. Alkohol-
konsum ist erwünscht und wird entsprechend gefördert. Es sollte dabei bevorzugt auf die von
der Servicekraft feilgebotenen Getränke zurückgegriffen werden. Da es hier jedoch zu Lie-
ferengpässen und langen Wartezeiten kommen kann, wird Selbstversorgung ebenfalls gebil-
Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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ligt. 3. Das Ablegen bestrumpfter Füße auf den Sitz wird mit Geldbußen bis zu 30 KM ge-
ahndet. 4. Diskussionen oder Gespräche mit dem Zugbegleiter sind – wenn überhaupt – nur
aussichtsreich, sofern sie in dessen Muttersprache geführt werden.
Strahlend blauer Himmel und grüne Landschaft auf einer der schönsten Bahnstrecken Europas
Wir fuhren also in diesem charmanten Zug gen Südwesten und genossen den wunderbaren
Ausblick auf Berge, grüne Wälder und strahlendblaue Flüsse. Beeindruckt von der Schönheit
der Umgebung sammelte sich der Fotografie-affine Teil unserer Gruppe an den Fenstern.
Ein Wettbewerb um die besten Schnappschüsse entbrannte und stieß bei so manchem mit-
reisenden Einheimischen wohl auf leichtes Unverständnis. Der weniger enthusiastische Teil
der Gruppe versank derweil in den riesigen Sesseln des Zuges, um ein wenig Schlaf nach-
zuholen. Nach guten drei Stunden Fahrt erreichten wir den Bahnhof von Mostar, wo uns un-
ser Stadtführer Mirko bereits erwartete.
Gemeinsam mit ihm machten wir uns alsbald auf, die Stadt zu erkunden und erfreuten uns
an seinen ausschweifenden Erläuterungen. Das wohl beeindruckendste – und auch bekann-
teste – Monument der Stadt ist die Stari Most, die alte Brücke, welche die beiden Ufer der
Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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Neretva verbindet. Die 1566 unter ottomanischer Herrschaft errichtete Steinbrücke zählt zum
UNESCO-Weltkulturerbe und besticht durch ihre Konstruktion, die völlig auf Strompfeiler
verzichtet. Für die Stadt erhielt sie besondere Bedeutung, da sie neue Handelswege ermög-
lichte und so zur Prosperität der Stadt beitrug. Neben den Vermächtnissen dieser Epoche
findet sich eine Reihe von Gebäuden, welche die österreichisch-ungarische Herrschaft be-
zeugt als auch solche, deren Architektur an die Sozialistische Föderative Republik Jugosla-
wien erinnert. Ähnlich wie in Sarajevo bietet also auch ein Spaziergang durch Mostar die
Möglichkeit, „im Raume die Zeit zu lesen“ (Karl Schlögel).
Das Wahrzeichen Mostars: Die im Bosnien-Krieg zerstörte und 2004 wieder aufgebaute Brücke über die Neretva
Zurück aber zur Brücke: Um zu ihr zu gelangen, durchschreitet man vom Bahnhof aus zu-
nächst ein Viertel, das architektonisch stark durch die k.u.k-Zeit geprägt wurde – die Gebäu-
de weisen heute leider teils recht große Kriegsschäden auf, wodurch sich unser Stadtführer
zu der Bemerkung hinreißen ließ, sie befänden sich im selben Zustand wie Franz Ferdi-
nand... Im weiteren Verlauf durchquert man den muslimischen Teil mit seiner beeindrucken-
den Moschee. Nach Überquerung der Neretva nähert man sich dem hauptsächlich kroatisch
bewohnten Bereich der Stadt, in dem sich gleichwohl eine Vielzahl an Gotteshäusern ver-
schiedener Religionen finden lässt (laut Mirko gibt es in Mostar Angehörige aller Religionen -
Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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nur der Buddhist sei letztes Jahr gestorben). Die geografische Nähe zeugt von einem Zu-
sammenleben der Religionen, das wohl seit dem Krieg in dieser Form nicht mehr existiert;
zumindest wurde uns diese ethnische Segregation von mehreren Seiten, sowohl in Mostar
als auch außerhalb, bestätigt. Vor dem Krieg hingegen, so Mirko, sei Mostar eine ethnisch
gemischte und überaus liberale Stadt gewesen.
Im Anschluss daran besichtigten wir weitere Sehenswürdigkeiten der faszinierenden Stadt,
um nach einem stärkenden Mittagessen einen Vertreter des Vereins Abrašević
(www.okcabrasevic.org) zu treffen. In einem
Hinterhof befindet sich ein recht großes Ju-
gend- und Kulturzentrum. Wir sprachen über
das Konzept, das sich bemüht, verschiedenen
Künstlern, Musikern und sonstigen Aktiven
Raum für ihr Engagement zu bieten sowie
über besondere Probleme, die sich bei der
Finanzierung und Ausrichtung der unterschied-
lichsten Veranstaltungen ergeben. Dennoch
scheinen die dort zusammengeschlossenen
Personen durch ihren Esprit einige Hürden zu
überwinden und stellen so eine wertvolle Be-
reicherung für das kulturelle und zivilgesell-
schaftliche Leben der Stadt dar. Denn offen-
sichtlich bietet die Organisation einige Frei-
räume und springt in die Bresche, insbesonde-
re bei kulturellen Angeboten, die von öffentli-
cher Seite nicht bereitgestellt werden. Ethnische Gegensätze, so unser Gesprächspartner,
spielen bei Abrašević überhaupt keine Rolle.
Nach dem Gespräch nutzten einige von uns die verbliebene Zeit, um kleine oder große Ein-
käufe zu erledigen und abends ging es zurück mit dem Zug nach Sarajevo.
Minarett und Kreuz in Mostar – Die Spannungen zwischen den Religionsgemeinschaften dauern an
Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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Wildwasser-Rafting auf der Neretva
19. Mai 2012
von Christopher Paulsen
Zum Ende unserer Bosnienreise gab es noch einen absoluten Höhepunkt. Die Rafting Tour
auf der Neretva. Bevor es jedoch aufs Wasser ging gab es noch reichlich Stärkung in Form
von unglaublich riesigen Platten mit leckeren gegrillten Köstlichkeiten. Das Essen sollte ne-
ben der Stärkung jedoch noch einen anderen Zweck erfüllen, wie wir beim Anziehen der Ne-
opren Anzüge feststellten. Sie waren alle sehr weit geraten und so hatten nur die kräftigen
unter uns den Vorteil, in den Genuss der isolierenden Wirkung zu kommen. Immerhin hatte
die Neretva deutlich unter zehn Grad Celsius. Wir eröffneten die Rafting-Saison mit der freu-
digen Überraschung, dass wir im Mai noch Schmelzwasser aus den Bergen im Fluss hatten
und die Neretva so an einigen Stellen zur reißenden Bestie wurde. Diese Bestie krallte sich
bei einem besonders heftigen Ritt eines unserer Boote und brachte dieses zum Kentern.
Zum Glück wurde niemand verletzt, das Essen konnten wir wieder einfangen, die Bilder ret-
ten und nach einer Pause guckte die Kenter-Mannschaft schon wieder viel zuversichtlicher
aus der Wäsche. Neben den Stromschnellen war auch die Landschaft atemberaubend. Wir
paddelten durch die Schluchten, die der Fluss mit seiner enormen Kraft in den Felsen gegra-
ben hat. Wir bewunderten die Felswände, die kleinen Wasserfälle, die Flora, die Fauna und
die traumhaft schönen kleinen Stände.
Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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Die SpaziergängerInnen von Sarajevo
20. Mai 2012
von Enrico Kreft
Und so rasch geht ein beinahe zweiwöchiger Bosnienaufenthalt vorüber. Nur die Flüsse Ne-
retva, Zeljeznica, Vrbas oder Bosna haben eine höhere Fließgeschwindigkeit als die vergan-
gene Zeit. Diesen letzten Sonntag verbrachten wir ruhig, denn das anstrengende Programm
mit einer abenteuerlichen Bahnfahrt nach Mostar, einem aufschlussreichen Gespräch bei der
OSCE, einem politischem Aufenthalt in Banja Luka, einer verstörenden Besichtigung von
Sebrenica, einem nicht ungefährlichem Rafting oder reichlich interessanten Informationen
über die Arbeit politischer Stiftungen, diversen Eindrücken und jeder Menge mal mehr mal
weniger schmackhaften Cevapcici (er-)füllten uns.
Zudem begleiteten uns sehr wechselhafte Wetterlagen: Hochsommer, Winter, Herbst und
zum Schluss wieder Sommer, so dass viele von uns ganz im Sinne Friedrich Schillers ihren
Sonntag mit einem Spaziergang zur Vrelo Bosne begonnen. In diesem öffentlichen weitläufi-
gen Park direkt am Fuße des Igmans gelegen entspringt der Fluss Bosna, nach dem ein Teil
des Landes benannt ist.
Wir waren natürlich nicht allein dort, denn die Bürgerinnen und Bürger Sarajevos nutzten im
Kreise ihrer Familie den Sonntag ebenfalls zu einem Ausflug, um dort zu flanieren, zu pickni-
cken, zu spielen, zu toben, zu lesen oder einfach zu entspannen. Dieser sonntägliche Aus-
flug ist bei bosnischen Familien sehr beliebt; und wer es eilig hat, nutzt einen der zahlreichen
Fiaker, die am Eingang des Parks warten. So wird man nicht nur rasch zur Quelle transpor-
tiert, sondern vermeidet galant in Pferdemist zu treten. Im Winter wird der Berg Igman gern
zum Skifahren genutzt; sind doch einige Anlagen, die noch anlässlich der Olympischen Win-
terspiele Anfang der 80er gebaut worden sind, wieder in Betrieb.
Einige wollten noch dem ein oder anderen Schnäppchen wie einer Kaffeemühle oder viel-
leicht noch weiteren Glühbirnen hinterherjagen - ja, die (nicht alle, aber ein paar) Geschäfte
sind in Bosnien-Herzegowina auch sonntags geöffnet. Andere statteten dem Tunnelmuseum
in der Nähe des Flughafens Sarajevo einen Besuch ab. Während der Belagerung Sarajevos
konnten über diesen Tunnel die Bewohner mit dem Nötigsten heimlich versorgt werden.
Studienreise Bosnien & Herzegowina 10.-21. Mai 2012
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Abends ließen einige ihren Aufenthalt noch in der Stadt ausklingen. Andere wiederum gingen
nach Ilidza, um sich an die Zeljeznica mit Pivo sowie ein paar Snacks zu setzen - vor einigen
Tagen noch lernten wir Ilidza, das seit der römischen Zeit als Kurort bekannt ist, wegen sei-
ner Thermalquelle sehr schätzen. Extreme Lagen gehören wohl zu diesem wundersamen
Land.