· Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie...

324
FRANCIS SCHAEFFER Allein durch Christus Die zentralen acht Kapitel des Römerbriefs

Transcript of  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie...

Page 1:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

FRANCIS SCHAEFFER

Allein durch Christus

Die zentralen acht Kapitel des Römerbriefs

Page 2:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

VORBEMERKUNG ZUR ÜBERSETZUNGAls Francis Schaeffer seine Bibelstundenreihe über Römer 1-8 hielt, verwendete er als Bibeltext die englische King-James-Version von 1611, die sprachlich etwa einer unrevidierten Lutherbibel entspricht. In evangelikalen Kreisen allgemein akzeptierte moderne Bibelübersetzungen wie etwa die NIV (New-International-Version) existierten damals (in den 196oer-Jahren) noch nicht.Die vorliegende Übersetzung verwendet als Bibeltext die Lutherübersetzung 1984. Wo zum besseren Verständnis oder um Schaeffers Auslegung korrekt wiederzugeben, andere Bibelübersetzungen erforderlich waren, ist die verwendete Quelle jeweils in [...] angegeben. Zum Einsatz kamen dabei die revidierte Elberfelder Übersetzung (= Elberfelder.), Einheitsübersetzung (= Einh.), Menge, Schlachter, Viebahn sowie einmal die Lutherübersetzung in der Revision von 1912.Die wenigen Anmerkungen Schaeffers zu Übersetzungsproble-men bzw. -fehlern, die speziell nur die King-James-Bibel betreffen und für die deutschen Bibeln nicht gelten, sind in dieser Übersetzung ausgelassen; inhaltliche Kürzungen in der Auslegung entstehen dadurch nicht. Weitere Kürzungen im Text Schaeffers wurden nicht vorgenommen, der »gesprochene« Stil ist auch in der deutschen Übersetzung beibehalten.

Page 3:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

INHALTEINLEITUNG (von Udo W. Middelmann) ………………….9 1. Einleitung und Thema (41-17) …………………................15

TEIL I: RECHTFERTIGUNG (1,18-4,25) 2. Der Mensch ohne die Bibel: schuldig (1,18-2,16)………..31 3. Der Mensch mit der Bibel: schuldig (2,17-3, 8)…………..61 4. Die ganze Welt: schuldig (3,9-2o)………………………….73 5. Die Rechtfertigung nach dem Kreuz (3,21-30) …………..79 6. Die Rechtfertigung vor dem Kreuz (3,31-4,25)…………..91

TEIL II: HEILIGUNG (5,1-8,17) 7. Die Folge der Rechtfertigung: Friede mit Gott (5,1-11) . ..127 8. Tot in Adam, lebendig in Christus (5,12-21)………………151 9. Der Kampf des Christen mit der Sünde: I (6,1-23)……….16310. Der Kampf des Christen mit der Sünde: II (7,1-25)………18911. Das Leben im Geist (8,1-17)…………………………………205

TEIL III: HERRLICHKEIT (8,18-39) 12. Die große Auferstehung (8,18-25)…………………………227 13. Auf immer und ewig (8, 26-39)……………………………243

Register…………………………………………………………….257

Page 4:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

EINLEITUNGVon Udo W. Middelmann,

Francis A. Schaeffer Foundation

Diese Auslegung der ersten acht Kapitel des Briefes des Paulus an die Christen in Rom gehört zu den frühesten systematischen Studien von Dr. Francis A. Schaeffer. Sie ist hoch bedeutsam, finden sich doch in ihr die meisten der Kerngedanken und Einsichten, die grundlegend für das gesamte Wirken und die späteren Bücher von Francis Schaeffer sind. Aber vor allem hilft sie uns, die zeitlose Bedeutung des Wortes Gottes für jede neue Generation zu sehen.Die folgenden Kapitel entstanden aus dem persönlichen Ge-spräch von Schaeffer mit Studenten und der Diskussion der in unserer Zeit virulenten Ideen. In die Tiefe gehende Diskussionen dieser Art, in denen ehrliche Fragen, mochten sie auch noch so komplex sein, ehrliche, von Herzen kommende, in der ewigen Wahrheit des Wortes Gottes wurzelnde Antworten fanden, waren typisch für Schaeffers Methode. In diesem lebendigen Geben und Nehmen gewannen seine Einsichten und Ideen Gestalt.Die Bibelabende, aus denen dieses Buch erwuchs, fanden in den 196oer-Jahren in einer Studentenwohnung in Lausanne (Schweiz) statt. Schaeffer pflegte einmal in der Woche aus den Bergen in die Stadt zu kommen, um mit Studenten, die sich in dem Cafe Vieux Lausanne zum Mittagstisch trafen, zu diskutieren, nur ein paar Schritte von der im 12. Jahrhundert erbauten Kathedrale entfernt, wo um 1526 die französischen Reformatoren die katholische Kirche mit der biblischen Lehre konfrontiert hatten; in einer berühmt gewordenen Debatte hörten die Bürger von Lausanne sich beide Seiten an und stimmten sodann für die Reformatoren. Gleich neben der Kathedrale liegt die alte Akademie, die die Reformatoren später zum Sitz der Universität machten; sie war immer noch

Page 5:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

da, die Universität, als Schaeffer den Studenten im Vieux Lausanne die Antworten der Bibel auf ihre Fragen gab.Abends begab er sich dann in die Wohnung von Sandra Ehrlich und hielt seine Bibelstundenserie über den Römerbrief, bevor er zum Bahnhof eilte, um den letzten Zug und Bus zurück in die Berge zu erreichen. Harro, ein holländischer Student der Wirtschaftswissenschaft, und andere Studenten aus vielen Ländern waren zugegen an diesen Abenden. Auf den Tonbändern hört man, wie Harro für einen Schweizer Studenten übersetzt und oft selber Fragen stellt. Mario aus El Salvador, ein südafrikanisches Mädchen, ein italienischer Kunststudent, ein Tscheche, ein Amerikaner und meine Frau Deborah waren einige der anderen, die zwei Stunden pro Woche den Römerbrief Vers um Vers durchgingen. Schaeffer benutzte den Römerbrief immer als Sprungbrett zu den intellektuellen Grundfragen der Zeit des Paulus — und unserer Zeit; oft waren es die gleichen Fragen, die er vorher im Cafe mit Agnostikern und Atheisten diskutiert hatte. Denn was die großen existenziellen Fragen betrifft, gibt es nur wenige Unterschiede zwischen den alten Griechen und dem 20. Jahrhundert.Der Römerbrief beantwortet die Fragen, die Menschen zu allen Zeiten über ihr Woher und Wohin, das Problem eines guten Gottes in einer bösen Welt, den Sinn des Lebens und wahre Menschlichkeit gestellt haben. Systematisch geht er die Fragen an, die ein denkender Mensch in einer Welt wie der unseren hat und wo oft wohl die Probleme erkannt werden, die vorgeschlagenen Lösungen indes selten zum Kern vordringen.Schaeffer erwähnte, dass bis vor nicht allzu langer Zeit der Römerbrief auf dem Lehrplan juristischer Fakultäten in Amerika stand, um den Studenten die Kunst der Argumentation beizubringen. Eine Aussage wird systematisch und begründet vorgetragen, Gegenargumente eines nach dem anderen aufgenommen und widerlegt. Im Römerbrief geht es nicht um einen irrationalen »Sprung des Glaubens«, sondern um eine ausführliche, begründete Darlegung des zentralen Satzes: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.

Page 6:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: >Der Gerechte wird aus Glauben leben<« (Römer 1,16-17).Unter der Leitung und Inspiration des Geistes Gottes behandelt Paulus unsere Beziehung zu Gott und gibt echte Antworten auf echte Fragen. Was wir über das Universum, den Menschen, den Sinn des Lebens und Gut und Böse zu wissen meinen, bedarf der ständigen Erweiterung und Korrektur. Ohne die Korrektur und Wegweisung, die Gottes Wort uns gibt, werden wir auf allen zentralen Gebieten des Lebens nur Torheit ernten. Dies beginnt stets bei unserem Gottesbild.Schaeffer verstand den Römerbrief als eine in sich abgeschlossene Predigt des Paulus, ähnlich anderen Predigten, die er während seiner Missionstätigkeit hielt. Nach einer Einleitung folgt eine These, darauf die Begründung dieser These. Wir sehen dies in Apostelgeschichte 17, wo Paulus eine ähnliche Predigt in Athen nicht beenden konnte. Er verließ darauf die Stadt und begab sich nach Korinth, wo er den Römerbrief schrieb. In jeder Stadt, die Paulus besuchte, gab er einen Grundkurs über die Wahrheit.Der Römerbrief ist ein solcher Grundkurs, den Paulus einer Gemeinde schickte, die er nicht persönlich kennen gelernt hatte. Die Gemeinde in Rom war ganz ähnlich entstanden wie die in Antiochia auch: durch das Zeugnis von Gläubigen, die mit in Jerusalem gewesen waren, als sich am Pfingstfest 3000 Menschen auf einmal bekehrten (Apostelgeschichte 2). Der in Apostelgeschichte. 10 erwähnte Kornelius war durch das Gespräch mit Gläubigen gottesfürchtig geworden. In all diesen Fällen war die Gemeindegründung nicht das Ergebnis »professioneller« Verkündigung, sondern des Engagements ganz »gewöhnlicher« Christen.In einer wichtigen Hinsicht unterscheidet der Römerbrief sich von den übrigen neutestamentlichen Briefen. Kein anderer Brief gibt eine solch systematische Darlegung des Evangeliums. Alle anderen Briefe sind an Gemeinden bzw. Einzelpersonen gerichtet, die bei persönlichen Besuchen von Aposteln bereits Predigten gehört hatten; sie wenden sich an Christen, die bereits eine Unterweisung im Glauben bekommen haben, und sprechen ihre besonderen Probleme,

Page 7:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Bedürfnisse oder dubiosen Praktiken an.In Rom jedoch hatte noch niemand das ganze Evangelium gepredigt. Man kann den Römerbrief daher mit Fug und Recht als in sich geschlossene Darlegung dessen betrachten, was das Alte und Neue Testament über unsere Lage vor Gott und in der Welt zu sagen haben. Die gesamte Wahrheit wird bereits in Römer 1,16-17 zusammengefasst; der Rest des Briefes ist eine genauere Ausführung dieser beiden Verse: warum sie wahr sind, worin unser Dilemma besteht, was die Lösung ist und wie wir leben sollen. Paulus erklärt, dass es keinen Grund gibt, sich des christlichen Glaubens zu schämen, weder auf der intellektuellen Ebene noch in der praktischen Erfahrung eines Lebens mit Gott.Seit jenen Abenden in Lausanne haben Tausende von Studenten die »Römerbrief-Tonbänder« gehört. Mit scharf gespitzten Ohren (die Aufnahmequalität war miserabel) hörten sie zu, fasziniert von der Art, wie Dr. Schaeffer die Lehren des Paulus auf die großen Grundfragen der Menschheit anwandte. Schaeffer selber sollte bei seiner Auseinandersetzung mit der Wüste des modernen Lebens und Denkens noch oft auf den Römerbrief zurückkommen.Der vorliegende Text ist behutsam redigiert worden. Unnötige Wiederholungen sowie Fragen und Bemerkungen der Zuhörer sind entfallen, Stil und Inhalt wurden jedoch beibehalten. Schaeffer geht den Text Vers um Vers durch, dabei immer die Grundfragen unserer Generation im Auge behaltend. Wer fragt, wo Gott denn ist und ob er wahrhaftig und gut ist, der entdeckt in der Bibel einen Gott, dem die Sünden seiner Geschöpfe weh tun, aber der nicht verantwortlich für diese Sünden ist. Er entdeckt den Zorn Gottes über unsere Sünde und seine Barmherzigkeit, die uns in Christus Rechtfertigung, Erlösung und die kommende Wiederherstellung gibt. Die drei Personen der Trinität sind nicht theologische Konstrukte, sondern haben zutiefst Anteil am Prozess unserer Erlösung.Es ist interessant, mit welchem Nachdruck Schaeffer die Sünde des Menschen betont, die Gottes Zorn herausfordert. Doch mit keinem Wort deutet er an, dass diese Sündhaftigkeit unsere Menschlichkeit und Rationalität als Ebenbild Gottes zerstört. Gott ist nicht der Urheber des Bösen, und das Böse mindert nicht die Verantwortung des Menschen, Gott zu

Page 8:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

suchen und zu wählen. Schaeffer fällt nicht in die theologische Falle extremer reformierter Theologen, die behaupten, dass der Mensch durch seine Sünde jede Menschlichkeit verloren habe, womit sie ihn der Verantwortung zur Buße und Gottessuche entheben. Wie einst Paulus, ruft Schaeffer seine Mitmenschen auf, vor dem offenbarten Gott niederzuknien und das »vollbrachte Werk Christi« anzunehmen — zu ihrer Erlösung, für den Kampf gegen die Sünde in ihrem Christenleben und zur Hoffnung auf Auferstehung und Gerechtigkeit am Tag des Herrn.Der Mensch ist gefallen, aber er ist keine Null. Als Geschöpf nach Gottes Bild ist er unendlich wertvoll, doch hat der Sündenfall unser ganzes Wesen, einschließlich unseres Willens und Verstandes, zutiefst in Mitleidenschaft gezogen.Der Römerbrief zeigt uns kein esoterisches Mysterium, keine Scheinerlösung, sondern einen Gott, der für uns kämpft. Paulus weicht den schwierigen Fragen nicht aus, sondern beantwortet sie aus der Fülle des Wirkens Gottes in der Geschichte heraus. Er lädt seine Leser ein, nicht an einen verschwommenen Philosophengott zu glauben, sondern an den real existierenden Gott der Bibel, der uns in dem vollendeten Erlösungswerk Jesu Christi die Lösung unserer Schuldfrage anbietet — an den Gott, der gerecht ist und den Glaubenden gerecht spricht.

Page 9:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

1

Einleitung und Thema (1.1-17)

Der Römerbrief zerfällt in zwei deutliche Hauptabschnitte: die Kapitel 1-8 und 9-16. Die Christen haben viel darüber diskutiert, ob es eine Beziehung zwischen diesen beiden Teilen gibt. Man mag eine finden, aber das ist nicht der springende Punkt. Jeder der beiden Teile ist es wert, für sich studiert zu werden. Wir wollen uns hier nur mit dem ersten Teil beschäftigen, den Kapiteln 1-8.Mehrere biblische Bücher haben einen oder mehrere Verse, die das Thema des Buches angeben, und dies ist im Römerbrief besonders deutlich. Den Schlüssel zu den ersten acht Kapiteln finden wir in Kap. 1,16-17:

Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«

Page 10:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Halten wir diesen Schlüsselsatz im Hinterkopf fest und beginnen wir unser Studium des Römerbriefs, indem wir uns die einleitenden Bemerkungen des Paulus in Kap.1-15 anschauen.

Paulus, ein Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes … (1.1)

Paulus identifiziert sich als Diener (oder Sklave) Jesu Christi. Er sagt dies bewusst und wohl bedacht. Er schreibt ja an die Gemeinde in Rom, und in Rom kannte man sich mit Sklaven aus. Die Sklaverei war im Römerischen Reich legal. Die Welt verstand, was es hieß, ein Sklave zu sein, und Paulus beginnt also damit, dass er sich als Sklave Jesu Christi bezeichnet.Aber es gab einen großen Unterschied zwischen der Sklaverei im Römerreich und Paulus‘ Status als Sklave Christi. Im Römerischen Reich war man nicht Sklave, weil man das so wollte, sondern weil man musste. Um den Hals des Sklaven wurde ein schwerer Eisenring gelegt, den er unmöglich selber abnehmen konnte und der ihn als Sklaven auswies, solange er einer war.Paulus‘ Beziehung zu Jesus Christus war etwas völlig anderes. Er war nicht gezwungenermaßen Sklave, sondern er wollte einer sein. Er hielt den Sklavenring um seinen Hals gleichsam mit den Händen seines eigenen Willens fest. Diese Haltung müssen auch wir einnehmen, wenn wir für Gott fruchtbar sein wollen.Gerade so wie ein Sklave den Willen seines Herrn »wollen« muss, hängt unsere Nützlichkeit für Jesus davon ab, in welchem Maße wir den Willen Gottes wollen. Wir sind keine Roboter, sondern wir beschließen aus Liebe heraus, in die Stellung der gehorsamen Abhängigkeit zurückzukehren, zu der Gott uns geschaffen hat. Dies mag nicht jedem gefallen, aber für uns als Gottesgeschöpfe ist dieses »Sklavendasein« der einzige Ort, wo wir Freude erfahren und nützlich sein können.Paulus war ein Mensch. Es tat ihm genauso weh wie uns, für seinen Glauben geschlagen und eingesperrt zu werden. Es tat ihm genauso weh wie uns, den wilden Tieren vorgeworfen zu

Page 11:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

werden. Sein Schiffbruch war gerade so nass und windig und unangenehm, wie er es für uns gewesen wäre. Es war bestimmt nicht schön, auf seine eigene Hinrichtung zu warten. Und Paulus hätte all dem entgehen können, indem er schlicht aufgehört hätte, Christi Sklave zu sein. Der Ausdruck »ein Knecht Christi Jesu« ist also keine fromme Floskel, sondern führt zu einem Zentralthema des Briefes hin: dass wir, wenn wir Jesus als unseren Heiland angenommen haben, für ihn leben sollen.

... ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes, ... (1, 1.b)

Als Knecht Christi ist Paulus »ausgesondert«. Aussonderung (Trennung) bedeutet immer ein Zweifaches: Aussonderung von und Aussonderung zu. »Aussonderung von« ist leicht zu verstehen. Viele Dinge können uns von Gott fern halten, und wir können nicht zu Gott ausgesondert sein, wenn wir uns nicht von diesen Dingen trennen. Solche Trennung ist ein Mittel zum Zweck, und der Zweck ist, Gott zu gehören und den Heiden das Evangelium zu predigen. Paulus war von solchen normalen Annehmlichkeiten des Lebens wie der Ehe getrennt (1.Korinther 7,8). Das heißt nicht, dass jeder Christ zur Ehelosigkeit berufen ist, aber er sollte dazu bereit sein. Es wird auch nicht jeder für das Evangelium sterben müssen, aber jeder Christ sollte dazu bereit sein. Es kommt auf die Bereitschaft an.Paulus nennt sich einen Knecht »Christi Jesu«, aber dann spricht er von dem Evangelium »Gottes«. Das Evangelium bezieht sich auf alle drei Personen der Trinität. Es ist die Frohe Botschaft der Dreieinigkeit an eine verlorene und gefallene Welt. Jesus ist der Herr unserer Erlösung, aber das Evangelium ist die Frohe Botschaft der gesamten Gottheit, der Dreieinigkeit.

... das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der Heiligen Schrift, ... (1, 2)

Dieser Vers steht gleichsam in Klammern, aber es gibt keinen

Page 12:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Bruch im Gedankengang der ersten drei Verse, und der Vers 2 ist wichtig. Er drückt die Einheit des Alten und Neuen Testaments aus — ein Thema, das in der Bibel immer wieder betont wird. Paulus sagt, dass Gott das Evangelium »zuvor« in den heiligen Schriften verheißen hat. Wie weit gehen diese Verheißungen zurück? Römer 16,20 hilft uns auf die Sprünge: »Der Gott des Friedens aber wird den Satan unter eure Füße treten in Kürze« — ohne Zweifel eine Anspielung auf 1. Mose 3,15, wo es heißt, dass der »Nachkomme« der Frau den Kopf der Schlange »zertreten« wird. Jesus Christus ist dieser Nachkomme (vgl. 1.Mose 3, 15 mit 1.Mose 22,18 und Galater 3,16). Er hat den Kopf der Schlange zertreten, ja mehr noch: wir dürfen uns auf die Wiederkunft Christi freuen, wo auch wir den Satan unter unsere Füße treten werden. Das Evangelium reicht buchstäblich so weit zurück, wie wir sehen können. Keine 24 Stunden nach dem Sündenfall verhieß Gott bereits den Messias! Und auf dem Fundament des vollendeten Er-lösungswerkes Christi schaut das Evangelium nach vorne zu seiner Wiederkunft hin.Oft wird versucht, Altes und Neues Testament gegeneinander auszuspielen. Aber im gesamten Neuen Testament wird die Einheit mit dem Alten betont: in der Predigt Jesu, in der Apostelgeschichte, in den Briefen des Paulus und in allen anderen Briefen. Es gibt nicht zwei Botschaften, es gibt nur eine. Das Gottesvolk des Alten Bundes sehnte sich nach dem Messias, den das Neue Testament voll geoffenbart hat. Paulus, der wusste, dass es in Rom Juden- wie Heidenchristen gab, lag daran, sie zu erinnern, dass es nur eine Botschaft gibt.

... von seinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch, und nach dem Geist, der heiligt, eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten. (1, 3-4)

Paulus zeigt sowohl die menschliche wie die göttliche Seite der Inkarnation. Er glaubte an Christi Göttlichkeit, aber dass Christus wahrhaft Gott ist, ändert nichts daran, dass er auch wahrer Mensch und ein Nachkomme Davids war. Wieder denkt

Page 13:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Paulus wahrscheinlich an seine jüdischen Leser. Es ist äußerst wichtig, sie daran zu erinnern, dass Christus der Sohn Davids ist, denn das Alte Testament sagte ausdrücklich voraus, dass der Messias über Abraham und David kommen würde.

... aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch ... (1, 3b)

»Fleisch« bedeutet hier schlicht »menschlich«, und nicht »sündig«, wie später in 7,5.

Paulus erwähnt nicht, dass Christi Stammbaum über Davids Sohn Salomo verläuft. Gottes Verheißung an David war absolut:

Er würde der Vorfahre des Messias sein (2. Samuel 7,16). Auch Salomo wollte eine absolute Verheißung, aber Gottes Verheißung für ihn lautete: »Wenn du dich so und so verhältst, wird dein Haus bestehen bleiben« (vgl. 1.Könige 9,4 ff.) Aber Salomo verhielt sich nicht so, und seine Nachkommen auch nicht, und so ließ Gott ihn nicht an der ganzen Fülle der Verheißung teilhaben. Wenn man Jesu Stammbaum bei Matthäus auf Josef bezieht und den bei Lukas auf Maria, dann stammt Jesus auf beiden Seiten von David ab: auf Josefs Seite über Salomo (Matthäus 1,6), was ihn rechtmäßig mit David verbindet, aber in Bezug auf Maria und die Empfängnis durch den Heiligen Geist über einen anderen Sohn Davids, Nathan (Lukas 31). Sowohl die absolute Verheißung an David als auch die bedingte an Salomo wurden mithin bis ins Kleinste erfüllt. Menschlich also stammt Christus von David ab. Aber das Menschliche war nicht alles. Er wurde auch »eingesetzt [Menge: erwiesen] ... als Sohn Gottes in Kraft« (1,4 a). Es ist gesicherte Tatsache, dass Christus auch der Sohn Gottes ist. Warum? Wegen einer ganz besonderen »Kraft«. Um geglaubt werden zu können, muss Christi Gottheit demonstrierbar sein, und das, was mit absoluter Gewissheit zeigte, dass er Gott war, war seine »Auferstehung von den Toten« (1,4).

Page 14:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Bevor wir zur Auferstehung selber kommen, beachten wir, dass sie »nach dem Geist, der heiligt« geschah. Der »Geist, der heiligt« ist das Wirken des Heiligen Geistes bzw. der Heilige Geist selber. Das Neue Testament hat viel über die Beziehung Jesu Christi zur dritten Person der Dreieinigkeit zu sagen, eine Beziehung, die zu einem geheiligten Leben bei Christus führte. An anderer Stelle nennt Paulus Christus »gerechtfertigt im Geist« (1.Timotheus 3,16). Der Autor des Hebräerbriefes sagt, dass Christus »sich selbst als Opfer ohne Fehl durch den ewigen Geist Gottes dargebracht hat« (Hebräer 9,14) und dass er »in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht (hat), der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt« (Hebräer 5,7). Als wahrer Mensch auf Erden war Christus ganz dem Heiligen Geist hingegeben, und deswegen erhörte Gott ihn. Jesus wurde durch seine »Auferstehung von den Toten« als Sohn Gottes erwiesen (1, 4). Man könnte auch übersetzen: »Auferstehung der Toten« [Elberfelder Bibel: »Toten-Auferstehung«]. Was ist der Unterschied? »Auferstehung von« bezieht sich nur auf Christi eigene Auferstehung, während »Auferstehung der Toten« auch unsere künftige Auferstehung im Blick hat. Ob so oder so: Christi Gottheit ist klar erwiesen. Durch das Wunder seiner leiblichen Auferstehung von den Toten und durch die kommende Auferstehung der Christen ist er klar als Sohn Gottes eingesetzt.

Durch ihn haben wir empfangen Gnade und Apostelamt, in seinem Namen den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden, zu denen auch ihr gehört, die ihr berufen seid von Jesus Christus. (1, 5-6)

Paulus und seine Kollegen empfingen Gnade und Apostelamt zu einem ganz bestimmten Zweck: »in seinem Namen den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden«. Paulus ist nicht nur zu den Juden gesandt, sondern zu »allen Heiden« [Elberfelder Bibel: »Nationen«, Viebahn: »Völkern«). Damit leitet er zu 1,7 über, wo er sagt, dass er jetzt an die Christen in Rom, der Hauptstadt der ihm bekannten Welt,

Page 15:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

schreibt. Von sich selber und dem »wir« von 1,5 geht er jetzt zu den Adressaten seines Briefes über: »... zu denen auch ihr gehört, die ihr berufen seid von Jesus Christus«. Dies sind die Christen (Juden- wie Heidenchristen), die die Gemeinde in Rom bilden. Sie alle haben einen Platz unter denen, die Paulus mit dem Evangelium erreichen soll.

An alle ... in Rom ... (1,7a

Jetzt tritt uns die Gemeinde in Rom gegenüber. Wahrscheinlich war es eine Hauskirche, und gegründet hatten sie möglicherweise Laien und kein Apostel. Paulus war noch nicht in Rom gewesen, auch nicht (auch wenn die Römisch-katholische Tradition anderes behauptet) Petrus. Es ist undenkbar, dass, falls Petrus in Rom gewesen wäre, Paulus ihn nicht in seinem Brief erwähnt hätte. Aber die Gemeinde war da, eine vereinigte Kirche aus Juden- und Heidenchristen in der Welthauptstadt Rom. Und dies sollte uns nicht überraschen, wurde doch die Gemeinde in Antiochia (Syrien), die vielleicht größte der frühen Gemeinden und die Erste, die Missionare aussandte, ebenfalls von Laien gegründet (Apostelgeschichte 11,19 -2o). Die Annahme, dass in Rom vielleicht das Gleiche geschah, ist nur vernünftig. Man kann in Rom heute noch die Stätte sehen, wo das Haus von Priscilla und Aquila gestanden haben soll. Für mich ist dies das Ideal. So hätte die Kirche sich weiter entwickelt, wenn sie den Heiligen Geist hätte wirken lassen: Wo Christen hinkommen, verkündigen sie das Evangelium, und kleine Gemeinden entstehen.

An alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom: ... (1, 7a)

Hier in Rom also, in der Weltmetropole, sind Menschen, die in Gottes Augen »Heilige« sind. In dem Augenblick, wo wir Christus als unseren Heiland annehmen, sind wir in Gottes Augen heilig. Dies beruht zunächst einmal auf Jesu »passivem« Werk, d. h. seinem Gehorsam, als er die Strafe für unsere Sünden auf sich nahm. Aber es gründet sich auch auf seinen »aktiven« Gehorsam: dass er an unserer Stelle Gottes

Page 16:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Gesetz vollkommen gehalten hat. Christi Mittlerwerk für uns begann bei seiner Taufe, die sein öffentliches Wirken einläu-tete. Von dort an tat er alles, was er tat, nicht nur für sich selber, sondern für uns. Wenn wir ihn als unseren Heiland annehmen, bedeutet sein aktiver Gehorsam, dass wir eine unumstößliche Gerechtigkeit vor Gott haben. Wir sind gleichsam mit Christi Gerechtigkeit bekleidet. Durch das Werk, das er am Kreuz vollbracht hat, seinen Leidensgehorsam, ist unsere Schuld fort. Aber wir tragen auch, aufgrund seines aktiven Gehorsams, das Gewand seiner vollkommenen Gerechtigkeit — und so sind wir, gerade so wie die Christen in Rom, »Heilige«.

Auch die Christen in Ephesus und Philippi tituliert Paulus als Heilige (Epheser 5,3; Philipper 1,1). Der Abschnitt im Epheserbrief ist besonders interessant: »Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört«. Dies ist etwas ganz anderes als die traditionelle römisch-katholische Sicht, dass ein Heiliger etwas Besonderes ist.

Das Neue Testament lehrt uns, dass wir Heilige sind, sobald wir Christus als unseren Erlöser angenommen haben. Christus hat unsere Schuld weggenommen und uns mit seiner Vollkommenheit bekleidet. Wenn ein kleiner Junge den Mantel seines Vaters anzieht und über dem Kopf zuknöpft, sieht man nur noch den Mantel; so sieht auch Gott, wenn er uns anblickt, nur die Gerechtigkeit Christi, die uns bedeckt.Aber wenn man ein Heiliger ist, so Paulus, sollte man auch wie einer leben. »Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln« (Galater 5,25). Sei das, was du in Gottes Augen bist! Dies ist der genaue Gegensatz zu einer Erlösung durch unsere Werke. Alles hängt an dem vollbrachten Werk Jesu Christi. Unsere Berufung besteht darin, in Übereinstimmung mit dem zu leben, was wir in Gottes Augen bereits sind — und was wir an jenem historischen Tag, wo Christus wiederkommt, sein werden. Dies ist die große Lektion von Kapitel 6, in welchem Paulus die Heiligung erklärt; dort werden wir diese große Wahrheit genauer kennen lernen.

Page 17:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Zuerst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, dass man von eurem Glauben in aller Welt spricht. (1, 7b-8)

Die Nachricht von dem großen Glauben der kleinen Kirche in Rom hatte sich unter allen Christen verbreitet. Es muss eine große Ermutigung für sie gewesen sein, zu hören, dass es in Rom, der Hauptstadt der Welt, eine treue Gemeinde aus Juden- und Heidenchristen gab.

Denn Gott ist mein Zeuge, dem ich in meinem Geist diene am Evangelium von seinem Sohn, dass ich ohne Unterlass euer gedenke und allezeit in meinem Gebet flehe, ob sich's wohl einmal fügen möchte durch Gottes Willen, dass ich zu euch komme. (1, 9 - 10)

Wir finden drei Schritte in Paulus Gebet für die Gläubigen in Rom: Er dankt Gott für sie (1,8), er betet für sie (1,9), und er bittet darum, sie bald persönlich besuchen zu können (1,1o).

Denn mich verlangt danach, euch zu sehen, damit ich euch etwas mitteile an geistlicher Gabe, um euch zu stärken, das heißt, damit ich zusammen mit euch getröstet werde durch euren und meinen Glauben, den wir miteinander haben. (1. 11-12)

Paulus ist nicht auf Distanz zu den Menschen, denen er schreibt. Er sehnt sich danach, bei ihnen sein zu können. Sein Wunsch, sie zu »stärken«, ist parallel zu dem Wunsch des Lukas, dass sein Freund Theophilus »den sicheren Grund der Lehre«, in der er unterrichtet wurde, erfahren möge (Lukas 1,4). Paulus weiß, dass eine solche Reife eine herrliche Gemeinschaft zwischen ihm und den Christen in Rom bringen wird. Er erwartet ein gegenseitiges Gesegnet-Werden, und es ist wahr: Wo die Beziehung zwischen Christen in Ordnung ist, fließt der Segen in beide Richtungen.

Ich will euch aber nicht verschweigen, liebe Brüder, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu

Page 18:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

kommen — wurde aber bisher gehindert —, ... (1, 13a)

Paulus hatte schon länger den Wunsch, nach Rom zu kommen, aber bis jetzt kam immer wieder etwas dazwischen.

... damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter andern Heiden. (1, 13b)

Paulus möchte den Christen in Rom »geistliche Gaben« geben (1.11), und erwartet dafür eine Ernte geistlicher Frucht. Es sind zwei Arten, die gleiche Sache auszudrücken: Das Geschenk ist die Ursache, die Frucht die Wirkung.

Ich bin ein Schuldner der Griechen und der Nichtgriechen, der Weisen und der Nichtweisen; ... (1, 14)

Paulus sieht sich als Schuldner der Gebildeten und Ungebildeten, der Weisen und Nichtweisen. Dies ist eine ganz andere Mentalität als die der meisten Christen. Die meisten Christen denken, sie tun etwas Besonders, wenn sie anderen das Evangelium bringen. Paulus weiß darum, dass solch ein Zeugnis nichts Besonderes ist, denn er ist ein »Schuldner« 1.14) bzw. »Knecht« 1.1) des Evangeliums. Auch wir sollten es für unsere Schuldigkeit halten, jedem das Evangelium zu predigen. Wir können dieser Verpflichtung nicht ausweichen, uns nicht hinter Neutralität oder Bequemlichkeit verstecken. Und so beendet Paulus seine Einleitung mit den Worten:

... darum, so viel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen. (1. 15)

Er ist bereit, das Evangelium zu predigen, wo der Herr ihn auch hinführt und egal, was es kostet. Wir wissen, dass Paulus später in Rom ums Leben kam; er hat einen hohen Preis gezahlt für seinen Wunsch, dort das Evangelium zu verkündigen. Aber es gibt keinen anderen Weg, einer verlorenen und sterbenden Welt das Evangelium zu bringen. Wenn Sie Gott Ihr Leben geben, wird Sie das etwas kosten.»Paulus, ein Knecht ...« (1.1), »Ich bin ein Schuldner ...«

Page 19:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

(1,14). »...darum, so viel an mir liegt ...« (1.15). Dies ist kein Spiel.

Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: »Der Gerechte wird aus Glauben leben«. (1. 16-17)

Mit diesen Versen kommen wir zu dem ersten Hauptteil des Römerbriefs, den Kapiteln 1-8. Diese Kapitel sind praktisch eine Auslegung der Verse 1.16-17. Wir kommen nie über sie hinaus: 1.1-15 ist die Einleitung, 1.16-17 das Thema, 1.18 - 8,39 die Ausführung des Themas.Paulus »schämt sich« des Evangeliums nicht. Später sagt er: »Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden« (5,5). Er benutzt beide Male das gleiche griechische Wort, aber je mit einer etwas anderen Betonung.

Nachdem wir Christus als unseren Erlöser angenommen haben (Kap. 5), erleben wir eine Hoffnung, die uns nicht enttäuschen oder beschämen wird. Auch was das Evangelium als System betrifft haben wir keinen Grund uns intellektuell zu schämen. Paulus spricht nicht zu Hinterwäldlern, er steht mitten in der griechisch-römischen Welt mit ihrem hohen intellektuellen Niveau; aber er schämt sich dessen, wovon er gleich reden wird, nicht. Jesus hat uns aufgerufen, uns des intellektuellen Inhalts seiner Lehre nicht zu schämen (Lukas 9,26). Wie als Antwort darauf sagt Paulus hier: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht...«. Er schämte sich nicht, als er auf dem Mars-Hügel stand (Apostelgeschichte 17). Er schämte sich nicht, als er den religiösen Führern seiner Zeit gegenübertrat. Er schämte sich nicht, aus dem Gefängnis in Rom heraus zu predigen. So brauchen und sollten auch wir in unserer intellektuellen Umgebung uns nicht schämen. Es ist eine ernste Sache, sich Jesu und seiner Lehre zu schämen (Lukas 9,26). In seinem letzten Brief an Timotheus

Page 20:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

erinnert Paulus uns daran, dass wir uns auch nicht der Menschen schämen dürfen, die zu Jesus und seinem Wort stehen: »Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin ...« (2.Timotheus 1,8). Wir sollten uns stolz mit all denen identifizieren, die sich mit Christus identifizieren. Paulus zitiert das Beispiel des Onesiphorus, der ihn »oft erquickt« hat »und hat sich meiner Ketten nicht geschämt« (2.Timotheus 1,16). Paulus erzählt Timotheus von seinem Leiden für das Evangelium und fährt fort: »... aber ich schäme mich dessen nicht; denn ich weiß, an wen ich glaube, und bin gewiss, er kann mir bewahren, was mir anvertraut ist, bis an jenen Tag« (2.Timotheus 1,12). »Jener Tag« ist die Wiederkunft Christi. Solange wir leben oder bis Christus wiederkommt (2.Timotheus 4,1), sollten wir uns seiner nicht schämen, und das nicht nur, wenn alles glatt geht, sondern auch dann, wenn das Evangelium niedrig im Kurs steht. Und Christus wird uns nicht zuschanden werden lassen dabei. So war es jedenfalls bei Paulus, als er Timotheus aus dem Gefängnis schrieb. Wir sollten uns also nicht nur der Praxis des Evangeliums, sondern auch seiner Lehre und seines intellektuellen Inhalts nicht schämen.

Dies ist ein Imperativ, nicht ein bloßer Gedanke! Sich nicht schämen — das ist eine lebenslange Erfahrung.

... denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht ... [Schlachter: ... denn es ist Gottes Kraft zur Rettung ...] (1. 16 b)

Wir benutzen das Wort Erlösung [Rettung] oft so, als sei es parallel zu Rechtfertigung. Wir fragen z. B.: »Bist du erlöst?«, wenn die Frage genauer lauten sollte: »Bist du gerechtfertigt? Ist deine Schuld fort?« Es gibt durchaus biblische Gründe, »erlöst« in dieser Bedeutung zu gebrauchen, aber wenn Paulus genau sein will, benutzt er für diesen Gedanken das Wort Rechtfertigung. Wenn wir Christus als unseren Heiland annehmen, werden wir gerechtfertigt. Bei der Rechtfertigung geht es um ein juristisches Problem. Sie bedeutet, dass Gott aufgrund des vollbrachten Werkes Jesu Christi unsere Schuld

Page 21:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

für erloschen erklärt. Aber unsere Erlösung ist viel umfassender als unsere Errettung.Die Erlösung umfasst drei Zeiten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Römer 1-8 behandelt alle drei: Kap. 1- 4 behandelt den vergangenen Akt der Erlösung — unsere Rechtfertigung. Römer 5,1-8,17 behandelt den Gegenwartsaspekt — unsere Heiligung. Und in 8.18-39 geht es um die Zukunft der Erlösung, die kommende Herrlichkeit. All dies gehört auf der Grundlage dessen, was Christus vollbracht hat, zur Erlösung.

... denn es ist eine Kraft Gottes ... (1, 16 b)

Wörtlich aus dem Griechischen übersetzt, ist das Evangelium Gottes dynamis— das Dynamit, durch den er die gesamte Erlösung bewirkt: die Rechtfertigung, die unsere Schuld löscht, die Heiligung in unserem gegenwärtigen Leben und die Herrlichkeit, wenn Christus wiederkommt.

... eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. (1. 16c)

Die nächsten Worte des Paulus machen diesen Erlösungsbegriff sehr weit und sehr eng. Es ist sehr weit: »... alle ... die Juden zuerst und ebenso die Griechen.« Die Juden hatten die Erlösung nur auf sich selber bezogen. Paulus betont, dass dem nicht so ist; die Erlösung gilt auch den Heiden. Aber wir könnten es genauso gut umgekehrt ausdrücken: dass die Erlösung nicht nur den Heiden, sondern auch den Juden gilt. Der Kreis ist völlig offen. Die Erlösungstür ist offen für Menschen aller Hautfarben und jeder Nationalität. Der Kreis der Erlösung ist so groß, wie man es sich nur vorstellen kann; die gesamte Weltbevölkerung, alle Menschen aller Zeiten, gehört dazu. Die Erlösung ist universal, sie gilt jedem. In 1,14 sprach Paulus von den Griechen und den Nichtgriechen, d.h: von den Gebildeten und Ungebildeten. Der Kreis der Erlösung ist so groß wie wir, er umfasst die ganze Welt. Jeder verlorene Mensch, auf den wir stoßen, gehört in ihn hinein.

Page 22:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Paulus sagt, dass das Evangelium zuerst den Juden gilt, und er selber predigte, wie wir aus der Apostelgeschichte wissen, stets zuerst in den Synagogen, um sich dann, wenn diese ihn ablehnten, zu den Heiden zu wenden. Heute kümmern die Christen sich ja oft nicht mehr um die Juden. Auch wenn wir nicht wie Paulus zuerst zu ihnen gehen — an die letzte Stelle schieben oder ganz ignorieren sollten wir sie sicher nicht.Der Kreis der Erlösung ist groß, aber auch sehr klein. Es gibt eine klare Begrenzung: »... alle, die daran glauben«. Der Kreis umfasst die ganze Welt, aber nur insofern sie glaubt. Jeder Mensch steht vor der Wahl, das Evangelium anzunehmen oder abzulehnen.Das Evangelium ist die Kraft Gottes zur völligen Erlösung für alle, die glauben, dass der aktive und passive Gehorsam Christi ihnen gilt; aber sie ist begrenzt auf diese Glaubenden.

Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.« (1, 17)

Hier sehen wir, dass zur Erlösung mehr gehört als nur die Rechtfertigung. Wir sind durch den Glauben gerechtfertigt, aber jetzt sollen wir auch aus diesem Glauben leben — nicht nur, was unser Geld betrifft, sondern auf allen Lebensgebieten. Martin Luther predigte die Rechtfertigung allein durch den Glauben, und dies lehrt natürlich die ganze Bibel und ist in dem, was Paulus hier sagt, enthalten. Aber Paulus geht weiter: Nachdem wir durch den Glauben gerechtfertigt sind, müssen wir in diesem Glauben leben. Dies ist der zweite Aspekt der Erlösung, unsere Heiligung, die Paulus in 5,1- 8,17 erklären wird.»Der Gerechte wird aus Glauben leben« ist ein Zitat aus Habakuk 2,4 und kommt im Neuen Testament noch zweimal vor (Galater 3, 11; Hebräer 10,38). Wie wir schon bei 1,2 bemerkten, besteht zwischen Altem und Neuem Testament eine Einheit in der Botschaft. Es gibt in der Bibel keine zwei Religionen, keine zwei Heilswege, sondern nur einen. Habakuk sagt: »Siehe, der Aufgeblasene, — unaufrichtig ist seine Seele in ihm; aber der Gerechte wird durch seinen Glauben leben«

Page 23:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

(Habakuk 2, 4 [Schlachter]). Er stellt dem Menschen, der sich etwas auf seine guten Werke einbildet, den gegenüber, der »durch seinen Glauben lebt«. Paulus tut das Gleiche. Es geht dabei nicht nur darum, dass man durch den Glauben und nicht durch moralische oder religiöse Leistungen Christ wird, sondern auch um den Gegenwartsaspekt der Erlösung. Der Mensch, der darauf wartet, durch seine eigene Gerechtigkeit erlöst zu werden, wird warten, bis er schwarz wird. Und genauso wird es, wenn wir durch unsere eigenen stolzen Bemühungen geistlich wachsen wollen, kein Wachstum geben.»Der Gerechte wird aus Glauben leben. « Beginnend mit 4,17 und besonders ab Kapitel 5 werden Leben und Tod zu Schlüsselwörtern. Immer wieder kontrastiert Paulus dort das Tot-sein mit dem Lebendig-sein. Aber schon in diesen Eingangsversen steht dieser Kontrast im Zentrum. Wir haben bereits den Satz »durch die Auferstehung von den Toten« gesehen (1,4). Wenn wir dort die Lesart »Auferstehung der Toten« wählen, dann denkt Paulus schon hier an die ganze Fülle unserer Erlösung, an das volle Leben, das in Jesus Christus unser ist. Jetzt, in der Gegenwart, sollen wir »aus Glauben leben«. In Kap.5-6 wird Paulus dies zu einem Ruf in die ganze Fülle des Lebens auf der Grundlage des Blutes Christi entfalten. Es geht nicht nur um unsere Rechtfertigung, es geht um viel mehr.

Page 24:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

TEIL I

Rechtfertigung(Kap. 1,18 - 4,25)

Page 25:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

2

Der Mensch ohne die Bibel: schuldig(1.18 - 2,16)

Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Wesen und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. (1.18)

Wenn Paulus das Evangelium Gottes Kraft zur Erlösung nennt (1, 16), fragt der Unerlöste natürlich: »Warum muss ich erlöst werden«? Luther hat darauf hingewiesen, dass zu dem Evangelium auch das Gesetz gehört: Es ist sinnlos, den Menschen zu sagen, dass sie Erlösung brauchen (das Evangelium), solange sie nicht ihre Erlösungsbedürftigkeit einsehen (und die zeigt ihnen das Gesetz). Das Alte wie das Neue Testament sind in ihrer Betonung der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen einzigartig unter den Religionen. Die anderen Religionen betonen, dass man einen Führer oder sonstige Hilfen braucht, die einem zeigen, wie man recht lebt und stirbt, aber nicht, dass wir von unserer Schuld erlöst werden müssen. Unser Problem ist nicht metaphysisch, sondern moralisch.In 1.18 beginnt Paulus zu erklären, warum alle Menschen einen Erlöser brauchen. Er erklärt zunächst die Erlösungsbedürftigkeit der Heiden (1.18 - 2.16), dann die der

Page 26:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Juden (2.17 - 3.8), schließlich die der ganzen Menschheit (3.9 - 20). Ich drücke es gerne so aus: Paulus spricht zuerst zu dem Menschen, der nicht die Bibel hat, und dann zu dem, der sie hat. Das war damals ja der Hauptunterschied zwischen Juden und Heiden, und diese beiden Kategorien werden uns helfen, das, was Paulus sagt, auf unsere Welt heute anzuwenden. Warum brauchen alle Menschen einen Erlöser?

Dem Heiden (dem Menschen ohne Bibel), der fragt, warum er Erlösung braucht, antwortet Paulus sehr bestimmt (V. 18): weil »Gottes Zorn ... vom Himmel her offenbart (wird) über alles gottlose Wesen und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten.« Ich brauche die Erlösung, weil ich unter Gottes Zorn stehe. Wir brauchen keinen religiösen Guru oder das leuchtende Vorbild eines Märtyrers, wir brauchen einen richtigen Erlöser, weil wir unter Gottes sehr realem Zorn stehen. Mit dem Zorn Gottes bringt Paulus das erste Schlüsselwort des christlichen Vokabulars ins Spiel: Schuld. Er behandelt unsere Schuld in 1,18 -3,20, danach (3,21- 4,25) behandelt er den zweiten christlichen Schlüsselbegriff: Stellvertretung, d. h. Christi stellvertretenden Sühnetod für unsere Sünden. Menschen aus anderen Religionen haben keinerlei Bild davon, was diese beiden Worte für den Christen bedeuten.Wir brauchen Erlösung, weil wir unter dem Zorn Gottes sind. Wir brauchen eine wirkliche Erlösung, weil wir schuldig sind. Dieser Zorn Gottes wird sich in dem Gericht bei Jesu Wiederkunft entladen (2,5). Die Wiederkunft Christi ist das Schlüsselereignis der Zukunft, so wie die Kreuzigung das der Vergangenheit ist. Diese doppelte Blickrichtung findet sich auch im Abendmahl, das Erinnerung an Christi Kreuzestod und Vorfreude auf den Tag seiner Wiederkunft ist.Der unerlöste Mensch ohne Bibel stellt noch eine andere Frage. Sie ist in jeder Generation gestellt worden, wenn auch vielleicht nie lauter als heute: »Wenn Gott mich geschaffen hat, warum bin ich dann jetzt unter seinem Zorn? Wenn er mich so gemacht hat, wie ich bin, wie kann er mich dann für schuldig erklären? Ist das nicht ungerecht? Wo kommt das Böse her? Gott ist ungerecht, wenn er uns erst erschafft und dann zur Verantwortung ziehen will.« Was uns geradewegs

Page 27:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

zum biblischen Bericht über den Sündenfall zurückführt. Wenn wir den Sündenfall als historisches Ereignis streichen, hängt die christliche Botschaft frei in der Luft. Ohne diese Antwort zum Ursprung des Bösen ist der Römerbrief, ja ist der Tod Christi sinnlos. Also: Warum sind wir unter Gottes Zorn, wenn er uns doch so gemacht hat, wie wir sind? Wenn er uns alle 1,20 Meter groß geschaffen hätte, würde er es uns dann vorwerfen, dass wir keine 1,8o Meter groß sind?

Paulus beantwortet diese Frage:

Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. (1,19)

Was man über Gott wissen kann, liegt klar auf der Hand, selbst für die Menschen ohne Bibel, denn Gott hat es ihnen gezeigt! Erstens durch ihr Gewissen; wie Paulus später erklärt: »Sie beweisen damit, dass in ihr Herz geschrieben ist, was das Gesetz fordert, zumal ihr Gewissen es ihnen bezeugt, dazu auch die Gedanken, die einander anklagen oder auch entschuldigen« (2,15). Jeder hat ein Gewissen. Paulus wird später noch über den Sündenfall Adams und Evas sprechen, aber hier beginnt er mit dem ganz normalen nichtchristlichen und nichtjüdischen Leser, dem verlorenen Durchschnittsbürger sozusagen. Der Einzelne ist ihm wichtig, ob er in der Welt des alten Rom vor ihm steht oder im 20. Jahrhundert seine Worte liest, und er sagt diesem Einzelnen: »Du fragst, warum du unter Gottes Zorn stehst? Schau dich an! Hast du kein Gewissen? Weißt du nicht ganz genau, dass du nicht so bist, wie du sein solltest«? Paulus lässt sich nicht auf endlose Diskussionen ein; er bleibt auf der Ebene des Ein-zelnen, der zählt.Er sagt dem heidnischen Ungläubigen: »Auch wenn du nie eine Bibel gesehen hast, hast du doch ein Gewissen und weißt, dass du gegen es gehandelt hast. Du bist keine Maschine, kein Roboter, kein Tier. Du kannst dich nicht mit der Tierpsychologie herausreden. Du weißt, dass du ein Gewissen hast und dass du es verletzt hast«.

Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige

Page 28:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, so dass sie keine Entschuldigung haben. (1,2o)

Nicht nur hat der Ungläubige ein Gewissen, er kann auch erkennen, dass es einen Gott gibt, indem er schlicht die Wunder der Schöpfung betrachtet, von denen er umgeben ist. Er lebt nicht in einer finsteren Höhle, er sieht die Schöpfung — und fragt sich bestimmt, wer das allesgemacht hat. Aber die Menschen glauben lieber die gigantische Lüge, dass sie eigentlich nichts sind, als dass sie an die Realität Gottes glauben. Die Bibel betont immer wieder, dass die Schöpfung Gott bezeugt. Auch wer keine Bibel hat, kann allein aus der Schöpfung ersehen, dass es einen Gott gibt. Wie der Psalmist sagt: »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. Ein Tag sagt's dem andern, und eine Nacht tut‘s kund der andern« (Psalm 19,2 -3). Tut's kund ... Paulus zeigt, dass die Schöpfung dem vernunftbegabten Menschen ein Wissen über Gott offenbart. Auch der gegen Gott rebellierende Mensch kann seiner Rationalität nicht entkommen. »Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre« (Psalm 19,4 [Luther 1912]). Eine Stimme ist überall, wo Menschen leben, mit oder ohne Bibel, zu hören: die Stimme der Schöpfung. Und die Schöpfung spricht nicht zu Pflanzen und Steinen, Tieren oder Maschinen, sondern zu dem vernunftbegabten Geschöpf, das bei all seiner Vernunft gegen seinen Schöpfer rebelliert.»Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre« — der Satz ist wie ein schweres Gewicht, gegen das es kein Ankommen gibt.In Römer 10.18 zitiert Paulus erneut aus diesem Psalm, und in Lystra argumentiert er ähnlich: »... und doch hat er sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat viel Gutes getan und euch vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, hat euch ernährt und eure Herzen mit Freude erfüllt« (Apostelgeschichte 14,17). Hier hebt er nicht so sehr auf die Schöpfung als vergangenes Ereignis ab, sondern auf Gottes Schöpferfürsorge heute. Ähnlich erwähnt Jesus, dass Gott es über Gerechte und Ungerechte regnen lässt (Matthäus 5,45). Paulus hält den Ungläubigen nicht nur das Zeugnis der

Page 29:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

historischen Schöpfung vor, sondern auch das der existenten Schöpfung, die ihnen heute Sonne, Regen und Tau gibt. Oft versuchen Christen, die Existenz Gottes intellektuell zu untermauern, indem sie z. B. argumentieren, dass es eine erste Ursache geben muss. Dergleichen hat seinen Wert, aber die Wahrheit ist viel tiefer. Unsere Welt hat nicht nur eine erste Ursache gehabt, sondern wir sind von den guten Gaben Gottes umgeben. Er stillt all unsere Bedürfnisse, und dies allein sollte uns reichlich Beweis für seine Existenz sein.Paulus macht deutlich, dass auch der gefallene Mensch noch ein moralisches, rationales Wesen ist. Er ist nicht entmenschlicht, er hat noch ein Gewissen (1.19) und kann das Wunder der Schöpfung um sich herum wahrnehmen (1.20). Er ist keine Maschine geworden, auch wenn er sich vielleicht lieber als Maschine sieht als dass er den Schöpfer anerkennt. In einem Buch über den Maler Vincent van Gogh heißt es, dass von seiner Ankunft in Paris bis zu seinem Selbstmord seine Selbstbildnisse immer weniger menschlich wurden. Aber der Sündenfall hat weder van Gogh noch sonst jemandem seine Menschlichkeit genommen. Jeder Mensch ist immer noch Träger des Bildes Gottes, und wir können ihm das Evangelium bringen. Er ist immer noch eine Person, wie sehr er sich auch entmenschlichen mag. Hätte der Sündenfall die Menschen zu bloßen Maschinen gemacht, sie wären nicht vor Gott schuldig. Aber ob in diesem Leben oder in der Hölle, der Mensch bleibt ein vernunft- und moralbegabtes Wesen; nie wird er zur Maschine.Staunend stehen wir vor den wunderbaren Dingen, die selbst der gefallene Mensch noch tun kann — in Kunst und Technik und Kreativität. Aber gerade weil er immer noch menschlich und rational ist, steht er unter Gottes Zorn. Er könnte eine Schlussfolgerung aus der Welt um ihn herum ziehen — und tut es nicht. Darin liegt das Verdammungsurteil. Er steht nicht einfach unter Gottes Missfallen, es ist nicht bloß eine Nebelwand zwischen ihm und Gott; er steht unter Gottes Zorn, weil er schuldig ist. Die gängige Vorstellung des 20. Jahrhun-derts ist ja, dass die Menschen von Gott (so es denn einen gibt) entfremdet sind. Paulus sieht es anders: Weil die Menschen schuldig sind, hält Gott sie unter seinem Zorn. Was der Mensch daher braucht, ist ein Erlöser.

Page 30:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

In großer Ausführlichkeit (von 1.18 bis 3.20) erklärt Paulus erst den Griechen und Römern, dann den Juden und schließlich den Menschen allgemein, dass sie unter Gottes Zorn sind und Erlösung brauchen; danach sagt er in einigen wenigen Versen, wie sie diese Erlösung bekommen (3.21-3o). Wenn ein Mensch erst einmal begriffen hat, dass er einen Heiland braucht, braucht es nicht mehr viel, um ihm zu erklären, dass es einen Heiland gibt. Das Problem des gefalle-nen Menschen, der sich als Nabel seines kleinen Universums wähnt, ist, einzusehen, dass er einen Erlöser braucht. Er ist gerne bereit, zuzugeben, dass er einen Führer oder Guru braucht, dass er Hilfe und die richtige Technik braucht. Paulus will, dass er einsieht, dass er einen Heiland braucht.

Denn obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. (1,21)

Der Mensch ohne Bibel fragt jetzt vielleicht: »Wenn das so ist, warum sitzen wir dann so in der Patsche? Was ist da passiert«? Von 1.21 bis 1, 31 erklärt Paulus, was passiert ist. Er wird später noch genauer auf den Sündenfall Adams und .Evas zu sprechen kommen (5,12-21), aber er hat ihn schon jetzt im Visier — und mit ihm die vielen kleinen »Sündenfälle« im Leben der Menschen aller Zeiten.Man kann das Thema »Sündenfall« unter drei Perspektiven angehen. Erstens gab es den Sündenfall zu Beginn der Menschheitsgeschichte, der die letztliche Erklärung dafür ist, warum so viele Menschen nicht den wahren Gott kennen. Zweitens finden wir den Sündenfall in der Völkergeschichte: ganze Nationen, die die Wahrheit kennen und sich dann von ihr abwenden. Wenn Sie vor 6o Jahren auf dem Trafalgar Square in London tausend Leute gefragt hätten, was das Evangelium ist, hätten die meisten ihnen Auskunft geben kön-nen. Sie hatten das Evangelium vielleicht nicht persönlich angenommen, aber sie wussten, was es ist. Heute werden Sie nur noch wenige Menschen finden, die Ihre Frage beantworten können. Das christliche Allgemeinwissen ist rapide zurückgegangen; wir leben heute in einer nachchristlichen

Page 31:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Generation.Drittens können auch einzelne Menschen diese Entwicklung durchmachen — erst die Wahrheit kennen und sich dann bewusst von ihr abwenden. Ich staune immer wieder, wie viele berühmte Leute, die das Evangelium ablehnen, aus Pastoren- oder Missionarsfamilien kommen.Der Einzelne kann sich also von der Wahrheit abwenden. Ganze Kulturen können abfallen. Und ganz am Anfang war der Ursündenfall. Paulus denkt hier an alle drei.Warum sitzen wir also in der Patsche? Was ist passiert? Paulus beginnt seine Antwort, indem er von einer Zeit spricht, wo die Menschen »von Gott wussten«. So war es natürlich im Garten Eden. Adam und Eva kannten Gott und hatten Gemeinschaft mit ihm. Ähnlich gab es eine Zeit, wo unsere europäische und amerikanische Kultur Gott kannte. Und viele Ungläubige hatten als Kinder einiges über Gott erfahren. Paulus zeigt also dem Menschen ohne Bibel, der fragt, warum er unter Gottes Zorn steht, zunächst einmal, dass entweder er selber oder jemand in seiner Vergangenheit von Gott wusste. Die Ungläubigen sind nicht ein Haufen Würfel, die über die Welt verstreut sind, sondern sie alle kommen von jemandem her, der Gott kannte und ihm dann den Rücken kehrte — und wenn es Adam persönlich war. Am Anfang ist nicht das Nichtwissen. Am Ende vielleicht schon, aber nicht am Anfang. Am Anfang waren Männer und Frauen, die von Gott wussten.

Denn obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt ... (1.21a)

Aber diese Menschen, die Gott kannten — Adam und Eva oder spätere Vorfahren von uns oder wir selber —, beschlossen, ihm nicht die Ehre zu geben und ihm nicht zu danken. Die Popularität nichtchristlicher Philosophien beruht nicht auf ihrer intellektuellen Attraktivität, sondern auf der Rebellion der Menschen gegen Gott. Erst lehnen sie sich gegen ihn auf — und anschließend suchen sie sich in den Mysterien oder Verheißungen anderer Religionen eine Begründung für ihre Rebellion.

Page 32:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

... sondern sind dem Nichtigen [Schlachter: in eitlen Wahn] verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. (1.21b)

Als die Menschen Gott die Ehre und den Dank verweigerten, verfielen ihre Herzen und Gedanken in Finsternis und nichtige Eitelkeit. Dies ist nicht die Eitelkeit eines Mädchens, das sich zwei Stunden lang vor dem Spiegel kämmt; es ist die Eitelkeit des Geschöpfes, das selber Schöpfer und Mittelpunkt des Universums sein möchte. Diese Eitelkeit macht die Menschen zu »Narren« (1.22), die weder sich selber noch das Universum, in dem sie leben, verstehen. Das ist der Grund, warum sich im 20. Jahrhundert so viele Menschen mit Maschinen zu verwechseln scheinen. Sie halten sich wohl für klug (1,22), d. h. für das Zentrum der Dinge, aber dies ist nicht die echte Klugheit des Wissenschaftlers oder das Können des Künstlers, sondern die Eitelkeit des Narren, der an der falschen Stelle gelandet ist.Der Psalmist sagt: »Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott« (Psalm 14,1). Dies ist gleich in zweierlei Hinsicht wahr: Nur ein Narr sagt, dass es keinen Gott gibt, und wer es doch sagt, der wird erst recht zum Narren. Der Sündenfall war kein kleines Missgeschick; das Elend der Menschen kommt daher, dass sie bewusst gegen Gott rebelliert haben und so zu völligen Narren geworden sind.Doch wir lesen in den Psalmen auch, was geschieht, wenn Menschen zu Gott zurückkehren: »Es werden gedenken und sich zum Herrn bekehren aller Welt Enden und vor ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden. ... Er wird Nachkommen haben, die ihm dienen; vom Herrn wird man verkündigen Kind und Kindeskind. Sie werden kommen und seine Gerechtigkeit predigen dem Volk, das geboren wird« (Psalm 22, 28.31-32). Die zu Gott zurückgekehrten Menschen sind keine Narren mehr; sie sind Gottes Menschheit, sie wer-den wieder zu dem, wozu Gott den Menschen ursprünglich schuf.Das gleiche Thema berührt Paulus in Epheser 4,17-18: »So sage ich nun und bezeuge in dem Herrn, dass ihr nicht mehr leben dürft, wie die Heiden leben in der Nichtigkeit ihres Sinnes. Ihr Verstand ist verfinstert, und sie sind entfremdet

Page 33:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

dem Leben, das aus Gott ist, durch die Unwissenheit, die in ihnen ist, und durch die Verstockung ihres Herzens«. Wenn wir Christus als unseren Erlöser annehmen, kehren wir zu Gott zurück. Und hier wendet Paulus sich den Christen zu und sagt: »Schaut her, ihr wart in dieser Nichtigkeit« (das gleiche Wort wie in Römer 1,21), »aber jetzt seid ihr der erlöste Teil der Menschheit geworden, die Menschen, die zu dem zurückkehren, wozu sie erschaffen wurden. Lebt darum nicht auf die nichtige Art, fallt nicht zurück in die Perspektive der Welt. Macht euch nicht erneut zum Nabel der Welt, sondern lasst in eurem Denken und Leben Gott in der Mitte seines Universums sein und findet von ihm her euren Lebenssinn«. Durch das vollbrachte Erlösungswerk Christi seid ihr Gottes »Nachkommen« geworden, und nicht mehr »Narren«, die nichts über Gott, die Welt und ihre Bestimmung wissen.Als von der sinnlosen Rebellion gegen Gott Errettete haben wir eine Botschaft für die, die noch rebellieren: »Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottesist stärker, als die Menschen sind« 1.Korinther 1.21-25). Die Menschenwussten von dem wahren und lebendigen Gott, aber sie wandten sich entschlossen von ihm ab und verfielen der Nichtigkeit, bis hin zu dem Punkt, wo sie bereit waren, sich lieber als Tiere, als Maschinen, als Nullen zu betrachten als den Schöpfer anzuerkennen und ihm zu danken und ihn zu ehren.Wie erreichen wir diese verlorene Welt? Paulus warnt uns, dass sie in ihrer Eitelkeit unsere Botschaft für dumm erklären wird — und fordert uns auf, ihnen gerade diese »Torheit« zu bringen. Wir müssen mitten in die heutige Welt hineintreten, mit all ihrem Druck, mit dem vollen Gewicht ihres Widerstands gegen den christlichen Glauben, und ihr das Evangelium

Page 34:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

verkündigen. Es gibt Wahrheit im Universum. Der Mensch hat sie verworfen, aber er hat nach wie vor Verstand, Moral und ein Gewissen. Wir müssen ihm die gleiche Botschaft bringen, die Paulus in den ersten acht Kapiteln des Römerbriefes bringt. Mag sie auch einer Welt, die an die Sinnlosigkeit glaubt, töricht erscheinen, Gott wird sie benutzen, um einige aus dieser Welt anzusprechen. Wir müssen der Welt das Evangelium bringen.Manchmal kann es einem schon verrückt erscheinen, einer Menschheit, die nichts von Gott wissen will, dieses Evangelium zu bringen. Die Schwierigkeit und Größe der Aufgabe kann uns überwältigen. Doch Gott hat uns nur Dreierlei aufgetragen, und dann ist unsere Aufgabe erfüllt. Erstens: das Evangelium so klar wie möglich zu predigen und alle Fragen so deutlich wie möglich zu beantworten, um die Wahrheit über das Universum, den Menschen und unser Dilemma weiterzugeben. Zweitens: für jeden Einzelnen, der das Evangelium hört, zu beten. Und drittens: durch Gottes Gnade und den Glauben an das vollbrachte Werk Christi ein Leben zu führen, das, wie armselig auch immer, das Evangelium, das wir gepredigt haben, unterstreicht. Wenn wir diese drei Dinge in Barmherzigkeit getan haben, inmitten dieser Welt, die so fern von Gott, so finster und nichtig ist, werden hier und da Türen aufgehen.

Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden ... (1.22)

In ihrer Abkehr von Gott, die sie sich selber und die Welt nicht mehr verstehen lässt, sind die Menschen absolute Narren geworden. Sie versuchen, in einer Welt zu leben, die es so gar nicht gibt — ohne Gott, ohne Menschen, und das ist die totale Torheit. Die Bibel beschreibt die ganze Finsternis der Welt, die der gefallene Mensch bewusst gewählt hat. Dies ist, was Adam einst tat: das Leben verlassen und den Tod wählen. Es ist die Welt, die in den letzten Generationen der nordeuropäischen und amerikanischen Zivilisation unsere Vor-väter gewählt haben. Es ist die Finsternis einer Welt, die der Mensch nicht versteht.Im 5.Buch Mose spricht Mose davon, wie Gottes Volk sich Got-

Page 35:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

tes Weisheit bewahren kann in einer Welt, die Gott verworfen hat und töricht geworden ist. Er ruft die Israeliten auf, Gottes Gebote zu halten. »Denn dadurch werdet ihr als weise und verständig gelten bei allen Völkern ...« (5.Mose 4,6). Mehrere Jahrhunderte danach spricht Jeremia so zu einem Israel, das Gottes Gesetz verlassen hat: »Die Weisen müssen zuschanden, erschreckt und gefangen werden; denn was können sie Weises lehren, wenn sie des Herrn Wort ver-werfen«? Jeremia 8,9).Was können wir »Weises lehren«, wenn wir Gottes Offenbarung verwerfen? Was wissen wir denn? Was ist die Basis, um etwas wissen zu können? Es ist hochinteressant, dass die Frage nach dem Wissen solch eine Schlüsselrolle in der modernen Philosophie spielt. Nachdem sie Gottes Offenbarung abgelehnt haben, grübeln die modernen Philosophen über die Epistemologie nach, die Wissenschaft von den Grundlagen des Wissens. Und hier fragt uns Gott in der Bibel: »Was für eine epistemologische Basis habt ihr noch, wenn ihr mein Wort ablehnt«?

... und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere. (1.23)

Auf dem Wort »Bild« liegt hier eine tiefe Betonung. Die nach dem Bilde Gottes 1.Mose 1,26-27) geschaffenen Menschen drehen in ihrer Auflehnung die Richtung um und schaffen sich Gott nach ihrem Bild! Sie sind nach Gottes Bild geschaffen — Wesen, die vernunftbegabt, moralisch, von Bedeutung sind. Aber weil sie mehr als Geschöpfe sein wollen, müssen sie Gott nach ihrem Bild schaffen.Die heutigen Gelehrten bilden sich etwas darauf ein, heraus-gefunden zu haben, dass die Menschen sich ihren eigenen Gott schaffen. Aber Paulus wusste das bereits im 1. Jahrhundert! Es ist das gleiche Grundproblem wie damals: Entweder Gott existiert und hat den Menschen nach seinem Bild geschaffen, oder der Mensch ist aus dem Urnebel herausgetreten und hat sich einen Gott nach seinem Bilde geschaffen. Die Bibel sagt, dass Gott zuerst da war — der

Page 36:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

unendliche, persönliche Gott mit all seinen wunderbaren Eigenschaften und dass der Mensch dies bewusst umgedreht und Gott zum vergänglichen Bild der Menschen oder Vögel oder Tiere gemacht hat. Er tauschte das Unendliche gegen das Endliche ein, Reichtum und Wahrheit gegen Armut, Elend und Unwissenheit.Man beachte, dass Paulus hier dem Menschen antwortet, der wissen will, warum er in diesem Elend sitzt. Der Grund ist, dass der Mensch die Wahrheit kannte, aber sich entschlossen von ihr abwandte. Er wollte lieber in seiner Unwissenheit im Zentrum des Universums stehen als die Antwort zu haben und zuzugeben, dass Gott der Schöpfer und er selber nur das Geschöpf ist.Paulus hatte damals im 1. Jahrhundert dieselbe Antwort, die wir auch heute geben müssen. Die Grundfragen und die Antworten, sie sind dieselben.

Darum hat Gott sie in den Begierden ihrer Herzen dahingegeben in die Unreinheit, so dass ihre Leiber durch sie selbst geschändet werden, ... (1, 24)

Man beachte die logische Reihenfolge: Der Mensch braucht die Erlösung, weil er unter dem Zorn Gottes ist (1,18). Er ist unter dem Zorn Gottes, weil er trotz seines Gewissens und all der Schöpfungswunder Gottes bewusst die Sünde wählt und sich von Gott abkehrt (1, 19-23). Unsere Lage ist also nicht die Folge eines Fehlers, sondern einer bewussten Rebellion. Das Ergebnis ist Elend, Zerbruch, Kampf gegen den Nächsten. Der Mensch braucht nicht bloß eine neue Richtung, er ist schuldig. Diese Grunderkenntnis bedeutet, dass für einen Christen Soziologie, Psychologie, Bildung und Erziehung unter ganz anderen Vorzeichen stehen.Und jetzt sehen wir Gottes Antwort auf die Rebellion der Men-schen: Er hat sie »dahingegeben«. Stellen wir uns die Menschheit als einen bösen, ungehorsamen Hund vor, der von seinem Herrn, Gott, weg will. Was macht Gott? Er lässt die Leine los. Ich habe einmal in den Schweizer Bergen zugeschaut, wie die Grenzpolizei ihre Hunde abrichtet und scharf macht. Es ist ein Furcht einflößender Anblick, wenn diese Tiere losgelassen werden. So ähnlich ist das Bild, das

Page 37:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Paulus hier von der Menschheit malt. Genauso ist es in unserem Land geschehen: Die Menschen haben die Wahrheit aufgegeben, und dann hat Gott sie dahingegeben.Paulus wiederholt diese furchtbare Wahrheit in 1,28: »Und wie sie es für nichts geachtet haben, Gott zu erkennen, hat sie Gott dahingegeben in verkehrten Sinn, so dass sie tun, was nicht recht ist . . .« Der Mensch hat seine Richtung gewählt, indem er sich weigerte, Gott anzuerkennen, und daraufhin hat Gott ihn losgelassen und seinenWeg der Auflehnung und Unmoral gehen lassen. Dies ist keine bloße Dialektik, sondern eine bewusste Rebellion.Gott gab die Menschen dahin, und sie folgten ihren Begierden in alle mögliche Unmoral hinein. Alle Sünden, alle Probleme der Menschen entspringen daraus, dass wir Gott aus der Mitte der Welt verbannt haben. Wir Christen sollten die Bemühungen von Soziologen und Kriminologen nicht herabsetzen, aber wir müssen sehen, dass die meisten solcher Bemühungen nur die Symptome behandeln, nicht die Krankheit selber. Es gibt heute viele berechtigte Sorgen über den moralischen und kulturellen Verfall, und alle möglichen Therapien werden ausprobiert. Diese Dinge mögen etwas helfen, aber heilen werden sie nicht. Sie sind wie kosmetische Puder und Salben. Wenn ein Mädchen von zu vielen Süßigkeiten Akne bekommt, kann sie die Pickel mit Puder verdecken oder eine Salbe auftragen, die etwas Besserung bringt, aber die Pickel loswerden wird sie nur, wenn sie mit den Süßigkeiten Schluss macht. Wenn das Problem des Men-schen seine Rebellion gegen Gott ist, dann kommt die Lösung nicht durch ein Herumdoktern an den Folgen dieser Rebellion, sondern wir müssen die Rebellion selber angehen.

... sie, die Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt und das Geschöpf verehrt und ihm gedient haben statt dem Schöpfer, der gelobt ist in Ewigkeit. Amen. (1, 25)

Nachdem er die Ursache der Rebellion des Menschen (1.19-23) und kurz ihre Ergebnisse (1,24) besprochen hat, erinnert Paulus uns jetzt an die Verbindung zwischen der Ursache (1,25) und den logischen Folgen (1.26-31). Die Menschen haben »Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt« und dabei nicht nur

Page 38:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

die Wahrheit über die Existenz Gottes, sondern auch über das Universum und über sich selber verloren. Wenn der Mensch Gott nicht mehr im Zentrum seines Denkens hat, wird ihm alles zur Lüge. Er weiß nicht mehr, wer er ist, die Wahrheit ist fort. Er bezweifelt nicht nur die Existenz Gottes, sondern auch seine eigene Existenz und alles, was aus der Existenz Gottes fließt.Wenn der Rebell gegen Gott wirklich konsequent wäre, würde er all seinen hohen menschlichen Zielen absagen — seiner Suche nachder Wahrheit und all dem anderen. Jeremia 1o,1o lautet nach dem hebräischen Urtext: »Der Herr ist der Gott der Wahrheit.« Die Menschen haben »Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt«, aber »der Herr ist der Gott der Wahrheit«. Es gibt keine andere Wahrheit, keine andere Erkenntnis im Universum. Wenn wir den Gott der Wahrheit wegwerfen, ist alle Wahrheit fort und es bleiben nur noch Meinungen und persönliche Götter und Vergnügungen.

... und ihm gedient haben statt dem Schöpfer ... (1.25b)

»Statt dem Schöpfer« — so steht es auch im Griechischen. Also nicht nur »mehr« als dem Schöpfer [so Schlachter]! Sie haben das Geschöpf komplett mit dem Schöpfer vertauscht. Zur Zeit des Paulus war dies vielleicht einfacher zu sehen, weil die Menschen regelrechten Götzenbildern (Venus, Herkules usw.) dienten. Aber im Grunde hat sich nicht viel geändert, die Anbetung des Geschöpfes ist nur raffinierter geworden. Der Mensch hat sich selber ins Zentrum gestellt.Wenn heute Ungläubige das Wort Gott in den Mund nehmen, ist dies gewöhnlich ein Gott nach dem Bild des Menschen, gerade so wie damals bei den Griechen. Es gibt zwei Methoden, sich einen Gott nach dem Bild des Menschen zu machen: Entweder man arbeitet mit Meißel und Pinsel oder man setzt sich hin, projiziert sich selber ein bisschen hinaus und sagt: »So ist Gott!«Viele von uns beten das Wesen an, das sie am besten kennen — sich selber! Der Prophet Jesaja klärt uns über die tragischen Folgen des Götzendienstes, darunter der Selbstanbetung, auf:

Page 39:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

»Wer Asche hütet, den hat sein Herz getäuscht und betört, so dass er sein Leben nicht erretten und nicht zu sich sagen wird: Ist das nicht Trug, woran meine Rechte sich hält ?« (Jesaja 44, 20). Die Zeitgenossen Jesaja`s, die keine Lüge erkennen konnten, waren die gleichen wie die des Paulus, die Gottes Wahrheit zur Lüge verkehrt hatten. Und das Ergebnis? Asche. So auch heute, wenn wir uns selber anbeten und zu Götzen machen. Der Mensch sagt: »Ich will mich selber zum Zentrum des Universums machen«, aber zum Schluss hütet er Asche, denn das ist alles, was bleibt: die Asche der Moral, die Asche der Schönheit, die Asche der Liebe, die Asche des Sinns.Was ist die Lösung? Jesaja hat sie: »Bedenket das und ermahnet euch und nehmet es euch zu Herzen, ihr Übertreter«! Jesaja 46,8 [Schlachter]). Mit anderen Worten: »Werdet vernünftig«! Und wenn ihr vernünftig seid, müsst ihr zu Gott zurückkehren. Gott hat euch Vernunft und Moral gegeben. Wenn ihr der wahren Vernunft und Moralität folgt und so wirklich Menschen werdet, werdet ihr zu Gott zurückkehren. Jesaja`s Rat ist das genaue Gegenteil von dem, was man uns im 21. Jahrhundert sagt. Der Glaube, so heißt es heute, ist ein Sprung ins Dunkle. Aber Jesaja und Paulus sagen uns, dass die rationale Wahrheitssuche uns zu Gott führt. Die Kehrtwende ist möglich: Aus dem Menschen, der auf der Suche nach der Wahrheit des Universums ist, kann der Mensch werden, der Gott erkennt. Wahre Rationalität zeigt uns, dass der Mensch und Gott nicht tot sind!Jeremia sieht einen Tag kommen, wo viele Ungläubige die Lügen des Götzendienstes fahren lassen und sich für Gott entscheiden werden: »Herr ... Die Heiden werden zu dir kommen von den Enden der Erde und sagen: Nur Lüge haben unsere Väter gehabt, nichtige Götter, die nicht helfen können. Wie kann ein Mensch sich Götter machen? Das sind doch keine Götter! Darum siehe, diesmal will ich sie lehren und meine Kraft und Gewalt ihnen kundtun, dass sie erfahren sollen: Ich heiße der Herr« (Jeremia 16,19-21). Wie Paulus spricht auch Jeremia von den »Lügen« des Götzendienstes und davon, dass sie von einer Generation zur anderen »vererbt« werden. Die gefallenen Menschen lehnen die Wahrheit ab, aber sie sind immer noch Menschen, die zählen und die Einfluss auf andere haben. Und doch, sagt Jeremia,

Page 40:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

ruft Gott immer Menschen zurück zu sich.Was hat unsere Generation von ihren Vorvätern geerbt? Lügen. Da saß ein junger Mann in meinem Seminar und sagte: »Na, heute glaubt doch keiner mehr, dass es einen Gott gibt«. Er sagte es, ohne nachzudenken, einfach so. Er wiederholte die Lüge, die er übernommen hatte. Er war ganz erstaunt, als ich ihm sagte, dass sein Satz eine bloße Annahme sei, die er überprüfen müsse. Hosea sagt: »Dennoch sündigen sie weiter: Aus ihrem Silber gießen sie Bilder, wie sie sich's erdenken ...« (Hosea 13, 2). Wir benutzen statt Silber Worte: So und so hat Gott zu sein. Dies ist keine neue Frömmigkeitsvariante, sondern eine echte Rebellion.

Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen; ... (1,26)

Wir kommen jetzt zu den Folgen des Aufstandes der Menschen gegen Gott. In 1,27 spricht Paulus die Homosexualität an, und dies ist vielleicht hier schon das Thema, aber ich glaube, dass er in 1,26 vielleicht von etwas anderem redet. Jesaja spricht von Frauen, die »hochmütig sind und mit hochgerecktem Hals umhergehen und verführerische Blicke werfen, trippelnd einherstolzieren und mit ihren Fuß-spangen klirren« (Jesaja 3, 16 [Elberfelder]). Jesaja beschreibt hier Frauen, die ihre Weiblichkeit zu Verführung und Betrug einsetzen, und ich glaube, dies meint auch Paulus: die Frau, die das, was sie als Frau ist, nicht nach Gottes Plan einsetzt, sondern um zu verführen. Die Lüge, der die Menschheit aufgesessen ist (1,25), ist so total, dass alles im Leben, selbst das Allerschönste, verzerrt ist. Das, was den innigsten Kontakt von einer Person zur anderen schenken sollte, ist zerstört. Wir haben den Kontakt mit der Mitte, mit einem persönlichen Gott, verloren, und wo dies geschieht, kommt es zur Perversion auch der nächsten Bezugsebene, der an sich so schönen und wunderbaren menschlichen Persönlichkeit. Die in Gottes Gegenwart stehenden Menschen, Mann und Frau, sollten eigentlich zu tiefen Beziehungen von Person zu Person fähig sein, aber durch ihre Rebellion gegen Gott ist diese Beziehung

Page 41:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

zur Ware verkommen.

... desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihrer Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen. (1,27)

Mit einem Realismus, wie er für die Bibel typisch ist, spricht Paulus das Thema der männlichen Homosexualität an. Anders als manche Fromme, vertuscht die Bibel die Realität nie, sondern sieht die Menschen so, wie sie sind. Paulus erwähnt den »Lohn«, d.h. das automatische Ergebnis eines homosexuellen Lebensstils. Wer unter Homosexuellen oder unter Frauen, die ihre Weiblichkeit zur Ware gemacht haben, arbeitet, der erlebt Menschen, die nach einer trügerischen Anfangsbegeisterung in das absolute Elend gesunken sind. Auf einer gewissen Beziehungsebene mag die Homosexualität Befriedigung bringen, aber sie ist eine totale Verleugnung der realen Welt. Sie schafft keine Kontinuität und widerspricht der Identität der Person als Kind eines Vaters und einer Mutter. Ein tristes Leben endet mit einer Handvoll Asche, die der Wind verweht. Sünde bringt natürlich immer Elend, aber hier zeigt Paulus ihre furchtbaren Folgen auf diesem speziellen Gebiet auf.

Und wie sie es für nichts geachtet haben, Gott zu erkennen, hat sie Gott dahingegeben in verkehrten Sinn, ... 28a)

Wieder betont Paulus die Wichtigkeit des intellektuellen Inhaltes dessen, was wir glauben. Weil die Menschen auf dem Gebiet des Wissens Gott nicht die Ehre gaben [Menge: »Und wie sie es verschmäht haben, Gott in rechter Erkenntnis festzuhalten ...«], hat Gott sie auf allen Lebensgebieten »in verkehrten Sinn« dahingegeben, d. h. in ein Denken ohne Urteilsvermögen [Viebahn: »in eine für sittliche Ent-scheidungen unfähig gewordene Denkungsart«]. Sobald man sich von dem lebendigen Gott abkehrt und etwas anderes zur Mitte des Universums macht, öffnet man der

Page 42:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Maßstabslosigkeit Tor und Tür. Diesen Weg ist der Mensch des 20. Jahrhunderts gegangen, dies ist der Grund, warum er alles anders sieht — die Moral, die Ehe, die Eltern-Kind-Beziehung. Kein Lebensgebiet ist unberührt geblieben von diesem »verkehrten Sinn«.

... hat sie Gott dahingegeben in verkehrten Sinn, so dass sie tun, was nicht recht ist, ... (1,28b)

Da diese Rebellen nichts davon hielten, Gott anzuerkennen, übergab Gott sie einem Denken ohne Urteilsvermögen, und das Ergebnis sind Schändlichkeiten aller Art. Paulus zählt einige von ihnen auf:

... voll von aller Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier, Bosheit, voll Neid, Mord, Hader, List, Niedertracht; Zuträger, Verleumder, Gottesverächter, Frevler, hochmütig, prahlerisch, erfinderisch im Bösen, den Eltern ungehorsam, unvernünftig, treulos, lieblos, unbarmherzig. (1,29-31)Dies ist der Kurs des Menschen des 2o. Jahrhunderts, der sich selbst an Gottes Stelle gesetzt hat — und er weiß nicht, warum dies so ist. Amerika sagt: »Was ist das nur mit unserer Jugend? Alles haben wir ihr gegeben — und jetzt das!« Die Kriminalität steigt und steigt, und dies keineswegs nur da, wo wir dies mit den sozialen Verhältnissen erklären könnten, sondern auch unter den Wohlhabenden und Gebildeten. Immer jünger werden die Menschen, die dieses Leben wählen, und ihre Eltern sagen: »Was ist los? Was können wir tun«? Aber sie finden das Heilmittel (das Paulus schon in 1,16 erwähnte) nicht, weil sie die Krankheit nicht kennen.

Sie wissen, dass, die solches tun, nach Gottes Recht den Tod verdienen; aber sie tun es nicht allein, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun. Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du eben dasselbe tust, was du richtest. (1,32-2,1)

Page 43:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Mit V. 32 — und nicht erst dem Beginn von Kap. 2 — beginnt Paulus einen neuen Abschnitt. Jetzt spricht er den Leser direkt an. 1,18-31 kann man aus einer akademischen Distanz heraus lesen, als etwas, das einen nicht wirklich persönlich angeht. Aber bei Paulus bleiben lehrmäßige Wahrheiten nie bloße Abstraktionen, sondern er lässt sie dem Einzelnen gleichsam auf die Haut rücken. Dem Menschen ohne Bibel, der sich fragt, warum Gott ihn für den Zustand der Welt verantwortlich macht oder warum er Erlösung braucht, antwortet Paulus: »Du weißt, dass diese Dinge falsch sind, und doch pflichtest du denen bei, die sie tun, ja du tust sie sogar selber!«Gott ist gerecht, wenn er die Menschen ohne Bibel richtet, denn obwohl sie ein Gewissen haben und von den Gott offenbarenden Wundern der Schöpfung umgeben sind (1.19 - 2o), haben sie Gott und sein Gesetz verworfen. Und doch verurteilen sie die, die Gottes Gesetz brechen — während sie selber gerade die gleichen Dinge tun (1,32-2,1). Wir fragen uns vielleicht, warum Gott die Menschen, die Christus nicht angenommen haben, richtet, wenn sie doch nie von ihm gehört haben; ist das nicht ungerecht? Aber Gott wird diese Menschen nicht richten, weil sie Christus nicht angenommen haben, sondern sie haben Gott und die Bibel von Anfang an verworfen und Lügen übernommen, und deswegen werden sie auf der Basis ihres eigenen Gewissens gerichtet werden.Wenn die Menschen ohne Bibel vor Gottes Thron erscheinen, wird er sie dieses Eine fragen: »Hast du die moralischen Maßstäbe eingehalten, nach denen du andere beurteilt hast«? Es ist so, als ob jeder von uns ein kleines Tonband um den Hals hätte, das alle unsere moralischen Urteile gegen andere aufnimmt: »Das ist nicht richtig ... das war böse ...« Bei seinem Endgericht lässt Gott dieses Band einfach ablaufen, wir hören, wie wir selber über andere gerichtet haben, und Gott fragt uns: »Hast du selber nach deinen Maßstäben gelebt«? Wir müssten natürlich alle mit »Nein« antworten. Jeder von uns hat viele Male in seinem Leben Dinge getan, von denen er wusste, dass sie falsch waren. Selbst wenn Gott all jene Situationen, für die wir eine plausible Entschuldigung beibringen können, von dem Band löschte, könnte er uns immer noch für all die Male richten, wo wir bewusst falsch handelten.

Page 44:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du eben dasselbe tust, was du richtest. Wir wissen aber, dass Gottes Urteil recht ist über die, die solches tun. Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? (2,1-3)

Wenn Gott sagt: »Darum ... kannst du dich nicht entschuldigen«, protestieren viele. Sie sagen: »Ich bin vielleicht ein Sünder, aber so schlimm wie die meisten anderen bin ich nicht«. Oder: »Ich mag ja ein Sünder sein, aber ich schaffe das mit Gott schon, mich wird er nicht verurteilen«.In einem Hotel an der italienischen Riviera hatte ich einmal mehrere Gespräche mit zwei englischen Geschäftsleuten, die Atheisten waren. Der Erste behauptete, dass der Zweite unsaubere Geschäftspraktiken hatte. Eines Abends sagte er: »Also, wenn es einen Gott gibt, muss er mich annehmen, denn ich bin besser als andere«. Ich fragte: »Wie meinen Sie das«? Er sagte: »Na, schauen Sie sich den da drüben an, das ist ein schmutziger Schieber. Ich bin besser als der«.Fünf Minuten später konnte ich mit dem »Schieber« reden. Der sagte: »Wenn es einen Gott gibt, passiert mir nichts«. Ich fragte, warum, und er sagte: »Na, weil ich besser bin als andere. Ich habe zwei kranke Schwestern und opfere mich für sie auf«.Wenn Sie mit einem Ungläubigen über geistliche Dinge reden, hören Sie das oft: »Ich bin besser als die anderen, ich schaffe das schon«.Paulus beantwortet diese Einwände in 2, 1-6. Gott sagt: »Du schaffst es nicht, du wirst meinem Gericht nicht entgehen« (2, 3). Wir werden ihm nicht entgehen, weil Gottes Maßstäbe perfekt sind. Und selbst nach unseren unvollkommenen menschlichen Maßstäben würden wir es nicht schaffen, weil wir ja eben das, was wir anderen vorwerfen, selber auch getan haben. Jener Geschäftsmann, der seinem Kollegen ein unsauberes Geschäftsgebaren vorwarf, hatte bestimmt selber auch ein paar zwielichtige Sachen auf dem Kerbholz.

Page 45:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Jeder Mensch trägt einen moralischen Imperativ in sich. Jeder Mensch weiß um »Gottes Recht« (1,32). Sobald ein Kind das erste Mal den Stich des Gewissens spürt, gegen ihn ankämpft und sündigt, erkennt es an, dass es ein sinnvolles Moralgesetz im Universum gibt. Sobald es sagt: »Das sollte ich tun«, und dann das genaue Gegenteil tut, stellt es sich unter dieses Moralgesetz. Viele moderne Denker, Psychologen, Anthropologen, Soziologen — haben versucht, diesen moralischen Imperativ weg zu erklären; doch alle kennen sie selber jenen Stich des Gewissens. Wie oft hat es sie gewarnt, wie ein gereizter Nerv, bestimmte Dinge nicht zu tun — und sie taten sie doch.Aufgrund dieses angeborenen Sinnes für »recht« und »unrecht« verurteilt der Mensch ohne Bibel andere — und damit sich selber, weiler ja »eben dasselbe« tut (2,1). Gottes Urteil gegen ihn ist völlig gerecht, denn es gründet sich nicht auf etwas, das er nicht kennt, sondern auf Wertmaßstäbe, die er sehr wohl kennt, ja nach denen er seine Mitmenschen beurteilt. Auch nach Matthäus 12,36 werden wir nach unseren Worten gerichtet werden. In Offenbarung 20,12 werden die Ungläu-bigen »nach ihren Werken« gerichtet. Gottes Gericht nimmt die eigenen Worte der Menschen zum Maßstab. Damit aber gründet es sich auf etwas, das der Einzelne kennt, und nicht auf etwas, das er nicht kennt. Hier ist nichts Willkürliches.

Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jedem geben wird nach seinen Werken: ... (2, 4 -6)

Der Ungläubige, der seine Sünde spürt, mag sagen: »Ich schaffe das schon. Bis jetzt bin ich doch auch durchgekommen«. Aber Gott antwortet ihm in großer Geduld: »Nur durch meine Güte bist du so weit gekommen, und selbst diese Güte verachtest du«. Als ich ein Heim für behinderte Kinder besuchte und ihre armen verkrüppelten Körper sah,

Page 46:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

musste ich denken: Genau so sind die Menschen. Das ist ja ein viel ehrlicheres Bild vom Menschen als eine schöne Frau im Abendkleid oder ein olympischer Athlet. Aber die Menschen schauen weg und sagen: »Ich schaffe das schon«.Es liegt in der Natur des Menschen, das Kommen des Gerichtes Gottes zu leugnen. Petrus schreibt in seinem zweiten Brief: »Ihr sollt vor allem wissen, dass in den letzten Tagen Spötter kommen werden, die ihren Spott treiben, ihren eigenen Begierden nachgehen und sagen: Wo bleibt die Verheißung seines Kommens? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Schöpfung gewesen ist« (2.Petrus 3,3-4). Wie diese Endzeit-Spötter, die sich nicht vorstellen können, dass je ein Gottesgericht den ruhigen Gang der Dinge unterbrechen wird, so ist auch der Mensch, von dem Paulus hier spricht: Er sieht Gottes Güte, die ihn umgibt, und bildet sich ein, dass das Gericht nie kommen wird. Dabei will Gott ihn mit dieser Güte zur Buße führen — aber er weigert sich, auf sie einzugehen, und so ist das Ergebnis gerade umgekehrt.

Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes ... (2,5)

Was Gott zu ihrem Besten gedacht hatte — wie etwa das Zeugnis der Schöpfung und das Zeugnis des Gewissens —, verhärtet diese Rebellen noch in ihrer Rebellion.Dies bringt uns zurück zu 1,16-18. Das Evangelium ist »Gottes Kraft zur Rettung« (1,16 [Schlachter]). Warum brauchen wir Erlösung? Weil wir unter »Gottes Zorn« sind (1,18), und die Menschen, die Gottes Geduld verachten oder ausnutzen, häufen sich nur noch mehr von seinem Zorn auf (2,5). Christus spricht davon, dass wir uns »Schätze im Himmel« sammeln sollen (Matthäus 6,19-2o). Nun, wer Gottes Geduld verachtet, sammelt ebenfalls — er sammelt Gottes Zorn. Gläubige wie Ungläubige müssen sehen, dass alles, was sie tun, ewige Konsequenzen hat. Unser Leben endet nicht mit unserem körperlichen Tod. Mit allem, was wir sagen oder tun, zahlen wir auf das Bankkonto der Ewigkeit ein. Da ist ein junges

Page 47:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Mädchen, das sich darauf freut, einmal zu heiraten. Weiter sieht es nicht. Aber wenn es erkennt, wie sehr sein Charakter die künftige Ehe prägen wird, wird dies den Lebensstil seiner Teenagerjahre verändern! Gläubige wie Ungläubige müssen sich mehr der ewigen Konsequenzen ihrer Handlungen bewusst werden. Wir alle sind am Sammeln — entweder Schätze im Himmel oder mehr und mehr von Gottes Zorn.

... der einem jedem geben wird nach seinen Werken: ... (2,6)

Es geht hier nicht um Werkgerechtigkeit, sondern Paulus sagt, dass Gott uns nicht nach unseren Lippenbekenntnissen beurteilen wird, sondern nach unseren konkreten Handlungen. Wir haben es mit einem Gott zu tun, der mitten in der Realität ist. Nette kleine Glaubensbekenntnisse zählen nicht bei ihm. Was zählt, ist das, was wir wirklich sagen und wirklich tun. Wir haben es mit einem Gott zu tun, der wirklich da ist und der auf das eingeht, was wir wirklich glauben.

... ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Ungnade und Zorn aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit; ... (2, 7-8)

Hier ist es wieder, das Wort »Zorn«. Es ist Gottes Zorn gegen Menschen, die alle ein Gewissen haben, die die Schöpfung sehen, die vernunftbegabte Wesen sind und moralische Prinzipien verstehen und die trotzdem der Wahrheit nicht glauben und nicht gehorchen. Es sollte uns Christen unter die Haut gehen, dass die unerlöste Welt unter dem Zorn eines heiligen Gottes steht. Es sollte uns durchs Herz gehen, wenn wir daran denken. Verstehen wir recht: Hier sind Menschen, die verloren sind. Wenn die unerlöste Welt unter dem Zorn Gottes für uns nur ein abstrakter Begriff ist, der uns innerlich nicht bewegt, sind wir bereits durch die Tür zur toten Orthodoxie gegangen. Die, die da unter Gottes Zorn sind, sind meine Mitmenschen!

Page 48:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Stellen Sie sich einen Augenblick vor, Sie sind ein Nichtgläubiger, der dies zum ersten Mal hört. Der Heilige Geist arbeitet in Ihnen, und Sie merken plötzlich, dass Sie ja unter Gottes Zorn sind! Sie würden sich den Hals ausrecken, um zu sehen, ob Gott nicht etwas für Sie tut. Die große Botschaft des Paulus ist natürlich, dass Gott ja etwas getan hat. Dies ist das Thema, das er in 1,16 begann: Die Menschen stehen unter Gottes Zorn, aber es gibt eine Rettung vor diesem Zorn; wir werden sie ab 3,21 kennen lernen.Wir alle müssen erkennen, dass wir unter Gottes Zorn sind. Wir alle müssen die Ohren spitzen nach einer Antwort auf unsere verfahrene Situation. Und nie dürfen wir vergessen, wie wunderbar diese Antwort ist. Jemand fragte einmal einen alten amerikanischen Evangelisten, warum er immer so schwungvoll predigte. Der Evangelist sagte: »Na, junger Mann, weil ich das Wunder nicht vergessen kann«. Möge Gott sich unser erbarmen, wenn unser Glaube ein kalter Stein der bloßen Rechtgläubigkeit wird und wir das Wunder nicht mehr sehen. Vergessen Sie nicht, wie wunderbar es war, als Sie selber von Christus hörten und an ihn glaubten!Aber vergessen Sie über diesem Wunder Ihrer Erlösung nicht, dass die Menschen verloren sind. Vergessen Sie nicht, dass Sie, wie Paulus, ein »Schuldner« der Verlorenen sind (1,4). Möge Gott unsere Herzen anrühren, wenn Paulus jetzt fortfährt, ihre verzweifelte Lage zu schildern.Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die Böses tun, zuerst der Juden und ebenso der Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die Gutes tun, zuerst den Juden und ebenso den Griechen. Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott. (2,9 - 11)Gott macht keine Unterscheidung zwischen Juden und Heiden, Griechen und Barbaren. Alle Menschen müssen sich in gleicher Weise vor ihm verantworten.

Alle, die ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen; und alle, die unter dem Gesetz gesündigt haben, werden durchs Gesetz verurteilt werden. (2,12)

Alle Menschen stehen aufgrund dessen, was sie wissen, vor

Page 49:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Gott schuldig da. Der Mensch ohne Bibel wird verurteilt aufgrund seiner moralischen Urteile über die anderen. Wie wir in 2,1 sahen, hat er diese moralischen Maßstäbe gekannt und genannt, hat sie aber selber nicht erfüllen können.Der Mensch mit der Bibel dagegen steht aufgrund dieser Bibel schuldig da. Er wird »durchs Gesetz verurteilt werden«.

Denn vor Gott sind nicht gerecht, die das Gesetz hören, sondern die das Gesetz tun, werden gerecht sein. (2,13)

Was nützt es jemandem, die Bibel zu haben, wenn er ihr nicht glaubt? Als ich Pastor war und meine Hausbesuche machte, las ich, bevor ichging, immer etwas aus der Bibel vor, und dann fragte ich: »Haben Sie eine Bibel«? Oft antworteten die Leute: »Ja, doch«, und dann begannen sie, sie zu suchen. Sie suchten auf dem ganzen Bücherregal, ja sogar dahinter. Sie hatten eine Bibel — um die Namen ihrer Kinder zu verewigen und Pflanzen zu pressen. Warum nahmen sie sich nicht ein anderes Buch dazu, wenn sie doch nie in der Bibel lasen? Die Bibel ist kein Talisman; wir müssen ihr glauben und gehorchen.

Denn wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun, was das Gesetz fordert, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie beweisen damit, dass in ihr Herz geschrieben ist, was das Gesetz fordert, zumal ihr Gewissen es ihnen bezeugt, dazu auch die Gedanken, die einander anklagen oder auch entschuldigen — an dem Tag, an dem Gott das Verborgene der Menschen durch Christus Jesus richten wird, wie es mein Evangelium bezeugt. (2,14-16)

Paulus geht jetzt zu der nächsten Stufe seiner Präsentation von Gottes Heilsplan über. Er hat über den Nichtjuden, den Heiden, den Menschen ohne die Bibel gesprochen. Jetzt bereitet er seine Ausführungen über den Juden, den Menschen mit der Bibel, vor. Erinnern wir uns, was er über die Heiden sagte: »Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart ...«

Page 50:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

18). Worauf der heidnische Hörer fragt: »Warum bin ich denn unter dem Zorn Gottes«? und Paulus antwortet: »Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart« (1,9). Auch der Mensch ohne Bibel hat ein Gewissen. Dies ist das Erste, was ihn verurteilt. Der Mensch ist immer noch ein moralisches Wesen.Jetzt sagt Paulus das Gleiche über die Juden — oder, für uns Heutigen, über die Menschen, die die Bibel haben. So wie die Menschen ohne Bibel ihr Gewissen haben, haben sie die Bibel, aber sie leben nicht nach ihr, ja man kann Heiden (Menschen ohne die Bibel) finden, deren Leben besser ist als das der Menschen mit der Bibel. Paulus sagt nicht, dass diese Nichtgläubigen perfekt leben (kein Mensch ist vollkommen), sondern er sagt, dass das relativ gute Beispiel dieser Heiden die Menschen mit der Bibel verurteilt.Damit ist der Mensch ohne Bibel nicht entschuldigt! Auch er lebt ja nicht voll nach den Maßstäben, die er kennt. Aber es ist eine zusätzliche Verurteilung des Juden, des Menschen mit der Bibel. Wir spüren es förmlich, wie Paulus uns hier jedes andere Fundament als die Gnade unter den Füßen wegreißt. Er zerstört all die Argumente, die die Menschen im Laufe der Zeit benutzt haben, um zu sagen: »Ich brauche keinen Heiland«. Da sagt jemand: »Schaut euch diese Heiden hier an, das sind ja bessere Menschen als diese Leute mit ihrer Bibel«. Aber das hilft den edlen Heiden gar nicht, denn auch sie leben nicht wirklich nach ihren Maßstäben.

... dazu auch die Gedanken, die einander anklagen oder auch entschuldigen ... (2,16)

Dies ist unser aller Erfahrung. Wir kennen es gut, dieses Pendel. Wir entschuldigen uns und sagen: »Ich bin besser als die anderen«, und zack! — tun wir etwas richtig Schlimmes und stürzen ins schwarze Loch der Selbstverurteilung und fangen an, uns »anzuklagen«. Dann gehen wir an die frische Luft oder trinken einen guten Espresso oder sehen jemanden, der schlimmer ist als wir, und schon schwingt das Pendel zurück: »Ich bin ja doch nicht so schlimm . . .« Dann plötzlich das nächste schwarze Loch. Alle Menschen kennen dieses Hin und Her: »Ich bin gut . . . ich bin böse .. . ich bin gut . . . ich

Page 51:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

bin böse ...« Mal klagt uns unser Gewissen an, mal erklären wir unsere Schuld weg.

... an dem Tag, an dem Gott das Verborgene der Menschen durch Christus Jesus richten wird, wie es mein Evangelium bezeugt. (2,16)

Es wird ein Tag in der Geschichte kommen, an dem Gottes Gericht stattfindet. Wir sahen dies bereits in 2,5: »... auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes«. Paulus belässt es nicht bei einer abstrakten Botschaft. Er macht sie so konkret wie möglich, und die konkrete Tatsache ist, dass eines Tages, unweigerlich und sehr real, ein Tag in Raum und Zeit kommen wird, an dem Gott die Welt richtet. »An dem Tag« — nicht notwendiger-weise ein 24 -Stundentag —, »an dem Gott das Verborgene der Menschen ... richten wird«.Das Wort »das Verborgene« sollte uns erschrecken. Gott wird nicht nur das richten, was vor Augen liegt, sondern auch alles Heimliche. Der Mensch ohne die Bibel sagt: »Diese Frau ist unmoralisch ... dieser Mann handelt nicht recht«, und dann tut er genau das Gleiche, oft heimlich. Ist es nicht so in unserer Welt? Es geht den Menschen nicht so sehr um die Moral als vielmehr darum, dass die Bilanz stimmt. Sie zeigen mit dem Finger auf die »großen« Sünder und tun heimlich dasselbe. Sie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso.Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch alles Heimliche. All die »anständigen« Menschen, all die, die die Steine werfen und die empörten Leitartikel und Leserbriefe schreiben.Noch einmal: Vergessen wir nicht den Kontext. Die Menschen sagen: »Warum bin ich unter Gottes Zorn? Hat Gott ein Recht, mich zu verurteilen«? Und Gott sagt: »Habe ich nicht einen guten Grund für meinen Zorn«? »0 Mensch« (2,1) sieh dich selber an. Ist das nicht gerecht (2,2-16) ?Das Gericht wird durch Gott vollzogen, aber auch »durch Jesus Christus« (2,16). Seit 2,16 hat Paulus Christus nicht mehr erwähnt, weil er über das Problem der Sünde sprach. Jetzt nennt er ihn wieder — als Richter der Menschheit. Dies mag

Page 52:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

uns überraschen. Bestimmt haben Sie schon Leute gehört, Juden wie Heiden, die sagen: »Ich glaube ja an Gott, ich glaube nur nicht an Jesus Christus«. Aber die schreckliche Wahrheit ist: Wenn unerlöste Menschen vor Gott stehen, um gerichtet zu werden, und ihm ins Gesicht schauen, werden sie nur eine Person der Trinität sehen: Jesus Christus. Einer der ernüchterndsten Ausdrücke in der ganzen Bibel ist der »Zorn des Lammes« (Offenbarung. 6,16). Der Römerbrief spricht vom Zorn Gottes, die Offenbarung vom Zorn des Lammes. Die Person der Dreieinigkeit, die so viel gelitten hat, damit die Menschen nicht ins Gericht müssen, wird ihr Richter sein! Der Mensch, der versucht, ohne Jesus Christus zu Gott zu kommen, wird am Tag des Gerichts — Jesus Christus gegenüberstehen. Es stimmt, dass Jesus »versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde« (Hebräer 4,15); er weiß, was es ist, ein Mensch zu sein und versucht zu werden. Doch dies mindert nicht die schreckliche Wahrheit, dass er uns richten wird. Jesus, der Retter der Welt, wird auch ihr Richter sein. »Ich schäme mich des Evangeliums nicht«, sagt Paulus in 1,6, doch jetzt fügt er hinzu: Christus ist auch der Richter. Christus ist, wie er selber erklärt hat, der einzige Weg zum Vater (Johannes 14,6), und wer versucht, dies zu umgehen, der landet vor Christus dem Richter. Jesus sagt: »Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken« (Matthäus.11,28). Wenn jemand antwortet: »Ich will nichts mit dir zu tun haben; ich werde direkt vor Gott treten, ohne Vermittler, ohne leidenden Messias«, dann ist dies so, als ob er mit dem Rammbock in den Himmel will, an Jesus Christus vorbei. Aber dies gelingt ihm nicht, denn dort wartet Jesus Christus als Richter. Es gibt gegenüber Christus nur zwei Beziehungen: die der Erlösung, die Paulus in 1,16 beschreibt, oder die von 2,16 - die des Verurteilten vor seinem Richter.Der Prophet Micha sagt: »Ich will des Herrn Zorn tragen — denn ich habe wider ihn gesündigt« (Micha 7,9). Jesus trug die Schmach unserer Sünde auf das Kreuz, aber wenn wir dies nicht annehmen, bleibt uns nur die andere Seite der Gleichung: Wir müssen den Zorn des Herrn selber tragen.Paulus hat über den Heiden unter Gottes Zorn gesprochen (1,18 - 2,16) und in den letzten paar Versen begonnen, zu

Page 53:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

dem Juden unter Gottes Zorn überzugehen (2,9-16). Bevor er sich jetzt vollends dem Zorn Gottes über die Juden zuwendet (2,17 -3,8), tun wir gut, uns an einen Vers aus dem Propheten Zefanja zu erinnern: »... denn ich will deine stolzen Prahler von dir tun, und du wirst dich nicht mehr überheben auf meinem heiligen Berge« (Zefanja 3,11). Gott ließ Israel durch Zefanja ausrichten, dass ein Tag kommen würde, wo sie nicht mehr stolz sein würden, weil Gottes heiliger Berg, Jerusalem, in ihrer Mitte war. Wer sich auf solche Dinge etwas einbildet, wird gerichtet werden, wie jeder andere auch. Aber diese Warnung gilt nicht nur den Juden und anderen Menschen zur Zeit der Bibel. Ganz ähnlich sollten heute die Menschen, die die Bibel haben, und die Kirchen nicht hochmütig auf die herabsehen, die diese Dinge nicht haben. Selbst Menschen, die damit prahlen, dass sie an nichts glauben, sehen manchmal auf bestimmte andere Menschen herab und verurteilen sie. Paulus will uns zeigen, dass die Sünde universal ist. Wir alle stehen schuldig vor Gott da. Keiner von uns kann sich hochmütig auf einen »heiligen Berg« berufen. Alles, was uns stolz machen kann, ist nur ein Grund für ein umso größeres Gericht.

Page 54:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

3Der Mensch mit der Bibel: schuldig

(2,17 -3,8)

Wenn Paulus sich ab 2,17 direkt den Juden zuwendet, dann vergessen wir nicht, dass sie, auf uns heute übertragen, für die Menschen stehen, die die Bibel haben — also uns, die wir die Bibel auf unserem Bücherregal und die Kirche in unserer Mitte haben und in der Kultur leben, die aus der Reformation hervorging. Reicht dies aus zur Erlösung?

Wenn du dich aber Jude nennst und verlässt dich aufs Gesetz und rühmst dich Gottes ... (2,17)

»... verlässt dich aufs Gesetz« — dies sollte uns an das erinnern, was wir gerade in Zefania 3,11 lasen. Paulus wendet sich an Leute, die stolz darauf sind, Gottes »heiligen Berg« in ihrer Mitte zu haben. Darauf verlassen sie sich.

... und kennst seinen Willen ... (2,18a)

Was haben die Juden? Die Bibel. Wie Paulus später sagen wird: »Was haben dann die Juden für einen Vorzug, oder was nützt die Beschneidung? Viel in jeder Weise! Zum Ersten:

Page 55:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Ihnen ist anvertraut, was Gott geredet hat« (3,1-2). Der Hauptvorteil, den die Juden gegenüber allen anderen hatten, war, dass sie die Bibel hatten. Sie kannten Gottes Willen (2,18), ja sie verließen sich darauf (2,17). Aber da war ein ernstes Problem: Der Besitz dieses Segens hatte sie stolz gemacht. Und genauso ist es bei vielen von uns Heutigen. Da sind all die Dome Europas. Die Menschen hören ihre Glocken. Reicht das nicht? Sie lassen ihre Kinder taufen und konfirmieren und sich kirchlich trauen. Ist das nicht genug?Die gleiche Mentalität finden wir in Amerika. Ein größerer Pro-zentsatz der Bevölkerung als je zuvor in unserer Geschichte gehört einer Kirche an — mehr noch als in den frühen Jahren, als die Leute wirklich noch etwas glaubten. Aber was sagt Gott den Juden des 1. Jahrhunderts und auch vielen Menschen unserer Zeit? All dies jüdische (oder christliche) Erbe ist keinen Pfifferling wert; es verurteilt uns nur noch mehr!

Wenn du dich aber Jude nennst und verlässt dich aufs Gesetz und rühmst dich Gottes und kennst seinen Willen und prüfst, weil du aus dem Gesetz unterrichtet bist, was das Beste zu tun sei, und maßt dir an, ein Leiter der Blinden zu sein, ein Licht derer, die in Finsternis sind, ein Erzieher der Unverständigen, ein Lehrer der Unmündigen, weil du im Gesetz die Richt-schnur der Erkenntnis und Wahrheit hast —: Du lehrst nun andere, und lehrst dich selber nicht? Du predigst, man solle nicht stehlen, und du stiehlst? Du sprichst, man solle nicht ehebrechen, und du brichst die Ehe? Du verabscheust die Götzen, und beraubst ihre Tempel? Du rühmst dich des Gesetzes, und schändest Gott durch Übertretung des Gesetzes? Denn »euretwegen wird Gottes Name gelästert unter den Heiden«, wie geschrieben steht. (2,17-24)

Wie furchtbar! Hier sind die Juden, die einer verlorenen Welt das Bild des lebendigen Gottes zeigen sollten (2,19-2o) — und die ihren Auftrag vor allem als Anlass zum Stolz sahen (2,17-23). Wir finden das gleiche Problem unter den heutigen Christen. Was, meinen Sie wohl, ist die größte Schwierigkeit, vor der ein Missionar, der eine neue Arbeit beginnt, steht? Ich

Page 56:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

kenne keinen einzigen Missionar, der nicht sagen würde, dass das größte Problem die Leute sind, die vor ihm da waren und in den Köpfen der Menschen mit dem Wort »Christ« ver-bunden sind. Als Livingstone in Afrika das Evangelium predigen wollte, musste er feststellen, dass die Menschen das Christentum mit den Portugiesen assoziierten, die sich als Sklavenhändler hervorgetan hatten. Bis vor kurzem war das größte Problem für den Missionar in moslemischen Gebieten, dass die Moslems, die keinen Alkohol trinken dürfen, das Christentum mit den Weinhändlern assoziierten, die eine Ware verkauften, die der Moslem nicht verkaufen darf. Wo Menschen — ob nun Juden oder Christen —, die die Bibel haben, sich so verhalten, bringen sie Dunkelheit statt Licht.Wir verbinden das Wort Missionar für gewöhnlich mit dem Christentum, aber auch die alttestamentlichen Juden waren in gewisser Weise zur Mission berufen. Die beste Illustration ist das Buch Jona. Wenn wir an Jona denken, denken wir an den großen Fisch, aber Jonas Geschichte ist vor allem ein Beispiel für das Versagen Israels bei seinem Missionsauftrag. Jona erhielt den Auftrag, nach Ninive zu gehen und dort zu predigen, aber stattdessen bestieg er ein Schiff, das in die umgekehrte Richtung fuhr.Auch Hesekiel erwähnt Israels missionarisches Versagen. »So spricht Gott der Herr: Das ist Jerusalem, das ich mitten unter die Heiden gesetzt habe und unter die Länder ringsumher! Aber es widersprach meinen Ordnungen und trieb es schlimmer als die Heiden und war gegen meine Gebote ungehorsamer als die Länder, die ringsumher liegen« (Hesekiel 5,5-6a). Gott hatte Jerusalem zu einem ganz bestimmten Zweck mitten unter die Nationen gesetzt. Israel sollte Gottes Existenz und Wesen bezeugen und andere Völker zu ihm rufen. Jona war ein hervorstechendes Beispiel für Israels Versagen bei diesem Auftrag, aber er war keineswegs das einzige Beispiel. Anstatt ein Zeugnis für Gott zu sein, sagt Hesekiel, waren die Juden das genaue Gegenteil. Das babylonische Exil verstreute sie in alle Welt, überall entstanden jüdische Synagogen. Wenn sie nur Gott bezeugt hätten! Aber wie Jona zeigte und Hesekiel sagte und Paulus hier in 2,17-24 sagt, taten sie das genaue Gegenteil. Als Salomo den Tempel weihte, erklärte er ihn zu einem Bethaus

Page 57:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

für alle Völker (vgl. 2.Chronik 6,32-33; Jesaja 56,7; Matthäus 21,13). Aber das Gegenteil geschah.Der Tempel sollte aller Welt ein sichtbares Zeugnis der Existenz Gottes sein. Die Realität Gottes sollte im Leben derer, die in ihm anbeteten, sichtbar sein. Und in dem Schutz, den Gott seinem Volk im Krieg gewährte. In einer gefallenen Welt würde Gottes erwähltes Volk von Zeit zu Zeit seinen Schutz im Kampf brauchen, und er wollte ihm diesen Schutz geben, als Zeugnis für die Völker. Aber wegen seiner Sünde entzog er ihm schließlich seinen Schutz, so dass die anderen Völker sagen konnten: »Ihr Gott ist ja auch nicht anders als die anderen Götter«. Israels Unmoral ließ andere Völker Gott lästern (2, 24), und als Gott ihm seinen Schutz entzog, lästerten sie noch mehr. Israel sollte eine lebendige Demonstration sein, dass Gott wirklich da ist — doch stattdessen sagten die anderen Nationen: »Wo ist denn der Gott Israels«?Um einen neutestamentlichen Begriff auf Jonas Lage anzuwen-den: Weil er in die andere Richtung floh, wurde Ninive nicht das Evangelium gepredigt (jedenfalls solange Jona keine Buße tat). Wegen Israels Sünden lernte die Welt nicht Gottes Güte kennen. Statt eine geistliche Erweckung zu gebären, gebar Israel nur »Wind« (Jesaja 26,18).Leider kann man das Gleiche von vielen Christen heute sagen. Zu oft wenden sich Menschen anderer Religionen, die Christen kennen lernen, angewidert ab. Fast alle großen gotteslästerlichen Führer der heutigen Welt sind in unsere Universitäten gegangen und als zynische Gegner des Christentums wieder herausgekommen. Gleichzeitig hat Gott oft seine schützende Hand abgezogen und christlich erzogene Menschen etwa unter den Einfluss des atheistischen Kommunismus oder heidnischer Fernostreligionen fallen lassen. Unsere Situation ist exakt parallel zu der der biblischen Juden. Die Juden damals wie die Christen heute haben bei der Aufgabe, der Welt Gott zu zeigen, versagt. Hesekiel fährt fort: »Und du sollst zur Schmach, zum Hohn, zur Warnung und zum Entsetzen werden für alle Völker, die um dich her sind, wenn ich über dich Gericht ergehen lasse mit Zorn, Grimm und zornigem Schelten — das sage ich, der Herr ...« (Hesekiel 5.15).

Page 58:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Was für eine traurige Situation. Da sind die Nationen; sie sollen auf Israel schauen und dort sehen, dass Gott existiert. Aber stattdessen muss Gott Israel richten, und er benutzt dazu eben diese Heidenvölker. Anstatt von Israel zu lernen, wer Gott ist, zerstörten sie Israel und lästerten seinen Gott. Und so sagt Paulus hier in Römer 2: »Überall dort, wo du ein Zeugnis hättest sein sollen, bist du stattdessen sündig und stolz gewesen. Darum musste Gott dich züchtigen, und jetzt lästern die anderen Völker deinen Gott«.Was können wir Christen des 20. Jahrhunderts hier anderes tun, als in Sack und Asche zu gehen und zu sagen: »Ja, so ist das auch bei uns; wegen uns wird Gott gelästert, er kann uns nicht mehr beschützen«? Alle großen »christlichen« Völker der Geschichte bis hinein in unsere Zeit haben die Wahrheit gekannt und sie bewusst verworfen. All das, was man gegen die Juden zur Zeit des Paulus sagen konnte, kann heute gegen uns gesagt werden. Statt Missionare zu sein, haben wir Ungläubige zum Lästern gebracht. Nicht nur haben wir die positive Botschaft der Erlösung nicht gepredigt, wir haben sie durch eine negative Botschaft ersetzt, die die Ungläubigen sich von dem Gott, den wir nicht mehr ehren, abwenden lässt.Ein paar Kapitel später hat Hesekiel dem Südreich Juda folgendes zu sagen: »So hat auch Samaria [das Nordreich Israel] nicht die Hälfte deiner Sünden getan, sondern du hast so viel mehr Greuel getan als sie, dass deine Schwester gerecht dasteht gegenüber all den Greueln, die du getan hast. So trag du nun auch deine Schande, weil du an die Stelle deiner Schwester getreten bist durch deine Sünden, mit denen du größere Greuel getan hast als sie; sie steht gerechter da als du. So schäme du dich nun auch und trag deine Schande, während deine Schwester gerecht dasteht« (Hesekiel 6,51-52). In V. 56 fährt er fort: »Und doch nahmst du den Namen Sodoms, deiner Schwester, nicht in den Mund zur Zeit deines Hochmuts ...« Und in Vers 61: »Dann wirst du an deine Wege denken und dich schämen, wenn ich deine großen und kleinen Schwestern [Samaria und Sodom] nehmen und sie dir zu Töchtern geben werde ...« Hesekiel will damit sagen, dass die Juden seiner Zeit schlimmer waren als selbst das berüchtigte Sodom. Jesus sagte den Juden seiner Zeit Ähnliches: »Denn wenn in Sodom die Taten geschehen wären, die in dir gesche-

Page 59:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

hen sind, es stünde noch heutigen Tages« (Matthäus 11, 23).Das ist die Lage in unserer christlichen Kultur heute. Ich mag den Kommunismus nicht, aber ich glaube, dass das kommunistische China in Gottes Augen nicht so böse ist wie unsere eigene Kultur. Wir, die wir seit der Reformation in Nordeuropa und Nordamerika gelebt haben, sind reich mit dem Licht der Wahrheit gesegnet gewesen — und haben ihm bewusst den Rücken gekehrt. Wenn ich höre, wie Paulus die Juden seiner Zeit fragt: »Meint ihr, ihr werdet gerettet, weil ihr Juden seid, wo ihr doch vor den Nationen als Gotteslästerer dasteht?«, dann bin ich sicher, dass Gott die gleiche Frage heute an das so genannte christliche Europa und Nordamerika stellt. Wir sind eine Beleidigung Gottes. Das entschuldigt die andere Seite, die Menschen ohne Bibel, nicht; wie wir sahen (1,18-2,6), werden auch sie gerichtet werden. Aber wir können uns nicht herausreden. Wir können nicht sagen: »Wir sind die Gerechten, Gott wird uns schützen«. Warum sollte er? Wir sind eine Lästerung gegen ihn!Paulus erklärt, dass sowohl die Heiden als auch die Juden seiner Zeit unter Gottes Zorn stehen. In 3,9-20 wird er das Gleiche allgemeiner formulieren und zu dem viel zitierten Schluss kommen: »Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten« (Römer 3,23), was ja nur eine Umformulierung des Satzes ist, dass alle unter dem Zorn Gottes stehen; oder, wie Jesaja sagte: »Wir gingen alle in die Irre wie Schafe« (Jesaja 53,6). Wer braucht den Heiland? Der Heide hat gesündigt; der Jude hat gesündigt. Der Mensch ohne Bibel hat gesündigt, und der mit der Bibel hat gesündigt. Wer braucht also den Erlöser? Ganz einfach: Alle Menschen aller Zeiten brauchen den Erlöser! Und wenn wir in der realen Welt leben wollen, und nicht in einer Scheinwelt, befinden wir uns mit in diesem Kreis. Wenn jemand uns fragt, wer alles einen Erlöser braucht, müssen wir ruhig, nüchtern und aus vollem Herzen antworten: »Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren« (Römer 3,23).Wenn wir heutigen Christen lesen, was Paulus hier über die Verlorenheit aller Juden und aller Heiden schreibt, dürfen wir nicht auf die damaligen Leser des Römerbriefes herabschauen, als seien wir etwas Besseres als sie. Auch wir sind, wie Paulus uns in Epheser 2,3 sagt, von Natur aus

Page 60:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

»Kinder des Zorns«, gerade so wie der schlimmste unerlöste Sünder. Jeder Einzelne von uns ist unter dem Zorn Gottes gewesen. Wenn wir Christus als unseren Heiland angenommen haben, ist Gottes Zorn nicht mehr über uns — aber nicht wegen irgendetwas, das mit uns selber, unserer Rasse oder unserer christlichen Kultur zu tun hätte. Wenn wir nicht unter Gottes Zorn sind, dann allein, weil durch seine Gnade Christus für uns starb und wir (ebenfalls durch seine Gnade) ihn als unseren Erlöser angenommen haben. Was uns von dem Menschen, der noch unter Gottes Zorn ist, unterscheidet, ist nicht, dass wir »besser« wären. Wenn wir Gottes Zorn über eine sündige Welt bedenken, sollte dies immer in der Haltung geschehen: »Unter diesem Zorn war ich auch, und wenn Jesu Christi Erlösungswerk nicht wäre, müsste ich immer noch dort sein«. Nur mit dieser demütigen Einsicht als Grundlage dürfen wir es wagen, den Römerbrief weiter zu lesen.In 2,22 hat Paulus seine jüdischen Leser gefragt: »Du verab-scheust die Götzen, und beraubst ihre Tempel«? Die beste Übersetzung aus dem Griechischen wäre: »Du, der du Götzenbilder verabscheust, bist du nicht der größten Pietätlosigkeit schuldig«? Einige Jahre später spricht Johannes ganz ähnlich von denen, »die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans« (Offenbarung 2, 9). Hier sind die Juden, die Menschen mit der Bibel, und halten sich für etwas Besonderes, aber Paulus sagt, dass sie der größten Pietätlosigkeit schuldig sind, und Johannes nennt sie die »Synagoge des Satans«. Wieder müssen wir zugeben: Dies ist Gottes Urteil auch über einen Großteil der heutigen Christenheit. Wir behaupten, in einem christlichen Land zu leben, in dem jeden Sonntag die Kirchen-glocken läuten und viele Menschen zum Gottesdienst gehen — und gleichzeitig lästern wir Gott, indem wir uns von der klaren Lehre seines Wortes abwenden. Stellen wir uns der Wahrheit: Wenn wir die Bibel haben und all den Segen, den sie bringt, und durch unseren Lebenswandel Gottes Namen Unehre bereiten, machen wir uns der größten Gotteslästerung schuldig.Dann noch einmal die Verse 23 und 24: »Du rühmst dich des Gesetzes, und schändest Gott durch Übertretung des

Page 61:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Gesetzes? Denn >euretwegen wird Gottes Name gelästert unter den Heiden<, wie geschrieben steht«. Wenn der Mensch mit der Bibel diese als bloße Äußerlichkeit behandelt, wird der Mensch ohne Bibel den Gott der Bibel lästern. Der Mensch mit der Bibel ist zu Recht unter Gottes Zorn.

Die Beschneidung nützt etwas, wenn du das Gesetz hältst; hältst du aber das Gesetz nicht, so bist du aus einem Beschnittenen schon ein Unbeschnittener geworden. (2,25)

Die äußeren religiösen Zeremonien reichen nicht. Was für den Juden die Beschneidung war, ist für den heutigen Menschen mit der Bibel die Taufe oder Konfirmation oder Kirchenmitgliedschaft. Aber dergleichen Dinge an sich, sagt Paulus, helfen uns nicht, ja sie schaden uns eher; wenn nichts hinter ihnen steht, sind sie nicht besser als das »Unbeschnittensein«.

Wenn nun der Unbeschnittene hält, was nach dem Gesetz recht ist, meinst du nicht, dass dann der Unbeschnittene vor Gott als Beschnittener gilt? Und so wird der, der von Natur unbeschnitten ist und das Gesetz erfüllt, dir ein Richter sein, der du unter dem Buchstaben der Beschneidung stehst und das Gesetz übertrittst. (2,26-27)

Den letzten Satz könnte man besser so übersetzen: »... der du trotz des Vorteils des Buchstabens und der Beschneidung das Gesetz übertrittst«. Wie wir schon sahen, behauptet Paulus mitnichten, dass der Mensch ohne Bibel gerechtfertigt sei; vielmehr sind auch die Heiden vor Gott schuldig, weil sie ihre eigenen Maßstäbe nicht einhalten (2, 1). Paulus sagt den Juden seiner Zeit und den Christen heute ganz einfach: »Schämt euch! Es gibt Menschen ohne Bibel, ohne all die Vorzüge, die ihr habt, die besser leben als ihr«.Dies entschuldigt den Menschen ohne Bibel nicht, aber wie sehr verurteilt es den, der die Bibel hat! Da steht der Jude und sagt: »Ich bin ein Jude. Ich habe die Beschneidung. Ich habe all diese anderen Dinge«. Und Gott antwortet ihm: »Ja, schon,

Page 62:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

aber schau doch, wie oft die Menschen ohne Bibel, deine ungläubigen Mitmenschen, ein besseres Leben führen als du! Wegen dir wird der Name des lebendigen Gottes gelästert. Damit bist du doppelt verurteilt. Die anderen sind nicht entschuldigt, aber du bist doppelt verurteilt«!

Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist, auch ist nicht das die Beschneidung, die äußerlich am Fleisch geschieht; sondern der ist ein Jude, der es inwendig verborgen ist, und das ist die Beschneidung des Herzens, die im Geist und nicht im Buchstaben geschieht. Das Lob eines solchen ist nicht von Menschen, sondern von Gott. (2,28-29)

Äußere Riten und Zeremonien, ob im Juden- oder im Christentum, sind sinnlos, wenn es keine Beschneidung des Herzens gibt, wenn also Gott nicht das Herz dieses Menschen angerührt hat und sein Glaube nicht echt ist. Zum »Christentum« zu gehören (ob es nun das Römisch-katholische oder das protestantische ist) und dann ein Leben zu führen, das in den Augen der Ungläubigen ein Skandal ist, ein Lippenbekenntnis abzulegen, das uns innerlich nichts bedeutet — dies stellt uns ohne Zweifel unter Gottes Zorn. Wenn der christliche Glaube für uns ein bloßes Etikett, ein nicht eingelöster Scheck ist, kann Gott mit Fug und Recht das zu uns sagen, was er in 2,1 der heidnischen Welt sagte: »Darum o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen«.An der Schwelle zum 3.Kapitel sagt Paulus mit großem Nach-druck, dass seine jüdischen Leser mit all ihren geistlichen Vorteilen doch unter Gottes Zorn stehen und den Erlöser brauchen. Geistlicher Segen ist nicht ein automatisches Ergebnis der Rasse oder äußerlichen Religionszugehörigkeit; er muss aus einer viel tieferen Realität heraus kommen. Die ganze Menschheit — erst die Heiden, jetzt die Juden — lässt Paulus vor uns vorüberziehen, in der Hoffnung, dass wir uns in ihr wiedererkennen und merken, dass nichts, was wir sind und haben, uns vor Gottes gerechtem Zorn retten kann.

Was haben dann die Juden für einen Vorzug, oder was nützt die Beschneidung? (3,1)

Page 63:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Paulus wusste natürlich, dass seine jüdischen Leser diese Frage stellen würden, und ein heutiger Jude stellt sie genauso. Wenn die Juden doch ebenso wie die Heiden unter Gottes Zorn sind, was für einen Vorteil hat man dann als Glied von Gottes »auserwähltem Volk«? Paulus beantwortet die Frage sehr bestimmt:

Viel in jeder Weise! Zum ersten: Ihnen ist anvertraut, was Gott geredet hat. (3,2)

»Was Gott geredet hat« [Viebahn: »die Offenbarungsworte Gottes«] bezieht sich natürlich auf das Alte Testament. Der Hauptvorteil der Juden vor den Heiden war, dass sie Gottes Wort hatten. Sie wussten über Gott Bescheid! In Kapitel 9-11 wird Paulus sich ausführlich den Juden zuwenden. In 10,19 wird er fragen: »Hat Israel es etwa nicht erkannt«? [Elberfelder.] Im 10. Kapitel weist er nach, wie Israel zu seinem Wissen über Gott kam: Von Gott inspirierte Menschen wie Mose (10,5) und Jesaja (10,16.20) haben es ihm gebracht. Die Juden kannten Gott, weil sie sein Wort hatten, das Alte Testament.Die Frage ist also nicht, ob Israel über Gott Bescheid wusste. Es wusste Bescheid, auf eine Art, wie Menschen ohne die Bibel es nicht können. Aber löste dieses Wissen über Gott das geistliche Problem der Juden? Brauchten sie keinen Heiland? »Ihr wusstet Bescheid, aber ihr habt nicht geglaubt«, sagt Gott. Und weil sie nicht glaubten, konnte all ihr Wissen über Gott ihnen nicht helfen; im Gegenteil, es verurteilte sie nur noch mehr.Damit ist Paulus die Frage, wie die Juden vor Gott dastehen, aus drei verschiedenen Richtungen angegangen: Ihr Leben ist schlimmer als das all der Menschen um sie herum, die die Bibel nicht haben, und deswegen sind sie schuldig (2,17-24); sie halten die von Gott angeordneten Zeremonien ein, aber nur äußerlich, und sind so abermals schuldig (2,25-29); sie wissen über Gott Bescheid, sie haben das Alte Testament, aber sie glauben es nicht und sind so wieder schuldig (3,1-2).

Page 64:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Dass aber einige nicht treu waren, was liegt daran? Sollte ihre Untreue Gottes Treue aufheben? Das sei ferne! Es bleibe vielmehr so: Gott ist wahrhaftig und alle Menschen sind Lügner; wie geschrieben steht: »Damit du Recht behältst in deinen Worten und siegst, wenn man mit dir rechtet«. (3,3-4)

Bedeutet die Tatsache, dass Gottes erwähltes Volk trotz all der Vorteile, die es genoss, treulos war, dass Gott treulos ist oder dass er nicht zu seinen Verheißungen an Israel steht? »Das sei ferne!«, sagt Paulus. Gott hat seine sämtlichen Verheißungen gehalten. Die Schuld liegt völlig bei denen, die diesen Verheißungen nicht geglaubt haben.

Ist's aber so, dass unsre Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit ins Licht stellt, was sollen wir sagen? Ist Gott dann nicht ungerecht, wenn er zürnt? — Ich rede nach Menschenweise. — Das sei ferne! Wie könnte sonst Gott die Welt richten? Wenn aber die Wahrheit Gottes durch meine Lüge herrlicher wird zu seiner Ehre, warum sollte ich dann noch als ein Sünder gerichtet werden? Ist es etwa so, wie wir verlästert werden und einige behaupten, dass wir sagen: Lasst uns Böses tun, damit Gutes daraus komme? Deren Verdammnis ist gerecht. (3,5-8)

Paulus rechnet damit, dass einige seiner Leser sagen: »Wenn durch unsere Sünde Gottes Gerechtigkeit nur umso heller leuchtet, ist es dann richtig, dass er uns richtet«? Paulus antwortet: »Ja, aber das ändert nichts. Du bist immer noch ungläubig, Gott verurteilt dich immer noch zu Recht, weil du doch all dieses Licht der alttestament-lichen Offenbarung hattest. Du wusstest doch um Gott, du hattest diesen Vorsprung, und trotzdem hast du nicht geglaubt«. Und wieder müssen wir sagen: Wenn das, was Gott hier sagt (dass die Juden vor Gott schuldig sind, obwohl, ja gerade weil sie das Alte Testament und all diese Dinge haben), für die Juden zur Zeit des Paulus galt, was würde Gott heute zu der so genannten Christenheit sagen?Was für Vorteile haben wir nicht in Nordeuropa und Nordame-

Page 65:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

rika gehabt: eine ganze Kultur, die sich auf die Reformation gründete, Bibeln in jeder Buchhandlung, eine Literatur voller Bibelzitate. Wenn Gott die Juden verurteilt, weil sie trotz all dem, was sie hatten, nicht glaubten, was muss Gott dann erst den »christlichen« Nationen unserer Zeit sagen? Wenn die Juden einen Vorteil hatten, dann wir ums mehr! Und wenn Gott schon die Juden verurteilte, weil sie nicht auf ihn eingingen, dann möge er Gnade mit uns haben!Wir, die wir heute die Bibel haben, stehen vor Gott schuldiger da als die Menschen heute, die nicht die Bibel haben, sondern nur die Stimme ihres Gewissens. Aber wir stehen auch schuldiger da als die Menschen, die zu Paulus' Zeiten die Bibel hatten. Wer all das hat, was wir haben, und nicht glaubt, ja sich so von Gott abwendet, dass der Name des lebendigen Gottes gelästert wird — was für eine Entschuldigung hat er? Wie können wir uns einbilden, damit bei Gott durchzu-kommen? Wenn junge Leute aus aller Welt in ein Land wie die USA kommen, um an unseren Universitäten zu studieren, und als zynische Atheisten nach Hause zurückkehren, kann es uns dann überraschen, wenn Gott uns ansieht und sagt: »Ihr seid unter meinem Zorn«?Wenn je ein Volk in der Geschichte den Heiland besonders gebraucht hat, dann wir heute im christlichen Abendland.

Page 66:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

4

Die ganze Welt: schuldig(3,9-20)

Paulus hat dargestellt, dass die Heiden (1,18-2,16) und die Juden (2,17-3,8) vor Gott schuldig dastehen. Jetzt bringt er beide zusammen und zeigt, dass alle Menschen überall in Gottes Augen gleich dastehen:

Was sagen wir denn nun? Haben wir Juden einen Vorzug? Gar keinen. Denn wir haben soeben bewiesen, dass alle, Juden wie Griechen, unter der Sünde sind, ... (3,9)

Das Gegenstück zu Paulus' Gleichsetzung von Juden und Heiden wäre heute vielleicht die Gleichsetzung von gläubigen Christen und Atheisten. Wenn ich über diesen Abschnitt spreche, sagen die Leute oft: »Wie meinen Sie das? Wollen Sie behaupten, dass ein Mitglied einer christlichen Kirche in Gottes Augen gerade so schuldig ist wie einer von diesen Kommunisten oder Atheisten«? Und Gott sagt durch Paulus: »Jawohl, so ist es«!Es ist so leicht, sich über die Menschen zu ereifern, die offen leugnen, dass es Gott gibt. Dass sie Sünder sind, die dringend die Erlösung brauchen — da stimmen wir sofort zu, nichts könnte klarer sein. Aber wie reagieren wir, wenn Paulus den Spieß umdreht und uns vorhält, dass wir in Gottes Augen genauso erlösungsbedürftig sind? Die jüdischen Leser des Paulus werden auf seine These, dass die Juden in Gottes Augen nicht besser als die Heiden sind, empört reagiert haben. Paulus, der mit dieser Reaktion gerechnet hat, erledigt die Sache mit einem Zitat aus ihrer Bibel, dem Alten

Page 67:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Testament:

... wie geschrieben steht: Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. Da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer. (3,10-12)

Es ist nicht nur Paulus, der sagt, dass alle Menschen Sünder sind. Mit einem Zitat aus Psalm 14,1-3 und 53,2-4 zeigt er, dass das Alte Testament, die Bibel seiner jüdischen Leser, es auch sagt. Und wie wir bereits sahen, sagt Jesaja es auch: »Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg« (Jesaja 53,6). Der Mensch ohne Bibel hat seine eigenen Maßstäbe nicht wirklich eingehalten, so dass er Gottes Zorn verdient. Aber die unter uns, die die Bibel und damit noch höhere moralische Maßstäbe haben, haben diese auch nicht eingehalten. Dies ist kein Gerede vom grünen Tisch der Theologen her. Sittliche Verderbtheit ist das Ergebnis konkreter unmoralischer Begierden des Einzelnen. Paulus beschreibt eine real existierende Tragödie der Sünde, und nicht einen abstrakten Zustand oder eine Definition des Menschen.Dieses Verständnis der Universalität der Sünde ist der echteste und größte »Gleichmacher« der Menschheit. Jesus hat dies immer wieder betont. Wenn die Leute mit dem Finger auf jemanden zeigten und sagten: »Schau dir den Sünder an«, zeigte Jesus ihnen, dass alle Menschen Sünder sind. Vor Gott stehen alle gleich da.Die Worte des Paulus sind konkret. Und sehr persönlich. Schon in 2,1 wurde er so persönlich, als er sagte: »Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen ...« Aber in 3,10-12 ist er das nicht weniger. Wenn »keiner« gerecht ist, dann bin ich es auch nicht. Wenn »keiner ... verständig ist« und »nach Gott fragt«, dann bin auch ich nicht verständig und frage nicht nach Gott. Wenn alle »abgewichen« sind, bin ich auch abgewichen. Wenn »keiner ... auch nicht einer« Gutes tut, dann tue ich auch nichts Gutes. Wenn alle Menschen ohne Ausnahme verderbt sind, bin ich das auch, egal, für wie gut

Page 68:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

ich mich halte!Auch die unter uns, die Christus als ihren Erlöser angenommen haben, dürfen die Sünde nie als bloßen Begriff betrachten. Alle Menschen sind von ihr befallen. Es steht uns nicht zu, Sünde als das zu sehen, was »die anderen« machen. Wir haben alle einmal als »Kinder des Zorns« angefangen (Epheser 2,3). Das ist die Grube, aus der Gott uns herausgeholt hat. Das sind wir.Oft finden Christen ein bestimmtes Verhalten »schockierend«. Wir sollten gewiss nicht zögern, Fehlverhalten mit Namen zu nennen, aber wie kann die Sünde der anderen uns »schockieren« (überraschen), wenn wir doch selber in Gottes Augen ganz und gar verderbt sind? Wenn ich wirklich begriffen habe, wie sündig ich für Gott bin, dann ist mir klar, dass ich auf der gleichen Ebene bin wie die anderen. Wir sind eben nicht »besser« als dieser oder jener Sünder.Paulus lässt uns diese Tatsache bis auf die Haut rücken, indem er sich selber einschließt. Er formuliert nicht: »Sind die Juden besser alsdie Heiden«? , sondern: »Haben wir Juden einen Vorzug?« (3,9). Er identifiziert sich mit seinen Mitjuden. Er fragt: »Bin ich, sind wir besser als die anderen«? Und er antwortet: »Nein, ich bin nicht besser, wir sind nicht besser«.Paulus' Zitat aus dem Alten Testament muss ein Schock gewesen sein für seine jüdischen Leser — und es ist es auch für den heutigenchristlichen Leser. Wie kann ich noch behaupten, dass ich vor demheiligen Gott gut dastehe, weil ich doch die Bibel habe, wenn eben diese Bibel sagt, dass niemand gerecht ist? Für den Selbstgerechtenbleiben nach V. 12 nur noch Trümmer. Niemand kann sich hinter dem Schutzschild des Judentums bzw. Christentums verstecken. Keiner ist vor Gott gerecht, »auch nicht einer«.Heißt dies, dass wir alle hoffnungslose Fälle sind? Nun, vergessen wir nicht, dass Paulus bisher nur die »erste Hälfte« des Evangeliumsverkündigt; er versucht immer noch, zu zeigen, dass alle Menschen erlösungsbedürftig sind. Vergessen wir nicht den Kontext: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn

Page 69:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

es ist Gottes Kraft zur Rettung ...« (1,6 [Schlachter]).»Aber warum muss ich denn erlöst (gerettet) werden?« »Weil du unter dem Zorn Gottes bist.«»Und warum bin ich unter dem Zorn Gottes?«Diese Frage beantwortet Paulus in der ersten Hälfte seiner Darstellung des Evangeliums (1,18-3,20), und er fährt in 3,13 mit einem furchtbaren Bild fort:

Ihr Rachen ist ein offenes Grab; mit ihren Zungen betrügen sie, Otterngift ist unter ihren Lippen; ihr Mund ist voll Fluch und Bitterkeit. Ihre Füße eilen, Blut zu vergießen; auf ihren Wegen ist lauter Schaden und Jammer, und den Weg des Friedens kennen sie nicht. Es ist keine Gottesfurcht bei ihnen. (3,13-18)

Was für ein grässliches Bild malt Paulus hier von der Menschheit seiner Tage! Aber sind wir heute etwa besser? Sind wir heute moralisch »fortschrittlicher« als früher, wie so viele gerne glauben möchten? Gottes Wort würde sicher sagen: »Nein, kein Einziger!« Wir mögen hier und dort Fortschritte machen, aber nicht in unserer moralischen Stellung vor Gott. Wir dürfen unser schreckliches Selbstbildnis in diesen Versen nicht zu einer Abstraktion verflüchtigen. So sind wir Menschen, so sieht uns ein heiliger Gott.

Wir wissen aber: Was das Gesetz sagt, das sagt es denen, die unter dem Gesetz sind, damit allen der Mund gestopft werde und alle Welt vor Gott schuldig sei, weil kein Mensch durch die Werke des Gesetzes vor ihm gerecht sein kann. Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde. (3,19-20)

Paulus kommt zu der Schlussfolgerung in seinem Argument gegen die Juden, wobei er jedoch, wie bereits seit V. 9, die ganze Menschheit mit einbezieht. Da niemand, weder Jude noch Heide, das Gesetz völlig hält, ist die einzige mögliche Schlussfolgerung, dass die ganze Menschheit vor Gott schuldig und seinem Gericht verfallen ist. Bei den »Werken des Gesetzes« in V. 20 denkt Paulus nicht nur an das Gesetz des Mose, sondern an gute Werke jeder Art. »Kein Mensch«

Page 70:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

kann durch gute Werke vor Gott gerecht sein. Der griechische Urtext drückt es noch stärker aus: »... weil kein Fleisch . . . jemals vor ihm gerecht sein kann/wird.« Der Mensch ohne Bibel wird, wie wir in 2, sahen, von Gott nach den Maßstäben gerichtet werden, die er selber an andere Menschen angelegt hat. Niemand kann behaupten: »Ich habe die Maßstäbe, nach denen ich die anderen beurteilt habe, selber perfekt gehalten.« Worauf der Jude kommt und sagt: »Schon, aber wir haben die Bibel.« Und Gott antwortet: »Richtig, und die habt ihr auch nicht gehalten.« Das Ergebnis ist pechschwarz: »Kein Mensch« kann »durch die Werke des Gesetzes« vor Gott gerecht sein; denn »durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.«Wir sind am Ende von Paulus' Darlegung der »ersten Hälfte des Evangeliums« angelangt. Paulus hat den Großteil des ersten Kapitels, das gesamte zweite und zwei Drittel des dritten darauf verwandt, uns unsere Erlösungsbedürftigkeit zu zeigen, aber er hat noch nicht gezeigt, wie wir erlöst werden. Bisher ist das Wort Erlösung [Schlachter: »Rettung«, Luther: »selig macht«] nur in dem Thema-Vers 1,16 aufgetaucht: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist Gottes Kraft zur Rettung. ..« (1,6 [Schlachter]). Und wir hören ihn förmlich, den Schrei — ob in der humanistischen griechisch-römischen Welt zur Zeit des Paulus oder im humanistischen 20. Jahrhundert —: »Warum brauche ich Erlösung?« Die Menschen haben alle möglichen Meinungen darüber, ob es Gott gibt und wie er ist, falls es ihn gibt, aber wenn sie hören, dass Gott sagt, dass sie Erlösung brauchen, fangen sie meistens an zu protestieren.Es ist interessant, dass sie beim Existenzialismus nicht so protestieren. Der Existenzialist sagt, dass alle Menschen verloren und verdammt sind, dass es keine Hoffnung gibt. Zyniker und Nihilisten jeder Couleur sagen uns, dass das Leben ein hoffnungsloses schwarzes Loch und der Mensch eine Null ist. Hier unterscheidet sich das Christentum radikal vom Existenzialismus — und dies ist der Grund, warum die Menschen so allergisch auf das Christentum reagieren, aber nicht auf den Existenzialismus. Der Existenzialismus sagt, dass der Mensch eine Null und hoffnungslos verdammt ist. Das Christentum sagt, dass der Mensch nicht aufgrund seines

Page 71:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Soseins verdammt ist, sondern aufgrund seiner aus freiem Entschluss geschehenen Taten. Wenn jemand aufgrund seines Soseins verloren ist, ist er ein »tragischer« Fall, aber kein »Sünder«. Aber das Christentum sagt, dass der Mensch kein tragischer Fall ist; er ist ein wunderbares Geschöpf Gottes und ein Rebell gegen Gott, der Gottes Zorn verdient. Also kein tragischer Held, sondern Rebell. Der Mensch ist in einem Netz gefangen, das er sich selber gesponnen hat, und die Bibel sagt, dass er die Verantwortung, die Schuld dafür übernehmen muss.Was uns zur zweiten Hälfte des Evangeliums bringt.

5

Die Rechtfertigung nach dem Kreuz(3,21-30)

In 3,21 fängt Paulus an, zu erklären, wie der Mensch erlöst werden kann. Aber bevor wir fortfahren, bedenken wir noch einmal, wie ausführlich Paulus die, wie wir es genannt haben, »erste Hälfte des Evangeliums« dargestellt hat. Wir sind schuldig, wir haben keine Entschuldigung, wir brauchen dringend Erlösung, und niemand von uns kann aufgrund irgendwelcher guten Werke, die er getan hat, gerettet werden. Aber, so fragen wir vielleicht, warum ist denn unsere Lage so hoffnungslos? Warum sind wir unfähig, uns selber zu helfen? Weil wir gegen einen heiligen Gott gesündigt haben. Darum ist unsere Lage so aussichtslos.

Page 72:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Die Menschen sagen mir immer wieder: »Aber wie kann jemand ewig verdammt werden für etwas, was er in gerade mal siebzig Jahren getan hat, und wenn es siebzig Jahre lang nur Böses gewesen wäre?« Das Problem ist nicht, wie wenig oder wie viel wir gesündigt haben, sondern gegen wen wir gesündigt haben. Wir haben gegen einen realen, unendlich heiligen Gott gesündigt — und damit ist unsere Sünde unendlich.Das ist so ähnlich, als ob vor unseren Füßen ein unendlicher Abgrund der Schuld gähnte. Nehmen wir an, wir schleppen unsere kleinen Tugendeimer herbei (wenn wir denn welche finden . . .) — wie viele solcher Eimer würde es brauchen, um diesen (wohlgemerkt: unendlich tiefen) Abgrund zu füllen? Es geht nicht! Eine einzige Sünde gegen einen unendlichen Gott reicht, und der Abgrund ist unendlich, und nichts und niemand kann ihn auffüllen.Ein hoffnungsloser Fall also? An diesem Punkt in Paulus' Dar-legung des Evangeliums, ja. Wenn wir jemandem das Evangelium erklären, müssen wir an diesem Punkt sagen: »Jawohl, du bist ein hoffnungsloser Fall.« Dieser herben Realität müssen wir uns stellen. Es darf keinen Millimeter mehr geben, in dem das menschliche Ich sich verstecken kann. Es darf keine Hoffnung mehr geben, ob positiv oder negativ, innerlich oder äußerlich, ob auf fromme gute Werke oder moralische gute Werke. Kein Fetzen Hoffnung darf noch übrig sein, oder wir bringen den Menschen nicht das, was die Bibel lehrt. Die Menschen brauchen Erlösung, weil sie total unter dem Zorn eines heiligen Gottes stehen. Niemand hat etwas, das er in seinen Schuldabgrund werfen könnte; die Kluft ist unendlich.An diesem Punkt berühren sich Christentum und moderner Existenzialismus. Der Existenzialist sagt: »Der Mensch ist verloren«, und die Bibel sagt: »Der Mensch ist verloren.« Der Unterschied ist, dass der Existenzialist wirklich keine Hoffnung hat; aber die Bibel Gott sei gedankt! — fährt hier fort und sagt, von Römer 3,21 bis 4,25: »Doch, es gibt eine Riesenhoffnung, es gibt eine Lösung!«Erinnern wir uns an unseren Schlüsselvers: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und

Page 73:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

ebenso die Griechen« (1,6). Nachdem er die Erlösungsbedürftigkeit aller Menschen gezeigt hat, zeigt Paulus nun, wo wir Erlösung finden können. In 3,21-3o erklärt er, wie die Menschen, die von der Zeit Christi an leben, erlöst werden können. In 3,31-4,22 zeigt er, wie die Menschen, die vor Christus lebten, Erlösung fanden. Danach bringt er in 4,23-25 diese beiden Menschheitsepochen zusammen. So wie er erst die Schuld der Heiden (1,18-2,16), dann die der Juden (2,17 -3,8) aufzeigte und dann beides zusammenbrachte, um zu zeigen, dass alle Menschen unter Gottes Zorn sind (3,9-20), so wird er jetzt erst den Erlösungsweg für die Menschen nach Christus (3,21-30), dann für die vor Christus (3,31- 4,22) zeigen, um dann wieder beide zusammenzubringen (4,23-25). Es ist der gleiche logische Aufbau.Beginnen wir mit 3,21: Wenn alle Menschen verloren und unter Gottes Zorn sind, wenn man den unendlichen Abgrund der Schuld mit keinen kleinen Tugendeimern füllen kann, wie kann dann ein Mensch gerecht werden?

Die Antwort ist ebenso einfach wie wunderbar.

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. (3,2)Erinnern wir uns, wie Paulus gleich in 1,2 zeigte, dass seine Lehre nicht auf ihn oder das Neue Testament beschränkt ist, sondern bereits im Alten Testament auftaucht? Und wie er in 3,10-12 abermals die Kontinuität zwischen seiner Lehre und der des Alten Testamentes zeigte? Jetzt bezieht er sich wieder auf das Alte Testament. Wie das Neue Testament, so zeigt auch das Alte sowohl die Verlorenheit der Menschen als auch den Weg der Erlösung. Man kann keine Grenze ziehen zwischen der Grundlehre des Alten und der des Neuen Testaments. Die Bibel ist eine totale Einheit.Es ist daher vollkommen in Ordnung, von der »jüdisch-christlichen Tradition« zu sprechen. Wir glauben nicht nur an das Neue Testament, sondern auch an das Alte. Ein wirklich bibeltreuer Christ liest das Alte Testament mit dem gleichen Interesse wie das Neue. Beide bringen eine Botschaft, sind eine Einheit. Es gibt nicht zwei Religionen (eine

Page 74:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

alttestamentliche und eine neutestamentliche), sondern nur eine. Beide, das Alte und das Neue Testament, erklären, dass alle Menschen verloren und verderbt sind, und beide erklären, dass es eine Gerechtigkeit Gottes »ohne Zutun des Gesetzes« gibt.

Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus ... (3,22a)

Dies, sagt Paulus, ist die Antwort. Er wird uns jetzt zeigen, wie sündige Menschen vor Gott gerechtfertigt werden können: indem Gott erklärt, dass ihre Schuld aufgrund des vollbrachten Erlösungswerkes Jesu Christi bezahlt ist. Weil Christus sich selber am Kreuz geopfert hat, erklärt Gott uns für gerecht.Man beachte das Wort erklärt. Es ist von der allergrößten Wichtigkeit und wird in unserer Studie der Rechtfertigung in 3,21-4,25 immer wieder vorkommen. Es ist nämlich nicht so, dass Gott uns mit Gerechtigkeit »erfüllen« würde. Wir bekommen keine Gerechtigkeitsinfusion, sondern Gott vollzieht eine juristische Erklärung. Unsere Schuld vor ihm ist eine rechtliche Angelegenheit. Wenn ein unerlöster Mensch vor Gottes Gericht tritt, wird Gott ihn schuldig sprechen. Dieser Schuldspruch ist ein juristischer, gerichtlicher Akt. Die Rechtfertigung ist ebenfalls ein juristischer Akt. Was sollten wir dankbar sein, dass dieser juristische Akt möglich ist, bevor wir Gott im Gericht gegenübertreten müssen. Wir haben Gottes Schuldurteil und seinen Zorn verdient, aber aufgrund des vollbrachten Erlösungswerkes Christi kann Gott uns für gerecht und unsere Schuld für erloschen erklären.Was geschieht, wenn jemand Jesus als seinen Heiland annimmt? Zuallererst trifft Gott eine Erklärung, und diese Erklärung lautet: »Francis Schaeffer (oder Ihr Name), ich erkläre dich hiermit für gerecht. Du bist rechtskräftig schuldig, weil du deine eigenen moralischen Maßstäbe gebrochen hast, aber aufgrund dessen, was Jesus Christus für dich getan hat, ist deine Schuld weg. Der Preis ist bezahlt.«Erlösung ist zuallererst eine rechtliche Angelegenheit, da sie mit unserer Schuld vor Gott zu tun hat. Später, in Römer 5-7, werden wir sehen, dass sie auch andere Aspekte für unser

Page 75:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

gegenwärtiges Leben hat, und in Kap.8 werden wir die wunderbare Zukunftsdimension der Erlösung kennen lernen. Aber das erste Große, das wir erfahren, ist, dass die Erlösung unsere Schuld wegnimmt. Gott erklärt: »Deine Schuld ist fort.«Auf welcher Basis erklärt Gott uns für gerecht, für frei von Schuld? Nur auf der Basis des vollbrachten Erlösungswerkes Jesu Christi. Gott bleibt ein Gott der Gerechtigkeit. Er sagt nicht: »Ich lasse Fünfe gerade sein bei deiner Sünde«, oder: »Ich drücke die Augen zu.« Das würde seiner Vollkommenheit Abbruch tun und ihn willkürlich und relativistisch handeln lassen. Aber weil Jesus die Strafe für unsere Sünde trug, kann Gott uns für gerecht erklären.

Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. (3,22a)

Dies sollte uns an etwas aus unserem Schlüsselvers erinnern: Das Evangelium ist »eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben« 1,6). Das Evangelium ist, wie wir sahen, universal; es gilt nicht nur Israel, sondern auch der Welt der Heiden. Es gibt jedoch eine Einschränkung: Es gilt nur denen, die glauben. Diese Gerechtigkeit vor Gott, die Christus möglich macht, ist nur für die da, »die glauben«.

Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder ... (3,22b-23a)

Mitten in diesem Höhepunkt seiner Präsentation des Evangeliums kehrt Paulus plötzlich zu der »ersten Hälfte« seiner Botschaft zurück, denn er weiß darum, dass das Evangelium sinnlos ist, solange sein Hörer nicht die ganze Tiefe seiner Schuld vor Gott begreift. Es hat keinen Sinn, jemanden zu fragen, ob er erlöst werden möchte, solange er nicht weiß, wie verzweifelt er Erlösung braucht. Ohne dieses

Page 76:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

abgrundtiefe Verlorenheitsbewusstsein ist die Verkündigung des Evangeliums Zeitverschwendung. Der Jude oder Namenschrist, der zu einer Evangelisation kommt und überzeugt ist, dass Gott ihn schon annehmen wird, wenn er sich nur ehrlich strebend bemüht; der christliche Wissenschaftler, der meint, dass er es mit positiven Gedanken schaffen wird; der Katholik, der glaubt, dass er durch das Leiden im Fegefeuer einen Weg zu Gott finden wird — keiner, der solch eine Mentalität hat, wird Christus als seinen Erlöser annehmen.Und so kehrt Paulus hier zu dem Thema der Sünde zurück. Wir sagen vielleicht: »Paulus, das hast du doch schon alles am Ende des ersten Kapitels abgehandelt und im zweiten und dritten, warum gehst du nicht weiter im Thema?« Aber Paulus, angetrieben durch den Heiligen Geist, weiß, dass die Menschen, solange sie nicht die ganze Tiefe ihrer Schuld vor Gott begreifen, nie das annehmen werden, was Jesus Christus für sie tat.

Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, ... (3,23)

Die Zeiten, in denen die Verben dieses Verses stehen, decken Vergangenheit und Gegenwart ab. Alle haben in der Vergangenheit gesündigt und »erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes« [Elberfelder.]. Nehmen wir an, Gott würde sagen: »Gut, ich werde dich aufgrund dessen richten, was du in deinem bisherigen Leben getan hast.« Wir müssten antworten: »Aber ich habe mein Leben lang gesündigt« — und wären verurteilt. Wenn Gott dann sagen würde: »Schön, ich vergesse deine Vergangenheit und richte dich ab dem heutigen Tag«, wäre wirklich jemand so dumm, zu glauben, dass er ab jetzt ein sündloses Leben führen kann? Unser Herz sagt uns doch, dass wir auch dann verurteilt würden. Nein, »alle haben gesündigt und erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes« [Elberfelder]. Paulus lässt keinen Raum für unseren menschlichen Egoismus. Wir haben gesündigt, wir sündigen und wir werden weiter sündigen. In sämtlichen Richtungen ist eine Erlösung durch gute Werke unmöglich.Und daher besteht unsere einzige Hoffnung darin, dass Gott

Page 77:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

einen Weg findet, uns frei, gratis, ohne einen Millimeter Verdienst auf unserer Seite zu erlösen.

... und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. (3,24)

Und genau dies hat Gott durch Christus für uns getan! Er hat uns gerecht gesprochen »aus seiner Gnade durch die Erlösung«, die Christi Kreuzestod uns eröffnet hat.Diese »Erlösung«, von der Paulus jetzt spricht, ist genau das, was wir brauchen. Weniger reicht nicht. Wir brauchen keinen religiösen Guru. Wir brauchen keine vage Identifizierung zwischen Christus und uns. Wir brauchen Erlösung, weil wir schuldig sind. Ob aufgrund unserer persönlichen Maßstäbe oder des Gesetzes Gottes, wir sind schuldig (1,18-3,20). Aber wenn wir uns auf »die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist« stellen, sind wir vor Gott gerechtfertigt.

Gottes Gnade, seine Erlösung, ist gratis, aber nicht in dem Sinne, dass niemand für sie bezahlt hätte. Sie ist gratis für uns, weil Jesus den Preis gezahlt hat. In einem Sinne vergibt Gott Sünde nie — weil er es nicht kann. Wenn Gott auch nur eine einzige Sünde in dem Sinne vergeben würde, dass er ein Auge zudrückt, würden wir nicht mehr in einem sittlichen Universum leben, ja Gott selber wäre nicht mehr sittlich. Und so »vergisst« er keine einzige Sünde; jede Sünde wird bestraft. Aber weil Jesus den Preis für unsere Sünde bezahlt hat, ist die Sache bereinigt. Sie ist nicht im Rahmen des absoluten Sittengesetzes bereinigt, nach welchem Gott die Welt regiert, sondern außerhalb dieses Gesetzes oder, wie Paulus in 3,21 formuliert, »ohne Zutun des Gesetzes«.Im gesamten Alten Testament werden wir mit Gottes perfekter Gerechtigkeit konfrontiert. So lesen wir in 5.Mose 25,1: »Wenn eine Streitsache zwischen Männern ist und sie vor Gericht kommen und man sie richtet, so soll man den, der im Recht ist, gerecht sprechen und den Schuldigen schuldig sprechen.« Was bedeutet Gerechtigkeit? Dass der Schuldige verurteilt wird. Nach diesem Maßstab ist jeder Einzelne von uns schuldig vor einem Gott, der uns nach seinem eigenen

Page 78:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

moralischen Gesetz verurteilen muss. Aber weil Christus den Preis für all unsere Sünde gezahlt hat, sind »alle, die glauben« (3,24) in Gottes Augen gerechtfertigt. Diese Rechtfertigung erfolgt »ohne Verdienst« (3, 24), ohne das kleinste Bisschen guter Werke auf unserer Seite, ohne dass wir auch nur ein Gramm auf die Waage der Gerechtigkeit Gottes legen könnten.

Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, ... (3,25-26a)

Gott hat Christus »hingestellt« (d. h. der Welt gegeben) als »Sühne«. Sühnen heißt bedecken. Unter dem alttestamentlichen Gesetz bedeckte der »Gnadenthron« die Bundeslade (2. Mose 25,17-22). Heute bedeckt Christi Tod am Kreuz unsere Sünden, wie der Mantel des Vaters jenen kleinen Jungen bedeckt. Aber er bedeckt nicht automatisch die Sünden jedes Menschen, sondern nur die Sünden »aller, die glauben«. Es gibt immer diese beiden Elemente: das Werk, das ganz und gar durch Jesus Christus am Kreuz vollbracht wurde, und den Glauben, unser Annehmen des Erlösungswerkes Christi. Allein Christi Tod bringt die Vergebung der Sünden, es braucht nichts anderes, keinerlei Leistung von unserer Seite. Christi Tod ist eine totale Sühne, die alles bedeckt.

... um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. (3,26b)

Eine genauere Übersetzung wäre: »... dass er selbst gerecht ist und trotzdem gerecht macht den ...« [Menge: »... dass er selbst gerecht wäre und zugleich jeden . . .«; vgl. Schlachter]. Dieser Satz und die ihn umgebenden Verse bilden gewissermaßen das Zentrum der gesamten Bibel, denn sie beantworten die tiefste aller Fragen: Wie kann Gott der absolut gerechte Herrscher des Universums bleiben und gleichzeitig mich, einen hoffnungslosen Sünder, gerecht

Page 79:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

sprechen?Beachten wir als Erstes, dass Gott absolut gerecht bleiben muss, oder wir haben kein reales Fundament für moralische Maßstäbe. Es ist unmöglich, sittliche Maßstäbe zu haben, ohne dass es ein moralisches Absolutes gibt. Ohne eine absolute Sittlichkeit bleibt uns nur entweder der Hedonismus oder ein wackliger relativer Maßstab wie »Was für die Gesellschaft am besten ist«; Worte wie »recht« und »unrecht« werden letztlich bedeutungslos. Es muss einen absoluten moralischen Maßstab geben, und die Bibel gibt die einzige Lösung dieses Problems: das moralische Absolute ist das vollkommen »gerechte« Wesen Gottes selber.Deshalb ist 3,26 solch ein Schlüsselvers. Weil Jesus unsere Schuld am Kreuz getragen hat, kann Gott »gerecht« und das ethische Fundament unseres Universums bestehen bleiben, und gleichzeitig kann Gott der »Gerechtsprecher« all derer sein, die an Christi Bezahlung für ihre Schuld glauben und sie annehmen.Ob ich zu den Menschen mit der Bibel gehöre oder zu denen ohne Bibel, ich bin schuldig. Ob Jude oder Grieche, ich stehe unter Gottes Zorn. Wie kann Gott mich also rechtfertigen? Wenn er meine Sünde einfach übersehen würde, wäre er nicht mehr gerecht, und sobald er nicht mehr gerecht ist, leben wir nicht mehr in einem moralisch fundierten Universum, und wenn das Universum kein sittliches Fundament mehr hat, bricht alles zusammen. Aber es gibt eine Möglichkeit für Gott, meine und Ihre Sünde zu bereinigen und dennoch gerecht zu bleiben. Es gibt einen Weg, auf dem Gott Sie und mich gerecht sprechen kann, ohne einen Millimeter von seiner absoluten Heiligkeit abzuweichen. Er kann es, weil sein Sohn Jesus Christus die volle Strafe für unsere Schuld auf sich genommen hat.Gottes Liebe zeigt sich nicht darin, dass er Sünde vergibt; in gewissem Sinne kann keine Sünde vergeben werden, oder wir würden nicht mehr in einer sittlichen Welt leben. Gottes Liebe zeigt sich vielmehr darin, dass er seinen einzigen Sohn, Jesus Christus, gesandt hat, um den Preis zu zahlen, der alle unsere Sünden bedeckt. Gott behält seine Heiligkeit bei, er weicht nicht ab von seiner totalen Gerechtigkeit. Und doch kann er, ohne sein moralisches Gesetz aufzugeben, voll und ganz

Page 80:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

jeden rechtfertigen, der an Jesus glaubt und sein perfektes Sühneopfer annimmt.Für wen gilt also dieses Bedecken der Sünde? Für jeden? Anders als viele moderne Philosophen, sieht Gott uns nicht als lauter gesichtslose Masken. Er behandelt uns nicht wie Maschinen. Er behandelt uns als Individuen. Er behandelt uns als das, als was er uns schuf: als moralische, vernunftbegabte Wesen. Und so gibt es, obwohl Christi Tod für alle Sünden ausreicht, eine Bedingung dafür, für wen dieser Sühnetod gilt. Diese Bedeckung der Sünde, diese Rechtfertigung gilt »allen, die daran glauben« (1,6), »allen, die glauben« (3,22), »dem, der da ist aus dem Glauben an Jesus« (3,26).Was für Menschen spricht Gott gerecht? Er spricht die gerecht, die im Glauben das, was Christus für sie tat, annehmen, die sich mittels des Glaubens unter sein Werk stellen.Es gibt zwei Faktoren bei der Erlösung: die Grundlage und den Zugang. Die Grundlage unserer Erlösung ist das vollbrachte Werk Jesu Christi, ohne auch nur das kleinste Bisschen an menschlichen guten Werken. Der Zugang, durch den wir an dieser Erlösung Teil haben, ist unser Glaube, unser Vertrauen auf Gott. Unser Glaube an sich hat keine erlösende Wirkung. Wir werden nicht durch unseren Glauben erlöst, sondern allein aufgrund des vollbrachten Erlösungswerkes Jesu Christi. Aber die Tür, die uns in diese Erlösung hineinführt, ist unser Glaube. Unser Glaube ist das Ausstrecken unserer leeren Hände, um das Geschenk der Erlösung entgegenzunehmen.Unser Glaube hat keine erlösende Wirkung. Auch nicht unsere religiösen oder moralischen guten Werke, denn sie sind alle nicht vollkommen. Auch nicht unser Leiden. Wir müssten unendlich leiden, weil wir gegen einen unendlichen Gott gesündigt haben, aber als endliche Wesen können wir nicht unendlich leiden. Das Einzige in Gottes gesamtem moralischen Universum, das die Macht hat, uns zu erlösen, ist das vollbrachte Werk Jesu Christi. Unser Glaube besteht einfach darin, dass wir dieses Geschenk annehmen, und alle die, die so an Jesus glauben, spricht Gott gerecht (3,26).Wenn all dies wahr ist, ist der Vers 27 geradezu eine Untertreibung:

Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen.

Page 81:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. (3, 27)

Nach den heutigen humanistischen Maßstäben ist das Evangelium entschieden »unhumanistisch«. Wenn mein Glaube mich erlösen könnte oder mein Leiden oder meine religiösen oder moralischen Leistungen, könnte ich mir vor Gott etwas darauf einbilden. Ich könnte, wie Paulus es in 4,4 ausdrücken wird, Gott gleichsam als meinen Schuldner betrachten, dem ich sagen kann: »Das steht mir zu. « Aber wie wir bisher im ganzen Römerbrief gesehen haben, sind wir Menschen in einer vollkommen unhumanistischen Lage. Wir alle haben gesündigt und gegen Gott rebelliert. Und da wir gegen einen unendlichen Gott gesündigt und rebelliert haben, sind wir unendlich schuldig. Es gibt nur eine Hoffnung für uns: dass Gott uns gnädig ist. Nicht so, dass er beide Augen vor der Sünde zudrückt, sondern dass er den Erlöser sendet, den Sühner, den, der sein Blut für uns vergießt. Dies ist unsere einzige Hoffnung. Hier ist kein Raum für das Sichrühmen.

So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. (3,28)

Dies ist die große Schlussfolgerung des Paulus, der Schlüsselvers für Martin Luthers Verständnis des Evangeliums. Wenn man sich vor Augen führt, dass Luther in einer Zeit lebte, die von einer jahrhundertelangen Tradition römisch-katholischer Werkgerechtigkeit und von einem aufkommenden Humanismus geprägt war, versteht man, warum dieser Vers sein großes Credo wurde. Dies war Luthers Vers, und es sollte auch unserer sein. Er sollte uns mit Dankbarkeit erfüllen, waren doch auch wir »Kinder des Zorns von Natur wie auch die andern« (Epheser 2,3) — und sind ewig gerettet aus Gnade und durch den Glauben. Diese Tatsache sollte jede bloße kalte Rechtgläubigkeit wie einen Teller auf einem Steinfußboden zerbrechen lassen. Wie kann uns diese große Wahrheit kalt lassen? »So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.«

Page 82:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Oder ist Gott allein der Gott der Juden? Ist er nicht auch der Gott der Heiden? Ja gewiss, auch der Heiden. Denn es ist der eine Gott, der gerecht macht, die Juden aus dem Glauben und die Heiden durch den Glauben. (3,29-30)

Paulus hat alle Fäden zusammengezogen. Warum brauchen wir Erlösung? Weil wir schuldig sind. Warum brauchen wir Erlösung? Weil wir unter Gottes Zorn sind. Der Mensch ohne Bibel, der Heide, ist unter Gottes Zorn (1,18-2,16), aber auch der Mensch mit der Bibel, der Jude (2,17-3,8). Dann bringt Paulus sie alle zusammen und erklärt, dass alle Menschen unter Gottes Zorn sind (3,9-20). Darauf zeigt er uns die wunderbare Erlösung, die Gott durch das vollbrachte Werk Jesu Christi geschaffen hat (3,21-28). Und dann bringt er wie-der die ganze Menschheit zusammen und erklärt, dass Gott derselbe Gott für alle ist; alle — Juden wie Heiden — brauchen genau die gleiche Erlösung (3, 29-30).

Page 83:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

6Die Rechtfertigung vor dem Kreuz

(3,31-4,25)Paulus sieht jetzt eine Frage seiner jüdischen Leser kommen, und diese Frage leitet zum 4. Kapitel über:

Wie? Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf. (3,31)

In Kapitel 1o wird Paulus deutlich aufzeigen, dass schon die Juden des Alten Testaments durch den Glauben gerechtfertigt wurden, wie dies bei Gottes Leuten immer war. Hier, in Kapitel 4, illustriert er diese Wahrheit am Beispiel des Glaubens Abrahams, und er beginnt seine Darstellung des Glaubens Abrahams, indem er sagt, dass die Botschaft von der Erlösung durch den Glauben das Gesetz eigentlich überhaupt erst aufrichtet [Elberfelder.: »bestätigt«; Viebahn: »zur vollen Geltung bringt«].Wie kann die Erlösung durch den Glauben das Gesetz »aufrichten«? Nun, das ganze Ziel des Gesetzes ist die Erlösung durch den Glauben. Wie Paulus im Galaterbrief erklärt, ist das Gesetz der »Zuchtmeister« [Menge: »Erzieher«], der die Menschen zu Christus hinführt (Galater 3,24) Der kurz vor Christus geborene Johannes der Täufer war der letzte alttestamentlichen Prophet, und seine Bußbotschaft war die gleiche wie die der anderen alttestamentlichen Pro-pheten. Wie das Gesetz und alle Propheten hatte er die Aufgabe, die Menschen auf Christus vorzubereiten. Das

Page 84:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Gesetz will uns zu Christus hin erziehen. Paulus sagt hier, dass er nicht das Alte Testament zerstören will, nicht aufhören will, jüdisch zu sein, denn das Evangelium, das er verkündigt, ist ja das Ziel des alttestamentlichen Gesetzes. Wenn wir mit Menschen zu tun haben, die vom Judentum her kommen, müssen wir im Lichte der Perspektive des Paulus vor ihnen leben und ihnen das Evangelium bringen. Wir müssen versuchen, ihnen zu zeigen, dass Altes und Neues Testament nicht zwei verschiedene Offenbarungen Gottes sind, sondern eine. Sie mögen unsere Botschaft nicht sofort annehmen, aber dies muss unser Vorgehen sein.Nachdem er zu dem Schluss gekommen ist, dass Juden wie Heiden nur durch den Glauben gerechtfertigt werden (3,28-30), untermauert Paulus dies in Kapitel 4, indem er an Abraham, den Vater des jüdischen Volkes, erinnert. Die Erlösung allein durch den Glauben ist nichts Neues; sie gilt für die Menschen auf beiden Seiten des Kreuzes. Altes und Neues Testament verkündigen beide diese Botschaft. Schon ganz zu Anfang des Römerbriefes hat Paulus erwähnt, dass Gott das Evangelium »zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der Heiligen Schrift« (1,2). Alle Menschen sind Sünder, und der Sinn des Gesetzes ist, uns eben dies zu zeigen. Das Gesetz ist, wie wir schon in Bezug auf Römer 1,18-3,20 sagten, »die erste Hälfte des Evangeliums«. Erst wenn wir verstanden haben, dass wir das Gesetz nicht gehalten haben und deshalb unter Gottes Zorn sind, sind wir dafür reif, die zweite Hälfte des Evangeliums zu hören: die frohe Botschaft von der Erlösung durch Christi Blut.Beachten wir wieder, an welchem Punkt unseres Gangs durch den Römerbrief wir sind: Nachdem er uns unsere Erlösungsbedürftigkeit gezeigt hat (1,18-3,2o), erklärt Paulus jetzt die wunderbare Wahrheit, dass wir vor Gott durch den Glauben allein gerechtfertigt werden können (3,21-4,25). In 3,21-3o hat er über die Rechtfertigung der Menschen nach dem Kreuz gesprochen; in 3,31-4,22 wird er erklären, dass auch die Menschen, die vor der Kreuzigung lebten, im Glauben gerecht werden konnten. Dann, in 4,23-25, wird er die, die vor Christus, und die, die nach Christus lebten, zusammenbringen (so wie er in 3,9-20 und 3,29-30 Juden und Heiden zusammen-brachte), um erneut die Einheit des Heilsplanes Gottes vor

Page 85:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

und nach dem Kreuz aufzuzeigen.Die reformierten Theologen sehen die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen als eine Abfolge von Bundesschlüssen. Als ersten Bund setzen sie den Bund der Werke an, der von der Schöpfung bis zum Sündenfall galt. Adam und Eva hätten aufgrund ihrer Werke vollkommene Gemeinschaft mit Gott haben können, denn der Mensch an sich, so wie Gott ihn schuf, ist nicht das Problem. Seine Endlichkeit, seine Körperlichkeit, seine Sexualität — all das ist nichts Böses. Ich erwähne diese drei Bereiche — Endlichkeit, Körper, Sexualität —, weil viele Menschen das Grundübel in einem dieser Bereiche sehen. Aber die Bibel erklärt, dass diese drei Dinge völlig in Ordnung sind; so hat Gott uns geschaffen. In der Welt vor dem Sündenfall konnten Adam und Eva in ihrer Endlichkeit, Körperlichkeit und Sexualität frei vor Gott treten — aufgrund ihrer Werke.Doch dann kam der Sündenfall, der die Sünde in die Welt brachte. Der Sündenfall ist kein Mythos; er ist wirklich geschehen. Adam und Eva entschieden sich für den bewussten Ungehorsam gegen Gott und fielen damit in Sünde. Sobald dies geschehen war, konnten sie nicht mehr aufgrund des Bundes der Werke vor Gott treten. Doch dafür trat jetzt der Bund der Gnade in Kraft. Wir lesen, dass keine 24 Stunden nach dem ersten Ungehorsamsakt des Menschen Gott den Erlöser verheißt, der eines Tages kommen wird (1. Mose 3,15).Streng genommen ist es nicht ganz korrekt, vom »Bund der Werke« und »Bund der Gnade« zu sprechen, denn in gewissem Sinne handelt es sich bei beiden um einen Bund der Werke. Der erste ist ein Bund der Werke, den die Menschen vor dem Sündenfall halten konnten. Der zweite ist nicht ein Gnadenbund, bei dem Gott keinerlei Werke mehr verlangt, sondern ein Bund der Werke, den Christus an unserer Statt gehalten hat. Für Christus ist das Evangelium ein Bund der Werke, doch für uns ist es ein Bund der Gnade.Der Gnadenbund erstreckt sich vom Sündenfall bis hin zu dem letzten Menschen, der je erlöst werden wird. Er umfasst die Menschen, die vor dem Kreuz lebten, und die, die nach dem Kreuz leben. Es gibt gewisse Unterschiede zwischen Gottes Handeln an den Menschen vor dem Kreuz und seinem Handeln nach dem Kreuz, aber beide Perioden — die Zeit vor

Page 86:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

dem Kreuz und die nach dem Kreuz fallen unter den Bund der Gnade. Es liegt eine wunderbare Einheit in der Art, wie Gott uns Menschen durch die Geschichte hindurch begegnet. Vom Sündenfall bis zum letzten Menschen, der gerettet wird, ist es ein Gnadenbund für die Menschen, der auf einem Bund der Werke beruht, den Christus vollkommen erfüllt hat. Das ist die Basis, auf der die erste Erlösungsverheißung an Adam und Eva geschah Mose 3,15), und das ist die Basis, auf der diese Verheißung in verschiedener Weise gegenüber allen Menschen, die je gelebt haben oder noch leben werden, wiederholt worden ist.Diese Ausführungen mögen ziemlich abstrakt und gelehrtenhaft erscheinen, aber dies hört schlagartig auf, wenn wir begreifen, dass es hier ja um uns geht. Wenn nach dem Fall Adams und Evas Gott uns Menschen weiter auf der Basis unserer Werke begegnet wäre, wir wären alle verloren. Aber Gott gab sofort die Verheißung eines Gnadenbundes. Dieser Bund ist seit 1.Mose 3.15 in Kraft. Es ist dieselbe Verheißung, der gleiche Gnadenbund, auf beiden Seiten des Kreuzes.In Kap.4 wird Paulus zeigen, wie dieser weitere Bund der Gnade in Gottes Bund mit Abraham sichtbar wird. Gottes Bund mit Abraham kann in zwei spezifische Teile aufgeteilt werden: den nationalen Teil, wo die Verheißung den Juden als Juden gilt (in Kap. 9-11 zeigt Paulus, dass dieser Bund nach wie vor besteht), und den geistlichen Teil, der allen Menschen auf beiden Seiten des Kreuzes gilt.Menschen vor wie nach dem Kreuz werden auf der gleichen Basis erlöst: dem am Kreuz vollbrachten Werk Christi. Gott hatte Abraham gesagt, dass der Bundessegen durch seine Nachkommen kommen würde 1.Mose 13,15 ; 22,18). In Galater 3,16 weist Paulus darauf hin, dass das Wort »Nachkommen« [Elberfelder.: »Same«] in 1. Mose 22,18 nicht im Plural, sondern im Singular steht und sich auf Christus bezieht. Christus selber würde den Segen bringen, den Gott Abraham 2000 Jahre zuvor verheißen hatte.Als auf dem Berg der Verklärung Mose und Elia mit Jesus rede-ten, war nur ein Thema groß genug für solch einen Augenblick; Lukas berichtet uns, dass sie über den kommenden Tod Christi sprachen (Lukas 9,3o-31). Warum sprachen sie über seinen Kreuzestod? Weil Mose und Elia, die

Page 87:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Jahrhunderte vor Christus gelebt hatten, seinen Opfertod brauchten, um erlöst zu werden.

Wenn also die Menschen, die vor dem Kreuz lebten, nur durch das Kreuzesgeschehen erlöst werden konnten, liegt die Frage nahe, ob sie denn darum wussten. Die Bibel beantwortet diese Frage nicht für jeden Menschen, von dem wir im Alten Testament lesen. Abraham dürfte ein gutes Verständnis der Grundlage seiner Erlösung gehabt haben. Aber im 4. Kapitel wird Paulus betonen, dass die alttestamentlichen Menschen, ob sie nun viel oder wenig darüber wussten, die gleiche Rechtfertigung zur Verfügung hatten wie wir heute.Wie werden wir gerechtfertigt? In 4,3 wird Paulus sagen, dass Abraham gerechtfertigt wurde, weil er »Gott glaubte«. Ein Evangelist wird sagen, dass wir durch den Glauben an Christus als unseren Erlöser gerechtfertigt werden, und das ist völlig richtig. Aber damit jemand so an Christus als seinen Erlöser glauben kann, muss zuvor etwas geschehen: Er muss zuerst so »Gott glauben«, wie Abraham das tat.Beachten wir, dass ich gerade nicht gesagt habe, dass wir zuerst »an Gott glauben müssen«, sondern, dass wir »Gott glauben« müssen. Ist das nicht Haarspalterei? Nun, in der Bibel und auch hier im Römerbrief finden wir den Ausdruck »an Gott glauben« in verschiedenen Formen, und der allererste Schritt zum Glauben besteht natürlich darin, dass ich »an« Gott glaube, d. h. an seine Existenz. Aber dann kommt der nächste Schritt: dass ich »Gott glaube«, d. h. ihm vertraue. Wir müssen glauben, dass er zu seinen Verheißungen steht, von 1. Mose 3,15 an und die ganze Bibel hindurch.Gott glauben — das ist mehr als der neo-orthodoxe »Sprung des Glaubens«, den Kierkegaard und andere vertreten haben. Der einzige Glaube, der einen Wert hat, ist der Glaube, der Gott vertraut. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt, denn unser 20. Jahrhundert sieht den Glauben als etwas, das einen Wert in sich selber hat. Je größer der Glaubensschritt ist, den ich mache — so diese nichtchristliche Auffassung —, um so größer der Wert meines Glaubens. Die Bibel sagt ein absolutes Nein zu dieser modernen Glaubensdefinition! Ob wir an den Glauben denken, den wir, die wir nach dem Kreuz leben,

Page 88:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Christus als Heiland entgegenbringen, oder an den Glauben derer, die sich nur nach Christi Kommen sehnen konnten — das eigentlich Wichtige ist nicht der Glaube selber, sondern das Objekt des Glaubens: der lebendige Gott.Und jetzt kommen wir zu Abraham, der etwa 2000 Jahre vor Christus lebte, zur Zeit des babylonischen Königs Hammurabi. Gott schloss einen Bund mit ihm — den gleichen Bund, den er gleich nach dem Sündenfall mit Adam und Eva geschlossen hatte. Gott sagte Abraham, dass alle Nationen auf Erden durch seine Nachkommen gesegnet werden würden. Die Menschen der alttestamentlichen Zeit — die von uns aus gesehen auf der anderen Seite des Kreuzes lebten — haben die Bedeutung dieses Bundes wahrscheinlich in unter-schiedlichem Maße verstanden. Aber wie wenig oder wie viel sie ihn verstanden haben, es ging in jedem Fall darum, Gott zu glauben. Und in Römer 4 erzählt Paulus uns von dem Glaubensakt, mit dem Abraham demonstrierte, dass er Gott so vertraute.

Was sagen wir denn von Abraham, unserm leiblichen Stammvater? Was hat er erlangt? (4,1)

Paulus hat dargestellt, dass der Glaube das Gesetz nicht auf-hebt, sondern es im Gegenteil erfüllt (3,31). Wie konnte Paulus dies besser illustrieren als dadurch, dass er zeigte, dass Abraham, der Vater der Juden, genau dies begriff und auf diese Weise gerechtfertigt wurde!

Das sagen wir: Ist Abraham durch Werke gerecht, so kann er sich wohl rühmen, aber nicht vor Gott. Denn was sagt die Schrift? »Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden«. (4,2-3)

Wie wir sahen, versuchen die Menschen auf verschiedene Arten, aufgrund ihrer Werke gerechtfertigt zu werden. So glauben viele römische Katholiken, dass sie vor Gott bestehen werden, wenn sie genügend gute Werke in diesem Leben tun, und dass etwaige Defizite durch Leiden in diesem Leben oder danach im Fegefeuer ausgeglichen werden. Nehmen wir

Page 89:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

einmal an, ein solcher Mensch würde eine Million Jahre im Fegefeuer verbringen. Selbst nach so viel Leiden könnte er nicht vor Gott treten und sagen: »Ich hab's geschafft, ich habe mir Christi Belohnung verdient«. Selbst eine Million Jahre des Leidens könnten den unendlichen Schuldabgrund dieses Menschen nicht auffüllen. Ähnlich beim Hindu: Selbst nach einer Million Reinkarnationen könnte er nicht vor Gott treten und sagen: »Ich hab's geschafft«.Was der Einzelne auch glaubt, und ob er vor oder nach dem Kreuz lebt — es hat noch keinen gegeben (noch nicht einmal den treuen Abraham), der auf der Grundlage seiner guten Taten vor Gott bestehen und die ewige Erlösung verlangen konnte. Die Erlösung kommt allein durch den Bund der Gnade. Es gibt keinen Platz für Werke, keinen Raum für Stolz und Prahlen. Uns Menschen gefällt das überhaupt nicht. Es tut unserem Stolz weh, mit leeren Händen vor Gott treten zu müssen. Aber die Bibel versichert uns, dass es keinen anderen Weg gibt.Wie wir oben sahen, geht es bei der Frage der Erlösung durch Werke oder durch Gnade um die Frage, ob wir in einem sittlichen Universum leben. Wie kann Gott heilig bleiben und gleichzeitig jemanden, der gegen ihn gesündigt hat, rechtfertigen? Die Antwort ist, dass unsere Rechtfertigung sich völlig auf das vollbrachte Werk Christi gründet und nicht auf etwas, das wir tun könnten. Darum kann Gott uns annehmen und trotzdem völlig heilig bleiben. Weil Christus am Kreuz für uns starb, können wir in einem moralisch geordneten Universum leben, ohne verurteilt zu werden.Wenn Adam nach seinem Sündenfall immer noch ein paar gute Werke hätte beibringen können, um sich vor Gott zu rechtfertigen, müssten wir annehmen, dass Gott seine eigenen Maßstäbe gesenkt und sich mit weniger als Vollkommenheit zufrieden gegeben hätte; damit aber wäre unser Universum in gewisser Weise weniger moralisch, weniger geordnet geworden. Deswegen ist es so ungeheuer wichtig, dass Paulus klarstellt, dass selbst Abraham nicht durch seine Werke gerechtfertigt werden konnte. Dies ist ein Schlüsselteil der christlichen Antwort auf die intellektuellen Fragen des Lebens. Wir wissen, wo die Sünde hergekommen ist: Es gab einen historischen Sündenfall, durch den »die

Page 90:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Verdammnis über alle Menschen gekommen ist«, wie Paulus später erklärt (5,18). Aber wir wissen auch, dass aufgrund des vollbrachten Werkes Christi nicht alle Menschen zum ewigen Tod verdammt sind.Jetzt aber müssen wir fragen: Wie wurde Abraham denn vor Gott gerechtfertigt? Paulus beantwortet diese Frage in V.3, wo er aus 1. Mose 15,6 zitiert:

Denn was sagt die Schrift? »Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden«. (4,3)

Abraham war in Gottes Augen gerecht, weil er »Gott glaubte«. In V. 21 werden wir sehen, dass dies kein vager Allgemeinglaube war, sondern ein festes Vertrauen auf eine ganz konkrete Verheißung Gottes: »... und wusste aufs Allergewisseste: Was Gott verheißt, das kann er auch tun«. Glaube an Gott zählt erst dann, wenn er sich auf eine konkrete Offenbarung oder Verheißung Gottes richtet. Gott hatte Abraham etwas ganz Bestimmtes versprochen, und Abraham glaubte, dass Gott dieses Versprechen halten konnte und würde.Die Verse bis 4,21 geben uns gewisse Hinweise darauf, was für eine Verheißung es war, die Gott Abraham gab, aber um die Verheißung genau zu erfahren, müssen wir 1.Mose 15,1-6 lesen: »Nach diesen Geschichten begab sich's, dass zu Abram das Wort des Herrn kam in einer Offenbarung: Fürchte dich nicht, Abram! Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn. Abram sprach aber: Herr, mein Gott, was willst du mir geben? Ich gehe dahin ohne Kinder, und mein Knecht Elieser von Damaskus wird mein Haus besitzen. Und Abram sprach weiter: Mir hast du keine Nachkommen gegeben; und siehe, einer von meinen Knechten wird mein Erbe sein. Und siehe, der Herr sprach zu ihm: Er soll nicht dein Erbe sein, sondern der von deinem Leibe kommen wird, der soll dein Erbe sein. Und er hieß ihn hinausgehen und sprach: Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen? Und sprach zu ihm: So zahlreich sollen deine Nachkommen sein! Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit«.

Page 91:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Dies ist eine spezifische Verheißung. Gott verhieß Abraham, dass er und Sara ein Kind bekommen würden, obwohl dies aufgrund ihres hohen Alters menschlich unmöglich war. Das 11.Kapitel des Hebräerbriefs, das große Glaubenskapitel, beschreibt Abrahams Glauben an Gott und erwähnt, dass auch seine Frau Sara Gottes Verheißung von einem Sohn glaubte: »Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme ... Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte. Darum sind auch von dem einen, dessen Kraft schon erstorben war, so viele gezeugt worden wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres, der unzählbar ist« (Hebräer 11,8. 11-12).Der Autor des Hebräerbriefes beschreibt sodann, wie Abrahams Glaube an Gottes Verheißung eines Sohnes auf die letzte Probe gestellt wurde: »Aufgrund des Glaubens brachte Abraham den Isaak dar, als er auf die Probe gestellt wurde, und gab den einzigen Sohn dahin, er, der die Verheißungen empfangen hatte und zu dem gesagt worden war: Durch Isaak wirst du Nachkommen haben. Er verließ sich darauf, dass Gott sogar die Macht hat, Tote zum Leben zu erwecken; darum erhielt er Isaak auch zurück. Das ist ein Sinnbild« (Hebräer 11, 17 -19).Bei jeder Glaubensprobe vertraute Abraham auf Gottes Verheißung. Schon vor 1.Mose 15 hatte Gott ihm verheißen, dass seine Nachkommen so zahlreich würden wie der Sand am Meer und die Sterne am Himmel (1.Mose 12,2; 13, 14-17). Aber wenn Abraham jemals so viele Nachkommen haben wollte, brauchte er erst einmal einen. Es ist schön, von einer Million Nachkommen zu reden, aber die Million muss mit einem anfangen, und diesen einen hatte Abraham nicht, und er und seine Frau waren zu alt, um Kinder zu bekommen. Aber Gott verhieß ihm weiter, dass er ein Kind bekommen und dass die ganze Welt durch seine Nachkommen gesegnet würde. In dieser unmöglichen Situation vertraute Abraham Gott; und dies, so sagt uns die Bibel, war sein Glaubensakt.Christlicher Glaube ist, wie der Abrahams, nie etwas Vages, sondern ein Handeln aufgrund konkreter Verheißungen

Page 92:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Gottes. Wenn ich spüre, dass jemand bereit ist, Christus als seinen Heiland anzunehmen, spreche ich ihn mit einer solchen Verheißung an. Ich lasse dabei größte Sorgfalt walten, denn ich glaube, hier ist der zentrale Punkt. Es gibt verschiedene Verheißungen, die man hier wählen kann; mir gefällt besonders Johannes 3,36: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.« Also: Wie ist das bei mir? Glaube ich, dass Gott diese Verheißung, mir ewiges Leben zu geben, erfüllen kann und will? Gott hat gesagt: »Wenn Francis Schaeffer (oder Ihr Name) an Christus glaubt, dann hat er das ewige Leben«. Gott donnert (oder flüstert; ganz wie Sie wollen) es seit Jahrhunderten vom Himmel herab: »Wenn (Ihr Name) an den Sohn glaubt, hat er das ewige Leben«. Entweder Sie glauben dieses Versprechen Gottes, oder Sie glauben es nicht. Entweder ich »glaube Gott« (Römer 4,3) oder ich glaube ihm nicht.Dieses Herausgreifen einer bestimmten Verheißung hilft den Menschen, zu verstehen, dass der Glaube an Christus nicht ein vager Allgemeinglaube ist. Er ist auch kein Gefühl und kein »Sprung des Glaubens«, sondern ich beschließe, einer ganz bestimmten Verheißung Gottes zu glauben. Das kann Johannes 3,36 sein, oder auch: »Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken« (Matthäus 11,28), oder: »Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen ...« (Offenbarung 3,20). Das Wichtige ist, dass der Betreffende jeweils im Glauben auf eine von Gott selber gegebene konkrete Verheißung antwortet. Rettender Glaube ist kein blinder Sprung, sondern unsere Antwort auf die spezifischen, verlässlichen Verheißungen Gottes.Abraham, der 2 000 Jahre vor Christus lebte, ging im Glauben auf eine konkrete Verheißung Gottes ein, und Paulus wiederholt, was bereits das Alte Testament sagte: »... das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden« 1.Mose 15,6; Römer 4,3). Und jetzt zeigt Paulus uns erneut, dass dann, wenn wir irgendwelche Werke in unsere Erlösung einzubauen versuchen, die ganze Evangeliumsbotschaft hinfällig wird.

Dem aber, der mit Werken umgeht, wird der Lohn nicht

Page 93:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

aus Gnade zugerechnet, sondern aus Pflicht [Elberfelder: nach Schuldigkeit]. (4,4)

Wenn ein Mensch es fertig bringen würde, anstatt unter dem Bund der Gnade zu Gott zu kommen, aufgrund seiner Werke Erlösung zu erlangen, dann wäre Gott ihm etwas schuldig. Wie wir jedoch sehen werden, ist alles, was Gott uns »schuldet«, der »Lohn« unserer Sünde gegen ihn, d. h. der Tod (6,23). Unsere einzige Erlösungshoffnung ist die Gnade. Das Fundament der Erlösung durch Gnade ist das vollbrachte Werk Jesu Christi, der Zugang dazu ist unser Glaube. Nichts anderes gilt.

Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit. (4, 5)

Wen spricht Gott gerecht? Den Sünder. Wenn er ein Minimum von, sagen wir, 8o Prozent ansetzen und sagen würde, dass jeder gerettet wird, der zu mindestens 8o Prozent gerecht ist, würde er nicht den Sünder rechtfertigen, sondern den Gerechten, der die 8o Prozent erreicht. Aber Gott rechtfertigt nie die Gerechten; es gibt gar keine, weil Gottes Messlatte bei 100 Prozent liegt. Die Gerechtgesprochenen sind immer Sünder. Als Jesus sagte: »Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten« (Matthäus 9,13), meinte er damit nicht, dass es Menschen gibt, die gerecht sind, sondern dass es Menschen gibt, die sich für gerecht halten. Niemand kann erlöst werden, solange er nicht begriffen hat, dass er ein Sünder ist. Wir alle sind Sünder, wir wissen es nur nicht alle. Daher lasse ich einen Menschen, der gerettet werden möchte, nie sagen: »Ich nehme Christus als meinen Heiland an«, bevor er nicht gesagt hat: »Ich sehe ein, dass ich den Zorn Gottes verdiene«. Ich habe den Eindruck, dass bei Evangelisationen viele der Menschen, die ihre Hand heben und sagen, dass sie Christus als ihren Heiland angenommen haben, gar nicht Christen geworden sind, weil sie nicht einsehen, dass sie Gottes Zorn verdient haben. Wenn ich nicht begreife, dass ich zu Recht unter Gottes Urteil stehe, kann ich all die richtigen Worte sagen, einer Kirche beitreten und mich taufen lassen,

Page 94:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

aber ich bin nicht erlöst.Um Christus als meinen Erlöser annehmen zu können, muss ich als Erstes wissen, dass ich ein Sünder bin, dass ich mir den Zugang zu dem heiligen Gott nicht erarbeiten kann und dass ich zu Recht unter Gottes Zorn stehe. Und dann muss ich dem Gott glauben, der versprochen hat: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben«.Es geht bei der Erlösung um unsere geschöpfliche Beziehung zu Gott. Gott hat uns geschaffen, damit wir ihn lieben, ihm glauben, mit ihm Gemeinschaft haben. Wann fiel Eva in Sünde? Als sie beschloss, Gott nicht zu glauben. Gott hatte ihr und Adam eine »negative« Verheißung gegeben: Wenn sie von dem verbotenen Baum essen würden, würden sie sterben (1.Mose 2,17). Eva wurde eine Sünderin, als sie dieser Negativverheißung nicht mehr glaubte. Gott hatte seine Warnung ausgesprochen, dass Adam und Eva »des Todes sterben« würden, und dann kam der Satan, der sich bereits zum Nabel der Welt erklärt und gegen Gott erhoben hatte (Jesaja 14,12-15), und sagte Eva: »Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, ... ihr werdet sein wie Gott« (1. Mose 3, 4 -5).Was war Evas Sünde? Ganz einfach: dass sie dem Teufel glaubte und Gott nicht glaubte. Gottes Verbot, von dem Baum zu essen, war kein Willkürakt, sondern ein wichtiger Teil der Beziehung zwischen Geschöpf und Schöpfer. Adam und Eva verwarfen diese Beziehung, und die Folge war der Sündenfall. Wenn Sie und ich vor Gottes Verheißungen stehen, sind wir in gewissem Sinne an Evas Stelle. Gott hat etwas verheißen, und entweder glauben wir ihm oder nicht. Entweder wir treten als Geschöpf vor ihn und glauben ihm, oder wir versuchen, wie der Satan, uns selbst an Gottes Stelle zum Zentrum des Universums zu machen.Man beachte den Gang von Paulus' Argumentation. Er ist zu dem Schluss gekommen, »dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben« (3,28), und jetzt stellt er Abraham als Beispiel für jemanden vor, der in Gottes Augen gerecht war, ohne die Werke des Gesetzes zu tun. Werfen wir, um dies besser zu verstehen, einen Blick nach vorne, ans Ende des 6. Kapitels: »Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn« (6,23). Wenn Gott wie ein

Page 95:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Arbeitgeber mit uns handeln würde, er könnte uns nur eines auszahlen: den Tod.Stellen wir uns vor, wir treten einer nach dem anderen vor den Zahlmeister und bitten ihn, uns das auszuzahlen, was uns zusteht, worauf er jedem von uns seinen Lohn hinblättert. Stellen wir uns jetzt weiter vor, der Zahlmeister ist Gott. Wir treten vor ihn und sagen: »Gib mir, was mir zusteht« — und Gott gibt jedem von uns einen Umschlag mit dem gleichen Inhalt. Für das Geschöpf, das bewusst gegen einen heiligen Gott gesündigt hat, gibt es nur einen Lohn; auf jedem Umschlag steht das gleiche furchtbare Wort: TodViele Menschen heute, die die Bibel nicht kennen, erfahren diesen Tod in ihrer fruchtlosen Suche nach Sinn im Leben. Je logischer solch ein Mensch denkt, desto klarer sieht er dies — dass er nichts in diesem Leben finden, nichts greifen kann, dass alles ihm durch die Finger rinnt. Nun, die Bibel erklärt uns den Grund dafür: Seit dem Sündenfall ist das Einzige, was der Mensch in diesem Leben verdienen kann, der Tod. Aber die gute Nachricht ist natürlich, dass wahres, ewiges Leben als »Gabe Gottes ... in Christus Jesus, unserm Herrn« möglich ist.Bereits im Alten Testament zeigte Gott seinem Volk auf verschiedene Weise, dass Erlösung durch Gnade und nicht durch unsere Werke kommt. Gleich im Anschluss an die Zehn Gebote (2.Mose 20,1-20) befahl er den Israeliten, einen Altar zu bauen (2.Mose 20,21-26), auf dem sie Opfer zur Sühne ihrer unvermeidlichen Übertretungen der Gebote darbringen sollten. Wir sehen diese Kombination von Gesetz und Altar erneut in 2. Mose 4,4: »Da schrieb Mose alle Worte des Herrn nieder und machte sich früh am Morgen auf und baute einen Altar«. Es muss Opferblut vergossen werden, weil Israel das Gesetz gar nicht halten kann: »Da nahm Mose das Blut und besprengte das Volk damit und sprach: Seht, das ist das Blut des Bundes, den der Herr mit euch geschlossen hat aufgrund aller dieser Worte« (2. Mose 24,8). Der Bund Gottes mit Israel musste mit Blut besiegelt werden. Warum das? Weil niemand in der Lage war, das Gesetz zu halten. Schon damals war das klar.Bereits die Bauweise des Altars war ein Symbol für Israels Unfähigkeit, sich Gott aufgrund guter Werke zu nahen. Der Altar war mit einem absoluten Minimum menschlicher Arbeit

Page 96:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

zu errichten: »Und wenn du mir einen steinernen Altar machen willst, sollst du ihn nicht von behauenen Steinen bauen; denn wenn du mit deinem Eisen darüber kommst, so wirst du ihn entweihen« (2.Mose 20,25). Noch bevor die Juden auf den Gedanken kommen konnten, sie könnten sich ihre Erlösung verdienen, machte Gott ihnen sehr klar, dass sie überhaupt nichts in dieser Richtung tun konnten — noch nicht einmal mit einem Meißel, um die Altarsteine zu glätten. Dieses Verbot, die Altarsteine zu behauen, kam in der historischen Stunde, als Israel Gottes Gesetz empfing. Wiederholt wird es in einer zweiten historischen Stunde, als Israel vor dem Land Kanaan steht und erneut Gottes Gesetz aufschreibt, diesmal auf mit Kalk getünchte Steine auf dem Berg Ebal: »Und dort sollst du dem Herrn, deinem Gott, einen Altar bauen aus Steinen, die kein Eisen berührt hat. Von unbehauenen Steinen sollst du diesen Altar dem Herrn, dei-nem Gott, bauen« (5. Mose 27, 5-6). Sowohl beim ersten Hören des Gesetzes am Sinai als auch bei seiner Wiederholung vor dem Einzug in Kanaan zeigte Gott Israel, dass man nicht durch menschliche Anstrengungen erlöst werden kann.Der Römerbrief, diese Kathedrale der Gnade, wiederholt eigentlich nur die Botschaft, die bereits das Alte Testament auf verschiedene Weise gelehrt hat. Darum sagt Paulus so nachdrücklich, dass er mit seiner Botschaft der Gnade das Gesetz nicht »aufhebt«, sondern es im Gegenteil »aufrichtet« (3,31). Darum kann er im Galaterbrief das Gesetz einen »Zuchtmeister ... auf Christus hin« nennen. Vom Erlass des Gesetzes über den Einzug ins Gelobte Land und die Predigt Johannes des Täufers bis hin zur Lehre des Paulus ist die Bot-schaft die gleiche. Als Johannes die Menschen zur Buße aufrief, forderte er sie auf, sich ehrlich dem Gesetz zu stellen und einzusehen, dass sie es nicht gehalten hatten und deshalb »Gottes Lamm« brauchten, »das der Welt Sünde trägt« (Johannes 1,29). Diesen Zusammenhang zwischen Altem und Neuem Testament können wir nur dann nicht sehen, wenn wir das Gesetz falsch verstehen, wie die vielen Juden, von denen Paulus in Kap. 9-11 spricht, die ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten versuchten und nicht begriffen, dass die Erlösung durch den Glauben kommt.

Page 97:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Paulus hat gezeigt, dass Abraham durch den Glauben und nicht durch seine Werke gerettet wurde (4,1-5). Er wendet sich nun einem anderen möglichen Einwand zu. Jemand könnte sagen: »Dass Abraham allein durch den Gauben gerechtfertigt wurde — schön. Aber Abraham lebte 5oo Jahre vor dem Gesetz. Ist denn mit dem Gesetz nicht eine ganz neue Situation entstanden«? Nun haben wir gerade gesehen, dass das Gesetz selber eigentlich die Erlösung durch den Glauben lehrt. Aber vergessen wir das einen Augenblick und versetzen wir uns in die Lage des typischen jüdischen Lesers, wie Paulus ihn in Kap. 9 - 11 beschreibt, der das Gesetz falsch versteht. Er fragt also: »Ist das denn nicht durch das Gesetz alles anders geworden«?Um diese Frage zu beantworten, stellt Paulus uns David vor, der etwa 500 Jahre nach dem Erlass des Gesetzes lebte:

Wie ja auch David den Menschen seligpreist, dem Gott zurechnet die Gerechtigkeit ohne Zutun der Werke: »Selig sind die, denen die Ungerechtigkeiten vergeben und denen die Sünden bedeckt sind!« (4, 6-7)

Paulus zitiert aus Psalm 32,1-2. Dem, der sagt: »Rechtfertigung durch den Glauben, das mag für Abraham funktioniert haben, aber seit dem Gesetz ist es doch wohl anders«, antwortet er: Es ist gar nichts anders, es ist vor wie nach dem Gesetz das Gleiche. Nicht nur Abraham, sondern auch der 5oo Jahre nach dem Gesetz lebende David wusste darum, dass die Rechtfertigung durch den Glauben kommt.Und nicht nur dies, sondern in den ersten Versen des 10. Kapitels wird Paulus aufzeigen, was wir bereits aus dem 2. und 5. Buch Mose wissen: Der Gesetzesstifter Mose selber wusste, dass die Erlösung aus Gnade und durch den Glauben geschieht. Paulus sagt: »Mose nämlich schreibt von der Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt: >Der Mensch, der das tut, wird dadurch leben<« (Römer 10,5). Wer durch das Gesetz erlöst werden will, muss es halten. Aber Paulus fährt sofort fort: »Aber die Gerechtigkeit aus dem Glauben spricht so: Sprich nicht in deinem Herzen: >Wer will hinauf gen Himmel fahren<«? (Römer 1o,6a). Paulus zitiert hier die Worte des Mose in 5. Mose 3o,12 und fügt erklärend hinzu: »—

Page 98:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

nämlich um Christus herab zu holen —« (1o,6b). Er wiederholt die Aussage gleich in abgewandelter Form, nach 5. Mose 30,13: »... oder: >Wer will hinab in die Tiefe fahren?< — nämlich um Christus von den Toten heraufzuholen — ...« (Römer 10,7). Und dann kommt er mit den Worten aus 5.Mose 30,14 zum Höhepunkt seiner Argumentation: »... sondern was sagt sie? >Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen.< Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen« (1o, 8). Das begriff Abraham, darum wusste David, das wusste auch Mose!Es ist eine gewaltige Einheit in der biblischen Predigt des Bundes der Gnade. Es gibt sicher Unterschiede in den Ausdrucksformen vor und nach dem Kreuz, aber die Grundbotschaft ist dieselbe. Die Erlösung ist immer dieselbe, vor und nach dem Kreuz, vor und nach Mose. Egal, wie viele Einzelpunkte uns einfallen bei dem Verständnis der Bibel vor und nach dem Kreuz, die Einheit ist da — die Einheit des Bundes der Gnade. Erlösung geschieht immer auf der Basis des vollbrachten Werkes Jesu Christi, und der Zugang zu ihr erfolgt immer über den Glauben. Darauf zielte das Gesetz die ganze Zeit ab. Paulus hebt das Gesetz nicht auf, sondern er bestätigt es (3,31).

Wie ja auch David den Menschen seligpreist, dem Gott die Gerechtigkeit zurechnet ohne Zutun der Werke: ... ( 4,6)

Gott »rechnet« uns die Gerechtigkeit »zu«. Was heißt »zurechnen«? Lassen Sie mich Ihnen etwas erzählen, was einmal in meiner Familie passierte. Als wir in Champery (Schweiz) wohnten, wollte eine meiner Töchter spendabel sein und ging mit den Dorfkindern zu dem Dorfladen, wo wir anschreiben lassen konnten, kaufte einen Haufen Süßigkeiten und verteilte sie unter die Kinder. Das sprach sich bald herum, und jeden Tag folgten ihr mehr Kinder in den Laden, um ihre Bonbons zu bekommen. Das kam dem Ladenbesitzer schließlich spanisch vor, und er rief uns an und sagte: »Wissen Sie eigentlich, was Ihre Tochter da macht«? Wir fielen natürlich aus allen Wolken.Was tun, Herr Dorfkaufmann? Es dämmerte ihm, dass es

Page 99:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

falsch gewesen war, unserer Tochter all diese Süßigkeiten zu verkaufen. Aber was jetzt? Er hätte verlangen können, dass sie die Ware bezahlte; schließlich war sie diejenige, die ihm das Geld schuldete. Aber das wäre völlig unmöglich gewesen, denn die Schuldsumme lag weit über ihren finanziellen Möglichkeiten.Wie haben wir dieses Dilemma gelöst? Nun, wir sagten: »Schreiben Sie es bei uns an«. Unser Kind hätte diese Summe niemalsbezahlen können; auf unserem Konto fiel sie nicht groß ins Gewicht.

Statt zu sagen: »Schreiben Sie es bei uns an«, hätten wir auch formulieren können: »Rechnen Sie die Schulden unserer Tochter uns zu«. Das ist genau unsere Situation vor Gott, und das ist die Bedeutung von »zurechnen«. Wir haben gesündigt, und weil wir als endliche Wesen unendliche Sünden gegen einen unendlichen Gott begangen haben, können wir nie und nimmer unsere Sünde abzahlen. Aber Christus kann zahlen, und er tut es auch und sagt: »Schreibe dies bei mir an«. Das heißt zurechnen. Wenn wir Christus als unseren Heiland annehmen, werden alle unsere Sünden seinem Konto belastet. Weil er am Kreuz unendlich gelitten hat, kann er unsere unendliche Schuld unendlich bezahlen!Die Bibel stellt klar, dass Abraham wie David begriffen, wie wir erlöst werden. Sehen wir uns 1.Mose 22 an, wo Gott Abraham auf die Probe stellt und ihm befiehlt, seinen Sohn Isaak zu opfern. Wir kennen die Geschichte. Als Abraham das Messer erhebt, hält ein Engel seine Hand zurück, und Abraham sieht einen Widder, der sich im Gesträuch verfangen hat, und opfert diesen »an seines Sohnes Statt« (1. Mose 22,13). Abraham begriff, dass Gott ihm diesen Widder als stellvertretendes Opfer für seinen Sohn schickte. In Vers 4 lesen wir dann: »Und Abraham nannte die Stätte >Der Herr sieht.< Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der Herr sieht.« Das hebräische Jahwe-jireh bedeutet eigentlich nicht: »Der Herr sieht«, sondern: »Der Herr wird dafür sorgen« [vgl. Schlachter], und die zweite Vershälfte ist besser zu so übersetzen: »Auf dem Berge wird der Herr dafür sorgen« [Schlachter].

Page 100:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Bei dem Widder, der an Isaaks Stelle tritt, denken wir natürlich an Christi stellvertretendes Sterben für uns. (Wir erinnern uns, dass es den Begriff der Stellvertretung nur im Christentum gibt.) Mit das Merkwürdigste an dem Bericht über Abraham und Isaak ist, dass das stellvertretende Opfer auf einem Berg im Land Morija stattfand 1.Mose 22,2), drei Tagereisen von Abrahams Wohnort entfernt. Abraham war bereits ein alter Mann; warum mutete Gott ihm diese lange Reise zu? Warum ließ er ihn das Opfer nicht vor seiner Haustür darbringen?Nun, nachdem er den Stellvertretungs-Widder geopfert hat, nannte Abraham den Berg also: »Der Herr wird dafür sorgen«. Ahnte er vielleicht, dass es mit diesem Berg etwas ganz Besonderes auf sich hatte? Möglicherweise war er nämlich genau der Ort, wo später Jesus als unser stellvertretendes Opferlamm gekreuzigt wurde, denn in 2. Chronik 3,1 erfahren wir, dass der Tempel auf dem Berg Morija erbaut wurde. 2 000 Jahre vor Christus und 1000 Jahre vor der Erbauung des Tempels sagte Abraham: »Hier wird es geschehen«!Die Bibel macht es noch deutlicher, dass David Gottes Heilsplan verstand. In seiner Pfingstpredigt zitiert Petrus aus Psalm 16,8-11: »Denn David spricht von ihm: >Ich habe den Herrn allezeit vor Augen, denn er steht mir zur Rechten, damit ich nicht wanke. Darum ist mein Herz fröhlich, und meine Zunge frohlockt; auch mein Leib wird ruhen in Hoffnung. Denn du wirst mich nicht dem Tod überlassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe. Du hast mir kundgetan die Wege des Lebens; du wirst mich erfüllen mit Freude vor deinem Angesicht«< (Apostelgeschichte 2,25-28).Petrus erklärt dann, was diese Worte Davids bedeuten: »Ihr Männer, liebe Brüder, lasst mich freimütig zu euch reden von dem Erzvater David. Er ist gestorben und begraben, und sein Grab ist bei uns bis auf diesen Tag« (Apostelgeschichte 2,29). Mit anderen Worten: Als David davon sprach, nicht »die Verwesung zu sehen«, meinte er nicht sich selbst, sondern: »Da er nun ein Prophet war und wusste, dass ihm Gott ver-heißen hatte mit einem Eid, dass ein Nachkomme von ihm auf seinem Thron sitzen sollte, hat er's vorausgesehen und von der Auferstehung des Christus gesagt: Er ist nicht dem Tod überlassen, und sein Leib hat die Verwesung nicht gesehen« (Apostelgeschichte 2, 30-31). Petrus sagt also, dass David ein

Page 101:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Prophet war und dass er wusste, dass sein Psalm 16 sich auf Christus bezog!David verstand das Prinzip des Glaubens, und er verstand, das Fundament des Glaubens der Tod und die Auferstehung des kommenden Messias war, Jesus Christus. Aus 1.Mose 22 scheint mir klar zu sein, dass Abraham dies begriff, und niemand, der die Worte des Neuen Testaments als Gottes Wort annimmt, wird bezweifeln, David hatte es begriffen.Im Hebräerbrief ist eine interessante Aussage zu der Frage, ob die Menschen vor Christus bereits den Heilsplan verstanden. Nachdem er über den Ungehorsam und die Rebellion der Israeliten gesprochen hat (Hebräer 3,7-19), beschwört der Autor seine Leser aus der judenchristlichen Diaspora, ihrem Beispiel nicht zu folgen (Hebräer 4,1), und fährt dann fort: »Denn auch uns ist die gute Botschaft verkündigt worden, gleichwie jenen; aber das Wort der Predigt half jenen nicht, weil es durch die Hörer nicht mit dem Glauben verbunden wurde« (Hebräer 4,2 [Schlachter]). Das Evangelium wurde den Israeliten lange vor dem Kommen Christi verkündigt, und damals wie heute glaubten viele ihm nicht. Altes und Neues Testament sind eine Einheit: Die Basis der Erlösung ist das Evangelium, das vollbrachte Werk Jesu Christi, und der Zugang zur Erlösung ist der Glaube.Aber zurück zu Römer 4. Wir erinnern uns, wie Paulus in Römer 3,31 gefragt hat, ob die Erlösung durch den Glauben das Gesetz aufhebe, und antwortet: »Das sei ferne!« Das Evangelium hebt das Gesetz nicht auf, sondern es richtet es auf. Im Folgenden hat Paulus uns Abraham und David als Menschen vorgestellt, die unter dem Gesetz lebten, aber auch das Evangelium verstanden. In 4,8 zitiert er weiter aus Psalm 32:

»Selig ist der Mann, dem der Herr die Sünde nicht zurechnet!« (4, 8)

Im Griechischen klingt es noch stärker: »Selig ist der Mann, dem der Herr auf keinen Fall Sünde zurechnet. « Dies wiederholt den Gedanken der Verse 6 und 7, und wieder müssen wir bedenken: Abraham, der etwa 500 Jahre vor dem Gesetz lebte, wusste darum, dass er durch den Glauben

Page 102:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

gerechtfertigt wurde. David, etwa 5oo Jahre nach dem Gesetz, hatte die gleiche Erkenntnis. Was die Erlösung betrifft, änderte sich mit dem Gesetz nichts. Der Gedanke der Erlösung durch Gnade hebt das Gesetz nicht auf, denn gerade dies war ja der Sinn des Gesetzes: uns zu zeigen, dass wir Gottes Gnade brauchen. Der Bund der Gnade ist Einer. Die Verlorenen des Alten Testaments und die des Neuen Testaments und die Verlorenen heute werden alle auf der gleichen Basis gerettet. Diese Basis ist Gnade, und der Zugang dazu ist der Glaube.

Diese Seligpreisung nun, gilt sie den Beschnittenen oder auch den Unbeschnittenen? Wir sagen doch: Abraham ist sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet worden. (4,9)

Das Wort »Seligpreisung« sollte uns an den Begriff „erklären“ erinnern, den wir bei 3,22 benutzten. Wir sahen dort, dass unsere Rechtfertigung ein rechtlicher Akt Gottes ist; Gott erfüllt uns nicht mit Gerechtigkeit, sondern er erklärt uns aufgrund des Todes Christi für gerecht.Aber jetzt haben wir folgende Frage: Wenn also Abraham durch den Glauben gerechtfertigt wurde, bedeutet dies, dass die Rechtfertigung nur den Juden gilt? Abraham wurde durch den Glauben erlöst, schön, aber was ist mit den Heiden? Paulus beantwortet diese Frage in Vers 10.

Wie ist er ihm denn zugerechnet worden? Als er beschnitten oder als er unbeschnitten war? Ohne Zweifel: nicht als er beschnitten, sondern als er unbeschnitten war. (4, 1o)

Wurde Abraham vor oder nach seiner Beschneidung für gerecht erklärt? Es hat mindestens 17, vielleicht sogar 25 Jahre gedauert, bis er beschnitten wurde. Wenn für einen männlichen Juden das Jude-sein an der Beschneidung hängt, dann war Abraham zur Zeit seiner Rechtfertigung durch den Glauben noch gar kein Jude! Es gab keine Juden, als Abraham aufgrund seines Glaubens gerechtfertigt wurde.

Page 103:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Das Zeichen der Beschneidung aber empfing er als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, den er hatte, als er noch nicht beschnitten war. So sollte er ein Vater werden aller, die glauben, ohne beschnitten zu sein, damit auch ihnen der Glaube gerechnet werde zur Gerechtigkeit; ... (4,11)

Abraham empfing »das Zeichen der Beschneidung« erst viele Jahre, nachdem Gott ihn für gerecht erklärt hatte. Er wurde nicht gerechtfertigt und einen Tag später beschnitten, sondern zwischen diesen beiden Ereignissen lag ein langer Zeitraum, möglicherweise25 Jahre. Die Beschneidung war nur ein »Zeichen« und »Siegel« der »Gerechtigkeit«, die Abraham bereits lange vor seiner Beschneidung besaß. Und weil er bereits vor seiner Beschneidung diese Gerechtigkeit hatte, gilt er als der »Vater ... aller, die glauben«, der unbeschnittenen Heiden wie der beschnittenen Juden. Abraham kam als Heide zum Glauben; erst danach wurde er durch die Beschneidung Jude.Für uns Christen ist Abraham der geistliche Vater. Gelegentlich hört man antisemitische Äußerungen von Christen; dies ist im Licht der Bibel nicht nur eine große Sünde, sondern geradezu lächerlich. Nach der Bibel werden wir, wenn wir Christus als unseren Heiland annehmen, geistliche Juden; ein antisemitischer Christ ist daher in gewissem Sinne gegen sich selber. In einem späteren Kapitel wird Paulus erklären, wie Heiden, die an Christus glauben, Glieder des geistlichen Israel werden. Wie wir schon sahen, hatte Gottes Bund mit Abraham zwei Teile. Da waren zunächst die Verheißungen an Israel als Nation für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, auf die Paulus in Kapitel 9-11 genauer eingehen wird. Aber der Abrahamsbund hat auch eine geistliche Hälfte, die auf dem Werk Jesu Christi beruht. Wo jemand Christus als seinen Erlöser annimmt, wird er in die geistliche Hälfte des Abrahamsbundes »eingepfropft« (11, 17-24).Viele Christen scheinen das Christentum als eine Art »heidni-sche« Religion zu betrachten und sind sehr erstaunt, wenn ein Jude Christ wird. Aber wir dürfen nie vergessen, dass die meisten der ersten Christen Juden waren. Sämtliche Autoren

Page 104:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

des Neuen Testaments, bis auf (möglicherweise) Lukas, waren Juden. Der Heidenapostel Paulus war Jude. Die ganze Struktur der frühen Kirche war jüdisch. Und hier in Vers 11 erinnert Paulus uns daran, dass jeder (ob Jude oder Heide), der Christ wird, damit Abraham zu seinem geistlichen Vater bekommt. Paulus führt diesen Gedanken in Vers 12 weiter:

... und ebenso ein Vater der Beschnittenen, wenn sie nicht nur beschnitten sind, sondern auch gehen in den Fußtapfen des Glaubens, den unser Vater Abraham hatte, als er noch nicht beschnitten war. (4,12)

Alle, die Christus als ihren Heiland annehmen, haben Abraham zu ihrem geistlichen Vater und dürfen den Segen der geistlichen Hälfte des Bundes Gottes mit Abraham genießen. Wer sind die Menschen, denen dieser Segen und die Verheißungen des Evangeliums gelten? Wie wir in Kapitel 3 sahen, sind es all die, die durch ihren Glauben mit dem Erlösungswerk Christi verbunden sind. Wenn ich mir die Ver-heißungen Gottes als massiven Ring vorstelle und mich selber als einen anderen Ring, wie können dann die beiden Ringe verbunden werden? Wie kann ich, als getrennter, separater Ring, Anteil an Gottes Verheißungen bekommen? Die Antwort ist, dass ich einen dritten Ring brauche, der meinen Ring mit dem Ring der Verheißungen Gottes verbindet, und dieser dritte Ring ist der Glaube. In Hebräer 4,2 lesen wir von Menschen, die das Evangelium verfehlten, weil sie nicht durch den Glauben mit ihm verbunden waren. Hier in Römer 4,12 sehen wir die positive Seite: die Menschen, die mit dem Evangelium verbunden sind; es sind die, die »auch gehen in den Fußtapfen des Glaubens, den unser Vater Abraham hatte ...« Und was war Abrahams Glaube? »Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden« (4, 3). Rettender Glaube ist immer das Gleiche: dem lebendigen Gott vertrauen. Das tat Abraham, und das muss ein jeder von uns tun. Es gibt keinen anderen Weg. Gott hat eine Verheißung gegeben, und wir müssen ihm glauben.Wieder und wieder betont Paulus dies. Zuerst in unserem Schlüsselvers in 1,16: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig

Page 105:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen«. Und danach in den ganzen ersten acht Kapiteln des Römerbriefs. Das Evangelium ist universal, es gilt den Juden wie den Heiden. Aber es ist auch hoch exklusiv, denn nur der Glaubende kann Anteil an ihm haben. Es ist so weit wie die Welt und so eng wie der Kreis derer, die wahrhaft Gott vertrauen und durch die Tür des vollbrachten Werkes Jesu Christi hindurchgehen. 4,12 ist nur eine neue Variation dieses Themas. Das Evangelium ist universal, es gilt nicht nur den Beschnittenen; aber es ist auch exklusiv — nur für die, die »gehen in den Fußtapfen des Glaubens, den unser Vater Abraham hatte«. Abraham ist der Vater aller Glaubenden, wie Paulus auch in Galater 3,7 betont. Und all dies bringt uns zurück zu der Verheißung, die in Jeremia 3,17 Juden und Heiden gemacht wird. Der Gnadenbund gilt all denen, die Römer 4 und Galater 3,7.14.29 glauben.

Denn die Verheißung, dass er der Erbe der Welt sein solle, ist Abraham oder seinen Nachkommen nicht zuteil geworden durchs Gesetz, sondern durch die Gerechtigkeit des Glaubens. {4,13)

Es gibt zwei gängige Auslegungen dieses Verses, die beide hilfreich sind. Nach der einen sagt Paulus hier, dass die Verheißung nicht durch das Gesetz des Mose kam, da dies erst etwa 500 Jahre nach Abraham erlassen wurde. Nach der anderen sagt er einfach, dass wir durch den Glauben und nicht durch Werke gerettet werden. Ohne Zweifel spielen hier beide Aussagen hinein. Wir sahen, dass unmittelbar nach den Zehn Geboten der Altar eingesetzt wurde. Der Altar kam, bevor die Israeliten eine Chance hatten, zu sündigen. Und es war ein Altar aus unbehauenen Steinen, mit einem Minimum an menschlicher Arbeit erbaut. Von Anfang an war somit klar, dass niemand ein Kind Gottes werden konnte, indem er einfach das Gesetz hielt. Zu dem Gesetz musste der Altar kommen.

... nicht ... durchs Gesetz, sondern durch die Gerechtigkeit des Glaubens. (4,13b)

Page 106:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

»Die Gerechtigkeit des Glaubens« ist eine Schlüsselformulierung. Sie bedeutet nicht, dass man durch den Glauben gerecht wird; dies liefe der gesamten Lehre des Paulus, ja der Bibel zuwider. Die Gerechtigkeit kommt vielmehr dadurch, dass ich — wie wir bei den drei Ringen sahen — Anteil bekomme an den durch Jesus Christus erfüllten Verheißungen Gottes. Ich bekomme diese Gerechtigkeit durch den Glauben. Es ist keine Gerechtigkeit, die Gott in mich hineingießt, sondern etwas, das er erklärt. Es ist eine rechtliche Angelegenheit zwischen Gott und uns. Wir sind vor Gott schuldig, aber auf der Grundlage des vollbrachten Werkes Jesu Christi erklärt Gott uns für gerecht-fertigt. Dies, und nur dies, ist »die Gerechtigkeit des Glaubens«.Ein kleines Mädchen wurde gefragt: »Weißt du, was Rechtfertigung ist «? Sie antwortete: »Ja. Wenn ich Jesus als meinen Heiland annehme, ist das so, als wenn ich nie gesündigt hätte«. Rechtfertigung: so, als ob ich nie gesündigt hätte. Was für eine wunderbare Wahrheit. Wir sind Sünder, wir verdienen Gottes Gericht. Aber wenn ich Gott glaube und auf Christus als meinen Erlöser vertraue aufgrund seines vollbrachten Erlösungswerks, ist das so, als ob ich nie gesündigt hätte. Meine Schuld ist vollständig bedeckt, sie ist weg.Wir müssen sehr aufpassen, dass wir den Glauben nicht zu einem guten Werk machen. Der Glaube hat keinen Wert in sich selber. Er ist die Handlung, mit der ich meine leeren Hände erhebe, Gottes Versprechen glaube und das Erlösungswerk, das Jesus Christus für mich vollbrachte, annehme, worauf Gott mich für gerecht erklärt und meine Sünde, rechtlich gesprochen, null und nichtig ist.Dies ist, wie wir sahen, der Grund, warum wir Vergebung aller unserer Sünden bekommen und trotzdem weiter in einem moralisch absoluten Universum leben können. Dies ist die Antwort auf das Problem eines moralisch fundierten Universums, die keine andere Religion bieten kann. Wenn er uns vergibt, gibt Gott seine Gerechtigkeit nicht auf. Sein vollkommen heiliges Wesen ist nach wie vor das moralische Absolute, das unsere Welt zusammenhält. Aber wenn wir Gott

Page 107:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

glauben, legt er unsere Sünde auf Jesus Christus. Sein Tod bedeckt sie. Er bleibt »gerecht« und wird doch der, der uns »gerecht macht« (3,26); er erklärt, dass das juristische Problem unserer Sünde für alle Ewigkeit gelöst ist.Wie wir in dem letzten Kapitel dieses Buches sehen werden, stellt die Bibel sehr klar, dass Christen nie wegen der rechtlichen Aspekte ihrer Sünde vor Gottes Gericht werden treten müssen; das ist am Kreuz bereinigt worden. Die Gläubigen werden durch ein Gericht gehen, aber sie werden dort nicht für verloren erklärt werden können. Wenn Sie Christus als Ihren Heiland annehmen, werden Sie aufgrund seines Erlösungswerkes gerecht gesprochen. Die rechtliche Seite Ihrer Schuld ist für immer erledigt. Dies sollte die große Freude des Christen sein. Wir sollten uns glücklich schätzen, vor einem gerechten Gott in einem sittlichen Universum leben zu können, in dem Wissen, dass die Schuld, die wir mit unserer Sünde auf uns geladen haben, für immer ein Ding der Vergangenheit ist.

Denn wenn die vom Gesetz Erben sind, dann ist der Glaube nichts, und die Verheißung ist dahin. (4,14)

Paulus wiederholt hier mit anderen Worten, was er in 4,4 sagte: »Dem aber, der mit Werken umgeht, wird der Lohn nicht aus Gnade zugerechnet, sondern aus Pflicht. « Wenn ich mir meine ewige Erlösung verdienen kann, schuldet Gott mir etwas. Aber dies ist nicht der Fall. Ich kann nichts tun, um mir meine Erlösung zu verdienen, und Gott schuldet mir daher nichts.

Denn das Gesetz richtet nur Zorn an; wo aber das Gesetz nicht ist, da ist auch keine Übertretung. (4,15)

Paulus meint nicht, dass wir nicht erlöst würden, wenn wir das Gesetz vollkommen hielten. Adam hätte keinen Erlöser gebraucht, wenn er gehorsam geblieben wäre. Er brauchte keinen Erlöser, weil er einen Körper hatte oder endlich war oder eine Sexualität hatte. Erst durch seinen Ungehorsam wurde er erlösungsbedürftig.Wenn wir das Gesetz perfekt hielten, würden wir erlöst! Aber

Page 108:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

niemand hält das Gesetz perfekt — darum »richtet das Gesetz nur Zorn an«. Aber es bringt nicht nur Zorn, es hilft uns auch, unsere Erlösungsbedürftigkeit zu sehen. Es ist ein Erzieher, der uns zu Christus führt. Sie werden nie einen Menschen zum Heiland führen können, solange er nicht weiß, dass er ein Sünder ist. Dies ist der Fehler bei so viel evangelistischer Arbeit: dass wir denken, die Menschen würden Christus als ihren Erlöser annehmen, ohne ihre Erlösungsbedürftigkeit zu kennen. Dies ist nicht möglich. Irgendwo muss das Gesetz gepredigt werden. Die Menschen müssen erkennen, dass sie den Heiland brauchen, weil sie das Gesetz nicht halten können. Erst dann sind sie reif dafür, das Evangelium zu hören. Das ist der Grund, warum Paulus immer wieder zu zeigen versucht, dass niemand das Gesetz hält — ob nun das Gesetz des Gewissens oder das des Mose.

Denn das Gesetz richtet nur Zorn an; wo aber das Gesetz nicht ist, da ist auch keine Übertretung. (4,15)

Heißt dies, dass vor der Einsetzung des Gesetzes des Mose niemand verloren ging? Auf den ersten Blick sieht es ganz danach aus. Paulus beantwortet diese Frage im nächsten Kapitel: »Denn die Sünde war wohl in der Welt, ehe das Gesetz kam; aber wo kein Gesetz ist, da wird Sünde nicht angerechnet. Dennoch herrschte der Tod von Adam an bis Mose auch über die, die nicht gesündigt hatten durch die gleiche Übertretung wie Adam, welcher ist ein Bild dessen, der kommen sollte« (5,13-14). Wir könnten dies so paraphrasieren: »Jawohl, solange das Gesetz nicht da ist, gibt es kein Gericht. Trotzdem hatten die Menschen zwischen Adam und Mose das Siegel des Todes. Warum? Weil sie gegen ein anderes Gesetz sündigten. Sie hatten nicht die Offenbarung des Gesetzes des Mose, aber sie hatten ein anderes Gesetz«.In Kapitel 2 haben wir gesehen, was dieses andere Gesetz war. Die Menschen, die vor dem Gesetz des Mose lebten, wie überhaupt alle Menschen der Menschheitsgeschichte, die ohne Bibel waren, werden nach ihrem Wissen über »recht« und »unrecht« gerichtet werden, und wie Paulus in 2,1 erklärt hat, hält keiner von ihnen seine eigenen moralischen

Page 109:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Maßstäbe wirklich ein. Es stimmt, dass es ohne Gesetz keine Übertretung gibt, und es stimmt, dass vor der Offenbarung des Gesetzes des Mose niemand aufgrund dieses Gesetzes gerichtet wurde. Aber Tatsache ist, dass von Adam an bis heute alle Menschen gegen irgendein Gesetz gesündigt haben.Dies ist ein sehr wichtiger Teil der christlichen Position, denn es wäre ja ungerecht, jemanden aufgrund eines Gesetzes zu richten, das er nicht hatte. Aber die Menschen werden aufgrund des Gesetzes gerichtet werden, das sie haben, ob dies nun das des Mose ist oder nicht. Die Menschen ohne Bibel werden aufgrund des Gesetzes gerichtet werden, das sie kannten. »Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart« (1, 19). »Sie beweisen damit, dass in ihr Herz geschrieben ist, was das Gesetz fordert, zumal ihr Gewissen es ihnen bezeugt, dazu auch die Gedanken, die einander anklagen oder auch entschuldigen« (2,15). Als Adam fiel und mit ihm die ganze Menschheit, hörte er nicht auf, ein freies, moralisch mündiges Geschöpf zu sein, das zwischen »recht« und »unrecht« wählen kann. Selbst der gefallene Mensch ist noch Mensch und damit moralisch verantwortlich vor Gott.Viele glauben, dass alle »Menschen guten Willens« gerettet werden, egal was sie über Gott glauben. Aber das steht nicht in der Bibel. Ein Ungläubiger könnte wohl durch seine Werke gerettet werden, wenn er Gottes Gesetz oder sein persönliches Moralgesetz perfekt befolgen würde. Aber die Bibel sagt (3, 10-12) und unsere Erfahrung bestätigt es, dass niemand das schafft.

Deshalb muss die Gerechtigkeit durch den Glauben kommen, damit sie aus Gnaden sei und die Verheißung fest bleibe für alle Nachkommen, nicht allein für die, die unter dem Gesetz sind, sondern auch für die, die wie Abraham aus dem Glauben leben. Der ist unser aller Vater ... (4,16)

Abraham ist unser aller Vater. Er ist der Vater der beschnittenen und der unbeschnittenen Gläubigen, der Vater der Gläubigen vor dem Kreuz und der Gläubigen nach dem

Page 110:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Kreuz. Abraham ist unser Vater.

…— wie geschrieben steht: »Ich habe dich gesetzt zum Vater vieler Völker« — vor Gott, dem er geglaubt hat, der die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, dass es sei. (4,17)

Als wir im ersten Kapitel lasen, dass »der Gerechte aus Glauben leben wird« (1,17), kündigte ich an, dass die Worte Leben und Tod noch zu Schlüsselwörtern würden. Jetzt ist es so weit: Ab hier bis zum Ende von Kap.8 stehen sie ständig gegeneinander. Paulus wird am Ende von Kapitel 4 seine Diskussion der Rechtfertigung beenden, dann zur Heiligung übergehen (5,1-8,17) und danach zur Herrlichkeit (8,18-39), und die ganze Zeit wird dieses Leben-Tod-Thema der rote Faden sein, entlang welchem all diese Themen entfaltet werden.Gott kann und wird die Toten lebendig machen. Die Verheißung, die Abraham glaubte und die zu seiner Rechtfertigung führte, war, dass Gott Saras erstorbenen Leib wieder lebendig machen und ihr ein Kind schenken würde. Er glaubte dies, obwohl es menschlich gesprochen aussichtslos war.

Er hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war, dass er der Vater vieler Völker werde, wie zu ihm gesagt ist: »So zahlreich sollen deine Nachkommen sein«. (4,19)

»Wo nichts zu hoffen war ...« Was für eine wunderbare Beschreibung. Glaube an Gott ist kein blinder Schritt ins Dunkle hinein. Es geht immer darum, einer spezifischen Verheißung Gottes zu vertrauen, und bei Abraham war dies eine Verheißung, für die es vom Menschlich-Logischen her keinerlei Basis gab. Dass eine über Neunzigjährige noch ein Kind bekommen konnte — der Gedanke war verrückt! Aber Abraham glaubte es, gegen alle Hoffnung, weil er glaubte, dass Gott die Macht hatte, seine Verheißung zu erfüllen. Der Gott, der die Welt aus dem Nichts erschaffen hatte, konnte auch einem viel zu alten Elternpaar ein Kind schaffen!

Page 111:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Wie um zu betonen, dass Abrahams Glaube nicht ein »Glaube an den Glauben« war, zitiert Paulus die konkrete Gottesverheißung, an die Abraham glaubte: »So zahlreich sollen deine Nachkommen sein«.

Und er wurde nicht schwach im Glauben, als er auf seinen eigenen Leib sah, der schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war, und auf den erstorbenen Leib der Sara. (4,19)

Abraham bedachte ganz nüchtern, dass er nicht mehr zeugungsfähig und dass auch Saras Leib »erstorben« war. In China wird eine Frau, die keine Kinder mehr bekommen kann, manchmal als »Sarg« bezeichnet. Dies ist kein sehr zärtlicher Ausdruck, aber er stellt sehr klar, was Sache ist für einen Mann und eine Frau in dieser Situation. Sara mag auf anderen Gebieten noch sehr lebendig gewesen sein; was die Fortpflanzung betraf, hätte sie genauso gut tot sein können.Abraham wusste um all dies. Und trotzdem glaubte er. Was glaubte Abraham? Dass Gott »die Toten lebendig« machen konnte (4,17). Dies war für ihn keine Theorie oder theologische Abstraktion; er glaubte es wirklich. Er wusste genau, dass er und Sara keine Kinder mehr bekommen konnten — und glaubte doch, dass Gott seine Verheißung eines Sohnes erfüllen konnte. Paulus fährt fort, diesen ganz konkreten Glauben Abrahams an Gottes ganz konkrete Verheißung zu beschreiben, und die Worte kommen mit der Wucht von Hammerschlägen:

Denn er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wusste aufs Allergewisseste: Was Gott verheißt, das kann er auch tun. (4,20-21)

Bitte überschlagen Sie nicht diese wiederholten Gegenüberstellungen von Glauben und Unglauben. Christlicher Glaube ist nie ein Sprung ins Ungewisse, sondern Glaube an Gott, an seine Existenz und an seine Verheißungen. Abraham »zweifelte nicht an der Verheißung Gottes«, obwohl sich bei dieser Verheißung eines Sohnes der Zweifel förmlich

Page 112:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

aufdrängte. Aber Abraham »wurde stark im Glauben«. Man könnte auch übersetzen: »... wurde stark durch den Glauben« [Schlachter]. Es war ein Glaube, der Gott beim Wort nahm, ein Glaube, der vertraute. Das war Abrahams Stärke. »... und gab Gott die Ehre und wusste aufs Allergewisseste: Was Gott verheißt, das kann er auch tun«.Dieser Glaube Abrahams ist der Tod des seichten, verzerrten Glaubensbegriffs bei Sören Kierkegaard. Abrahams Glaube war ein gewaltiger Schritt, aber nicht ein Schritt hinaus in hundert Meilen Ungewissheit, sondern ein Sich-Stellen auf die felsenfeste Verheißung Gottes. Er glaubte Gott, und er glaubte, dass Gott etwas ganz Bestimmtes tun konnte, nämlich die Toten lebendig machen, aus einem Sarg, aus dem, was mausetot war, heraus Leben erschaffen. Daran glaubte Abraham.Der Autor des Hebräerbriefs erklärt: »Aber ohne Glauben ist's unmöglich, Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er ist und dass er denen, die ihn suchen, ihren Lohn gibt« (Hebräer 11,6). Es folgt die Liste der Glaubenshelden, darunter auch Abraham und Sara. Glaube an Gott muss immer etwas Persönliches sein. Es gibt keinen anderen Weg zu Gott. Und diesen Weg ist Abraham gegangen. Er glaubte, dass es Gott gab. Er glaubte, dass er eine reale Person war. Und er glaubte, dass er die ganz persönliche Verheißung, die er ihm gegeben hatte, erfüllen würde.

Darum ist es ihm auch »zur Gerechtigkeit gerechnet worden«. (4, 22)

Gott rechnete Abraham Gerechtigkeit zu, weil Abraham Gottes Verheißungen glaubte. Paulus wiederholt hier die wunderbare Wahrheit, die er in 4,3 mit dem Zitat aus 1. Mose 15,6 formulierte: Abrahams Glaube wurde ihm als Gerechtigkeit zugerechnet. Allein aufgrund seines Glaubens und nicht wegen irgendwelcher guten Werke, die er getan hatte, wurde Abraham von Gott für gerecht erklärt.Und jetzt beginnt Paulus wieder, die Fäden zusammenzuzie-hen und zu zeigen, dass diese Wahrheiten über die Erlösung durch Glauben nicht nur für Abraham gelten, sondern für alle Menschen aller Zeiten, Juden wie Heiden.

Page 113:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Dass es ihm zugerechnet worden ist, ist aber nicht allein um seinetwillen geschrieben, sondern auch um unsertwillen, denen es zugerechnet werden soll, wenn wir glauben an den, der unsern Herrn Jesus auferweckt hat von den Toten, welcher ist um unsrer Sünden willen dahingegeben und um unsrer Rechtfertigung willen auferweckt. (4,23-25)

Gott erklärte Abraham für gerecht, weil Abraham Gottes Verheißungen glaubte, und er wird auch uns diese Gerechtigkeit zurechnen, wenn wir seinen Verheißungen glauben. Abraham und Sara waren tot, was das Kinderkriegen betraf. Gott gab eine Verheißung. Abraham glaubte, dass Gott die Toten lebendig machen konnte — und das Kind kam. Leben aus dem Tod. Genauso war Jesus tot, und wir sind auf-gerufen, zu glauben, dass Gott ihn von den Toten auferweckte.Wie wir schon sahen, liegt in den meisten evangelistischen Predigten die Betonung — völlig zu Recht — darauf, »Christus als unseren Heiland anzunehmen«. Hier bei Abraham jedoch scheint Paulus eher die Rolle Gottes des Vaters bei der Erlösung zu betonen. Er sagt, dass wir an den glauben müssen, »der unsern Herrn Jesus auferweckt hat von den Toten«. Wenn wir das tun, glauben wir an den gleichen Gott, an den Abraham glaubte.Die Rolle Gottes des Vaters bei der Erlösung wird noch an mehreren anderen Stellen im Neuen Testament unterstrichen. In Römer 6,4 lesen wir: »So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters ...« In 8, 11: »Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt . .« Und in 10,9: »Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten aufer-weckt hat, so wirst du gerettet.« Den Glauben »an Gott, der ihn [Jesus] auferweckt hat von den Toten«, betont auch Petrus (1.Petrus 1.21). Jesus selber betonte die Rolle des Vaters bei der Erlösung und wie wichtig es ist, an ihn zu glauben: »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und

Page 114:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben . . .« (Johannes 5,24). Das ganze Neue Testament fordert uns auf, an den zu glauben, der Jesus gesandt und von den Toten auferweckt hat.Abraham glaubte Gott, und das Kind wurde geboren. Heute sind wir aufgerufen, an denselben Gott zu glauben. Und was hat er für uns getan? Er hat Jesus von den Toten auferweckt. In gewissem Sinne stehen wir vor dem gleichen Glaubensruf wie Abraham. Die Rufe ergehen zu ganz verschiedenen Zeiten in der Geschichte, aber es ist im Wesentlichen der gleiche Ruf. Wer ist ein Christ? Letztlich ganz einfach jemand, der Gott glaubt, was uns zurück zum Hebräerbrief bringt: Wir müssen glauben, dass Gott »ist und dass er denen, die ihn suchen, ihren Lohn gibt« (Hebräer 11,6).Ich betone die historische Verbindung unseres Glaubens mit dem Glauben Abrahams deshalb so sehr, weil ich in unseren Tagen einen Mangel an historischem Bewusstsein sehe. Ich habe bereits dargelegt, dass eine Evangeliumsverkündigung ohne eine hinreichende Erklä-rung der Verlorenheit der Menschen nutzlos ist. Aber ich fürchte, es gibt auch Menschen, die »Christus als ihren Heiland annehmen«, ohne an die historische Realität der biblischen Berichte zu glauben.

Ein junger Mann, der zu uns nach L'Abri kam, war sehr verunsichert, weil einige Freunde an der christlichen Universität, die er in den USA besucht hatte, ihn animiert hatten, seine Glaubensgewissheit auf die so genannte »Wette Pascals« zu stützen. Der Philosph Blaise Pascal sagte einmal, dass der Glaube an Gott doch eine gute Wette sei, denn wenn er nicht wahr sei, habe man zumindest nichts verloren, und im anderen Falle komme man in den Himmel. Aber wenn das alles ist, was ich glaube, komme ich nicht in den Himmel. Christlicher Glaube ist keine Wette oder magische Formel, bei der man die richtigen Worte sagen muss, auch kein Talisman. Christlicher Glaube ist Vertrauen auf den lebendigen Gott.Nehmen wir an, Abraham hätte ernste Bedenken gehabt, aber sich gesagt: »Also, ich weiß ja nicht, ob Gott seine Verheißung erfüllen wird oder nicht, aber am besten sage ich wohl: >Ich glaube.< Was habe ich schließlich zu verlieren?« Hätte Abraham so gedacht, er und Sara hätten kein Kind

Page 115:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

bekommen. Abraham musste die volle Realität der Tatsache, dass Gott existierte und dass er diese Verheißung erfüllen würde, glauben. Und so kam Leben von den Toten.So muss es auch bei uns sein. Was haben wir zu tun? Wir müssen an den glauben, »der unsern Herrn Jesus auferweckt hat von den Toten« (4,4). In dem Augenblick, wo wir an den glauben, der Jesus auferweckte, glauben wir genau dasselbe, was Abraham glaubte, als er glaubte, dass Gott Leben aus dem Tod schaffen konnte. Wenn wir so an Gott den Vater und an Christus als unseren Heiland glauben, werden wir, die wir tot sind, lebendig. »Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben« (1,17)!Aus Glauben leben — das ist nicht nur eine Redeweise, nicht nur eine Idee, das ist eine Realität. Bevor wir Gott glauben, sind wir tot. Aber sobald wir Gott und dem, was er für uns getan hat, glauben und Christus als unseren Heiland annehmen, werden wir lebendig. Wir waren so tot wie Saras Leib. Was das Zeugen neuen Lebens betraf, war Sara völlig tot, und was die Möglichkeit ewigen Lebens betrifft, waren wir völlig tot, unter dem Zorn Gottes, von Gott getrennt und ohne Sinn im Leben. Wie Saras erstorbener Leib kein Leben hervorbringen konnte, so kann der unerlöste Mensch nichts hervorbringen, was wirklich zählt. Er ist in einem großen Leerlauf gefangen. Aber Abraham glaubte Gott, und es kam ein Kind aus jenem erstorbenen Leib. lsaaks Geburt war ein echtes historisches Ereignis — keine erbauliche Geschichte, sondern etwas, das sich in Raum und Zeit, an einem konkreten geographischen Ort und an einem ganz bestimm-ten Tag ereignete. Abraham wurde gerechtfertigt, weil er an den real existierenden Gott glaubte und seinen Verheißungen vertraute.Jesus ist gekommen. Jesus ist gestorben. Jesus ist auferstanden. Die ganze Bibel hindurch hat Gott dies verheißen. Werden wir Gott glauben? Glauben wir, dass er Jesus von den Toten auferweckt hat? Die Auferstehung Jesu ist ebenso historische Realität wie die Geburt lsaaks. Sobald wir dies glauben, werden wir, die wir wie einst Abraham und Sara tot waren, lebendig. So wie Sara und Abraham ein Kind

Page 116:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

bekommen konnten, so können wir jetzt anfangen, Sinnvolles in unserem Leben hervorzubringen.Erlösung ist nicht eine Wette auf unser ewiges Schicksal oder eine magische Formel. Erlösung beginnt mit der Tatsache, dass Gott existiert und dass der Mensch gegen ihn rebelliert hat. Und dann kommt ein Punkt, wo jeder von uns sich entscheiden muss: Will ich Gott glauben oder weiter gegen ihn rebellieren?Paulus hat uns genau gezeigt, was Rechtfertigung durch den Glauben für uns heute bedeutet (3,21-30). Darauf hat er aufgezeigt, dass die Gläubigen des Alten Testaments auf genau die gleiche Weise gerettet wurden wie wir heute (3,31-4,22). Dann hat er die Richtung umgedreht und gesagt: »So wurde Abraham gerechtfertigt, und wir können genauso gerechtfertigt werden« (4,23-25). Gerade so wie Abraham, können wir gerechtfertigt werden, indem wir glauben, dass Gott da ist und dass er, wie er es verheißen hatte, Christus von den Toten auferweckt hat.Wenn wir Gott glauben und somit nicht mehr tot sind, sondern Leben hervorbringen können, sind wir bereit, uns Kapitel 5 zuzuwenden, wo Paulus davon spricht, wie man es anfängt, als Christ zu leben. So wie Saras Leib ein Kind hervorbrachte, so werden wir, wenn wir demselben Gott und seinen Verheißungen vertrauen und so vom Tod zum Leben kommen, fähig, auf der Grundlage des vollbrachten Erlösungswerkes Jesu Christi Leben und nicht mehr Tod hervor-zubringen. Kapitel 5 wird uns zeigen, was dies bedeutet.

TEIL II

Page 117:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Heiligung(Kap. 5,1-8,17)

7

Die Folge der Rechtfertigung:Friede mit Gott

Page 118:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

(5,12-21)Nach seiner Abhandlung der Rechtfertigung (1,18 - 4,25) wendet Paulus sich nun der Heiligung zu (5,1- 8,17). In 5, 1- 11 wird er über den Frieden sprechen, den wir durch unsere Rechtfertigung mit Gott haben. In 5,12-21 wird er in einer Art Einschub den Ursprung der Sünde erklären. Darauf wird er für den Rest dieses Großabschnitts (6,1-8,17) auf die traurige Realität eingehen, dass wir, obwohl Gott uns auf ewig gerecht gesprochen und uns vergeben hat, immer noch so viel Sünde in unserem Leben sehen.Bevor wir mit diesem neuen Abschnitt beginnen, rufen wir uns in Erinnerung, dass Paulus nicht an Fachtheologen, sondern an ganz gewöhnliche Menschen schreibt. Die Botschaft des Römerbriefs ist wahrscheinlich die gleiche, die er in jeder neuen Stadt auf seinen Missionsreisen predigte — nur in schriftlicher Form, da er noch nie persönlich in Rom gewesen war. Stellen wir uns Paulus vor, wie er in irgendeiner neuen Stadt seine Missionspredigt hält. Er geht all das durch, was wir in Römer 1- 4 gelesen haben, und gegen Ende des 4. Kapitels haben etliche seiner Zuhörer sich dem Evangelium geöffnet und sind vom Tod zum Leben durchgedrungen. Während er also in den ersten vier Kapiteln davon ausging, dass seine Leser verloren sind, schreibt er ab Kapitel 5 an Menschen, die bereits Christen sind.Wenn wir nur die ersten vier Kapitel des Römerbriefes hätten, besäßen wir genügend Informationen, um erlöst zu werden. All die großen intellektuellen Lebensfragen werden in diesen vier Kapiteln beantwortet. Ob wir einfach oder komplex strukturiert, Bürger des 1.oder des 20. Jahrhunderts sind, diese ersten vier Kapitel enthalten mehr als genug, um uns vom Tod zum Leben zu bringen. Im Folgenden spricht Paulus uns also als Menschen an, die Christus als ihren Heiland angenommen haben.Wie wir bereits sahen, bedeutet dies keinen Bruch zwischen den Kapiteln 1-4 und 5-8. Wir waren tot (1-4) und sind jetzt lebendig (5-8), und so wie einst Sara ein Kind hervorbringen konnte, können auch wir jetzt anfangen, Leben und nicht mehr Tod hervorzubringen. Und so beginnt Paulus seinen neuen Abschnitt:

Page 119:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; ...(5,1)

Die grammatischen Zeiten der Verben werden in unserer Auslegung dieses Abschnitts sehr wichtig sein. »Da wir nun gerecht geworden sind (in der Vergangenheit) durch den Glauben, haben wir (in der Gegenwart) Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus«. Der griechische Urtext bringt diesen Vergangenheitsbezug deutlich zum Ausdruck. Aufgrund des vollbrachten Erlösungswerkes Christi am Kreuz vor etwa 2000 Jahren sowie aufgrund des konkreten Augenblicks — ob nun vor fünf Minuten oder vor fünf Jahren —, wo wir Christus persönlich als unseren Heiland annahmen, befinden wir uns hier und jetzt in einer ganz bestimmten Situation.Diese zeitliche Abfolge ist etwas, das wir nie vergessen dürfen. Unsere- Kultur ist ständig versucht, das Christentum als ein bloßes Vorwärtsschreiten zu sehen, ohne zu begreifen, dass es einen Augenblick der Rechtfertigung, der geistlichen Geburt geben muss. So wie es in einer Ehe einen Augenblick in der Vergangenheit gegeben haben muss, in welchem der verbindliche Eheschluss zwischen den Partnern erfolgte, so muss es auch einen Augenblick gegeben haben, wo wir durch Gottes Gnade Christus als unseren Erlöser annahmen und darauf von Gott für gerechtfertigt erklärt wurden.Wenn wir Christus als unseren Heiland angenommen haben, »haben wir Frieden mit Gott«. Der erste und wichtigste Aspekt dieses Friedens ist nicht der Friede in unserem eigenen Herzen, sondern die Tatsache, dass Gott Frieden mit uns hat. Wir waren durch unsere Schuld und Sünde von ihm getrennt, und jetzt hat er uns aufgrund des vollbrachten Erlösungswerkes Christi für gerecht erklärt und hat Frieden mit uns.Weil Gott Frieden mit uns hat, weil er uns für gerecht erklärt hat, weil wir zu dem eigentlichen Sinn unserer Erschaffung zurückgekehrt sind, können wir jetzt und heute eine Beziehung zu Gott und wahren Frieden in unserem Herzen haben. Die Menschen versuchen wie verrückt, inneren Frieden

Page 120:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

zu bekommen. Sie probieren alle möglichen psychologischen Methoden aus, um innerlich heil zu werden. Aber all diese Bemühungen führen nur zur Frustration, solange sie sich nicht auf die Beziehung und das Ziel richten, für die wir geschaffen wurden, und der einzige Weg zurück zu dieser Beziehung und diesem Ziel führt über die Vergebung unserer Schuld vor Gott durch die von Christus vollbrachte Erlösung. Ist unsere Schuld so bereinigt, können wir einen Frieden in unserem Herzen haben, der echt ist, einen Frieden, der, wie wir in V. 5 sehen werden, uns nie enttäuschen wird.

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. (5,1-2)

Unser Friede mit Gott gibt uns »Zugang« zu gewissen Dingen in unserem Alltagsleben. Er ist nicht nur eine Zukunftshoffnung. Unsere Erlösung hat einen Zukunftsaspekt, und in 8,18-39 wird Paulus mehr darüber sagen. Aber jetzt spricht er erst einmal über einen Frieden mit Gott, der für den Christen nicht ein fernes Ideal ist, sondern etwas, das er hier und jetzt erfährt. Wir »rühmen uns voll Zuversicht schon jetzt der Herrlichkeit Gottes« 5,2b. Dies ist eine Gegenwartserfahrung, weil es eine Realität ist. Wir sind zum Ziel unserer Erschaffung zurückgekehrt. Diesen Frieden können wir jetzt schon erfahren, weil er in dieser Welt, so wie sie ist, eine Wahrheit ist. Wir stehen vor dem unendlichen Gott selber als Gerechtfertigte da. Gott hat Frieden mit uns, und deshalb können wir in all unseren Lebensbereichen Frieden haben.Wir »rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird« (V. 2b). Eine wörtlichere Übersetzung wäre: Wir »rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes« [Schlachter]. Wir finden den gleichen Gedanken in V.3 (»... wir rühmen uns auch der Bedrängnisse ...«) und 11 (»… wir rühmen uns auch Gottes ...«). Dieses Rühmen, diese Freude ist das, was wir, die wir die Erlösung erlangt haben, in

Page 121:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

diesem Augenblick haben sollten, aufgrund des vollbrachten Erlösungswerkes des Herrn Jesus und des historischen Augenblicks, wo wir ihn als unseren Heiland annahmen und so vom Tod zum Leben kamen.Wie ist das mit uns, die wir uns zu Christus bekennen? Erleben wir die Realität dieses Friedens mit Gott? Gott hat ihn verheißen, und Gott macht keine leeren Versprechungen. Er hat sich unser Christenleben nicht als bloßes Ideal gedacht, sondern er will, dass jeder, der an ihn glaubt, diese Hoffnungsfreude der Herrlichkeit Gottes ganz real erlebt. Gott hat uns Gebote gegeben, die wir aus eigener Kraft nie und nimmer halten können. Er will, dass wir »vollkommen« sind (Matthäus 5,48), und dies ist unser Maßstab, auch wenn wir ihn in diesem Leben nie erfüllen können. Der vollkommene Gott (Matthäus 5, 48) kann nicht weniger als Vollkommenheit befehlen. Aber beim Nachjagen nach dieser Vollkommenheit dürfen wir getrost sein in dem Wissen, dass Gott uns nie eine Verheißung geben wird, die er nicht erfüllen kann, und er hat verheißen, dass wir Frieden mit ihm haben werden.Die Christen haben im Laufe der Geschichte diesen Frieden auf verschiedene Arten gesucht. In der frühen Kirche suchten ihn einige in den Klöstern oder gar in solchen asketischen Übungen wie dem Sitzen auf hohen Säulen. Solche »Säulenheilige« findet man heute nicht viele, dafür aber andere — z. B. manche Christen, die auf Freizeiten und Konferenzen gehen oder auch nach L'Abri kommen, weil sie meinen, dort einen Frieden zu finden, den ihnen ihr christliches Alltagsleben nicht geben kann. So etwas ist eine Art Flucht. Der Friede mit Gott, den Paulus beschreibt, ist mehr als nur eine Wochenenderfahrung. Bei unserem Gang durch dieses Kapitel werden wir noch sehen, wie ganz praktisch es in seiner Beschreibung des wahren Christenlebens ist. Wir alle kennen Christen, die schon bald nach ihrer Bekehrung keine Freude mehr im Leben zu haben scheinen und sich nicht mehr in die Gemeinde einbringen. Vielleicht ist es uns selber auch schon so gegangen. Wie kann für uns und unsere Glaubensgeschwister das Christenleben von einem theoretischen Begriff zu einer Realität werden?Der Schlüssel zur Beantwortung der Heiligungsfrage ist in diesen beiden ersten Versen von Kap. 5: »Da wir nun gerecht

Page 122:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

geworden sind (in der Vergangenheit) durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott (in der Gegenwart) durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch (in der Gegenwart) den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen ...« Wir sind durch den Glauben gerechtfertigt. Dies ist bereits geschehen, in der Vergangenheit. Aber jetzt, in der Gegenwart, haben wir durch denselben Glauben Zugang zu Gottes Gnade. Wer das einmal begriffen hat, hat den Schlüssel zu einem Leben als Christ.Wir sahen bereits, dass Erlösung mehr ist als nur Rechtfertigung. Die Rechtfertigung — dass wir also Jesus als unseren Heiland annehmen und frei von unserer Schuld vor Gott werden — ist ein Teil der Erlösung, aber es gibt noch weitere Teile. Erlösung ereignet sich in drei Zeiten: In der Vergangenheit, bei unserer Bekehrung, war sie die Erlösung von der Schuld unserer Sünde. In der Gegenwart ist sie Erlösung von der Macht der Sünde; das ist die Grundbedeutung des Wortes »Heiligung«. Die Macht der Sünde muss in Gedanken, Worten und Taten gebrochen werden. Und in der Zukunft, in der Herrlichkeit im Himmel, werden wir von der ganzen Existenz der Sünde erlöst sein.Wie geschah unsere Vergangenheitserlösung? Durch den Glauben. Wie geht es jetzt in der Gegenwart weiter, wie bekommen wir den »Zugang« zu den wunderbaren Realitäten, die die Bibel uns für unser Leben hier und jetzt verheißt? Auch durch den Glauben: »... durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen ...« (Vers 2a). Wir wissen, dass unsere Rechtfertigung völlig auf dem vollbrachten Werk des Herrn Jesus beruhte, und in keiner Weise auf unserem eigenen Können oder Gutsein. Und die Heiligung? Auch sie beruht ganz und gar auf Christi Werk, und nicht auf unserem.Christenlebens ist. Wir alle kennen Christen, die schon bald nach ihrer Bekehrung keine Freude mehr im Leben zu haben scheinen und sich nicht mehr in die Gemeinde einbringen. Vielleicht ist es uns selber auch schon so gegangen. Wie kann für uns und unsere Glaubensgeschwister das Christenleben von einem theoretischen Begriff zu einer Realität werden?Der Schlüssel zur Beantwortung der Heiligungsfrage ist in diesen beiden ersten Versen von Kapitel 5: »Da wir nun

Page 123:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

gerecht geworden sind (in der Vergangenheit) durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott (in der Gegenwart) durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch (in der Gegenwart) den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen ...« Wir sind durch den Glauben gerechtfertigt. Dies ist bereits geschehen, in der Vergangenheit. Aber jetzt, in der Gegenwart, haben wir durch denselben Glauben Zugang zu Gottes Gnade. Wer das einmal begriffen hat, hat den Schlüssel zu einem Leben als Christ.Wir sahen bereits, dass Erlösung mehr ist als nur Rechtfertigung. Die Rechtfertigung — dass wir also Jesus als unseren Heiland annehmen und frei von unserer Schuld vor Gott werden — ist ein Teil der Erlösung, aber es gibt noch weitere Teile. Erlösung ereignet sich in drei Zeiten: In der Vergangenheit, bei unserer Bekehrung, war sie die Erlösung von der Schuld unserer Sünde. In der Gegenwart ist sie Erlösung von der Macht der Sünde; das ist die Grundbedeutung des Wortes »Heiligung«. Die Macht der Sünde muss in Gedanken, Worten und Taten gebrochen werden. Und in der Zukunft, in der Herrlichkeit im Himmel, werden wir von der ganzen Existenz der Sünde erlöst sein.Wie geschah unsere Vergangenheitserlösung? Durch den Glauben. Wie geht es jetzt in der Gegenwart weiter, wie bekommen wir den »Zugang« zu den wunderbaren Realitäten, die die Bibel uns für unser Leben hier und jetzt verheißt? Auch durch den Glauben: »... durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen ...« (Vers 2a). Wir wissen, dass unsere Rechtfertigung völlig auf dem vollbrachten Werk des Herrn Jesus beruhte, und in keiner Weise auf unserem eigenen Können oder Gutsein. Und die Heiligung? Auch sie beruht ganz und gar auf Christi Werk, und nicht auf unserem.

Die Basis unserer Heiligung ist ein Hauptthema im Galaterbrief. Paulus fragt dort: »Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr's denn nun im Fleisch vollenden«? (Galater 3,3). Die Antwort ist natürlich ein lautes Nein. Sowohl der Anfang als auch die Vollendung unseres Christenlebens geschieht durch Glauben, und nicht durch unsere eigenen Anstrengungen. Wenn Paulus in seinen Schlüsselversen (Römer 16-17) das

Page 124:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Evangelium »Gottes Kraft zur Rettung« nennt, meint er alle drei Aspekte dieser Rettung (Erlösung). Erlösung ist nichts Statisches, sondern ein fließender Strom. Das Evangelium ist Gottes Kraft zur Erlösung von unserer Schuld in der Rechtfertigung. Aber es ist auch die Kraft zur Erlösung im Alltagskampf der Heiligung und zur Erlösung unserer Leiber in der kommenden Herrlichkeit. Die Christen reden gerne darüber, wie wichtig es ist, eine christliche Persönlichkeit zu entwickeln, gerade so, als ob wir, wenn wir Christus angenommen haben, nur noch zu zeigen bräuchten, was an Qualitäten in uns steckt. Aber wer sich einbildet, er werde selber stark genug werden, um den Kampf zu gewinnen, der kann lange warten; mit unserer Kraft schaffen wir es nicht.Wir müssen die Schlüsselverse noch einmal ganz lesen: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: >Der Gerechte wird aus Glauben leben<« (1,16-17). Wir werden aus Glauben gerechtfertigt, und dann wird »der Gerechte ... aus Glauben leben«! Da zur Erlösung auch die Heiligung gehört, könnten wir V.16 auch so lesen: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die heilig macht alle, die daran glauben«. Ob wir über den Vergangenheits-, Gegenwarts- oder Zukunftsaspekt der Erlösung reden, die Grundlage ist immer das vollbrachte Werk Christi, und unser Zugang zu diesem Erlösungswerk ist immer der Glaube.Was für ein Segen war es, als ich selber dies zu verstehen begann! Es ist also nicht so, dass ich Christus als meinen Heiland annehme und dann darauf warte, irgendwann in den Himmel zu kommen. Unsere Erlösung hat eine Gegenwart. Viele Menschen fragen mich:»Aber wie finde ich diese Gegenwart? Ich glaube das ja alles, aber wie wird das für mich wirklich?« Und ich sage jedes Mal, dass wir irgendwie über das bloße innere Jasagen zu der Sache mit der Heiligung hinauskommen und sie in unserem Alltagleben Tag für Tag Realität werden lassen müssen. Aber wie machen wir das? Indem wir uns daran erinnern, wie wir

Page 125:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Christen geworden sind.Dabei kann es uns eine Hilfe sein, wenn wir Rechtfertigung und Heiligung als etwas sehen, das in drei Schritten geschieht. Um Christus als meinen Erlöser anzunehmen, sind zwei Schritte notwendig; es gibt noch einen dritten Schritt, der nicht notwendig, aber (nach meiner Erfahrung jedenfalls) sehr hilfreich ist. Der erste notwendige Schritt ist, dass ich erkenne und zugebe, dass ich ein Sünder bin. Niemand nimmt Christus als seinen Heiland an, solange er sich nicht als Sünder erkennt. Der zweite Schritt ist, dass ich mich im Glauben unter Christi Blut stelle und ihn als meinen Heiland annehme. Damit ist meine Erlösung geschehen; es braucht nur diese beiden Schritte.Aber meine Erfahrung ist, dass es noch einen dritten Schritt gibt, der nicht nötig, aber äußerst hilfreich ist. Ich habe ihn in meiner Arbeit in L'Abri kennen gelernt, und er besteht darin, dass ich Gott für meine Erlösung danke. Bei vielen frisch gebackenen Christen ist dies der Punkt, wo die Gefühle kommen, wo ihnen die ganze Realität ihrer Erlösung aufgeht. Man kann natürlich auch ohne ein solches Dankeschön erlöst werden, aber bei vielen Menschen in unserer Arbeit ist dies der Augenblick, wo sie es bis in die Knochen spüren, dass sie Teil haben an Christi Erlösungswerk. Sie haben Gott für etwas »Danke« gesagt, das total, real, endgültig ist. Und dann kommt der Friede (5,1)Das Gleiche gilt für die Heiligung. Wenn ich über Sünde in meinem Leben stolpere oder die Versuchung kommt, gibt es ebenfalls zwei Schritte, die nötig sind, und ein dritter, der nicht nötig, aber sehr hilfreich ist. Erstens muss ich, wie schon bei meiner Rechtfertigung, die Sünde als Sünde erkennen. Sie werden in Ihrem Christenleben keine echten Fortschritte machen, solange Sie nicht bei jeder Versuchung oder bereits begangenen Sünde ganz ehrlich vor Gott sind und Sünde Sünde nennen. Solange Sie die Sünde beschönigen und ent-schuldigen, wird nicht viel aus Ihrer Heiligung werden.

Der nächste Schritt ist, wieder wie schon bei der Rechtfertigung, dass ich das von Christus vollbrachte Erlösungswerk ergreife — egal, ob ich in der Versuchung stehe oder ihr schon erlegen bin. Als Erstes gebe ich vor Gott zu,

Page 126:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

dass ich versucht werde bzw. bereits gesündigt habe, und dann bringe ich diese ganz konkrete Sünde unter Christi Blut. »Unter Christi Blut bringen« — das bedeutet, dass ich, sobald ich meine Sünde zugebe, wissen darf, dass sie von Christi Blut bedeckt ist, gerade so wie der kleine Junge in unserem Beispiel vom Mantel seines Vaters bedeckt war. Wenn Gott uns anschaut, sieht er nur diesen Mantel — Christi Gerechtigkeit, das Blut, das er für uns vergossen hat. Wenn wir unsere Sünden unter das Blut Christi bringen, berufen wir uns auf die Realität der Bedeckung unserer Sünden, die Christus uns gegeben hat. Und, wieder wie bei unserer Rechtfertigung: Sobald wir eine Sünde unter Christi Blut gebracht haben, ist sie ein für alle Mal bereinigt.Aber jetzt gibt es wieder einen nicht notwendigen, aber sehr hilfreichen dritten Schritt: Wenn Sie Ihre Sünde zugegeben und unter Christi Blut gebracht haben, dann sagen Sie »Danke«, und Sie werden merken, wie die Gewissheit der Vergebung Sie durchströmt und Sie inneren Frieden bekommen. Wir Christen legen die Betonung gerne auf die Überwindung der Versuchung, und dies ist nicht falsch. Aber wenn wir dann doch gesündigt haben, dann wollen wir die Sünde ehrlich mit Namen nennen, sie unter Christi Blut bringen und anschließend Gott danken, aufgrund seiner Verheißung, dass Christi Blut unsere Sünde bedeckt und dass unsere Gemeinschaft mit ihm wiederhergestellt ist.Jahrelang merkte ich als Pastor, dass in meiner Predigt etwas fehlte. Ich konnte den Menschen erklären, wie sie Christus als ihren Heiland annahmen, wir freuten uns auf Jesu Wiederkunft und den Himmel, aber ich hatte den Menschen sehr wenig über die Gegenwart unserer Erlösung zu sagen. Wenn wir nichts über die Realität der Erlösung in unserem Alltagsleben wissen, sind wir damit zwar nicht verloren, aber das ganze Christenleben wird zu etwas Unwirklichem. Wir kommen einmal in den Himmel, aber noch sind wir ja nicht dort. Es muss eine Erlösungsrealität geben, die nicht dort ist, wo ich noch nicht bin, sondern dort, wo ich jetzt bin, sonst wird unser Reden über den Glauben unwirklich und weltfremd. Wir müs-sen sehen, was unser Glaube mit unserem Hier und Jetzt zu tun hat.Ich erinnere mich, wie ich in Dankgottesdiensten gestandene

Page 127:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Christen bat, der Gemeinde zu erzählen, wofür sie Gott dankbar waren, und alles, was ihnen einfiel, war ihre Bekehrung vor zwanzig oder dreißig Jahren! Selbstverständlich dürfen wir Gott für unsere Bekehrung danken, aber ist da wirklich nicht noch mehr? Haben wir Gott nicht auch für etwas zu danken, das gestern geschah, oder heute? Wenn nicht, dann sind wir in eine bloße Rechtgläubigkeit hineingerutscht, die mit unserem Leben nichts mehr zu tun hat.Viele Menschen scheinen unter dem Christenleben zu verstehen, dass man sich bekehrt und anschließend halt schön anstrengt. »Wo ist dein christlicher Wandel«? fragen sie. »Sei einfach stark im Herrn!« So mancher Neubekehrte betätigt sich womöglich missionarisch, während sein persönliches Glaubensleben auf äußerster Sparflamme kocht.Die Antwort des Paulus auf dieses Problem der großen Stagna-tion ist, dass der Glaube nicht nur der Schlüssel zu unserer Rechtfertigung ist, sondern auch zu unserem Christsein im Alltag. Eine Bemerkung fast am Ende des Römerbriefs ist hier hilfreich: »Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes« (15,13). Ohne den Glauben werden wir diesen Reichtum der Hoffnung durch die Kraft des Geistes nicht bekommen. Dieser Glaube ist kein Automatismus, sondern eine persönliche Entscheidung, und der Heilige Geist wird diesem Gläubigen diese Hoffnung, diese Freude und diesen Frieden geben.Die biblische Sicht ist ein vollständiges System. Gegen die mo-derne Sicht von einer unpersönlichen Welt stellt die Bibel eine persönliche Welt. Das Christenleben ist nichts Mechanisches, geistliche Realität lässt sich nicht quantifizieren; es geht immer um eine Beziehung von Person zu Person, in der wir Gott glauben.Auch ein paar Sätze aus dem 1. Johannesbrief können uns helfen. Ich beginne mit einem Vers, über den ich jahrelang nicht predigte: »Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer« (1.Johannes 5,3). Johannes sagt hier, dass Gottes Gebote nicht schwer sind, aber lange Jahre hindurch fand ich sie schwer, und je schwerer ich sie fand, umso seltener predigte ich über diesen Vers. Mein Problem mit diesem Vers war, dass ich ihn

Page 128:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

von dem folgenden Vers abtrennte: »Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat« (1.Johannes 5,4).Dies ist das Gleiche, was Paulus in Römer 5,1-2 sagt, ja was er von 5,1 bis 8,17 sagt. Der Schlüssel dazu, Gottes Gebote »nicht schwer« zu finden, ist der Sieg, den wir durch unseren Glauben erfahren. Der Schlüssel heißt: Gott vertrauen. Der Schlüssel ist: verstehen, dass »der Gerechte aus Glauben leben wird«. Also nicht versuchen, aus unserer eigenen Kraft heraus zu leben, sondern im Glauben an das durch Jesus für mich vergossene Blut Gottes Hand ergreifen und so Kraft bekommen.Es gibt in meinem Leben Sünden, die immer und immer wieder kommen, dass ich verzweifelt ausrufe: »Jetzt hab ich's schon wieder getan!« Was mache ich also? Ich bekenne meine Sünde. Ich berufe mich auf Christi Erlösungswerk und bringe sie unter die Deckung seines Blutes. Und wenn anschließend mein Gewissen mich immer noch plagt, dann nur, weil ich die Gültigkeit und Kraft des Blutes Christi zu gering achte.In diesen Stunden stelle ich mir mein Gewissen manchmal als einen großen schwarzen Hund vor, der mich mit seinen dreckigen Pfoten anspringt. Wenn ich meine Sünde unter Christi Blut gebracht habe und der Gewissenshund mich immer noch anspringt, muss ich im Glauben sagen: »Platz!« Ich muss mich bewusst an die unendliche Reinigungskraft des Blutes Christi erinnern. Der Glaube, den wir vor unserer Versuchung hatten, ist auch dann, wenn wir in Sünde gefallen sind, der Sieg, der die Welt überwunden hat. Oder, wie Paulus in Römer 5,1-2 sagt: Unsere Rechtfertigung kommt aus Glauben, und der daraus folgende Friede mit Gott ebenfalls.Einen weiteren hilfreichen Gedanken hierzu finden wir in Epheser 6.16 »Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen ...« Der »Böse« ist der Satan. Was schützt uns vor den »feurigen Pfeilen« des Satans? Der Schild des Glaubens. Und was ist dieser Glaube? Es ist derselbe Glaube, um den es bei unserer Rechtfertigung ging: Ich glaube Gott aufgrund des vom Herrn Jesus für mich vergossenen Blutes. Wie können wir, die wir so von Sünde gezeichnet sind, aufstehen und sagen: »Jetzt bin ich ein Kind Gottes«? Nicht aufgrund eigener

Page 129:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Verdienste, sondern weil Christi Blut uns erlöst. Diese Wahr-heit ist wie ein riesiger Schutzschild. Der erste Mann in der Antike, der einen genügend leichten Schild sein eigen nannte, der nicht von Pfeilen durchbohrt werden konnte, hatte einen enormen Vorteil im Kampf. So gibt uns, die wir nicht auf uns selber vertrauen, sondern auf Christus, dieser Schild des Glaubens einen Riesenvorteil in unserem Kampf gegen Sünde und Versuchung.Schauen wir uns auch Kolosser 2,6-7 an: »Wie ihr nun den Herrn Christus Jesus angenommen habt, so lebt auch in ihm und seid in ihm verwurzelt und gegründet und fest im Glauben ...« Wie werden wir in Christus verwurzelt und fest? »Im Glauben«.Seinem Mitarbeiter Timotheus schreibt Paulus, dass seine Kenntnis der »heiligen Schrift« ihn hier und jetzt »unterweisen kann zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus« (2.Timotheus 3,15). Wenn wir die Heiligung von uns selber erwarten, erleben wir nur Enttäuschungen. Aber wir brauchen uns nicht auf uns selber zu verlassen, sondern wir dürfen uns auf die Bibel und den in ihr geoffenbarten Christus verlassen.In Hebräer 4,2 lesen wir: »Denn es [das Evangelium] ist auch uns verkündigt wie jenen. Aber das Wort der Predigt half jenen nichts, weil sie nicht glaubten, als sie es hörten.« Wir haben uns diesen Vers bereits im Zusammenhang mit der Rechtfertigung angesehen, aber er gilt auch für die Heiligung. Gott verheißt denen, die ihm glauben, solche Dinge wie Frieden und Freude, aber solange wir nicht aufgrund des vollbrachten Werkes Christi durch den Glauben diese Verheißungen ergreifen, werden sie für uns nicht zur Realität. Der Glaube erschließt uns Gottes Verheißungen nicht nur bei unserer Bekehrung, sondern auch in unserem Christsein im Alltag.Aber zurück zu Römer 5,1: Nachdem wir also gerechtfertigt worden sind, können wir jetzt, in der Gegenwart, Frieden in unserem Herzen haben. Wie? Durch den Glauben. Wir müssen einander helfen, die Realität dieses Gegenwartsaspektes unserer Erlösung zu sehen. Unser Friede mit Gott ist mehr als ein Gefühl; er gründet sich auf Gottes Verheißung, dass Christi Sühnetod ausreicht, um all unser Versagen zu bedecken. Als ich Christ wurde, erkannte ich, dass Christi Blut ausreichte,

Page 130:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

um meine vergangene Sünde zu bedecken, und genauso erkannte ich auch, dass es ausreicht, um die Sünden zu bedecken, die ich seit dem Aufwachen heute Morgen begangen habe. Dann und wann tue ich etwas so Schlimmes, dass ich merke: Wenn alles an mir hinge, ich wäre wieder verloren. Wenn das passiert, muss ich wissen, dass ich diese Dinge unter das vergossene Blut des Herrn Jesus bringen kann und dass sein Blut Macht hat, mich reinzuwaschen, und danach kann ich einfach »Danke« sagen. Dies ist die Quelle des Friedens im Herzen des Christen. Das ist kein Gefühlser-lebnis. Man braucht dazu nicht auf einer Säule zu sitzen oder jedes zweite Wochenende auf eine Bibelfreizeit zu gehen. Es ist die objektive Realität des vollbrachten Erlösungswerkes Jesu Christi, das uns jeden Tag, jeden Augenblick neu rein macht.Vielleicht fragt jemand: »Wie oft kann man das denn machen? Wie oft können wir um Vergebung für diese endlosen Alltagssünden bitten?« Nun, so oft, wie es nötig ist! Als Petrus Christus fragte, ob es reiche, wenn er seinem Bruder siebenmal vergebe, antwortete Christus: »Nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal« (Matthäus 18, 21-22). Wenn wir Menschen einander so oft vergeben sollen, wird Gott uns noch unendlich öfter vergeben. Wie oft sollten wir ihn um Ver-gebung bitten? So oft wir es brauchen!Vielleicht protestiert hier jemand: Eine Stunde nach dem Sündigen schon wieder in die gleiche Versuchung fallen und die Sache prompt wieder »unter das Blut Jesu bringen« — missachten und entwerten wir damit nicht das, was der Herr Jesus für uns tat? Ganz im Gegenteil: Es gibt nur eines, womit wir Christi Erlösungswerk gering achten können, und das ist, dass wir es nicht in Anspruch nehmen.Die Beobachtung anderer Christen, das Lesen der Biographien früherer Gottesmänner und -frauen und die persönliche Erfahrung haben mich gelehrt, dass dies der Punkt ist, wo wir anfangen, Schritte in unserem Christenleben zu tun. Wenn ich erfahren habe, dass ich im Glauben meine Sünden vom Vormittag unter Christi Blut bringen kann, und dann meine Sünden vom Nachmittag, auch wenn es genau dieselben sind — wenn ich dies weiß, wird mir die Kostbarkeit des Blutes Christi zu einer gewaltigen Realität. Ich beginne, im Lichte

Page 131:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

seiner Gegenwart und seines Werkes zu leben — nicht nur in der Vergangenheit oder in der Zukunft, sondern hier und jetzt. Ich fange an, in der Realität der übernatürlichen Welt zu leben.Manche lehren ja, dass jemand nur dann ein wahrer Christ ist, wenn er in diesem Leben vollkommen ist, aber das lehrt die Bibel nicht. Ein echter Christ ist nicht jemand, der auf der moralischen Leiter ganz oben steht, sondern jemand, der aus Erfahrung um das allgegenwärtige Wunder weiß, dass er das Blut Jesu in Anspruch nehmen und dann »Danke« sagen kann, in dem Wissen, dass seine Gemeinschaft mit Gott voll wiederhergestellt ist.Lesen Sie Hebräer 13,21, wo es heißt, dass Jesus Christus (und nicht wir selber) uns »tüchtig in allem Guten« macht. Unser Teil besteht lediglich darin, im Glauben an den Sieg Jesu Christi zu handeln. Die gleiche Sicht vom Platz des Glaubens im Leben des Christen hat auch Petrus, der seinen Lesern sagt: »... die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit« (1.Petrus 1,5). Petrus scheint hier vor allem von dem Zukunftsaspekt der Erlösung zu sprechen, aber er hat auch die Gegenwart im Blick, wenn er, wie Paulus, sagt, dass es »Gottes Macht« ist, die uns »bewahrt«, und dass wir »durch den Glauben« Zugang zu dieser Macht bekommen.Hören wir auch diese mächtigen Worte aus der Offenbarung: »Und ich hörte eine große Stimme, die sprach im Himmel: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus; denn der Verkläger unserer Brüder [der Satan] ist verworfen, der sie verklagte Tag und Nacht vor unserm Gott. Und sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut ...«(Offenbarung 12,11a). Dies ist keine schöne Geschichte, kein Lückenfüller in der Bibel; dies ist die Realität unseres Christenlebens. Wenn der Teufel uns anklagt, überwinden wir ihn durch das Blut des Lammes. Es gibt nur eine Möglichkeit, der Versuchung zu widerstehen, und das ist das Blut des Lammes. Oder, um noch einmal Johannes zu zitieren: »Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat« (1. Johannes 5,4).Wir werden durch den Glauben wiedergeboren, aber unser

Page 132:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Glaube sollte hier nicht stehen bleiben. Unsere Wiedergeburt sollte gewissermaßen jeden Augenblick unseres Lebens durchziehen. Als wir Gott glaubten und wiedergeboren wurden, nahm Gott unsere Schuld ein für allemal aufgrund des vollbrachten Werkes des Herrn Jesus weg. Der Glaube hat keinen Wert an sich, er ist nur der Zugang; der Wert liegt allein in dem vollbrachten Werk Jesu. In unserem weiteren Christenleben sollen wir diese Vergebung, mit der alles anfing, immer wieder erleben. Im Augenblick unserer Erlösung glaubten wir Gott — glauben wir ihm weiter! Wir vertrauten damals auf das vollbrachte Werk des Herrn Jesus — vertrauen wir weiter! Dies ist kein blinder Mechanismus, sondern Gott behandelt uns als moral- und vernunftbegabte Geschöpfe, die ihm glauben und vertrauen müssen.

Da wir nun gerecht geworden sind [in der Vergangenheit] durch den Glauben, haben wir [in der Gegenwart] Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir [in der Gegenwart] stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. (5,1-2)

Haben wir uns diese beiden Verse nicht lange genug angesehen? Sollten wir jetzt nicht weitergehen? Nun, in gewissem Sinne kommen wir als Christen nie über diese Verse hinaus. Von jetzt an bis zu dem Tag, wo Jesus wiederkommt oder wir sterben, ist dies unsere Realität. In einem weiteren Sinne gilt dies für den gesamten Abschnitt Römer 5,1-8,17. Von unserer Bekehrung an, bis wir sterben (oder Christus wiederkommt), leben wir in diesem Teil des Römerbriefs.Manche Christen lehren den »zweiten Segen« oder die »Geistestaufe«, die nach unserer Bekehrung stattfinden soll. Sie sagen völlig korrekt, dass wir in dem Augenblick, wo wir Christus als Heiland annehmen, gerechtfertigt werden, fügen aber hinzu, dass wir einige Zeit danach ein zweites Werk der Gnade erleben. Die Bibel lehrt dergleichen nicht. Die Bibel sagt, dass ab dem Augenblick, wo ich Christus als meinen Erlöser annehme, der Heilige Geist in mir wohnt. Es ist kein »zweiter Segen« nötig! Doch leider lernen viele Christen ihr

Page 133:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Leben lang die Realität des Prinzips, über das ich gerade rede, nicht. Sie wissen, dass die Erlösung ganz auf dem beruht, was Christus getan hat — und versuchen, aus eigener Kraft als Christen zu leben. Sie scheinen nicht zu wissen, dass auch ihr Christenleben auf Christi Werk beruht.Ich habe viele Christen kennen gelernt, die seit zwanzig oder mehr Jahren die Last einer furchtbaren Sünde mit sich herumschleppen. Tag um Tag grübeln sie über sie nach, ihr Gewicht lähmt sie geradezu. Dies ist nicht das, was Gott will! Wenn ich gesündigt habe, muss mir das Leidtun. Darauf muss ich es unter Christi Blut bringen, und dann kann ich sagen: »Danke für deine Vergebung.« Wenn wir mit unserer Sünde einem anderen Menschen weh getan haben, sollten wir zu ihm gehen und versuchen, das wiedergutzumachen, was wir können. Doch dies sollte uns nicht davon abhalten, die volle Vergebung, die Christus uns anbietet, in Anspruch zu nehmen. Angenommen, Sie haben eine besonders schreckliche Sünde begangen, an die Sie immer wieder denken müssen, und jedes Mal danken Sie Gott erneut für seine Vergebung. Immer wieder »Danke« sagen ist doch viel besser, als weiter diese Last zu tragen! Wenn wir wirklich glauben, dass das vollbrachte Werk Christi uns gerechtfertigt hat und uns auch heiligen kann, dann ist dieses Danken die einzig richtige Reaktion.In dieser Haltung des ständigen Dankens für unsere immer wieder neue Reinigung von Sünde kann uns unser Glaube zur Alltagsrealität werden, die uns Schritt für Schritt begleitet. Ein Schlüssel zur Erfahrung dieser Realität ist eben dies, dass wir immer sensibler für unsere Sünden werden und sie sofort unter Christi Blut bringen. Mir persönlich hat es eine Zeitlang sehr geholfen, immer ein Blatt Papier dabei zu haben und es sofort zu notieren, wenn ich merkte, dass ich etwas Unrechtes getan hatte. Darauf dankte ich Gott für seine Vergebung und hakte die Sünde, die ich da aufgeschrieben hatte, ab, um mir zu zeigen, dass sie wirklich weg war. Ich weiß nicht, ob die Methode das Richtige für Sie ist, aber mir war es ein großer Segen, die Parade der Haken für einen Tag oder eine ganze Woche zu sehen; es zeigte mir, was es heißt, in der Vergebung zu leben.Als Christen sollten wir eine Antenne für unsere Sünden

Page 134:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

haben, aber wir sollten ihre Last nicht noch fünfzehn oder zwanzig Jahre, nachdem wir sie bekannt haben, weiter tragen. Eigentlich braucht ein Christ nie etwas auf dem Gewissen zu haben, denn sobald er sündigt, kann er diese Sünde unter Christi Blut bringen. Wir sollten keine Woche, ja keine Stunde damit warten. Wir sollten nicht mit unserer Sünde spielen, aber uns auch nicht mit ihr abschleppen. Sobald wir eine Sünde begangen haben, sollten wir sie unter Christi Blut bringen, und danach ist sie weg.»Aber«, so möchte man fragen, »ermuntert einen das nicht gerade zum Sündigen?« Für mich kann ich nur sagen, dass es mich im Laufe der Jahre eher etwas in die andere Richtung gedrückt hat. Nur etwas, aber immerhin. Zum Sündigen ermuntert wird der, der ein dickes Fell für die Sünde bekommt. Die Sünde bekennen und Gott für seine Vergebung danken führt gerade in die andere Richtung — von der Sünde fort.

Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, ... (5,3)

Paulus hat gerade von der Freude über die Herrlichkeit, die Gott geben wird, gesprochen. Sich so freuen ist nicht schwer, solange alles gut geht in unserem Christenleben oder wir gute Gemeinschaft mit anderen Christen haben. Aber wenn wir dann außerhalb dieser Gemeinschaft gegen eine Wand rennen und uns die Nase einstoßen, müssen wir uns fragen: Waren das alles nur schöne Worte und psychologische Aufmunterung, oder ist das die Wahrheit? Wenn der christliche Glaube »wahr« ist, dann kann er es nicht nur im ersten Feuer der Bekehrung sein, sondern er muss es auch in meinem anschließenden Alltagsleben sein. Wenn er mehr ist als ein paar flotte Sprüche, muss er in die Schlaglochstraße meines Lebens hineinreichen. Erinnern wir uns an den »Schild des Glaubens« aus Epheser 6,16? Die Frage ist doch: Kann ich sicher sein, dass dieser Schild nicht doch von dem neuesten Pfeilmodell des Feindes durchbohrt wird? Funktionieren diese Glaubensschilde nur, wenn ich an einem sicheren Ort mit anderen Christen zusammen bin, oder auch, wenn es rau

Page 135:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

wird?Ja, auch, wenn es rau wird, antwortet Paulus in 5, 3. »Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse ...« »Bedrängnisse« [Menge: »Trübsale«] — das meint nicht nur regelrechte Verfolgungen, obwohl die Christen in Rom, an die Paulus schrieb, mit solchen Verfolgungen konfrontiert waren. Was war das Geheimnis ihrer Kraft? Genau das, worüber wir gerade sprechen: ihr Glaube, das, was sie über Gott, die Geschichte und ihre eigene Lage vor Gott glaubten. Oder glauben Sie etwa, dass sie, wenn sie in die Arena geführt wurden, um von Löwen zerrissen zu werden, ei-nander auf die Schulter klopften und »Kopf hoch!« riefen?Unser Glaube ist keine Theorie. Er ist Glaube mitten in Versu-chung, Glaube in Bedrängnis, Glaube in den Stürmen des Lebens. In was für Stürmen stehen Sie gerade? Was sie auch sind, ob Sie sie ins Martyrium führen oder ob es »nur« um den Spott und die Verachtung Ihrer nichtgläubigen Freunde und Verwandten geht — Ihr Glaube an Christus reicht aus, um den Sturm zu bestehen. »Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse«, weil wir im Glauben leben.

... weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, ... (5, 3b)

In Psalm 4o,2 schreibt David: »Ich harrte des Herrn ...« Das Hebräische ist stärker: »Wartend harrte ich des Herrn« [Elberfelder.: »Beharrlich habe ich auf den Herrn geharrt«]. Es gibt zwei Arten des Wartens: beharrlich und nicht beharrlich. Ich kann im Vertrauen auf Gott warten, und ich kann ungeduldig warten. Ich muss gestehen, dass mein Warten oft von der zweiten Sorte ist — ungeduldig oder auch nach dem fatalistischen Motto: »So ist das Leben halt.« Paulus sagt uns, dass wir im Aufblick zum Herrn echte Geduld lernen können; wir lernen das beharrliche Warten.

... weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; ... (5, 3b-5a)

Page 136:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

»Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden« — dies bringt uns zurück zu unseren Schlüsselversen, wo Paulus sagte, dass er sich des Evangeliums »nicht schämt« 16). Er schämt sich seiner nicht als Glaubenssystem, mag auch Rom noch so mächtig und Griechenland noch so gebildet sein. Hier in 5,5 dagegen sagt er, dass er sich von den vergangenen und gegenwärtigen Widernissen nicht in seinem Glauben enttäuschen lässt. Er ist stolz auf das Evangelium, weil es ihm eine so große Hoffnung gegeben hat — eine Hoffnung, die ihn nicht enttäuscht hat, und damit eine Hoffnung, deren er sich nie zu schämen braucht.Doch wie kam es, dass Paulus' Hoffnung ihn nicht zuschanden werden ließ?

Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist. (5, 5)

Unser gegenwärtiger Zustand des Nicht-zuschanden-Werdens (Nicht-enttäuscht-Werdens) gründet auf zwei objektiven Tatsachen der Vergangenheit: dass Christus für uns starb und dass der Heilige Geist in uns Wohnung genommen hat. Christus ist gestorben, der Preis für unsere Sünden ist bezahlt. Und jetzt wohnt durch den Heiligen Geist Gott selber in uns. Diese beiden Dinge sind keine bloßen subjektiven Vorstellungen, sie sind objektiv wahr — so objektiv wie der Mond, der durch das Fenster scheint. Jesu Tod ist objektiv real, und der Heilige Geist, der in uns wohnt, auch. Beide Realitäten sind das Werk Gottes und nicht das Ergebnis unserer eigenen Anstrengungen. Diese Realität ist mitten in den Bedrängnissen da, aber ich muss sie im Glauben ergreifen, und Paulus versichert mir, dass, so wie ich mich nie des Evangeliums als Glaubenssystem zu schämen brauche (1,16), ich auch nie in meinem ganz praktischen Glaubensleben enttäuscht zu werden brauche. Dies war Paulus' Botschaft, und dazu sind wir auch im 20. Jahrhundert berufen. Wir sollen das Evangelium klar und ohne Scham verkündigen (1,16), und wir sollen lebende Demonstrationen der Realität dieses Evangeliums sein (5,5). Egal, wie perfekt das Glaubenssystem ist, solange wir es nicht in der Realität demonstrieren, können

Page 137:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

wir nicht erwarten, dass die Menschen es annehmen. Unser Ziel sollte sein, dass sie nicht nur unsere Botschaft anhören und sagen: »Ja, so sollte das sein«, sondern den Frieden Gottes in unseren Herzen sehen und sagen: »Jawohl, so ist das ja wirklich!« Der Friede Gottes ist kein mystisches Etwas, das es nur auf Bibelfreizeiten gibt, sondern die Realität des vollbrachten Erlösungswerks Jesu inmitten der Geschichte.Dies ist das erste Mal seit 1,4, dass Paulus den Heiligen Geist erwähnt. Er wird ihn erneut in 7,6 erwähnen, und in Kapitel 8 wird er sehr viel über die Kraft des Heiligen Geistes im Leben des Gläubigen zu sagen haben. Die Gabe des Geistes ist genauso real und objektiv wie der Erlösungstod Christi.

Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben. (5, 6)

Paulus fährt fort, uns aufzurufen, die gegenwärtige Realität unseres Christenlebens im Lichte der vergangenen Realität des vollbrachten Werkes Christi zu verstehen. Damit beginnt er erneut, das Thema »Tod und Leben« zu entwickeln, das wir schon in 1,17 und 4,17 sahen. Christus starb für die Gottlosen.

Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen wagt er vielleicht sein Leben. Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. (5, 7-8)

Oft höre ich: »Was kann denn Christus für mich tun? Ich bin ja so ein Sünder!« Oder: »Was kann Christus noch für mich tun? Ich habe schon wieder gesündigt.« Paulus beantwortet diese Frage. Wann starb Christus für uns? Als wir noch Sünder waren! Daran müssen wir uns immer wieder erinnern, egal, wie lange wir schon Christen sind. Auch ich. Wenn ich wieder gefallen bin, wieder gesündigt und etwas falsch gemacht habe und denke: »Das hätte mir aber nicht passieren dürfen, so lange, wie ich schon Christ bin ...«, dann brauche ich Hilfe, und diese Hilfe bekomme ich, wenn ich mich an das Funda-ment meiner Erlösung erinnere. Wer war denn dieser Francis Schaeffer, für den Jesus starb? Wenn ich diese Frage ehrlich

Page 138:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

beantworte und mich zu erinnern versuche, was für einer ich war, als Jesus für mich starb, bin ich nicht mehr entmutigt und denke nicht mehr, dass er jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben will.Vielleicht denkt jemand an dieser Stelle: Paulus hat sein Konzept vergessen! Das mit der Rechtfertigung hat er doch schon kapitellang erklärt. Warum kommt er jetzt wieder damit? Aber Paulus ist nicht aus dem Konzept gekommen, denn die gegenwärtige Realität unseres Friedens mit Gott (5,1-2) beruht ganz und gar auf dem, was Christus für uns getan hat (3, 21- 4, 25). Jedesmal, wenn ich sündige und meinen Frieden mit Gott nicht mehr spüre, ist das eine, was mich trösten kann, die überwältigende Tatsache, dass Jesus für mich starb, als ich ein totaler Sünder war, der nichts, aber auch gar nichts hatte, was er Gott vorweisen konnte.»Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen . ..« Nun ja, hin und wieder kommt es vor, dass jemand für einen guten Menschen stirbt, aber wer stirbt für diesen Schuft hier, für diesen Feind? Wer ist dieser Feind? Ich! Ich war Gottes Feind. Ich bin durch seine Schöpfung getrampelt, habe alle seine Flüsse verdreckt und ihm die Faust unter die Nase gehalten — und in eben dieser Situation ist Jesus für mich gestorben. Und wenn er das getan hat, darf ich jetzt erst recht Hoffnung haben. Wenn ich auch falle — das Blut Jesu ist genug für mich. Er hat mich nicht erlöst, weil ich stark war; er erlöste mich, als ich schwach war. Er erlöste mich nicht, als ich schön aussah, sondern als ich verdreckt war. Dies ist der Felsen, auf dem mein Trost und meine Hoffnung gründet.Wenn wir als Christen sündigen, können wir auf drei Arten rea-gieren: 1. Wir werden in unserer Sünde verhärtet. — 2. Wir versinken in tiefste Verzweiflung und sagen: »Es ist alles aus.« Wie gesagt, ich habe Christen erlebt, die seit zwanzig Jahren wegen einer bestimmten Sünde verzweifeln. Aber diese beiden Reaktionen sind falsch. Das einzig Richtige und Christliche ist, dass wir 3. ein immer feineres Gespür für unsere Sünde bekommen, aber auch immer mehr darum wissen, dass wir im Blut Christi die Vergebung haben. Wir brauchen die Gewissheit: Wenn Jesus für den Menschen starb, der ich vor meiner Erlösung war, wie sehr muss er mich dann jetzt lieben!

Page 139:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Um wie viel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind! (5, 9)

Die Rechtfertigung ist unsere Realität in der Gegenwart, aufgrund der Tatsache, dass an einem bestimmten Punkt in der Vergangenheit Jesus für uns starb und wir diesen Tod für uns annahmen und so gerechtfertigt wurden. Paulus gibt uns das ganze Bild der Erlösung. Auf der Basis dieser vergangenen und gegenwärtigen Realität werden wir in der Zukunft »durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn«.

Denn wenn wir ..., als wir noch Feinde waren ... (5,10 a)

»Als wir noch Sünder waren ...« (V. 8), und jetzt: »... als wir noch Feinde waren ...« Hat Paulus das denn nicht schon genug betont? Aber warum betont er es so? Er weiß, wie einige seiner Leser reagieren werden. Er schreibt nicht für die Gelehrtenstube, sondern für Menschen aus Fleisch und Blut wie Sie und mich. Er hat gesagt: »Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott«, und er weiß, dass dies viele seiner Leser begeistern wird. Aber dann werden sie — zack! — wieder in Sünde fallen und darauf in die schwärzeste Verzweiflung sinken. Paulus weiß, dass er es nicht mit Idealmenschen zu tun hat, sondern mit uns. Die Gemeinde in Rom machte die gleichen Erfahrungen wie wir auch. Paulus will uns nicht mit ein paar guten psychologischen Tips abspeisen; er will, dass wir begreifen, dass unser christlicher Glaube eine Realität für unser Alltagsleben ist. Das Evangelium ist nicht für die Perfekten da; die gibt es gar nicht. Das Evangelium gilt Menschen wie uns.

Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren ... (5,10 a)

Man beachte wieder die Zeiten; auf sie kommt alles an. In der

Page 140:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Vergangenheit, in der realen Geschichte, starb Jesus. In der Vergangenheit nahmen wir ihn als unseren Heiland an und wurden so mit Gott versöhnt und empfingen den Heiligen Geist. Auf der Basis dieser Ereignisse in der Vergangenheit haben wir Hoffnung in der Gegenwart.

Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind. (5,10)

Die Verse 9 und 10 sind sehr ähnlich: »Um wieviel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind!« (V.9) — »... um wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind« (V.10). Aber beachten wir das neue Element in V.10. Paulus hat über Christi Tod gesprochen, aber jetzt, am Ende von V. 10, erinnert er uns daran, dass Christus ja nicht tot ist, sondern lebt. Wenn Jesus für uns starb, als wir noch Feinde waren, was wird der lebendige Christus erst für uns tun!Wir waren tot und sind jetzt lebendig. Abraham glaubte, dass Gott Leben aus dem Tod hervorbringen konnte (4,20-21). Wir glauben, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat (4,23-25). Aufgrund des Werkes Christi für uns und durch unseren Glauben an sein Werk leben wir (Kapitel 5-8). Und Jesus selber lebt (5,0). Wir haben es mit einem lebendigen Christus zu tun! Er ist da. Die leibliche Auferstehung Jesu ist eine historische Tatsache. Wir haben es nicht mit einer frommen Vorstellung zu tun. Jesus ist der auferstandene, lebendige Christus.Paulus führt diese Leben-Tod-Thematik durch das ganze Kapitel weiter. Wir werden »herrschen im Leben durch den Einen, Jesus Christus« (5,17). Gottes Gnade wird herrschen »durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch Jesus Christus, unsern Herrn« (5,21). Jesus starb für uns; sein Erlösungswerk ist vollbracht. Er starb für uns, als wir noch Sünder und Feinde Gottes waren. »Um wieviel mehr« können wir, nachdem wir Christus als unseren Erlöser angenommen und einen lebendigen Heiland haben, alles erwarten, was wir zu unserem Leben in der Gegenwart brauchen!

Page 141:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben. (5,11)

Hier und jetzt »rühmen wir uns Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus«, und dies aufgrund von etwas, das wir in der Vergangenheit bekommen haben: »... durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben.« Dies erinnert mich immer an den 23. Psalm, wo David uns in Vers. 5-6 aus der Gegenwart in die Zukunft führt: »Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.« Mitten in den Kämpfen der Gegenwart hatte David große Freude, und diese Freude gründete sich auf einer gewissen Zukunftshoffnung: »Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. « Unser Glaube an Christus bringt uns Segen nicht nur in der Vergangenheit und Zukunft, sondern auch im gegenwärtigen Leben. Er bringt das Öl der Freude mitten in den Kämpfen des Alltags. Unsere Rechtferti-gung geschah auf der Grundlage des vollbrachten Erlösungswerkes Christi, und unseren Alltag hier und jetzt sollen wir auf derselben Basis leben. Durch Christi Werk auf Golgatha haben wir ein Recht, Gottes Verheißungen zu ergreifen, und dies mit voller Zuversicht. Christus hat den Preis bezahlt, wir haben einen lebendigen Heiland. Christus hat das Werk vollendet, und deshalb können wir uns mitten in den Kämpfen des Lebens in Gott freuen. Jeder von uns hat seine ganz spezifischen Versuchungen, jeder von uns fällt. Aber wir dürfen immer wieder sauber werden. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir je so tief fallen, dass Gott nichts mehr mit uns zu tun haben will. Durch Christus wartet immer Vergebung auf uns, wenn wir nur unsere Sünde bekennen und unter die Deckung seines vergossenen Blutes bringen. Durch Jesus Christus unsern Herrn können wir in allen Stürmen Kraft haben.Die Leute sagen mir oft: »Ich weiß nicht, ob ich die Kraft dazu hätte, ein Märtyrer zu sein. « Natürlich haben wir solch eine Kraft jetzt nicht; aber im Augenblick des Martyriums, ob es nun der körperliche Tod ist oder die kleinen Tode des Spottes

Page 142:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

und der Ablehnungdurch Freunde und Verwandte, werden wir uns — mit Christi vollbrachtem Werk als Grundlage und unserem Glauben als Zugang Gottes rühmen können.Wieder und wieder betont Paulus die beiden Schritte, die wir nicht verwechseln dürfen: Erstens der vergangene Schritt, der ein für alle Mal im Tod Jesu und später dann in unserer Bekehrung erfüllt wurde und der uns gerecht gemacht hat. Und zweitens der gegenwärtige Schritt, dass wir die Kraft und die Freude Gottes in unserem Alltag jetzt kennen lernen, und dies wieder auf der Basis unserer Erlösung: »durch unsern Herrn Jesus Christus« (5,11).

8

Tot in Adam, lebendig in Christus(5, 12-21)

In Römer 5,12 - 21 kommt Paulus zu etwas, das wie ein Einschub aussieht. Zum ersten Mal im Römerbrief spricht er darüber, wie durch Adam die Sünde in die Welt kam. Es ist interessant, dass er dies erst hier tut. Er hat ja schon längst erklärt, warum die Menschen Erlösungbrauchen (1,18-3,20), aber Adam und Eva hat er dabei nicht einmalerwähnt. Könnte es sein, dass die Reihenfolge, in der Paulus vorgeht, ein Fingerzeig für unsere Evangeliumsverkündigung ist? Bei der Erklärung der Erlösungsbedürftigkeit der

Page 143:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Menschen hat Paulus das Gewicht auf die Abwendung des Einzelnen von Gott gelegt — wie die Menschen in einer Kultur nach der anderen die Wahrheit kannten und sich bewusst von ihr abkehrten, dem Geschöpf anstatt dem Schöpfer dienten und gegen ihre eigenen moralischen Maßstäbe sündigten. Jetzt, in Kapitel 5, zeigt er die tiefste Wurzel dafür auf, dass alle Menschen Sünder sind — den historischen Sündenfall der Menschheit in Adam; und wer die Historizität Adams leugnet, der wirft die Autorität des Paulus weg. Aber das Faszinierende ist, dass Paulus Adam an dieser Stelle zur Sprache bringt, wo er sich an Christen und nicht mehr an Nichtchristen wendet.Ich glaube, dass Paulus dies mit voller Absicht so macht. Wenn wir unsere Evangeliumsverkündigung mit Ausführungen über den Sündenfall oder die Inspiration der Bibel beginnen, fahren wir uns leicht in diesen Themen fest und kommen nicht weiter. Wenn der Mensch, mit dem ich spreche, mich nach dem Ursprung der Sünde fragt, muss ich ihm natürlich Auskunft geben. Aber es ist interessant, dass Paulus nicht an diesem Punkt beginnt, und dies nicht, weil das Thema ihm peinlich wäre, denn sobald er zu ihm kommt, nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er beginnt seine Ausführungen über die Erlösungsbedürftigkeit der Menschen vielmehr damit, dass er zeigt, wie durch die Jahrhunderte hindurch die konkreten Einzelmenschen Gott und ihren eigenen moralischen Maßstäben den Rücken gekehrt haben.Aber jetzt also erklärt er, wie die Sünde überhaupt in die Welt gekommen ist. Und dabei betont er sehr stark, dass Adam eine wirkliche, historische Gestalt war.

Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben. Denn die Sünde war wohl in der Welt, ehe das Gesetz kam; aber wo kein Gesetz ist, da wird die Sünde nicht angerechnet. Dennoch herrschte der Tod von Adam an bis Mose auch über die, die nicht gesündigt hatten durch die gleiche Übertretung wie Adam, welcher ist ein Bild dessen, der kommen sollte. (5, 12 - 14)

Page 144:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Paulus' Feststellung, dass »durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist«, zeigt deutlich, dass für ihn 1. Mose 1-3 ein historischer Bericht über Adam und Eva war. Wir sehen dies auch an anderen Stellen. In 16, 20 sagt er: »Der Gott des Friedens aber wird den Satan unter eure Füße treten in Kürze« — zweifellos eine Anspielung auf die erste Verheißung des Heilands in 1. Mose 3,15. Auch in dem Auferstehungsabschnitt in 1. Korinther 15 geht er von einem historischen Adam aus: »Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden« (1. Korinther 15, 22). Wir könnten uns auch 1. Timotheus 2, 13 -14 anschauen, wo Paulus erneut von Adam und Eva als von realen historischen Personen spricht.Auch Jesus glaubte an die Historizität der ersten Kapitel der Bibel. Wir sehen dies in Matthäus 19,4-5, wo er zur Untermauerung seiner Ablehnung der Scheidung 1. Mose 2, 24 zitiert. Heute neigt man ja allgemein dazu, die ersten drei Kapitel von 1. Mose als bloßen Mythos, Bild oder Allegorie zu verstehen. Aber Paulus wie Christus betrachteten sie ganz offenbar als historisch, und wenn wir diese Historizität leugnen, leugnen wir die Autorität des Paulus, ja Jesu selber. Dass Christus und Paulus so an die Historizität Adams und Evas glaubten, heißt, dass wir ohne falsche Scheu 1. Mose 3 als hinreichende Erklärung für den Ursprung der Sünde angeben können.Paulus sagt, dass »der Tod von Adam an bis Mose« herrschte, d. h. er herrschte bereits vor dem Gesetz. Wie wir in 2,1 sahen, werden die Menschen, die von Adam bis zum Kommen des Gesetzes des Mose lebten, nicht nach diesem Gesetz gerichtet werden, sondern nach dem, was sie ohne dieses Gesetz über »recht« und »unrecht« wussten. Sie werden nicht nach dem beurteilt werden, was sie nicht hatten (dem Gesetz), sondern nach dem, was sie hatten (ihrem eigenen Gewissen und ihren moralischen Maßstäben). Damit fallen alle unter Gottes Urteil, denn bereits vor dem Gesetz des Mose waren alle schuldig.Es gab also einen historischen Sündenfall, der allen Menschen den Tod gebracht hat, auch denen, die vor dem Gesetz lebten. Aber ebenso historisch real wie der Sündenfall ist das Kommen des Erlösers:

Page 145:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Aber nicht verhält sich's mit der Gabe wie mit der Sünde. [Schlachter: Aber es verhält sich mit dem Sündenfall nicht wie mit der Gnadengabe.] Denn wenn durch die Sünde des Einen die Vielen gestorben sind, um wie viel mehr ist Gottes Gnade und Gabe den vielen überreich zuteil geworden durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus. (5,15)

Es hat zwei historische Ereignisse gegeben: die historische Handlung Adams, durch die alle Menschen Sünder wurden; und parallel dazu die historische Handlung Jesu, der kam, um das Verlorene zu retten. Es gibt eine interessante alttestamentliche Parallele hierzu, in dem jüdischen Brauch der Schwager-Ehe: »Wenn Brüder beieinander wohnen und einer stirbt ohne Söhne, so soll seine Witwe nicht die Frau eines Mannes aus einer andern Sippe werden, sondern ihr Schwager soll zu ihr gehen und sie zur Frau nehmen und mit ihr die Schwager-ehe schließen. Und der erste Sohn, den sie gebiert, soll gelten als derSohn seines verstorbenen Bruders, damit dessen Name nicht ausgetilgt werde aus Israel« (5. Mose 25, 5 - 6).Wenn also ein Mann ohne Erben starb, musste sein Bruder die Witwe zur Frau nehmen, und der erste Sohn, der geboren wurde, trug den Namen des verstorbenen Bruders weiter. Im Zentrum des Buches Rut ist genau solch eine Situation. Als Rut sich zu Füßen des Boas legt (Kapitel 3), lädt sie ihn nicht zur Unzucht ein, sondern sie, die ja Witwe ist, bittet ihren Verwandten Boas, die Schwager-Ehe mit ihr einzugehen, damit das erste Kind der Erbe ihres verstorbenen Ehemannes werden kann.Halten wir dies fest und schauen wir uns nun Jesaja 53 an, dieses Kernkapitel über das Erlösungswerk Christi. In Jesaja 53,10 lesen wir: »So wollte ihn der Herr zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben ...« Obwohl er nie verheiratet war, wird Jesus Nachkommen haben. Damit sind natürlich all die Menschen gemeint; die durch Gottes Gnade Christus als ihren Erlöser angenommen haben oder noch annehmen werden. Sie sind Christi Kinder.

Page 146:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

In Römer 5 erklärt Paulus, dass das Menschengeschlecht durch Adams Sünde fiel, aber dass dann ein anderer kam und diese gefallene Menschheit wieder aufrichtete. So wie im Alten Testament ein Mann seinem kinderlos verstorbenen Bruder Nachkommen verschaffte, so ist, nachdem die Menschheit in der Sünde Adams tot ist, Christus gekommen, um eine lebendige Menschheit hervorzubringen. Der Mann, der unter dem alttestamentlichen Gesetz seinem Bruder Nachkommen verschaffte, wurde »Löser« genannt. Christus ist der wahre Löser, der Gottes Kinder hervorbringt.Heute behaupten manche ja: »Gott ist tot«, aber ob sie dies nun offen sagen oder einfach so leben, als ob es Gott nicht gibt — tot sind sie selber, weil ihr Unglaube den Sinn ihres Lebens zerstört hat. Ihre Selbstfindung als wahre Menschen ist unmöglich geworden. Aber weil Christus gekommen und gestorben ist, können alle, die an ihn glauben, wahre, lebendige Menschen werden.Einige weitere Querverweise können uns diese Worte über Adam und Christus im 5. Kapitel noch verständlicher machen. Schauen wir uns Jesaja 9, 5 an: »Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.« Ein Kind wird geboren werden, das »Ewig-Vater« heißen wird. Werden hier Gott der Vater und der Sohn miteinander verwechselt? Ich glaube nicht. Ich glaube, dieser Vers bezieht sich auf das, was wir in Jesaja 53,10 sahen: Durch seinen Kreuzestod hat Jesus sich Nachkommen geschaffen, die die wahre Menschheit sind, und in diesem Sinne ist er der ewige Vater. Wir können Jesus ja verschieden sehen. Der Hebräerbrief betont, dass er unser Bruder ist. Aber er hat diese Nachkommen, diese wahre Menschheit hervorgebracht, und wenn wir ihn als unseren Heiland angenommen haben, dann sind wir in diesem Sinne auch seine Kinder und er ist unser ewiger Vater. Selbst im Hebräer-brief erscheint er als unser Vater, wenn er sagt: »Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir Gott gegeben hat« (Hebräer 2,13; vgl. Jesaja 8,18). Kurz davor, in den Versen 11 und 12, werden wir Christi Brüder genannt. Christus ist unser Bruder in dem Sinne, dass er ein Mensch wurde. Aber wir sind auch seine Kinder.

Page 147:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Dies hat tiefe Konsequenzen für unsere Sicht von der Mensch-heit. Weil sie gefallen ist, ist sie viel weniger als das, was sie nach Gottes Willen sein sollte. Aber seit Christus zum zweiten Adam wurde, gibt es eine Menschheit, die wahrhaft menschlich ist, indem sie den Zweck ihrer Existenz — Gott lieben — erfüllt. Als Adam von der Frucht aß, starb er nicht sofort körperlich, und doch war er mausetot. Er hatte den Sinn seiner Existenz verworfen, und damit war er tot, und mit ihm die ganze Menschheit (5,12; 1.Korinther 15,22). Was wir heute an Menschheit sehen, ist nicht mehr menschlich. Wenn jemand wie van Gogh ein Selbstporträt anfertigt, das kaum noch menschlich aussieht, malt er damit ein Bild der ganzen Menschheit. Van Gogh war jemand, der es begriffen hatte. Wenn wir uns die Menschen ansehen, mit all ihren Sehnsüchten, ihren Möglichkeiten, ihrem Potenzial, ihrer Kreativität, ihren Versuchen in Richtung Moral und Sinn, dann merken wir, dass die unerlöste Menschheit tot ist — und das Mitleid sollte uns packen. Die Geschichte des gefallenen Menschen ist eine furchtbare Tragödie.Doch Gott sei gedankt: Dies ist nicht das Ende der Geschichte. Christus ist gekommen, und aus dem Samen seines stellvertretendenKreuzestodes kommt eine Menschheit, die die wahre ist. Wenn wir Christen sind, sollte unser ganzes Leben geprägt sein von dem Mitleid mit der gefallenen Menschheit, aber auch von der freudigen Verkündigung der wahren Menschheit, die Christus ermöglicht hat.Der Mensch ist tot, aber Christus, der zweite Adam, ist gekom-men, und dieser zweite Adam hat sein Werk vollendet. Und so sind wir nicht tot, sondern lebendig. Wir sind die wahre Menschheit. Wir sind keine Leichen. Wenn uns das aufgeht, beginnen wir den tiefen Ruf in die Christusnachfolge zu verstehen, der den Rahmen der Ausführungen des Paulus über Adam bildet.Wir erinnern uns an die innere Einheit der Kapitel 4 und 5. Abraham wusste, dass sein und Saras Leib für die Fortpflanzung tot war. Aber beide glaubten der Verheißung Gottes, und so kam aus diesem Tod ein lebendiger Glaube. Vorher gab es nichts als Tod, aber jetzt, wo Adam Gott geglaubt hatte, kam das Leben, der Sohn der Verheißung.

Page 148:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Wenn wir zu Römer 5 kommen, sagt Paulus uns also: »Ihr lebt. Die Menschheit ist gestorben. Sie hat gesündigt. Sie hat keinen Sinn und kein Ziel. Aber wenn ihr Christus als euren Heiland angenom-men habt, seid ihr jetzt lebendig, und weil ihr lebendig seid, könnt ihr anfangen, so zu leben, wie die Menschen das nach Gottes Willen von Anfang an sollten.« Die Welt ist tot, weil sie Adams Same ist, aber wir sind lebendig, weil wir Christi Nachkommen sind. Wie sollten wir im Lichte dieser Tatsache leben? Wir sehen: Paulus' Worte über Adam sind kein unmotivierter Einschub; sie passen voll zu der Heili-gungsthematik in 5, 1 - 8, 17.Halten wir auch die Leben-Tod-Thematik fest. Wir waren tot. Jetzt leben wir. Wir waren tot, weil wir Adams Kinder sind, aber als wir Christus als unseren Erlöser annahmen, wurden wir Christi Kinder. Womit wir bei der Betonung der Wiedergeburt im Neuen Testament wären. Von Natur aus sind wir als Kinder Adams geboren und daher tot. Aber als wir durch die Predigt des Wortes Gottes Christus als unseren Heiland annahmen, wurden wir wiedergeboren und lebendig, weil wir die Kinder Christi wurden.Zurück zum Thema »Heiligung«. Wir sind also wiedergeboren, wir sind lebendig und können daher die Frucht eines geheiligten Christenlebens tragen. Wir sollen ganz praktisch als Christi Kinderleben. Wie machen wir das? In unserer eigenen Kraft? Nein. Wir sollen Christi Nachkommen sein auf der Basis seines vollbrachten Erlösungswerkes. Es gibt zwei Linien in der Menschheit. Die natürliche Menschheit, die Kinder Adams, sind tot. Wir »waren Kinder des Zorns von Natur wie auch die andern« (Epheser 2,3), aber jetzt haben wir Christus als Heiland angenommen und sind seine Nachkommen. Durch den Glauben und aufgrund seines vollbrachten Erlö-sungswerks nehmen wir diese gewaltige Realität für uns in Anspruch und sollen nun als Christen leben.Indem Jesus kam und für uns starb, schuf er etwas Neues. Wir, die wir an ihn glauben, sind seine Kinder. Wir sind die lebendige Menschheit; die anderen sind tot. Dies sollte uns nicht stolz und exklusiv, sondern barmherzig machen, denn wir sind ja genauso Menschen wie die Verlorenen. Die Engel

Page 149:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

haben bestimmt Mitleid mit dieser verlorenen Welt, aber wir sollten noch mehr Mitleid haben, denn anders als die Engel haben wir ja die gleiche menschliche Natur wie die Verlorenen, ja wir waren einst in derselben verzweifelten Lage, in der sie nach wie vor sind. Wir waren »Kinder des Zorns«; sie sind es immer noch. Wir waren tot; sie sind noch tot. Wir müssen Erbarmen haben.Dieses Bild von den zwei Menschheiten widerstreitet natürlich völlig dem Denken des 2o. Jahrhunderts mit seiner Betonung der Einheit des Menschengeschlechts. Die theologische Formel hierfür ist »die Vaterschaft Gottes und die Bruderschaft des Menschen«. Die biblische Position ist, dass es zwei Menschheiten gibt: die Menschheit, die von Adam kommt und die verdammt ist, und die Menschheit, die von Christus kommt und die er mit seinem Blut erkauft hat.Beachten wir nochmals, dass Paulus diese Behandlung des Ursprungs der Sünde nicht »einfach so« hier einschiebt. Er erinnert uns daran, wer wir sind. Es gibt die verlorene Menschheit, und es gibt die erlöste Menschheit, die Nachkommen Christi. Dies sollte uns ein tiefes Erbarmen mit den noch Verlorenen geben, aber auch zeigen, wie wichtig es ist, wie wir als Christen leben. Wir müssen begreifen, dass es schrecklich ist, dem Namen Christi, der für uns starb, Unehre zu machen. Missratene Kinder sind eine Schande für ihre Eltern, und wenn Sie und ich nicht so leben, wie wir das als Christen sollten, machen wir dem Unehre, der für uns starb und dessen Kinder wir sind.Paulus hat also erklärt, warum die Menschheit tot ist (5,12-14). Jetzt konzentriert er sich auf die wunderbare Realität, dass wir durch Christus leben.

Aber nicht verhält sich's mit der Gabe wie mit der Sünde. Denn wenn durch die Sünde des einen die vielen gestorben sind, um wie viel mehr ist Gottes Gnade und Gabe den vielen überreich zuteil geworden durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus. Und nicht verhält es sich mit der Gabe wie mit dem, was durch den einen Sünder geschehen ist. Denn das Urteil hat von dem einen her zur Verdammnis geführt, die Gnade aber hilft aus vielen Sünden zur Gerech-

Page 150:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

tigkeit. Denn wenn wegen der Sünde des einen der Tod geherrscht hat durch den einen, um wie viel mehr werden die, welche die Fülle der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, herrschen im Leben durch den einen, Jesus Christus. (5,15-17)

Paulus möchte nicht zu lange bei dem Negativen verweilen und erklären, warum die Menschen tot sind. Seine Hauptbetonung liegt auf dem Positiven: »Ihr wart tot, aber jetzt seid ihr lebendig!« Und ab 6,1 wird er fortfahren und sagen: »Jetzt, wo ihr in Christus lebendig seid, lebt aber auch wirklich! Lebt nicht weiter so, als ob ihr tot wäret!« Christus starb für uns, als wir noch Sünder waren (5,1o), aber jetzt lebt er. Adam sündigte, und daher ist die ganze Menschheit tot (5,12 -14), aber Jesus, der zweite Adam, ist gekommen, ist gestorben und ist jetzt lebendig, und damit ist mitten in allen Stürmen und Widerwärtigkeiten wahres Leben möglich.Wir werden »selig werden durch sein Leben« (V. 1o); wir werden »herrschen im Leben durch den einen, Jesus Christus« (V. 17). Wir könnten dieses »Herrschen« als etwas rein Zukünftiges betrachten, aber die Tatsache, dass Paulus dies hier erwähnt, muss bedeuten, dass es ein Herrschen mit Christus gibt, das uns bereits in diesem gegenwärtigen Leben möglich ist. Wir sind jetzt die Kinder Gottes, und als solche sollen wir »herrschen«. Wir sind aus der Nachkommenschaft Adams, der rebellischen und toten Menschheit, herausgetreten und durch Gottes Gnade zur erlösten Menschheit geworden. Wir sind die Nachkommen Jesu Christi. Gut, sagt Paulus ab 6,1, dann lasst uns auch so leben! Paulus' Erklärung des Ursprungs der Sünde ist nicht eine gelehrte Fußnote, sondern ein Aufruf zum Leben — zu einem Leben als Kinder Gottes, als Nachkommen Jesu Christi. Die ver lorene Welt zieht hinter Adam her, aber wir sollen Jesus Christus nachfolgen. Paulus betont nicht so sehr den Tod der gefallenen Menschheit, sondern die Realität, dass wir jetzt, als Nachkommen des zweiten Adams Christus, lebendig sein sollen.

Wie nun durch die Sünde des einen die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, so ist auch durch

Page 151:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

die Gerechtigkeit des einen für alle Menschen die Rechtfertigung gekommen, die zum Leben führt. (5,18)

Eine genauere Übersetzung des Griechischen wäre: »Wie es nun durch (die) eine Übertretung ...« und ». . . durch (die) eine Gerechtigkeit .. .« [vgl. Elberfelder.], was die Betonung auf Adams erste Sünde und Christi Erlösungstat legt.Einige Ausleger verstehen diesen Vers so, dass so, wie alle Menschen durch Adams Sünde unter das Gericht gekommen sind, auch alle durch Christi Gerechtigkeit erlöst werden, egal ob sie persönlich an ihn glauben oder nicht. Aber solch ein Universalismus lässt sich mit der den ganzen Römerbrief durchziehenden Betonung der Wichtigkeit der Glaubensantwort des Menschen an Gott nicht vereinbaren. Mit dem Ausdruck »alle Menschen« will Paulus eher sagen, dass es keinen anderen Weg zum Heil gibt. Es gab einen histo-rischen Sündenfall, und es gab eine historische Erlösung.

Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern geworden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten. (5, 19)

»... werden . . . zu Gerechten« ist zu verstehen als: ». . . werden zu Gerechten erklärt« [Elberfelder.:« in die Stellung von Gerechten versetzt«], wie wir schon mehrfach sahen. Erlösung ist ein Proklamationshandeln Gottes. Wir haben gesündigt und sind für schuldig erklärt worden. Wenn wir Jesus als unseren Heiland annehmen, werden wir gerecht gesprochen und für frei von Schuld erklärt. »Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen (Adam) die vielen zu Sündern geworden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen (Jesus) die vielen zu Gerechten.«

Das Gesetz aber ist dazwischen hineingekommen, damit die Sünde mächtiger würde [Elberfelder.: damit die Übertretung zunehme]. (5, 2oa)

Die Menschen von Adam bis zum Gesetz des Mose hatten das Gesetz nicht, aber waren trotzdem Sünder, weil sie gegen ihre

Page 152:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

eigenen moralischen Maßstäbe verstoßen hatten (2,1; 5,14). Dann gab zusätzlich zu diesen Maßstäben, die die Menschen von Anfang an hatten, Gott durch Mose das Gesetz, und dies machte es möglich, dass die Sünde noch zunahm. Mit anderen Worten: Das Gesetz machte es überwältigend deutlich, dass alle Menschen Sünder sind. Es machte sie nicht zu Sündern, sondern es stellte ihre Sündhaftigkeit ins volle Licht. Dies war, wie wir sahen, ein Akt der Gnade Gottes; er gab uns das Gesetz als Erzieher, der uns unsere Erlösungsbedürftigkeit zeigt (Galater 3, 24).

Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade noch viel mächtiger geworden, damit, wie die Sünde geherrscht hat zum Tode, so auch die Gnade herrsche durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch Jesus Christus, unsern Herrn. (5, 20b-21)

Zum Abschluss seiner Erklärung des Ursprungs der Sünde durch Adam betont Paulus nicht den Tod, sondern das Leben. Diese Betonung geht von V.10 (»... werden wir selig werden durch sein Leben«) über V.17 (». . herrschen im Leben durch den einen, Jesus Christus«) bis hierher in V.21:« . . . so auch die Gnade herrsche durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch Jesus Christus, unsern Herrn.« Anstatt nur zu erklären, dass die ganze Menschheit in Adam gestorben ist, betont Paulus die andere Seite. Alle Menschen waren bzw. sind in Adam tot, aber die, die Christus als ihren Heiland ange-nommen haben, sind nicht mehr tot, sondern leben. Und wenn wir leben, wenn wir die erlöste Menschheit sind, und dies zu solch einem Preis, wie wichtig ist es dann, dass wir dies in unserem Lebenswandel zeigen.Dies wird Paulus' Thema in Kapitel 6 sein.

Page 153:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

9

Der Kampf des Christenmit der Sünde: I

(6,1 -23)

Paulus hat uns gezeigt, dass wir Rechtfertigung brauchen (1,18 -3,20). Darauf hat er gezeigt, wie wir diese Rechtfertigung erlangen (3,21-4, 25). Er hat angefangen, ihre wunderbaren Folgen zu beschreiben (5,1-11), und hat erklärt, wie die Sünde und die Erlösung in die Welt gekommen sind (5,12-21). In den Kapiteln 6 und 7 wendet er sich der tragischen Realität zu, dass wir, die wir doch in Christus lebendig geworden sind, nur zu oft noch so leben, als wären wir tot.Saras erstorbener Leib konnte kein Leben hervorbringen, aber durch ihren und Abrahams Glauben kam Leben (4,1- 22). Wir waren tot, aber jetzt, wo wir Christus angenommen haben, sind wir als Lebende aus dem toten Schoß der Menschheit hervorgekommen (4,23 - 5,21). Die Menschen, die noch Adam nachfolgen, sind nach wie vor tot, aber wir, die wir Christus als unseren Heiland angenommen haben, sind die lebendige Menschheit. Christus ist der lebendige Weinstock, und wir sind

Page 154:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

die Reben. Wie wunderbar! Aber wie müssen wir weinen, wenn wir in den Kap. 6 und 7 Gottes Stimme hören und in dem, was er sagt, uns selber wiedererkennen — wenn wir sehen, dass wir, die wir doch zum lebendigen Teil der Menschheit gehören, so oft leben, als wären wir tot.Paulus kommt sofort zum Thema:

Was sollen wir nun sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren, damit die Gnade umso mächtiger werde? Das sei ferne! Wie sollten wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind? (6,1-2)

Wieder spricht Paulus von Tod und Leben. Durch Christi Tod sind wir mit Gott versöhnt, und durch sein Leben werden wir selig werden (5, 1o). Wir waren tot und sind jetzt lebendig. Adams Sünde brachte der Menschheit den Tod; aber dann starb Christus, und weil er starb, haben wir, die wir ihn im Glauben angenommen haben, jetzt das Leben. Es gibt eine lebendige Menschheit. Wir sind tot für die Sünde und lebendig für Christus. Aber, so fragt Paulus, »wie sollten wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind ?« Paulus muss diese Frage unter Tränen gestellt haben, und auch wir sollten weinen. Wer in Christus lebendig ist, sollte tot für die Sünde sein, aber so oft leben wir gerade so, als ob wir tot für Christus und lebendig für die Sünde sind.

Wir erinnern uns: Wir können das Blut Christi, das uns gerechtfertigt hat, für jede neue Sünde wieder neu in Anspruch nehmen. Gott erwartet nicht, dass wir eine Art »Übermensch« werden, er weiß, dass wir immer noch sündigen. Aber warum können wir nicht lernen, nach demselben Prinzip zu leben, nach dem wir erlöst worden sind? Warum können wir uns nicht weiter im Glauben auf das vollbrachte Erlösungswerk Christi stützen, so dass unser Lebenswandel lebendig wird? Als wir Jesus als unseren Heiland annahmen, sind wir der Sünde ein für alle Mal »gestorben«. Warum leben wir dann immer noch in ihr?Vergessen wir keinen Augenblick, wer diese Frage stellt. Es ist Paulus, der in den ersten Kapiteln so stark betont hat, dass wir allein durch den Glauben gerechtfertigt werden und nicht

Page 155:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

durch unsere Fähigkeit, die Sünde zu vermeiden. Dieser selbe Paulus ruft uns nun auf, als Christen zu leben. Wenn die Erlösung eine Realität ist und wir vom Tod zum Leben gekommen sind; wenn wir, als wir Christus annahmen, für die Sünde starben — warum leben wir dann immer noch in der Sünde? Wenn wir auch nur etwas ein offenes Ohr für die Stimme des Heiligen Geistes in unseren Herzen haben, dann wissen wir, dass Paulus hier zu uns spricht, weil dies doch nur zu oft unsere Situation ist. Paulus sagt einem jeden von uns, dass es keine Kleinigkeit ist, wenn jemand, nachdem er Christ wurde, noch sündigt.Man beachte, dass Paulus nicht fragt: »Sollt ihr denn in der Sünde beharren?«, sondern: »Sollen wir denn in der Sünde beharren?«. Er identifiziert sich mit diesem Problem. Warum? Weil, wie wir noch sehen werden, selbst Paulus sich manchmal in dieser hässlichen Lage befand. Wer etwas Fortschritte in seinem Christenleben macht, ist ja ständig in Gefahr, sich hoch auf einen Kirchturm zu stellen und den anderen Moralpredigten zu halten. Diesen geistlichen Stolz suchen wir bei den Glaubenshelden der Bibel vergebens. Als Daniel für die Juden betete, identifizierte er sich mit ihnen und sagte: »Wir haben gesündigt« (Daniel 9,1-19). So ist es überall, wo der Geist weht und ein wahrer Mensch Gottes spricht. Nicht »ihr«, nicht »die da«, sondern »wir«. Wie können wir weiter sündigen?

In Kapitel 6 wendet Paulus sich dem Problem der Sünde im persönlichen Leben des Gläubigen zu. Er zeigt, dass, auch wenn wir ganz durch Gottes Gnade und nicht durch unsere eigene Gerechtigkeit erlöst sind, unser christlicher Lebenswandel von allergrößter Bedeutung ist. Bevor wir in dieses Kapitel einsteigen, möchte ich auf ein paar andere Passagen im Neuen Testament verweisen, die ebenfalls unseren Lebenswandel betonen. Sie werden uns deutlich zeigen, dass Paulus' Betonung der persönlichen Heiligung keineswegs eine Sonderlehre ist. Der Apostel Petrus sagt, dass Christus am Kreuz starb, »damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben« (1. Petrus 2,24). Wir finden hier die gleichen Schlüsselworte

Page 156:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

wie bei Paulus: »abgestorben« und »leben«. Jesus starb nicht nur deswegen für uns, damit wir einmal in den Himmel kommen, sondern auch, damit wir in diesem irdischen Leben tot für die Sünde und lebendig für die Gerechtigkeit sein können. In 2.Korinther 4,10-11 schreibt Paulus: »Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde. Denn wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu offenbar werde an unserm sterblichen Fleisch.« Wir sollen nicht bis zum Himmel warten mit dem christlichen Lebenswandel, sondern schon in diesem Leben den Tod und das Leben Jesu an unserem Leib tragen. Jesus selber hat ganz ähnlich gesprochen: »Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir« (Matthäus 16,24). Wenn wir wahre Jünger Jesu sind, werden wir uns selbst verleugnen. Jesus sagt dies nach seiner ersten Leidensankündigung und dem heftigen Protest des Petrus: »Das widerfahre dir nur nicht!« (Matthäus 16,22). Er stellt klar: Nicht nur wird er selber am Kreuz sterben, sondern wer sein wahrer Jünger ist, der wird »sein Kreuz auf sich nehmen«. Der Christ, der in dieser armen, verlorenen Welt ein mit Freude und Sinn erfülltes Leben führen will, muss sich selbst verleugnen und täglich sein Kreuz auf sich nehmen. Ganz in diesem Sinne bezeichnet Paulus sich als »mit Christus gekreuzigt« (Galater 2,19; vgl. Galater 6,14). Als Christen müssen wir uns mit dem gekreuzigten Christus identifizieren. Selbst wenn es Römer 6 nicht gäbe, würden diese anderen Verse ausreichen, um uns zu zeigen, dass das Leben als Christ kein Sonntagsspaziergang ist. Unsere Erlösung hat nichts mit unseren guten Werken zu tun, aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir, wenn wir Jesus als unseren Heiland angenommen haben, eine Berufung haben. Sie gilt für dieses irdische Leben und lautet, erst zu sterben und dann zu leben. Was uns zurück zu Römer 6 bringt:

Was sollen wir nun sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren, damit die Gnade um so mächtiger

Page 157:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

werde? (6,1)

Sollten wir einfach weiter sündigen, weil wir doch allein durch Christus und ohne eigenes Zutun erlöst sind?

Das sei ferne! Wie sollten wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind? (6,2)

Wenn wir tatsächlich Jesus als unseren Heiland angenommen haben, wie können wir dann weiter in der Sünde leben? Wir sind ihr doch gestorben, als wir Christus annahmen:

Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? (6,3)

Vers 2 sagt uns, dass wir der Sünde gestorben sind, und Vers 3 erklärt, wann dies geschah: in dem Augenblick, wo wir Christus annahmen und »in seinen Tod getauft« wurden. Gemeint ist zweifellos die Taufe des Heiligen Geistes, und nicht die Wassertaufe. In 1.Korinther 12,13 sagt Paulus: »Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft ... und sind alle mit einem Geist getränkt.« Es scheint mir klar zu sein, dass Paulus in beiden Passagen die Taufe mit dem Heiligen Geist meint, die bei allen wahren Christen im Augenblick ihrer Bekehrung geschieht. In Römer 8,9 wird Paulus klar und deutlich sagen, dass in jedem, der wirklich Jesus angenommen hat, Gottes Geist wohnt. Wenn wir nicht im Heiligen Geist getauft worden sind und der Geist nicht in uns wohnt, dann sind wir nicht wirklich Christen. In einer Zeit, wo die Bibel von so vielen als eine bloße Sammlung von frommen Gedanken und Begriffen betrachtet wird, müssen wir uns ständig neu daran erinnern, dass unsere Erlösung auf zwei historischen Tatsachen beruht: dem Augenblick in Raum und Zeit, wo Jesus am Kreuz starb, und dem Augenblick, wo wir ihn als unseren Erlöser annahmen — und in diesem letzteren Augenblick sind wir durch den Heiligen Geist auf Christi Tod getauft worden. Auf Christi Tod getauft sein — man kann das leicht verdrängen. Wir denken so gerne an das ewige Leben. Und an das Wunder, dass der Heilige Geist in uns wohnt. Und dass wir

Page 158:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

mit Christus vereinigt sind und sein Vater auch unser Vater ist. Wir denken gerne an die großen Verheißungen wie: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben« (Johannes 3,36). Aber diese Münze hat zwei Seiten, sagt Paulus. Wir brauchen die Gewissheit, dass wir ewiges Leben haben; Gott hat uns dieses Leben aufgrund des Erlösungswerkes Christi verheißen. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass Jesus sagte, dass wir täglich unser Kreuz aufnehmen und ihm folgen müssen. Dies wird heute von den evangelikalen Christen viel zu wenig betont. Wir identifizieren uns gerne mit dem Jesus im Himmel (Epheser 2,6), wir sind gerne die Braut des himmlischen Bräutigams oder die Reben am Weinstock. Aber wenn wir verstehen wollen, was es heißt, als Christ zu leben, dann müssen wir auch unsere Identifikation mit Christi Tod in diesem Erdenleben verstehen — und praktizieren. Paulus entwickelt diesen Gedanken weiter:

So sind wir ja mit ihm begraben durch die 'Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. (6,4)

Als wir Jesus als unseren Heiland annahmen, wurden wir in der Taufe des Heiligen Geistes zusammen mit ihm begraben bzw., wie wir in Galater 2,19 sahen, »gekreuzigt«. Wir wurden »mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters ...« Dies ist die Überleitung zu dem, was ich in meiner Bibel mit »b« markiert habe. Ich habe im ganzen Kapitel 6 neben alle »Tode« ein »a« geschrieben und neben alles »Leben« ein »b«, was ein interessantes Muster ergibt. Vers 2 ist »a«, weil er die Tatsache anspricht, dass wir starben, als wir Christus annahmen. Vers 3 sagt, dass wir in Christi Tod getauft sind, und ist somit ebenfalls ein »a«. Auch der erste Teil von Vers 4 ist »a«: »So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod.« Aber dieser Tod hat ein bestimmtes Ziel, und dies bringt uns zum zweiten Teil von Vers 4, der »b« ist: Als in den Tod Christi Begrabene können wir »in einem neuen Leben

Page 159:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

wandeln.« Wir sollen es nicht nur, wir kön nen es; durch Gottes Gnade ist es eine sehr reale Möglichkeit. Dies ist der Schlüssel zum Verständnis dessen, was es heißt, als Christ zu leben. Viele Menschen scheinen dies als ein trauriges Sich-Abmühen zu betrachten, gerade so, als ob die »Tode« von 6, 2-4a das letzte Wort wären. Das Sterben ist real, aber wir sterben nicht um des Sterbens willen; es geht hier nicht um einen Asketizismus. Wir sterben, um zu leben — und das nicht erst in dem zukünftigen Leben, sondern schon hier! In dem Augenblick, wo wir Jesus als unseren Erlöser annehmen, ist unsere Schuld fort und wir sind auf ewig vor Gott gerechtfertigt. Aber noch stehen wir in diesem Leben, und wenn dies ein wirkliches Leben sein soll, muss zuerst ein Tod kommen. Wir können diesen Tod parallel zu dem Tod Christi sehen. Ist dies nicht zu kühn gedacht? Aber Jesus selber hat diese Parallele gezogen: »Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir« (Matthäus 16,24). Jesus starb nicht am Kreuz, um am Kreuz zu sterben, sondern um uns zu erlösen. So soll auch unser tägliches »Sterben« kein Selbstzweck sein, sondern uns in die Realität des Mit-Christus-lebendig-Seins hineinführen. Jesus ist in Raum und Zeit und historisch von den Toten auferstanden, und deswegen können jetzt wir als in seinen Tod Getaufte ganz real und tatsächlich »in einem neuen Leben wandeln«. Dies ist der Schlüssel zum Leben als Christ.

In Vers 5 kehrt Paulus zu dem Thema des Todes Christi zurück:

Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleich geworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. (6,5)

Wenn wir Christus in seinem Tod gleich geworden sind,

Page 160:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

werden wir einst auch wie er leiblich auferstehen. Aber es geht hier nicht nur um die ferne Zukunft, sondern schon um unser Leben hier und jetzt; wir dürfen jetzt schon »in einem neuen Leben wandeln« (Vers 4).

Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so dass wir hinfort der Sünde nicht dienen. (6,6)

»Damit der Leib der Sünde vernichtet werde« kann auch übersetzt werden als: »... damit der Leib der Sünde entmachtet [Menge, Viebahn: außer Wirksamkeit gesetzt] werde«. Man beachte wieder die Betonung des Leibes. Sie bedeutet nicht, dass der Leib an sich sündig wäre (es gibt Sünden des Leibes und des Geistes), sondern Paulus will uns zeigen, dass er nicht über etwas Mystisches, Abstraktes redet, sondern über etwas in unserer real existierenden, historischen Raum-und-Zeit-Welt, die wir so gut kennen und zu der auch die mit unserem Körper zusammenhängende Sündenproblematik gehört. Wir werden diese Betonung des Leibes erneut in Vers 12 sehen: »So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe. « Und in 8,23 wird Paulus von der kommenden »Erlösung unseres Leibes« bei der Auferstehung von den Toten reden. Aber hier in V. 6 betont er, dass wir nicht passiv auf diese Auferstehung warten müssen, sondern dass wir schon in diesem jetzigen Leben als mit Christus »Gekreuzigte« die Realität erleben können, dass »der Leib der Sünde« entmachtet wird, damit wir »hinfort der Sünde nicht dienen«. Paulus zeigt uns nicht, was bei uns sein sollte, sondern was sein kann: » . . . damit . . . auch wir in einem neuen Leben wandeln« (6,4). Es ist relativ einfach, Maßstäbe zu setzen; das Problem ist, sie zu halten. Paulus zeigt uns nicht nur einen Maßstab für das Christenleben, er zeigt uns, wie wir ihn halten können, und diese Möglichkeit gründet sich auf zwei Tatsachen aus der Vergangenheit: dem vollbrachten Erlösungswerk Christi auf Golgatha und der Tatsache, dass wir ihn als unseren Erlöser

Page 161:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

angenommen haben. In dem Augenblick, wo wir Christus annahmen, wurden wir mit ihm in den Tod getauft und begraben, und deswegen »sei es ferne« (Vers 2), dass wir weiter in der Sünde leben.

Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, ... (6, 7-8)

Es ist wunderbar, zu wissen, dass wir, wenn wir Christus angenommen haben, eines Tages, wie er, leiblich auferstehen werden. Aber was Paulus hier immer wieder betont, ist, dass unsere kommende Auferstehung bereits für unser jetziges Leben etwas bedeutet. Jesus ist historisch real gestorben und auferstanden; wir haben ihn an einem realen Punkt X in der Geschichte als unseren Heiland angenommen und werden an einem realen Punkt Y auferweckt werden. Paulus' Botschaft lautet: »Und jetzt lebt danach!« Durch den Glau ben sollen wir heute auf der Basis von dem, was gestern geschah, so leben, als ob es schon morgen wäre. Jesus starb, Jesus ist auferstanden, wir haben ihn als Heiland angenommen, wir werden selber einmal auferstehen — lauter historische Tatsachen, und jetzt sind wir dazu berufen, im Glauben unsere Gegenwart so zu leben, als ob wir schon in der Zukunft wären. Dies ist die Berufung des Christen eine Berufung, die ernüchternd und schön und wunderbar zugleich ist.

... und wissen, dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod kann hinfort über ihn nicht herrschen. (6,9)

Als Jesus starb und auferstand, war dies für ihn das Ende des Todes. Wie er am Kreuz ausrief: »Es ist vollbracht!« (Johannes 19,30). Als Jesus von den Toten auferstand, war der Tod erledigt.

Denn was er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben ein für alle Mal; ... (6,10a)

Page 162:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Christus starb »ein für alle Mal« — wir haben dies schon mehrfach gesehen. Vers 9 sagt aus, dass er ein für alle Mal dem Tod starb, und jetzt sagt Vers 1o, dass er ein für alle Mal der Sünde starb. Dies heißt nicht, dass Jesus je gesündigt hätte, sondern dass sein Kampf mit der Versuchung (Hebräer 4,15) vorbei ist. Die Schlacht ist geschlagen.

... was er aber lebt, das lebt er Gott. (6,10b)

Jesus starb ein für alle Mal, und jetzt lebt er weiter, und das »für Gott«. Er starb nicht um des Sterbens willen, sondern um für Gott zu leben. So ist auch unsere Berufung als Christen nie primär etwas Negatives. Die Berufung des Christen ist etwas Positives. Das höchste Gebot, so Jesus, lautet: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (Matthäus 22,37). Hier ist nicht die Rede von du sollst nicht! Es stimmt, dass Gott lieben auch bedeutet, dass wir bestimmte Dinge meiden werden; sie sind z. B. in den Zehn Geboten genannt. Aber unsere Grundberufung ist etwas Positives. Wie oft leben Christen so, als ob das Christsein ein Jammertal aus lauter Verboten wäre, aber so ist es nicht. Es gibt zwar auch Negatives und Dinge, die weh tun können, aber die Berufung ist primär positiv und lautet, für Gott zu leben. Die negativen Gebote betreffen die Dinge, die mich daran hindern, für Gott zu leben. »... das lebt er Gott«, und für Gott leben kann ich nur, wenn ich für andere Dinge tot bin.Für was sollen wir tot sein? Nach dem, was Jesus Petrus in Matthäus 16,24 sagt, vor allem für uns selber. Wenn wir Christi Jünger sein wollen, müssen wir uns selbst verleugnen, unser Kreuz auf uns nehmen und ihm nachfolgen. Für Gott leben bedeutet nicht, eine Reihe von Paragraphen einhaken, sondern für mich selber tot sein, und dieser Tod will mich nicht quälen, sondern fähig machen, für Gott zu leben.Ich höre immer wieder: »Es tut sich nichts in meinem Christenleben.« Wenn unsere Gemeinschaft mit Gott echt sein soll, kostet das etwas. Um Gott leben zu können, musste Jesus sterben. Wenn wir in unserem Alltag für Gott leben wollen, müssen wir täglich sterben der Selbstsucht, der

Page 163:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Ichbezogenheit, der Unabhängigkeit. Das eigentlich Wichtige ist nicht das Sterben, sondern das Leben. Aber wenn ich für Gott leben will, muss ich zuerst gestorben sein.Jesus starb und erstand von den Toten. Wir sind mit Christus gestorben und werden einst leiblich auferstehen. Aber jetzt, in der Gegenwart, müssen wir im Lichte dieser zukünftigen Wahrheit leben. Wir werden nicht leiblich auferstehen, wenn wir nicht mit Christus gestorben sind, und in unserem Gegenwartsalltag sollen wir eben dies erfahren, in unserem täglichen »Der-Sünde-Sterben« wie in unserem täglichen »Für-Gott-Leben«. Wollen Sie für Gott leben — nicht nur in dem Sinne, dass Sie gerechtfertigt sind und eines Tages auferstehen und im Himmel sein werden, sondern wollen Sie heute, jetzt als Christ in Gott lebendig sein? Dann müssen Sie erst sterben. Sie können aktiv in der Gemeinde arbeiten, Sie können Missionar, Pastor, Theologieprofessor und alles Mögliche sein, aber wenn Sie täglich mit Gott leben und Gemeinschaft mit ihm haben wollen, müssen Sie täglich sterben. Es gibt keinen anderen Weg. Doch Paulus sagt uns nicht nur, was wir tun sollen, sondern auch, wie wir es tun, und dazu kommen wir jetzt.

So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus. (6,2)

Jedes Wort in diesem Vers ist kostbar. Wie Christus der Sünde starb und jetzt Gott lebt (Vers 10), »so« sollen auch wir — nämlich im Glauben — »dafür halten«, also davon ausgehen, dass wir der Sünde gestorben sind und Gott leben. Wenn wir die ganze schlichte Wahrheit dieses Satzes begreifen, fällt es wie Ketten von uns ab. »So auch ihr, haket dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott.« Unser Lebendig-sein in Gott hängt nicht an der Realität unserer kommenden leiblichen Auferstehung, obwohl Paulus viel über sie gesagt hat. Sie geht tiefer, denn noch tiefer als die Realität unserer künftigen Auferstehung ist die Realität, dass Jesus, nachdem er ein für alle Mal starb, jetzt für Gott lebt. Auf der Basis dieser wunderbaren Wirklichkeit sollen wir uns im Glauben als für die Sünde tot und in diesem gegenwärtigen Leben für Gott

Page 164:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

lebendig halten. Hier müssen wir natürlich, wenn wir ehrlich sind, ausrufen: »Wie soll das gehen? Ich will ja gerne versuchen, mich für die Sünde tot und für Gott lebend zu halten, aber woher kriege ich die Kraft dazu?« Der Schluss von Vers 11 ist unser Halleluja-Ruf: »In Christus Jesus!« [Schlachter: »In Christus Jesus, unsrem Herrn!«] Es geschieht alles durch unseren Herrn Jesus Christus; wir müssen nicht aus eigener Kraft für Gott leben. Wir finden diesen Ausdruck in 6,23 und 7,25 wieder; es ist wie der Halleluja-Chor in Händels Messias: »Durch Jesus Christus, unsern Herrn.« In 8,13 heißt es dann: »durch den Geist«, und in 8,37: »durch den, der uns geliebt hat«. Die Ähnlichkeit in den Formulierungen ist kein Zufall. Diese Verse sind die Seile, die diese großen Kapitel zusammenbinden. Kap. 6, 7 und 8 — sie sind wie ein Trommelwirbel, und diese Verse binden sie zusammen. Die Bibel sagt nirgends, dass wir in diesem Leben vollkommen sein können, aber auch nicht, dass die Ketten unserer sündigen Vergangenheit uns weiter binden müssen. Es gibt eine Kraft, die diese Ketten zerbricht, und das ist die Kraft des Blutes Jesu, die Kraft des lebendigen Christus. Jesus starb, aber er lebt und sein Werk ist vollbracht, und dieses Werk und das, was er ist und was er jetzt für uns tut, macht es möglich, dass wir ein echtes Christenleben führen — »in Christus Jesus, unsrem Herrn« (6,11 [Schlachter]). Schauen wir uns diese Verse genauer an. »... und lebt Gott in Christus Jesus« (6,11). »Die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn« (6,23). Dann der Schrei in 7,24: »Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?« Und gleich danach die Freude von Vers 25: »Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!« In 8,13 der gleiche Gedanke, mit der Betonung des Heiligen Geistes. Und in 8,37: »Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat« — also wieder Christus. Paulus spricht nicht über eine Abstraktion, über ein Ideal, das nichts mit meinem Alltagsleben zu tun hätte. Er spricht über etwas, das möglich ist, und er hat uns die Basis genannt, auf der es möglich ist: Es ist möglich durch Jesus Christus, unseren Herrn — durch das, was er ist, was er am Kreuz tat und was er jetzt für uns tut.

Page 165:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Und wie nehme ich nun all dies in Anspruch? Die Antwort steht in Vers 2: »So auch ihr, haltet dafür ...« Wir nehmen es in Anspruch durch den Glauben. Lassen Sie mich wiederholen, was für eine Berufung dies ist: Jesus ist tatsächlich gestorben und auferstanden, und als wir ihn als unseren Heiland annahmen, sind wir ein für alle Mal gestorben, und einst werden wir auferstehen. Durch den Glauben sollen wir jetzt auf der Basis all dieser großen Wahrheiten leben. Wir sollen so leben, als wären wir bereits leiblich vom Tod auferstanden.

So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ... (6, 12 a)

Es gibt drei Schlüsselworte in den Versen 11-13: In Vers 11 »dafür halten«, in Vers 12 »herrschen« und in Vers 13 »hingeben«. »So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe ...« Paulus sagt nicht, dass wir je in diesem Leben vollkommen sein werden, aber es ist ein Riesen-Unterschied, ob jemand nicht perfekt ist oder ob er die Sünde in seinem Leben herrschen lässt. Zunächst einmal ist ein Unterschied zwischen Versuchung und Sünde. Jesus ist »versucht worden ... in allem wie wir, doch ohne Sünde« (Hebräer 4,15). Versuchung ist noch keine Sünde. Es ist möglich, versucht zu werden, ohne zu fallen.

Zweitens ist es ein Unterschied, ob man nicht vollkommen in diesem Erdenleben ist oder der Sünde die Herrschaft überlässt. Paulus sagt: Lasst nicht die Sünde König sein in eurem Leib. Beachten wir wieder, wie schon in Vers 6, dass er vom Leib spricht. Paulus denkt hier sicher auch an die Sünden des Geistes, aber der Kontext, in dem alles geschieht, ist unser gegenwärtiges irdisches Leben in diesem sterblichen Leib. Paulus sagt: »Lasst hier und jetzt die Sünde nicht König sein.«

... und leistet seinen Begierden keinen Gehorsam. (6, 12)

Paulus kommt nun zu dem Thema der Knechtschaft unter der

Page 166:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Sünde, das er ab Vers 16 in den Mittelpunkt stellen wird.

Auch gebt nicht der Sünde eure Glieder hin als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern gebt euch selbst Gott hin, als solche, die tot waren und nun lebendig sind, und eure Glieder Gott als Waffen der Gerechtigkeit. (6,13)

Hier ist unser drittes Schlüsselwort: hingeben. Wir sind der Sünde gestorben. Wir sind jetzt, in der Gegenwart, lebendig. Wir haben jetzt, in der Gegenwart, ewiges Leben (Johannes 3, 36). Gut, dann geben wir uns Gott hin! Das mit »Waffen« übersetzte griechische Wort bedeutet »Waffen« oder »Werkzeuge« [vgl. Elberfelder.]. Wir sollen nicht länger Werkzeuge der Sünde sein, sondern Werkzeuge oder Waffen der Gerechtigkeit Gottes. Leider kann ein Christ nur zu leicht sich dem Teufel hingeben und zur Waffe in dessen Kampf gegen Gott werden. Wenn Sie und ich die Sünde in unserem Leib herrschen lassen und uns dem Teufel hingeben, benutzt dieser uns mit Messerschärfe in seinem Kampf gegen Gott. Wenn wir auch nur ein bisschen Liebe zu Gott haben, sollte uns dies weinen machen. Hier reicht keine bloße Auslegung, hier braucht es Tränen. Durch Christi Blut am Kreuz von Golgatha erlöst sein, bereits das ewige Leben und den Heiligen Geist haben ... und dann sich dem Teufel als Werkzeug hingeben ... Es mag einige Dingegeben, die moralisch neutral sind, aber bei den meisten Entscheidungen, die wir treffen, geben wir uns entweder der Macht Christi hin oder wir überlassen uns dem Teufel und lassen die Sünde in uns herrschen. Und dabei muss es doch gar nicht sein, dass wir uns als Christen dem Teufel hingeben:

Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch, weil ihr ja nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade.(6,14)

Page 167:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Als Christen können wir im Glauben leben, auf der Basis des Blutes Christi und in der Kraft des Heiligen Geistes. Daher ist es nicht nötig, dass die Sünde über uns herrscht. Wie Paulus später sagen wird: ». .. damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist« (8, 4). Paulus ist Realist und weiß: Wenn wir unter dem Gesetz lebten, nach dem Motto: »Das hier ist Gottes Wille, also tu dies und lass jenes«, wir hätten keine Chance, es zu schaffen. Aber wir sind ja nicht mehr in diesem Sinne unter dem Gesetz. Das Gesetz hat Christus für uns erfüllt, wir sind unter der Gnade und Teilhaber an Christi vollbrachtem Erlösungswerk und seinem Geist. Wir können uns der Kraft Christi hingeben, wir brauchen nicht mehr in der ständigen Niederlage zu leben, wir brauchen nicht auf der Seite des Teufels zu sein.

Wie nun? Sollen wir sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind? Das sei ferne! Wisst ihr nicht: Wem ihr euch zu Knechten macht, um ihm zu gehorchen, dessen Knechte seid ihr und müsst ihm gehorsam sein, ... (6,15-16a)

Unter der Gnade sein macht die Forderungen des Gesetzes nicht weniger. Es sollte unser Wunsch sein, Gott aus Dankbarkeit für seine Gnade zu gehorchen. Tun wir dies nicht und geben uns stattdessen dem Satan zu Werkzeugen hin (6,13), werden wir zu Sklaven des Satans.

Wisst ihr nicht: Wem ihr euch zu Knechten macht, um ihm zu gehorchen, dessen Knechte seid ihr und müsst ihm gehorsam sein, es sei der Sünde zum Tode oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit? (6,16)

Wenn wir uns dem Teufel als Sklaven hingeben, beginnen wir Tod hervorzubringen. »Der Sünde Sold ist der Tod« (6,23 a). Aber warum sollen wir für den Lohn des Teufels arbeiten, wenn »die Gabe Gottes ... das ewige Leben [ist] in Christus Jesus, unserm Herrn« (6,23 b)? Die Menschen sagen mir oft, dass sie nicht verstehen,

Page 168:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

warum V. 23 hier ist und nicht irgendwo in den ersten vier Kapiteln. Nun, er ist in Kapitel 6, weil er nicht nur für unsere Rechtfertigung, sondern auch für die Heiligung gilt. »Der Sünde Sold ist der Tod«, und die furchtbare Realität ist, dass wir, obwohl wir als Christen lebendig geworden sind, durchaus zu Todesmaschinen werden können, die Tod und immer mehr Tod hervorbringen, dass wir gegen die Realität des Universums und gegen unsere Berufung leben können, dass wir uns dem Teufel hingeben und damit in dieser armen Welt Tod produzieren können. Jeder Einzelne von uns hat enorme Bedeutung, als Christ und Mensch. Jede unserer Entscheidungen hat Auswirkungen auf die gesamte Geschichte. Die Folgen unserer Entscheidungen sind real und nicht nur Teile eines Traumes Gottes, wie die Hindus sagen würden. Jede meiner Entscheidungen als Christ und als Mensch hat eine geschichtliche Realität und wirkt sich auf die Menschen um mich herum aus. Wenn wir uns dem Teufel zu Sklaven hingeben, bringen wir Tod hervor. Wir können dabei total rechtgläubig sein, ja Mitglied in einer Gemeinde, die sich von der Welt rein zu halten versucht, wir können das Glaubensbekenntnis und den Katechismus vor- und rückwärts aufsagen — wenn wir uns dem Satan »zu Knechten machen«, werden wir zu Todesmaschinen. Gebe ich mich dagegen Gott hin, werde ich sein Sklave, aber dies ist gut, weil Gott kein Tyrann ist. Wir wurden dazu erschaffen, Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt zu lieben (Matthäus 22,37). Er ist ein liebender Gott, und sich ihm hingeben als Geschöpf dem lebendigen Schöpfer dienen — dies ist etwas Wunderbares. Diese Art »Sklaventum« bringt Leben hervor. Wir bringen entweder Tod oder Leben hervor, je nachdem, ob die Menschen um uns herum aufgrund dessen, was wir ihnen sagen und vorleben, Gott annehmen oder ablehnen. Die Erkenntnis, dass unsere Worte und Taten eine solche Tragweite haben, sollte uns zittern machen. Wir können für die noch Verlorenen entweder Tod oder Leben hervorbringen, und wir können, wie wir schon sahen, in dem Kampf zwischen Gott und dem Teufel Tod oder Leben hervorbringen, je nachdem, auf wessen Seite wir gerade sind. »Wisst ihr nicht:

Page 169:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Wem ihr euch zu Knechten macht, um ihm zu gehorchen, des-sen Knechte seid ihr und müsst ihm gehorsam sein, es sei der Sünde zum Tode oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit?« Paulus hat gesagt, dass manche Gläubige sich der Sünde als Sklaven hingeben. Jetzt dankt er für die, die gehorsame Diener Gottes geworden sind:

Gott sei aber gedankt, dass Ihr Knechte der Sünde gewesen seid, aber nun von Herzen gehorsam geworden der Gestalt der Lehre, der ihr ergeben seid. (6,17)

Die Gläubigen in Rom waren Sklaven der Sünde gewesen, aber dann waren sie Gott »von Herzen gehorsam geworden«. Ihre Bekehrung war echt, und sie war echt wegen »der Gestalt der Lehre, der ihr ergeben seid« (wörtlicher nach dem Griechischen: »dem Bild der Lehre, dem ihr übergeben worden seid« [Elberfelder]). Was hat unsere absolute Sklaverei unter dem Teufel gebrochen? Eine ganz bestimmte »Gestalt der Lehre«. Heute gibt es große Anstrengungen, den Inhalt aller Religionen, auch des Christentums, zu verwässern. Trotz der fundamentalistischen Reaktion auf diesen Trend stehen wir vor einem Verlust an Inhalt, Klarheit und Wahrheitsansprüchen. Dies ist eines der Kennzeichen, ja vielleicht das Kennzeichen unseres Zeitalters: dass man sich die Religionen als bloße psychologische Lebenshilfen vorstellt, die keinen wirklichen Inhalt haben. Dies ist nicht die biblische Sicht. Die biblische Sicht ist, dass es eine Wahrheit, eine Realität im Universum gibt und dass es möglich ist, diese Wahrheit in Worten zu beschreiben, die Menschen verstehen können. Die Bibel verspricht — und gibt — hinreichende Antworten auf die großen Lebensfragen. Ich möchte keine Sekunde lang behaupten, dass wir diese Wahrheit je ausschöpfen oder völlig verstehen können. Aber wir können sie recht verstehen. Es ist der Inhalt des Evangeliums, diese Wahrheit über Gott, den Menschen und die Geschichte, diese »Gestalt der Lehre«, die uns erlöst. Darum konnte Paulus Menschen aller Bildungsschichten so freimütig sagen: »Ich schäme mich des Evangeliums nicht« (1,16). Das Evangelium hat einen Inhalt, es ist mehr als ein

Page 170:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

bisschen Lebenshilfe. Unsere Sklaverei unter der Sünde ist durch die Wahrheit des Evangeliums gebrochen worden. Und sie wurde gebrochen, als wir dieser Wahrheit, dieser »Gestalt der Lehre« »gehorsam wurden«. Also nicht das bloße Glauben hat uns gerettet, sondern das Gehorchen. Zur Erlösung gehört, dass man der Wahrheit gehorcht — also nicht nur Gott, sondern auch dem Universum, wie es wirklich ist. Der Nichtchrist versucht in einer Welt zu leben, die es nicht gibt. Es ist eine Wahrheit im Universum, und wenn wir Christus als unseren Erlöser annehmen und uns vor dem lebendigen Gott verneigen, gehorchen wir der Wahrheit Gottes, die auch die Wahrheit des Universums ist. Unser Gehorsam zum Evangelium hat uns absolut frei gemacht von der Macht der Sünde, und wir können diese Freiheit in der Realität unseres täglichen Lebens erfahren.

Denn indem ihr nun frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit. (6,18)

In Gottes Sicht sind Sie an dem Tag, wo Sie gerechtfertigt wurden, von der Sünde befreit und ein Diener der Gerechtigkeit geworden. »Jetzt«, sagt Paulus Ihnen, »lebe danach.« Die Befreiung von der Macht der Sünde in meinem Alltag geschieht auf die gleiche Art wie die grundsätzliche Befreiung bei meiner Bekehrung: Ich bekenne die Sünde, ich berufe mich auf das Blut Jesu und ich danke Gott für seine Vergebung. Dies sind die Realitäten. Es geschieht durch unseren Herrn Jesus Christus und in der Kraft des Geistes. »So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus« (6,11). Dies ist das, was ich das »verherrlichte Geschöpf« nenne.Später, in Kapitel 8,18-39, werden wir uns genauer mit der Herrlichkeit befassen, mit dem Teil unserer Erlösung, dessen wir uns auf ewig im Himmel freuen werden. Aber schon in diesem Leben können wir in gewissem Sinne das »verherrlichte Geschöpf« sein. Geschöpf sind wir ja sowieso, weil wir nichts anderes sein können. Wir sind ja nicht der Schöpfer, sondern nur ein Teil seiner Schöpfung. Der Humanist, der sich selbst zu Gott machen will, betrügt sich

Page 171:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

selbst. Er ist nur Geschöpf und an seine menschlichen Grenzen, ja an seine Sünde gebunden. Wenn wir uns jedoch aus freien Stücken entscheiden, Gott zu lieben, sind wir gleichsam seine Geschöpfe aus Überzeugung, die sich willig selbst verleugnen (Matthäus 16,24), damit sie für Gott leben können (Römer 6,1o). Das verherrlichte Geschöpf sein, willig Gottes Geschöpf sein bedeutet nicht nur, dass ich das Böse an mir ablehne, sondern auch, dass ich mich nicht auf das Gute an mir verlasse; ich will nur für Gott leben, mich ganz in seine Hand geben und sein Sklave sein. Ich kenne Menschen, die versuchen, so als Christen zu leben, und es fasziniert mich immer wieder, wie schwer ihre Mitchristen ihnen dies machen. Ich denke hier an eine gläubige Freundin, die eine große Sängerin ist. Sie hat begriffen, dass sie ihre Stimme nicht dazu benutzen darf, sich selber wichtig zu machen, und sei es auch »im Dienst des Herrn«, und stattdessen still sein und darauf hören muss, was Gott wirklich von ihr will. Ihre Mitchristen machen es ihr nicht leicht, dieser Entscheidung treu zu bleiben. Immer wieder sagen sie ihr, dass sie mit ihrer Stimme doch etwas »Großes« für Gott tun sollte. Aber unsere größte menschliche Begabung muss nicht unbedingt etwas mit unse-rer größten Nützlichkeit für Gott zu tun haben. Wenn wir dies nur lernen könnten, könnte uns so viel Stolz und Versagen erspart bleiben. Wir müssen tot sein für die »großen« Dinge, selbst die, die gut zu sein scheinen, wenn wir für Gott leben wollen. Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass unsere größte natürliche Begabung der Schlüssel zu unserem Dienst als Christen ist. Sie kann es sein, aber sie muss es nicht sein. Der Mensch, der große Reden vor Hunderten und Tausenden von Menschen halten kann, muss womöglich bereit werden, nicht auf das Rednerpodium zu steigen. Erst als das verherrlichte Geschöpf, das in den »guten« wie den »bösen« Dingen für sich selber tot ist, können wir wirklich leben und von Gott gebraucht werden. »Was er aber lebt, das lebt er Gott« (6,10). Die Hauptberufung des Christen ist, Gott zu lieben und Gemeinschaft mit ihm zu haben. Wenn wir in den Augen der Welt groß sein wollen, werden wir nicht für Gott leben. Als Christ leben heißt nicht, immer so aktiv wie möglich

Page 172:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

sein. Als Christ leben — das ist stille Gemeinschaft mit Gott, so dass wir für ihn leben können. Wenn jemand mich fragen würde, was das ist, was die meisten Christen nie lernen, dann würde ich sagen: dies hier. Unsere Berufung als Christen besteht nicht primär darin, einen »Dienst« zu finden, der zu unserer Begabung passt, sondern er besteht darin, für alles — Gutes wie Böses — »tot« zu sein, damit wir still vor Gott sein können. Und dann? Ja, dann kommt das Wunder. Dann kann ich mich durch den Glauben so sehen, als sei ich bereits lebendig und von den Toten auferstanden, und dann kann ich in der Macht des Geistes zurücktreten in dieses raumzeitliche Leben und zur Ehre des Herrn leben, mich als scharf geschliffene Waffe in seine Hand geben und willig Sklave meines geliebten Herrn sein. Das ist das, was Paulus meint. Wir sind Geschöpfe, aber wir können verherrlichte Geschöpfe werden. Im Glauben ist es möglich, jetzt, in diesem Augenblick, so zu leben, als ob ich bereits leiblich auferstanden wäre. Die Bibel sagt nirgends, dass wir diesen Punkt je ein für alle Mal erreichen werden. Aber begreifen wir denn nicht, dass das Leben eine Kette aus Augenblicken ist? An diesem Punkt haben die Existenzialisten Recht. Es gibt einen Augenblick, es gibt die Gegenwart. Die Berufung gilt nicht für morgen, sie gilt für diesen Augenblick und für jeden Augenblick, denn das Leben ist eine Abfolge von Augenblicken. Jetzt, in diesem Augenblick sind wir durch das vollbrachte Werk Christi und in der Kraft des Heiligen Geistes dazu berufen, so tot für das Gute wie für das Böse in uns zu sein, als lägen wir schon im Grab. Wenn es plötzlich ein Riesen-Erdbeben gäbe und Ihr Haus über Ihnen einstürzte, würden Sie tot unter den Trümmern liegen. Ihre fleischlichen Begabungen würden Sie nicht mehr interessieren und nicht mehr gebraucht werden. Sie wären vollkommen tot. So sollen wir als Christen leben: als verherrlichte Geschöpfe, die im Glauben ihre rationalen und moralischen Entscheidungen treffen und ganz Gott hingegeben sind. Dann können wir gleichsam aus den Trümmern, unter denen wir lagen, hervortreten, in unseren Auferstehungsleib gekleidet, und jetzt, in diesem Augenblick, die engen, dunklen Straßen entlanggehen, hinaus in unsere

Page 173:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Welt. In diesem Augenblick sind wir Gott hingegeben. In 2. Korinther 12,1-4 erwähnt Paulus einen Menschen (nach den meisten Auslegern er selber), der in den dritten Himmel entrückt wurde, wo Gott ist, und dann zurückkam. Wenn Sie und ich den Himmel besuchen und seine Herrlichkeit, Reinheit, Wunder und Freuden sehen könnten und danach zurück in diese arme, elende Welt kämen, glauben Sie, wir würden die Welt jemals wieder mit den gleichen Augen sehen? Die reichsten Menschen würden uns arm vorkommen, all unsere irdischen Freuden würden uns wie Leid erscheinen. Nun, genau so sollen wir leben. Halten Sie sich jetzt, in diesem Augenblick im Glauben für das, was Sie sein werden, wenn Jesus Sie von den Toten auferweckt hat. Dies ist das Leben des Christen. Dieses Leben lediglich als das geschäftige Umsetzen einer persönlichen Begabung wie Singen oder Reden zu betrachten — wie jämmerlich ist dies doch im Vergleich zu Gottes ganz realem Anspruch darauf, der Herr unseres Lebens zu sein. Lassen Sie mich es so nüchtern sagen wie nur irgend möglich: Für Christus etwas ausgerichtet wird nur dort, wo Menschen für das Gute und Böse in ihnen tot und ganz Gott ergeben sind. Es können Menschen gerettet, Krankenhäuser gebaut, Kirchen erweitert, Organisationen und Denominationen gegründet werden, und es ist doch alles nur Stückwerk. Keiner von uns ist vollkommen, und wir haben keine perfekten Augenblicke, wenn wir uns mit der Vollkommenheit Jesu Christi vergleichen. Aber hier und dort in der Kirchengeschichte sehen wir ein leuchtendes Feuer, wo Männer und Frauen Gott wirklich ergeben sind. Dies ist der Unterschied zwischen all dem Banalen im Christentum und dem, was lebt und atmet und die Seelen der Menschen bewegt. Wollen Sie Freude am Leben haben? Dies ist die einzige Möglichkeit dazu. Sie ist das genaue Gegenteil von Asketizismus. Sie ist nicht Tod um des Todes willen, sondern Tod um des Lebens willen. Sie bedeutet Dienst für den Herrn, aber auch die Freude an diesem gegenwärtigen Leben. Dies ist das Leben, zu dem Gott uns geschaffen hat. Was ist denn der Sinn und das Hauptziel der Menschheit anderes, als dass wir Gott verherrlichen und uns auf immer seiner freuen? Aber

Page 174:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

es gibt — selbst im so genannten »christlichen Dienst« — keine wirkliche Verherrlichung Gottes, keine wirkliche Freude in ihm, auch keine wirklich in die Tiefe gehende Freude an Gottes gegenwärtiger Welt, wenn wir nicht Augenblick um Augenblick sterben und uns bewusst Gott hingeben, auf der Basis des Blutes Christi, in der Kraft des Geistes und durch den Glauben. Danach treten wir zurück in diese Welt, um unseren Gott zu verherrlichen und uns seiner zu freuen. Wenn wir zu dieser totalen Hingabe an Gott finden, werden wir nicht nur mehr Freude an ihm haben, sondern auch an all unseren natürlichen menschlichen Beziehungen. Als der Mensch sündigte, zerbrach die große Beziehung zwischen ihm und Gott, aber auch seine Beziehung zu sich selber, zu seinen Mitmenschen und zur Natur. An einem großen Tag in der Zukunft, bei der Auferstehung aller Christen, werden alle diese Beziehungen herrlich und vollkommen zurechtgebracht werden; aber im Glauben können wir etwas von dieser Heilung schon in unserem jetzigen Leben erfahren. Wenn wir als verherrlichtes Geschöpf Augenblick um Augenblick für Gott leben, beginnen all unsere menschlichen Beziehungen nicht völlig, aber ein großes Stück weit und sehr real heil zu werden. Unsere Beziehung zu uns selber, zu unseren Mitmenschen und zur Natur sie alle, die ja zweitrangig sind gegenüber unserer Beziehung zu Gott selber, werden wir in dem Maße genießen können, in welchem wir in dem jeweiligen Augenblick bewusst tot für alle Dinge sind und unser Herz hell für Gott brennt, Gemeinschaft mit ihm hat und ihn liebt. Dies, und nicht weniger, ist das, was Paulus hier sagt. Und Paulus gibt uns nicht nur diese Messlatte für unser Christenleben; er zeigt uns auch das »Wie«: »in Christus Jesus, unserm Herrn« (vgl. Vers 11 und 23). Durch Gottes Gnade können wir etwas von dieser Realität erfahren und dürfen immer mehr einander dazu helfen, durch das Totsein für alles andere lebendig für Gott zu sein, im Glauben schon jetzt so zu leben, als ob wir bereits unseren Auferstehungsleib hätten, und in diesem Augenblick und immer wieder neu nicht Tod, sondern Leben hervorzubringen, zur Ehre Gottes, so dass wir uns Gottes und alles dessen, was er uns gibt, wahrhaft freuen können.

Page 175:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Denn indem ihr nun frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit. Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden. (6,18-19)

Wieder ist es da, das Wort: hingeben. Bevor Sie erlöst wurden, gaben Sie sich absolut der Sünde und der Rebellion gegen Gott als Sklave hin. Jemand mag hier sagen: »Schaut euch doch die Frau da an, die Prostituierte auf dem Strich; so etwas habe ich nie getan!« Aber Paulus spricht hier von der Sklaverei der Sünde und der Rebellion gegen den Gott, der uns erschaffen hat, und dazu gehört nicht nur die Prostitution, sondern auch sämtliche anderen Sünden, alles, was -intellektuell, moralisch und praktisch — Aufstand gegen Gott ist. »So gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden.« Heiligung ist eine Berufung, ein Befehl. Eine der großen Schwächen vieler Glaubensbekenntnisse, auch meiner Lieblings-bekenntnisse, ist, dass die »bewusste Seite« unseres Glaubens, besonders in Bezug auf Heiligung und das Werk des Heiligen Geistes, so wenig betont wird. Sicher müssen wir vor jeder Lehre auf der Hut sein, die behauptet, dass es möglich ist, als Christ voll-kommen zu werden. Aber wir sollten hier nicht überreagieren und gar nicht mehr lehren, dass wir uns bewusst dem Heiligen Geist hingeben müssen. Diese Hingabe ist ein Befehl, ein Vorrecht, eine Berufung, eine Pflicht, eine Freude. Und sie ist nichts Mechanisches, was gerade wir Menschen des 20. Jahrhunderts wissen sollten. Wir müssen die moderne Sicht vom Menschen als Maschine ablehnen. Wir leben in einer Welt realer Persönlichkeiten. Gott ist ein persönlicher Gott, und unsere Beziehung zu ihm ist individuell und persönlich. Wir sind keine Maschinen, und Gott ist keine Maschine. Er ruft uns auf, in unserer Eigenschaft als moralische und vernunftbegabte Geschöpfe zu handeln und uns ihm hinzugeben.

Page 176:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit. (6,2o)

Bevor wir zum Glauben an Christus kamen, waren wir frei von aller Gerechtigkeit, aber das Ende dieser »Freiheit« war der absolute Tod. Wie Jakobus erklärt: »Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod« (Jakobus 1,15). Bevor Sie Christ wurden, haben Sie sich vielleicht frei und unabhängig gefühlt, aber in Wirklichkeit brachten Sie Tod hervor. Sie waren eine Todesmaschine — für sich und für Ihre Umgebung. Sie waren ein Rebell in Gottes Schöpfung, der sich selber und anderen den Tod brachte. Eine bessere Übersetzung des Griechischen wäre: »Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei, so weit es um die Gerechtigkeit ging [Elberfelder.: gegenüber der Gerechtigkeit].« Mit anderen Worten: Vor Ihrer Bekehrung waren Sie sicher kein Sklave der Gerechtigkeit! Sie hatte keine Ansprüche an Sie, ja Sie taten eigentlich nichts, was gerecht gewesen wäre — wohl ein paar Dinge, die relativ »gut« waren, aber nichts wirklich Gerechtes. Sie waren völlig frei von der Gerechtigkeit.

Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod. (6,21)

»Was für Frucht hattet ihr?«, fragt Paulus. Und die Antwort muss sein: »Jede Menge!« Bevor wir Christen wurden, taten wir vieles, dessen wir uns jetzt nur schämen können. Zu unserer Schandemüssen wir es sagen: Wir waren »frei von der Gerechtigkeit« (Vers 2o).

Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben. (6,22)

Page 177:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Bevor Sie Christ wurden, waren Sie völlig frei von der Gerechtigkeit. Jetzt, in Jesus Christus, sind Sie ebenfalls völlig frei — aber diesmal von der Sünde! Durch unsere Rechtfertigung ist unsere Schuld fort. Wir sind Sklaven Gottes geworden. Dies ist unsere Berufung, nachdem wir Christus als unseren Heiland angenommen haben. Und unser neues Leben in Christus sollte Frucht bringen: »... habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben.« Paulus wählt seine Worte sorgfältig. Bevor wir Christen wurden, war das »Ende« unseres Lebensweges »der Tod« (Vers 21). Jetzt ist das Ende dessen, was wir sind und was wir sein sollten, »das ewige Leben« (Vers 22). Es ist kein Zufall, dass Vers 21 mit dem Wort »Tod« endet und Vers 22 mit »Leben«.

Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn. (6,23)

Das Herz, das sich nach den letzten paar Versen verzweifelt fragt: »Bin ich denn überhaupt ein Christ?«, wird hier von Paulus gestillt. Er erinnert uns daran, dass wir, wenn wir Christus als unseren Heiland angenommen haben, im absoluten Sinne, in Gottes Augen frei von der Sünde sind und auf das ewige Leben zugehen, »in Christus Jesus, unserm Herrn«. Paulus stillt unsere Herzen, aber er erinnert uns auch, dass wir als Christen immer etwas hervorbringen und dass es selbst nach der Bekehrung möglich ist, sich dem Teufel zum Dienst hinzugeben. Selbst als Christ kann ich in dem großen himmlischen Kampf auf der falschen Seite kämpfen. Der Schlüssel dazu, Leben und nicht Tod hervorzubringen, ist unsere Hingabe an Gott. »Auch gebt nicht der Sünde eure Glieder hin als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern gebt euch selbst Gott hin, als solche, die tot waren und nun lebendig sind« (Vers 13). »Wisst ihr nicht: Wem ihr euch zu Knechten macht, um ihm zu gehorchen, dessen Knechte seid ihr und müsst ihm gehorsam sein ...?« (Vers 16). »Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und

Page 178:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden« (Vers 19). Wir stellen uns Hingabe gerne als etwas Passives vor, aber in diesen Versen wird sie uns wiederholt befohlen: »Gebt euch hin.« Vielleicht kann ein Beispiel etwas Licht auf dieses Aktive an der Hingabe werfen. Als der Engel zu Maria kam und ihr sagte, dass sie den Messias gebären würde, hatte sie drei Möglichkeiten. Sie konnte sagen: »Das will ich nicht«, und dann hätte sie das Jesuskind nicht bekommen. Sie konnte sagen: »Ich tue es in meiner eigenen Kraft«, und sie hätte Jesus ebenfalls nicht zur Welt gebracht. Aber sie wählte die dritte Möglichkeit. Sie sagte: »Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast« (Lukas 1,38). Sie gab ihren Körper dem Herrn hin als Mutterschoß, aus dem der Leib des Messias kommen würde, und er kam. Sie und ich, wir haben in jedem Augenblick unseres Lebens die Möglichkeit, uns dem Herrn hinzugeben und das zu sein, aus dem er Wunderbares hervorbringen wird. »Gebt euch selbst Gott hin« (6,13) — das ist eine »aktive Passivität«. Die Menschen haben Angst vor dem nur Passiven, aber wir sollten auch Angst vor dem nur Aktiven haben. Wir sind zum aktiven Passivsein berufen. Gott ist es, der unsere Heiligung bewirken wird, aber wir sind aufgerufen, aktive Partner dabei zu sein, indem wir uns ihm hingeben. Und wenn wir das tun, entdecken wir: Ja, es ist möglich, wirklich als Christ zu leben, jetzt und in Ewigkeit, »in Christus Jesus, unserm Herrn«.

Page 179:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

10

Der Kampf des Christenmit der Sünde: II

(7, 1-25)

Es ist im Laufe der Jahre heftig debattiert worden, an wen Paulus das 7. Kapitel des Römerbriefs gerichtet hat. Es gibt Christen, die mehr oder weniger glauben, dass Vollkommenheit und Sündlosigkeit schon in diesem Leben möglich ist, als Folge einer »zweiten Gnade« oder »Geistestaufe« oder wie immer der Ausdruck lautet. Die Anhänger dieser Position können Römer 7 ganz offensichtlich nicht auf die Christen anwenden, weil Paulus sich hier ja als alles andere als vollkommen beschreibt. Wenn wir wissen, wer die Adressaten waren, wird das unser Verständnis dieses Kapitels ohne Zweifel erheblich beeinflussen. Richtet es sich an den Unerlösten oder an den Christen oder vielleicht an beide? Nun, schauen wir uns zuerst an, an welcher Stelle im Römerbrief dieses Kapitel steht. Es gehört nicht zu dem Abschnitt über die Rechtfertigung (1, 18 - 4, 25), sondern zu dem Heiligungsabschnitt (5,1- 8,17), und von daher müsste es sich eigentlich in erster Linie an den Christen richten. Ich glaube jedoch, dass die endgültige Beantwortung der Adressatenfrage aus etwas folgt, dass wir in unserer gesamten bisherigen Untersuchung des Römerbriefs sahen.

Page 180:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Wir sahen, dass die gleichen Prinzipien, die für die Rechtfertigung gelten, auch für die Heiligung gelten. Es gibt nicht drei separate Erlösungen, sondern nur eine, und von daher sollten wir erwarten, dass Kapitel 7 sich an beide richtet Gläubige und Ungläubige. In die gleiche Richtung deutet ein Vergleich der Botschaft von Römer 7 mit einer Bemerkung im Galaterbrief, der, wie wir sahen, Parallelen zum Römerbrief aufweist. In Galater 5,17 schreibt Paulus: »Denn das Fleisch begehrt auf gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch; die sind gegeneinander, so dass ihr nicht tut, was ihr wollt.« Was, wie wir noch sehen werden, genau das ist, was Paulus in Römer 7,14-24 sagt. Wer der Meinung ist, Römer 7 wende sich nur an den Ungläubigen, der muss erklären, warum Paulus genau das Gleiche im Galaterbrief schreibt, der sich eindeutig an Christen richtet. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Prinzipien, die Paulus in Kapitel 7 erklären wird, für den Gläubigen wie den Nichtgläubigen gelten. Wenn ich Christus als meinen Heiland angenommen habe, bin ich wiedergeboren und vom Tod zum Leben gekommen. Es gibt eine zukünftige Erlösung, die Paulus in Kapitel 8 anspricht, die mir die Vollkommenheit bringen wird. Aber hier und jetzt bin ich nicht vollkommen, und der Kampf geht weiter. Ich bin nach wie vor ein vernunft- und moralbegabtes Geschöpf. Ich bin dazu berufen, Gott zu lieben, und manchmal tue ich das, aber manchmal nicht. Und so gelten Paulus' Ausführungen in Kapitel 7 sicherlich dem Ungläubigen, aber auch mir und allen anderen Gläubigen. Lassen wir dieses Kapitel zu unserem Herzen sprechen.In Kapitel 6 stießen wir auf die Schlüsselwörter dafür halten, herrschen und hingeben. Eines der Schlüsselwörter in 7,1-8,17 wird Gesetz sein.

Wisst ihr nicht, liebe Brüder — denn ich rede mit denen, die das Gesetz kennen —, dass das Gesetz nur herrscht über den Menschen, solange er lebt? (7,1)

Hier sehen wir das Schlüsselwort „Gesetz“ gleich zweimal, und wir finden auch einen Leitbegriff wieder, den wir in Kapitel 4

Page 181:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

entdeckten: ». . . solange er lebt«. Paulus führt seinen Vergleich von »Tod« und »Leben« weiter. Wenn Sie, wie ich, in Ihrer Bibel diese beiden Worte von 4,17 bis 8,17 jeweils mit einem Kreis markieren, werden Sie überrascht sein, wie oft sie vorkommen.

Denn eine Frau ist an ihren Mann gebunden durch das Gesetz, solange der Mann lebt; wenn aber der Mann stirbt, so ist sie frei von dem Gesetz, das sie an den Mann bindet (7,2)

Paulus fährt fort mit den Themen »Gesetz« und »Leben und Tod«: Nach dem Gesetz bleibt eine Frau so lange mit ihrem Mann verheiratet, bis er stirbt; danach kann sie erneut heiraten.

Wenn sie nun bei einem andern Mann ist, solange ihr Mann lebt, wird sie eine Ehebrecherin genannt; wenn aber ihr Mann stirbt, ist sie frei vom Gesetz, so dass sie nicht eine Ehebrecherin ist, wenn sie einen andern Mann nimmt. (7,3)

Paulus schreibt an Menschen, die das Gesetz mit seinen Zwängen und Grenzen kennen. Im Folgenden gewinnt er diesem einfachen Beispiel aus dem Eherecht eine tiefe geistliche Wahrheit ab.

Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet durch den Leib Christi, so dass ihr einem andern angehört, nämlich dem, der von den Toten auferweckt ist, damit wir Gott Frucht bringen. (7,4)

Als wir Christus als unseren Heiland annahmen, passierte ein Zweifaches: Wir wurden tot für das Gesetz und wir wurden mit Christus verbunden. Bevor wir Christus annahmen, hatte das Gesetz uns im Griff, doch mit unserer Bekehrung ist dieser Griff gebrochen worden, und dies so vollständig, wie eine Ehe mit dem Tod des Mannes endet.

Paulus führt den Vergleich nur so weit, wie er logisch

Page 182:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

zutrifft. Eine Witwe muss nicht erneut heiraten. Doch in unserem geistlichen Leben gibt es keine Neutralität. Die einzige Möglichkeit, frei zu sein von der Bindung an das Gesetz, ist, dass ich »einem anderen angehöre«, nämlich Christus. Wie wir in Kapitel 6 sahen, geben wir uns als Christen und als Menschen immer an jemand oder etwas hin. Wir sind immer jemandes Knechte, wir können nicht neutral sein. Und so ist Freiheit vom Gesetz nur möglich, indem wir Christus als unseren Heiland annehmen; haben wir das getan, sind wir für das Gesetz tot.

Wer ist nun dieser Christus, dem wir angehören? Er ist der, »der von den Toten auferweckt ist« (7,4). Wir sollten unser Denken nie auf den toten Christus fixieren. Wir sollten nie nur unter dem Schatten des Kreuzes leben. Jesus starb ein für alle Mal, und es war vollbracht. Der Tod Jesu ist sehr wichtig, aber er ist nicht im Tod geblieben. Wenn wir Christus als unseren Heiland annehmen, sind wir nicht mit einem toten, sondern mit einem lebendigen Christus verbunden. Eine Braut, die mit einem Toten verheiratet ist, kann keine Kinder bekommen, aber von einem lebendigen Mann kann sie Kinder bekommen. Wir sind mit einem lebendigen Christus >verheiratet<, »damit wir Gott Frucht bringen« (7,4). Unsere Verbindung mit Christus ist nichts Vages, Steriles; wir sind mit einem auferstandenen, lebendigen Christus vereinigt, und ,als Braut dieses lebendigen Christus haben wir die hohe, wunderbare Berufung, Frucht für Gott zu bringen. Christus ist der Weinstock und wir die Reben, die in ihm bleiben und Frucht bringen. Wir sollen wie Maria sein, die sich Gott aktiv passiv hingab und so den Leib des Messias aus ihrem eigenen Leib hervorbrachte. So soll unser Leben sein. Die Macht des Gesetzes über uns ist gebrochen — aber nicht, damit wir einfach frei vom Gesetz sind, sondern damit wir als mit dem auferstandenen Christus Verbundene Frucht für Gott bringen.Wie Jesus sagte: »Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht« (Johannes 15,5). Wenn die Braut Kinder bekommen will, reicht es nicht, dass sie sich dem Bräutigam nur in der Hochzeitsnacht hingibt. Sie muss sich ihm wieder und wieder in Liebe hingeben, und dann kommen die Kinder.

Page 183:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Wir müssen uns Christus nicht nur einmal hingeben, an dem Tag unserer Bekehrung, sondern immer wieder, andauernd, einen Augenblick nach dem anderen; wenn wir das tun, wird er durch uns Frucht wachsen lassen. Die fernöstliche Mystik steht heute hoch im Kurs, aber viel höher als sie ist die christliche Mystik. Die östliche Mystik verlangt, dass wir unsere Persönlichkeit aufgeben. Als der hinduistische Gott Shiva sich in eine menschliche Frau verliebte und sie umarmte, verging sie. Nicht so im Christentum. Wenn wir Christen werden, verlieren wir nicht unsere Persönlichkeit. Gott hat uns als vernünftige, moralische Wesen geschaffen, und er spricht uns in seiner Offenbarung der Wahrheit als solche Wesen an. Die Braut, die am Hochzeitstag ihrem Bräutigam das Jawort gegeben hat, sagt durch ihre ganze Ehe hindurch immer wieder ja (oder nein) zu ihm, und aus diesem Ja und Nein kommt es zu Kindern oder auch nicht. Ähnlich haben wir als vernunft- und moralbegabte Wesen die hohe Aufgabe, jeden Tag unseres Lebens Ja oder Nein zu Gott zu sagen. Wir haben die große Berufung, uns in Liebe Christus hinzugeben, so dass er durch uns seine Frucht schaffen kann. Dies ist das, was wir im letzten Kapitel das »verherrlichte Geschöpf« nannten.Die christliche Mystik gründet in der Realität dessen, was die Theologen unsere »mystische Vereinigung« mit Christus nennen. Gott der Vater wird unser Vater, und der Heilige Geist wohnt in uns, aber dazu kommt nach dem Neuen Testament eine mystische Vereinigung zwischen dem einzelnen Gläubigen und Jesus Christus — eine Vereinigung, die unsere Persönlichkeit nicht mindert, sondern im Gegenteil erhöht. Als vernunft- und moralbegabte, zur Gottesliebe berufene Wesen haben wir, nachdem die Ketten des Gesetzes zerbrochen sind, die hohe Berufung, uns Jesus Christus hinzugeben, damit er durch uns Frucht hervorbringen kann. »Wer in mir bleibt . .., der bringt viel Frucht.« Wir sind nicht imstande, diese Frucht aus unserer eigenen Kraft zu bringen. Römer 6,11 forderte uns auf, »dafür zu halten«, dass wir tot für die Sünde sind, 6,13, und uns als Werkzeuge der Gerechtigkeit Gottes »hinzugeben«. Es gibt kein schöneres Bild für die Liebe der Braut zum Bräutigam, kein besseres Wort für die Art, wie Maria sich dem den Messias bringenden Geist öffnete, als das Wort hingeben. Es ist eine aktive Passivität. »Gebt euch hin«, sagt Paulus. An wen? Gebt euch dem hin, mit dem ihr verbunden

Page 184:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

(verheiratet) seid — dem auferstandenen, lebendigen Christus.

Denn solange wir dem Fleisch verfallen waren, da waren die sündigen Leidenschaften, die durchs Gesetz erregt wurden, kräftig in unsern Gliedern, so dass wir dem Tode Frucht brachten. (7, 5)

Bevor wir Christen wurden, brachten die »sündigen Leidenschaften«, die das Gesetz weckte, »dem Tode Frucht«. »Der Sünde Sold ist der Tod« (6,23). Vor unserer Erlösung brachte das Gesetz selber Tod hervor.

Nun aber sind wir vom Gesetz frei geworden und ihm abgestorben, das uns gefangen hielt, so dass wir dienen im neuen Wesen des Geistes und nicht im alten Wesen des Buchstabens. (7,6)

Als vom Gesetz und vom Tod, das es brachte, Befreite sollen wir nicht nur frei sein, sondern dienen. Wie kann dies geschehen? Durch den Heiligen Geist, der uns die Kraft Christi zeigt. Wir sind nicht »einfach so« erlöst worden, gewissermaßen in ein neutrales Territorium hinein, sondern wir sind erlöst, damit wir eins werden mit Christus, so dass er durch uns Frucht bringen kann. Wir sind gerettet, um zu dienen — nicht »im alten Wesen des Buchstabens«, sondern »im neuen Wesen des Geistes«. Wenn wir Frucht bringen sollen, kann dies nicht auf die alte Art geschehen. Wie wir wieder und wieder gesehen haben, gilt vor wie nach unserer Bekehrung dieses Prinzip: Wir können uns nicht durch Halten des Gesetzes selber erlösen, und als erlöste Christen können wir nicht durch Halten des Gesetzes Frucht für Gott bringen. Wir können es nicht in unserer eigenen Kraft tun, sondern nur »durch Jesus Christus, unsern Herrn« (6,23). Zu oft bekommen Neubekehrte bei uns den Eindruck, sie könnten sozusagen von alleine daran gehen, eine christliche Persönlichkeit zu werden. Aber so schaffen sie es nie. Genauso wie wir uns nicht selber erlösen konnten, indem wir einfach das Gesetz hielten, können wir nach unserer Bekehrung aus eigener Kraft das Gesetz halten. Eine Rebe kann sich nicht vom Weinstock lösen und sagen: »Ich bringe jetzt selber Frucht.« Dergleichen ist einfach nicht möglich. Die

Page 185:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Rebe braucht die Verbindung mit dem Weinstock. Eine Braut kann auch nicht sagen: »Ich bin jetzt verheiratet, also kriege ich Kinder«, und dann ohne ihren Mann leben. Die Kinder kommen nur dann, wenn sie sich dem Bräutigam hingibt. Genau dies ist es, was Paulus uns hier sagt. Wenn unsere Devise ist: »Jetzt, wo ich ein Christ bin, kann ich das Gesetz halten«, werden wir voll auf die Nase fallen.

Was sollen wir denn nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? (7, 7a)

Paulus wusste, dass diese Frage bei den Christen in Rom kommen würde, und wir hören dieselbe Frage auch heute. Manche lehren ja, dass wir, wenn wir Christus als unseren Erlöser angenommen haben, überhaupt nichts mehr mit dem Gesetz zu tun haben. Paulus sagt dies nicht. Das Gesetz hat seinen Platz. Es ist nicht schlecht, sondern gut — aber nur an seinem rechten Ort. Paulus geht im Galaterbrief ausführlich darauf ein, wenn er z. B. fragt: »Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr's denn nun im Fleisch vollenden?« (Galater 3, 3). Mit anderen Worten: »Werdet ihr etwa durch eure eigenen Anstrengungen, das Gesetz zu halten, vollkommen werden?« Die Antwort ist natürlich »Nein«. Wir konnten so nicht erlöst werden, und wir können so nicht als Christen leben. Wir ehren den auferstandenen Christus, der geduldig darauf wartet, unser Bräutigam zu werden, nicht, wenn wir versuchen, die Frucht selber, ohne ihn, zu bringen.

Was sollen wir denn nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde erkannte ich nicht außer durchs Gesetz. Denn ich wusste nichts von der Begierde, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: »Du sollst nicht begehren!« (7,7)

Offenbar spricht Paulus hier aus seiner eigenen Erfahrung vor der Bekehrung. »Ohne das Gesetz«, sagt er, »hätte ich gar nicht gewusst, dass ich ein Sünder war. « Es ist interessant, dass Paulus bei diesem persönlichen Beispiel das Einzige von den Zehn Geboten zitiert, in welchem es rein um eine

Page 186:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

»innere« Sünde geht. Es war dieses Zehnte Gebot (2. Mose 20, 17), das Paulus zeigte, dass er ein Sünder war. Wir können uns möglicherweise etwas vormachen und denken, dass wir die ersten neun Gebote alle halten, weil wir sie als etwas rein Äußerliches betrachten. (Das sind sie natürlich nicht, wie Jesus in der Bergpredigt klar aufzeigt, aber wir könnten sie so missverstehen.) Aber dann kommt dieses letzte Gebot, das so total »innerlich« ist: »Du sollst nicht begehren.« Das Judentum, wie es sich bis zur Zeit Christi entwickelt hatte, versuchte ständig, die einzelnen Gebote äußerlich und damit einhaltbar zu machen. Aber ein Gebot gab es, von dem Paulus wusste, dass er es nicht halten konnte, und dies war: »Du sollst nicht begehren.« Jedesmal, wenn er an dieses Gebot dachte, erkannte er, dass er ein Sünder war, der Erlösung brauchte. Das Gesetz ist nützlich als Erzieher, der uns zu Christus bringt (Galater 3, 24), aber wenn wir versuchen, aus eigener Kraft nach dem Gesetz zu leben, haben wir es nicht verstanden. Grundsätzlich ist es gut, dass das Gesetz uns unsere Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit aufzeigt, aber zunächst einmal kann uns diese Entdeckung sehr unangenehm sein. Die Sünde aber nahm das Gebot zum Anlass und erregte in mir Begierden aller Art; denn ohne das Gesetz war die Sünde tot. Ich lebte einst ohne Gesetz; als aber das Gebot kam, wurde die Sünde lebendig, ich aber starb. Und so fand sich's, dass das Gebot mir den Tod brachte, das doch zum Leben gegeben war. Denn die Sünde nahm das Gebot zum Anlass und betrog mich und tötete mich durch das Gebot. So ist also das Gesetz heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut. (7, 8 -12) Das Gesetz ist gut, weil es uns, wenn wir es uns ernsthaft betrachten, zeigt, wie wenig gut und vollkommen, ja wie sündig wir sind. Aber damit können wir uns, wenn wir ehrlich sein wollen, nicht mehr als im Wesentlichen gut betrachten, und in diesem Sinne »tötet« das Gesetz uns (Vers 11). Wir erinnern uns, dass Jesus sagte, dass er nicht gekommen ist, die Gerechten zu retten, sondern die Sünder (Matthäus 9,13), d. h. dass nur die, die sich als Sünder erkennen, sein Erlö-sungsangebot annehmen werden. Dies ist in etwa parallel zu

Page 187:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

dem, was Paulus hier sagt. Er behauptet nicht, dass es je eine Zeit gab, wo er nicht sündigte, sondern als er begann, sich im Spiegel des Gesetzes zu betrachten, ging ihm so recht auf, wie sündig er war. In diesem Sinne tötete das Gesetz Paulus, und es wird jeden töten, der sich ernstlich mit ihm einlässt. Das Gesetz ist ein Erzieher, der uns zu Christus bringen will. Wenn wir uns im Licht des Gesetzes sehen, »tötet« uns die Erkenntnis unserer Sündhaftigkeit, und wir werden bereit, auf das Evangelium zu hören.

Ist dann, was doch gut ist, mir zum Tod geworden? Das sei ferne! Sondern die Sünde, damit sie als Sünde sichtbar werde, hat mir durch das Gute den Tod gebracht, damit die Sünde überaus sündig werde durchs Gebot. (7,13)

Das Gesetz wurde gegeben, damit die Sünde »als Sünde sichtbar« und »überaus sündig« würde. Das Gesetz ist es, das einen Menschen dazu bringt, zu sehen, dass er schuldig ist und einen Erlöser braucht. Auch als Christen müssen wir uns ständig neu daran erinnern, dass wir Sünder sind und Gnade brauchen. Die Zehn Gebote, die Gebote des Neuen Testaments, die Bergpredigt — all dies hat seinen Sinn für uns. Es ist nicht recht, wenn ein bibelgläubiger Christ die vielen Gebote der Bibel liest und sich anschließend beruhigt schlafen legt. Dass wir unter der Gnade sind, ist kein Freibrief für Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit. Wenn ich die großen ethischen Lehren Christi lese, sollte es mich auf die Knie bringen, wenn ich merke, wie oft ich nur ein Hörer, aber kein Täter seines Wortes war (Matthäus 7, 24 -29). Ich muss immer wieder neu mein Versagen unter das Blut Christi bringen, ich brauche seine Reinigung und Vergebung immer wieder neu. Ich muss zurückgehen in die Arme meines Bräutigams, damit er in mir Frucht bringen kann. Erinnern wir uns, was wir in Kapitel 6 lernten: Es ist für einen Christen möglich, ein Sklave des Teufels zu sein, sich dem Satan als Waffe gegen Gott in die Hand zu geben. Um dies zu vermeiden, müssen wir das Gesetz zu unserem Herzen sprechen lassen. Dies ist Lichtjahre entfernt von jeder Theologie der sündlosen Vollkommenheit! Wenn ich als Christ

Page 188:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

die Zehn Gebote oder die Bergpredigt lese, sollte mich das wieder auf die Knie bringen, damit ich das Blut Christi in Anspruch nehme, seine Vergebung empfange und für Christi vollbrachtes Erlösungswerk danke. Und das sollte noch nicht alles sein, sondern dies ist sozusagen nur der Eingangsflur. Dort auf den Knien muss ich mich neu meinem Heiland ausliefern, damit er das, was das Gesetz fordert, in mir erfüllen kann. Die ganze Hässlichkeit der Sünde kommt mir immer dann zu Bewusstsein, wenn ich das Gesetz wirklich verstehe — ob nun, wenn ich mich Christus zuwende, um gerechtfertigt zu werden, oderspäter in meinem Christenleben. Wir bibeltreuen Christen, die wir an unsere Vergebung glauben und die Gewissheit des ewigen Lebens haben, können ja so abgehärtet und selbstgefällig gegenüber der Sünde werden. Wir vergessen glatt, wie schlimm sie ist, und müssen immer wieder neu aufgerüttelt werden. Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir dann, wenn wir als Christen sündigen, den Lohn der Sünde bekommen werden — den Tod. Nicht so, dass wir erneut verloren gehen, aber wir fangen an, in unserer ganzen Umgebung Tod hervorzubringen. Wir müssen ständig neu — durch ein sensibles Gewissen und das Werk des Heiligen Geistes — an die ganze Scheußlichkeit der Sünde erinnert werden. Es ist möglich, das so wunderbare und schöne »Ein für alle Mal« unserer Erlösung so zu betonen, dass wir vergessen, dass die Erlösung ein fließender Strom ist, zu dem ein ständiger Heiligungsprozess gehört — ein Prozess, der nicht automatisch ist, sondern klare Entscheidungen von uns verlangt. Wenn ich die Zehn Gebote und die Bergpredigt, die Anweisungen des Paulus und das Vorbild Christi studiere, dann erkenne ich, wenn ich mich öffne und den Heiligen Geist zu mir reden lasse, die ganze Sündigkeit der Sünde, und dann flüchte ich mich unter Christi Blut, um mich reinigen zu lassen und mich neu Christus hinzugeben. Dann, und nur dann, kommt die wunderbare Verheißung von Vers 4, dass Christus, mit dem ich als seine Braut verbunden bin, durch mich »Gott Frucht bringt«.

Page 189:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. (7,14)

Das Gesetz ist geistlich. Es dient einem guten Zweck. Wenn ich Jesus als meinen Heiland annehme, werde ich frei vom Gesetz, in dem Sinne, dass es mich nicht mehr bindet (7,1- 4). Es verurteilt mich nicht mehr. Aber es zeigt mir nach wie vor das Wesen Gottes und was es heißt, Gott zu lieben. Wenn ich das Gesetz betrachte, dann merke ich, dass ich »fleischlich« bin und »unter die Sünde verkauft«. Das Problem ist nicht das Gesetz, das Problem bin ich! Ab Vers 15 beschreibt Paulus nun seinen eigenen Kampf mit der Sünde, den er auch als Christ noch hat.

Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. (7,15)

Mit anderen Worten: Ich verstehe nicht, warum ich so handle, wie ich handle.

Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so gebe ich zu, dass das Gesetz gut ist. (7, 16)

Paulus hat gefragt: »Ist das Gesetz Sünde ?« (7, 7) und hat gezeigt, dass das Gesetz gut ist, insbesondere weil es uns unsere Sündhaftigkeit und damit unsere Erlösungsbedürftigkeit vor Augen führt. Jetzt wiederholt Paulus dies aus einem etwas anderen Blickwinkel: Jedes mal, wenn er etwas tut, das nicht recht ist, und dies erkennt, gibt er damit zu, dass ein Gesetz nötig ist.Wie wir sahen, fällen selbst der größte Materialist und der un-verblümteste Atheist gewisse moralische Urteile über andere, und anschließend verstoßen sie selber gegen ihre eigenen moralischen Maßstäbe — und sie wissen, dass sie dies tun (2,1). Sie wissen, dass sie ihr eigenes Gewissen verletzen, sie wissen, dass sie »besser« sein müssten. Hier, in 7,16, sagt Paulus, dass eben diese Erkenntnis, dass wir besser sein müssten, uns zeigt, dass das Gesetz gut und notwendig ist —

Page 190:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

auch wenn es uns verurteilt.Der Mensch ist ein auf Vernunft und Moral angelegtes Wesen. Keiner kann so leben, als sei die Welt völlig amoralisch. Es gibt natürlich Menschen, die so zu leben versuchen, aber letztlich muss jeder eine Art moralischen Maßstab haben. In Vers 16 sagt Paulus: »Selbst wenn jemand behauptet, das Gesetz sei böse, beweist die Tatsache, dass er sich selbst nicht gut genug ist, dass das Gesetz gut ist.« Auch der Ungläubige weiß, dass er nicht begehren sollte. Die Tatsache dieses Wissens und die Tatsache, dass das Gesetz sagt: »Du sollst nicht begehren«, zeigt, dass das Gesetz gut ist. Selbst die Menschen, die heute jegliche absoluten ethischen Gesetze verleugnen, halten die Selbstaufopferung als eine Tugend hoch. Wenn jemand aber etwas als eine Tugend bezeichnet, erkennt er damit an, dass wir absolute ethische Maßstäbe brauchen und dass das Gesetz gut ist. Ein erklärter Bibelgegner sagte mir kürzlich: »Wir müssen den Menschen ein Bewusstsein für Liebe vermitteln.« Jeder Mensch spürt doch, dass es Dinge gibt, die er einfach tun sollte. Und damit ist er verurteilt, denn er weiß, dass er seine eigenen ethischen Ziele nicht erreicht. Die Leute können in den höchsten Tönen von Selbstaufopferung reden, aber ich möchte einmal ein paar Tage bei ihnen zu Besuch sein und sehen, wie aufopfernd sie in Wirklichkeit sind! Keiner von uns kann seine eigenen Maßstäbe wirklich einhalten; sie verurteilen uns so gewiss, wie das Gesetz uns verurteilt.Paulus fährt fort mit der Beschreibung seines persönlichen Kampfes mit der Sünde:

Wenn ich aber das tue, was ich nicht will ... So tue nun nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. (7,16a.-17)

Paulus verharmlost die Sünde nicht. Er sagt nicht: »Nun ja, als Christ sündige ich halt auch mal, aber das ist egal, weil ich es ja eigentlich nicht selber mache.« Nein, er sagt: »Wenn ich andauernd das tue, was ich eigentlich gar nicht will, bin ich wie ein Sklave.« Wenn wir sündigen, werden wir gleichsam Gott und uns selbst entfremdet, so dass wir mit Paulus sagen möchten: »Ich mache das ja gar nicht selber, ich bin ja ein

Page 191:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Sklave der Sünde!« Jemand, der gerade einen Nervenzu-sammenbruch durchmacht, scheint in extremem Maße »nicht er selber« zu sein, aber wir alle fühlen uns manchmal so, vor allem, wo es um unsere guten Vorsätze geht. Selbst die amoralischsten Menschen haben gute Vorsätze, und wenn sie merken, dass sie sie nicht halten können, fühlen sie sich wie Paulus von ihrem Ich getrennt und unter die Sünde versklavt. »So tue nun nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.«Paulus entfaltet dieses Thema weiter.

Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. (7,18a)

Alle Menschen haben gute Vorsätze und Wünsche. Alle tun gerne anderen einmal etwas Gutes. Alle wollen eine bessere Welt. Aber mitall ihren guten Vorsätzen sind sie Sklaven der Sünde. Als Adam sündigte, hörte er nicht auf, das moralische, vernunftbegabte Wesen zu sein, als das Gott ihn erschaffen hatte. Gerade weil der Mensch ein Gewissen hat, ist er ja verurteilt, denn er urteilt über andere, hält aber seine eigenen Maßstäbe selber nicht ein (2,1). Gott schreibt alle seine Urteile auf und hält sie ihm vor. In dem Maße, wie die Menschen Gutes wollen, aber es selber nicht tun, werden sie verurteilt.

Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. (7,18)

Man beachte wieder das »ich«: Paulus selber steht in diesem Kampf. Der Ungläubige hat so zu kämpfen, aber wir Christen eben auch Paulus möchte so gerne das Rechte tun — aber wie?

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. (7,19-20)

Page 192:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Wieder sehen wir Paulus, den Sündensklaven. Es ist der Konflikt, den jeder von uns nur zu gut kennt: der Konflikt zwischen unseren Idealen und unserem realen Ich. Noch der heruntergekommenste Mensch hat seine Ideale, und diese Ideale stehen in Konflikt mit der Realität.

So finde ich nun das Gesetz, dass mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt. (7,21)

Mit »Gesetz« ist hier nicht das Gesetz des Mose gemeint, sondern eine Art Natur- oder Lebensgesetz, etwas, das für alle Menschen gilt. Seit Adams Sündenfall sind wir Menschen so.

Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt [Schlachter: Vernunft] und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. (7,22-23)

Paulus' Kampf gegen die Sünde hat zu einer Spaltung seiner Persönlichkeit geführt. Einerseits hat er »Lust« an Gottes Gesetz, doch andererseits ist »ein anderes Gesetz in meinen Gliedern«, das ständig gegen diese Bejahung des Gesetzes Gottes ankämpft. Durch Christus sind wir vor Gott gerechtfertigt. Sein Wort lehrt, ruft, korrigiert und ermutigt uns. Aber in unserem Leib gehören wir immer noch zu einer gefallenen Welt. Juristisch ist unser Schuldproblem vor Gott gelöst, aber faktisch warten wir noch auf die volle Erlösung, die unser sein wird, wenn Christus wiederkommt. Bis dahin geht unser Kampf mit der Sünde weiter. Dies ist wahrlich eine »Gefangenschaft« unter der Sünde, und Paulus sehnt sich nach Befreiung.

Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe? (7,24)

Unser Problem mit der Sünde ist nicht theoretisch. Paulus' Worte in diesem Vers verankern es in der physischen,

Page 193:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

raumzeitlichen, historischen Welt, in der wir leben: »Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?« [Elberfelder.]Diese Frage beantwortet Paulus mit Worten, die uns mittlerweile vertraut klingen sollten:

Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn! So diene ich nun mit dem Gemüt [Schlachter: Vernunft] dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde. (7, 25)

Die Antwort kann für Paulus nur »durch Jesus Christus, unsern Herrn« gefunden werden. Das Gesetz reicht nicht aus, wir müssen uns der Kraft Christi öffnen. Paulus kommt hier zurück zu dem, was er in 6,11 sagte: »So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus.« Und wieder in 6,23: »Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.« Wie wir gesehen haben, bezieht sich dieser Vers auf ganz besondere Art auf den Punkt in der Vergan-genheit, wo wir Christus annahmen. Aber er gilt auch für unseren täglichen Kampf, für die Realität unseres Christenalltags. Er ist nicht nur in unseren Elfenbeintürmen und Bibelkonferenzen wahr, sondern er gilt mir, wenn ich in die dunklen Straßen von Lausanne hinausgehe. »Ich elender Mensch!« Aber dann: »Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!«In diesem 7. Kapitel haben wir gesehen, wie Paulus mit den gleichen Problemen ringt, mit denen wir jeden Tag ringen. Das Bild, das er malt, spricht nicht davon, dass sündlose Vollkommenheit möglich ist, aber es spricht auch nicht von hoffnungsloser Niederlage, denn wir können, wie Paulus, Gott »durch Christus Jesus, unsern Herrn« danken — ein für alle Mal für unsere Rechtfertigung, aber auch in jedem Augenblick neu auf dem Weg der Heiligung.Wir brauchen die Kraft Christi in unserem Leben, ob für die Rechtfertigung oder die Heiligung, und wir bekommen sie durch den in uns wohnenden Heiligen Geist.Eigentlich sollte nach 7,25 kein neues Kapitel anfangen, denn Paulus' Gedankengang geht ungebrochen weiter. Im 8. Kapitel gibt er uns eine leidenschaftliche Einführung in das Wirken

Page 194:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

des Heiligen Geistes, der uns mit der Kraft des auferstandenen Christus in Verbindung bringt.

11Das Leben im Geist

(8,1-17)Wenn wir uns jetzt den ersten 17 Versen von Römer 8 zuwenden, dann vergessen wir nicht, dass sie den Abschluss von Paulus' Lehre über die Heiligung bilden, die in 5,1 begann. Wir haben im gesamten Römerbrief, vor allem aber in Kapitel 6 und 7 gesehen, dass das Gesetz nicht ausreicht, um uns zu erlösen oder nach unserer Erlösung durch zu tragen. Vor wie nach unserer Bekehrung brauchen wir die Kraft Christi durch das Wirken des Heiligen Geistes, der in uns wohnt. In Kapitel 8 nun stellt Paulus uns diesen Heiligen Geist als den Vermittler der Kraft Christi in unserem Leben genauer vor. Kapitel 7 hat uns gezeigt, dass das Gesetz an sich nicht schlecht, sondern gut ist (7,14), zeigt es uns doch, wie sündig wir sind. Und da wir so sind, wie wir sind (selbst nach unserer Bekehrung), reicht es nicht aus, wenn wir versuchen, aus unserer eigenen Kraft das Gesetz zu halten. Wir sahen, dass der Schlüssel, der diese Heiligungskapitel zusammenhält, das Wort in bzw. durch ist. »Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn« (6,23). Davor hieß es: »So auch ihr, haket dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus« (6,11). Und Kapitel 7 endete mit Paulus

Page 195:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

großem Ausruf: »Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe? Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!« (7,24 25). Wir können diese Verse ganz einfach zusammenfassen: Wir können nur durch die Kraft Jesu Christi ein Leben als Christen führen. Wir brauchen die Kraft des Auferstandenen (7,4). Er ist kein toter Christus, er ist der lebendige, gen Himmel gefahrene, verherrlichte Christus, und nur durch seine Kraft können wir als Christen leben. »Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!« Aber was bedeutet denn das alles? Wenn Paulus sagt: »Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn«, sollen wir nur irgendwie an Christus denken oder versuchen, seinem Beispiel zu folgen? Nein, dies geht viel tiefer, denn die Kraft Jesu Christi ist uns zugänglich durch

das Wirken der in uns wohnenden dritten Person der Dreiei-nigkeit, des Heiligen Geistes. Wie wir sahen, ist dies die wahre christliche Mystik. In Kapitel 6 haben wir gelernt, dass wir uns selber sterben müssen, aber danach im Glauben in diesem Alltagsleben so leben sollen, als seien wir bereits von den Toten auferweckt. Dies ist Mystik der allerhöchsten Art. Sie leugnet nicht die Realität der gegenwärtigen Welt, sie betrachtet die Geschichte nicht wie der Hinduismus als bloßen Traum Gottes. Sie ist auch nicht wie manche Kloster-bewegungen, die der gegenwärtigen Welt zwar Realität, aber keinen großen Wert beimessen. Anders als diese so genannten Mystiken bedeutet wahre christliche Mystik, dass ich in diesem Leben, in dieser ganz realen Welt die heilige Berufung habe, das verherrlichte Geschöpf zu sein. Sie bedeutet, dass ich durch den Glauben allem dem Guten wie dem Bösen — in mir sterben, aber dann in meinem auferstandenen Leib, als sei ich bereits körperlich von den Toten auferweckt, zurück in diese gegenwärtige Welt treten soll, um in der Kraft des in mir wohnenden Geistes zu dienen. Kapitel 7 hat diesen Gedanken weiter entwickelt: Ich muss mich Christus als meinem Bräutigam hingeben und diesen verherrlichten, lebendigen Christus durch mich Frucht für Gott bringen lassen. Wie wird man zu diesem verherrlichten Geschöpf? Wir können uns dies als eine Folge von drei Schritten vorstellen.

Page 196:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Zum ersten Schritt, den wir in Kap. 6 behandelten, gehört, dass wir uns vorstellen, wir seien, wie Paulus, zu Gott in den »dritten Himmel« gegangen. Wenn wir die wunderbare Reinheit und Schönheit des Himmels gesehen haben, wie armselig muss uns anschließend diese Welt erscheinen!

Der zweite Schritt, dem wir uns in Kapitel 7 zuwandten, geht viel weiter als dieser erste Schritt. Wir müssen — nicht nur als Gedankenexperiment, sondern ganz real — bereit sein, allen Dingen zu sterben, auch denen, die an sich gut zu sein scheinen, damit wir Gott leben und Gemeinschaft mit ihm haben und dann gleichsam in einem Auferstehungsleib zurück in diese raumzeitliche historische Welt treten können. Den dritten Schritt haben wir bereits zum Teil berührt: Wir müssen erkennen, dass wir all dies nicht in unserer eigenen Kraft zu tun brauchen. Kapitel 7 zeigt dies in dem Bild des Bräutigams Christus, dessen Braut wir sind (7,4). Es ist die Kraft und das Wirken des auferstandenen Christus, das die Frucht in uns hervorbringt. Und jetzt, in Kapitel 8, werden wir sehen, dass das Mittel, das große »Wie«, wodurch dies geschieht, der in uns wohnende Heilige Geist ist. »Durch Jesus Christus, unsern Herrn« (6,11.23; 7,25) werden wir das verherrlichte Geschöpf, und dies geschieht »durch den Geist« (8,13). Sie kennen sicher den großen apostolischen Segen: »Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen« (2.Kor 13,13). Nur zu oft werden diese Worte am Ende eines Gottesdienstes heruntergerasselt, als allgemeines Aufbruchsignal. Aber sie sind von großer Tiefe und sollten stets mit großer Andacht ausgesprochen werden: »Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes ...« Die Franzosen übersetzen: »... die Kommunikation des Heiligen Geistes ...« Es muss im Hier und Jetzt eine Gemeinschaft, eine Kommunikation zwischen dem Heiligen Geist und dem einzelnen Christen geben, und diese Gemeinschaft beinhaltet in gewissem Sinne die gesamte Trinität. Der Geist ist sozusagen der Kanal der Dreieinigkeit zu uns Menschen. Wenn ich in meinem Alltag meine hohe Berufung als Christ erfüllen

Page 197:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

soll, brauche ich eine Kraft, die größer ist als meine eigene. Ich brauche die Kraft Christi. Und wie bekomme ich sie? Es reicht nicht, sich vorzustellen, dass man sie hat. Es reicht auch nicht, den zweiten Schritt zu tun und sich als tot für die Sünde und lebendig für Christus zu betrachten. Nein, die Kraft Christi muss mir vermittelt werden, und dies geschieht durch den Heiligen Geist, der in mir wohnt. Um Paulus' Ausruf in 6,2 zu benutzen: »Das sei ferne«, dass wir diese Dinge als kalte theologische Wahrheiten abhandeln. Wir finden hier einen tiefen Ruf an unsere ganze Person — an unseren Willen, unser Denken, unsere Gefühle. Durch den Heiligen Geist kommt es zum Kontakt zwischen der ganzen Dreieinigkeit und dem ganzen Menschen. Als moral- und vernunftbegabte Wesen, als Wesen, die denken und handeln und fühlen, sollen wir die Realität des in uns wohnenden Geistes in unseren Gedanken, Taten und Gefühlen erleben. Der Heilige Geist wohnt in uns, und er ist eine Person. Er ist der heiße Draht, das Kommunikationsmittel zwischen der ganzen Trinität und dem ganzen Menschen.

Jetzt beginnt dieses »durch Jesus Christus, unsern Herrn« sich mit Bedeutung zu füllen. Sehen Sie, wie meilenweit dies entfernt ist von dem verbreiteten theologischen Trend, alles und jedes zu bloßen Ideen und Abstraktionen zu machen? Oder von dem neuen Transzendentalismus, der nur Mythen und Unhistorisches kennt? Der Heilige Geist wohnt in uns! Er ist der Vermittler in unserer gegenwärtigen raum-zeitlich-historischen Beziehung zu Gott. »Wo ist dein christlicher Charakter?« Wir müssen eine solche Frage zurückweisen. Unsere Kraft als Christen liegt nicht in unserer christlichen Wesensart, sondern in der Macht des gekreuzigten, auferstandenen, aufgefahrenen, verherrlichten, lebendigen Christus. Und wie ergreifen wir diese Macht? Sollen wir nur fest an sie denken? Nein! Der Heilige Geist wohnt in uns, und er ist der Kanal, der uns in Verbindung mit der Dreieinigkeit bringt. Durch den in uns wohnenden Heiligen Geist wird unsere Beziehung zu Christus, wie Paulus sie beschreibt, eine herrliche Realität: »Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet durch den Leib Christi, so dass ihr einem

Page 198:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

andern angehört, nämlich dem, der von den Toten auferweckt ist, damit wir Gott Frucht bringen« (7,4). Der Geist in uns ist unser Berührungspunkt mit dem auferstandenen Christus. Paulus hat uns gezeigt, dass wir diese Kraft Christi brauchen, um Frucht für Gott bringen zu können. Jetzt, in Kapitel 8, stellt er uns den Vermittler dieser Kraft vor, den in uns wohnenden Geist.Kurz vor seiner Himmelfahrt sagte Jesus: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden« (Matthäus 28,18). Und er sagte auch: »Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist« (Apostelgeschichte 1,8). Uns ist die Kraft des auferstandenen Christus durch die Vermittlung des Heiligen Geistes verheißen. Die Urgemeinde musste auf das Kommen des Geistes warten (Apostelgeschichte 1,8), weil dieser sie mit der Macht des Auferstandenen verbinden würde. Wir haben diese Macht nicht in uns selber. Am Pfingsttag wurde die Kirche nicht zur Superkirche, und auch der einzelne Christ ist in sich selber nichts Besonderes. Die Kraft ist immer die Macht des auferstandenen Christus. Wenn ich ihn als meinen Heiland angenommen habe, darf ich mich jeden Augenblick neu an diese Kraft anschließen. Ich weiß, dass Christus auf Golgatha die Macht des Todes besiegt und meine Seele erlöst hat und dass er mir eines Tages die Tür des Himmels öffnen wird, und so darf ich auch in jedem Augenblick im Glauben seine Auferstehungskraft in meinem Alltagsleben spüren. Dieses 8. Kapitel, das so eingehend den Heiligen Geist behandelt, macht auch sehr klar, dass wir noch keineswegs vollkommen sind. Der Tag der endgültigen Erlösung ist noch in der Zukunft, aber das ändert nichts daran, dass wir dazu berufen sind, schon in diesem gegenwärtigen Leben im Glauben teilzuhaben an der Realität der Macht des gekreuzigten, auferstandenen, siegreichen Christus. Gesetz, Leben und Tod waren Schlüsselwörter in diesem Abschnitt über die Heiligung. In Kapitel 8 wird Paulus alle drei weiter betonen.

So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht

Page 199:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

von dem Gesetz der Sünde und des Todes. (8,1-2)

Wenn wir Christus als unseren Erlöser angenommen haben, droht uns keine ewige Verdammnis mehr. Dieser erste Vers des 8. Kapitels sollte uns an 5,1 erinnern, wo Paulus das Thema der Heiligung begann: »Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus.« Hier in 8,1 sagt er im Grunde das Gleiche, und in Vers 18-39 wird er zu diesem großen Thema zurückkehren: Das ewige Leben ist wirklich ewig. Wenn wir Jesus als unseren Heiland angenommen haben, ist unsere Verdammnis für immer weg.

Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. (8, 2)

Wir haben gerade Paulus' Frage gehört: »Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?« (7,24). Hier kommt die Antwort: »Das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus« hat mich ein für alle Mal »frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.« Weil ich Jesus als meinen Erlöser angenommen habe, ist meine Verdammnis vorbei. Ich bin für immer frei vom Gesetz der Sünde und des Todes.Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, ... (8,3)

Das Gesetz ist gut (7,14), aber es gibt etwas, was es nicht tun kann: Es kann mich nicht erlösen. Warum? Weil »es durch das Fleisch geschwächt war«. Das Gesetz an sich ist in Ordnung, aber es ist durch mein und Ihr sündiges Wesen geschwächt. Wir können es nicht halten. Und so sandte Gott »seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch«. Wir konnten das Gesetz nicht halten, aber Christus hielt es. »Er sandte seinen eigenen Sohn in einem Leibe gleich dem

Page 200:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

der sündigen Menschennatur als Sündopfer und verurteilte so die Sünde im Fleische«. Mit dieser Betonung, dass Christus die Sünde »im Fleisch« verurteilte, erinnert Paulus uns erneut daran, dass er über unser gegenwärtiges Leben in unseren irdischen Leibern redet. Er redet von der real existierenden Welt und realen Menschen wie Ihnen und mir.

Er sandte seinen Sohn ... und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist. (8, 3b- 4)

Wir sind nicht nur erlöst, damit wir in den Himmel kommen, sondern auch, damit »die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit in uns erfüllt würde«. Es gab etwas, das wir Menschen nicht tun konnten (Vers 3a), und so sandte Gott seinen eigenen Sohn als Mensch in die Welt, um es an unserer Stelle zu tun (Vers 3b). Vers 4 sagt ganz exakt, was dies war: »damit die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit in uns erfüllt würde«. Wir sind erlöst, um in den Himmel zu kommen, aber auch, um das Gesetz zu halten — etwas, das uns in unserer eigenen Kraft unmöglich war und ist, aber das wir jetzt durch die Kraft Christi und mit der Hilfe des in uns wohnenden Geistes können. Gott erlöste uns, damit wir einst für immer bei ihm im Himmel sind, aber auch, damit wir jetzt schon »in einem neuen Leben wandeln« (6,4), »Gott Frucht bringen« (7,4) und »damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde« (8, 4). All dies können wir nicht aus unserer eigenen Kraft tun, aber durch Christus und seinen Geist in uns.

... die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist. (8,4 b)

Diese zweite Hälfte von Vers 4 betont, dass zur Heiligung eine bewusste Mitwirkung von uns gehört. Die Erlösung und die Gabe des Heiligen Geistes geschehen ein für alle Mal (Vers 1- 4a), aber wenn die Erlösung eine Realität in meinem

Page 201:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Alltagsleben haben soll, muss ich mir auch Gedanken machen, wie ich nach dem Geist lebe (Vers 4b). Wir haben immer wieder gesehen, dass die Bibel uns nicht als Maschinen betrachtet. Unser Leben zählt, wir können uns entscheiden. Wir brauchen den Heiligen Geist in uns, aber er wirkt nicht automatisch; Heiligung ist auch eine bewusste Wahl. Der Geist wohnt in uns, und das ist wunderbar, aber jetzt sind wir aufgerufen, auch nach dem Geist zu leben.

... die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist. Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht. (8, 4b- 7)

Eine neuere Übersetzung ist: »... die wir nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist leben. Denn alle, die vom Fleisch bestimmt sind, trachten nach dem, was dem Fleisch entspricht, alle, die vom Geist bestimmt sind, nach dem, was dem Geist entspricht. Das Trachten des Fleisches führt zum Tod, das Trachten des Geistes aber zu Leben und Frieden«. Wir alle »trachten« ständig nach etwas, und dieses Trachten kommt entweder vom Fleisch oder vom Heiligen Geist. Es gibt nichts Neutrales in unserer Beziehung zu Gott.

Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt. (8, 8 -11)

Page 202:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

»Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.« Wenn Sie Christus als Ihren Erlöser angenommen haben, wohnt für immer der Heilige Geist in Ihnen. Es ist schlicht unmöglich, Christus als Heiland angenommen zu haben und nicht den Heiligen Geist zu haben, den Paulus hier »Christi Geist« nennt (vgl. Philipper 1.19; 1. Petrus 1.11). Wir brauchen die Kraft Christi, und wir bekommen sie durch den Heiligen Geist. »Wenn aber Christus in euch ist ...« (Vers 1o). Und wie ist er in uns? Durch »Christi Geist« (Vers 9). Paulus beschreibt den Heiligen Geist als von Christus, aber auch von Gott dem Vater ausgehend. In Vers 9 nennt er ihn »Christi Geist«,in Vers 2 »der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat«, womit natürlich Gott der Vater gemeint ist. Es ist interessant, Paulus' Trinitätsverständnis zu vergleichen mit der Art, wie Christus selber von seiner Beziehung zum Vater und zum Geist spricht. In Johannes 14,23 sagt Jesus, dass er selber und der Vater zu dem Menschen, der sie liebt, »kommen« und »Wohnung bei ihm nehmen« werden. Aber ein paar Verse vorher sagt er: »Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit« (Johannes 14,16). Dieser Tröster ist natürlich Gott der Heilige Geist, und Jesus sagt über ihn: »... er bleibt bei euch und wird in euch sein« (Johannes 14,17). Darauf verheißt er schließlich: »Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch« (Johannes 14,18). Wie werden Gott der Vater und Gott der Sohn zu uns »kommen« und bei uns »Wohnung nehmen«? In der Person des Trösters, des Heiligen Geistes (Johannes 14,16-18). Es ist eine Einheit im Wirken der drei Personen der Trinität. Paulus betont diese Einheit der Gottheit, und wir müssen dies sehen, wenn wir Römer 8 lesen. »... so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen ...« (Römer 8,11). Wieder die Betonung des Leibes. Wir finden sie wieder in Vers 13: »... wenn ihr aber durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet ...«. Unsere Erlösung ist nicht ein transzendentes Etwas im Wolkenkuckucksheim der Ideen, sie hat mit unserer ganzen Person zu tun. So wie unsere künftige

Page 203:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Erlösung die volle Befreiung und Auferweckung des Leibes bringen wird, so hat auch unsere gegenwärtige Erlösung mit unserem Körper zu tun. Sie ist der genaue Gegensatz zu der bloßen Transzendenzbetonung, die wir so oft in der modernen Theologie finden. Vers 12 knüpft an die Pointe von Vers 4 an: »... die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist.«

So sind wir nun, liebe Brüder, nicht dem Fleisch schuldig, dass wir nach dem Fleisch leben. (8,12)

In Vers 5-11 hat Paulus uns daran erinnert, dass unsere Erlösung absolut ist. Ein für alle Mal sind wir wiedergeboren und haben den Heiligen Geist bekommen. Dies aber heißt, dass wir »nicht dem Fleisch schuldig (sind), dass wir nach dem Fleisch leben.« Wir sollten uns nicht verpflichtet fühlen, nach dem Fleisch zu leben, sondern unser Leben auf einem anderen Fundament aufbauen: auf dem Fundament des in uns wohnenden Heiligen Geistes; auf dem Fundament der Verhei-ßung des Vaters und des Sohnes: »... wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen« (Johannes 14,23); auf dem Fundament der Tatsache, dass Jesus uns nicht als Waisen zurückgelassen hat (Johannes 14,18). Angesichts dieses Fundamentes, so Paulus, sollte uns doch klar sein, dass wir keinerlei Verpflichtung mehr haben, nach dem Fleisch zu leben. So wunderbar es ist, dass der Heilige Geist in uns wohnt, unsere bewusste Antwort darauf ist gefragt. Wenn wir Leute werden wollen, die in diesem Leben Gottes Gesetz halten, müssen wir darangehen, ganz bewusst unseren Lebenswandel im Geist zu führen. »So sind wir nun, liebe Brüder, nicht dem Fleisch schuldig, dass wir nach dem Fleisch leben.« Mit anderen Worten: »Nach all dem, was ich euch über eure Erlösung ins Gedächtnis gerufen habe (Vers 5-11), solltet ihr danach trachten, nach dem Geist zu leben und nicht nach dem Fleisch.« In den folgenden drei Versen unterstreicht Paulus sein »So« von Vers 12 dreimal mit einem »Denn«:

Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr

Page 204:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches [Elberfelder.: Leibes] tötet, so werdet ihr leben. (8,13)

Das Wort durch (bzw. in) ist uns schon mehrere Male begegnet, zuerst in 6,11, wo wir hörten, dass »ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus«. Jetzt, in 8,13, sehen wir, dass der Heilige Geist das Mittel ist, durch das wir die bösen Taten des Fleisches loswerden und das Leben des auferstandenen Christus erfahren können. Wir können dies durch den Geist, nicht durch unsere eigene Kraft.

Dann das nächste »Denn«:

Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. (8,14)

Wer sind die Söhne und Töchter Gottes? All jene, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, all die, die »nach dem Geist leben« (Vers 4). Der Ruf ist immer der Gleiche. Wir sollen in Christus bleiben, so wie die Reben am Weinstock bleiben. Es muss Frucht geben im Leben des Christen, und wenn es keine Frucht gibt, keinerlei Anzeichen, dass wir am Weinstock bleiben, dann könnte es sein, dass unser Glaube nicht echt ist. Es ist sehr schön, mit dem Apostel Johannes zu sagen: »Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden« (Johannes 1,12). Das ist eine große Wahrheit. An dem Tag, wo wir Jesus als unseren Erlöser annahmen, wurden wir — o Wunder aller Wunder — Kinder Gottes! Aber wenn wir wirklich Gottes Kinder wurden, zog in diesem Augenblick der Heilige Geist in uns ein, und wenn der Heilige Geist in uns wohnt, muss sich das in unserem Leben zeigen. »Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln« (Galater 5, 25). Unser bewusster Einsatz ist gefragt; wir sollen uns vom Heiligen Geist »treiben« [Elberfelder.: »leiten«] lassen (Römer 8,14), wir sollen den Geist nicht »betrüben« (Epheser 4,3o) und nicht »dämpfen« (1.Thessalonicher 5,19; [Elberfelder.: »auslöschen«]). Paulus hat uns das Wunder des Werkes des Geistes gezeigt, der uns hilft, das Gesetz zu halten, aber genauso deutlich zeigt er uns, dass wir hier bewusst

Page 205:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

mitmachen müssen: Wir müssen »nach dem Geist leben« (8,4), uns vom Geist leiten lassen. Die ersten beiden »Denn«-Sätze des Paulus waren Ermahnungen. Das dritte »Denn« ist ein Wort des Trostes und der Ermutigung:

Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! (8,15)

Wir haben den Heiligen Geist empfangen und sollen uns von ihm leiten lassen, und wenn wir wirklich erlöst sind, sollte in unserem Leben etwas von diesem Geist zu spüren sein. Aber Paulus sagt dies nicht, damit wir uns in Sorgen und Angst winden, uns grübelnd auf die Brust schlagen und fragen: »Bin ich wirklich ein Christ?« Wir werden sehen, dass der Rest dieses Kapitels ein einziger großer Sieges- und Gewissheitsruf ist. Wenn der Heilige Geist in Ihnen wohnt, sollten Sie nach ihm leben und sich von ihm leiten lassen. Aber mit diesen Ermahnungen verquickt ist die gewaltige Gewissheit, dass, wenn wir Christus als Heiland angenommen und den Heiligen Geist bekommen haben, Gott unser Vater ist, der uns liebt und für uns sorgt. Das Wort »Vater« in diesem Vers ist die Übersetzung des griechischen Wortes für »Vater«, »Abba« ist das aramäische Wort. Zwischen diesen beiden Wörtern besteht ein sehr wichtiger und kostbarer Unterschied. Das griechische »Vater« kann wie unser deutsches »Vater« benutzt werden, mit strengen oder mit zärtlichen Obertönen. Aber das aramäische Abba entspricht etwa unserem »Papa«. Wohl jede Sprache hat ein solch zärtliches Wort für »Vater«. Nach seinem energischen Aufruf zum Ausleben unseres Glaubens im Alltag will Paulus nun unser Herz stillen. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, aber ich brauche diese Ermutigung. Man muss ein Herz aus Gussstahl haben, um nach diesem Ruf, sich vom Geist leiten zu lassen und nach dem Geist zu leben, kein Wort der Aufmunterung zu brauchen. Es ist ein herrlicher Ruf, aber er kann uns auch entmutigen, wenn wir sehen, wie sehr wir versagen. Wenn dies geschieht, brauchen wir eine

Page 206:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Ermutigung, und Paulus gibt sie uns. Wenn wir Christus als unseren Heiland angenommen haben, dürfen wir Gott, den Vater und Schöpfer, den, gegen den wir gesündigt haben, »Papa« nennen! Paulus hat den absoluten Abgrund zwischen Gerettet-werden und Verlorengehen aufgezeigt. Er hat uns daran erinnert, wie wichtig es ist, zu erkennen, dass der Heilige Geist in uns wohnt, und jeden Augenblick in ihm zu leben. Wie wunderbar! Aber wenn wir, wenn wir all dies betrachten, den Mut verlieren wollen, wie zärtlich ist dann Gott! Wie sanft nimmt er uns in die Arme und sagt: »Verstehst du denn nicht, dass ich dir damit nicht Angst machen und dein Herz brechen und dich zu Boden drücken will? Im Gegenteil: Ich will dir zeigen, dass ich zu dir gekommen bin und dass ich dein Papa bin.« Paulus will uns zeigen, wie wunderbar und herrlich es ist, den Heiligen Geist zu haben. Er will, dass wir uns prüfen, ob wir nach dieser höchsten aller Berufungen, dieser größten aller Aufgaben leben oder nicht. Aber gleichzeitig will er uns den größtmöglichen Trost geben. Denn der transzendente Gott des Universums ist der, der in der Stille der Nacht oder wenn ich in den Dreck gefallen bin, meine Hand nimmt und mich einlädt, ihn »Papa« zu nennen. Diese wunderbare Zusicherung leitet zum Rest des Kapitels über, wo Paulus zunächst über unsere kommende Herrlichkeit sprechen wird (8,18-25) und danach über die Gewissheit, dass wir, wenn wir einmal Christus als unseren Erlöser angenommen haben, auf ewig gerettet sind und nie mehr verloren gehen können (8,26-39). Schon hier in Vers 15 scheint er dies im Blick zu haben. Sind wir gefallen? Liegt unser Leben in Scherben? Gott wartet nur darauf, uns wieder auf die Füße zu stellen. Dies mindert nicht den Aufruf, Tag für Tag teilzuhaben an Christi Sieg über die Sünde, aber Gott öffnet seine Liebesarme für uns. Ich glaube, jeder von uns hat es als Kind erlebt, wie er, wenn er hingefallen war, von seinem Vater aufgehoben und zurück auf die Füße gestellt wurde. Es ist mit vielen lieben Erinnerungen verbunden, das Wort Papa. Und wer ist es, den wir so »Papa« nennen dürfen? Der Schöpfer des Universums, der Vater in der Dreieinigkeit.

Page 207:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. (8,16)

Als Christen haben wir eine mindestens dreifache Gewissheit, dass wir wirklich Gottes Kinder sind. Die erste Gewissheit ist die absolute, die sich auf Gottes Verheißungen in der Schrift gründet, wie z. B.: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben« (Johannes 3,36). An jenem wunderbaren Tag, als wir Jesus annahmen, bekamen wir sofort diese hell leuchtende Zusage des unendlichen Gottes, der nicht lügen kann: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.« Unsere zweite Gewissheit, dass wir Kinder Gottes sind, ist die Frucht, die es in unserem Leben geben sollte. Wir sollten zumindest etwas Frucht und etwas Wirken des Geistes sehen. Die dritte Gewissheit ist die, die wir in Vers 16 finden. Sie ist so tief wie die tiefste Quelle aus dem Herzen der Erde, tief und wunderbar: Gottes Geist selber bezeugt unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Wir können »Abba, lieber Vater!« rufen (Vers 15), weil der Geist uns versichert, »dass wir Gottes Kinder sind« (Vers 16). Was ist diese große Gewissheit? Sie kommt nicht von außen, aus einer Verheißung. Auch nicht aus der Frucht, die wir als Christen bringen. Sie besteht darin, dass in uns, die wir Jesus als unseren Heiland angenommen haben, irgendwo ganz tief drinnen — und manchmal ist das so wunderbar wie das weite Meer — das Zeugnis des Heiligen Geistes an unseren Geist ist, dass wir Kinder Gottes sind. Wenn wir zerbrochen sind, wenn wir in Sünde gefallen sind, wenn unser Feind, der Satan, uns wieder geschlagen hat, ist diese dritte Gewissheit manchmal nur noch sehr schwach, und dann können wir uns an den großen objektiven Verheißungen festhalten, jenen dicken Nägeln in der Wand, die unsere erste Gewissheit bilden — den Verheißungen der Schrift, dass wir dann, wenn wir Jesus als Heiland angenommen haben, Gottes Kinder sind: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.« Dies ist immer einer meiner Lieblingsverse gewesen. Manchmal vergleiche ich ihn mit einem Schiffsmasten, an den ich mich anbinden kann. Wenn die Brecher über das Deck

Page 208:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

fegen und an mir reißen, kann ich mich an diesen Vers halten und sagen: »Ja, Satan, ich bin wieder gefallen, aber ich habe Gottes feierliche Verheißung. Sie gründet sich auf seine ewige Gerechtigkeit, auf das Feuer seiner Heiligkeit, so dass er nicht lügen kann. Aufgrund dessen, was Jesus Christus getan hat, habe ich diese felsenfeste Gewissheit: >Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.< Ich glaube, und darum habe ich ewiges Leben, und diese Gewissheit kannst du mir nicht nehmen!« Aber dann gibt es auch jene innigeren Augenblicke, wo ich diese dritte Gewissheit spüre, wo ich durch das innere Zeugnis des Heiligen Geistes weiß, dass ich Gottes Kind bin.

Verachten wir keine dieser drei Gewissheiten. Jede hat ihren Ort, und wir sollten in unserem Leben von Gewissheit zu Gewissheit gehen. Wir gehen selber von Gewissheit zu Gewissheit, und wir helfen einander, uns an diesen drei Gewissheiten festzuhalten. Denn wir haben »einen Geist der Kindschaft empfangen, in welchem wir rufen: Abba, Vater! Dieser Geist gibt Zeugnis unsrem Geist, dass wir Gottes Kinder sind«.

Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden. (8,17)

Hier sehen wir wieder die Dreieinigkeit: Gott der Vater ist unser Vater, der Heilige Geist wohnt in uns (Vers 16), und wir sind Miterben mit Jesus Christus. Die gesamte Trinität versichert uns unserer Erlösung. Paulus wird diese ersten acht Kapitel damit beschließen, dass er uns zeigt, dass wir, wenn wir einmal gerettet sind, für immer gerettet sind (8,26-39), und wir werden in diesen Versen sehen, dass diese Gewissheit in dem Werk der ganzen Dreieinigkeit gründet. Hier, in Vers 17, stellt Paulus uns diese wunderbare Wahrheit vor. Vater, Sohn und Heiliger Geist versichern uns, dass wir die »Miterben Christi« des ewigen Lebens sind.

Page 209:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

... wenn wir denn mit ihm leiden, ... (8,17b)

Es ist etwas Wunderbares, sagen zu können, dass ich ein Miterbe Christi bin. Es ist wunderbar, sich so mit Christus identifizieren zu können. In Epheser 2,6 sagt Paulus uns, dass wir in Gottes Augen jetzt schon mit Christus im Himmel sind. Wir könnten lange damit zubringen, das Wunder unserer Identifikation mit Christus schon in unserem irdischen Leben auszuloten. Aber noch sind wir ja nicht in der Herrlichkeit, sondern mitten in einer Welt, die Gott hasst, in der Welt, die Christus gekreuzigt hat, und wenn ich über das Wunder des Eins-seins mit Jesus Christus rede, muss ich auch sehen, was dies in dieser so christusfeindlichen Welt bedeutet.In unserer Generation sind alle möglichen Menschen von Jesus begeistert — aber sie meinen nicht den Christus der Bibel. Der orthodoxe Jude oder der Moslem sagt vielleicht, dass Jesus ein guter Mensch war. Überall kann man Lobeshymnen über einen gewissen Jesus hören, aber es ist nicht der Jesus Christus der Bibel. Wenn ich nämlich die Bibel lese, was finde ich dort? Dass die Welt Christus tötete! Unsere Identifikation mit Christus in diesem irdischen Leben bedeutet die Identifikation mit dem Christus, den die Welt nicht annehmen will. Seien wir mutig, wenn wir Christi Ankündigung lesen, was die Welt mit ihm machen würde (Matthäus 16,21-24). Seien wir noch mutiger, wenn wir seine Worte lesen, dass »der Jünger nicht über dem Meister (steht)« (Matthäus 10,16-24), dass die Welt also mit uns womöglich das Gleiche machen wird. Man kann sehr romantisch und idealistisch darüber reden, dass wir Miterben Christi sind, wenn man dabei nur an die gegenwärtige Freude und künftige Herrlichkeit denkt. Es ist falsch, Menschen zu Christus zu rufen und ihnen das Wunder des Eins-seins mit Christus vorzumalen, ohne ihnen zu sagen, dass dieses Eins-sein auch Leiden in dieser bösen Welt bedeutet. Wir sollten dies nicht mit Leichenbittermiene tun, auch nicht vom Martyrium schwärmen, aber wir müssen realistisch sein. Jesus forderte seine künftigen Jünger auf, die Kosten zu überschlagen. Ein Mann, der einen Turm bauen will, muss zuerst einen Kostenvoranschlag machen (Lukas 14,27-30), und ein König zieht nicht in den Krieg, ohne vorher zu prüfen, ob er ihn wohl gewinnen kann (Lukas 14,31-33). Das

Page 210:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Wort Gottes ist nichts für romantischeSchwärmer. »Überschlage die Kosten.«

... wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden. Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. (8,17b-18)

Jawohl, sich mit Christus identifizieren heißt auch, mit ihm leiden. Sollte ich es dann lieber sein lassen mit dem Glauben? Wenn ich mir die jungen — und auch älteren — Menschen ansehe, die durch unsere Arbeit Christus als ihren Erlöser angenommen haben, bin ich immer dankbar, aber ich weiß auch, dass es, da die meisten von ihnen aus nichtchristlichen Familien kommen, Verfolgung geben wird. Es ist wunderbar zu erleben, wie sie kommen und Christus annehmen, aber in vielen Fällen wird die Bekehrung die Familie spalten. Ich kenne ein jüdisches Mädchen in London, das wegen seines Glaubens an Christus aus dem Elternhaus hinausgeworfen wurde. Seine Bücher, einschließlich der Bibel, wurden verbrannt, das Bankkonto gesperrt. Meinen Sie, so etwas lässt mich kalt? Meinen Sie, wir sollten ein Herz aus Stein haben, ohne jedes Erbarmen für die, die in den Kampf eintreten? Es ist wunderbar zu sehen, wie diese Menschen wie ein Brandscheit aus dem Feuer gerettet werden (Sacharia 3,2; vgl. Judas 23), aber müssen wir hier nicht innehalten und uns vor Augen führen, dass es Krieg bedeutet, wenn jemand im Ernst Jesus als seinen Heiland annimmt? Muss uns nicht klar sein, dass er sich damit die Welt zum Feind macht und dass es Leiden bedeutet, wenn wir wirklich in der Kraft des Geistes leben? Wie können wir es dann noch wagen, Menschen zu Jesus einzuladen? Nun, erstens, weil dies die Wahrheit ist. Es ist die Wahrheit des Universums. Gott existiert. Und zweitens laden wir Menschen zu Christus ein, weil sie ohne ihn verloren sind. Ich habe oft den Eindruck, dass die neoorthodoxen und modernistischen Bibellehrer unserer Tage so ziemlich jeden christlichen Begriff umgebogen und verfälscht haben, aber als ich einmal das Gebet eines jungen Mannes hörte, da merkte

Page 211:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

ich, dass es mindestens zwei Wörter gibt, die man nicht fälschen kann, und dies sind die Wörter verloren und Hölle. Wie können wir es also wagen, Menschen aufzurufen, Jesus als ihren Heiland anzunehmen, wenn wir wissen, dass dies Krieg und oft Leiden bedeutet, entzweite Familien und Trennung von der ganzen Mentalität des 20. Jahrhunderts? Erstens, weil es um die Wahrheit geht, und zweitens, weil die Menschen, wenn sie Jesus nicht annehmen, auf ewig verloren sind. Darum, und nur darum, lohnt es sich, Menschen zu Jesus zu rufen. Wir dürfen das Evangelium verkündigen, weil es wahr ist. Wir dürfen es verkündigen, weil die Menschen ohne es verloren sind. Und drittens dürfen wir es verkündigen, weil wir um das herrliche Ende der Geschichte wissen:... wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden. Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. (8, 17b- 18)Alles Leiden wiegt nichts gegenüber der Wahrheit. Alles Leiden wiegt nichts gegenüber der Verlorenheit der Verlorenen. Alles Leiden wiegt nichts gegenüber der kommenden Herrlichkeit unserer Erlösung. Zu dieser Herrlichkeit kommt Paulus jetzt.

Wir erinnern uns: Bei Römer 1,16-17 sahen wir, dass die Erlösung, von der Paulus spricht, nicht nur Rechtfertigung ist. Sie ist Rechtfertigung (1,18 - 4,25), sie ist Heiligung (5,1- 8,17) und sie ist das, wozu wir jetzt kommen: die künftige Herrlichkeit (8,18-39). Bringt die Erlösung Leiden mit sich? Ja, sie bringt Leiden. Auch Tränen? Ja, auch Tränen. Kostet sie etwas? Ja, sie kostet etwas. »Miterbe Christi« sein bedeutet, sich mit ihm in seinem Leiden zu identifizieren. Aber die Leiden dieses irdischen Lebens »fallen nicht ins Gewicht« gegenüber der Herrlichkeit, die auf uns wartet [Menge: sind »nicht wert«, mit ihr »verglichen zu werden«]. »Fallen nicht ins Gewicht« — das ist wie ein Lied, wie ein Siegesruf, wie eine Trompetenfanfare. Es ist der Ruf in den Kampf und in die Herrlichkeit: »Fallen nicht ins Gewicht« — bloße Staubkörner auf der Waage.

Page 212:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Wir sollten weinen für uns selbst und noch mehr für die, die durch unser Zeugnis Jesus annehmen, wenn wir sehen, wie sie von ihren Familien oder von dem ganzen 20. Jahrhundert, in dem wir leben, verstoßen werden. Ja, es muss Tränen geben. Doch all die Tränen »fallen nicht ins Gewicht gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.« Wann wird diese Herrlichkeit offenbart werden? Wenn Christus wiederkommt. Im 2.Thessalonicherbrief spricht Paulus davon: »Darum rühmen wir uns euer unter den Gemeinden Gottes wegen eurer Geduld und eures Glaubens in allen Verfolgungen und Bedrängnissen, die ihr erduldet ...« (2.Thessalonicher 1,4). Wenn Sie heute Thessalonike (Saloniki) besuchen und zum Olympmassiv hochschauen, sehen Sie vor sich den See und einen weißen Turm. Von dieser Stelle aus wurden in der großen Verfolgung unter Kaiser Nero viele der Christen, an die Paulus schrieb, in ihren Tod geführt. Das ist es, was er hier meint. Es muss schrecklich für ihn gewesen sein, den Menschen in Thessalonich zu predigen und dann zu erleben, wie sie verbrannt und den Löwen vorgeworfen wurden. Soweit wir wissen, war Martin Luther nur einmal versucht, seine Reformationslehre aufzugeben, und das war, als die protestantischen Märtyrer auf dem alten Marktplatz vor dem Rathaus von Brüssel verbrannt wurden. Als Luther hörte, dass man sie wegen seiner Lehre getötet hatte, gab er fast auf, und wir hätten Herzen aus Stein, wenn wir ihm dies nicht nachfühlen könnten. Aber sollen wir aufgeben? Martin Luther, Gott sei gedankt, kämpfte weiter. Es war die Wahrheit, für die er in Europa kämpfte, und es war die Wahrheit, für die Paulus im Römerreich kämpfte. Die, denen Luther predigte, und die, denen Paulus predigte, waren verloren, bevor sie Christus als ihren Heiland annahmen. Und für Paulus, für Luther und für uns heißt die Zukunft: Herrlichkeit. Der Trost, den Paulus der bedrängten Gemeinde in Thessalonich gab, war derselbe, den wir in Römer 8 finden. Er zeigte ihnen Gottes Verheißung, dass sie »Ruhe ... mit uns« bekommen würden (2. Thessalonicher 1,7a). Und wann würde diese Ruhe kommen? In dieser Welt? Nein, sondern »wenn der Herr Jesus sich offenbaren wird vom Himmel her mit den Engeln seiner Macht« (2.Thessalonicher 1,7b). Für die Welt

Page 213:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

wird Christi Wiederkunft Gericht bedeuten, aber denen, die durch ihn zu Gott gekommen sind, wird sie Ruhe bei Gott bringen. Was genau das ist, was Paulus in Römer 8 sagt. Werden Sie einmal Ruhe haben? Sagen Sie manchmal: »Ich kann nicht mehr«? Schämen Sie sich nicht, ich sage das manchmal auch. Sagen Sie das für sich selber? Sagen Sie es für einige von denen, die Sie zu Christus geführt haben und die jetzt um seinetwillen verfolgt werden? Wo sollen wir Ruhe finden? Paulus lenkt unseren Blick auf einen einzigen Punkt die vor uns liegende Herrlichkeit. Und damit kommen wir zu dem Zukunftsaspekt unserer Er-lösung (8,18-25). Es ist ein kurzer Abschnitt; in anderen Teilen des Neuen Testaments finden wir wesentlich mehr Prophetie. Aber diese paar Verse sind wie ein mächtiger Schmiedehammer, der die Funken in alle Richtungen regnen lässt. Der Vergangenheitsaspekt unserer Erlösung, wenn wir denn Jesus als unseren Heiland angenommen haben, ist unsere Rechtfertigung: Unsere Sündenschuld ist fort. Der Gegen-wartsaspekt ist unsre Heiligung, die Erlösung von der Macht der Sünde. Und schließlich kommt der Zukunftsaspekt, die Herrlichkeit, die Erlösung auch von der Gegenwart der Sünde, die geschehen wird, wenn Christus wiederkommt.

TEIL IIIHerrlichkeit

(8,18-39)

Page 214:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

12Die große Auferstehung

(8,18-25)

Wir haben bisher den Vergangenheitsaspekt unserer Erlösung kennen gelernt, unsere Rechtfertigung vor Gott 1,18-4,25), sowie die gegenwärtige Realität der Erlösung in unserem Alltagsleben, den Prozess der Heiligung (5,1- 8,17). 8,17 erwähnt, dass wir mit Christus »zur Herrlichkeit erhoben werden«, was zum letzten Abschnitt überleitet. Römer 8,18-25 spricht von unserer Herrlichkeit, dem Aspekt unserer Erlösung, der noch in der Zukunft liegt:

Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. (8,18)

Page 215:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Wir schauten uns diesen Vers bereits am Ende des vorangehenden Abschnitts an und sahen die Realität des Leidens der Christen in diesem gegenwärtigen Leben. Wir sahen ferner die Trostworte, die Paulus in 2. Thessalonicher 1,4-7 an Christen richtet, die damals in einer Verfolgung standen. Diese Verfolgungen gingen weiter, und noch um das Jahr 96 bekommt der greise Apostel Johannes ihre Realität zu spüren, als er in einer Art römischem Konzentrationslager auf der Insel Patmos interniert ist. Im Buch der Offenbarung schreibt er: »Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus« (Offenbarung 1,9). Was ist Johannes' Trost inmitten seines Leidens? Es ist die »Geduld in Jesus«, womit er wohl die Geduld meint, die wir bekommen, wenn wir unseren Blick auf die Wiederkunft Christi richten. So wie Paulus die »Geduld« der Thessalonicher lobte (2.Thessalonicher 1,4) und sie daran erinnerte, dass sie »Ruhe« finden würden, »wenn der Herr Jesus sich offenbaren wird vom Himmel her mit den Engeln seiner Macht« (2. Thessalonicher 1,7), so fand auch Johannes seine Hoffnung im geduldigen Warten auf Christi Wiederkunft. Ob zur Zeit der Thessalonicher oder des Johannes auf Patmos oder in der ganzen Kirchengeschichte bis heute, es gibt in Not und Verfolgung nur eine Antwort, die trägt: unsere Hoffnung darauf, dass Christus in Herrlichkeit wiederkommt.Johannes durfte dort auf Patmos den verherrlichten Christus sehen, aber in Römer 8,18-25 sagt Paulus uns, dass alle Christen in der Erwartung leben sollen, dass sie den Herrn einmal so sehen werden, wie Johannes ihn sah. Wenn wir heute so leben, wie wir das als Christen tun sollten, brauchen wir die »Bedrängnis« nicht zu suchen. Wir werden Verfolgung erleiden, wenn wir der ganzen Mentalität des 20. Jahrhunderts zuwider leben. Aber egal, wie groß das Leiden ist, ob es die junge Christin in London ist, die ihre Eltern auf die Straße setzten, oder der junge Mann, der zurück nach El Salvador ging und dort wahrscheinlich jetzt verfolgt wird, ob es um unsere Brüder und Schwestern in Ländern mit offener Christenverfolgung geht oder um die Nadelstiche von unseren Freunden und Verwandten — was unsere Not auch ist, wir

Page 216:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

finden Trost in diesen Worten: »Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.« Paulus lädt uns ein, die Tür zu öffnen und hindurchzugehen, wenn er uns jetzt in ein paar kurzen Versen einen Blick auf die Wiederkunft unseres Herrn und die kommende Herrlichkeit unserer Erlösung erhaschen lässt. Vergessen wir nicht: Paulus ist immer noch bei seiner Auslegung der Schlüsselverse 1,16-17, die er mit dem Satz beschloss: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.« Jetzt zeigt er uns, dass dieser Glaube uns bis vor das Tor der Herrlichkeit bringt. Wir haben auch gesehen, dass wir uns weder des Evangeliums als Glaubenssystem zu schämen brauchen (1,16) noch unserer täglichen Glaubenspraxis, denn »Hoffnung .. . lässt nicht zuschanden werden« (5,5); wir sollten uns nie unserer Hoffnung in Christus schämen, denn sie wird uns nie enttäuschen. In diesen Versen über die Herrlichkeit versichert Paulus uns nun erneut, dass unsere Hoffnung auf die zukünftige Erlösung uns nie enttäuschen oder zuschanden machen wird. Er wird diesen Abschnitt mit den folgenden Worten der Ermutigung beschließen: »Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld« (8,24 -25). Unsere Hoffnung auf Christus ist eine ununterbrochene Linie, die anfing, als wir zum Glauben an ihn kamen und frei von unserer Schuld wurden, die weitergeht in den Wundern des Heiligungswirkens Gottes durch seinen in uns wohnenden Heiligen Geist in unserem Christenleben hier und jetzt und die sich zu ihrer großen Erfüllung bei der Wiederkunft Christi hin erstreckt, die Paulus nun beschreiben wird. Paulus spricht in Vers 18 von »der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll«. Sie wird also nicht nur für uns offenbart, sondern sozusagen um uns herum (im Griechischen heißt es wörtlich: »in Bezug auf uns«). In Vers 19-23 wird er uns sagen, was diese Herrlichkeit ist und warum die Leiden dieser Zeit nicht gegen sie ins Gewicht fallen.

Page 217:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. (8,19)

Statt »Kreatur« sagt man heute »Schöpfung«, und so werde ich es ab jetzt übersetzen. Statt »ängstlich« sollte man besser »ständig« übersetzen [Elberfelder. u. a.: »sehnsüchtig«]. Wir sollten uns ständig nach dieser kommenden Herrlichkeit sehnen. Jesus hat uns angewiesen, stets mit seiner Wiederkunft zu rechnen (Lukas 12,35-37), und die frühe Kirche lebte in dieser Erwartung, ja sie rechnete damit, dass er noch in ihrer Generation wiederkommen würde. Einige der liberaleren Theologen heute würden sagen, dass sie halt falsch lagen, denn Jesus kam ja nicht wieder. Aber jede neue Generation soll neu auf Jesus warten. »Das ständige Harren der Schöpfung wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden.« Was ist diese Offenbarung der Kinder Gottes, auf die die ganze Schöpfung wartet? Es ist die Auferweckung des Körpers der Gläubigen, wie Paulus in Vers 23 klarstellen wird. Wir sehnen uns natürlich alle nach dem Tag, wo wir unseren Auferstehungsleib bekommen werden. Dies sollte unsere ständige Hoffnung und Erwartung sein. Aber Paulus sagt, dass die ganze Schöpfung sich nach unserer Auferstehung sehnt. Warum tut sie das?

Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit — ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat —, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. (8,20-23)

Als Christen haben wir »den Geist als Erstlingsgabe«. Wenn an

Page 218:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

einem Apfelbaum der erste Apfel erscheint, weiß ich, dass bald die volle Ernte kommen wird. Die Tatsache, dass ich jetzt durch den in mir lebenden Heiligen Geist neues Leben habe, ist meine Garantie dafür, dass ich eines Tages die volle »Erlösung (meines) Körpers« bekommen werde. Wir werden gleich noch als weiteren Ausdruck dieses Gedankens das Wort »Unterpfand« kennen lernen. Der Heilige Geist ist das Unterpfand, die Garantie der kommenden völligen Erlösung unseres Körpers. Aber obwohl wir als Christen also die Erstlingsgabe des Geistes haben (Vers 23a), seufzen wir doch noch (Vers 23b) im Warten auf die Erlösung unseres Leibes, und die ganze Schöpfung seufzt mit uns (Vers 22). Worum geht es bei diesem Seufzen? Es ist die gleiche innere Erschütterung, die Jesus vor dem Grab seines Freundes Lazarus packte. Jesus weinte vor dem Grab (Johannes 11,35), aber er »ergrimmte« auch (Johannes 11,33.38). Ich glaube, er war zornig über all das Leid und Elend, das durch die Sünde über die Welt gekommen ist — zornig nicht nur auf den Teufel, sondern auf alle die bösen Folgen der Sünde. Und auch wir, obwohl wir »den Geist als Erstlingsgabe haben«, stehen gerade so wie unser Herr erschüttert vor all dem Leiden in uns und um uns herum. So seufzen die Schöpfung und wir. Wir warten auf etwas — auf die Erlösung unseres Leibes, und diese Erlösung ist, in den Worten von Vers 19, »die Offenbarung der Söhne Gottes«. Wir sollen Jesus Christus schon in diesem irdischen Leben der Welt zeigen, aber an dem großen Auferstehungstag, in dem Augenblick, wo unsere Körper wie Christi Herrlichkeitsleib werden und wir »in einem Augenblick« verwandelt werden (1.Korinther 15,52), wird es eine Offenbarung der Kinder Gottes geben, die alles, was wir uns jetzt vorstellen können, weit übersteigt. Und nicht nur wir Menschen werden an die-sem Tag verherrlicht werden, sondern die ganze Schöpfung wird »frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes« (8,21). Ist dieses Erdenleben nicht ein Leben des Leidens und Seufzens? Sorgen, Nöte, Verfolgung, kranke Kinder, Mord und Totschlag, Verleumdung ... So viele Menschen, die Sklaven anderer Menschen sind, so viele, die von Heim und Hof

Page 219:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

vertrieben sind. Wollen wir wirklich so dumm oder hartherzig sein, zu behaupten, dass dies nicht eine Welt des Leidens ist? Und doch, so sagt Paulus, weist dies alles voraus auf die Erlösung unseres Körpers und die darauf folgende Wiederherstellung der ganzen Schöpfung, wenn Christus wiederkommt.

... auch wir selbst ... seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. (8, 23b)

In den ersten acht Kapiteln des Römerbriefs ist immer wieder der Leib betont worden. In 1,24 lasen wir von den Menschen, die durch ihre Rebellion gegen Gott dahin gekommen sind, »dass ihre Leiber durch sie selbst geschändet werden. « Als die Sünde in die Welt kam, befiel sie auch unseren Körper. Dann, in Kapitel 4, sahen wir, dass Abraham glaubte, dass Gott aus seinem und Saras erstorbenem Leib Leben hervorbringen konnte (4,19), und parallel dazu wurden wir in Kapitel 6 aufgefordert, auf allen Gebieten unseres Lebens, auch dort, wo es um unseren Leib geht, nach der Heiligung zu trachten: »Unser alter Mensch« ist mit Christus »gekreuzigt«, damit »der Leib der Sünde« entmachtet werde (6,6). »So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe .. .« (6,12). Dann, in Kapitel 7: »Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe ?« (7,24). Diese Betonung des Leibes geht in Kapitel 8 weiter: »Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen« (8,10). Und in 8,13: »Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben.« Paulus zeigt gewiss immer wieder auch, dass die Erlösung unsere ganze Persönlichkeit betrifft, aber diese wiederholte Betonung des Körpers ist auffallend. Der Sündenfall hat unseren Körpern Leid gebracht. Wenn wir Christus als unseren Heiland annehmen, muss dies auch für unseren Körper Folgen schon in diesem irdischen Leben haben. Die von uns, die schon längere Zeit Christen sind, haben sicher im körperlichen Bereich einige Siege über die Sünde erlebt, aber wir sehnen uns nach mehr Sieg. Wir spüren

Page 220:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

nach wie vor die Last des Sündenfalls in Krankheit und Alterung. Wir »seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes« (8,23), und das nicht nur in Bezug auf Krankheit und Tod, sondern in unserem gan-zen Sosein als Christen. Wir sehnen den Tag herbei, wo nicht nur unser Geist und unsere Seele, sondern auch unser Körper Christus völlig ehrt und preist. Wir sprechen oft von Gottes Fürsorge für den ganzen Menschen. Als Gott uns Menschen schuf, wollte er, dass wir ihn mit unserer ganzen Persönlichkeit lieben und preisen. Das erste Gebot — »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (Matthäus 22,37) — meint nicht nur unseren Geist, sondern die ganze Person, einschließlich des Körpers. Wir alle kennen doch Stunden, wo wir uns danach sehnen, dass alle Seiten unseres Seins, auch unser Körper, zu einem harmonischen Gotteslob verschmelzen, und Paulus antwortet, dass er kommen wird, der Tag, wo wir Gott mit unserem ganzen Sein preisen werden. »Seufzen« Sie auch über den Zustand der gefallenen Schöpfung, wie er sich in Ihnen und in der Welt um Sie herum zeigt? Der Herr ruft uns zu: »Geliebter, ich komme, und dann wird dein Leib erlöst werden« (8, 23). Es kommt ein Tag, wo wir ihn endlich so loben können, wie es recht ist. Bis dahin haben wir die Aufgabe, ihm unseren Leib hinzugeben »als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist« (12, 1). Hier im Römerbrief spricht Paulus von der Erlösung unseres Leibes. Im Epheserbrief sagt er, dass die Gläubigen »versiegelt« sind »mit dem Heiligen Geist der Verheißung. Der ist das Unterpfand unseres Erbes auf die Erlösung seines Eigentums zum Preise seiner Herrlichkeit« (Epheser 1,13b-14). Wir sind Gottes »Eigentum«, erkauft durch Christi eigenes Blut. Und Gott hat uns mit dem in uns wohnenden Geist »versiegelt«, der das »Unterpfand« oder die Garantie dafür ist, dass Gott uns eines Tages völlig erlösen wird. In England war es früher üblich, dass beim Kauf eines Landstücks der Verkäufer vor mehreren Zeugen dem Käufer eine Handvoll der Erde dieses Landes übergab. Diese Handvoll Erde war das »Unterpfand«, die Bestätigung dafür, dass der Käufer das ganze Stück erworben hatte. Wenn in Ihnen und

Page 221:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

mir der Heilige Geist wohnt, ist dies ein Angeld darauf, dass wir ganz durch das Blut des Lammes erkauft sind. Das Angeld ist bereits unser; durch den Heiligen Geist wohnt Christus in uns, zum Zeichen dafür, dass er das Ganze gekauft hat. Und was ist das Ganze? Es ist die Erlösung unseres Körpers. Weil der Geist in uns lebt, können wir gewiss sein, dass der Herr unser ganzes Wesen erkauft hat und es einst durch die Auferstehung von den Toten ganz in Besitz nehmen wird (8,23).Bis dahin warten wir, und mit uns die ganze Schöpfung.

... denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. (8,11-22)

Der Heilige Geist in uns ist die Erstlingsfrucht, das Angeld, die Garantie, dass Gott uns eines Tages vollends erlösen wird, indem er uns von den Toten auferweckt (8,23). Aber diese unsere völlige Erlösung ihrerseits wird ein Angeld oder eine Garantie für die Erlösung der ganzen Schöpfung sein. Jakobus nennt uns die »Erstlinge« der Geschöpfe Gottes (Jakobus 1,18). Paulus sagt, dass die ganze Schöpfung sich nach dem Tag sehnt, wo unsere Erlösung die Befreiung »von der Knechtschaft der Vergänglichkeit« einläuten wird. Bis dahin liegt sie gleichsam in Geburtswehen (Vers 22).Um recht zu verstehen, wie die Vollendung unserer Erlösung die Garantie für die völlige Erlösung der ganzen Schöpfung sein wird, müssen wir uns einige andere Bibelstellen anschauen, bis zurück zu der Geschichte vom Sündenfall und dem Fluch in 1.Mose 3. Nachdem Adam und Eva die erste Sünde begangen haben, spricht Gott zuerst zu der Schlange. Eines Tages wird ein Erlöser kommen, der den Schaden, den sie angerichtet hat, heilen wird: »Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen dei-nem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen« (1. Mose 3,15). Es kommt einst ein Erlöser, der den Satan völlig besiegen wird, und Römer 8,18-25 verheißt auf

Page 222:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

der Basis dieses Kreuzessieges Christi über den Satan die kommende völlige Heilung der ganzen Schöpfung vom Schaden des Sündenfalls. 1.Mose 3 beschreibt den Schaden, der durch die Sünde der Menschen über die ganze Schöpfung kommen würde. Nachdem er zum Satan geredet hat, wendet Gott sich Eva zu: »Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären« (1.Mose 3,16). Evas eigener Körper wird gegen sie sein; die Sünde wird nicht nur inneres, sondern auch körperliches Leiden bringen. Dann kündigt Gott Adam einen weiteren Sündenschaden in der Welt der Schöpfung an: »Weil du gehorcht hast der Stimme deines Weibes und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen —, verflucht sei der Acker um dei-netwillen!« (1.Mose 3,17). Adam hat die Sünde begangen und wird dafür leiden, aber auch der Boden wird leiden. Adams und Evas erste Sünde brachte Leid über sie und über die ganze Schöpfung. Das Leiden beschränkte sich nicht auf Adams und Evas Seelenleben, sondern die ganze Schöpfung würde mit ihnen leiden. Die Felder, die Adam bebaute, würden in Zukunft »Dornen und Disteln« tragen (1.Mose 3, 18). Die erste Sünde brachte Leid und Entartung über den menschlichen Körper (die Schmerzen der Frau beim Gebären) und über die ganze Natur (die Dornen und Disteln). In 1. Mose 3,19 lesen wir von einem dritten Unglück: ». . bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.« Das dritte Unglück, das die Sünde brachte, war der körperliche Tod. Kehren wir nun zu Römer 8 zurück, so finden wir dort eine wunderbare Umkehrung dieses Prozesses. Es stimmt, sagt Paulus, dass die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen wurde (8,2o), aber er fährt sofort fort, dass sie »von der Knechtschaft der Vergänglichkeit« frei werden wird (8,21) Und wann wird dies sein? Wenn der dritte Teil des Sündenfallfluchs überwunden ist, wenn die erlöste Menschheit als »Erstlingsfrucht« in der »Erlösung unseres Leibes« (8,23) die Aufhebung des Todesfluchs erfahren hat. Wenn diese dritte äußere Widernatürlichkeit überwunden ist, wird der große Ausruf von

Page 223:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

1. Korinter 15,55 kommen: »Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?« Die Erstlingsfrucht unserer körperlichen Auferstehung wird die Erlösung der gesamten Schöpfung in Gang setzen.

... denn auch die Schöpfung wird frei werden ... Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. (8,21a-22)

Von Anbeginn an hat die ganze Schöpfung mitgelitten, und von Anbeginn an hat sie ihren Platz in Gottes Heilsplan. Als Gott die verderbten Menschen mit der Sintflut richtete, starben bis auf ein paar alle Tiere mit ihnen. Als Noah und seine Familie und die geretteten Tiere aus der Arche herauskamen, setzte Gott den Bund des Regenbogens mit Menschen und Tieren ein: »Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigem Getier bei euch auf ewig« Mose 9,12). Es war nicht nur ein Bund zwischen Gott und den Menschen, sondern auch zwischen Gott und allen Tieren. Als bei Israels Auszug aus Ägypten Gott die Erstgeburt der Ägypter schlug, starb auch die Erstgeburt des Viehs, während das Vieh der Israeliten zusammen mit ihnen gerettet wurde (2. Mose 12). Die Geschichte des Auszugs aus Ägypten und des ersten Passa weist natürlich voraus auf den Tod Christi, des Passalamms Gottes, »das der Welt Sünde trägt« (Johannes 1,29). Wir können das Passa auch als Verheißung sehen: dass aufgrund des vollbrachten Erlösungswerks des Herrn Jesus Christus nicht nur die gläubigen Menschen erlöst werden, sondern mit ihnen die ganze Schöpfung. Der Teufel wird weder in der Welt der Menschen noch in der der ganzen Schöpfung den Sieg behalten; der Nachkomme der Frau wird den Kopf der Schlange zertreten (1. Mose 3,15). So wie das Passalamm alle Tiere der Israeliten lebendig aus Ägypten hinausziehen ließ, wird das Erlösungswerk Christi einst die ganze Schöpfung in ihre herrliche Freiheit eingehen lassen. »Denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.«

Page 224:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Gott liegt seine ganze Schöpfung am Herzen, und das sollte sie uns auch tun. Unser größter Schmerz sollte sicher für die verlorene, leidende Menschheit reserviert sein, aber wir sollten auch weinen über dem Leid, das unsere Sünde über die ganze Schöpfung gebracht hat. Es gibt viele moderne Künstler, die die Bibel nicht verstehen, die aber in ihrem Werk das Leiden der Natur verstehen und darstellen. Der Künstler, der die Natur ganz ungeschminkt malt, hat sie besser verstanden als der Romantiker, der in ihr nur makellose Schönheit sieht. Der Dichter Tennyson, der die Natur als »Klaue, Zahn und Blut« beschreibt, hat sie so gesehen, wie sie wirklich ist. Als Picasso die Katze mit dem Vogel im Maul malte, malte er die Natur in ihrer ganzen Realität. Der Fluch der Menschheit, die sich gegen ihren Schöpfer erhob, traf die ganze Schöpfung mit. Als die Menschen immer weiter sündigten, raffte die Sintflut Menschen und Tiere hin. Noah glaubte Gott, und die Arche rettete Menschen und Tiere. Und beim Passa rettete das Blut des Lammes an den Türpfosten Mensch und Tier.

Und dann kommen diese gewaltigen Verheißungsworte für die ganze Schöpfung in Römer 8: »Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit — ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat —, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes« (8,19-23). Diese »Erlösung unseres Leibes« wird die Erstlingsfrucht sein; wenn »plötzlich, in einem Augenblick« die Posaune erschallt »und die Toten werden auferstehen unverweslich« (1.Korinter 15,52), wird dies erst der Anfang der gewaltigen Erlösung der ganzen Schöpfung sein. Weder bei den

Page 225:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Menschen noch in der Schöpfung wird Gott dem Satan den Sieg lassen. Und worauf beruht dies alles? Nur auf einem: der »Nachkomme der Frau«, d.h. unser Herr Jesus Christus, hat auf Golgatha den Kopf der Schlange zertreten und Hölle und Tod besiegt. In der Offenbarung malt Johannes ein herrliches Bild der erlösten Schöpfung: »Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!« (Offenbarung 5,13). Dies ist das Lied der erlösten Schöpfung — nicht nur der belebten Geschöpfe, sondern der ganzen Schöpfung. Wir wissen sehr wenig über das Gotteslob der Schöpfung. Wie jemand völlig korrekt bemerkt hat, macht der Fluch, der über der Natur liegt, es uns unmöglich, von der Natur auf den Gott der Natur zu schließen. Aber es kommt ein Tag, wo das nicht mehr stimmen wird. Es kommt ein Tag, wo wieder die Morgensterne Gott miteinander loben werden, wie damals bei der Schöpfung (Hiob 38,7). Wie herrlich ist schon heute der Vogelgesang, aber wie wird erst das brausende Erlösungslied der Schöpfung sein! Und wir werden die Erstlingsfrucht von all dem sein: von den Toten auferweckt (Römer 8,23), Mitherrscher Christi auf der Erde (Offenbarung 5,10) — und dann wird der Jubelgesang der erlösten Schöpfung kommen (Offenbarung 5,13). Der amerikanische naive Maler Edward Hicks (1780-1849) behandelte in seinen Werken fast nur ein Thema: die erlöste Schöpfung. Hicks' Stil war naiv, aber sein Thema nicht, denn es kam aus dem Herzen der Geschichte und der Schöpfung: Es liegt ein Fluch auf der Schöpfung, aber der Tag wird kommen, wo dieser Fluch weggenommen wird. Was Jesaja mit Worten beschrieb, malte Hicks: »Wolf und Schaf sollen beieinander weiden« (Jesaja 65,25). So gewiss wie die Arche Tiere und Menschen in Sicherheit trug, so gewiss wie die Erstgeburt auch der Tiere der Israeliten dem Verderben entging, so gewiss wird eine Zeit kommen, wo die ganze Schöpfung erlöst wird und alles Erschaffene seine Stimme zu dem Gotteslob erhebt, das Gott von Anbeginn gebührt. Lieben Sie die Natur, schon jetzt? Wie wird sie erst dann

Page 226:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

sein! Im Kunstmuseum in Neuchatel sind drei Wandgemälde des Schweizer Malers Paul Robert (1851-1923) über das Thema der Wiederkunft Christi, die den wiederkommenden Christus als den Herrn über alles darstellen. Das erste Gemälde zeigt seine Beziehung zur Welt der Industrie, das zweite seine Beziehung zur Welt der Kunst und des menschlichen Geistes und das dritte seine Beziehung zur Welt der Landwirtschaft. Das Gemälde über Christus und die Landwirtschaft zeigt das Tal zwischen Neuchatel und La Chaux-de-Fonds. Ich wollte, Sie könnten diesen Teil der Schweiz einmal im Frühjahr sehen, wenn der Wind über das Blumenmeer in den Wiesen weht. Aber Paul Robert malte es noch schöner als es jetzt ist, schöner als je ein Auge es gesehen hat — denn so wird es sein, wenn Christus wiederkommt.

... (die) Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll ... zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes ... (die) Erlösung unseres Leibes. (8, 18 b. 21 b.23 b)

Ist dies alles nur ein hoffnungsloser Traum, oder können wir sicher sein, dass Christus einst für uns wiederkommen wird? Der Apostel Petrus würde antworten, dass Christi Wiederkunft so gewiss ist wie sein erstes Kommen auf diese Erde. In seiner Predigt nach der Heilung des Gelähmten sagte er: »Gott aber hat erfüllt, was er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat: dass sein Christus leiden sollte« (Apostelgeschichte 3,18). Jesus kam auf die Erde, starb am Kreuz und erstand von den Toten. Dies sind unleugbare historische Tatsachen, und sie geschahen so, wie Gottes Propheten es vorhergesagt hatten. Aber dann fährt Petrus fort und ruft die Menschen auf, Buße zu tun und sich zu bekehren, »damit die Zeit der Erquickung komme von dem Angesicht des Herrn und er den sende, der euch zuvor zum Christus bestimmt ist: Jesus« (Apostelgeschichte 3,2o). Petrus spricht hier über die gleichen zukünftigen Ereignisse, über die Paulus den Römern schreibt. Er beschreibt dieses große Geschehen als die »Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge« (Apostelgeschichte 3,21 ), womit er ohne Zweifel die künftige Erlösung der ganzen Schöpfung meint, von der Paulus spricht.

Page 227:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Und wie gewiss können wir sein, dass dieses Wunderbare auch tatsächlich geschehen wird? Petrus nennt es die »Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von denen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat« (Apostelgeschichte 3,21). Gottes Propheten sagten Christi erstes Kommen voraus, und Christus kam. Die Prophezeiungen wurden wörtlich und vollständig erfüllt. Diese selben inspirierten Propheten Gottes haben Christi zweites Kommen vorhergesagt, und wir dürfen sicher sein, dass diese Vorhersagen sich ebenfalls erfüllen werden — wörtlich und vollständig. Wenn wir glauben, dass Christus auf dieser Erde lebte und für uns starb und auferstand, können wir auch dem prophetischen Wort glauben, dass er einmal für uns wiederkommen wird. Sie werden kommen, die Zeiten der Erquickung und Wiederherstellung — nicht nur in unserer Phantasie, sondern in der ganz realen, raumzeitlichen Geschichte, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten geographischen Ort. Zum Teil geschah dies bereits in der Arche, die Menschen und Tiere durch die Flut trug, und beim ersten Passafest, als das Blut des Passalamms die Israeliten und ihre Tiere rettete. Der Teufel wird nicht siegen. Die künftige Erfüllung der Prophetie ist so gewiss wie die bereits geschehene Erfüllung. Wenn wir an das glauben, was Jesus Christus in der Vergangenheit vollbracht hat, dann lautet die helle Botschaft für uns: So gewiss, wie Christus auf der Erde lebte und am Kreuz starb und von den Toten auferstand, genauso gewiss wird eines Tages die Wiederherstellung aller Dinge kommen. Wenn wir über unsere kommende völlige Erlösung und die Wiederherstellung der Schöpfung nachdenken, müssen wir einen kurzen Blick voraus auf Römer 8,29 werfen, das wir im letzten Kapitel dieses Buches genauer behandeln werden. Wir lesen dort, dass Christus »der Erstgeborene . .. unter vielen Brüdern« ist. In Kolosser 1,18 beschreibt Paulus Christus als den »Erstgeborenen von den Toten«. Wir werden einst von den Toten auferweckt werden (Römer 8,23), aber Christus ist jetzt schon auferstanden und damit der Erste unter vielen Brüdern. Ähnlich drückt Paulus sich in dem großen Auferste-hungskapitel 1.Korinther 15 aus: »Ein jeder aber in seiner Ordnung: als

Page 228:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Erstling Christus; danach, wenn er kommen wird, die, die Christus angehören; danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet hat« (1.Korinther 15,23-24). Christus ist für die erlöste Menschheit der Erstling, der Erstgeborene von den Toten (Kolosser 1,18). Aber Paulus sieht Christus nicht nur für die erlöste Menschheit als den Erstgeborenen von den Toten, sondern für die ganze Schöpfung. In Kolosser 1,15 nennt er ihn den »Erstgeborenen vor aller Schöpfung«. Die Parallele in den Formulierungen ist nicht zu übersehen und unmissverständlich. Paulus fährt im Kolosserbrief fort, dass Gott Christus am Kreuz sterben ließ, damit »er durch ihn alles mit sich versöhnte« (Kolosser 1,20). Alles — alles, was er erschaffen hat. Jesus starb nicht nur, um verlorene Sünder zu retten, sondern auch, um die zerbrochene Schöpfung zu heilen. Und jetzt lesen wir noch einmal diesen ganzen Abschnitt in Römer 8 und spüren wir seine ganze Wucht: »Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit — ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat —, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld« (8,8 - 25). Und so warten wir; denn noch liegt es in der Zukunft.

Page 229:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Kehren wir zum Schluss zurück zu unserem Schlüsselvers: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist Gottes Kraft zur Rettung« (1,16). Das Evangelium, die frohe Botschaft von Christi Tod und Auferstehung für uns, ist die Kraft Gottes zur vollen Erlösung, einschließlich der Auferstehung des Leibes des Gläubigen und der Wiederherstellung der ganzen Schöpfung. Und doch sind wir noch Wartende. Aber vergessen wir nicht den zweiten Schlüsselvers: »Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: >Der Gerechte wird aus Glauben leben<« (1,17). Wir sind aufgerufen, aus Glauben zu leben. Wir werden in diesem jetzigen Leben nicht enttäuscht werden, wir werden uns des Glaubens und der Hoffnung, die wir auf Christus gesetzt haben, nicht schämen müssen (5,5), und einst, wenn Gottes Herrlichkeit an uns offenbart (8,8) und unsere Erlösung durch Christus herrlich erfüllt wird, werden wir uns erst recht nicht schämen, ein Leben des Glaubens geführt zu haben.

13

Auf immer und ewig(8,26-39)

In Teil I dieses Buches haben wir den Vergangenheitsaspekt unserer Erlösung kennen gelernt. Als wir Christus als unseren Heiland annahmen, wurden wir gerechtfertigt, unsere Schuld ist fort. In Teil II lernten wir den Gegenwartsaspekt der Erlösung kennen: Durch die Kraft Christi und den in uns wohnenden Heiligen Geist können wir die immer neue Befreiung von der Macht der Sünde in unserem Alltag erfahren. Im ersten Kapitel von Teil III hörten wir von einer

Page 230:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

herrlichen zukünftigen Erlösung: der Auferweckung unseres Körpers, die zur Wiederherstellung der ganzen Schöpfung führt. In dieser Herrlichkeit werden wir frei sein schon von der bloßen Gegenwart der Sünde; zusammen mit der übrigen Schöpfung werden wir nicht mehr die Folgen des Sündenfalls zu erleiden haben. Dies alles ist wunderbar, aber es wirft eine brennende Frage auf: Was haben wir davon — vor allem von der zukünftigen Erlösung —, wenn Sie oder ich nicht dabei sein werden? Was, wenn wir, obwohl wir Christus als unseren Erlöser angenommen haben, wieder verloren gehen sollten? Diese ganze kommende Erlösung, die leibliche Auferstehung, die Heilung der Schöpfung ist ja wunderbar — aber können wir uns wirklich darauf freuen, wenn es möglich ist, dass wir, die wir Christus angenommen haben, wieder aufs Neue verloren gehen? Wäre das nicht so, als ob man einem Kind den Christ-baum zeigt und es anschließend hinaus in die Kälte setzt? Wenn wir uns nun Römer 8,26-39 zuwenden, werden wir dies mit der Frage tun: Was für eine Gewissheit haben wir, dass die von uns, die sich zu Christus bekehrt haben, auch wirklich einst in der Herrlichkeit dabei sein werden? Beginnen wir damit, dass wir noch einmal 1,16 lesen: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.« Unsere Frage ist: Wie groß ist diese Kraft Gottes? Wir haben gesehen, dass die in diesem Vers angesprochene Erlösung nicht nur unsere Rechtfertigung meint, sondern auch die Heiligung und die Herrlichkeit. Die Erlösung umfasst Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Also: Wie groß ist Gottes Erlösungskraft? Kann er uns auch in der Zukunft retten und nicht nur in der Vergangenheit und Gegenwart? Kann ich, wenn ich von den Wundern der kommenden Erlösung lese, gewiss sein, dass ich dabei sein werde? Am Ende seiner Darstellung der Erlösung in Römer 1-8 beantwortet Paulus diese Frage, und seine Antwort kommt nicht aus der Gelehrtenstube, sie erschöpft sich nicht in ein paar schönen Worten, sondern sie gibt uns genau die Gewissheit, die wir brauchen. Es ist eine Antwort, die uns Freude bringt, so dass wir nicht mehr jeden Abend, wenn wir

Page 231:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

auf den Tag zurückblicken, mit der bangen Frage einschlafen müssen: Bin ich noch erlöst, oder gehe ich verloren? Die Verse 8,26-29 sind nicht ein allmählicher Ausklang der Botschaft von der Erlösung, sondern ein mächtiges Finale mit einem ganz bestimmten Thema, und dieses Thema lautet: Das ewige Leben ist für immer und ewig. Jesus hat gesagt: »Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen« (Johannes 10, 27 -28a). Sollte Jesus uns ewiges Leben geben, nur um es uns wieder zu nehmen, weil wir zu viel gesündigt haben? Die Antwort des Paulus — und, wie wir sehen werden, auch die unseres Herrn selbst ist, dass so etwas unmöglich ist. Das ewige Leben ist kein Geschenk auf Bewährung; wir bekommen es für immer. Wir finden einen Schlüssel zu diesem Thema, wenn wir uns eine Parallele zwischen Paulus' Einleitung des Römerbriefs 1.1-15) undseinem Beschluss von Kapitel 8 (8, 26 -39) anschauen. Paulus' Darstellung der Erlösung begann mit der Dreieinigkeit. In den ersten vier Versen von Kapitel 1 begegneten uns alle drei Personen der Trinität Gott der Vater, Gott der Sohn, Gott der Heilige Geist. Jetzt sehen wir, dass Paulus genauso endet, wie er begann. Er versichert uns der ewigen Gewissheit unseres Heils, und er tut dies aufgrund des Erlösungswirkens aller drei Personen der Dreieinigkeit. Der Heilige Geist (8,26-27), der Vater (8,28-32) und der Sohn (8,33-34) — alle drei machen uns unserer Erlösung gewiss. In 8,35-39 lässt Paulus dann diese drei Heilsgarantien in einen großen Schlussakkord münden. Als Erstes zeigt er uns, wie der Heilige Geist für uns wirkt.

Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. (8,26a)

Was könnte uns denn von Gott trennen und uns unsere Erlösung wieder nehmen? Doch unsere »Schwachheit«, also unsere menschlichen Schwächen und unsere Neigung zur Sünde. Aber wir haben jemanden, der uns in dieser Schwachheit hilft.

Page 232:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt. (8, 26-27)

Der Heilige Geist garantiert uns, dass wir, wenn wir einmal Gottes Erlösungsgeschenk in Christus angenommen haben, nie mehr verloren gehen. Wie wir gesehen haben, ist der Geist »das Unterpfand unseres Erbes auf die Erlösung seines Eigentums« (Epheser 1,14). Dass er in uns wohnt, macht uns das ewige Leben gewiss. Wir sind für alle Ewigkeit mit ihm »versiegelt« (Epheser 1.13). Dies sind wunderbare Worte der Heilsgewissheit, aber man könnte sie auf eine unpersönliche, gesetzliche Art aussprechen. Doch die Art, wie Paulus in Römer 8,26-27 das ständige Eintreten des Geistes für jeden Einzelnen von uns beschreibt, ist wie ein loderndes, lebendiges Feuer. Was macht der Heilige Geist für uns? Er »vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen«. Die ganze Schöpfung »seufzt« unter der furchtbaren Last der Folgen unserer Sünde (8,22), und auch wir selbst »seufzen« (Vers 23) in dieser gefallenen Welt. Aber mitten in all diesem Leiden und all unserer Sehnsucht ist noch jemand, der »seufzt«: »Der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können« (V. 26 [Einh.]). Sie werden nicht von Neuem verloren gehen. Wenn Sie Jesus als Ihren Heiland angenommen haben, werden Sie dabei sein am Auferstehungstag. Wie schwach und unvollkommen Sie sich auch fühlen mögen, wie stammelnd und stockend auch Ihre Liebe oft sein mag, Sie werden dabei sein. Denn es hängt nicht von Ihnen ab, sondern von dem Werk der ganzen Dreieinigkeit. Der Heilige Geist müsste Sie im Stich lassen, damit Sie wieder verloren gehen könnten, sein Eintreten für Sie müsste fruchtlos sein. Und wenn die Sonne schwarz und das Universum zum Chaos wird, dies eine ist gewiss: Der Heilige Geist tritt vor Gottes Thron für Sie ein, und seine Fürbitte wird nicht vergeblich sein. Manche reden von der »Beharrlichkeit der Heiligen«, als ob das ein Automatismus

Page 233:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

sei. Aber so ist es nicht, sondern diese Beharrlichkeit ist etwas Lebendiges, Pulsierendes, denn »der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.« Doch die Gewissheit unseres Heils ist auch von Gott dem Vater garantiert (8,28-32): Er hat uns berufen (Vers 28-30), und er hat seinen Sohn Jesus gesandt, um uns zu erlösen (Vers 31-32).

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluß berufen sind. (8,28)

Dies ist einer jener Bibelverse, die jeder zu kennen und keiner richtig zu verstehen scheint. Da zuckt man fatalistisch die Schultern und murmelt: »Es wird schon alles zum Besten dienen« — nämlich für alle Menschen, Galater, wer sie sind oder was sie glauben. Und genau das sagt dieser Vers nicht, sondern er sagt, dass »denen, die Gott lieben« alle Dinge zum Besten dienen, »denen, die nach seinem Ratschluß berufen sind.« Hier ist eine Einschränkung. Nur für eine bestimmte Gruppe von Menschen dienen alle Dinge zum Besten, und das sind die Menschen, »die Gott lieben« und »die nach seinem Ratschluß berufen sind.« Wir erinnern uns, dass wir die gleiche Einschränkung schon in 1,16 sahen: Das Evangelium ist Gottes Kraft zur Erlösung für »alle, die daran glauben«. Es ist universal, insofern es allen Menschen gilt (Paulus nennt sie hier »Juden« und »Griechen«), aber es ist beschränkt auf diejenigen unter diesen Menschen, die glauben. Nehmen wir an, wir würden Römer 1,16 so lesen: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle« — Punkt. Das wäre eine tragische Lüge. In unserer Generation gehen Menschen auf ewig verloren, weil ihnen solche Dinge gelehrt werden. Die Erlösung steht Menschen aller Völker, aller Hautfarben, aller Nationalitäten offen — allen. Aber sie ist beschränkt auf die Personen aus jeder dieser Gruppen, die an Jesus Christus als ihren Erlöser glauben. Römer 8,28 hat exakt die gleiche Einschränkung: »Denen, die Gott lieben« dienen alle Dinge zum Besten, »denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.« Und jetzt beschreibt

Page 234:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Paulus diese gewaltige Berufung, die von Gott dem Vater kommt. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht. (8,29-3o) Wenn Gott Sie berufen hat (Vers 28), wenn Sie im Glauben zu ihm gekommen sind, dann dürfen Sie gewiss sein, dass er Sie zur völligen Erlösung vorherbestimmt hat. Er hat Sie gerechtfertigt. Er ist dabei, Sie zu heiligen, und hat angefangen, Sie dem Bild Christi gleich zu machen. Und eines Tages wird er Sie verherrlichen. Paulus spricht im Epheserbrief über diese Vorherbestimmung: »Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus. Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten; in seiner Liebe hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten« (Epheser 1,3-6). So groß ist unser unendlicher Gott, dass er, während er die ganze Geschichte in seiner Hand behielt, Menschen schaffen konnte, die ihm gegenüberstehen und keine Marionetten sein, sondern wirklich zählen würden. Die unter uns, die wir Christus als unseren Erlöser angenommen haben, dürfen gewiss sein, dass Gott uns in seiner Allmacht »erwählt« und »vorherbestimmt« hat, »ehe der Welt Grund gelegt war«. Aber wie wir gesehen haben, gehören sowohl zu unsererErlösung (1,18 -4,25) als auch zu unserer Heiligung (5,1-8,17) echteEntscheidungen, die wir selber treffen. Nach der Bibel gibt es letztlich keinen Konflikt zwischen Gottes Allmacht und unserem menschlichen freien Willen. Wenn wir Jesus als unseren Heiland angenommen haben, leuchtet das Licht des Wortes Gottes auf und sagt uns, dass — Wunder aller Wunder

Page 235:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

— Gott der Vater uns erwählt hat. Haben Sie Jesus als Ihren Erlöser angenommen? Dann dürfen Sie gewiss sein, dass Gott der Vater Sie erwählt hat. Wir sahen bereits, dass der Heilige Geist versagen müsste, damit Sie wieder verloren gehen, aber jetzt sehen wir, dass dazu auch Gott der Vater sich geirrt haben müsste, als er Sie erwählte. Sie kennen vielleicht die alte Geschichte von dem Mann, der eine Straße entlang geht und zu einer Kirche kommt, über deren Tür ein Schild ist mit der Aufschrift: »Kommt her zu mir alle«. Er geht hinein, aber dann bekommt er Angst, und jemand führt ihn hinunter in den Keller und zeigt ihm die großen grauen Grundsteine, die das Gebäude tragen, und auf einem der Steine findet er diese Aufschrift: »Erwählt vor Grundlegung der Welt«. Wenn Sie Jesus als Ihren Erlöser angenommen haben, dürfen Sie sicher und getrost sein. Der Heilige Geist tritt für Sie ein, und Gott der Vater hat Sie erwählt. »Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes . . .« (8,29). Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde Mose 1,27). Der Mensch hat rebelliert, und das Bild ist verzerrt. Gehen Sie zu den Reichen oder zu den Armen, in die Universitäten oder zu den Ungebildeten — es ist überall das Gleiche. Es macht keinen Unterschied, ob jemand reich oder arm, gebildet oder ungebildet ist — wo immer man auch hin-schaut, sieht man sie: die Geschöpfe, die Gottes Bild sein sollten; aber wie ist dieses Bild verzerrt und verkratzt und verdreckt, dass man oft eher den Teufel als Gott darin sieht. Eine verdrehte Moral, ein verzerrtes Denken, das, ob im Dschungel eines Urwaldstammes oder im Dschungel der modernen Universität, alle möglichen Abwegigkeiten glaubt. Die Liebe völlig entgleist. Nach Gottes Bild ist der Mensch geschaffen als Wesen, das denken, handeln, fühlen, vernünftig und moralisch sein soll, das zählen soll, wo es um Rationalität und Moralität, Schönheit und Liebe geht — und was ist aus ihm geworden? In den Konzentrationslagern, aber auch bei den »anständigen« Menschen. Bei der Hure, die auf den Strich geht, aber auch bei den Gutbürgerlichen. Zum Bilde Gottes sind wir geschaffen, aber wie elend geben wir dieses Bild manchmal wieder. Aber Gott der Vater hat uns

Page 236:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

»vorherbestimmt«, dass wir »gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes« — dieses herrlichen Sohnes Gottes. Im Glauben können wir dieses Gleichwerden mit Christus in gewissem Grade schon in diesem jetzigen Leben erfahren; darum geht es ja bei der Gegenwart unserer Erlösung, der Heiligung (5,1-8,17). Aber das endgültige Ziel, das wir erst in der Ewigkeit sehen werden, ist die volle Gleichgestaltung mit dem Bild seines lieben Sohnes.

Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht. (8,30)

Beachten wir die Erlösungsschritte, die Paulus in diesen Versen beschreibt: 1. »Denn die er ausersehen hat ...« [Elberfelder.: »vorher erkannt hat«]. 2. »... die hat er auch vorherbestimmt« (Vers 29). 3. »Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen.« 4. »Die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht.« 5. »Die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.« Wenn Gott Sie erwählt hat, sind Sie jetzt schon so gut wie im Himmel! Wenn Gott Sie gerechtfertigt hat, dann haben Sie keine Angst — Sie werden im Himmel dabei sein. Zu oft wird Gottes Erwählung als kalte theologische Rechenaufgabe dargestellt, als bloßer seelenloser Ausleseprozess. Aber als Paulus diese Worte schrieb, hatte er nur ein Ziel: seinen Lesern Heilsgewissheit zu geben. Wenn die Lehre von der Prädestination so dargestellt wird, dass sie unsere Heilsgewissheit verringert, wird sie nicht so dargestellt, wie die Bibel sie lehrt. Die Bibel lehrt Gottes Erwählung einzig und allein, um uns Heilsgewissheit zu geben. Wenn Sie Jesus als Ihren Heiland angenommen haben, darf Ihr Herz ruhig sein; er wird Sie durch die Tore der Herrlichkeit hindurch tragen.

Page 237:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Eine weitere Gewissheit findet Paulus in der Tatsache, dass Gott seinen Sohn Jesus in die Welt sandte, um für uns zu sterben.

Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben — wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? (8,31-32)

»Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat . . .« — das sollte uns an Johannes 3,16 erinnern: »Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.« Der unendliche Schöpfergott, der uns in seiner Allmacht vor Grundlegung der Welt erwählt hat, ist derselbe Gott, der jeden von uns so liebte, dass er seinen Sohn sandte, um für uns zu sterben. Wir haben die volle Gewissheit der Erwählung Gottes und die volle Gewissheit seiner unendlichen Liebe. Wir haben gesehen, wie Abraham Isaak zu dem Berg brachte, um ihn dem Herrn zu opfern. Gott verschonte Abrahams Sohn, aber seinen eigenen Sohn verschonte er nicht, »sondern hat ihn für uns alle dahingegeben«. Und wenn er so viel für uns getan hat, »wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken«, einschließlich des ewigen Lebens?Haben Sie Angst, Sie könnten wieder verloren gehen? Sie brauchen keine Angst zu haben. Der Heilige Geist tritt für Sie ein. Gott der Vater hat Sie erwählt und seinen Sohn ans Kreuz von Golgatha geschickt, um für Sie zu sterben. Man beachte die Ähnlichkeit zwischen Anfang und Ende dieses Abschnitts über die Heilsgewissheit, die Gott der Vater uns gibt: »Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen . . .« (Vers 28a) — »... wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?« (Vers 32b). Dies sollte jedem Fatalismus in der Wahrheit, dass »alle Dinge zum Besten dienen«, für immer den Garaus machen. Wir stehen nicht vor dem Schicksal, sondern vor dem Angesicht unseres lieben himmlischen Vaters, der uns erwählt und seinen Sohn für uns hat sterben lassen. Wenn Gott dies für uns getan hat,

Page 238:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

wird er uns gewiss »alles schenken«. Und darum dürfen wir wissen, »dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen«. Das ewige Leben ist für immer und ewig. Diese Gewissheit gibt uns die ganze Dreieinigkeit: durch das Wirken des Heiligen Geistes (8,26-27), durch das Werk Gottes des Vaters (8,28-32) und durch das Werk des Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus.

Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, ...(8,33-34a)

Christus ist nicht nur gestorben, er ist auch auferstanden. Als Jesus für uns starb, sagte er: »Es ist vollbracht.« Unsere Sündenschuld war voll bezahlt. Aber dann: »Ja, vielmehr . . .« Er ist auferstanden, er ist der lebendige Christus. Und was tut dieser lebendige Christus jetzt?

... der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. (8,34b)

Wir sahen bereits, dass der Heilige Geist »die Heiligen vertritt« (8,27), und jetzt erfahren wir, dass auch Jesus »uns vertritt«. Sein priesterliches Werk der Fürbitte für uns geht im Himmel weiter, auf der Basis seines am Kreuz vollbrachten Erlösungswerkes. Er steht für uns vor dem gerechten Richter des Universums, vor dem, gegen den wir gesündigt haben, und tritt für uns ein aufgrund dessen, was er ist und was er auf Golgatha für uns getan hat. Mit Jesus als unserem Für-sprecher ergreift die Heiligkeit Gottes gleichsam Partei für uns. Die Heiligkeit Gottes, die uns verurteilen muss, weil wir gegen ihn gesündigt haben, wirkt jetzt zu unseren Gunsten. Denn Jesus zeigt auf sein vergossenes Blut, und Gott der Vater kann, gerade weil er heilig und völlig gerecht ist, keine zweite Bezahlung für unsere Sünden verlangen. Jesus tritt für uns ein aufgrund der völligen Vergebung, die er für uns auf Golgatha errungen hat.

Page 239:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Jesus vertritt uns, und deshalb dürfen wir wissen, dass wir nie mehr verloren gehen können. Die Gewissheit unserer Erlösung beruht nicht auf unseren guten Werken, sondern auf Christi Erlösungswerk auf Golgatha und auf seinem Eintreten für uns vor Gott dem Vater. Ist es möglich, es zu übertreiben mit dem Glauben, dass »einmal erlöst« »immer erlöst« bedeutet? Es ist schlechterdings nicht möglich, ihn noch deutlicher zu formulieren als die Bibel das tut. Schauen wir uns 1. Johannes 2,1 an: »Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist.« Wieder finden wir sie, diese ständige Fürsprache Christi für uns. Können die Sünden, die wir nach unserer Bekehrung begehen, uns unsere Erlösung wieder nehmen? Nein! Warum nicht? Weil wir »einen Fürsprecher bei dem Vater« haben, und dieser Fürsprecher, der beim Vater für uns bittet, ist »Jesus Christus, der gerecht ist«. Er bittet nicht auf der Basis unserer vorhandenen oder nicht vorhandenen Gerechtigkeit für uns, sondern auf der Basis seiner eigenen vollkommen Gerechtigkeit, und diese Bitte muss Gott wegen seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit erhören. Wie wirksam ist dieses Eintreten Christi für uns? Der Autor des Hebräerbriefs hat viel zu sagen über die Vollständigkeit des Erlösungswerkes Christi. An einer Stelle schreibt er: »Daher kann er auch für immer selig machen, die durch ihn zu Gott kommen; denn er lebt für immer und bittet für sie« (Hebräer 7,25). Weil er sein Erlösungswerk für uns vollendet hat (»daher«), kann Jesus die unter uns, die an ihn glauben, »für immer« erlösen. Statt »für immer« können wir auch »völlig« lesen [so Elberfelder.). Ich glaube, der Autor des Hebräerbriefes hat an beide Bedeutungen gedacht. Jesus kann uns »völlig« erlösen, egal wie oft wir versagen, und er kann uns für immer und ewig erlösen. Wieder verloren gehen? Wie denn? Weil der Heilige Geist es nicht schafft mit uns? Weil Gott der Vater sich irrte, als er Sie oder mich zur Erlösung erwählte? Weil es ein Fehler war, dass er Christus sandte, um für uns zu sterben? Weil Christi Tod auf Golgatha nicht ausreicht? Weil Christus nicht

Page 240:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

genügend beim Vater für uns eintritt? Weil Gott uns auf Christi Fürbitte nicht vergibt, obwohl Christus doch unsere Schuld voll und ganz bezahlt hat? Wieder verloren gehen? Nein! Wir bekommen das ewige Leben für immer und ewig. Das garantiert uns der Heilige Geist (8,26-27), das garantiert uns Gott der Vater (8,28-32), das garantiert uns Jesus (8,32-34). Nach all diesen Zusicherungen möchten wir vielleicht sagen: »Danke, das reicht, jetzt weiß ich ganz bestimmt, dass ich meine Erlösung nie verlieren werde.« Aber in den Versen 35-39 ist es gerade so, als ob der Herr uns durch Paulus sagt: »Halt, warte! Ich möchte, dass du es so begreifst, dass du es nie wieder vergessen wirst. Nicht nur dann, wenn du dieses Buch liest, sondern auch dann, wenn du nicht mehr kannst, wenn die Wellen so hoch kommen, dass sie dich schier zerbrechen, wenn du am Boden liegst, wenn der Satan dir seine Hohnbrocken ins Gesicht wirft.« Gott sagt: »Ich will, dass du nie mehr vergisst, dass das ewige Leben für immer und ewig ist, selbst im schlimmsten Sturm.« Und so gibt er uns diese letzten gewaltigen Worte der Gewissheit:

Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? (8,35)

Vergessen wir nicht: Als Paulus diese Worte schrieb, mussten Christen für ihren Glauben sterben.

... wie geschrieben steht: »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.« (8,36)

Paulus zitiert hier Psalm 44,23, und es ist interessant, diesen Vers dort im Zusammenhang zu lesen. Der Psalmist fährt nämlich fort: »Wache auf, Herr! Warum schläfst du? Werde wach und verstoß uns nicht für immer! Warum verbirgst du dein Antlitz, vergisst unser Elend und unsre Drangsal? .. . Mache dich auf, hilf uns und erlöse uns um deiner Güte willen!« Psalm 44, 24-25.27). Der Psalmist sagt: »Wir werden

Page 241:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

den ganzen Tag getötet«, und dann schreit er zu Gott um Rettung für sein Volk. Paulus dagegen sagt: »Ja, es stimmt: >Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag.< Aber Christus ist gestorben, der Sieg ist errungen. Wir brauchen Gott nicht mehr anzuflehen, uns doch zu retten.« Jawohl, wir werden den ganzen Tag getötet, aber:

Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. (8,37)

Selbst inmitten von Prüfungen, die so schlimm sind wie die des Psalmisten, »sind wir mehr als Überwinder« [Elberfelder.]. In unserer eigenen Kraft? Natürlich nicht. Wir sind mehr als Überwinder »durch den, der uns geliebt hat«. Wir »leben Gott in Christus Jesus« (6, II), wir haben »die Gabe Gottes«, nämlich »das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn« (6, 23), und mit Paulus danken wir Gott »durch Jesus Christus, unsern Herrn« (7, 25). Und jetzt also 8,37: »Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.« Der Psalmist schreit in seiner Not zu Gott: »Wach auf!« Aber Paulus sagt uns: »Seid ruhig.« Doch, es kann sein, dass wir viel leiden müssen wegen unseres Glaubens an Christus, aber »in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat«. Wir sahen, dass die Verse über die Heilsgewissheit, die Gott der Vater uns gibt, mit »alle Dinge« bzw. »alles« beginnen und enden (Vers 28a, 32b). In Vers 37 geht es wieder um »alles«; »in dem allem« sind wir mehr als Überwinder. Wie umfassend ist dieses »in dem allen«?

Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. (8,38-39)

Nichts im ganzen Universum kann uns von Gottes Liebe trennen! Nicht nur die Dinge nicht, die wir sehen können, sondern auch die nicht, die wir nicht sehen können.

Page 242:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

Übernatürliche Kräfte, Dämonen, alle Mächte der Hölle, die ganze Hierarchie des Bösen. Jesaja sagt: »Zu der Zeit wird der Herr das Heer der Höhe heimsuchen in der Höhe und die Könige der Erde auf der Erde« (Jesaja 24,21). Am großen Tag des Gerichts wird Gott die Herrscher dieser Erde, die gegen ihn rebelliert haben, bestrafen, aber auch »das Heer der Höhe«, also unseren alten Feind, den Teufel, und all die Engel, die sich ihm angeschlossen haben. Jeder aus dem bösen Heer des Satans, der auf irgendeine Weise versucht, uns zu »scheiden von der Liebe Gottes«, wird besiegt werden. Was heißt das für uns? Wir »überwinden ... weit durch den, der uns geliebt hat.« Paulus beginnt diesen Schlussabschnitt mit der Frage: »Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?« (8,35), und er beendet ihn mit der Feststellung, dass nichts uns von der Liebe Gottes trennen kann (8,39). Dies erinnert mich immer an die Passage aus Johannes 10, die wir vorhin schon erwähnten: »Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen« (Johannes 10, 27-29). Wenn wir wirklich im Glauben zu Christus gekommen sind, gilt uns seine Zusage, dass wir »nimmermehr umkommen« werden und dass nichts uns »aus seiner Hand reißen« kann. Und dann, als ob dies noch nicht Gewissheit genug wäre, fährt er fort, dass uns auch nichts aus der Hand Gottes des Vaters reißen kann. Wenn Sie im Glauben zu Christus gekommen sind, kann nichts und niemand Sie von seiner Liebe und von der Liebe Gottes des Vaters trennen. Wieder kommt die Heilsgewissheit von der ganzen Trinität.

Lesen wir die Verse 35-39 noch einmal als Ganzes: »Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? wie geschrieben steht: >Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.< Aber in dem allen

Page 243:  · Web viewSie verurteilen die Dinge, die die Schlagzeilen machen, aber insgeheim leben sie genauso. Aber Gott wird nicht nur das richten, was in die Zeitung kommt, sondern auch

überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.« Vergessen wir nicht, dass diese Verse, wie der ganze Rest der ersten acht Kapitel des Römerbriefes, nichts als eine Auslegung des Schlüsselverses 1,16 ist: »Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben ...« Hier in diesen letzten Versen sehen wir die ganze Macht dieser Erlösung. Und der allerletzte Teil des allerletzten Verses dieser Auslegung zeigt uns gewissermaßen, warum es das Evangelium überhaupt gibt: Wir hätten es nie bekommen, wenn die »Liebe Gottes« nicht wäre, »die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.« Ja — wenn Sie Jesus als Ihren Heiland angenommen haben, dann ziehen Sie ihn zurück, den Vorhang. Wagen Sie einen Blick in die Zukunft, zu dem Tag hin, wo Ihr Körper auferweckt wird und Sie mit den Augen der Auferstehung die Herrlichkeit der erlösten und geheilten Schöpfung sehen werden. Freuen Sie sich auf den Tag, an dem Sie, verherrlicht und frei von der Gegenwart der Sünde, für immer und ewig mit Ihrem Herrn leben werden. Und wenn die Stürme des Lebens kommen und wir straucheln und rufen: »0 Gott, werde ich wirklich dabei sein?«, dann ist die Antwort: Das ewige Leben ist für immer und ewig; sei still, Geliebter, du wirst dabei sein. Du brauchst dich nicht zu sorgen. Wenn du Christus als deinen Erlöser angenommen hast, wirst du dabei sein. Der Grund und Garant dafür ist das Werk der ganzen Dreieinigkeit.