Umgang mit Suchtproblemen in der stationären Altenpflege · Spezialeinrichtungen (Alter,...

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Umgang mit Suchtproblemen in der stationären Altenpflege

Dr. Ulrich KastnerGerontopsychiatrisches Zentrum Bonn

Sucht 2006, Sucht und Lebensalter 14.11.06, Dresden

Gerontopsychiatrisches ZentrumBonn

Institutsambulanz Memory Clinic Altenberatung Tagesklinik

25 Heimeinrichtungen Bonn/Rhein-Sieg

850 Altenheimpatienten/Quartal

350 Ambulanzpatienten/Quartal

Kaiser-Karl-Ring 2053111 Bonn0228-551-2567

Der typische Alkoholkranke im Altenheim?!

Herr B., 62 Jahre, Spiegeltrinker, lebte seit Jahren ‚auf Platte‘. Während eines Krankenaufenthaltes riss die Stadt seine ‚Hütte‘ auf dem Bahnhofsgelände ab.

Das Sozialamt besorgte ihm eine neue Bleibe –das günstigste Altenheim.

Die klassische Abhängigkeit im Altenheim?!

Frau G. 61 Jahre, befand sich wegen Schwarzfahrdelikten für 15 Monate in der JVA. Persönlichkeitsstörung mit langjährigem Benzodiazepingebrauch und Alkoholkonsum.

Nach einem Suizidversuch in einer internistischen Klinik: Aufnahme in der Psychiatrie.

Die vorversorgenden Einrichtungen der Suchthilfe verweigerten die Wiederaufnahme, daher der Wechsel ins Altenheim.

Ein klassischer Altenheimpatient?

Herr N., nach diversen Stürzen unter Alkoholkonsum – Schädel-Hirn-Trauma –subdurales Hämatom und Frontalhirnsymptomatik.

Gangunfähig, verhaltensauffällig, enthemmt, orientierungsgestört.

Im Heim gute Rehabilitation – jetzt verlässt er das Heim wieder – mit dem Rollstuhl – in die Kneipe nebenan.

Übersicht

Epidemiologie - Altenheim

Medikamentenmissbrauch

Spezielle Aspekte zum Alkoholkonsum im Heim

Umgang mit Alkoholabhängigkeit

Therapieverhindernde Variablen

Psychische Störungen in Altenheimen

Erstdiagnosen n=1893

4%

Demenz

Suchterkrankungen

Psychosen

Depressionen

Angsterkrankungen

Persönlichkeitsstörungen

Intelligenzminderungen

Zweitdiagnosen n=396

19%

Absolut n=146 (7,5%)

Hirsch & Kastner et al., Psychische Störungen in Heimen, KDA, 2004

Suchterkrankungen in Altenheimen - ICD10 F1x

Erstdiagnosen n=81

Alkohol

Benzodiazepine

Nikotin

Sonstige

Frauen 37% Männer 63%

Zweitdiagnosen n=65

Frauen 58% Männer 42%

Alkohol F10.x 17% der Männer und 4% der FrauenHirsch & Kastner et al., Psychische Störungen in Heimen, KDA, 2004

Andere Studien - Alkohol

Frankreich 1963: 41% der Männer mit erheblichen Alkoholkonsum und 12% der weiblichen Bewohner1

Amerika - div. Studien: 20-40% der Männer in Altenheimen

Luderer/Rechlin 1987: Gelegentlich oder häufiger betrunken im Heim: je 3% Rauscharmer Konsum: 5% Beginn im Altenheim: 0,3%

1Gaillard u. Perrin 1963

Epidemiologie

Widerspruch zw. Anteil der Alkoholkranken in Altenheimen und der älteren Gesamtbevölkerung

Hoher Prozentsatz von Alkoholkranken bei männlichen Heimbewohnern

Versteckte, ignorierte oder unterdiagnostizierte Medikamentenabhängigkeit

Allein Primärdiagnosen geben noch keinen Hinweis auf tatsächlichen Konsum, da viele Patientenerkranken unter Alkoholfolgekrankheiten ohne aktuellen Konsum leiden (Alkoholdemenz oder Korsakow-Synd.)

Medikamente

MedikamentenmissbrauchAbhängigkeit

Analgetika (Opiate) u. Opioide (Tramadol)

Tranquilizer

Hypnotika

SonstigeAndere Schmerzmittel

Abführmittel

Andere freiverkäufliche Medikamente

Kontakt zu potenziell abhängig machenden Medikamenten

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

65-69 70-74 75-79 80+

Männer Frauen

Simoni-Wastila et al, USA, 2004

Benzodiazepine und HypnotikaAltenheimbewohner

0% 10% 20% 30% 40%

Demenz

Suchterkrankungen

Psychosen

Depressionen

Persönlichkeitsstörungen

Intelligenzminderungen

Männer FrauenHirsch & Kastner et al., Psychische Störungen in Heimen, KDA, 2004

Benzodiazepine/Hypnotika und Leitsymptomatik

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

40%

45%

50%

60-64 65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 90+

Unruhe n=780

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

40%

45%

50%

60-64 65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 90+

Schlafstörung n=430

Hirsch & Kastner et al., Psychische Störungen in Heimen, KDA, 2004

Medikamentenabhängigkeit im Altenheim I

Abhängigkeit u. Missbrauch häufig schon vor dem Einzug

Neue Medikamente nach einem Krankenhausaufenthalt

Fehlende Aufklärung der Patienten und Betreuer

Entzugsbehandlung bei Multimorbidität

Sturzrisiko

Medikamentenabhängigkeit im Altenheim II

Grenze - Notwendigkeit / Missbrauch

Indikation für Psychopharmaka -institutionell bedingt (Schlafstörung)?

Iatrogene induzierte Abhängigkeit

Besteht behandlungsnotwendige Abhängigkeit

Zu selten diagnostiziert – bzw. problematisiert?

Konzept Medikamentenabhängigkeit Schulungsmaßnahmen zur

Psychopharmakatherapie für Pflegekräfte Konsequenter Einsatz von Antidepressiva Kooperation mit Hausarzt bei

Schmerzbehandlung und Schlafstörung Regelmäßige Reduktionsversuche Langfristiger Entzug in der Einrichtung Prophylaxe: Präferenz für

nichtpharmakologische Therapieverfahren bei Demenz/Depression und

Umgebungsgestaltung und Wohnkonzepte

Alkoholmissbrauch im Altenheim

Alkohol im Heim

Normaler Konsum, Missbrauch oder Abhängigkeit?

Übermäßiger Konsum – Ausnahme, aber starke Belastung

Toleranzgrenze des Personals hoch, aber abhängig vom Grad der Störung des Alltags

Vorrangige Gruppe – „early-onset“ Eigenes Konsumverhalten von Pflegekräften

und Therapeuten Für Ärzte wenig sichtbarer Konsum in Heimen

Fallbeispiel - Alkohol im Heim I

Frau M., 62jährig, auffällig durch wiederholte Verwirrtheit, zuletzt auch Sturzereignisse. Lebte bislang alleine zuhause, nach Krankenhausaufenthalt im Heim.

Keine direkten Intoxikationszeichen. Galt biographisch als rheinische Frohnatur, die

gerne auch mal in die Kneipe ging Regelmäßiger stützender Kontakt zu

Angehörigen und Freunden

Fallbeispiel - Alkohol im Heim II

Wiederholte Konflikte mit Pflegepersonal um Hygiene im Zimmer

Verlässt entgegen Absprachen das Heim Keine Krankheitseinsicht, kein ärztlicher

Kontakt Freundin brachte regelmäßig Schnaps mit,

gemeinsamer Konsum Freundin erhielt Hausverbot, Patientin

Kündigungsschreiben Psychiatrische Behandlung nach

Suizidversuch

Probleme im Heim - Alkohol

Konflikte mit anderen Bewohnern oder Pflege

Vermüllung - Hygieneprobleme

Offenes Trinken – Image der Einrichtung

Konflikt Lebensraum – therapeutischer Raum –Garantenstellung der Pflege

Schwierige Absprachen mit Angehörigen, Freunden, fehlende Regeln bei Einzug

Trinken außerhalb der Einrichtung

Spezielle Aspekte zur Alkoholabhängigkeit in Heimen Fallzahlen bedingt durch hohen Frauenanteil

an Gesamtbewohnerzahl und hohes Durchschnittsalter (>85J) niedrig

Vor allem jüngere Männer, early-onset Aufnahme eines konsumierenden

Alkoholkranken ist aus Sicht der Heimleiter ein „Versehen“

Alkoholfolgeerkrankungen maskiert als unklare Demenz

Leichtere Formen des Konsums werden toleriert

Umgang, Therapie und therapieverhindernde Variablen

Umgang mit Alkoholmissbrauch

Aspekte der Pflege

‚Konzept‘ Alkoholabhängigkeit

Therapieverhindernde Variablen

Einstellungen von Therapeuten

Notwendigkeiten

Aspekte der Pflege

Persönlicher Standpunkt - Nachsicht und Ablehnung

Was geschieht mit einer Vermutung Kann das Problem thematisiert werden Gibt es ein gemeinsames Handeln Ärztliche Therapie wird delegiert auf

Heimpersonal – keine Dauer-Anwesenheit geschulter Therapeuten

Fehlende Konzepte und Wissen

Konzept Alkoholabhängigkeit

Stationäre Entgiftung Gerontopsychiatrie, Suchtklinik

Klärung der Bereitschaft des Heimes zur weiteren Versorgung

Erreichen von Teamkonsens Pflegerische Fallbesprechungen mit

Angehörigen Regelmäßige Einzelkontakte zu Patient Bei Scheitern Umzug in Spezialeinrichtungen

(leider häufig nicht wohnortnah, bzw. ländlich )

Warum kommt es häufig nicht zur erfolgreichen Therapie?

Fehlende Geschlossenheit innerhalb d. Teams

Konzepte fehlen

Fehlende Vorerfahrung der behandelnden Ärzte

Wille der Einrichtung fraglich (Öffentlichkeit!)

Abgrenzung Delir – Demenz schwierig

Keine Übernahme von Alkoholerkrankten in Spezialeinrichtungen (Alter, Pflegebedürftigkeit)

Vergleichsweise hoher zeitlicher Aufwand

Einstellungen zu Alkohol und Abhängigkeit

Befragung von Therapeuten und Pflegenden Einstellungen zum

Konsum von Bewohnern

Häufigkeiten von Suchterkrankungen

Eigener Umgang mit Erkrankten

Kenntnis um Konzepte

Berufsgruppenspezifische Auswertung

In Vorbereitung 2006

Übereinstimmung von Ärzten bei folgenden Aussagen „Die Diagnose einer Suchterkrankung schließt die

Aufnahme in einem Altenheim nicht aus“ „Suchtkranke Menschen haben eine reduzierte

Lebenserwartung“ „Es ist günstiger ältere Suchtkranke in normalen

Altenhilfeeinrichtungen zu behandeln, um sie nicht zu stigmatisieren“

„Man sollte suchtkranken älteren Menschen trotz ihrer begrenzten Lebenserwartung die Anstrengung einer Entzugstherapie nicht ersparen“

„Eine Alkoholproblematik sollte gegenüber einem Heimbewohner direkt angesprochen werden“

Vorstudie 2006

Aber auch …

Fehlende Kenntnis hinsichtlich spezifischer Fragestellungen um Sucht im Alter (Auftreten, Prognose, Formen)

Uneinheitliche Haltung zum Alkoholkonsum in Einrichtungen

Fehlende Kenntnis hinsichtlich Behandlungskonzepte

Realistisch gesehen stehen wir noch am Anfang! Was brauchen wir ... Definitionen von Missbrauch, fehlerhaften

Indikation und Suchtverhalten bei Hochaltrigen Identifizierung therapieverhindernder Variablen Erkenntnisse über Einstellungen von

Professionellen und Angehörigen zu Suchterkrankungen

Epidemiologische Daten zur Behandlungsnotwendigkeit

Mehr Aussagen zu Indikationen und Tagesdosen von Medikamenten in Altenheimen

Was fehlt in der täglichen Praxis …

Screening- und Assessmentinstrumente

Aussagen zur Effektivität von therapeutischen Interventionen

Klinische Leitlinien, Konzepte, Fort- und Weiterbildung, Suchtmedizinische Konsile

Organisation und Finanzierung

Offenheit der Träger der Einrichtungen

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit