Wundheilungsstörungen und ihre Ursachen · Es ist das trockene Gangrän, auch unter (trockenem)...

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Tanja Schiller

Wundheilungsstörungen und ihre Ursachen

Aufbau der Haut und physiologische Wundheilung Zu allererst möchte ich den Aufbau der Haut und eine physiologische Wundheilung beleuch-ten. Die Haut wird in drei Schichten eingeteilt: Die Oberhaut (Epidermis), die Lederhaut (Dermis oder Corium) und die Unterhaut (Subcutis). Die Oberhaut (Epidermis) selbst besteht aus fünf Schichten Keratinozyten in verschiedenen Verhornungsstadien. Die unterste Schicht, das Stratum basale, bildet die Hornzellen, die in ca. 28 Tagen zur Oberfläche wandern und dabei verhornen. Im Stratum basale befinden sich noch Abwehrzellen aus dem Knochenmark, sowie Melanozyten, welche unter anderem für die Pigmentierung der Haut zuständig sind und Merkelzellen, das sind Mechanorezeptoren, die auf Druck reagieren. Jeder Wundverschluß geht vom Stratum basale aus. Die Lederhaut (Dermis / Corium) besteht aus gut durchblutetem Bindegewebe mit zapfen-förmigen Ausläufern (Stratum papillare), die fest mit der Basalmembran (Stratum basale) verbunden ist. Sie beherbergt Haarfollikel, Hautdrüsen (Schweiß- und Talgdrüsen), Blutgefä-ße und Nerven. Außerdem Immunzellen (z.B. Fresszellen/ Histiozyten, Mastzel-len/Mastozyten), Ruffinirezeptoren (Druckrezeptoren) und erste Vater-Pacinirezeptoren (Vib-rationsrezeptoren), das sind die empfindlichsten Tastrezeptoren des Körpers. Ruffini-Körperchen sind außerdem in der Unterhaut (Subcutis) sowie in Kapseln von Gelenken, Ge-fäßwänden und Bändern vorhanden. Die Unterhaut (Subcutis) besteht aus lockerem Bindegewebe mit Fett, Blutgefäßen, Lymph-bahnen, Nerven, Vater-Pacini-Körperchen und den Muskeln der Haut. Sie dient als Formge-ber, Stoßdämpfer und Energiespeicher. Die Ausbildung der Unterhaut bestimmt im Wesentli-chen die Dicke der Haut. Vater-Pacini-Körperchen sind auch an den großen Sehnenplatten, in der Bauchspeicheldrüse, der Knochenhaut, der Vaginalwand, im Retroperitonealraum und im Gewebe um die Harnblase zu finden. Der Huf ist ein besonderes Hautareal, das im Großen und Ganzen gleich aufgebaut ist. Die verhornten Zellen der Oberhaut (Epidermis) bilden den Hornschuh. Die Lederhaut (Der-mis/Corium) verbindet sich stabil mit der Oberhaut. Sie wird in sechs verschiedene Bereiche eingeteilt, entsprechend ihrer Funktion, bzw. Lokalisation. Die Unterhaut (Subcutis) ist im Huf nur an manchen Stellen ausgebildet. Dort wo sie ausgebildet ist, dient sie auch hier als Polster: Kron-, Strahl- und Ballenpolster.

Was ist eine Wunde?

„Eine Wunde ist eine Unterbrechung des Zusammenhangs von Körpergeweben mit oder ohne Substanzverlust.” (Pschyrembel, 257. Aufl.) Jede Wunde durchläuft dieselben Wundhei-lungsphasen. Diese Phasen laufen nicht streng nacheinander ab, sondern gehen ineinander über oder verlaufen auch parallel in verschiedenen Arealen derselben Wunde.

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Wundheilungsphasen Phase 1: Exsudationsphase/Inflammatorische Phase, auch Entzündungsphase genannt. In dieser Phase reinigt sich die Wunde. Verunreinigungen wie Bakterien, Fremdkörper, Nek-rosen oder Beläge werden nach außen transportiert. Die Exsudationssphase beginnt im Mo-ment der Verletzung und dauert bei physiologischem Verlauf ca. drei Tage. Durch erste er-weiternde Gefäßreaktionen (Vasodilatation) und Vergrößerung der Kapillarpermeabilität kommt es zu vermehrtem Plasma im Interstitium (Zwischenzellraum). Leukozyten, Gra-nulozyten und Makrophagen wandern so in das Wundgebiet ein, bauen nekrotisches Gewebe ab und schaffen ein Milieu, in dem sich Bakterien nicht wohlfühlen. In dieser Zeit wird die Wunde größer. Phase 2: Granulationsphase In dieser Phase werden Blutgefäße neu gebildet und Defekte aufgefüllt. Im Idealfall beginnt dies am 4. Tag nach der Wundentstehung. Bindegewebszellen bilden Kollagenvorstufen um damit den Defekt aufzufüllen. Kapillaren sprießen vom Wundgrund und den Wundrändern ein. Die Wunde wird nun kleiner. Phase 3: Epithelisierungsphase (Wundverschluß) Hautzellen (Epithelzellen) wandern von den Wundrändern her ein. Die Wunde kontrahiert, überschüssiges Zellwasser wird in den Kreislauf zurückgeführt. 5 bis 10 Tage nach der Wun-dentstehung ist die Wunde verschlossen. Jede Wunde ist individuell, nahezu alle Wunden haben aber dieselben Bedürfnisse: Ein warmes, feuchtes, nicht trockenes, keim-, nekrosen-, fremdkörper- und barrierefreies Wund-gebiet. In der Exsudationsphase muss unter Umständen viel Exsudat aus der Wunde aufgenommen werden. Die intakten Hautareale einer Wunde sowie die Wundränder müssen vor einer „Überwässerung“ geschützt werden. Die Wunde soll nicht zu nass oder zu trocken sein. In der Granulationsphase wiederum ist es schwierig, die Wunde feucht zu halten. Sie darf nicht aus-trocknen. Der Verband darf nicht mit dem Wundgrund verkleben, da er beim Verbandwechsel die Wunde ungewollt anfrischt und wieder vergrößert. Eine Wundheilungssto�rung liegt vor, wenn Wunden nicht oder schlecht heilen. Die Wundheilungsphasen Exsudation, Granulation und Epithelisierung werden nicht wie be-schrieben durchlaufen. Wundheilungsstörung bedeutet sozusagen ein „hängen bleiben“ der Wunde in der ersten oder zweiten Phase. Neben der Wundgröße, der Wundtiefe und dem Wundalter nehmen auch andere Faktoren Ein-fluss auf die Wundheilung.

Allgemeine Störfaktoren Die Äthiologie einer Wunde spielt eine sehr große Rolle. Entsteht die Wunde aufgrund einer karzinogenen Entartung der Zellen, wird sie nicht heilen. Der Tumor muss vollständig ent-fernt werden, um einen Wundverschluß zu erreichen. Entsteht die Wunde aufgrund einer Kontaktallergie muss als allererstes der Kontakt mit dem Allergen eliminiert werden.

Systemische Störfaktoren Als ersten großen Faktor möchte ich das Lebensalter des Individuums nennen. Je jünger ein Organismus ist, umso schneller teilen sich die Zellen. Somit auch die Zellen, die Blutgefäße bilden, Defekte auffüllen, … Da wir diesen Faktor nicht beeinflussen können, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen.

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Ein großes Thema im Bereich der Pferde sind Stoffwechselerkrankungen. Hier sind beim Pferd insbesondere folgende zu nennen: • Das Equine Cushing Syndrom (ECS) bzw. Equine Pituitary Pars Intermedia Dysfunction

(PPID) • EMS (Equines Metabolisches Syndrom) • Kryptopyrrolurie (KPU) Die bei diesen Erkrankungen gestörten Stoffwechselvorgänge erschweren die Wundheilung. Auch venöse und arterielle Durchblutungsstörungen haben Auswirkungen auf die Heilung von Wunden. Sie vermindern die Durchblutung im Wundbereich, woraus eine schlechte Ver-sorgung der Wunde mit Sauerstoff, Leukozyten, Granulozyten, Makrophagen und Nährstof-fen folgt. Bindegewebserkrankungen können die Wundheilung ebenfalls negativ beeinflussen. Das Bindegewebe ist zuständig für die Auffüllung der Defekte, in ihm liegen die Blutgefäße, Ner-ven, verschiedene Rezeptoren, … Erkrankungen des Lymphsystems: Das Lymphsystem wird auch als Müllabfuhr des Körpers bezeichnet. Ist das Lymphsystem gestört, kommt es zu einem verminderten Abtransport der Abfallprodukte und zu einer verstärkten Exsudation (Ausfluß) der Wunde.

Medikamente Verschiedene Medikamente hemmen die Wundheilung. Immunsuppressiva wie Cortison un-terdrücken das körpereigene Immunsystem und begünstigen somit die Entstehung von Wund-infektionen. Antiphlogistika, das sind Schmerzmittel mit abschwellender, entzündungshem-mender Wirkung, hemmen ebenso die Wundheilung. Die Reinigungsphase findet hierbei nicht so statt, wie sie sollte. Zytostatika, das sind Medikamente in der Krebstherapie, beeinträchtigen den Heilungspro-zess, weil sie direkt auf die Zellteilung wirken und diese hemmen. Antibiotika nehmen Einfluß auf die Nährstoffaufnahme.

Ernährung Der Körper verliert über eine Wunde Flüssigkeit, Zink, Proteine, Vitamine, Mineralstoffe und nicht zuletzt auch Körpertemperatur. Die Vitamine, Eiweiß und Mineralstoffe müssen in einer hohen Bioverfügbarkeit verabreicht werden, damit der Körper sie gut aufnehmen kann, ohne zusätzlich belastet zu werden. Um die Aufnahme der fettlöslichen Vitamine zu gewährleisten, sollte ein hochwertiges Öl (z.B. Leinöl, Hanföl) gegeben werden. Das Öl leistet außerdem einen Beitrag zum Energiehaushalt des Pferdes. Fettmangel kann zu einer verlängerten ersten Wundheilungsphase und zu Störungen der Blutgerinnung führen. Protein (Eiweiß) ist die Grundsubstanz der Körpergewebe. Acht davon sind essentiell, d.h. der Köper kann sie nicht selbst bilden. Proteine bilden das Hämoglobin, Strukturproteine und Antikörper. Allein durch diese Aufzählung wird klar, dass eine proteinreiche Ernährung für einen „wundtragenden“ Organismus wichtig ist. Albumin, das wichtigste Protein im Körper, zieht Wasser an sich, somit reguliert es den Druck in den Gefäßen. Fehlt das Albumin kommt es zu einem niedrigeren Druck in den Ge-fäßen und damit zur Ödembildung, dem Aussacken des Wassers ins Gewebe. Hierdurch wird wiederum die Durchblutung verschlechtert.

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Arginin ist eine spezielle Aminosäure, die die Wundheilung fördert. Arginin ist in Getreide, aber vor allem in Erdnüssen enthalten. Vitamin C: Die Abwesenheit oder der Mangel von Vitamin C (Ascorbinsäure) wirkt sich be-sonders negativ auf die Wundheilung aus. Vitamin C ist für die Bildung und Vernetzung von Kollagen wichtig und ist somit für die Festigung des Wundgewebes notwendig. Ohne Vita-min C wird minderwertiges Prokollagen, eine Vorstufe des Kollagens, gebildet. Vitamin A: Vitamin A (Retinol) reguliert das Wachstum neuer Zellen und fördert bei verzö-gerter Wundheilung unter Cortisoneinfluss den Wundverschluß. Vitamin A wird aus Beta-Carotin gebildet. Zink ist das bekannteste Spurenelement im Zusammenhang mit der Wundheilung und über-nimmt wichtige Funktionen in der Proteinsynthese und in der Zellteilung von Bindegewebs- und Hautzellen. Sowohl Zink als auch Vitamin C schützen durch Stärkung des Immunsystems vor Wundinfektionen. Darüber hinaus wirken sie als Antioxidantien und bewahren Zellen vor Schädigungen durch freie Radikale. Außerdem spielt auch Kupfer eine wichtige Rolle in der Wundheilung. Ähnlich wie das Vitamin C ist es an der Quervernetzung und Festigung des Kollagens beteiligt. Eisen ist Bestandteil des Hämoglobins, das verantwortlich für den Sauerstofftransport im Körper ist. In der Wundheilung hilft Eisen auch bei der Kollagenvernetzung.

Übersicht wichtiger Nährstoffe bei der Wundheilung Vitamin C Kollagensynthese, Immunsystem, Eisenresorption Folsäure Zellteilung, Blutbildung Vitamin B6 Immunsystem Vitamin B12 Zellentwicklung, Zellteilung Vitamin A Zellentwicklung, Immunsystem, Epithelisierung Vitamin E Immunsystem, integriert sich in die Zellmembran Vitamin D Immunsystem, Epithelzellen Vitamin K Blutgerinnung Selen Immunsystem Zink Epithelisierung, Immunsystem Eisen Sauerstofftransport, Kollagensynthese Kupfer Kollagensynthese Arginin Kollagensynthese, Immunsystem, Anstieg der Lymphozyten Albumin/Proteine Eiweißverlust ausgleichen, osmotischer Druck Bevor wir zu den lokalen Störfaktoren kommen, möchte ich noch auf einen häufig vergesse-nen bzw. unterschätzten Aspekt in der Wundheilung kommen.

Psychischer Stress Stress ist eine Reaktion des Körpers, um in Gefahrensituationen das Überleben zu sichern. Dabei sollen in kurzer Zeit körperliche Ressourcen und emotionale Verhaltensweisen mobili-siert werden, um mit einer neuen Situation fertig zu werden. Eine wichtige Rolle in der Stress-regulation spielt das Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierensystem. Im Hypothalamus wird Corticotropin Releasing Hormon (CRH) gebildet. Dieses Releasing Hormon gelangt zum Hy-pophysenvorderlappen, wo es die Abgabe von Adrenocorticotropem Hormon (ACTH) aus-löst. Dieses gelangt über das Blut zur Nebenniere, wo es die Bildung und Abgabe von Cor-tisol, Adrenalin und Noradrenalin aktiviert. Cortisol wirkt entzündungshemmend und immun-supressiv, es hemmt die Einwanderung von Leukozyten in die Wunde. Die Reinigungsphase

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der Wunde wird unterdrückt oder zumindest verzögert und gleichzeitig die Infektanfälligkeit erhöht. „Stress kann die Wundheilung bremsen und das Infektionsrisiko erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler der Ohio State University nach Labortests mit gestressten Mäusen, deren Wunden sich dreimal häufiger entzündeten als bei entspannten Tieren, da der Stress die infektionsbekämpfenden Immunzellen beeinträchtigte. Die Forscher sperrten die gestressten Mäuse acht Tage für 15 Stunden täglich ohne feste oder flüssige Nahrung in enge Röhren und verletzten sie an der Haut. Im Gegensatz zur Kontrollgruppe, der nur die Nahrung verweigert wurde, benötigten die Wunden ein Drittel mehr Zeit zur Heilung. Zusätzlich infizierten die Biologen die Mäuse mit einem Eitererreger und entnahmen Hautproben der Wunden. Bei den gestressten Tieren waren 85 Prozent der Wunden infiziert, im Gegensatz zu 27 Prozent bei den entspannten Tieren.“6 Regeneration, welcher Art auch immer, kann nur in der parasympathischen Phase stattfinden. In der sympathischen, also in der Stressphase, steht das blanke Überleben im Vordergrund.

Lokale Störfaktoren Die lokalen Störfaktoren sind wohl die am leichtesten zu beeinflussenden Faktoren in der Wundheilung. Hier möchte ich den Absatz „Jede Wunde ist individuell, hat aber dieselben Bedürfnisse“ ins Gedächtnis rufen und als erste wichtige Aussage darauf verweisen, dass

- das Austrocknen einer Wunde, - die andauernde Behandlung mit Lokaltherapeutika, - der häufige Verbandwechsel - und der Irrglauben, die Wunde würde „an der Luft“ schneller heilen,

in der modernen Wundversorgung als obsolet gelten. Womit wir beim ersten großen Punkt der lokalen Störfaktoren angelangt sind.

Austrocknung der Wunde Beim Austrocknen einer Wunde wird Schorf gebildet. Sowohl das Anheben des Wundgrun-des als auch der Wundverschluss werden durch den am Wundgrund haftenden Schorf stark erschwert. Der Schorf bildet keine Barriere für Keime, sie können ungehindert eindringen. Da sich die Schorfränder immer etwas abheben, ist das Herunterreißen des Schorfes eine häufige Komplikation. Beim Herunterreissen des Schorfes oder auch eines verklebten Verbandsmate-rials werden Zellen mitgerissen und die Wunde angefrischt. Eine offene Wundbehandlung lässt die Wunde zusätzlich auskühlen, so dass die Zellteilung verlangsamt wird. Zellen teilen sich bei Körpertemperatur am besten. Diese Temperatur sollte möglichst die ganze Zeit bestehen. Es gibt eine „Wundart“, für die eine austrocknende Behandlung die einzig richtige (konserva-tive, nichtinvasive) Behandlung ist. Im Veterinärbereich ist sie mir bisher nicht untergekom-men, aber es ist wichtig sie zu nennen. Es ist das trockene Gangrän, auch unter (trockenem) „Raucherbein“ bekannt. Bei der Wundbehandlung ist auch darauf zu achten, dass die Wundverhältnisse nicht zu nass sind. Das Exsudat weicht die intakte Haut an den Wundrändern auf und schädigt diese. Im Falle einer starken Exsudation ist ein Wundrandschutz erforderlich, damit sich die Wunde nicht vergrößert.

6 https://www.spektrum.de/news/stress-verschlechtert-wundheilung/581829

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Auch Fremdkörper in einer Wunde stellen eine deutliche Erschwernis in der Wundheilung dar. Jeder Fremdkörper wird entweder vom Körper nach außen transportiert oder verkapselt und eingebaut. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass auch kleinste Partikel Fremdkö-per darstellen. Das können Fussel von einer Kompresse sein, Staub oder große Steine und kleine Holzsplitter. Sämtliche Fremdkörper müssen aus einer Wunde entfernt werden. Druck kann die Wundheilung sowohl stören als auch unterstützen oder, im schlimmsten Fall, auch eine Wunde auslösen. Eine Kompression auf die Wundfläche und/oder Wundumgebung kann in dem einen Fall die Wundheilung vorantreiben, in dem anderen die Wundheilung verzögern. Im Falle einer arteriellen Durchblutungsstörung bewirkt eine Kompression eine noch schlech-tere Durchblutung, wahrscheinlich wird der Wundgrund nekrotisch werden. Handelt es sich jedoch um eine venöse Durchblutungsstörung oder um Probleme mit dem Lymphabfluss, för-dert eine Kompression die Wundheilung. In diesem Fall verbessert sie die Durchblutungssitu-ation. Am Huf können wir durch Gegendruck im Wundbereich das fehlende Widerlager (also das fehlende Horn) ersetzen und einem weiteren Vorfallen von Lederhäuten entgegenwirken. Ebenso kann durch eine Kompression in den über dem Huf gelagerten Bereichen eine bessere Durchblutungssituation im Huf erreicht werden, sofern Lymphabflussstörungen oder venöse Rückflussstörungen dafür verantwortlich sind. Kompression ist aber nicht gleich Druck. Ein Druckverband ist ein Verband, der die Durch-blutung unterbindet. Er hat nur in der Versorgung akuter Wunden seinen Einsatz und hier auch nur für kurze Zeit. Nur für die Zeit, die notwendig ist, um eine Blutung zu stoppen. Eine Kompression ist ein Druck von ca. 20 bis 49 mmHg7, mitunter auch noch etwas höher. Diese Werte stammen aus dem humanmedizinischen Bereich: Kompressionsklasse (KKL) 1 reicht von 18,0-21,0 mmHg, das sind zum Beispiel die Antithrombosestrümpfe im Krankenhaus o-der die Strümpfe für Flugreisende. KKL 2 von 23,0-32,0 mmHg sind die landläufig als „Gummistrümpfe“ bekannten, verschreibungsfähigen Strümpfe bei „Krampfaderleiden“ oder post operativ zur Ödembehandlung eingesetzte Strümpfe. KKL 3 von 34,0-46,0 mmHg wer-den verwendet, wenn schwere Ödembildungen vorliegen und KKL 2 nicht ausreicht. KKL 4 sind ab 49 mmHg. Sie finden Verwendung bei Lymphödemen und Elephanthiasis. Leider konnte ich bei den Herstellern der Kompressionsstrümpfe für Pferde keinerlei Anga-ben über den Druck, den ihre Strümpfe ausüben, finden. Aus meinen Erfahrungen heraus würde ich sagen, befindet sich der Druck meiner Kompressionsverbände am Pferd bei ca. 25 bis 35 mmHg. Über Kompression könnte ich hier noch viel schreiben. Ich möchte Ihnen nur noch sagen, dass bereits eine Kompression im mittleren Bereich auf Knochenpunkten, wenn diese nicht umpolstert werden, zum Gewebsniedergang führen kann.

Wundtherapeutika / Antiinfektiosa Mit Antiinfektiosa verhält es sich ähnlich, wie mit dem Druck auf einer Wunde. Sie können die Wundheilung vorantreiben oder bremsen. Zum einen wirken alle Antiinfektiosa (um-gangssprachlich: Desinfektionsmittel) zytotoxisch (zelltötend), zum anderen schädigen die meisten dieser Mittel Knorpelgewebe. In den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts steht, dass nur sterile Lösungen zur Wundspülung verwendet werden dürfen. Antiinfektiosa sind nur einzusetzen, wenn es notwendig ist. Ist eine Wunde kritisch kolonisiert oder gar infiziert, ist der Einsatz einer antiinfektiösen Substanz zur Wundreinigung unumgänglich. Ist dies nicht der Fall, reicht zur Wundbehandlung die Verwendung einer sterilen Ringerlösung oder 0,9%-iger Kochsalzlösung aus. Am besten sind die Lösungen angewärmt, um die Wunde nicht un-nötig auszukühlen. Nach Anbruch, egal welcher Lösung, ist die Verfallszeit laut Herstelleran-gaben zu beachten. 7 mmhG bedeutet Millimeter Quecksilbersäule und ist eine Maßeinheit für Drücke, z.B. Blutdruck

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Bei Antiinfektiosa ist es immer notwendig, die Einwirkzeit zu beachten. Während dieser Zeit muss die gesamte behandelte Fläche mit dem Mittel benetzt sein. Bei Nichteinhaltung ist die gesamte Maßnahme als wirkungslos einzustufen. Zur Reinigung einer Wunde sollte außerdem ein Produkt verwendet werden, das keine Schmerzen auslöst. Somit fallen Alkohol bzw. alkoholhaltige Antiinfektiosa in der Wundrei-nigung aus. Antibiotische Substanzen (z.B. Eutertuben) bedürfen eines vorherigen Antibiogramms und einer Verschreibung durch einen Tierarzt. Auch hier ist zu bedenken, dass das Antibiotikum die Wundheilung hemmt. Polihexanid: Kontraindikation - Knochen und Gelenke. Einwirkzeit laut Konsensempfehlung im Bereich von 15-20 Minuten. Laut Studienberichten sind bei Spülanwendung schon kürzere Anwendungszeiten von etwa drei Minuten geeignet, um Wundkontaminationen deutlich zu verringern. Bitte im Bereich der Hufe vorsichtig anwenden!! Hufknorpel! Bei einer Einwirk-zeit unter 15 Minuten wirkt Polihexanid nicht zelltötend auf Knorpelgewebe. Octenisept: Kontraindikation - Fistel, Bauchhöhle, Knorpelgewebe, gleichzeitige Anwen-dung mit Jodpräparat. Octenisept verfärbt das Areal in Verbindung mit Jod blau-violett. Oc-tenisept darf nur zur oberflächlichen Reinigung verwendet werden. Einwirkzeit: 2 Minuten. Kolloidales Silber/Nanosilber: Teilchen sind zwischen 1 und 100 nm groß. Die Silberteil-chen müssen in der Wunde verbleiben. Silberkationen hemmen den Stoffwechsel des Mikro-organismus. Die starke antimikrobielle Wirksamkeit von Nanosilber wird mit dessen Fähig-keit in Verbindung gebracht, Zellwände und Zellmembranen durchdringen zu können und im Zellinneren zu wirken. In vitro wirkt kolloidales Silber auch gegen Viren, indem sich Nano-silberpartikel an deren Oberfläche binden und die Bindung der Viren an Wirtszellen unterdrü-cken. Es wird empfohlen die Anwendung auf 2 bis 4 Wochen zu beschränken. Silber kann im Körper angereichert werden. PVP Jod: Cave bei Schilddrüsenerkrankung! Einwirkzeit 30 Sekunden. Spülung auch tiefer Höhlen und Gelenke möglich. PVP Jod reagiert mit Eiweiß und wird dadurch inaktiv. Es hin-terlässt eine Braunfärbung. Wirkstoff der Wahl für die kurzzeitige Anwendung bei Infektio-nen oder verschmutzten traumatischen Akutwunden. Taurolin: Keine Freisetzung von Endotoxinen bei Bakterienzerfall!! Keine negative Wirkung auf Knorpelgewebe. Einwirkzeit 6 Stunden. Dieses Mittel ist also für Angußverbände bestens geeignet. Eutertuben: Antibiotika vom Tierarzt verschreiben lassen. Vorher Antibiogramm anfertigen lassen! Eine unzureichende antibiotische lokale Wundtherapie kann Resistenzen hervorbrin-gen. Zuguterletzt möchte ich noch den Biofilm als wundheilungsstörend aufzählen. Biofilme können als Gemeinschaft von Bakterien und Pilzen beschrieben werden, die in eine dicke schleimige Schutzschicht aus Zuckern und Proteinen eingebettet sind. Die Schleimmat-rix schützt die Mikroben vor Antibiotika, antimikrobiellen Substanzen und Fresszellen. Der Biofilm muss deshalb entfernt werden. Untersuchungen haben ergeben, dass ca. 60% aller chronischen Wunden mit einem Biofilm belastet sind. Der Biofilm ist nur mit einer mikro-skopischen Untersuchung nachweisbar. Vorbeugend hilft es eine gute mechanische Wundrei-nigung durchzuführen. Der Biofilm kann invasiv entfernt werden (Débridement). Ein Biofilm bildet sich sehr schnell nach seiner Zerstörung nach. Ein tägliches Débridement ist deshalb notwendig. Zum „Auflösen“ (nichtinvasive Entfernung) eignen sich silberhaltige Wundaufla-gen und Polihexanid sowohl als Spüllösung als auch als Wundauflage.

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Kristina Morgenroth und Tanja Schiller

Nichtinvasive Hufkrebsbehandlung in Zusammenarbeit von Huf-orthopädin und Wundexpertin

Johnny, ein süddeutsches Kaltblut, ist zum Zeitpunkt der Behandlung 11 Jahre alt. Seine Be-sitzerin hat ihn, seit er ein halbes Jahr alt ist. Das Pferd ist bei Ihrem Vater untergebracht und wird von ihm versorgt. Die Hufbearbeitung wurde bisher von einem Hufschmied ausgeführt, soll nun aber von einer Hufbearbeiterin der DHG e.V. übernommen werden. Kristina Morgen-roth übernimmt die Hufbearbeitung von Johnny und bittet mich, sie zu begleiten. 07.03.2015: Johnny leidet aktuell seit ca. neun Monaten an beiden Vorderhufen an Hufkrebs, an den Hin-terhufen ist er laut Tierarzt seit ca. acht Wochen frei davon. Leider kann ich nach der nun recht langen Zeit, die seit der Versorgung von Johnny vergangen ist, keine genauen Angaben mehr zur Fütterung machen. Aus meinen Unterlagen geht hervor, dass er Heilerde bekam. Als erstes nimmt Kristina die Eisen ab und bearbeitet die Hufe. Zur Hufbearbeitung von Johnny finden Sie ausführliche Informationen im anschließenden Artikel von Kristina Mor-genroth. Ich beschränke mich in meinem Teil auf die Versorgung der Wunden. Vor der Bearbeitung konnte ich, wegen der Vorbehandlung mit Bauschaum und anderen Din-gen, kaum etwas erkennen. Ein penetranter Geruch stach mir in die Nase. Mir wurde erklärt, dass das der typische Geruch bei „Hufkrebs“, also beim nicht karzinogenen Hufkrebs, sei. Vorne Rechts: Sohle und Strahl wirkten trocken. Aus einem Riss in der lateralen Hornwand im Kronsegment trat Flüssigkeit aus. Bei Belastung des Beines konnte eine Bewegung der Hornwand erkannt werden. Plantar sehe ich nach der Bearbeitung anstatt eines Strahls (vermutlich) hypertrophe Lederhaut, die nicht von Horn bedeckt ist. Da es sich hier in meinen Augen um eine Wunde handelt, die stagniert, habe ich als erstes wieder die Exsudationsphase in „Gang bringen“ wollen.8 Ich habe mich für einen Angußver-band mit Octenisept entschieden. Heute würde ich für diesen Zweck Taurolin verwenden. Der Angußverband darf dabei kein „Gummistiefelverband“ sein. So bezeichne ich Verbände, die sehr nass und sehr gut von einer Luftzirkulation und somit von Sauerstoff abgeschirmt sind. Eine Wunde liebt es in der Heilung feucht, aber nicht zu nass zu sein. Starke Nässe weicht das intakte Horn oder die intakte Haut auf und schädigt sie. Das Horn ist am Ende für den Wund-verschluss verantwortlich. Es verschliesst die Wunde von den Wundrändern her. Nach Anlage des Verbandes habe ich also Octenisept in den Verband gegossen, bis ich davon ausgehen konnte, dass sämtliche Polster feucht sind. Bei einem Hufverband dieser Größe sind ca. 100ml ausreichend. Um das schnelle Abdampfen, also das schnelle Austrocknen des Verban-des zu verhindern und ihn belastbarer zu machen, verwendete ich „Panzertape“. Zum Verband: Um den massiven Tragrandüberstand auszugleichen und eine Verbandsohle zu schaffen, die a) nicht verrutscht und b) Feuchtigkeit aufnimmt aber gleichzeitig die Hornsohle nicht aufweicht, habe ich ein synthetisches Klebepolster - mit Aussparungen für den Strahlbe-reich - angebracht (siehe folgende Abbildung).

8 „Eine Wunde ist eine Unterbrechung des Zusammenhangs von Körpergeweben mit oder ohne Substanzver-lust.” (Pschyrembel, 257. Auflage) und „Als chronische Wunden gelten definitionsgemäß länger als vier Wo-chen bestehende Wunden, die keine Heilungstendenz zeigen.“ (Wundatlas: Kompendium der komplexen Wund-behandlung. Hrsg. Hans Lippert, Thieme, 2006)

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Abb.: Klebesohlen aus Synthetikwatte Im Bereich des Strahles habe ich Baumwollwatte verwendet. Baumwollwatte nimmt Feuch-tigkeit sehr gut auf, kann diese jedoch nicht zurückhalten. Sie hält das bedeckte Areal in ei-nem sehr nassen Zustand. Um die autolytische, also körpereigene Wundreinigung in Gang zu bringen, habe ich diesen Bereich vorerst nass halten wollen. Die Wunde sollte sich erst einmal selbst reinigen. Das heißt, sie sollte fremde oder abgestorbene Partikel nach außen transportie-ren. In die Strahlfurchen legte ich Baumwolltamponaden ein. So kann das antiinfektiöse Mittel auch in die Furchen gelangen und Feuchtigkeit, die vom Körper abgesondert wird, kann ab-transportiert werden. Heute nehme ich für diesen Zweck gerne Cutimed® Sorbact® der Firma BSN medical. Das ist eine wirkstofffreie Tamponade, die Bakterien physikalisch bindet. Die spezielle Beschichtung mit DACC (Dialkylcarbamoylchlorid) verleiht Cutimed® Sorbact® stark hydrophobe (also wasserabweisende) Eigenschaften. Bakterien und Pilze sind von Natur aus hydrophob und binden sich deshalb irreversibel an die Tamponade. Meine Technik zur Fixierung der Wundauflagen: Um den Pferden schnellstmöglich wieder das Stehen auf vier Beinen zu erlauben, verwende ich einen Schlauchverband, den ich über den Huf und die angebrachten Wundauflagen ziehe und einfach nach oben klappe. Diesen Schlauchverband (hier tg9 Firma Lohmann&Rauscher) fixiere ich mit einer luftigen, kohäsi-ven (selbsthaftenden) Binde (z.B. Mollelast haft Firma Lohmann&Rauscher). Vorne links: Hier sehe ich ähnliche Wunden, die ich, wie für den anderen Huf bereits beschrieben, versorgt habe. Die Strahlfurchen konnte ich hier nicht durchgehend tamponieren. Alles schien stark verwinkelt oder verästelt, alles war unterschiedlich tief. Über den angelegten Verbänden an den Vorderhufen trug Johnny Easyboot RX Krankenschu-he. Hintere Hufe: Die Strahlfurchen sind sehr eng und wenig elastisch. Am Grund der Furchen faulte das Horn. Es gab keine Wunden im Sinne eines Hufkrebses. In die mittleren Strahlfurchen legte ich Baumwolltamponaden ein und bat seinen Betreuer, hier täglich 1-2ml Octenisept einzubringen und die Tamponaden bei Verlust zu erneuern. Auch an dieser Stelle würde ich heute Cutimed® Sorbact® verwenden. Ergänzende Massnahmen: Globuli Calendula C30 1-2 x tgl., Gladiator Plus entsprechend des Pferdegewichtes, Vetamin entsprechend des Pferdegewichtes und nach 2 Wochen SanaCare-Basenwasser entsprechend

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des Pferdegewichtes. Außerdem sollten energetische Bürstungen an den Beinen ausgeführt werden. Den nächsten Besuch setzte ich aufgrund der langen Anfahrt vier Tage später an. Bei einem näher gelegenen Patienten wäre ich schon am zweiten Tag zu einem Verbandwechsel ge-kommen. 2. Besuch am 11.03.2015: Im rechten Verband herrschten recht trockene Verhältnisse. Der Ausfluss aus der Spalte im Kronsegment war nicht mehr vorhanden. Da bei Belastung des Beines keine Bewegung der Hornkapsel/des Spaltes mehr zu sehen war, schien die Wand zu konsolidieren. Der Gesamt-zustand wirkte entspannter. Der Geruch war nur noch wenig vorhanden. Im Verband vorne links war es nässer, die mittlere Strahlfurche nässte stark, war dafür aber jetzt durchgehend tamponierbar. Die hypertrophe Lederhaut war schleimig. Der Geruch war noch immer stark vorhanden. Ich reinigte den gesamten Kron- und Ballenbereich mit einer Bürste und kürzte die Haare am Kronsaum, damit diese nicht im abgestorbenen Horn kleben konnten und die Reinigung erleichtert und somit der Nährboden für Keime reduziert wurde. Die Verbände legte ich an, wie beim ersten Besuch, und ich bat den Betreuer des Pferdes wei-er täglich 20 ml Octenisept mittels einer Spritze (ohne Kanüle) in die Verbände zu applizie-ren. An den Hinterhufen löste sich die alte schuppige Haut im Bereich der Ballen, die Strahlfur-chen waren tiefer und elastischer. Der nächste Termin wurde in in vier Tagen vereinbart. 3. Besuch am 15.03.2015: Beide Verbände waren feucht, aber nicht nass oder trocken. Die Exsudationsphase schien weit fortgeschritten. An beiden Vorderhufen haben sich die Strukturen weiter entspannt. Die Hy-pertrophien der Lederhäute sind leicht zurückgegangen. Es wird nur noch sehr wenig Flüssig-keit aus den Wunden abgegeben. Der spezifische Geruch war kaum noch vorhanden. Vorne rechts bröselte das Horn im medialen Sohlenbereich. Änderung des Verbandes: Anstatt der Mullauflagen verwendete ich im Bereich der hypertro-phen Lederhäute jetzt einen Zelluloseverband mit Polyhexanid (Suprasorb X + PHMB Firma Lohmann&Rauscher). Dieser Verband ist in der Lage nur wenig Exsudat aufzunehmen und gleichzeitig stetig ein wenig Feuchtigkeit abzugeben. Weiterhin sollten täglich 10 ml Oc-tenisept in die Verbände eingebracht werden, um ein komplettes Austrocknen zu verhindern. Die Ballen- und Strahlbereiche an den Hinterhufen wurden zunehmend elastischer. Rechts hatte sich an der medialen Strahlfurche eine Tasche entwickelt. Hier entschied ich mich dafür, in die Hufbearbeitung einzugreifen und den Strahl dort etwas zurückzuschneiden. Der nächste Besuch fand drei Tage später statt. 4. Besuch am 18.03.2018: Vorne rechts befand sich die Wunde im Strahlbereich immer noch in der Exsudationsphase. Verband: Die Klebepolster habe ich belassen und vorne rechts wieder die Zelluloseauflage verwendet. Vorne links verwendete ich anstatt der Zelluloseauflage nun eine Silberauflage (Vliwaktiv Ag Tamponade, Firma Lohmann&Rauscher). Diese sollte die Keimzahl reduzieren. Die Wunde sezernierte nicht mehr, also benötigte ich an dieser Stelle keine saugende Wundauflage mehr. Die Feuchtigkeit im Hufverband reichte aus, um gute Vorraussetzungen für die Zellteilung und Verhornung zu haben. Ab jetzt wurde keine zusätzliche Flüssigkeit mehr in die Verbände appliziert. Der nächste Besuch erfolgte drei Tage später gemeinsam mit Kristina Morgenroth.

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5. Besuch am 21.03.2018: An beiden Vorderbeinen herrschten feuchte Wundverhältnisse, die Hypertrophien der Leder-häute waren zurückgegangen und die Verhornung an den freien Lederhäuten war nun gut zu sehen. Die Wunden waren dabei, sich zu verschließen. Die Versorgung der Wunden an beiden Vorderhufen erfolgte mit Vliwaktiv Ag als Wundauf-lage. Keine Angüsse. An den Hinterhufen waren im Ballenbereich immer noch harte Schup-pen vorhanden. Die Strahlfurchen waren frei von Fäulnis. Wegen der trockenen reizlosen Verhältnisse der Wunden wurde das Verbandwechselintervall nun auf eine Woche verlängert. 6. Besuch am 27.03.2015: Die Feuchtigkeitsverhältnisse im Verband waren sehr gut. An der Strahlspitze vorne rechts fand sich aufgeweichtes Horn. Ich ging davon aus, dass dieses Horn auch ohne Verband „brö-selig“ gewesen wäre. An beiden Ballen der Vorderhufe war aufgeweichte Haut zu sehen. Der Geruch war „käsig“. Glücklicherweise hatten sich dort aber noch keine neuen Wunden gebildet. Ursache für diese Hautverhältnisse waren die Panzertapes, die mit Zug im Ballenbereich angebracht worden waren, um den Schuhen den nötigen Halt beim wachsenden Bewegungsdrang von Johnny zu geben. Erschwerend zum Druck im Ballenbereich kam die fehlende Luftzirkulation durch den großflächigen Einsatz des Panzertapes. Die Wundauflagen im Sohlenbereich blieben zu diesem Termin unverändert, ebenso die tro-ckene Tamponaden in den Strahlfurchen. Lediglich im Übergang Strahlfurche-Ballen wurde die Versorgung durch mich verändert. Synthetikwatte sollte sowohl Feuchtigkeit als auch Druck verringern. Zusätzlich habe ich mit dem Betreuer des Pferdes das Problem besprochen und seine Befestigungstechnik verbessert. Der nächste Termin wurde wieder für eine Woche später vereinbart. 7. Besuch am 03.04.2015: Sehr schöne Wundverhältnisse. Das bröselige Horn am Strahl vorne rechts war weg. Die Bal-lenbereiche hatten sich wieder erholt. Die Versorgung blieb unverändert, mit trockener Silberauflage, Synthetikwatte und ohne An-guß. Nächster Termin eine Woche später. 8. Besuch am 09.04.2018: Vorne links sehr schöner Wundverschluss. Vorne rechts am Strahl lateral war das Horn zer-klüftet und es sah aus, als würde etwas von innen herauskommen. Vorne links erfolgte die Versorgung unverändert. Vorne rechts anstatt der trockenen Vliwak-tiv-AG-Auflage eine Tamponade der lateralen Strahlfurche strahlseitig mit Octenisept ge-tränkter Baumwollwatte. Eckstrebenseitig etwas Synthetikwatte. Die restliche Versorgung mit trockener Synthetikwatte. Ich bat den Betreuer wieder täglich 10ml Octenisept in den Ver-band im rechten Strahlbereich einzubringen. Der nächste Termin wurde in neun Tagen vereinbart. 9. Besuch am 18.04.2015: Vorne rechts bröselte etwas Strahlhorn heraus, dort wo neun Tage zuvor das zerklüftete Horn zu sehen war. Darunter befand sich intaktes Horn. Alle Wunden waren verschlossen. Von meinem ersten bis zu meinem letzten Besuch waren exakt sechs Wochen vergangen. Zur Veranschaulichung finden Sie im Anhang Aufnahmen vom ersten und siebten Besuch (am 7. März 2015 und 3. April 2015).

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Abbildungen Wundversorgung Johnny

Rechter Vorderhuf am 7. März 2015

und am 3. April 2015

Linker Vorderhuf am 7. März 2015

und am 3. April 2015

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Kristina Morgenroth

Moderne Hufkrebsbehandlung: interdisziplinäre Zusammen-arbeit von Wundexpertin und Huforthopädin am Beispiel des Pferdes Johnny

Johnny, Süddeutsches Kaltblut, geboren 2004 Haltung: Laufbox mit Paddock, Einzelpferd (seitdem das Partnerpferd verstorben ist) Ernährung: Heu (Heugewinnung von Wiesen mit hohem Anteil an Weidelgras; früher erster Schnitt), auf der Weide hoher Anteil an Klee; zu hohe/unkontrollierte Futteraufnahme. Gekauft als Absetzer. Vorgeschichte: Hufkrebs an beiden Vorderhufen. 2x wurde in Zusammenarbeit von Schmied und Tierarzt der Hufkrebs ausgebrannt. Der dritte Termin hierfür stand bereits an. Die Besit-zerin informierte sich und machte einen Rückzieher. Sie nahm Kontakt zu Huforthopäden auf. Zunächst zu Astrid Arnold. Sie wurde dann an mich weiter verwiesen, weil das Pferd nicht in Astrids Einzugsbereich stand. Erster Kontakt am 01.03 2015: Ich erhielt eine eMail mit Fotos. Die Hufe sahen nicht so aus, als dass die Prognose günstig wäre. Deshalb vereinbarten die Besitzerin und ich telefonisch, dass, sollte ich die Bearbeitung übernehmen, wir einen Zeitraum vereinbaren, in dem eine Entwicklung zum Besseren er-kennbar sein müsse. Falls keine Verbesserung innerhalb von zwei Monaten erkennbar sein sollte, wollten wir das Pferd nicht unnötig noch länger leiden lassen. Und wir einigten uns zum Anfang (und solange wie nötig) mit der Wundexpertin Tanja Schil-ler zusammenzuarbeiten, um die Heilung der Ausbrenn-Wunden zu beschleunigen. 1. Besuch am 07.03.2015: JohnnysVorderhufe waren stark überständig und mit Deckeleisen beschlagen, wobei die De-ckel schon entfernt worden waren. Reste von PU-Schaum klebten noch an den Hufen und den Eisen. Rechts vorn befand sich lateral ein Querriss von einem am Kronsaum aufgegangenen Hufabszess herrührend. Aus diesem lief Flüssigkeit. Strahlhorn war kaum vorhanden. Die Hinterhufe wiesen jeweils eine tiefe und entzündete mittlere Strahlfurche auf. Ich lasse die Hinterhufe im weiteren Bericht außen vor, da es dort keinen Hufkrebs gab. Zusätzlich wurde nach Eisenabnahme erkennbar: Hypertrophiertes Gewebe im Strahlbereich mit tiefem Schlitz zwischen den Ballen. Die Trachtenendkanten stießen fast aneinander – ein ausgeprägter Trachten- und Ballenzwang lag vor. Es erfolgte die erste Bearbeitung. Der Tragrand und die Eckstreben wurden gekürzt, der Strahl wurde so sauber geschnitten, wie es ohne Blutvergießen möglich war, um eine gute Wundversorgung zu ermöglichen. Die Hornwand wurde so beraspelt, dass sie trotz Nagellö-cher einigermaßen stabil gegen allzustarkes Ausbrechen wurde. Anschließend erfolgte die Wundversorgung von Strahl und Ballen durch Tanja Schiller. Tanjas Wundversorgung erfolgte ab nun regelmäßig über sechs Wochen (siehe oben im Text von Tanja Schiller).

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Der Folgetermin zur Hufbearbeitung fand nach zwei Wochen statt. Auffallend war jetzt der fehlende typische Hufkrebsgeruch. Das erstaunlich schnelle positive Ergebnis war meines Er-achtens in erster Linie der guten Wundversorgung geschuldet. Die weiteren Bearbeitungen erfolgten vorerst in Zwei-Wochen-Abständen. Da sich jedoch das für die akute Phase typische, übermäßig schnelle Hornwachstum recht schnell normalisiert hatte, wurden die Bearbeitungsabstände verlängert. Anfangs auf drei Wochen und später auf vier Wochen. In den letzten fünf Monaten waren dann fünfwöchige Abstände möglich. Anfangs ließ ich einen kleinen Tragrandüberstand stehen, da Johnny jahrelang Eisen getragen hatte. Der Überstand war aber nicht sehr lange stabil. Der Tragrand wurde ab der 2. Bearbei-tung deshalb auf Sohlenniveau gehalten, die Wände waren dennoch stärker als gewöhnlich am ausbrechen. Die Nerven der Besitzerin wurden auf eine harte Probe gestellt, als beim 5. Huftermin unter-halb des Querrisses die laterale Wand bis zur Zehe so lose war, dass ich sie lieber entfernt ha-be, um unkontrolliertes Ausbrechen zu vermeiden, und um zu sehen, wie es darunter aussieht. Der gesamte Bereich war von einem alten Hufabszess unterhöhlt. Allerdings hatte sich zu die-sem Zeitpunkt die Enzündung in Bereich der Wandlederhaut bereits gelegt, so dass die Le-derhaut wieder mit ausreichend Horn überzogen war. Die Besitzerin beruhigte sich, zumal der Strahl- und Ballenbereich sich deutlich ins Positive entwickelt hatte und die zu Anfang ge-setzte zeitliche Frist schon überstanden war. Wir entschieden uns einvernehmlich fürs Wei-termachen. Im Großen und Ganzen schritt die Heilung der Vorderhufe gut voran. Stetige Verbesserung war im Bereich der Ballen und im Bereich der Trachtenendkante zu sehen. Man sah deutlich, wie sich der Bereich nach und nach „entspannte“. Als die zuvor fehlenden Trachtenendkanten endlich so weit herunter gewachsen waren, dass sie Bodenkontakt hatten, trat noch einmal ei-ne signifikante Verbesserung der Zwanghufsituation ein. Und auch der Strahl an beiden Vorderhufen wurde besser. Leider zeichnete sich dennoch ab, dass beim Ausbrennen auch innere Strukturen verletzt und offensichtlich unwiederbringlich zerstört worden waren. Teile des formgebenden Strahl- und Ballenpolsters fehlten. An der la-teralen Seite des rechten Vorderhufes war dies am stärksten der Fall, so dass auf dieser Seite ein Zwang zurück bleibt, der womöglich zukünftig immer neue Entzündungen in diesem Be-reich von Strahl und Ballen provozieren wird. Das spiegelt sich wieder in der unruhigen Struktur des Wandhornes auf dieser Seite des Hu-fes. Dass eine Entzündung der Lederhaut, des Strahles und/oder des Ballens auch auf die Saumlederhaut übergreifen kann, konnte man bei Johnny immer wieder beobachten. Die Ril-len im Wandhorn waren immer zu sehen, mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Ziemlich genau ein Jahr nach meinem Bearbeitungsbeginn war Johnny plötzlich stocklahm. Ich kam eine Woche früher und fand vorn rechts lateral einen Hufabszess vor, der gerade am Kronsaum aufgegangen war. Er befand sich an der gleichen Stelle, wie der Abszess, den wir vor einem Jahr bereits vorgefunden hatten. Am diagonalen Hinterhuf gab es ebenfalls einen Hufabszess, ebenfalls lateral. Beim Kürzen der Eckstrebe eröffnete sich ein Kanal und ein kleiner Strahl grauen Eiters schoß heraus. In der folgenden halben Stunde konnte man zu-schauen, wie das bis zum Sprunggelenk angeschwollene Hinterbein wieder abschwoll. Zusätzlich zum Hufdilemma war Johnnys Stoffwechsel stark gestört. Vermutlich durch jahre-lange falsche Fütterung und zu wenig Bewegung war er übergewichtig, hatte Wassereinlage-rungen und ein schlimmes Ekzem, das vom Frühjahr bis in den Winter hinein anhielt, solange blutsaugende Insekten unterwegs waren. Die Besitzerin hatte sich bereits um eine Stoffwech-sel-Sanierung bemüht. Auch Tanja Schiller und ich regten eine solche an. Aber in den gut

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eineinhalb Jahren ließ sich hier nur wenig erreichen. Da die Hufsituation mittlerweile recht stabil war, war es an der Zeit, sich intensiver mit der Stoffwechselproblematik zu befassen. Wir hegten natürlich auch die Hoffnung, dass sich die Hufe in ihrer Stabilität besonders hin-sichtlich des Wandhorns noch einmal verbessern würden. Um eine konsequente und professi-onelle Stoffwechselsanierung durchzuführen, wurde Johnny im November 2016 in einem Reha-Stall untergebracht und steht seither dort. Die Hufbearbeitung wurde von einem Kolle-gen aus der Gegend übernommen. Stoffwechseltechnisch hat sich einiges getan. Das Überge-wicht wurde reduziert. Die Wassereinlagerungen sind verschwunden. Die Auftreibungen über der Niere sind abgeschwollen. Johnny wurde auch physiotherapeutisch behandelt und be-kommt insgesamt mehr Bewegung. Aktuell hat sich die Hufsituation von Johnny leider wieder verschlechtert. Aufgrund einer Fehleinschätzung des Hufbearbeiters im Reha-Stall bezüglich der Trachtensituation und der Trachtenbearbeitung, hat Johnny während seines Aufenthaltes im Reha-Stall in den letzten Monaten einen Rückfall erlitten: Die zu lang gewordenen Trachten führten wieder zu einer Quetschung und damit zur Entzündung der Lederhäute. Das neuerliche Auftreten von Eiter zeigt darüber hinaus an, dass auch wieder eine Infektion der Lederhäute stattgefunden hat und die Hufe samt Wunde erneut saniert werden müssen.

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Abbildungen Hufbearbeitung Johnny

2015-03-01 solear vorne rechts 2015-03-21 solear vorne rechts 2016-11-11 solear vorne rechts

2015-03-01 solear vorne links 2015-03-21 Ballen vorne links 2015-03-21 solear vorne links

2015-03-21-Ballen-li 2015-04-18-Ballen-li 2015-07-18-Ballen-li

2015-09-12-Ballen-li 2016-11-11-Ballen-li 2016-11-11 solear vorne links

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Kontaktdaten der Referenten

in der Reihenfolge der Vorträge: Prof. Dr. Hans Geyer Veterinär-Anatomisches Institut, Universi-tät Zürich, emeritiert, CH-8610 Uster/Schweiz Tel.: +41 44-6358783 hgeyer@vetanat.uzh.ch http://www.vetanat.uzh.ch Dr. Veronika Apprich Klinische Abteilung für Pferdechirurgie, Veterinärmedizinische Universität Wien Veterinärplatz 1 A-1210 Wien/Österreich Tel.: +43 (1) 25077-5509 Veronika.apprich@wetmed-uni.ac.at www.wetmeduni.ac.at Martin Jansa Staatl. gepr. Hufbeschlagsschmied Rendsburger Straße 39 24534 Neumünster/Schleswig-Holstein Tel.: +49 (0) 172-48322200 martin@huf-notdienst.de www.huf-notdienst.de Conny Faißt Praktischer Tierarzt Im Königsgäßchen 9 54413 Bescheid/Rheinland-Pfalz Tel.: +49 (0) 6509-991119 conny-faisst@t-online.de www.tierarztpraxis-faisst.de Astrid Arnold Huforthopädin DHG e.V., Ausbildungslei-terin der LfH der DHG e.V. in Bayern, Präparation u. Plastination Bergstraße 6 84375 Kirchdorf/Bayern Tel.: +49 (0) 8571-602633 arnold@dhgev.de www.dhgev.de

Melanie Erlmann Huforthopädin der DHG e.V., Haslach 7 A-5141 Moosdorf/Österreich Tel.: + 43 (1) 664-75068019 buttimeli@gmx.de www.dhgev.de Lilli Noack Huforthopädin der DHG e.V., Am Nationalpark 30 17237 Grünow/Brandenburg Tel.: +49 (0) 173-9411534 lilli.noack@hotmail.de www.dhgev.de Daniela Theile Huforthopädin der DHG e.V. Wäldchen 6 57462 Olpe/Nordrhein-Westfalen Tel.: +49 (0) 151-23970048 info@huforthopaedie-sauerland.de www.dhgev.de Tanja Schiller Zertifizierte Wundexpertin nach ICW e.V. Sportweg 2 85296 Rohrbach/Bayern Tel.: +49 (0) 179-2988808 tanja@tanjaschiller.de www.tanjaschiller.de Kristina Morgenroth Huforthopädin der DHG e.V. Enzing 2 94094 Malching/Bayern Tel.: +49 (0) 160-9018169