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Wilfried Bos, Günter Nahberger, Claudia Dohe, Silvia Schmitz
IGLU-TRANSFER
Schulleistungsstudien wie etwa die Internationale Grundschul-Leseuntersuchung
(IGLU), die auf das Leseverständnis der Schülerinnen und Schüler fokussieren,
beschreiben das Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schüler. Was noch
aussteht, ist eine Umsetzung der Ergebnisse im Unterrichtsalltag der
Grundschulen. Bos schreibt in seiner Analyse zu IGLU 2006: „Eine zukünftige
Aufgabe besteht darin, die in IGLU verwendeten Kompetenzstufen im Rahmen
der Implementierung der Bildungsstandards im Fach Deutsch für den
Primarbereich (KMK, 2005) weiterzuentwickeln und mit zusätzlichen
Handreichungen für die Schulpraxis anwendbar zu machen“ (Bos et al., 2007,
S.104).
Das Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der technischen
Universität Dortmund plant eine solche Implementierung mit der Studie „IGLU-
Transfer“. In dieser Studie soll die Abenteuergeschichte „Lockis
Abenteuergeschichten im Urwald“ (Nahberger, 2007) Textgrundlage für Tests
und Übungen in einigen Grundschulen sein. Hierbei wird das wissenschaftliche
IGLU-Modell „heruntertransformiert“ auf wesentliche poetische
Textbildungsverfahren, die die Kinder in Grundzügen kennenlernen, um ihre
Lesekompetenz zu stärken. Es geht hier zunächst um fiktionale Texte der
Gattung „Epik“. Sachtexte bedürfen einer gesonderten Untersuchung und
Bewertung.
Lesekompetenz als basale Fähigkeit nicht nur des Deutschunterrichts, sondern
fächerübergreifend zu betrachten, ist mittlerweile gemeinsame Überzeugung der
Didaktiker und sie sollte schon in der Vorschulzeit und in den beiden ersten
Grundschuljahren diagnostiziert und gefördert werden. U.a. hat Christine Garbe
dieses Anliegen vorgetragen. Der Titel einer ihrer jüngsten Arbeiten „Warum
Leseförderung vor und in der Grundschule ansetzen muss“ (2005b) ist
programmatisch. Sie begründet ihre Forderung mit dem so genannten
„Leseknick“, der nach der zweiten Grundschulklasse bei den Kindern
feststellbar sei. Um diese Durststrecke zu überwinden oder einen solchen
Einbruch im Leseverhalten der Kinder grundsätzlich überhaupt zu vermeiden,
müssten Lesemotivation und Lesekompetenz früher entwickelt oder/und
stabilisiert werden (Schön, 1993). Die Abnahme der Lesebereitschaft in dieser
Entwicklungsphase sei im Wesentlichen auf drei Faktoren zurückzuführen:
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1. den Erwerb der Schriftsprache; denn das Kind muss in einem „mühsamen
Prozess die gigantischen Abstraktionsleistungen erlernen, die dafür
erforderlich sind, alles überhaupt nur Sagbare in ein System von 25 bis 30
Buchstaben zu transformieren“ (Garbe, 2005b, S. 26),
2. auf den Schriftsprachenerwerb auch deshalb, weil die Kinder mit diesem
Prozess „noch einmal ganz zurück an den Start“ müssten. Sie würden „in
den üblichen Schulfibeln konfrontiert mit einfachsten Wörtern, Sätzen
und Geschichten, die keine Motivation für weiteres Lesen bei Ihnen
erzeugt“ (ebd., S. 30),
3. die Hinwendung der Kinder, meistenteils der Jungen, zu anderen „Formen
der lustorientierten Medienrezeption“ (ebd., S. 32), gemeint sind
Gameboy, Computer- und Videospiele.
Die Lesephase bis zu diesem „Leseknick“, die Schön „primäre Initiation“ (1993,
S.220f) nennt, bedeutet für Kinder das „Eintauchen in verbal vermittelte
fiktionale Welten [...], und zwar in Form des Erzählens oder Vorlesens von
Geschichten durch Mutter, Vater oder andere erwachsene Bezugspersonen“
(ebd., S.220). Die Bewahrung solcher naiv-kindlichen Leselust macht nach
Schön das Profil des „Gefühlslesers“ aus, das zwar emotionale Befriedigung
schaffe, letztlich aber zu einer Stagnation der Lesekompetenz führe, weil sich
das rein identifikatorische Lesen hartnäckig auch in späteren Lesephasen halte.
Für den „Konzeptleser“ (ebd., S.220), den Kontrasttypus zum „Gefühlsleser“,
sei symptomatisch, dass er die kindliche Leselust verloren habe. Dieser Verlust
der Leselust, der nach Garbe kontraproduktiv hauptsächlich von den Schulen
selbst zu verantworten sei1, gehe zwar einher mit der Weiterentwicklung der
Lesekompetenz, allerdings zusehends eingeschränkt auf das „gute
anspruchsvolle Buch“.
Unter dem Idealtypus des erwachsenen Lesers versteht Schön nun den
„ästhetischen Leser“ (1993, S.220), der sich in einem „Wechselspiel von
Identifikation und Distanzierung“ eine „ästhetisch sublimierte Lust“ erhalte, was
nur möglich sei durch eine „Weiterentwicklung der literarischen
Rezeptionskompetenz“ (Garbe, 2005b, S. 32). Die durch eine solche nicht mehr
1 „In dieser Phase, zwischen der späten Kindheit und der Adoleszenz, richtet der traditionelle, kanonisierte
Literaturunterricht an unseren Schulen die meisten Schäden an.“ (Garbe 2005, S. 19.)
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intrinsisch, sondern von außen geleitete Lesemotivation nennt Schön „sekundäre
Initiation“ (1993, S. 220).
Das Lesekompetenz-Projekt „Lockis Abenteuergeschichten“ setzt genau hier an.
Will man den Kindern helfen, sich zu „ästhetischen Lesern“ zu entwickeln,
muss man schon im Frühstadium der Lesekompetenzentwicklung, also in der
Grundschule versuchen, ästhetische Sublimierungsprozesse in Gang zu setzen.
Das bedeutet, das Eintauchen der Kinder in fiktionale Lebenswelten in der Phase
der „primären Initiation“ sollte begleitet werden von ersten einfachen Mustern
der Textanalyse , damit Kinder sukzessive lernen, dass Lesegenuss nicht nur in
lustorientierter Medienrezeption, sondern auch darin bestehen kann, dass reines
Identifikationslesen durchlässig wird für Formen distanzierten Lesens.
Hierzu gehört, dass die Kinder einfache Formen der Figurenkonstellation
wahrnehmen und registrieren lernen.
Hierzu gehört auch, dass sie einzelne Handlungselemente einer Geschichte
erkennen und in der richtigen Reihenfolge platzieren lernen.
Hierzu gehört weiterhin, dass sie nicht nur in Atmosphären und Gefühle
eintauchen, sondern diese auch sprachlich benennen und reflektieren lernen.
Und hierzu gehört nicht zuletzt, dass sie ihre sprachliche Sensibilität, ihren
Wortschatz und ihr sprachliches Ausdrucksrepertoire erweitern.
Zu einer systematischen Betrachtung, sowohl im Hinblick auf die Testierung als
auch auf die Förderung, gilt es, zunächst das Genre „epischer/fiktionaler Text“
in einer Definition zu fassen:
Fiktionale Texte lassen sich dadurch bestimmen, dass die Alltagssprache in
ihnen zusätzlichen Regeln unterworfen ist bzw. dass sie sekundäre textbildende
Ordnungsmuster enthält, die die reine Mitteilungsfunktion der Alltagssprache
überschreiten. Solche sekundären Ordnungsmuster in poetischen Texten sind
allerdings kein dekorativer Zusatz, sondern erhöhen die Bedeutungsleistung des
Textes. Zwischen gleichartigen Textbausteinen bestehen Äquivalenzrelationen.
Ein Netzwerk von solchen Äquivalenzrelationen macht den poetischen Text aus.
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Der Begriff „Äquivalenzrelationen“ geht zurück auf den tschechisch-
amerikanischen Linguisten Roman Jakobson, der Pionierarbeit leistete bei der
Beantwortung der Frage: “Was ist das empirische linguistische Kriterium für die
poetische Funktion? Vor allem, welches ist das unentbehrliche, jeder Dichtung
inhärente Merkmal?“ Jakobsons Antwort lautet:
„Die poetische Funktion überträgt das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der
Selektion auf die Achse der Kombination“ (Jakobson, 1971, S. 153).
Mit „Selektion“ ist die paradigmatische, mit „Kombination“ die syntagmatische
Dimension eines Wortes gemeint. Jakobsons Bestimmung des „Poetischen“ sei
an einem Beispiel illustriert.
In E. A. Poes „The Raven” heißt es:
„While I nodded nearly napping suddenly there came a tapping,
As of someone gently rapping.”
Poe hat nicht - was alternativ möglich gewesen wäre - to doze, to thump und to
knock gewählt, sondern sich für die Verben entschieden, die auf der
syntagmatischen Achse phonologische Äquivalenzen bilden können.
Für die Wirksamkeit und Nützlichkeit der Theorie Jakobsons mag sprechen,
dass Äquivalenzrelationen unter dem Terminus „Form-Inhalt-Spiegelungen“ seit
langem in die schulische Textanalyse Eingang gefunden haben.
Bedauerlich bleibt, dass Jakobson seine Beispiele fast ausschließlich aus der
prosodischen Dichtung wählt. Vor allem die Gattung „Epik“ kommt entschieden
zu kurz. Die Lücke geschlossen haben Schulte-Sasse/Werner, die am Beispiel
der Kalendergeschichte J. P. Hebels „Unverhofftes Wiedersehen“ und des
Romans „Im Hause des Kommerzienrates“ von E. Marlitt das
Analyseinstrumentarium Jakobsons nutzbringend einsetzen. Sie stellen deutlich
heraus, dass „literarische Texte ihre Aussagen sehr häufig nicht in begrifflicher,
alltäglicher Sprache formulieren, sondern Zeichensysteme zweiter Ordnung
darstellen, in denen Bedeutung nicht durch die denotative und konnotative
Funktion einzelner Sememe, sondern ganzer Szenen, Motive, Motivkomplexe,
Geschichten usw. erstellt wird.“
Die Bedeutungsleistung von Texten werde gerade in epischen Texten von
„Zeichenkomplexen zweiter Ordnung erbracht: von Handlungseinheiten,
Charakterparadigmata, Figuren- und Raumkonstellationen“ (Schulte-Sasse &
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Werner, 1977, S. 156). Solche Strukturen gehören nach Jakobson „nicht zu der
Wissenschaft von der Sprache, sondern zur umfassenden Zeichentheorie, d. h.
zur allgemeinen Semiotik“ (1971, S. 143).
Die sekundären Ordnungsmuster „Figurenkonstellation“ und
„Handlungsstruktur“ sind notwendige Strukturbestandteile epischer Texte, also
auch von Abenteuergeschichten. In der Folge von Jakobson sieht Ju. M.
Lotman, dass der inneren Organisation der Textelemente in der Regel eine
binäre semantische Opposition zugrunde liegt: „die Welt wird dort eingeteilt
sein in Reiche und Arme, Eigene und Fremde, Rechtgläubige und Ketzer,
Gebildete und Ungebildete, Menschen der Natur und Menschen der
Gesellschaft, Feinde und Freunde. Im Text erhalten diese Welten […] fast
immer eine räumliche Realisierung: die Welt der Armen wird realisiert als die
„Vorstädte“, „Slums“, „Dachstuben“, die der Reichen als „Hauptstraße“,
„Paläste“, „Belétage“. Es bilden sich Vorstellungen von sündigen und gerechten
Ländern, die Antithese von Stadt und Land […]. Die klassifikatorische Grenze
zwischen den kontrastierten Welten bekommt die Merkmale einer Linie im
Raum“ (Lotman, 1972, S. 337).
Abb. 1 zeigt eine schematische Darstellung der Äquivalenzen zwischen
Figurenkonstellation und Handlungsstruktur.
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Abb. 1: Äquivalenzrelationen zwischen Figurenkonstellation und Handlungs-
struktur, Beispiel zu „Lockis Abenteuergeschichten im Urwald“ (Nahberger,
2007)
Die Studie „IGLU-Transfer“ soll in diesem Zusammenhang empirisch klären, ob
Figurenkonstellation und Handlungsstruktur sich aus kleineren Lerneinheiten
aufbauen und möglicherweise kumulativ besser verstehen lassen.
Abb. 2 zeigt eine Aufgabe, die vom Probanden verlangt, einer Figur des Stückes
ein Merkmal zuzuschreiben.
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Abb. 2: Aufgabe aus „Lockis Abenteuergeschichten im Urwald“ (Nahberger,
2007)
Ist diese Verstehensleistung möglicherweise eine Voraussetzung für die Lösung
der in Abb. 3 vorgestellten Aufgabe?
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Abb.3: Aufgabe aus „Lockis Abenteuergeschichten im Urwald“ (Nahberger,
2007)
Ziel von „IGLU-Transfer“ ist es letztlich, den Lehrerinnen und Lehrern eine
Matrix (Abb.4) in digitaler Form an die Hand zu geben, mit deren Hilfe sie
Testfragen und Übungsmaterial in praktikabler Form zur Verfügung haben.
Die Matrix zeigt auf der X-Achse die Verstehensaspekte aus IGLU. Diese
Verstehensaspekte (Bos et al., 2005, S.245ff) sind als didaktisch-theoretische
Konstrukte wohl zu unterscheiden von den empirisch gewonnenen
„Kompetenzstufen“ (Bos et al., 2007, S. 93ff). Die Y-Achse listet in der linken
Spalte basale poetische Elementareinheiten auf, die die Grundlage für poetische
Textbildungsverfahren sind und zwischen denen Äquivalenzrelationen möglich
sind: „Personen“, „Handlung“ und „Sprache“ sowie „Atmosphäre/Gattung“.
Diese poetischen Textbildungsverfahren bilden gemeinsam mit den
vielfältigsten Wiederholungsfiguren ein sekundäres, d.h. sich über dem primären
System der Alltagssprache errichtendes Zeichensystem. Der „ästhetische Leser“
ist darin geübt, solche sekundären Ordnungsmuster wahrzunehmen und zu
deuten. Wiederholungen etwa sind in literarischen Texten - so die bei den
Kindern zu weckende Einsicht - keine handwerklichen Fehler des Autors,
sondern gezielt eingesetzte Ordnungsmuster, die die Bedeutungsleistung
entscheidend ausmachen. So wird zum Beispiel in einem Locki-Abenteuer der
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Erzähler-Topos „wenn nicht, ja, wenn nicht ständig dieser eisigkalte Wind zu
spüren gewesen wäre“ mehrmals wiederholt, um in einer Vorausdeutung auf
bevorstehende unheilvolle Ereignisse zu verweisen.
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Abb.4: Matrix Verstehensaspekte und Äquivalenzrelationen
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Ein zweites Beispiel zum sekundären Ordnungsmuster „Handlungsstruktur“:
Epische Texte ordnen das in ihnen dargebotene Geschehen in temporaler
Sukzession an. Hieraus ergibt sich die für das Textverständnis basale Forderung,
dass die Kinder Handlungselemente einer Geschichte in die richtige Reihenfolge
bringen können. Welches Gewicht einzelne Handlungselemente haben und wie
aus den Teilen eine dramaturgische Spannungslinie komponiert wird, für solche
Fragestellungen sollen die Schülerinnen und Schüler ebenfalls sensibilisiert
werden. Über den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben wird die empirische Arbeit
Aufschluss geben. Hier muss sich etwa erweisen, ob es zur Bewältigung
dramaturgischer Aufgaben überhaupt nötig ist, über die Kompetenz,
Handlungselemente in die richtige Reihenfolge zu bringen, zu verfügen. Will
man systematisch testen und trainieren, muss man aus jedem Feld der Matrix
Aufgaben bearbeiten.
Konkret sieht das Vorhaben so aus, dass am Beispiel der Abenteuergeschichte
„Lockis Abenteuergeschichten im Urwald“ (Nahberger, 2007) die
Lesekompetenz der Kinder in der Grundschule individuell getestet und
individuell gefördert werden soll.
Die Ganzschriftlektüre „Lockis Abenteuergeschichten im Urwald“ besteht aus
fünf Kapiteln, von denen etwa das erste als Test bearbeitet wird. Zu jedem
Kapitel gibt es Übungs- und Lernmaterial, das gezielt auf die Stärken und
Schwächen der Kinder eingeht. Nach der Durchführung des Tests arbeiten die
Schülerinnen und Schüler etwa vier Wochen lang gezielt und individuell an
ihrer Lesekompetenz, um dann am Ende der Trainingsphase mit einem zweiten
Test eine Lernerfolgskontrolle zu liefern.
Entwicklung der Instrumente
Eingesetzte Fragebögen
Im Rahmen von IGLU-Transfer werden neben den Eltern der teilnehmenden
Schülerinnen und Schüler auch die Klassenlehrer der teilnehmenden Klassen
befragt, um Hintergrundinformationen zu erhalten. Diese
Hintergrundinformationen dienen dazu, die erzielten Leistungen der
Schülerinnen und Schüler differenzierter auswerten zu können.
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Elternfragebogen
Im Elternfragebogen werden die Eltern der an IGLU-Transfer teilnehmenden
Schülerinnen und Schüler gebeten, Auskunft über ausgewählte Merkmale des
Elternhauses zu geben, zu welchen unter anderem die folgenden zählen:
- soziodemographische Informationen,
- Angaben zu familiären Ressourcen, die das Lernen unterstützen,
- Einschätzungen zum eigenen Leseverhalten,
- eigene Lesegewohnheiten sowie
- lesevorbereitende und leseunterstützende Aktivitäten, die mit dem Kind
vor Schuleintritt durchgeführt werden.
Zusätzlich werden Informationen zum Migrationshintergrund und
Sprachgebrauch der Familienmitglieder erhoben. Auch das Lernverhalten des
Kindes und die Eingebundenheit der Eltern in schulische Aktivitäten werden
erfragt.
Lehrerfragebogen
Der Lehrerfragebogen soll von den Klassenlehrern der an IGLU-Transfer
teilnehmenden Klassen ausgefüllt werden. Der Fragebogen enthält Merkmale
des Klassenkontextes, die die Entwicklung von Lesekompetenz unterstützen.
Weiterhin sollen ausgewählte Aspekte des Unterrichts und der für Lesen
verwendeten Unterrichtszeit sowie der Einsatz von Materialien und
Unterrichtskonzepten, die das Lesen fördern, erhoben werden. Die Größe der
Klasse sowie Lesefähigkeiten und sprachliche Voraussetzungen der
Schülerinnen und Schüler sollen ebenfalls berücksichtigt werden. Weitere
Bereiche betreffen die Ausstattung der Klassenzimmer, Methoden der
Leistungsmessung sowie Kontakte zwischen Schulen, Lehrkräften und den
Elternhäusern der Schülerschaft.
Die Testmaterialien
Der hier eingesetzte Lesekompetenztest orientiert sich an den in IGLU
verwendeten Kompetenzstufen, an welchen sich die Bildungsstandards
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orientieren. Abgeleitet von den Bildungsstandards wurden die vom Ministerium
für Schule, Wissenschaft und Forschung herausgegebenen Richtlinien und
Kernlehrplänen für das Fach Deutsch erstellt.
Das Testheft, welches die Schülerinnen und Schülern während der Testsitzung
erhalten und bearbeiten, umfasst den Lesetext und die Aufgaben zum
Leseverständnis. Diese sind in kindgerechter Form abgebildet und abgedruckt.
Die Aufgabe der Schülerinnen und Schüler während des Tests besteht darin,
eine Textpassage mit zehn daran anschließenden Fragen zu bearbeiten. Die
Schülerinnen und Schüler haben während der Beantwortung der Fragen jederzeit
die Möglichkeit, wieder in den Lesetext zu schauen, da nicht die
Gedächtnisleistung, sondern die Lesefähigkeit der Schülerinnen und Schüler
ermittelt werden soll.
Die Testfragen werden im Multiple-Choice-Format gehalten, bei denen die
Schülerinnen und Schüler aus drei vorgegebenen Antworten die richtige Lösung
auswählen müssen.
Aufbau der Untersuchung
Die in IGLU-Transfer eingesetzten Lesetests dienen dazu, die Lesekompetenz
von Zweitklässlerinnen und Zweitklässlern systematisch und individuell zu
erfassen und zu trainieren mit dem Ziel der Überprüfung der Effektivität der
Übungsphase.
Um im Vorfeld sicherzustellen, dass der Lesetest hinsichtlich Sprache,
Verständnis und Schwierigkeit für Zweitklässlerinnen und Zweitklässler
angemessen ist, wird es eine Pilotierung des Lesekompetenztests in einer
zweiten Klasse geben.
Die Hauptuntersuchung findet in den zweiten Klassen zweier Dortmunder
Grundschulen statt. Die Schülerinnen und Schüler der einen Schule bearbeiten
Lesetest A und die Schülerinnen und Schüler der anderen Schule erhalten
Lesetest B. Beide Lesetests und die jeweils zehn Aufgaben dazu sind vom
Anforderungsniveau vergleichbar. Danach bekommen die Schülerinnen und
Schüler der einen Schule eine drei- bis vierwöchige Übungseinheit, die der
Lehrer mit ihnen durchführt. Abschließend werden nach den drei bzw. vier
Wochen Übungseinheit wieder alle Schülerinnen und Schüler mit einem
Lesetest getestet, um die Effektivität der Übungsphase zu überprüfen. Um bei
der zweiten Testung nach der Übungssphase Erinnerungseffekte der
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Schülerinnen und Schülern ausschließen zu können, erhalten die Schülerinnen
und Schüler der ersten Schule den Lesetest B und die Schülerinnen und Schüler
der zweiten Schule den Lesetest A (vgl. Tabelle 1). Die Testdurchführung findet
in den Klassenzimmern der getesteten Klassen an einem Testtag statt. Die
Lesetexte werden kindgerecht aufbereitet und ansprechend illustriert.
Pre-Test Post-Test
Schule A Lesetest A Übungsphase Lesetest B
Schule B Lesetest B Keine
Übungsphase Lesetest A
Tabelle 1: Testdesign
1. Pre-Test
Beginn der Testsitzung: Verteilung der Materialien, Einweisung (10 Minuten)
Bearbeitung des Lesetests (60 Minuten)
Pause (15 Minuten)
Einweisung in die Bearbeitung des kognitiven Fähigkeitstests (5 Minuten)
Bearbeitung des kognitiven Fähigkeitstests (figural) (8 Minuten)
3 bis 4 wöchige Übungsphase
2. Post-Test
Beginn der Testsitzung: Verteilung der Materialien, Einweisung (10 Minuten)
Bearbeitung des Lesetests (60 Minuten)
Tabelle 2: Ablauf der Untersuchung
Der Testablauf wird so gestaltet, dass die teilnehmenden Kinder genügend Zeit
zur Bearbeitung der Testaufgaben haben und ihnen zwischendurch Gelegenheit
für Erholungspausen bleibt (vgl. Tabelle 2).
Der Test zur Ermittlung der kognitiven Fähigkeiten wird von allen Schülerinnen
und Schülern in derselben Form bearbeitet.
Die Tests werden von geschulten Testleiterinnen und Testleitern durchgeführt.
Jeder Testteil wird den Kindern ausführlich erklärt und die Durchführung
anhand von Beispielen erläutert. Die Schülerinnen und Schüler haben zudem die
Möglichkeit, Verständnisfragen zu stellen.
Um die Vergleichbarkeit der Rahmenbedingungen sicherzustellen, lesen die
Testleiter die Instruktionen nach einem vorgegebenen Anleitungstext vor. In
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einem Protokoll werden Informationen zur Klasse, zu der Anzahl der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer und zu Besonderheiten im Testablauf von der
Testleitung festgehalten.
Um die Anonymität der Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten, wird jedem
Kind eine Identifikationsnummer (ID) zugeteilt. Eine Klassenliste mit Namen
der Teilnehmer bleibt nach Beendigung der Untersuchung in der Schule, so dass
keine nachträgliche Zuordnung der ID zu Namen möglich ist.
Für das Lesen der Texte und die Bearbeitung der Leseaufgaben stehen den
Schülerinnen und Schülern 60 Minuten zur Verfügung. Am Ende der
Testsitzung erhalten die Schülerinnen und Schülern die Elternfragebögen. Die
von den Eltern ausgefüllten Fragebögen werden postalisch an das Institut für
Schulentwicklungsforschung geschickt. Die Klassenlehrerin bzw. der
Klassenlehrer erhält den Fragebogen im Vorfeld der Erhebung.
Definition der Untersuchungspopulation
Im Rahmen von IGLU-Transfer werden an zwei Dortmunder Grundschulen
Zweitklässlerinnen und Zweitklässler bezüglich ihres Leseverständnisses mit
Hilfe des Lesekompetenztest untersucht. Nach der ersten Durchführung des
Lesekompetenztests (Pre-Test) wird es in einer Hälfte der getesteten Klassen
eine ca. drei- bis vierwöchige Übungsphase mit entsprechend entwickelten
Übungsmaterialien geben. In der anderen Hälfte der Klasse wird diese
Übungsphase nicht stattfinden. Diese Hälfte wird als Kontrollgruppe bezeichnet.
Um anschließend feststellen zu können, wie sich die Übungsphase bezogen auf
das Leseverständnis auswirkt, werden alle Zweitklässlerinnen und Zweitklässler
erneut nach Ende der Übungsphase getestet (Post-Test).
Durchführung der Erhebung
Geschulte Testleiter werden die Erhebung in den zweiten Klassen der
Dortmunder Grundschulen durchführen. Jeder Testteil wird den Kindern
ausführlich erklärt und die Durchführung anhand von Beispielen erläutert.
Zudem haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, Verständnisfragen
zu stellen. Um die Vergleichbarkeit der Rahmenbedingungen der Testungen in
allen Schulen sicherzustellen, lesen die Testleiter die Instruktionen nach einem
vorgegebenen Anleitungstext vor. In einem Protokoll werden vom Testleiter
Informationen zur Klasse, zu der Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
und zu Besonderheiten im Testablauf festgehalten. Um die Anonymität der
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Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten, wird jedem Kind eine
Identifikationsnummer (ID) zugeteilt. Eine Schülerteilnahmeliste mit Namen der
Teilnehmer bleibt nach Beendigung der Untersuchung in der Schule, so dass
keine nachträgliche Zuordnung der ID zu Namen möglich ist. Für die ca. drei-
bis vierwöchige Übungsphase werden den Lehrern der betreffenden Klassen
Übungsmaterialien zur Verfügung gestellt, mit denen die Zweitklässlerinnen
und Zweitklässler in der Zeit arbeiten sollen. Nach Ablauf der Übungsphase
werden alle zweiten Klassen erneut von geschulten Testleitern getestet (Post-
Test). Um bei den Kindern keine Verwirrung zu erzeugen, wird die zweite
Testung von demselben Testleiter durchgeführt wie auch schon die erste
Testung.
Aufbereitung und Analyse der Daten
Datenaufbereitung
Die Ergebnisse der beiden Testungen (Pre-und Post-Test) werden mit Hilfe von
studentischen Hilfskräften digitalisiert, so dass die Daten entsprechend
analysiert werden können.
Skalierung des Lesetests
Als Standard für die Skalierung von Schulleistungstests hat sich international
wie national die probabilistische Testtheorie (Rost, 2004) etabliert. Mit Hilfe
dieses Verfahrens lassen sich Personenfähigkeiten und Aufgabenschwierigkeiten
auf der gleichen Skala abbilden, wobei angenommen wird, dass eine Schülerin
beziehungsweise ein Schüler eine Aufgabe mit zunehmender
Wahrscheinlichkeit richtig beantwortet, wenn ihre bzw. seine Personenfähigkeit
ebenfalls zunimmt.
Es lassen sich hauptsächlich drei aufeinander aufbauende Modelle aufgrund der
einbezogenen Parameter (Aufgabenschwierigkeit, Trennschärfe und
Ratewahrscheinlichkeit) unterscheiden. Bei dem einparametrigen logistischen
Modell, das nach seinem Erfinder, dem dänischen Statistiker Georg Rasch, auch
als Rasch-Modell bezeichnet wird, wird die Eigenschaft einer Frage nur anhand
der Aufgabenschwierigkeit beschrieben. Bei diesem Modell ist eine direkte
Gegenüberstellung von Personenfähigkeiten und Aufgabenschwierigkeiten
möglich. Beim zweiparametrigen logistischen Modell wird zusätzlich zur
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Aufgabenschwierigkeit die sogenannte Trennschärfe der Aufgaben mit im
Modell berücksichtigt. Das bedeutet, dass Aufgaben mit sehr unterschiedlichen
Trennschärfen in einem Test eingesetzt werden können. Bei dem
dreiparametrigen logistischen Modell für geschlossene Antwortformate
(Multiple-Choice-Fragen) wird schließlich zusätzlich zur
Aufgabenwahrscheinlichkeit und zur Trennschärfe noch die
Ratewahrscheinlichkeit mitmodelliert. Die Ratewahrscheinlichkeit beschreibt
eine zufällige Lösung der Aufgabe auch bei völliger Unkenntnis und beträgt bei
drei Antwortmöglichkeiten immerhin 33,3%.
Die Skalierung der Multiple-Choice-Aufgaben des Lesekompetenztests erfolgt
nach diesem einparametrigen Modell. In dem Prozess werden in einem ersten
Schritt die Itemparameter geschätzt. Um Ergebnisse des Post-Tests auf der
Metrik des Pre-Tests verorten zu können, werden in diesem Schritt die beiden
Datensätze aus Pre- und Post-Test gemeinsam skaliert und auf die Metrik des
Pre-Tests transformiert. Somit sind die Befunde aus Pre- und Post-Test direkt
miteinander vergleichbar. In einem nächsten Schritt werden dann die
Testergebnisse an dieser Metrik verankert. Dabei werden die Itemparameter
fixiert und nur die Personenparameter geschätzt.
Der Fahrplan der IGLU-Transfer-Studie sieht alles in allem etwa wie folgt
aus:
1. Anpassung der Testaufgaben und Übungsmaterialien aus „Lockis
Abenteuergeschichten im Urwald“ an die „Verstehensaspekte“ von IGLU.
2. Pilotierung der überarbeiteten Materialien in einer zweiten
Grundschulklasse, um sicher zu stellen, dass das Anforderungsniveau der
Texte und Aufgaben für Zweitklässler angemessen ist.
3. Im Frühjahr 2011 werden die Testungen an zwei oder drei Grundschulen
durchgeführt.
4. Danach gibt es in einigen Klassen eine Übungsphase, in anderen nicht.
5. Erneute Testung aller Klassen mit Blick auf die Effektivität der
Übungsphase.
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