Post on 06-Jul-2015
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Statement von Herrn Hartmut G. Erlinghagen Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Chemie
und verwandte Industrien für das Land Hessen e.V.
(HessenChemie)
Herbstpressekonferenz
am 12. November 2014, Frankfurter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft (Es gilt das gesprochene Wort) Sperrfrist: 12. November 2014 – 11:00 Uhr
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Sehr geehrte Damen und Herren,
auch von meiner Seite noch einmal ein herzliches Willkommen
zu unserer heutigen Herbstpressekonferenz der Chemieverbände Hessen. Ich freue mich, dass Sie unserer
Einladung so zahlreich gefolgt sind.
Wir möchten Ihnen einen Überblick über die wirtschaftliche Lage
und die Aussichten der hessischen Chemie- und
Pharmaindustrie bis einschließlich August 2014 geben, bei
dem wir uns auf die amtliche Statistik stützen, die uns bis zu
diesem Zeitpunkt vorliegt. Zudem berichten wir aus einer
aktuellen Verbandsumfrage.
Lassen Sie mich Ihnen einen kurzen Überblick über das
Wichtigste geben, bevor ich ins Detail gehe:
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Die klassische Chemieproduktion stagniert seit 2008
Die Produktion in der klassischen Chemieindustrie stagniert seit
der Krise in den Jahren 2008/2009 und bleibt deutlich hinter
ihrem Vorkrisenniveau von 2007 zurück.
Im Jahresvergleich vom August 2014 konnte die chemisch-
pharmazeutische Industrie in Hessen ihre Produktion gegenüber
dem Vorjahr steigern. Die Produktion lag in diesem Zeitraum um
3,1 Prozent über dem Vorjahresniveau. Im Verlauf des Jahres
2014 hat sie sich jedoch stark abgeschwächt und ist im Mai
geradezu eingebrochen. Allein im zweiten Quartal 2014 lag sie
bereits um 0,1 Prozent unter ihrem Wert aus dem Vorjahr. Wir
rechnen aus heutiger Sicht daher insgesamt mit einer
Steigerung der Produktion von lediglich 1,5 Prozent. Diejenigen
von Ihnen, die regelmäßig dabei sind, erinnern sich an dieses
Phänomen wahrscheinlich aus den Vorjahren.
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Die Beschäftigung hingegen steigt immer noch leicht an:
Die amtliche Statistik weist bis August eine Steigerung von
1,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus.
Das Ausbildungsplatzangebot unserer Mitgliedsunternehmen ist
auch in diesem Jahr wieder erfreulich hoch. Mit einem Angebot
von 1.521 Ausbildungsplätzen erreichen wir die gleiche Zahl
wie im Vorjahr.
Preise und Umsätze unter Druck
Die Absatzpreise bleiben weiter unter Druck. Bis August 2014
sanken sie gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 1,1 Prozent, nachdem sie bereits 2013 um 0,9 Prozent zurückgegangen
waren. Insgesamt stiegen die Umsätze der Branche bis August
um 3,4 Prozent. Die Tendenz weist jedoch auch hier nach
unten. Im zweiten Quartal unterschritten die Umsätze der
Branche ihren Vorjahreswert um 0,6 Prozent.
Soweit die Daten für unsere Branche insgesamt.
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Wie Sie es gewohnt sind, betrachten wir den Bereich der
„klassischen“ Chemie und die Pharmasparte getrennt, um ein
klareres Bild zu erhalten. Dies hängt vor allem mit dem im
Bundesvergleich hohen Pharmaanteil in unserem Bundesland
zusammen. Während der Anteil der Pharmasparte am
Gesamtumsatz der chemischen Industrie im Bund bei rund
24 Prozent liegt, beträgt er in Hessen fast 47 Prozent.
Zunächst jedoch zur „klassischen“ Chemie.
Bis August 2014 sank die Produktion in diesem Bereich um 2,2 Prozent. Damit entfernen sich die klassischen
Chemiebereiche immer weiter von ihrem Vorkrisenwert aus dem
Jahre 2007. Dieses Niveau wird mittlerweile um fast 5 Prozent unterschritten.
Die Preise für Chemieerzeugnisse sanken bis August 2014
ebenfalls um durchschnittlich 2,1 Prozent. Der Gesamtumsatz
nahm um 4,1 Prozent ab. Grund hierfür war eine schwache
Entwicklung sowohl im Inland als auch im Auslandsgeschäft. Der
Umsatz im Inland stagnierte mit einem Rückgang von
0,4 Prozent, das Auslandsgeschäft hingegen ging sogar um
5,9 Prozent zurück.
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In der hessischen Pharmaindustrie stagnieren die
Abgabepreise im Inland. Sie lagen im ersten Halbjahr um
0,3 Prozent über dem Vorjahresniveau. Die Produktion tritt im
Jahresverlauf ebenfalls auf der Stelle. Sie ging im zweiten
Quartal 2014 gegenüber dem ersten Quartal um 0,2 Prozent leicht zurück.
Insgesamt verzeichnete die hessische Pharmaindustrie in
diesem Zeitraum ein Umsatzplus von 2,5 Prozent. Die Auslandsumsätze legten dabei vom ersten zum zweiten
Quartal 2014 um 6,4 Prozent zu. Die Umsatzerlöse im Inland
gingen im zweiten Quartal allerdings um 6,1 Prozent gegenüber
dem Vorquartal zurück.
Konjunkturelle Entwicklung stagniert insgesamt
In der Gesamtschau beurteilen die an unserer Umfrage
beteiligten Unternehmen die konjunkturelle Entwicklung als
stagnierend.
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Lediglich rund 14 Prozent der Unternehmen bewerten die
konjunkturelle Entwicklung 2014 gegenüber dem Vorjahr als
besser. Hingegen geben 32 Prozent eine schlechtere
Entwicklung als 2013 an.
Diese Entwicklung spiegelt sich in den Erträgen wider. So
bezeichnen knapp 52 Prozent der befragten Unternehmen ihre
aktuelle Ertragslage als „kaum befriedigend oder schlecht“.
Den aktuellen Auftragsbestand stufen die Firmen überwiegend
als „saisonüblich“ ein. Hinsichtlich der Auftragseingänge aus
dem Inland melden knapp 80 Prozent der an der
Wirtschaftsumfrage beteiligten Unternehmen eine
gleichbleibende oder rückläufige Entwicklung. In Bezug auf
den Export geht rund die Hälfte der befragten Unternehmen
von der gleichen Entwicklung aus.
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Im Rahmen unserer Frühjahrspressekonferenz rechneten wir mit
einem Produktions- und Umsatzwachstum für 2014 von
1,5 Prozent. Nach den Daten bis August 2014 und den
Ergebnissen unserer Umfrage halten wir diese Einschätzung
aufrecht. Auf die Erträge wird dies allerdings kaum zutreffen, da
die Erzeugerpreise deutlich unter Druck stehen.
Preissteigerungen lassen sich am Markt nicht durchsetzen.
Grund ist hier der international starke Wettbewerb. Hinzu kommt
die weiterhin angespannte Situation an den Rohstoffmärkten.
Dazu komme ich allerdings gleich noch.
Kein Beschäftigungsaufbau auf breiter Front
Bis August war die Zahl der Beschäftigten in der chemisch-
pharmazeutischen Industrie in Hessen nach den Daten der
amtlichen Statistik um durchschnittlich 1,1 Prozent höher als im
Vorjahreszeitraum und um 3,2 Prozent höher als 2010. Der
Anstieg kommt insbesondere aus dem Pharmabereich mit einem
Zuwachs von 2,9 Prozent in diesem Jahr. Die Beschäftigung in
der „klassischen“ Chemie blieb mit einem minimalen Anstieg von
0,2 Prozent nahezu stabil.
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Diese Zahlen bedeuten nicht, dass es den Unternehmen gut
geht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zahlen stellen nämlich leider
keine branchenweite Entwicklung dar, sondern verteilen sich
sehr ungleich auf die Unternehmen. So waren im Jahre 2014 in
bislang knapp 47 Prozent der Mitgliedsunternehmen auch
Personalrückgänge zu beobachten. Über 80 Prozent dieser
Unternehmen haben dabei weniger als 500 Mitarbeiter. Die ausbleibende wirtschaftliche Dynamik und die damit
verbundenen negativen Effekte auf die Beschäftigung treffen
damit vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen.
Hierdurch droht eine Erosion des speziell für Hessen so
wichtigen Mittelstands.
In diesem Zusammenhang beinhaltet die andauernde fehlende
wirtschaftliche Dynamik in vielen europäischen Ländern ein
hohes Risikopotenzial.
Fast 70 Prozent der hessischen Chemieprodukte sind
Exportgüter, die wiederum zu knapp 70 Prozent in europäische
Länder gehen. Eine dauerhaft anhaltende wirtschaftliche
Schwäche Europas kann daher nicht ohne Konsequenzen für
unsere Industrie bleiben.
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Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert jedoch
genau dies. Für die Eurozone im Jahr 2014 geht er nur noch von
einem leichten Wachstum von 0,8 Prozent aus, wobei
insbesondere die Wachstumsaussichten für große
Volkswirtschaften wie Deutschland, Frankreich und Italien
gegenüber dem Frühjahr dieses Jahr deutlich nach unten
korrigiert wurden.
Hinzu tritt die anhaltende Verunsicherung der Realwirtschaft
durch die derzeit bestehenden weltweiten Krisenherde. Ich
denke an die Sanktionsdiskussionen gegen Russland im
Rahmen der Ukrainekrise mit den entsprechenden negativen
Folgen für beide Wirtschaftsräume. Die anhaltenden
militärischen Interventionen in Syrien und dem Irak in
Verbindung mit dem IS-Terrorismus sorgen für weitere
Verunsicherung. Auch aus Asien sind keine positiven Impulse zu
erwarten.
Unter diesen Umständen wissen wir nicht, woher die Nachfrage
für den so wichtigen Export kommen soll.
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Gleichzeitig bleiben die Kosten für den Einsatz von Rohstoffen
und insbesondere für Energie ein dauerhafter Belastungsfaktor.
Durch die mittlerweile etwas abgeschwächte Weltkonjunktur hat
sich die Lage, speziell im Bereich der Rohstoffe, im
Jahresverlauf zwar ein wenig entspannt. Die große Mehrzahl der
Unternehmen geht aber davon aus, dass die Kostenkurve in
Deutschland mittel- bis langfristig weiter nach oben zeigen wird.
Diese Tendenz wird den internationalen Wettbewerbsdruck auf
die deutsche Chemieindustrie weiter erhöhen. Insbesondere die
USA erarbeiten sich immer stärkere Standortvorteile über
sinkende Fertigungskosten durch ihren massiv forcierten Abbau
von Schiefergas. Die Gaspreise in Deutschland sind mehr als
drei Mal so hoch wie in den USA liegen. Die damit verbundene
Renaissance der USA als Industrienation führt zu einer
zunehmenden Verschiebung der Investitionsströme.
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So lag das Investitionsvolumen der deutschen chemisch-
pharmazeutischen Industrie im Inland 2012 um fast 12 Prozent unter seinem Vorkrisenwert aus dem Jahr 2008. Die Direktinvestitionen der Branche in den USA hingegen haben
sich im Jahr 2012 gegenüber dem Jahr 2008 um nahezu 39 Prozent erhöht.
Setzt sich diese Entwicklung fort, wird sie sich mittel- bis
langfristig unweigerlich negativ auf den Chemiestandort
Deutschland und damit auch auf die Chemieindustrie in Hessen
auswirken.
Wie Sie sicher wissen, hat der Hauptvorstand der IG BCE
gestern seine Forderungsempfehlung für die Tarifrunde 2015
bekannt gegeben. Auch wenn jetzt erst die regionalen Gremien
tagen und wir noch nicht die endgültige Forderung kennen,
möchte ich aus Aktualitätsgründen in 5 Punkten Stellung
beziehen.
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1. Deutsche Wirtschaft im Abschwung Wie ich bereits dargestellt habe, hat sich die Lage der deutschen
Wirtschaft im Jahresverlauf erheblich verschlechtert. Sinkende
Auftragseingänge und gedrosselte Produktion haben auch die
chemische Industrie gravierend getroffen. Der im Februar vor
dem Hintergrund optimistischer Wachstumsaussichten
vereinbarte Chemie-Tarifabschluss 2014 wird durch den
aktuellen Abschwung immer mehr zu einer Hypothek für die
Unternehmen. Notwendig ist deshalb die Rückkehr zu einer
produktivitätsorientierten Tarifpolitik, die die
Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in den Mittelpunkt stellt.
2. Steigender globaler Wettbewerbsdruck Niedrige Energie- und Rohstoffkosten in den USA führen zu
einem erheblichen Aufbau an zusätzlichen
Produktionskapazitäten dort. Im Vergleich dazu sind die
Energiekosten am Standort Deutschland hoch. Sie werden
voraussichtlich weiter steigen. Die preisliche
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemie-Industrie gerät
durch die wachsenden globalen Produktionskapazitäten und die
sich öffnende Kostenschere unter immer stärkeren globalen
Wettbewerbsdruck.
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3. IG BCE muss Entgelt-Erwartung anpassen Die deutlich schwierigere wirtschaftliche Situation ist
gekennzeichnet durch geopolitische Krisen und fehlende
Wachstumsdynamik in Europa. Die Impulse aus Asien und den
USA bleiben schwach. Durch die Rente mit 63, die Mütterrente
und den Mindestlohn sind der deutschen Wirtschaft zusätzliche
erhebliche Belastungen aufgebürdet worden. Bewährte
Flexibilisierungsinstrumente wie Zeitarbeit und Werkvertrag
stehen politisch unter Beschuss. Es droht eine weitere
Einengung des Bewegungsspielraums der Unternehmen. Die
führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre
Erwartungen für 2014 und 2015 massiv zurückgeschraubt.
Diesen Schritt muss auch die IG BCE gehen, wenn sie – bei
geringer Inflationsrate – ihre Forderungen für die Chemie-
Tarifrunde 2015 diskutiert.
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4. Demografie: Mitarbeiter möglichst lange leistungsfähig im Betrieb halten
Die demografische Entwicklung führt zu einer längeren
Lebensarbeitszeit und erzwingt einen Mentalitätswandel in der
Arbeitswelt. Da künftig immer weniger junge Fachkräfte
nachrücken, müssen die vorhandenen Mitarbeiter länger
arbeiten. Es geht heute nicht mehr darum, möglichst frühzeitig
auszuscheiden, sondern möglichst lange leistungsfähig im
Betrieb zu bleiben. Generelle Arbeitszeitverkürzungen
widersprechen diesem Ziel. Das gilt auch für einen Anspruch auf
Teilrente ab 60. In der Chemie gibt es bereits tarifliche Optionen
zur Gestaltung der Lebensarbeitszeit. Die Wirksamkeit dieser
Instrumente sollten wir überprüfen.
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5. Beschäftigungsfähigkeit fördern, Finanzierbarkeit sicherstellen
Die Chemie-Arbeitgeber fordern die IG BCE auf, den 2008
gemeinsam eingeleiteten Mentalitätswandel konsequent
fortzusetzen und gemeinsam Bedingungen zu schaffen, mit
denen längeres Arbeiten möglich ist. Es geht darum, die
Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter über das gesamte
Erwerbsleben zu fördern und zu erhalten – und nicht, den
Unternehmen Mitarbeiter frühzeitig zu entziehen und weitere
Kosten aufzubürden. Alle tariflichen Maßnahmen stehen dabei
unter Finanzierungsvorbehalt; zudem müssen sie ausreichende
Flexibilität für die Unternehmen sicherstellen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!