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Effizienz und Systematik Nachhaltige Effizienzsteigerung in Engi- neering und IT braucht passende Prozes- se und darauf abgestimmte Werkzeuge. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse einer Studie, in der Effizienzprojekte untersucht wurden. Eine reine Werkzeugeinführung brachte einen kaum relevanten Nutzen (2 Prozent Verbesserung). Prozessverbesse- rungen ergaben 8 Prozent Nutzen (Details zu Produktivität solcher Werkzeuge finden sich in [Ebe14]). Prozessverbesserungen unterstützt mit den richtigen Werkzeugen brachten 20 Prozent Effizienzverbesserung. Daher sollte vor der Auswahl und Einfüh- rung eines Werkzeugs immer die Festlegung eines – durchaus schlanken und einfachen – Prozesses und einer brauchbaren Methodik stehen. Beides ist gleichermaßen relevant. Prozesse bringen Effizienz, Transparenz und Disziplin. Methodik schafft Systema- tik und Unterstützung, Werkzeuge sichern beides nachhaltig ab. Werkzeuge helfen dabei, Anforderungen systematisch zu spezifizieren und im Ver- lauf des Projekts diszipliniert zu pflegen (vgl. [Ebe14]). Manuell gepflegte Doku- mente haben verschiedene Nachteile: n Die Kommunikation von Änderungen der ursprünglichen Anforderungen und deren Nachverfolgung sind nur manu- ell möglich und daher fehleranfällig (sind z.B. alle Entwickler und Tester informiert?). n Es ist schwer, zusätzliche Informatio- nen zu Anforderungen leicht zugreifbar und verlinkt darzustellen (z. B. Stan- dards, zusätzliche Kundendokumente, Marketingbeschreibungen). n Statische Textdokumente lassen sich kaum konsistent und aktuell halten. n Verschiedene Beteiligte arbeiten mit un- terschiedlichen Versionen und Inhalten von Anforderungen und Spezifikatio- nen. n Anforderungen können kaum zu Use- Cases, Entwurf, Code, Testfällen und Projektplänen nachverfolgt werden. n Statuskontrolle im Projekt – und damit die Messung des Projektfortschritts aus Kundensicht – ist nur manuell möglich und somit schwer reproduzierbar. RE-Werkzeuge für spezifische Randbedingungen Der Markt für Requirements-Engineering- Werkzeuge (RE-Werkzeuge) ist schon sehr dicht, aber immer noch kommen ständig neue Werkzeuge hinzu. Das ist aufgrund der steigenden Bedeutung eines guten RE nachvollziehbar. Angesichts des wachsen- den internationalen Preisdrucks heißt das aber auch, dass weniger populäre Werk- zeuge rasch wieder vom Markt verschwin- den. Zudem gibt es verschiedene Arten von Werkzeugen, sodass Beratung bei der Aus- wahl und Einführung sinnvoll ist, um zu verhindern, dass man nachher ein nutzlo- ses Werkzeug hat, das eher Zusatzaufwand und Frustrationen schafft. Wir unterscheiden die folgenden Arten von RE-Werkzeugen: n Office-Werkzeuge n Wikis n Workflow-Tools n Entwicklungsumgebungen und Model- lierungswerkzeuge n Spezielle RE-Werkzeuge n Agile Cloud-Lösungen Office-Werkzeuge Am unteren Ende der Werkzeugskala ste- hen selbst gemachte Vorlagen in einer Tabellenkalkulation, wie MS Excel oder OpenOffice. Spreadsheets erlauben eine wirksame Kontrolle von Anforderungen in einem kleinen Projekt. Der große Vor- teil ist die leichte und flexible Handha- bung, Anpassbarkeit und direkte Nutzung mit ganz verschiedenen Anspruchsträgern. Beispielsweise eignet sich für ein kleines, agiles Projekt sehr wohl ein Excel-Sheet – und zwar phasenübergreifend von den Werkzeuge für das Requirements Engineering: Industriepraxis und Bewertung „A fool with a tool remains a fool.“ Das wissen wir alle und trotzdem führen viele Unternehmen ein Requirements-Werkzeug ein in der Annahme, dass sich allein damit eine Verbesserung ergibt. Weit gefehlt! In der Regel sind die Mitarbeiter aufgrund der Komplexität des neuen Werkzeugs, aber auch des wahr- genommenem Formalismus frustriert. Klar ist, dass wirksames und effizientes Requirements Engineering (RE) ein passendes Werkzeug braucht. Automativierbare manuelle Tätigkeiten sind ineffizient und werden abgelehnt – egal wie gut die Intentionen dahinter waren. Doch vor dem Werkzeug steht eine umfassende Vorbereitung der Abläufe und Funktionen, damit das Werkzeug in die Umgebung passt. In diesem Beitrag zeige ich Ihnen, wie Sie das für Ihre Umgebung passende Werkzeug auswählen. Wesentliche Werkzeuge werden charakterisiert und bewertet. Sie erkennen, dass Prozesse und Werkzeuge systematisch eingeführt werden müssen. Das erfordert pro- fessionelles Veränderungsmanagement. Der Beitrag gibt zudem eine praxisnahe Übersicht zu aktuellen RE-Werkzeugen. Konkrete Praxistipps zur Tool-Auswahl und -Einführung runden ihn ab. Werkzeuge für das Requirements Engineering: Industriepraxis und Bewertung 44 www.vector.com/RE-Buch www.vector.com/RE-Vorlagen Abb. 1: Effizienzverbesserung durch die richtigen Prozesse und Werkzeuge.

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Effizienz und SystematikNachhaltige Effizienzsteigerung in Engi-neering und IT braucht passende Prozes-se und darauf abgestimmte Werkzeuge. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse einer Studie, in der Effizienzprojekte untersucht wurden. Eine reine Werkzeugeinführung brachte einen kaum relevanten Nutzen (2 Prozent Verbesserung). Prozessverbesse-rungen ergaben 8 Prozent Nutzen (Details zu Produktivität solcher Werkzeuge finden sich in [Ebe14]). Prozessverbesserungen unterstützt mit den richtigen Werkzeugen brachten 20 Prozent Effizienzverbesserung. Daher sollte vor der Auswahl und Einfüh-rung eines Werkzeugs immer die Festlegung eines – durchaus schlanken und einfachen – Prozesses und einer brauchbaren Methodik stehen. Beides ist gleichermaßen relevant. Prozesse bringen Effizienz, Transparenz

und Disziplin. Methodik schafft Systema-tik und Unterstützung, Werkzeuge sichern beides nachhaltig ab.Werkzeuge helfen dabei, Anforderungen systematisch zu spezifizieren und im Ver-lauf des Projekts diszipliniert zu pflegen (vgl. [Ebe14]). Manuell gepflegte Doku-mente haben verschiedene Nachteile:

n Die Kommunikation von Änderungen der ursprünglichen Anforderungen und deren Nachverfolgung sind nur manu-ell möglich und daher fehleranfällig (sind z.B. alle Entwickler und Tester informiert?).

n Es ist schwer, zusätzliche Informatio-nen zu Anforderungen leicht zugreifbar und verlinkt darzustellen (z.B. Stan-dards, zusätzliche Kundendokumente, Marketingbeschreibungen).

n Statische Textdokumente lassen sich kaum konsistent und aktuell halten.

n Verschiedene Beteiligte arbeiten mit un-terschiedlichen Versionen und Inhalten von Anforderungen und Spezifikatio-nen.

n Anforderungen können kaum zu Use-Cases, Entwurf, Code, Testfällen und Projektplänen nachverfolgt werden.

n Statuskontrolle im Projekt – und damit die Messung des Projektfortschritts aus Kundensicht – ist nur manuell möglich und somit schwer reproduzierbar.

RE-Werkzeuge für spezifische RandbedingungenDer Markt für Requirements-Engineering-Werkzeuge (RE-Werkzeuge) ist schon sehr

dicht, aber immer noch kommen ständig neue Werkzeuge hinzu. Das ist aufgrund der steigenden Bedeutung eines guten RE nachvollziehbar. Angesichts des wachsen-den internationalen Preisdrucks heißt das aber auch, dass weniger populäre Werk-zeuge rasch wieder vom Markt verschwin-den. Zudem gibt es verschiedene Arten von Werkzeugen, sodass Beratung bei der Aus-wahl und Einführung sinnvoll ist, um zu verhindern, dass man nachher ein nutzlo-ses Werkzeug hat, das eher Zusatzaufwand und Frustrationen schafft.Wir unterscheiden die folgenden Arten von RE-Werkzeugen:

n Office-Werkzeugen Wikisn Workflow-Toolsn Entwicklungsumgebungen und Model-

lierungswerkzeugen Spezielle RE-Werkzeugen Agile Cloud-Lösungen

Office-WerkzeugeAm unteren Ende der Werkzeugskala ste-hen selbst gemachte Vorlagen in einer Tabellenkalkulation, wie MS Excel oder OpenOffice. Spreadsheets erlauben eine wirksame Kontrolle von Anforderungen in einem kleinen Projekt. Der große Vor-teil ist die leichte und flexible Handha-bung, Anpassbarkeit und direkte Nutzung mit ganz verschiedenen Anspruchsträgern. Beispielsweise eignet sich für ein kleines, agiles Projekt sehr wohl ein Excel-Sheet – und zwar phasenübergreifend von den

Werkzeuge für das Requirements Engineering:

Industriepraxis und Bewertung„A fool with a tool remains a fool.“ Das wissen wir alle und trotzdem führen viele Unternehmen ein

Requirements-Werkzeug ein in der Annahme, dass sich allein damit eine Verbesserung ergibt. Weit gefehlt! In der Regel sind die Mitarbeiter aufgrund der Komplexität des neuen Werkzeugs, aber auch des wahr-

genommenem Formalismus frustriert. Klar ist, dass wirksames und effizientes Requirements Engineering (RE) ein passendes Werkzeug braucht. Automativierbare manuelle Tätigkeiten sind ineffizient und werden abgelehnt – egal wie gut die Intentionen dahinter waren. Doch vor dem Werkzeug steht eine umfassende Vorbereitung der Abläufe und Funktionen, damit das Werkzeug in die Umgebung passt. In diesem Beitrag zeige ich Ihnen, wie Sie

das für Ihre Umgebung passende Werkzeug auswählen. Wesentliche Werkzeuge werden charakterisiert und bewertet. Sie erkennen, dass Prozesse und Werkzeuge systematisch eingeführt werden müssen. Das erfordert pro-

fessionelles Veränderungsmanagement. Der Beitrag gibt zudem eine praxisnahe Übersicht zu aktuellen RE-Werkzeugen. Konkrete Praxistipps zur Tool-Auswahl und -Einführung runden ihn ab.

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Abb. 1: Effizienzverbesserung durch die richtigen Prozesse und Werkzeuge.

ursprünglichen Anforderungen über die Schätzung und Planung bis hin zu Test und Projektkontrolle. Ein Spreadsheet in Excel ist eine gute Möglichkeit, RE werkzeugun-terstützt und leichtgewichtig einzuführen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann man daraus eine universelle Vorlage entwickeln und die damit erstellten Anforderungen und Spezifikationen jederzeit in ein anderes RE-Werkzeug übertragen. Tabelleninhalte können werkzeugübergreifend gut übertra-gen werden, aber nicht unbedingt Konfigu-rationsdaten.Excel und andere Tabellenprogramme sind ungeeignet für komplexe Anforderungen, beispielsweise mit Bildern, aber auch unge-eignet für die Wiederverwendung von An-forderungen, Änderungsmanagement mit Änderungshistorie und vor allem bei ver-teiltem Arbeiten. Für Bilder und komplexe Texte kommt daher oft eine Textverarbei-tung wie MS Word zum Einsatz. Anders als Excel ist es allerdings ein reines Textwerk-zeug und verführt zur ausufernden Prosa, die nachher kaum mehr flexibel und effizi-ent gehandhabt werden kann. Man sollte daher Word immer nur als Unterstützung für ein anderes Werkzeug sehen, nicht als alleiniges RE-Werkzeug.

WikisWiki-Umgebungen sind vor allem in agilen und eher kleinen Unternehmen ein beliebtes Kommunikationswerkzeug. Sie erlauben den unmittelbaren Zugriff verschiedener Benutzer zur Organisation von Anforde-rungen. Man kann dazu eine vorhandene Vorlage oder sogar das komplette Hosting von einer externen Quelle übernehmen und an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Die meisten Wiki-Anwendungen sind als Open-Source realisiert. Ein repräsentatives Werk-zeug ist „FitNesse“, das zur Ermittlung von Anforderungen und zur Testspezifikation eingesetzt wird. Es bietet die Möglichkeit, Testfälle interaktiv und verteilt (also durch verschiedene Mitarbeiter an verschiedenen Standorten) als Tabellen von Eingangspara-metern oder -szenarien, verbunden mit den erwarteten Ausgangsergebnissen zu spezi-fizieren. Die Benutzer brauchen keinerlei HTML-Kenntnisse, um die Einträge zu be-arbeiten oder zu verwalten.Bei der Nutzung von Wikis für das RE sollte man sich klar sein, dass sie einen Formalismus brauchen, um beispielsweise Statusinformationen oder Attribute nutzen zu können. Wikis als „Müllhalden“ für ungepflegte Textfragmente sieht man zwar

häufig, aber sie sind für ein systematisches RE wertlos und aus Governance-Sicht ge-fährlich.

Workflow-ToolsGerade bei verteilten Projekten und der Übertragung von Aufgaben zwischen ver-schiedenen Benutzern spielen Workflow-Tools eine große Rolle. Ihre Stärke ist die Beschreibung der Abfolge von Schritten, beispielsweise von der Ermittlung bis zur Freigabe, die dann automatisch an ver-schiedene Personen weitergeleitetet werden kann. Diese werden darüber informiert, dass Anforderungen, Arbeitspakete, Feh-lermeldungen oder Testfälle zu bearbeiten sind.„Bugzilla“ und „Redmine“ werden gerne als konstengünstige Werkzeuge für das agi-le RE genutzt, stoßen aber aufgrund ihrer begrenzten Funktionen bei professionellen Projekten schnell an ihre Grenzen. Viele Open-Source-Projekte verwenden Bugzil-la, um Fehlermeldungen und Wünsche von Benutzern zu sammeln. Redmine ist ein webbasiertes Projektmanagement-Tool für Benutzer- und Projektverwaltung, Diskussi-onsforen, Wikis und zur Ticketverwaltung. Die eingebetteten Workflow-Mechanismen

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werden dazu genutzt, bestimmte Paketver-sionen zu testen.„Trac“ ist ein kollaboratives Projektma-nagement-Werkzeug zur Verknüpfung von Subversion, Wiki und Bugtracking. Es wird vor allem eingesetzt, um Anforderungen als Basis für ein schlankes, agiles Projekt- und Konfigurationsmanagement direkt zu pfle-gen.„Mylyn“ ist ein Eclipse-Plug-in für eine aufgabenorientierte Benutzungsoberflä-che. Dokumente und Aufgaben lassen sich leicht miteinander verknüpfen und einfache Workflows können instrumentiert werden. Mylyn wird im RE vor allem zur Pflege und Nutzung von Verknüpfungen und bei der Nachverfolgung eingesetzt. Als Eclipse-Plug-in unterstützt es heterogene Werkzeug- umgebungen.Beachten Sie bei diesen Werkzeugen, dass sie aus dem Ticketing und Projektmanage-ment kommen, also zwar gute Workflow-Unterstützung bieten, aber bei Dokumen-tenverwaltung und Versionierung, wie sie für das RE nötig ist, ihre Schwächen haben. Einzig Jira hat es geschafft, sich in Richtung RE-Werkzeug zu entwickeln, allerdings nach wie vor mit dem Fokus auf Workflow und Verwaltung, nicht Dokumentation.

Entwicklungsumgebungen und ModellierungswerkzeugeEine weitere Kategorie von Werkzeugen sind Entwicklungsumgebungen zur durch-gängigen Unterstützung von den Anforde-rungen über die Modellierung bis hin zur Generierung von Code und Pflege der Arte-fakte bei Änderungen. Sie werden als ALM- oder PLM-Werkzeuge (Anwendungs- oder Produktlebenszyklus-Management) be-zeichnet, da sie Informationen über den Lebenszyklus des Produkts hinweg entwi-ckeln, verwalten und pflegen. Früher gab es dafür Bezeichnungen wie CASE-Umgebun-gen (Computer Assisted Software Enginee-ring) oder IDE (Integrated Development Environment), die aber inzwischen kaum mehr gebräuchlich sind.Diese Umgebungen bringen typischerweise innerhalb von Eclipse verschiedene Werk-zeuge zusammen. „PREEvision“ und „Vi-sual Studio“ sind Beispiele für PLM- bzw. ALM-Umgebungen, die RE unterstützen. „Enterprise Architect“ ist ein Modellie-rungswerkzeug, das sich in Richtung RE geöffnet hat. „In-Step“ wiederum kommt ursprünglich aus dem Projektmanagement und bietet inzwischen Dokumentenmana-gement und Modellierung.Von einer Entwicklungsumgebung spricht man, wenn ein Data-Backbone einen trans-parenten Datenaustausch ermöglicht, so-

dass die Inhalte konsistent sind und nur einmal beschrieben werden müssen. Dieser Austausch sollte zumindest inhaltlich unter-stützt werden, also Zugriffe auf die gleichen Datenbestände aus verschiedenen Werkzeu-gen heraus ermöglichen. Darüber hinaus werden oftmals semantische Informationen zur Verfügung gestellt (Metabeschreibun-gen zu einem Datenbestand über Versionen, Ursprung, Nutzung, Verlinkungen etc.) und Kommunikationsmechanismen, beispiels-weise Trigger, um andere Werkzeuge darauf hinzuweisen, wenn sich in einem Werkzeug etwas geändert hat. Aktuell werden diese Umgebungen in aller Regel auf der Basis von Eclipse erstellt (vgl. [Ecl15]).

Spezielle RE-WerkzeugeDezidierte RE-Werkzeuge unterstützen die Verwaltung und Nachverfolgung von An-forderungen, Spezifikationen und weiteren Dokumenten (z.B. Testfällen) sowie die Verknüpfung dieser Dokumente zur Pro-jektkontrolle. Man nennt diese speziellen Werkzeuge auch gelegentlich Computer As-sisted Requirements Engineering (CARE). Solche Werkzeuge bieten eine gute grafische Umgebung an, mit der Anforderungen, Workflows, Abhängigkeitsbeziehungen und Modelle beschrieben werden können. Als Texteditor wird in der Regel eine pro-prietäre XML- oder RTF-Umgebung einge-setzt, um die Spezifikationen austauschbar zu machen. Die Benutzungsoberfläche er-innert an Office-Werkzeuge wie „OpenOf-fice“ oder „Word“. Import- und Exportfor-mate sind typischerweise word, RTF, ReqIF

und selbst definierte Tabellenformate auf Basis von XML. Vielfältige Filter erlauben die Verknüpfung, Gruppierung, Weiterbe-arbeitung und Verwaltung auch komple-xer Anforderungsbeziehungen. Die großen Hersteller verknüpfen Anforderungsspezi-fikationen, deren Verwaltung und Model-lierungswerkzeuge, um Durchgängigkeit zu erreichen.Heute setzen praktisch alle Modellierungs-werkzeuge die UML-Notation ein. Die Un-terstützung bestimmter Modellierungsme-thoden ist allerdings häufig eingeschränkt und sollte exakt evaluiert werden, wenn Bedarf nach einer bestimmten Methode be-steht. Werkzeuge wie „DOORS“, „Integri-ty“ oder „QualityCenter“ werden heute im RE breit genutzt und haben trotz des hohen Preises einen starken Marktanteil, da sie alle Anforderungen gerade auch für verteil-tes Arbeiten und komplexe Rechteverwal-tung gut beherrschen.

Agile Cloud-LösungenAgile Cloud-Lösungen für das verteilte Ar-beiten mit Anforderungen gewinnen rasch an Bedeutung. Praktisch alle großen Her-steller bemühen sich aktuell, Cloud-Lösun-gen darzustellen, oftmals durch proprietäre zentral gehostete Datenbanken. Der Vor-teil ist, dass man mit einem Web-Browser schnell Zugriff auf die Anforderungen hat. Von Nachteil sind die üblichen Risiken in Performance, Verfügbarkeit und Sicherheit. „Contour“, „Jira“, „Polarion“ und „Rally“ sind aktuelle Beispiele für agile Projektma-nagement-Werkzeuge in der Cloud. Sie

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Werkzeuge für das Requirements Engineering: Industriepraxis und Bewertung

Abb. 2: Vergleich von RE-Werkzeugen.

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Tabelle 1: Werkzeuge für das Requirements Engineering.

sind leichtgewichtig und für internationale Teams geeignet. Jedes der Werkzeuge hat einen oft historisch gewachsenen Schwer-punkt, beispielsweise bei Contour die gute Verknüpfung mit Testmanagement oder bei Polarion die Verknüpfung mit Projekt-management. Abstriche sind vor allem bei speziellen Kriterien wie Attributierung oder Versionierung zu machen.

WerkzeugauswahlGerade bei der Auswahl und Einführung von Werkzeugen sollten Sie unbedingt auf externe Erfahrungen zurückgreifen. Schließlich hat niemand die Zeit und das Budget, um verschiedene Werkzeuge über längere Zeit auszuprobieren. Zudem sind Fehlentscheidungen bei Werkzeugen teuer und frustrierend für die Mitarbeiter.Was billig aussieht, bleibt es nicht. Diese Regel gilt bei Werkzeugen ganz besonders. Oftmals fließt eine Menge versteckter Kos-ten in „hausgemachte“ Werkzeuge, und schließlich wird man feststellen, dass sie den Ansprüchen nicht mehr gerecht wer-den, und sie werden gegen ein kommerzi-elles Werkzeug ausgetauscht. Die Kosten eines Werkzeugs resultieren nicht primär aus den Lizenzkosten, sondern aus dessen Einführung, Nutzung und Wartung. Beach-ten Sie daher immer die sogenannten Le-benszyklus-Kosten (Total Cost of Owner-ship). Wenn Benutzer mit einem Werkzeug nicht reibungslos arbeiten können und sich ständig über unzureichende Funktionalität ärgern, ist der Produktivitätsverlust höher als alle Lizenzkosten. Aus der Vielzahl von RE-Werkzeugen be-trachten wir hier nur jene Gruppe, die im Management von Anforderungen einge-setzt werden. Werkzeuge zur Modellierung und Analyse von Anforderungen, für das

genügt es, wenn die Inhalte des Werkzeugs als Report auf dem firmeneigenen Intranet zur Verfügung stehen, der regelmäßig ak-tualisiert wird. Hyperlinks zu den detail-lierten Anforderungsspezifikationen helfen dabei, dass beim nur lesenden Zugriff auf die Werkzeuge trotzdem alle Informationen verfügbar sind. Statusänderungen einer An-forderung, wie sie beispielsweise bei inkre-mentellem Vorgehen zur Fortschrittskont-rolle auf Gruppenebene nötig sind, können zentral gesammelt werden und durch den Projektmanager einmal täglich aktualisiert werden, sodass beispielsweise nicht jeder Tester zum Nutzen der Traceability-Funk-tionen eine teure Lizenz benötigt.Stimmen Sie sich hier mit dem Hersteller genau ab, denn die Lizenzmodelle variieren stark. Die Lizenzkosten pro Arbeitsplatz sollten Sie bei mehr als zehn Benutzern mit dem Hersteller verhandeln.Abbildung 2 zeigt unseren „Magic Quad-rant“ der aktuell relevanten RE-Werkzeuge (vgl. [Ebe14]). Die Auswahl ist subjektiv und orientiert sich an der Verbreitung von Werkzeuglösungen. Die zwei Dimensionen der Technologie sowie der Benutzererfah-rung sind anhand unserer Erfahrungen bei Vector in Kundenprojekten weltweit dargestellt. Technologie korreliert mit dem Preis und ist horizontal dargestellt. Teure und aufwändigere Werkzeuge befinden sich rechts. Beachten Sie, dass hier nur die Li-zenzkosten berücksichtigt sind, also nicht jene, die vor Ort durch Lernkurve oder schlechte Benutzbarkeit entstehen. Die Be-nutzererfahrung berücksichtigt die Benutz-barkeit, aber auch die Funktionalität und das Preis-Leistungs-Verhältnis. Sie ist verti-kal dargestellt, sodass Werkzeuge mit gu-tem Preis-Leistungs-Verhältnis weiter oben platziert sind.Wenig überraschend ist sicherlich, dass Of-fice-Werkzeuge, vor allem von Microsoft, in der Praxis nach wie vor sehr populär sind. Der Lizenzpreis ist eher niedrig, vor allem wenn Office sowieso als unterneh-mensweite Lizenz im Einsatz ist. Die Be-nutzererfahrung ist dafür allerdings auch eingeschränkt, da abgesehen vom Editieren in Word und Filtern in Excel wenig brauch-bare Funktionen fürs RE zur Verfügung stehen. Beides erklärt die Positionierung in der linken unteren Ecke. Auf der rech-ten Seite finden sich die eher hochpreisigen Werkzeuge.Einmal mehr ist „DOORS“ auch in der Neuauflage als „DOORS Next Generati-on“ in seiner Funktionalität ausgereift. Das ebenfalls weit verbreitete „QualityCenter“, das als ALM-Lösung punktet, muss für das

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Produktdatenmanagement oder für das Projekt- oder Portfolio-Management lasse ich weg, da sie zumeist ihre Stärke in einem anderen Bereich haben und Anforderungen nur insoweit verwalten oder referenzieren, wie dies für die jeweilige Spezialaufgabe re-levant ist.Eine gute Basis zur Bewertung von RE-Werkzeugen gibt ein aktueller ISO-Standard (vgl. [ISO09]). Dieser Standard beschreibt Anforderungen und Empfehlungen an RE-Werkzeuge und orientiert sich stark an den Lebenszyklusmodellen in ISO 12207. Ich habe diesen Standard als Basis für eine umfassende Werkzeugbewertung aller RE-Werkzeuge genommen (vgl. [Car12]). Aus Platzgründen kann ich hier nicht auf alle Kriterien des Standards eingehen. Ich habe allerdings gerade in meiner Bewertung, beispielsweise im „Magic Quadrant“ der RE-Werkzeuge (siehe Abbildung 2), die we-sentlichen Aspekte wie Benutzbarkeit und Funktionalität aufgenommen. Tabelle 1 listet einige populäre RE-Werk-zeuge auf. Da neben der Funktionalität immer auch die Lizenzkosten zählen, also das Preis-Leistungs-Verhältnis, habe ich diese beiden Faktoren aufgeführt. Ich habe bewusst keine detaillierte Bewertung der Werkzeuge vorgenommen, da sie sich schnell ändern (viele Hersteller liefern ein Update pro Jahr). Die zugrunde liegenden Kosten beziehen sich nur auf die Einzel-platz-Lizenzen, also nicht auf weitere Kos-ten für Infrastruktur, Trainings, Anpassun-gen etc.Nicht alle Mitarbeiter, die Anforderungen bearbeiten, benötigen eine teure Lizenz. Das RE-Werkzeug unterstützt vor allem jene Mitarbeiter, die aktiv spezifizieren. Viele andere Benutzer werden eher per Browser auf Ergebnisse zugreifen. Dann

Abb. 3: Veränderungsmanagement bei der Einführung eines RE-Werkzeugs.

RE in der Funktionalität und Benutzbarkeit noch zulegen. Hier sind die web-basierten Neuankömmlinge wie „in-Step” und „Po-larion” günstiger und in der Benutzbarkeit überlegen.Unabhängig davon, wie Ihre Anforderun-gen an ein Werkzeug aussehen, sollten Sie das ausgewählte Werkzeug für einige Zeit pilotieren, bevor Sie es unternehmens-weit einführen. Ein RE-Werkzeug, dessen Funktionen über das reine Editieren hin-ausgehen, hat seine Feuerprobe erst dann bestanden, wenn es in verschiedenen Pro-dukten und Produktversionen gleichzeitig eingesetzt war. Erproben Sie daher gezielt die späteren Anwendungsfälle, beispiels-weise die Wiederverwendung von Anfor-derungen, Konfigurationsmanagement bei Änderungen und Varianten von Anforde-rungen, Nachverfolgbarkeit zu anderen Anforderungen und zu Arbeitsergebnissen in anderen Werkzeugen. Prüfen Sie insbe-sondere die Benutzbarkeit.

Werkzeuge einführen„Was sollen wir nur tun?“, fragte der kleine Tiger seine Mutter. „Da kommt der Jäger, und er hat drei Gewehre, alle mit Infrarot ausgerüstet.“ „Psst“, antwortete die Mut-ter und zeigte ihrem Kleinen, wie man sich versteckt und angreift. Man sah den Jäger nie wieder – was zeigt, dass Werkzeuge gut sind, aber niemals Ersatz für einen guten Prozess.Bevor man über RE-Werkzeuge nachdenkt, muss man seine Prozesse im Griff haben. Werkzeuge sind kein Ersatz für einen Pro-zess! Gute Werkzeuge bringen auch be-reits Referenzlösungen out of the box, die genutzt werden können, wenn vorher gar nichts vorhanden war. Häufig existieren aber Systeme, Schnittstellen und vor allem Praktiken, die bereits etabliert sind und weiterentwickelt werden müssen. Ich höre bei Kunden oft, dass sie „das Tool xyz eingeführt haben und damit das The-ma Requirements Engineering im Griff haben“. In der Tat bringt ein mächtiges Werkzeug zunächst einmal das Gefühl, dass damit alle Probleme beseitigt sind. Nicht beachtet wird, dass ein Werkzeug ohne Pro-zess zu Komplexität und Mehrarbeit führt. Oftmals sehen wir in solchen Unternehmen eine Schattenwelt aus einfachen Lösungen, die die Ingenieure und Softwareentwickler für den Tagesbedarf nutzen, beispielsweise Spreadsheets für „ihre eigenen Anforde-rungen und deren Status“. Wenn Artefakte dann fertig sind, werden sie auf einmal in das mächtige Werkzeug übertragen. Die Mitarbeiter klagen in diesen Fällen über

Overhead, während Projektmanager und Vorgesetzte sich über fehlende Disziplin und Sichtbarkeit beschweren.Wie werden RE-Werkzeuge eingeführt? Worauf ist dabei zu achten? Abbildung 3 zeigt eine Planungsvorlage zur Einführung eines RE-Werkzeugs. Wesentlich dabei ist die enge Verzahnung der drei Themen Ver-änderungsmanagement, Prozessentwick-lung und Werkzeugeinführung. Die Einfüh-rung (oder Migration) eines RE-Werkzeugs hat vielfältige Einflüsse auf die Organisati-on und sollte daher immer von dem nötigen Veränderungsmanagement begleitet wer-den. Das ist zwar ein Zusatzaufwand, vor allem, weil dazu externe Unterstützung und Expertise notwendig sind, aber wenn man die Aufwände mit dem Risiko eines nicht adäquat nutzbaren Werkzeugs vergleicht, ist der Business-Case schnell aufgemacht.

Nutzen und UmsetzungRE benötigt ein passendes Werkzeug, um immer widerkehrende Arbeiten sowie die Erstellung und Pflege von Spezifikationen effizient zu unterstützen. Anforderungen an Dokumentation, Kollaboration, verteiltes Arbeiten, Nachvollziehbarkeit und Ände-rungsverwaltung, um nur ein paar Ziele zu nennen, sind ohne passende Werkzeugun-terstützung nicht darstellbar.RE-Werkzeuge ermöglichen den schnellen und konsistenten Zugriff auf die Anforde-rungen des Projekts – insbesondere für Per-sonen, die an einem ganz anderen Standort arbeiten. Als Werkzeuge kommen verschie-dene Lösungen in Betracht, die ich hier kurz vorstellen möchte.Eine Minimalanforderung an ein solches Werkzeug ist, dass es Anforderungen an-hand einer von Ihnen gewählten Vorlage darstellen kann. Zudem sollte es Ände-rungsmanagement, verteilten Zugriff, Verlinkung zu anderen Anforderungen und auch zu weiteren Projektergebnissen und Entwicklungswerkzeugen erlauben. Damit kommen ganz unterschiedliche Werkzeuge in Betracht, vom einfachen Ta-bellenprogramm über eine kollaborative

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Literatur & Links

[Car12] J.M. de Carrillo de Gea, C. Ebert et al., Requirements Engineering Tools: Capabilities,

Survey and Assessment, Information and Software Technology, 2012

[Ebe14] C. Ebert, Systematisches Requirements Engineering, dpunkt.verlag, 2014

[Ecl15] Eclipse Open Source Community, zitiert am 01.10.2015, siehe:

http://www.eclipse.org

[ISO09] ISO/IEC TR 24766, Information Technology – Systems and software engineering –

Guide for requirements engineering tool capabilities, ISO, 2009, siehe: http://www.iso.org

|| Christof Ebert ([email protected]) ist Geschäftsführer der Vector Consulting Services GmbH und Professor an den Universitäten Stuttgart und Paris.

Der Autor

Wiki-Umgebung bis hin zu einem „High-End“-Werkzeug mit Lizenzkosten im vier- bis fünfstelligen Bereich. Die für Sie passen-de Lösung sollte anhand einer Checkliste ausgewählt und bewertet werden, die Sie vorab – ganz wie im richtigen RE – für Ihre eigene Werkzeugauswahl aufstellen. Eine umfangreiche Checkliste, die Sie auf Ihre Bedürfnisse anpassen können findet sich in [Ebe14]. Prüfen Sie die zwei bis drei möglichen Werkzeuge intensiv, denn trotz aller heutigen Schnittstellenunterstützung wie „ReqIf“ ist der Übergang zwischen Werkzeugen nach wie vor alles andere als einfach. Die geeignete Werkzeugunterstützung im RE schafft Effizienz im Projekt, vor al-lem, wenn sie mit Projektmanagement und ALM/PLM gekoppelt ist. Sie reduziert die Komplexität und Aufwände bei Änderun-gen von Anforderungen, verknüpft An-forderungen horizontal und vertikal und schafft damit Transparenz. Vor allem in kritischen Anwendungen sollte das The-ma Governance nicht unterschätzt werden. Wenn Sie später mit Zeitstempel und Ver-sionisierung nachvollziehen müssen, wer wann was zugesichert hat, führt kein Weg an einem industrietauglichen RE-Werkzeug vorbei. ||