Post on 06-Apr-2016
Volker Schönwiese
Gesellschaftliche Bilder von Behinderung und die Handlungsleitbilder der Politik
Ringvorlesung Disability Studies, 2. Teil29.Mai 2015 Universität Linz
Individuelles Modell von Behinderung(medizinisch u. rehabilitationsorientiert)
UPIAS – Soziales Modell von Behinderung
MODELLE VON BEHINDERUNG – Überblicksfolie:
Poststrukturalismus
Sozioöko-nomisches
Modell(ökonomische Produktions-verhältnisse)
Ökonomieorientiert
(soziale Gleichheit)
MinderheitenModell
(Menschenrechte und Zugang zu den Bürgerrechten)
Bürgerrechts-orientiert
(Anerkennung)
KulturellesModell
(Kritik symbolischer Ordnungen)
Kulturorientiert
(Dekonstruktion)
Grundsätzliches 1
UmverteilungPolitische
Gleichstellung Dekonstruktion
Behinderung als dreidimensionale Kategorie von Gerechtigkeit
Mangelnde Umverteilung Politische Entrechtung Kulturelle Abwertung
UNGERECHTIGKEIT UND BEHINDERUNG
GERECHTIGKEIT UND AUFLÖSUNG VON BEHINDERUNG
Grundsätzliches 1
Zur GerechtigkeitDimensionen
ÖkonomischeProduktions-verhältnisse
KulturelleSignifikationsprozesse
PolitischeRepräsentation
Formation von Behinderung
Ökonomische Ungerechtigkeit und Ausbeutung
Kulturell Abwertungen durch negative und essentialisierende Bedeutungs-zuschreibungen
Ausschluss durch Institutionelle und strukturelle, institutionelle Diskriminierung
Herstellung von Gerechtigkeit
Umverteilung Anerkennung Inklusion
Transformationsstrategien
Sozialismus und Auf-lösung kapitalistischer Herrschafts- und Unterdrückungs-strukturen
Dekonstruktion Partizipation u. partizipatorische Parität
Nichtreformistische Reformen
Soziale Rechte, finanzielle Unter-stützung die Autonomie ermöglicht (z.B. persönliches Budget)
Anerkennung von Differenz
Bürgerrechts-orientierte Behindertenpolitik (UN-Konvention) und Selbstbestimmung
Ambivalenzen
Behinderte Menschen als Konsumenten innerhalb eines neoliberalen Regimes
Reproduktion der Dominanzverhältnisse,Individualisierung und Mainstreaming
Aktivierender Sozialstaat; Anpassungszwang, Responsibilisierung und Prekarisierung
Vgl.: Plangger/ Schönwiese: http://bidok.uibk.ac.at/library/schoenwiese-bildungsgerechtigkeit.html
Entwicklungen in der Behindertenhilfe
• Institutionalisierung behinderter Menschen (insbes. ab 19. Jhd., Ordnungs- und Heilungsparadigma, Disziplinierung, Aufbewahrung, Spaltung in Heilbare-Unheilbare, Eugenik) – Verwahrung
• Bewahrung und Verbesserung der Heime(ab 50-60er-Jahre, Humanisierung und Kolonisierung, Paradigma der Förderung in speziellen/isolierten Räumen, Spaltung in mehr oder weniger Therapierbare) –Anpassung
• Normalisierung und De- Instititutionalisierung(ab 60er-70er-Jahre, Rehabilitations-Paradigma, spezielle Förderung und Integration/Regionalisierung der Dienste, Spaltung in mehr oder weniger Förderbare) – Förderung in der am wenigsten einschränkenden Umwelt (Integration)
• Leben mit Unterstützung(ab 80er-90er-Jahre, Selbstbestimmungs-Paradigma, Inklusion in sozialer Kohäsion, Menschenrechtsparadigma, Behinderte Personen auch als Akteure der Entwicklung, widersprüchliche Entwicklung zwischen den Interessen der Sozialwirtschaft und der SelbstvertreterInnen) – Selbstbestimmung und Neugestaltung der Umwelt als inklusive Gesellschaft (Inklusion)
MythenanalyseRoland Barth am Ursprung des Poststrukturalismus
Grafik : Mythos als sekundäres semiologisches System (Barthes 1970, S. 93)
Piktogramme
1 Rollstuhl
2 Rollstuhl-fahrerIn
3 = I Behindert II „Leiden“ Mythos:III = A Behinderung als individuelles Schicksal
B Angst (Aussonderung als Angstabwehr – Topos Erlösung vom Leiden/ Sterbehilfe/ Eugenik als politisch instrumentalisierte Angstabwehr)
Mythos:C Behinderung als verallgemeinertes Symbol für Schicksal (dabei nicht entschlüsselte Vermischung von Macht/ Herrschaft/ ökonomischer Verteilung mit einem verallgemeinerten und/ oder existentiellen Schicksal) – Naturalisierung von Behinderung als Schicksal
Mythos Behinderung1 deutet auf 2 = 3, I deutet auf II = III, A deutet auf B = C
Blicke
Blickweisen
• Der staunende Blick • Der medizinische Blick • Der vernichtende Blick • Der mitleidige Blick • Der instrumentalisierende Blick• Der ausschließende Blick • Der fremde Blick • Das Portrait • Der EigenblickDer [im-]perfekte Mensch 2001
Bedauerlich aber nicht hoffnungslos
• Analyse von 85 Texte aus der Tiroler Tageszeitung von 1978-1979: Die Kategorie „Behinderte bedauerlich aber nicht hoffnungslos“ ist dominant, das meint,
• „dass für behinderte Menschen alles, was möglich ist, getan wird. Vorwiegend Prominente und PolitikerInnen sind hier als Handelnde bedeutsam, die ihre persönliche PR mit dieser Darstellungsform verbinden. Die medienstrategische Wirksamkeit liegt in diesem Vorgehen darin, sich den Medienkonsumenten stellvertretend handelnd zu präsentieren und anzubieten, deren diffus schlechtes Gewissen gegenüber behinderten Menschen zu reduzieren.“ (Sandfort 1982)
(*vgl.: Volker Schönwiese (2007): Vom transformatorischen Blick zur Selbstdarstellung. Über die Schwierigkeit der Entwicklung von Beurteilungskategorien zur Darstellungen von behinderten Menschen in Medien. Im Internet: http://bidok.uibk.ac.at/library/schoenwiese-blick.html)
BeispielDie gute Tat:
Ein Kleinbus für ein Heim.
Behinderung als Kreuz des Leidens
• „In ausgezeichnetem Deutsch unterhielt sich Papst Johannes Paul II mit Behinderten und sprach zu ihnen:‚Eure Gegenwart ist uns besonders wertvoll, da ihr durch das Kreuz eures Leidens in einer besonderen Weise mit Christus verbunden seid. Indem ihr eure Gebrechen nach dem Vorbild und in der Kraft des leidenden Herrn ergeben annehmt und tragt, werden diese für euch selbst und die Kirche zu einer kostbaren Quelle des Trostes, der Läuterung und der Stärkung des inneren Menschen.‘...“ (Tiroler Tageszeitung 1979)
„Humani-täre Mobil-machung“
Parade von Soldaten und Heimkindern
Licht ins Dunkel 2014
Grenzen überwinden
„'Ich glaube, daß die behinderten Kinder und Erwachsenen in Wirklichkeit Engel sind' sagt Paola, die Mutter von Stefano (und Marketing-Leiterin von BENETTON), 'denn sie kennen keine Bosheit, keine Lügen, keine Falschheit.' „
Verkindlichungen: „Reinhard freut sich“
Behinderung als KrankheitAndreas Rett:
„Die Position der Behinderten in der Gesellschaft hat sich in den letzten 20 Jahren entscheidend gebessert…. Sie werden nicht mehr ausgestoßen, sondern als Kranke gesehen. …. Wir fordern ein System, das die Behinderten ihr ganzes Leben lang betreut…. “(Tiroler Tageszeitung 23.11.1976)
Therapie und Behinderung als existentielles SymbolAus: Ja zum Leben. Mils 1998, S.65
Alltag mit der Rettung
Mainstreaming
LeitbildDer Life Award® versteht sich als Plattform, welche die Sichtbarmachung und Darstellung aller Menschen in einer breiten Öffentlichkeit als leistungsfähige Mitglieder der Gesellschaft zur Aufgabe hat. Gleichzeitig soll das Selbstbewusstsein und die eigene Innovationskraft einzelner Menschen gestärkt werden. Dadurch hebt sich die Idee des Life Awards® grundsätzlich von anderen Initiativen ab, weil er die Vision eines inklusiven Gesellschaftsbildes verfolgt, ohne dabei Menschen mit Behinderung als andersartige (vom Schicksal verfolgte) Gruppe in den Vordergrund zu stellen. Der Life Award® zeigt die Leistungen und die menschlichen Stärken und verzichtet dabei bewusst auf die Reproduktion von Mitleid oder die Generalisierung von übertriebenen Zuschreibungen von Eigenschaften.
Mainstreaming 1Auszeichnung für Menschen mit Behinderung, die eine besondere Leistung erbracht haben.
Mainstreaming 2 - Lifestyle
Mainstreaming 3
Mainstreaming 4
Werbung in England
• „18-Jährige mit Trisomie 21 nimmt 20 Kilo ab und startet Model-Karriere“
• http://typischich.at/home/wienerin/aktuelles/4733827/18Jaehrige-mit-Trisomie-21-nimmt-20-Kilo-ab-und-startet-ModelKarriere?xtor=CS1-15
Mainstreaming 5
„Sportlicher Ehrgeiz nicht vom Publikum abhängig“
Leistung trotz ….
Licht ins Dunkel: Mutprobe
Leistung trotz ….
Flexibler Normalismus – Vielfalt an Anforderungen
„ Der starke und durchsetzungsfähige Junge, der auch zurückstecken kann; der Junge, der cool bleiben, aber auch Gefühle zeigen kann; der Junge, der im intellektuellen und beruflichen Wettbewerb erfolgreich ist, aber diesen auch nobel zurückhalten kann, um anderen den Vortritt zu lassen; der Mann, der sich mit seinesgleichen verbündet, aber andere nicht ausschließt, sind Vorstellungen, die ein in sich widersprüchliches Anforderungsprofil …. ergeben, das von den einzelnen Jungen integriert werden muß. „
Metz-Glöckel nach Exner 1999, in bidok
Selbstrepräsentationen
Mediale Selbstreprä-sentation:
Projekt „Ohrenkuss“Aus: Brigitte – woman
2/2006
Gegen-bilder:Dialog-
orientierte Selbst-
Präsentation:
Dernormalisierteund anerkennendeBlickAus:M. Beurer:Aus der Norm: Carole Piguet(1997 S. 77)
Politische (Selbst-) Repräsentation
Demonstrationszug zum EU-Parlament in Strassburg:Disabled people lobby EU on right to independent living (2009)http://www.daa.org.uk/index.php?mact=blogs,cntnt01,showentry,0&cntnt01entryid=58&cntnt01returnid=98
Bilder, die Rollendistanz herstellen können
• Beispiele: 2 Kurzfilme
Analyseraster: Problematische Re-Präsentationen• Bilder, die existentielle Projektionen mächtig werden zu
lassen: Eigene Ängste vor Krankheit, Hilflosigkeit, ästhetischen Einschränkungen, Leistungsverlust, sozialem Statusverlust, Tod.
• Bilder, die Projektionen über Mitleid mächtig werden lassen
• Bilder mit dem Inhalt: „Trotz Behinderung ….“• Die Darstellung dynamisch-erfolgreicher Elitebehinderter,
die bewusst oder unbewusst von anderen behinderten Personen abgegrenzt werden oder ihnen als Vorbild vorgehalten werden.
• Bilder, die das „Rehabilitationsparadigma“ symbolisieren, z.B. „wenn sich behinderte Menschen genügend anstrengen, können sie alles erreichen“, oder Therapie ist der größte Lebenszweck von behinderten Menschen
• Bilder entsprechend der Typologie des Blickes auf behinderte Menschen der Ausstellung „Der [Im-] perfekte Mensch“: „Der staunende Blick“, „Der vernichtende Blick“, „Der mitleidige Blick“, „Der bewundernde Blick“.
Analyseraster: Mögliche positiv zu bewertende Re-Präsentationen
• Bilder die Diskriminierungen oder soziale Ungleichheit aufzeigen können
• Bilder, die Verstehen unterstützen und Projektionen vermindern können, die reale Auseinandersetzung – „Dialog“ - symbolisieren können
• Bilder aus dem Alltag von Selbstbestimmung und Integration/Inklusion, die die Eigentätigkeit, das Selbstbewusstsein und die eigene Identität von behinderten Personen symbolisieren können.
• Bilder die Rollendistanz herstellen können (oftmals mit dem Mittel der Ironie)
• Bilder, die eine Kultur der Anerkennung zum Ausdruck bringen
Politische Leitbilder?Dimensionen
ÖkonomischeProduktions-verhältnisse
KulturelleSignifikationsprozesse
PolitischeRepräsentation
Formation von Behinderung
Ökonomische Ungerechtigkeit und Ausbeutung
Kulturell Abwertungen durch negative und essentialisierende Bedeutungs-zuschreibungen
Ausschluss durch Institutionelle und strukturelle, institutionelle Diskriminierung
Herstellung von Gerechtigkeit
Umverteilung Anerkennung Inklusion
Transformationsstrategien
Sozialismus und Auf-lösung kapitalistischer Herrschafts- und Unterdrückungs-strukturen
Dekonstruktion Partizipation u. partizipatorische Parität
Nichtreformistische Reformen
Soziale Rechte, finanzielle Unter-stützung die Autonomie ermöglicht (z.B. persönliches Budget)
Anerkennung von Differenz
Bürgerrechts-orientierte Behindertenpolitik (UN-Konvention) und Selbstbestimmung
Ambivalenzen
Behinderte Menschen als Konsumenten innerhalb eines neoliberalen Regimes
Reproduktion der Dominanzverhältnisse,Individualisierung und Mainstreaming
Aktivierender Sozialstaat; Anpassungszwang, Responsibilisierung und Prekärisierung
Vgl.: Plangger/ Schönwiese: http://bidok.uibk.ac.at/library/schoenwiese-bildungsgerechtigkeit.html
DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT
Anhang
Die Analyse von Repräsentation von Behinderung
Unterschiedliche Ebenen innerer und äußerer Bilder und Repräsentationen:
• historisch entstandene Bilder• durch die Wissenschaften geschaffene systematische
Bilder• in der individuellen Lebensgeschichte vermittelte
und verarbeitete Bilder und • über die Medien re-produzierte bzw. verstärkte
Bilder von Behinderung.
Soziokulturell und medial vermittelte Repräsentation von
Behinderung – gesellschaftliche
Dimension
Systematisches Wissen und
Produktion von Behinderung –
wissenschaftliche Dimension
Historisch-politische Dynamik und
Repräsentation von Behinderung –
historisch-politische Dimension
Alltagshandeln, professionelles Handeln,
gesellschaftliches Handeln im
Zusammenhang mit Behinderung
Biographisches lebensgeschichtliches
Wissen und Formation von Behinderung – Entwicklungs-
Dimension
Diskurse zu Behinderung -
Dimensionen für Diskursanalyse
Bilder als diskursive Praxis
• „Unter ‘diskursiver Praxis’ wird … das gesamte Ensemble einer speziellen Wissensproduktion verstanden, bestehend aus Institutionen, Verfahren der Wissenssammlung und -verarbeitung, autoritativen Sprechern bzw. Autoren, Regelungen der Versprachlichung, Verschriftlichung, Medialisierung, Beispiele wären der ‘medizinische’ oder der ‘juristische’ Diskurs’. ...die diskursive Praxis (müsse) im strikten Sinne als materielles Produktionsinstrument aufgefaßt werden, mit dem auf geregelte Weise historisch-soziale Gegenstände (z. B. ‘Wahnsinn’ oder ‘Sex’) allererst produziert würden“ (Unter Bezugnahme auf Foucault: Jäger 1996, S. 242)