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Wien, 13. September 1911 Der „W. £ A." erscheint jeden 2. u. 4. Mittwoch im Monat. Re- daktion und Ex- pedition Wien, XIV. Bez., März- Straße 3, 11/16 Gelder sind zu senden an Rud. Großmann, Klosterneuburg, Kierlingerstr. 183 Mit monatlichem literarischem Beiblatt „ O h n e H e r r s c h a f t " Hymne. Wir sind die hoffnungsvollen Geschlechter der Gegenwart, die freudig schauen in die Zukunft. Unsere harten Fäuste bauen an dem Schloß der Freude, dessen Türme Sonnengold und Sternensilber trinken müssen. Wir brechen die Ketten des Geldes und schmieden daraus die ehernen Pfeiler zu unserem Schloße, dessen mächtige Quadern, die — gebrannt in dem Feuer der Not und des Elends Ungezählter — verbunden hält der Schweiß unserer Arbeit. Wir nehmen die Tücher unserer Frauen, die benetzt von den Tränen Unseliger Nächte sind. Die gesegnet sind von dem heiligen Schmerz unserer Mütter Und nähen daraus herzrote Fahnen, Herzrote Banner der Freiheit Für die Türme unseres Schlosses der Zukunft. De Profundis. Vor Sonnenaufgang. "Vom Feigenbaum aber lernt ein Gleich- nis. Wenn sein Zweig im Frühjahr weich wird und Blätter treibt, so merkt ihr, daß der Sommer nahe ist. So merkt auch, wenn ihr das alles seht, daß er, der Menschen- sohn, nahe ist vor der Tür ! Wahrhaftig, ich sage euch, diese Generation wird nicht ver- gehen, bevor das alles geschieht . . ." Evang. nach Matthäus 24. (Aus Curt Stage's: „Das Neue Testament über- setzt in die Sprache der Gegenwart"). Ihr alle, die ihr zagend und bange fürchtend in der eigenen Kleinlichkeit die Größe des gewaltigen Menschheitswillens übersehen habt — freuet euch, denn das Ende ist nahe, und die alte Welt ist im Sterbenskampfe! Mit inniger Freude son- dergleichen, mit zunehmender Kraft und Energieschwellung vernahmen wir jene Kunde, die sich uns darbot als reifste Er- kenntnis, die aus der kolossalen Streik- und Aufstandsaktion der englischen Arbeiter zu gewinnen ist. Wie zahlreich sind die Zag- haften in der sozialen Bewegung, und wie kleingläubig blicken sie auf die unendliche Stärke des gesunden Arbeiterwillens und seiner geschlossenen Solidaritätsmacht! Und man grübelt und zerbricht sich den Kopf über die Frage, wie man den Arbei- tern „helfen" könnte, wie man, durch Sparen und Kleinkauf der Arbeitswerkzeuge den Produzenten wenigstens in minimalem Ausmaß in den Besitz der Arbeitswerkzeuge setzen könne — so ganz unmerklich, da- mit die Kapitalisten und der Staat es gar nicht; schmerzlich empfinden und in ihrer Entrechtungs- und Ausbeutungsmacht ja nicht gestört werden. Und groß ist die die Zahl der Reformer und Heilkünstler und Quacksalber, die alle sich um die Un- vermeidlichkeit des Austrages durch die soziale Revolution herumdrücken möchten und da wähnen, daß ein System absterben würde, ohne daß die Arbeiterklasse ihm ein definitives Ende zu bereiten brauche. Wie oft muß für eine solche kompromißartige, Rastbedürfnis kündende Erklärung nicht auch eine große erhabene Lehre herhalten, deren Idee dann, scheinbar um ihre Unbe- flecktheit und Reinheit zu bewahren, dazu benützt wird, sie aus dem gesunden Erd- reich zu heben und in die Sphären der un- fruchtbaren rein geistigen Abstraktion zu ver- pflanzen. Als ob eine Idee noch ein Etwas wäre, sobald sie Fleisch und Blut verlöre, ihrer erdgeborenen Art sich entkleidete und nur für Auserlesene ein köstliches Gut bliebe. Mit dem Anarchismus ist und wird es glücklicherweise nimmer so werden. Er existiert im Kampf, und seine Trägerin muß und kann einzig und allein jene Klasse sein, der das Vorrecht allein eigen ist, das bestehende System mit den wirksamsten wirtschaftlichen, Sozialrevolutionären Me- thoden bekämpfen zu können: die Ar- beiterklasse. Ihr Aufstieg ist langsam, ihre Unwissenheit ist groß, ihre Betörung sehr leicht, und allerhand politisches Gesindel zehrt daran und lebt von der Nieder- und Fernhaltung der Arbeiter von ihrem ur- eigenen Element, dem Kampf gegen das kapitalistische System. Doch gebt diesen Ar- beitern erst einmal die Idee des Anarchismus in der ihm wahren Volkseigenart — und ihr werdet eine Kraft der Solidarität, der Kampfesgeschlossenheit und des Mutes wahrnehmen, wie sie nicht nur keine an- dere Klasse aufbringt, wie auch keine an- dere Klasse in derartig paralisierender, für das bestehende Ausbeutungssystem todes- bringender Form gegenüber dem System und in gewaltloser Form gegenüber dessen Menschen ausüben kann. Das hat uns der englische General- streik der Dockarbeiter, der Eisenbahner etc., gelehrt und gezeigt: Die Arbeiterklasse hat bereits die Reife ihrer kraft, sie verfügt heute schon über das Können, sie hält die Mittel der Aktion zur Zerschmetterung der Ausbeutung und sozialpolitischen Verskla- vung in ihren Händen; die Arbeiterklasse hat durch ihre Gewerkschaften, durch ihre wirtschaftlichen Kampfsolidaritäts - Vereini- gungen bereits alle jene Abschlußkanäle gegenüber der bestehenden Zwangsorgani- sation der Gesellschaft im Bereiche ihres Besitzes — sie kann das System des Ka- pitalismus beseitigen, w e n n s i e e s w i l l , es ist ihr auf Gnade und Ungnade ausge- geliefert, die Waffe des Generalstreiks hat sie zur allmächtigen Gebieterin über Sein oder Nichtsein des Kapitalismus gemacht. Nur eines fehlt ihr, und das müssen wir ihr bringen, um sie nicht immer wieder vor Ausübung des entscheidenden Kaiserschnittes am Körper der Gesellschaft zurücktreten zu lassen in die alte Sklaverei: das ist die Idee, das Ideal, der große E r k e n n t n i s g e d a n k e d e s A n a r c h i s - mus. Ihm diesen hunderttausenden Men- schen und gesellschaftlich allein Unentbehr- lichen gebracht, von ihnen aufgenommen und sie, die heute vor Sonnenaufgang stehen, werden das Strahlengestirn des Lichtes in den Zenithpunkt rücken durch die Verwirklichung des Kampfideales des Anarchismus: die kommunistische An- archie ! * Die englische Arbeiterklasse hat lange gebraucht, bis sie sich wieder ermannte und nach jenem Ausgangspunkt zu neuem Beginnen zurückkehrte, der allein fruchtbar sein kann: zur Umwandlung ihrer Organi- sationen in die Kampfeskohorten des revo- lutionären Klassenringens im Geiste Robert Owens, des genialen Sozialisten des praktischen Anfanges der englischen Ar- beiterbewegung. Was sie als das bestent- lohnte Proletariat Europas erreicht hat, durch das Kämpfen in diesem Zeichen hat sie es erreicht. Damals war es für die Bourgeoisie noch möglich, die Massen wieder einzulullen, teils durch die poli- tischen Lockspeisen der Chartisten, die nach dem Wahlrecht strebten, teils durch reale wirtschaftliche Zugeständnisse. Es war die Ära des aufsteigenden Kapitalismus in England, die alles wieder wett zu machen wußte durch Stetgerung ihres Profits und der Steigerung der Lebensmittelpreise we- sentlich entbehren konnte. Heute war und ist es anders. Den eingelullten Arbeitern, die sich betört der Politik zuwandten, konnte nicht mehr das gewährt werden, was ehedem noch möglich war: eine, der gesteigerten Preislage der Güter und Waren entsprechende Steigerung der Lebenslage der Arbeiter, ohne Beeinträchtigung des kapitalistischen Profits. Wohl schrieen und zeterten die Politikanten der englischen Arbeiterpartei genug, wohl bewährten sie Einzelexemplar 10 Heller, mit Porto 13 Heller 4. Jahrgang. Nr. 17. Abonnements- preis mit freier Postzusendung beträgt ganz- jährig K 3 — ; halbjährig K 1.50. Für die Länder des Weltpost- vereines ganz- jährig Fr. 3-50, halbjähr.Fr.1-75, vierteljähr. 90 Ct. Hymne (Gedicht). — Vor Sonnenaufgang. — Peter Krapotkin: An die jungen Leute. Separatismus oder Föderalismus. Franz Kastor: Die Stellung des Individuums zum Anarchismus. — Rote Jesuitenmoral. — Alexander Ular: Die Sabotage. Hermann: Religion ist Privatsache. Ludwig Kornmüller: Reveille! (Gedicht). — Tom Mann: Mein Austritt aus der Sozialdemokratie. — Aus der Internationale: Nieder-Österreich. — Böhmen. — Steiermark. — Tirol. — Ungarn. — Holland. — Unsere Bewegung. Inhalt:

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Wien, 13. September 1911

Der „W. £ A."erscheint jeden2. u. 4. Mittwochim Monat. Re-daktion und Ex-pedition Wien,XIV. Bez., März-Straße 3, 11/16Gelder sind zu

senden anRud. Großmann,Klosterneuburg,Kierlingerstr. 183

Mit monatlichem literarischem Beiblatt „ O h n e H e r r s c h a f t "

Hymne.Wir sind die hoffnungsvollen Geschlechter der Gegenwart, die freudig schauen in die Zukunft. Unsere harten Fäuste bauen an dem Schloß der Freude, dessen Türme Sonnengold und Sternensilber trinken müssen. Wir brechen die Ketten des Geldes und schmieden daraus die ehernen Pfeiler zu unserem Schloße, dessen mächtige Quadern, die — gebrannt in dem Feuer der Not und des Elends Ungezählter — verbunden hält der Schweiß unserer Arbeit. Wir nehmen die Tücher unserer Frauen, die benetzt von den Tränen Unseliger Nächte sind. Die gesegnet sind von dem heiligen Schmerz unserer Mütter Und nähen daraus herzrote Fahnen, Herzrote Banner der Freiheit Für die Türme unseres Schlosses der Zukunft.

De Profundis.

Vor Sonnenaufgang."Vom Feigenbaum aber lernt ein Gleich-

nis. Wenn sein Zweig im Frühjahr weichwird und Blätter treibt, so merkt ihr, daßder Sommer nahe ist. So merkt auch, wennihr das alles seht, daß er, der Menschen-sohn, nahe ist vor der Tür ! Wahrhaftig, ichsage euch, diese Generation wird nicht ver-gehen, bevor das alles geschieht . . ."

Evang. nach Matthäus 24. (Aus Curt Stage's: „Das Neue Testament über-setzt in die Sprache der Gegenwart").

Ihr alle, die ihr zagend und bangefürchtend in der eigenen Kleinlichkeit dieGröße des gewaltigen Menschheitswil lensübersehen habt — freuet euch, denn dasEnde ist nahe, und die alte Welt ist imSterbenskampfe! Mit inniger Freude son-dergleichen, mit zunehmender Kraft undEnergieschwellung vernahmen wir jeneKunde, die sich uns darbot als reifste Er-kenntnis, die aus der kolossalen Streik- undAufstandsaktion der englischen Arbeiter zugewinnen ist. Wie zahlreich sind die Zag-haften in der sozialen Bewegung, und wiekleingläubig blicken sie auf die unendlicheStärke des gesunden Arbeiterwillens undseiner geschlossenen Sol idari tätsmacht!Und man grübelt und zerbricht sich denKopf über die Frage, wie man den Arbei-

tern „helfen" könnte, wie man, durchSparen und Kleinkauf der Arbeitswerkzeugeden Produzenten wenigstens in minimalemAusmaß in den Besitz der Arbeitswerkzeugesetzen könne — so ganz unmerklich, da-mit die Kapitalisten und der Staat es garnicht; schmerzlich empfinden und in ihrerEntrechtungs- und Ausbeutungsmacht janicht gestört werden. Und groß ist diedie Zahl der Reformer und Heilkünstlerund Quacksalber, die alle sich um die Un-vermeidlichkeit des Austrages durch diesoziale Revolution herumdrücken möchtenund da wähnen, daß ein System absterbenwürde, ohne daß die Arbeiterklasse ihm eindefinitives Ende zu bereiten brauche. Wieoft muß für eine solche kompromißartige,Rastbedürfnis kündende Erklärung nichtauch eine große erhabene Lehre herhalten,deren Idee dann, scheinbar um ihre Unbe-flecktheit und Reinheit zu bewahren, dazubenützt wird, sie aus dem gesunden Erd-reich zu heben und in die Sphären der un-fruchtbaren rein geistigen Abstraktion zu ver-pflanzen. Als ob eine Idee noch ein Etwas wäre,sobald sie Fleisch und Blut verlöre, ihrererdgeborenen Art sich entkleidete und nurfür Auserlesene ein köstliches Gut bliebe.

Mit dem Anarchismus ist und wird esglücklicherweise nimmer so werden. Erexistiert im Kampf, und seine Trägerin mußund kann einzig und allein jene Klassesein, der das Vorrecht allein eigen ist, dasbestehende System mit den wirksamstenwirtschaftlichen, Sozialrevolutionären Me-thoden bekämpfen zu k ö n n e n : die Ar-beiterklasse. Ihr Aufstieg ist langsam, ihreUnwissenheit ist groß, ihre Betörung sehrleicht, und allerhand politisches Gesindelzehrt daran und lebt von der Nieder- undFernhaltung der Arbeiter von ihrem ur-eigenen Element, dem Kampf gegen daskapitalistische System. Doch gebt diesen Ar-beitern erst einmal die Idee des Anarchismusin der ihm wahren Volkseigenart — und ihrwerdet eine Kraft der Solidarität, derKampfesgeschlossenheit und des Muteswahrnehmen, wie sie nicht nur keine an-dere Klasse aufbringt, wie auch keine an-dere Klasse in derartig paralisierender, fürdas bestehende Ausbeutungssystem todes-bringender Form gegenüber dem Systemund in gewaltloser Form gegenüber dessenMenschen ausüben kann.

Das hat u n s der englische General-streik der Dockarbeiter, der Eisenbahneretc., gelehrt und gezeigt: Die Arbeiterklassehat bereits die Reife ihrer kraft, sie verfügtheute schon über das Können, sie hält dieMittel der Aktion zur Zerschmetterung derAusbeutung und sozialpolitischen Verskla-vung in ihren Händen; die Arbeiterklasse

hat durch ihre Gewerkschaften, durch ihrewirtschaftlichen Kampfsolidaritäts - Vereini-gungen bereits alle jene Abschlußkanälegegenüber der bestehenden Zwangsorgani-sation der Gesellschaft im Bereiche ihresBesitzes — sie kann das System des Ka-pitalismus beseitigen, w e n n s i e e s w i l l ,es ist ihr auf Gnade und Ungnade ausge-geliefert, die Waffe des Generalstreiks hatsie zur allmächtigen Gebieterin über Seinoder Nichtsein des Kapitalismus gemacht.

Nur eines fehlt ihr, und das müssenw i r ihr br ingen, um sie nicht immerwieder v o r Ausübung des entscheidendenKaiserschnittes am Körper der Gesellschaftzurücktreten zu lassen in die alte Sklaverei:das ist die I d e e , das I d e a l , d e r g r o ß eE r k e n n t n i s g e d a n k e d e s A n a r c h i s -mus. Ihm diesen hunderttausenden Men-schen und gesellschaftlich allein Unentbehr-lichen gebracht, von ihnen aufgenommenund sie, die heute vor Sonnenaufgangstehen, werden das Strahlengestirn desLichtes in den Zenithpunkt rücken durchdie Verwirklichung des Kampfideales desAnarchismus: — die kommunistische An-archie !

*

Die englische Arbeiterklasse hat langegebraucht, bis sie sich wieder ermannteund nach jenem Ausgangspunkt zu neuemBeginnen zurückkehrte, der allein fruchtbarsein kann: zur Umwandlung ihrer Organi-sationen in die Kampfeskohorten des revo-lutionären Klassenringens im Geiste RobertO w e n s , des genialen Sozialisten despraktischen Anfanges der englischen Ar-beiterbewegung. Was sie als das bestent-lohnte Proletariat Europas erreicht hat,durch das Kämpfen in diesem Zeichen hatsie es erreicht. Damals war es für dieBourgeoisie noch möglich, die Massenwieder einzulullen, teils durch die poli-tischen Lockspeisen der Chartisten, dienach dem Wahlrecht strebten, teils durchreale wirtschaftliche Zugeständnisse. Es wardie Ära des aufsteigenden Kapitalismus inEngland, die alles wieder wett zu machenwußte durch Stetgerung ihres Profits undder Steigerung der Lebensmittelpreise we-sentlich entbehren konnte. Heute war undist es anders. Den eingelullten Arbeitern,die sich betört der Politik zuwandten,konnte nicht mehr das gewährt werden,was ehedem noch möglich wa r : eine, dergesteigerten Preislage der Güter und Warenentsprechende Steigerung der Lebenslageder Arbeiter, ohne Beeinträchtigung deskapitalistischen Profits. Wohl schrieen undzeterten die Politikanten der englischenArbeiterpartei genug, wohl bewährten sie

E i n z e l e x e m p l a r 10 Hel ler , m i t Po r t o 13 Hel ler 4. Jahrgang. Nr. 17.

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Für die Länderdes Weltpost-vereines ganz-jährig Fr. 3-50,halbjähr.Fr.1-75,vierteljähr. 90 Ct.

Hymne (Gedicht). — Vor Sonnenaufgang. — Peter Krapotkin: An die jungen Leute. — Separatismus oder Föderalismus. — Franz Kastor: DieStellung des Individuums zum Anarchismus. — Rote Jesuitenmoral. — Alexander Ular: Die Sabotage. — Hermann: Religion ist Privatsache. —

Ludwig Kornmüller: Reveil le! (Gedicht). — Tom Mann: Mein Austritt aus der Sozialdemokratie. — Aus der Internationale: Nieder-Österreich. — Böhmen.— Steiermark. — Tirol. — Ungarn. — Holland. — Unsere Bewegung. —

Inhalt:

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sich als Schutzwehr d ieses kapi ta l is t ischenSys tems, indem sie es rechtzeit ig zu Zuge-s tändn issen auf forder ten, wäh rend ihreBrüder , d ie Bürokratenkl iquen in den zentra l i -sierten Gewerkschaf ten, belastet von riesigenUnters tü tzungsfonds, ihr denkbar Mögl ich-s tes taten, die Arbei terk lasse vom Kampfzurückzuhal ten, indem sie mit ihren Un te r -s tü tzungen d ie Härten des Kap i ta l ismussche inbar und ansche inend mi lder ten. D o c hauf die Daue r half n ichts . D ie eng l ischeArbei terk lasse mußte s ich se lbst e rmannen ,mußte d a s Joch des Zen t ra l i smus b r e c h e n ;sie st ieß ihre Führer und Verführer beiSeite, sie se lbst nahm den Ausbruch desKampfes auf s ich, und die Füh rung desse lbengehör t zu den glorre ichsten Blät tern in derGesch ich te de r in ternat ionalen revo lu t ionärenArbe i te rbewegung.

Mit e inem Sch lage hat te sich e ineko lossa le Wir tschaf tsmacht dem nächt l ichenDunke l des kapi ta l is t ischen Sys tems ent -r issen — u n d in ihrem Kampf w ä h r e n ddesse lben, da konn te man bemerken , w ielangsam und deut l ich sich die z i t terndenersten Strahlen der aufgehenden S o n n e desBegriffes unend l icher Eigenkraft und E igen-mach t d u r c h r a n g e n : die engl ischen Arbei terwerden n icht mehr in die Nach t ihrer u n -mi t te lbaren Vergangenhe i t z u r ü c k z u s c h a u -dern sein, s ie s tanden und s tehen bere i tsin der He l l dämmerung des w e r d e n d e nSonnenau fganges der soz ia len Revo lu t ion .

* * *Wie ans teckend kräft igend wirkt d o c h

der wir tschaf t l iche K lassenkampf in de rArbei terschaf t ! Kaum sah d ie eng l ischeArbe i te rbewegung , wie machtvo l l s ich d ieD o c k - und T ranspo r ta rbe i t e r im so l i da r i -schen Genera ls t re ik du rchzuse tzen ve rs tan -den , da waren es auch schon d ie w ich t igs tenArbe i terkategor ien e ines jeden Landes , d ieder E i senbahnen , die, o h n e sich noch längerum die hemmenden Ans t rengungen ihrerFühre r zu b e k ü m m e r n , in den A u s s t a n dt raten. Zuers t in e iner S tad t ; aber , o h n e e in -hei t l iche Prok lamat ion , o h n e vorher ige B e -ra t sch lagung griff, g le ich n a c h den ers ten

v ierundzwanz ig S tunden , der Prä r ieb randd e s Genera ls t re ikes um sich. S tad t auf S tad tfolgte ihm, Bahnhof auf Bahnhof w u r d e vonUnmengen unbewegl icher W a g g o n e u n dZüge vers taut und verrammel t . E in ganzesVolk fühlte die Kraft seines geeinten Wi l lens,die noch lange nicht alle Minen hat tespr ingen lassen, d ie ihr zu G e b o t e s tanden .U n d mit einer immensen Raschhe i t d e z e n -tral is ierte sich der Kampf in fast al lenS täd ten ; Pol izei , Mil i tär, alle bewaffnete G e -wal t war ziemlich ohnmächt ig , denn j e d e sZurücksch lagen der empör ten Vo lksmassenverschärf te nur die Si tuat ion. Zwanz igMil l ionen Ver luste haben d ie E i s e n b a h n -kompagn ien durch d ie ach tundv ie rz ig -s tünd ige D a u e r . des E isenbahners t re iks zuverze ichnen ; w a s w ä r e abe r erst geschehen ,w e n n die G a s - und Elektr iz i tä tsarbei ter mitin den Sol idar i tä tskampf t r a ten? W e n n dieB e r g - und Hüt tenarbe i te r in den Auss tandget re ten w ä r e n ? W e n n n ich t nur hunder te ,sonde rn t a u s e n d e von Fabr iken spe r renmußten, weil auch ihre Arbei ter in den Kampffür e igene F o r d e r u n g e n t r a t e n ? Eine Wo lke d e swir tschaf t l ichen Guer i l lakr ieges w o g t e übe rd a s ganze L a n d ; hier zeigte s ich d ie soz i -ale Revo lu t ion in ihrem g rand iosen Auf-t r e t e n : d ie wir tschaf t l iche Erz iehung d e rPersön l i chke i t gegenübe r dem he r r schendenSys tem, s ie ist mächt iger a ls alle Geschü tzed e s Mi l i tar ismus, d e n n e in ige H u n d e r t t a u s e n d ,d ie nicht länger f rohnen wol len, g e n ü g e n , umalle die S tü tzen u n d Bo l lwerke d ieses aufÜbervo r te i l ung , N ieder t rach t , M e n s c h e n -s c h ä n d u n g au fgebauten N a r r e n t u m e s , de rs ich d ie Gesel lschaf t d e s Kap i ta l i smus nennt ,zum E ins tu rz zu b r ingen .

* * *D o c h n o c h s i nd d ie eng l i schen Arbe i te r

n ich t so wei t . I hnen fehlt d ie g roße , s ie e rs twahrhaf t zur Macht e rs ta rkende Idee d e skommun is t i schen Ana rch i smus , u n d n iema lskonn te m a n k larer e rkennen , w ie d ie N u r -gewerkschaf t le re i , d ie b l o ß e gewerkscha f t -l iche Akt ion, de ren Ziel aussch l ieß l ich d ieVere inhe i t l i chung von Dif ferenzen zw ischenKapi ta l u n d Arbei t ist, d ie n icht d a s P r i n z i p :

A b s c h a f f u n g d e r L o h n s k l a v e r e i !a ls obe rs tes Le i tgebot ihrem ganzen Tunund Lassen unter legt , wie, wenn auch nichtwer t los — denn jede Massenakt ion ist vonunschä tzba rem W e r t — aber doch unbe-deu tend s ie in ihren Zielen und Zweckenfür die Massen ist. W ie unendl ich mehrhät ten d ie eng l i schen E isenbahner erreicht,hät te d ie gesamte Arbei terk lasse Englandser rungen, w e n n n u r einige zehntausendedieser Stre iker und Kämpfer von den idealenG r u n d s ä t z e n des kommun is t i schen Anarchis-m u s erfüllt gewesen w ä r e n ! Welche Erweite-rung u n d A u s d e h n u n g in folgerichtiger ge-sunde r F o r m hät te d ieser Streik annehmenkönnen , w e n n d iese E isenbahner geistig denG e d a n k e n au fgenommen hät ten, daß sienun d ie E i senbahnen zu Gunsten des ganzenVolkes fahren müßten und daß die Dock-arbei ter zu Guns ten des Volkes die Schiffeent - und ver laden u n d die W a r e n und Pro-duk te se lbs t an d ie Konsumen ten — dasgesamte Volk — zu beste l len hätten, nichtnur Uber d ie Köpfe ihrer Führer hinwegden Stre ik zu erk lä ren, s o n d e r n auch über dieKöpfe der R h e d e r h i n w e g die Versorgungdes gesamten K o n s u m s der Bevölkerungd e r Mi l l i onens tad t durchzuführen hätten! Som u ß es k o m m e n ; d ie Arbei ter dahin auf-zuk lären, d a s ist unse re Aufgabe.

So lche aufgeklär te Arbei ter hätten esnie zuge lassen , d a ß d ie Pol i t ikanten undFühre r , n a c h d e m sie s c h o n glücklich be-sei t igt wa ren , es w ieder hät ten wagen dürfen,auf d ie Ve rsp rechungen der Regierung hin,den Kampf vorzei t ig abzubrechen . DieserGenera ls t re ik de r E i s e n b a h n e r ist einew u n d e r b a r e Sache g e w e s e n , s ie gehört zuden großar t igs ten Vorkämpfen und Vor-p o s t e n der k o m m e n d e n Umwä lzung unsererZeit , b e s o n d e r s du rch d ie erhebende Soli-dar i tä t de r ve rsch iedenen Branchen undKategor ien, mit de r d ie Angriffe der Staats-g e w a l t z u r ü c k g e w i e s e n w u r d e . Aber wirbef inden u n s ers t im anfängl ichen Stadium;die Arbei ter lernen, w i e z u r e i t e n , allein siek ö n n e n n o c h n ich t re i ten ! D a ß sie es er-le rnen so l len , h a b e n w i r kommunistischenAnarch is ten zu b e s o r g e n . W i r müssen un-

An die jungen Leute.Von Peter Krapotkin.

(Fortsetzung.)

IV.

Dre i lange Kapi te l h a b e ich g e b r a u c h t , um den j ungenLeuten d e r w o h l h a b e n d e n K lassen zu beweisen, d a ß anges i cht sdes Zw iespa l tes , vor we l chem sie d a s Leben stel l t , s ie , w e nn siemut ig u n d aufr icht ig sein wol len, g e z w u n g e n s ind, s ich in d ieReihen der revo lu t ionären Sozia l is ten und Anarch is ten zu ste l lenu n d mit ihnen d ie S a c h e der soz ia len Revo lu t ion zu ver fechten.D iese Wahrhe i t ist d o c h so e in fach! Abe r w e n n man zu jenenspr ich t , d ie unter dem Einf luß d e r Bourgeo is ieverhä l tn i sse auf-g e w a c h s e n s ind , w ie viele T r u g s c h l ü s s e m u ß man da bekämpfen ,w ie viele Vorurtei le bes iegen , w i e v ie le se lbs tsüch t ige E in -w e n d u n g e n aus dem W e g e r ä u m e n !

Es ist mi r le icht, m ich kürzer zu fassen, w e n n ich zu euchsp reche , j unge Leute d e s Vo lkes . D ie Lebensno twend igke it se lbs tt re ibt euch dazu, revo lu t ionäre Soz ia l is ten zu we rden , we n n ihrn u r Mu t hab t , zu denken u n d im E ink lang mit eurem Denkenzu hande ln . Ta tsäch l i ch ist de r m o d e r n e revo lu t ionäre Soz ia l i s -m u s a u s den Tiefen des Vo lkes se lbs t he rvo rgegangen . W e n nein ige D e n k e r a u s den Reihen d e r Bourgeo is ie demse lben d ieRecht fer t igung du rch d ie Wissenscha f t u n d d ie Un te rs tü tzungder Ph i l osoph ie h inzugefügt haben , so s ind die G r u n d i d ee n , diesie ve rkünde t haben , n i ch t sdes towen ige r ein E rgebn i s vom ko l lek-t iven Ge is te des a rbe i tenden Volkes. D ieser vernunf tgemäße r e v o -lu t ionäre Soz ia l i smus de r In te rna t iona le8 ) , in w e l c h e m heu teunsere bes te Kraft bes teht , is t er n icht in den Arbe i te ro rgan i -sa t ionen , unter d e m d i rek ten Einfluß der M a s s e n ausgearbei te tw o r d e n ? Und d ie p a a r Schri f tstel ler, d ie an der Ausarbe i tungd ieser Ideen mi tgewirk t , h a b e n s ie e t w a s a n d e r e s ge tan , a l s d ieForme ln für jene Bes t rebungen zu f inden, d ie s ich bere i ts un te rd e n Arbei tern ge l tend m a c h t e n ?

A u s den Reihen d e s a rbe i t enden Vo lkes he rvo rgehen u n dsein Leben n icht d e m Siege d e s Ana rch i smus u n d Soz ia l i smusw i d m e n , bedeu te t , se ine e igenen In te ressen zu ve rkennen , se ine

e igene Sache u n d se ine h i s to r i sche Aufgabe zu verleugnen.E r inne rs t du d ich der Ze i ten , wo du a ls kleiner Junge an

einem Win te r tag in die dunk le G a s s e h inabs t iegs t , um zu spielen?Die Käl te d r a n g durch de ine d ü n n e n Kleider, und der Straßen-s c h m u t z d u r c h n ä ß t e de ine ze r r i ssenen Schuhe . Damals schon,w e n n du von we i tem d iese au fgepäppe l ten , re ich angezogenenKinder vo rbe igehen sahst , d ie d ich h o c h m ü t i g anstar r ten, wußtestdu, d a ß d iese aufgeputz ten P u p p e n d i r u n d deinen Gefährtenw e d e r , im Vers tand, noch im r icht igen Gefühl , noch in Tatkraftebenbü r t i g w a r e n . Aber spä te r , a ls du g e z w u n g e n warst , dich ineine schmu tz ige Werks ta t t e inspe r ren zu lassen und, um fünfode r s e c h s Uh r mo rgens an fangend, zwölf S tunden lang bei einersausenden M a s c h i n e s tehen u n d deren unerb i t t l i chen, fortwährendwiederho l ten B e w e g u n g e n folgen mußtes t , b is du selber zurM a s c h i n e g e w o r d e n , w ä h r e n d d ieser Zei t g ingen diese, dieK inder d e r Re ichen, ruh ig in die s c h ö n e n Schulen und Universi-tä ten, um zu le rnen . U n d jetzt s ind d iese selben Kinder, diewen iger Vers tand h a b e n als du , a b e r mehr lernen konnten, deineVorgesetz ten g e w o r d e n , sie w e r d e n alle Annehmlichkeiten desLebens , al le W o h l t a t e n der Zivi l isat ion gen ießen — und du?W a s für ein Leben e rwar te t d i c h ?

Du keh rs t he im in ein k le ines , d u n k l e s und feuchtes Zimmer,wo fünf, s e c h s M e n s c h e n auf d e m Raum von einigen Quadrat-metern z u s a m m e n g e p f e r c h t s i n d ; wo de ine Mut ter , ermüdet durchsLeben, gea l te r t — meh r d u r c h d ie So rgen a ls durch die Zeit — dir a ls e inzige N a h r u n g Brot , Kartoffeln und eine schwärzlicheB rühe , d ie man Kaffee nenn t , au f t i sch t ; wo als Zerstreuung immerd iese lben F ragen den Gesprächss to f f b i l d e n : w ie man morgenden Bäcke r u n d übe rmorgen den Haushe r rn bezahlen kann . . .

W a s ! Muß t du für immer d ieses e lende Dase in fristen, dasdeine El tern dre iß ig , v ierz ig Jah re lang e rdu lde t h a b e n ? Mußtdu dein g a n z e s Leben h i n d u r c h arbe i ten , um für einige Menschenal len G e n u ß d e s W o h l s t a n d e s , d e s W issens , der Kunst zu ver-schaffen, w ä h r e n d d i r se lbs t n u r d ie fo r twährende Sorge um dastägl iche S tückchen B r o d übr ig b l e i b t ? Wi l ls t du für immer allementsagen , w a s d a s Leben s c h ö n mach t , um einer Handvoll Müßig-gängern al le Vorte i le verschaf fen zu k ö n n e n ?

(Fortsetzung folgt.)

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damit das einzelne Individuum mehr oderweniger in den Hintergrund. Im Gegensatzzu all diesen sogenannten „sozialen" Parteiengeht die Weltanschauung des Anarchismushauptsächlich von dem e i n z e l n e nM e n s c h e n aus, dem Individuum als. Per-son und als Teil des Gesellschaftsganzen,mit seinen Ansprüchen und Forderungen andas tägliche Leben, seinen moralischen undethischen Neigungen, seinen Bedürfnissen;stets von dem Standpunkte ausgehend, daßallein die Freiheit des Individuums die Frei-heit in der Gesellschaft verbürgen kann.

Anfänglich, solange er im Banne irgendeiner übersinnlichen Religion stand, glaubteder Mensch, daß nur ein höheres Wesen ihmFreiheit und Glück zu bringen imstande sei.Mit dem Auftreten der verschiedenen sozi-alen und liberalen Strömungen in der Ge-sellschaft gewann der Mensch Ideen, dieihm wohl Glück und Freiheit versprachen,aber diese von der Einsetzung einer mensch-lichen Autorität über die Menschen, überdie Gesellschaft abhängig machten. Niemalsaber kann die Autorität Glück und Freiheitverwirklichen, da das Ich, das Individuum,in einem jeden neuen Zustand der Autoritätgenau so versklavt und geknechtet sein mußwie in dem früheren.

Der Anarchismus fordert die Freiheitder Persönlichkeit, freie Betätigung desIndividuums, um nach seinen Gefühlen,Wünschen und Neigungen sein Glück, seinIdeal verwirklichen zu können. Der Anar-chismus erstrebt eine neue Menschheits-kultur, die befähigt sein wird, geistig reife,empfängliche, initiativbegabte und physischgesunde Individuen hervorzubringen, diedurch Selbsterkenntnis und Schätzung ihreseigenen Ichs, durch gegenseitige Liebe undAchtung sich sozial auf der Grundlage ge-sellschaftlicher Freiheit und sozialer Gleich-heit erhalten. Die anarchistische Bewegungund der Anarchist haben deshalb die Auf-gabe, unausgesetzte Propaganda unseresIdeals zu entfalten, wie Kritik an allenMenschen und Institutionen der bestehendenGesellschaft zu üben, um seine Brüder,Schwestern und Leidensgenossen aus demSumpfe der Autorität herauszureißen, umdie versklavten Individuen durch gutes Bei-spiel zur inneren Selbstbefreiung zu führen,sie so geistig aufzurütteln, um zur gesell-schaftlichen Befreiung zu gelangen.

Es ist unlogisch zu sagen: „Liebe deinenNächsten, wie dich selbst", wenn er sichselbst, sein eigenes Ich, nicht zu lieben,zu achten versteht. Sobald der Mensch sichselbst zu lieben gelernt hat, wird er auchdie Mitmenschen zu lieben und zu achtenverstehen.

Selbstliebe und Selbstachtung sindGrundgedanken des Anarchismus, und eserheben sich diese idealen Begriffe hochund hehr über die Lügen und die protzen-hafte sogenannte „göttliche" Weltordnung,die die Menschen in gemein egoistischerWeise versklavt, knechtet und ausbeutet,zur Selbstverachtung und Knechtesdemuterzieht, um über die Leichen von MillionenGeopferten das Glück für einige Wenigewirtschaftliche und politische Herrscher zubegründen.

Die innere Befreiung sei unsere ersteLosung! Sie wird die Fesseln der gegen-wärtigen Gewaltsinstitutionen lösen, um dasIch, als innerlich und äußerlich befreitesIndividuum, zur Anarchie, zur sozialen Frei-heit befreiter Individuen, zu führen.

Franz Kastor.

Einladungzu dem am Sonntag, den 17. Sep tember 1911, imCafé Grei l inger, XVI. Lerchenfe ldergür te l Nr. 41

stattfindenden

LITERARISCHEN ABENDThema:

„Frank Wedekind als Mansch und Künstler".(Mit besonderer Berücksichtigung und Vorlesung aus seinen

Werken.)A m Vort ragst isch: R u d . G r o ß m a n n (Schri f tstel ler) .

Anfang p räz i se 1/ 28 Uhr a b e n d s .

Rote Jesuitenmoraloder

„Geistige Waffen" derSozialdemokratie.

Unsere guten Freunde in der Sozial-demokratie haben uns ein Exemplar einesunschätzbaren Dokumentes verschafft. Esist der Beweis, daß die S e v e r , S c h u h -m e i e r , A d l e r und Konsorten von vorn-herein ganz genau wußten, daß sie dengeistigen Argumenten unseres GenossenRudolf Großmann nicht gewachsen seienund deshalb alles wohl organisiert hatten,um unsere prachtvolle Versammlung vom29. August g l e i c h v o n v o r n e h e r e i n zus p r e n g e n . Daß ihnen dieses nicht ge-lungen, haben wir dem Umstand zu ver-danken, daß unsere eigenen Genossen sehrzahlreich vertreten waren, mehr aber noch,daß hunderte unparteiische und wißbegierigeArbeiter durch die Ausführungen des Gen.Großmann so begeistert wurden, daß sie inunzweideutiger Weise kundtaten, die Ver-sammlung nicht sprengen lassen zu wollen.Erst als sie knapp vor ihrer Diskussions-möglichkeit standen — um 9 Uhr abends—, da sprengten die Sozialdemokraten, aufdas Signal ihrer Führer hin, die Versamm-lung, weil diese n i c h t diskutieren, ihregeistige Schalheit und Impotenz nicht bla-mabel zur Schau stellen wol l ten!

Daß wir die Wahrheit sprechen, dafürzeugt dieses „ s t r e n g v e r t r a u l i c h e "Dokument, das die Sozialdemokratie anihre Sektionsleiter und Vertrauensleute ge-langen ließ, alle Vorbereitungen zu treffen, umunsere Versammlung zu sprengen.

Das Dokument besitzt folgenden In-halt :

Sehr g e e h r t e r P a r t e i g e n o s s e !Herr Großmann (Ramus ) hä l t am D i e n s -

t a g , d e n 29 . A u g u s t d . J . im S a a l e „ZurBretze" , XVI. G r u n d s t e i n g a s s e 25, e i ne Demon-s t r a t i o n s v e r s a m m l u n g de r A n h ä n g e r de r „Al l -g e m e i n e n Gewerkscha f t s föde ra t i on " ab .

V o n S e i t e d e r R e i c h s p a r t e iw u r d e a n u n s d a s E r s u c h e n g e s t e l l t ,d i e s e V e r s a m m l u n g mit unse ren Leu ten zub e s u c h e n . Auch G e n o s s e S c h u h m e i e rw i rd d e r s e l b e n b e i w o h n e n .

W i r e r s u c h e n S ie d a h e r f reund l i chs t , d ieG e n o s s e n i h res B e t r i e b e s a m D i e n s t a g a b e n d sum 7 Uhr in d a s V e r s a m m l u n g s l o k a l zu d i r i -g i e r e n , m i t d e m B e m e r k e n , d i e v o r -d e r e n T i s c h r e i h e n z u b e s e t z e n ,e v e n t u e l l d e n g a n z e n S a a l z u f ü l l e n .

Mit P a r t e i g r u ß

A l b e r t S e v e r ,B e z i r k s v e r t r a u e n s m a n n .

S t r e n g v e r t r a u 1 i c h ! !

Ein Kommentar ist überflüssig, jederLeser kann sich ihn selbst machen. Er kannnur so lauten, daß Leute, die zu -Gewalts-mitteln greifen müssen, um eine ihnen miß-liebige Weltanschauung niederzuhalten,bewußt die Lüge und ehrlose Demagogievertreten; Menschen dieser Art sind mora-lisch verlottert, geistig bankerott.

Sabotage.Das noch vor wenigen Jahren keinem

anständigen Menschen bekannte Wort „Sa-botage" ist jetzt in Frankreich so landläufiggeworden, daß man sich gar nicht mehrvorstellen kann, wie man ohne es früher aus-kommen konnte. Man kann sich keineUnterhaltung zweier Minister, Bauern, Spieß-bürger, Schulkinder oder Arbeiter denken,in der es nicht mit den mannigfachen Nu-ancen seiner Bedeutung erschiene; und eineZeitung, in der es nicht auf jeder Spalteein paar Mal vorkäme, wäre überhaupt einUnding, wäre das offenbare Produkt einer„Sabotage". Es beherrscht nicht nur dieSprache, sondern auch das Leben Frank-reichs, und es wird jenseits der Grenzenmit Vorliebe als üppigstes Charakteristikumfranzösischer Dekadenz angesprochen. Voneiner höheren Warte betrachtet aber, hätte

trotzdem Nietzsche wahrscheinlich seineFreude daran gehabt. Denn es bedeutet imGrunde die energischeste Auflehnung desautonomen Individuums gegen sozialenZwang jeder Art, als da sind: Gesetze,Kapitalisten, Examinatoren, kurz allerleikaudinische Joche, unter denen durchzu-kriechen der Staat vom Individuum verlangt.

Wörtlich übersetzt heißt Sabotage eigent-lich H o l z s c h u h m a c h e r e i . Es wurdeaber in gewissen Arbeitsbranchen im Volks-mund schon lange mit der BedeutungPfuscherei begabt. Woher das kommt, istnicht leicht zu sagen. Seeleute nennen seitJahrhunderten ein untüchtiges Schiff „unvieux sabot", einen alten Holzschuh, wasimmerhin einen gewissen Sinn hat. DieFuhrleute nannten den Hemmschuh „sabot",was sich gleichfalls leicht erklärt. Aus diesenbeiden Berufsbegriffen entwickelte sichzweifellos die Idee, mit „Sabotage" müsseman etwas durchaus Untaugliches undHemmendes bezeichnen.

Dazu kam dann noch die Bedeutungeines analogen Wortes, nämlich „savate",das denselben Ursprung aus dem Lateini-schen hat. Es bedeutet, im Gegensatz zumHolzschuh, einen unendlich schlappenPantoffel, der womöglich breitgetreten undunordentlichen Aussehens ist. Der Volks-mund bezeichnet dann auch gleich ein ganz schlampiges Individuum mit demselbenWort und wendet den gleichen Ausdruckauf ein ganz liederliches Arbeitsprodukt an.

Damit haben wir die verschiedenenBedeutungen, die nunmehr in mächtigemStrome zum jetzigen „Sabotage" zusammen-gefaßt, die Physiognomie dieser nicht geradeimmer angenehmen, oft gefährlichen, manch-mal verderblichen, ab und zu aber auchspassigen sozialen Erscheinung prägen.

Was ist nun aber Sabotage? Hier einigeBeispiele, die handgreiflicher sind als meta-physische Destillationen.

Vom 30. Oktober 1910 bis zum 30. Juni1911 wurden in Frankreich 2967 Drähtevon Eisenbahnsignalen von jetzigen oderfrüheren Angestellten durchschnitten, umZüge aufzuhalten, den Eisenbahnverkehr zustören, wo nicht gar um Katastrophen zuverursachen, jedenfalls aber, um auf Re-gierung oder Eisenbahngesellschaften einenDruck auszuüben, der in Gestalt von Ver-besserung der Lage der Angestellten in dieErscheinung treten soll.

Bei dem Volksaufstand in der Cham-pagne, der zum Ziel hatte, ein Gesetz ab-schaffen zu lassen, demzufolge nur noch derWein aus der Umgebung von Reims alsChampagner bezeichnet werden durfte, zer-schlugen die Mißmutigen mehr als zweiMillionen Flaschen ausgezeichneten Sekts,-gössen unzählige Tausendliterfässer auf dieStraßen, zerschlugen und verbrannten zahl-lose Keltermaschinen, ja, zerstörten in Grundund Boden eine ganze Reihe von Wein-pflanzungen.

Bei dem Umbau der kolossalen Geleis-anlagen vor dem verkehrsreichsten PariserBahnhof mußten letzthin zwei paare Geleisein einer Länge von 20 Meter umgelegtwerden, und zwar, um nicht den Verkehrzu unterbinden, binnen einer Nacht. Manarbeitete einfach so langsam, daß am frühenMorgen nichts fertig war. Über hundertZüge saßen stundenlang, zum Teil sogar ineinem Tunnel, jämmerlich fest, und hundert-tausend Vorortebeamten und Bourgeoiswurde ihr Tagewerk ruiniert.

Vor einigen Wochen waren in derSorbonne Baccalaureusexamen, was demdeutschen Abiturium entspricht. Und zwarhandelte es sich um eine Übersetzung insLateinische. Von hundertfünfzig Kandidatenbrachten zwei oder drei sie halbwegs zu-stande. Es war der französische Text einerübrigens äußerst albernen und verschnörkeltenStelle der Tuskulanen Ciceros. Die hundert-fünfzig angehenden Studenten erhoben sichsich wie ein Mann, zerrissen ihre Hefte,schlugen die Schulbänke in Stücke, schmissen

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die Fenster des Saales ein und brülltenwenig schmeichelhafte Epitheta an dieAdresse des Herrn Professors, der sichglücklicherweise durch eilige Flucht inSicherheit bringen konnte, ohne persönlich"sabotiert" zu werden.

Ein Leuchtturm bei Korsika ist vor einpaar Tagen erloschen. Man findet, daß dieScheinwerfer zerbrochen und die Lampeauseinandergeschraubt ist.

Der Blitzzug von Havre nach Parisentgleist ein paar Meter vor einer Brückeund fällt um (anstatt in den Fluß zu stürzen).Man entdeckt ohneweiteres die Werkzeuge,mit denen die Schienen losgeschraubt waren,sowie (damit nur ja kein Irrtum über dieUrsachen des Unfalles Form gewänne) eineReihe hübsch zusammengefalteter revo-lutionärer Blätter, die die Sabotage zwecks Be-freiung der Menschheit dringend empfehlen.

Ein Berufsunteroffizier stellt nächtlicher-weise Eisenbahnsignale ab. Es stellt sichheraus, daß er in anarchistischen KlubsReden hält und auf seinem Zimmer Nietzsche,Schopenhauer, Tolstoi und andere Anar-chisten in Gesamtausgaben vertreten sind.

Als letzthin die Maurer einsahen, daßein von ihnen ins Auge gefaßter großerStreik keine Aussicht auf Erfolg habenwürde, beschlossen sie, die Unternehmerin womöglich noch schlimmerer Weise zudrangsalieren, als sie es mit der Arbeits-einstellung hätten tun können. Wer bishervierhundert Backsteine täglich vermauerte,brachte es nur noch auf hundertfünfzig.Ganze Tage brauchte man, um einen HaufenMörtel zu verrühren. Und die Unternehmerbekamen für denselben Stundenlohnhöchstens ein Viertel der normalen Arbeit.

Das ist alles Sabotage, so verschieden"die einzelnen Fälle auf den ersten Blick auchaussehen mögen. Zugrunde liegt ihnenimmer dieselbe Tendenz, es handelt sichum Einschüchterung einer sozialen Über-macht, um sie zum Nachgeben zu veran-lassen. Es ist eine Form des Kampfes vonSchwachen gegen Starke.

Die amerikanischen Arbeiterverbändehaben schon seit langen Jahren den Wahl-spruch ausgegeben: F ü r s c h l e c h t e nLohn s c h l e c h t e A r b e i t . Und das waranfangs auch in Frankreich der eigentlicheSinn der Sabotage. Aber der Erfolg derMethode war mäßig. Die schlechten Arbeiterwurden an die Luft gesetzt, und die Arbeiter-syndikate waren nicht stark genug, ihreMitglieder durch Solidaritätstreiks zu ver-teidigen.

Da kam man ganz natürlicherweise aufden Gedanken, es den Arbeitgebern praktischunmöglich zu machen, mißliebige Arbeiterdurch andere zu ersetzen. In allen Fällen,wo zur Arbeit komplizierte Instrumente ge-hören, war nichts einfacher, als das. Manbrauchte ja blos die Maschine unbrauchbarzu machen. Beim ersten großen Poststreikvor drei Jahren schraubte jeder Telegraphistund Telephon ist einfach eine gewisse kleineSchraube seines Apparates ab und nahmsie mit, und es dauerte lange Tage, eheman alles reparieren konnte. Elektrikerbrauchen nur zu starken Strom zu liefern,und auf diese Weise überall die Blei-Sicherungen durchbrennen zu lassen, umbeim Arbeitgeber größte Verlegenheit zuerzeugen. Durch Zerbrechen winziger Teilekönnen die riesigsten automatischen Web-stühle auf lange Zeit unbrauchbar gemachtwerden. Und jeder begreift, daß Dampf-maschinen, Rotationspressen, Lokomotiven,Gewehre, Kanonen, ja Panzerschiffe, vonintelligenten Saboteuren mit Leichtigkeit zurUntätigkeit verdammt werden können.

Schlechte Arbeit und Zerstörung dertechnischen Produktionsmittel sind dieGrundzüge der Sabotage. Aber der Begriffund die Sache sind schon aus dem Rahmendes bloßen Lohnkampfes herausgetreten.Man kann nicht nur Dynamomaschinen undTelegraphenleitungen sabotieren, sondern

auch Gesetze und sogar die ganze gesell-schaftliche Ordnung. Sabotage ist, wie siejetzt betrieben und verstanden wird, gerade-zu die Auflehnung der Einzelnen gegen un-gerecht Empfundenes und der Gebrauch vonEinschüchterungsmitteln jeder Art zumZwecke, die Ungerechtigkeiten aus der Weltzu schaffen. Natürlich sind, individuell ge-nommen, die Opfer der Sabotage fast niedie wirklich Schuldigen oder Verantwort-lichen. Aber jeder ist Mitglied der Gesell-schaft, die die wirklichen oder eingebildetenUngerechtigkeiten begeht, als solcher mit-verantwortlich und wird folglich gerechter-weise mitbestraft; das ist die Theorie derSabotage.

Viele Fälle von Sabotage grenzen direktan verbrecherische Unternehmungen. Undman versteht nur zu gut, wie der Zorn derBetroffenen nach Zwangsmitteln schlimmsterArt gegen das neue System der Selbsthilfeschreit. Aber man darf das Kind nicht mitdem Bade ausschütten. Und die gutenBürgersleute, die schon die Götzendäm-merung unserer Gesellschaftsordnung amHorizont dunkeln sehen, und mit moralischerEntrüstung über die Abwesenheit jeglichenGemeinsinnes gegen die neuen „sozialenVerbrecher" eifern, machen einem lachen.Denn die Saboteure handeln auch aus Ge-meinsinn. Nur besteht dieser für sie darin,daß etwas in der Gesellschaft sofort andersorganisiert werden muß, um d i e d u r c h -s c h n i t t l i c h e n E x i s t e n z b e d i n g u n -g e n zu v e r b e s s e r n , während die anderenhöchstens durch unmerkliche Übergänge,Verhandlungen und leise Gesetzgebung aufgewöhnlichem Wege irgend etwas ändernwollen.

Sicherlich ist Sabotage revolutionär.Aber zwischen ihr und reformatorischerGesetzgebung ist psychologisch nur einTemperamentsunterschied. Und wem es amschlechtesten geht, der hat am wenigstenGeduld.

Das wirklich Typische, das Gefährliche,das Fragwürdige an diesem neuen „Einfallder Barbaren" jedoch ist nicht, daß erexistiert und unleugbar um sich greift, sonderndaß er in zahllosen Fällen vo l len Er fo lghat. Zahllose Streiks sind durch Unbrauch-barmachung von Werkzeugen gewonnen.Und sogar die Annahme gewisser Gesetzeist durch Sabotage der parlamentarischenMaschine u n m ö g l i c h gemacht. Aber dieskennt man in Österreich besser. Bloß nenntman dort parlamentarische Sabotage ganzeinfach Obstruktion oder Dringlichkeits-antrag. Alexander Ular.

Religion ist Privatsache.Bisher war es die Eigenart der sich

offen zur schwarzen Kunst bekennendenPfaffen, die Gedankenlosigkeit der Menschenzu fördern und nur auf ihre Selbstsucht zuspekulieren. Daher erfanden sie das Wonne-leben nach dem Tode, sie versprachen dieewige Seligkeit. Nach ihren frommen Lehrengilt die Glaubenslosigkeit als das größteVerbrechen. Nur ja nicht über Glaubens-sachen nachdenken oder gar Religionsge-spräche mit Freidenkern führen, das istgefährlich, denn die Schwäche ihrer ver-alteten Weltanschauung haben sie selbstbereits empfunden.

In unserer Zeit aber müssen wir beob-achten, daß sich neben diesen unzweideu-tigen Schädlingen der Menschheit ein Heervon Päpsten einer Partei breit macht, wel-ches noch dazu „Freiheit, Gleichheit, Brü-derlichkeit" auf ihre Fahne setzt und dabeimit dem Begriffe Freiheit dieselben Taschen-spielerkünste treibt, wie es bisher nur dierömische Pfaffenbrut verstand. Statt Friedeund Eintracht werden überall Unterschiede,Zerspaltung und Uneinigkeit gepflegt.Unduldsam ist man auch in diesem Lagergegen jeden Andersgläubigen, d. h. nachwahrer Freiheit Strebenden und der

Parteibischof- oder Papst geht mit diesemunheilvollen Beispiel voran. Somit ist keinbesonderer Unterschied zwischen dieserKlique und jener.

In manchen Punkten, z. B. Volksver-blödung, wird sogar die röm. Pfaffenkirchevon soz.-dem. Parlamentariern und Partei-päpsten noch übertroffen, da letztere ingewisser Hinsicht auf die sich noch an derNase führen lassende Masse von Arbeiterneinen noch bedeutenderen Einfluß auszu-üben vermögen, als jene. Werfen wir bloßeinen Blick auf unsere Volksschule, sokönnen wir sehen, daß unsere Kinder derVerblödung ausgesetzt sind, und fragenwir : Woran liegt die Ursache? so könnenwir hiefür nur die soz.-dem. Parteipäpsteverantwortlich machen, weil diese es sind,welche sagen: Religion ist Privatsache — und auch jedem Parteiuntertanen verbieten,dieses Verblödungssystem der Parteilehrezu kritisieren oder gar als Sozialist, mitpropagandistischer Tendenz, seinen Kirchen-austritt anzumelden.

Wir fragen: Warum wird der römi-schen Verblödungsarbeit von der soz.-dem.Machtpartei, die sich doch „freiheitlich"nennt, noch Vorschub geleistet? Wäre esnicht die Pflicht dieser Partei, den Arbei-fern zu sagen: Proletarier aller Länder, dieihr doch frei sein wollt von aller Knebelung,tretet vor allem aus aus der euch aufge-zwungenen Pfaffenkirche und w e r d e tk o n f e s s i o n s l o s ! Oder wird jetzt, trotzdes Punktes 8 des Parteiprogramms, derdie „Erklärung der Religion a l s Privat-sache" fordert, dieser VolksverblödungUnterschlupf geboten, um bei der Reichs-ratswahl einige Pfaffenstimmen zu ergattern?Nun, dann fragen wir euch, Arbeitskame-raden und Gesinnungsfreunde: Haben wirunter solchen Umständen nicht Ursache,uns von diesen „Führern" (besser gesagtVerführern) abzuwenden, die nur darnachstreben, für ihre, der menschlichen Ver-dummung geleisteten „treuen Dienste" inForm von Mandatsdiäten belohnt zu wer-den, Pfründen, Sinekuren einzuheimsen?

Im Treiben der soz.-dem. Führerkönnen wir heute schon einen Kampf er-kennen, der ganz nach päpstlichem Mustergeführt wird. Der alleinseligmachendeGlaube ist für sie das buchstäblich zu be-folgende Programm der österreichischenSozialdemokratie. Nach dem Muster deskatholischen Glaubensbekenntnisses besitztdie Partei noch ein weiteres Hauptdogma:Das irdische Himmelreich ist n u r durchdas Parlament zu erreichen. (Gewiß: fürdie Gewählten!) Andere Dogmen sind diefanatische, mit allen Mitteln, ganz nachdem jesuitischen Grundsatze „Der Zweckheiligt die Mittel" zu bekämpfende MeinungAndersdenkender. Gegnerische Schriften,Bücher, Broschüren und Zeitungen ( „Wohl-s t a n d für A l l e " v o r a l l e m ! ) zu lesen,ist analog der schwarzen Kirche, dem Par-teimitglied bei. Androhung sofortigen Aus-schlusses aus Partei und Gewerkschaftstrengstens verboten.

Statt in einem geistigen Kampfe denstrittigen Punkt auszufechten, die arbeiten-den Massen durch die Wahrheit ihrer tat-sächlichen Argumente überzeugen zu wollen,wird der, gewissen Parteigrößen unliebsame,Wahrheitsbringer entweder totgeschwiegen,mit niederster Berechnung schmachvoll ver-leumdet, oder verfolgt, wobei in der Wahlder Mittel schonungslos bis zur Unmensch-lichkeit vorgegangen wird. Nicht „FreiheitGleichheit, Brüderlichkeit", nicht Recht undWahrheit, ja nicht einmal die Menschlich-keit kommen in Betracht oder werden ge-wahrt, wenn es sich um sogenannte Partei-interessen handelt, die sich gewöhnlich inden persönlichen Interessen einer odermehrerer Parteigrößen verkörpern. Unddafür werden alle Ideale, die seit Menschen-gedenken die Menschheit erhielten, in denKot gezerrt und barbarisch zertreten.

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ausgesetzt darauf h inweisen, daß all dieseMacht vorderhand nur einige mehr oderminder hohe Lohnste igerungen bewi rk t hat,die mit der unverhül l ten Absicht gegebenwerden, das bes tehende System wiederzurechtzuflicken. Die Genera ls t re iks der Zu -kunft müssen widerha l len von dem viel-tausendstimmigen Rufe: Arbeiter, es genügtnicht, daß ihr das Wir tschaf tssystem desKapitalismus zum St i l ls tand geb rach t hab t

— j e t z t m ü ß t i h r z e i g e n , d a ß i h re i n e n e u e , a u f G e r e c h t i g k e i t e r -b l ü h e n d e W i r t s c h a f t d e s G e m e i n -e i g e n t u m s z u b e g i n n e n v e r m ö -g e n Ih r k ö n n t e s , w e n n i h r e s n u rw o l l e t ! Nach der Demons t ra t ion derMacht der Arbei terk lasse muß die Insze-nierung der neuen freien Gesel lschaft durchdie Arbeiterklasse k o m m e n !

Sehr r ichtig ist d ie Beurte i lung desGeneralstreikes der engl ischen Arbeiterdurch unseren alten Kameraden PeterKrapotkin, wenn er fo lgende Ges ich tspunkteals die wicht igsten he rvo rheb t : „Der Geistder Massen war ausgeze ichnet . Eine a b s o -lute Mißachtung der Führer herrschte vor,ebenso der Par lamentar ier , wie selbst dereinfachen Sekretäre. Sie alle wurden vonden Arbeitern als verdächt ige F remde be -handelt. De r a l lgemeine Geist war a lso gut.Und die "Herrschaf ten" ersahen auch nochrechtzeitig, wohin d ies führen wü rde . WennLloyd George (der l iberale Minister) denErnst der Bewegung nicht begriffen hät te- wie er, es ist wahr , ihn woh l begriff — es wäre Blut in S t römen gef lossen.

Doch al lerdings! Die engl ische Bour -geoisie verstand mit ihm, den Bedürfnissender Massen en tgegenzukommen und zurrechten Zeit ihre Konzess ionen zu machen.

Immerh in : E i n N e u e s s t e h t v o ru n s ! D ieses Neue ist der rebel l ische Geistder engl ischen Arbei termassen!"

*Ja, dar in ist das Neue und unvergäng-

lich Neue dieser r iesenhaften Generalstre ik-welle, d ie übe r ganz Eng land brauste , g e -legen. Der rebel l ische Geist der engl ischenArbeitermassen w i rd den nun endl ich b e -tretenen Pfad nicht mehr ver lassen. Daßdies nicht mehr geschehen soll, dafür müssenwir Anarchisten Sorge t ragen durch unab -lässige P r o p a g a n d a unseres Ideals in denArbeitermassen aller Länder, die den engl i -schen Arbeitern so zu folgen haben, wiediese den französischen Brüdern gefolgtsind. Und schließlich haben wir einemächtige Stütze im internat ionalen Kapi -talismus selbst, der keinen Sti l lstand, keineHarmonie kennt und damit selbst dieNotwendigkeit unabläss igen Kampfes bis zurBefreiung zum einzigen Lebenspr inzip desVolkes erhebt.

Separatismus oder Föde-ralismus?

Zu jenen Verdrehungen und Vertusch-ungen der wahren Begriffe in der österrei-chischen Arbeiterschaft, an die diese durchdie Sozialdemokrat ie gewöhnt wurde , ge-hört gegenwärt ig d ie Prob lemste l lung: Na-tionale oder internationale Gewerkschaf ten?

- während es in Wahrhei t heißen so l l te :National z e n t r a l i s i e r t e oder internat io-nal z e n t r a l i s i e r t e Gewerkschaf ten?

An dieser tatsächl ichen Problemstel lungdrücken sich beide Gruppierungen ganzsachte vorbei. Sie müssen es tun, dennbeide sind ihren Anhängern gegenübergleich unaufrichtig und unehrl ich. Bei be i -den handelt es sich ausschließlich um diepolitischen Führer interessen, und obgleichsie sich scheuen, dies offen zu erklären, istdoch nur dieses der Kern der Frage.

Augenblicklich macht der Separat ismusgroße Fortschritte. Nichts war stark genug,ihn aufzuhalten und in beiden Arbeiterlagernwerden die Arbeiter von den Führern auf-

gehetzt zu g lauben, daß es sich um dieEinheit der Gewerkschaf tsbewegung, umreine Arbeiterinteressen an sich handelt . Dasist alles nicht wahr. Diese „Einheit" w i rdleider gar nicht gefährdet, da beide G r u p -pierungen auf ganz genau denselben Grund -pr inzip ien, stehen, die für die Arbeiterklasseso verderbl ich und verwerf l ich: auf denGrundpr inz ip ien der Einheit im zentral ist i-schen Organisat ionssystem. Diese Einheitzu zer t rümmern, wäre das größte Verdienst,das man sich um die österreichische Ar-bei terbewegung erwerben könnte, denn mitder Beseit igung dieser Zentral isat ionseinheithät te auch der Separat ismus sein Ende, weilseinen Ersatz durch den Födera l ismus ge -funden. Doch wie sehr sich die feindlichenBrüder auch hassen : den Föderal ismushassen sie noch mehr. Das wu rde unlängstfrank und frei e ingestanden, daß der Zen -tra l ismus, wenn es geht international, wennaber nicht, dann wenigstens national, aberdoch unbedingt aufrechterhalten werdenmüsse, da sons t Syndikal ismus und F ö d e -ra l ismus zu ihrem Rechte kämen. Solchegedeihl iche Entwicklung aber zu verhindern,ist der pol i t ischen Führer beider Seitengrößtes Lebensinteresse. Aus pol i t ischenEigeninteressen nationaler St immviehködereihaben vor allem die Deutschen den Streitin ihren eigenen Reihen entfacht, aus pol i -t ischen Eigeninteressen nationaler St imm-viehköderei hält die tschechische wie diedeutsche Sozialdemokrat ie in unausgesetztemAnfeuern dieses gewiß sehr peinl ichenZwistes. Denn peinlich ist es für die G e -genseite immerhin, wenn die Frage ventil iertwird, ob man seine Beiträge nach Wienoder nach Prag einzahlen so l le? Um dieBeantwor tungsar t dieser Frage dreht sichdie ganze Balgerei.

Wir bitten unsere Leser, d ieses festzu-ha l ten : Zwei Systeme des nationalen Zen-tra l ismus kämpfen in der österr. Arbeiter-schaft um die Beiträge der Mitglieder. Undweil es sich um nichts anderes handelt ,will auch keine Seite erkennen, daß dasOrganisat ionspr inzip des Födera l ismus einenallseitig befr iedigenden Ausweg böte, indemes beiden Gruppen die notwendige nat io-nale Autonomie, aber auch konzentr iertesteVereinigung und Solidarität im Kampfegegen das Unternehmertum gäbe. Daranist allen diesen Führern trotz ihrer schein-heiligen Wor te sehr wenig ge legen; imGegentei l , innerlich freuen sie sich, wenndie eine oder die andere Frakt ion ge-schwächt wird und im Kampfe gegen dasUnternehmertum unterliegt, denn vielleicht,so hoffen sie insgeheim, kehren die Kerledadurch wieder zu u n s e r e m besonderenZentral ismus zurück.

Die Polit ik hat die österr. Gewerks-schaftsbewegung gespalten, die Politik er-hält sie in Zerklüftung und gegenseit igemBruderkampf. Und ihre pol i t ischen Führeraller Richtungen sind die Schürer des-se lben!

Ziemlich bedenklich wird die Situationfür die deutschen zentralisierten Gewerk-schaftsverbände. Denn die tschechischensind in der glücklichen Lage, nur gewinnen,die deutschen jedoch in der bedrückten,nur verlieren zu können. Und da diedeutschen Polit ikanten der Sozialdemokratiewissen, daß nur die Gewerkschaftsbewe-gung die mi lchspendende Kuh ihres Wahl -zentralfonds war und sein muß, wenn sieexistieren sollen, machen sie verzweifelteAnstrengungen, die Massenflucht ihrer Mit-gl ieder zurückzuhalten. Sie werden — sobald nach der Wahl! — ganz „nur gewerk-schaftlich" und schwingen sich sogar zu Ge-ständnissen auf, die sie, wenn ihre eigenen Mit-glieder denken könnten, diesen als abgefeimtepolit ische Betrüger entlarven. So schreibtz. B. dieser Hohnwisch auf jedes Arbeiter-gefühl, genannt die Wiener „Arbeiterzeitung",in ihrer Ausgabe vom 22 . August die fol-genden lehrreichen Sätze:

„Die Arbeiterklasse kann weder diepolit ische, noch die gewerkschaft l iche Aktionentbehren."

Vielleicht desha lb , weil die pol i t ische„Akt ion" so unendl ich viel für die Arbeitergeieistet h a t ? wie etwa jetzt wieder, wo ,e n t g e g e n dem Votum des ganzen Abge-ordnetenhauses, kein argent in isches Fleischin Österre ich eingeführt werden dar f?

Die „Arbei terzei tung" schreibt we i te r :„ H e u t e a b e r erfordert wieder die

gewerkschaft l iche Organisat ion in höheremMaße unsere Aufmerksamkeit. Die Lebens-mit te l teuerung und das Steigen der W o h -nungspreise haben die Kaufkraft der Lohn-krone empfindlich geschmäler t . Im pol i t i -schen Kampf waren wir n i c h t im Stande,Abhilfe gegen die Teuerung zu erzwingen . . .F ü r J a h r e m ü s s e n w i r m i t h o h e n ,m i t s t e i g e n d e n L e b e n s m i t t e l - u n dW o h n u n g s p r e i s e n r e c h n e n . . . DieKräftigung unserer Gewerkschaften ist inder heutigen Entwicklungsphase die w e i t -a u s w i c h t i g s t e Aufgabe des Pro le-ta r ia ts ! "

Sehr gut, aber wozu braucht nun dasProletar iat den Schwindel der pol i t ischenSozialdemokrat ie, wenn sie uns schon jetztvoraus verkündet und gestehen muß, daßwir „ f ü r J a h r e " parlamentar isch nichtsgegen die Preissteigerungen und den Woh-nungswucher ausr ichten w e r d e n ? Wäre esnicht zeitgemäß gewesen, den Arbeiternz u r Z e i t d e r l e t z t e n W a h l die Augenin solch wahrhei tsgemäßer Weise zu öffnen?Und da es nicht geschah, steht die Sozial-demokrat ie hiermit als des bewußten Ar-bei terbetruges überführt vor uns.

Gewiß, die Kräftigung unserer Gewerk-schaften ist die wichtigste Aufgabe desProletar iats. Aber es muß verstanden wer-den, und es wird mit der Zeit verstandenw e r d e n : Die Kräftigung der Gewerkschaftenist bereits in sehr erheblichem Maßstabeerreicht, wenn sie die pol i t ischen Betrügervon sich abschütteln und sich von demSchwindelgebiet des bürgerl ichen Par la-mentar ismus abgewendet haben. Hier liegtdie erste Möglichkeit einer solchen Kräfti-g u n g ; ehe diese nicht vollbracht, durch-gesetzt und erkämpft, gibt es in Österreich

— das weiß jeder Einsichtsvol le! — keiner-lei Kräftigung der Gewerkschaften.

Die gegenwärt ige absolute Ohnmachtder österreichischen Gewerkschaften unsererZeitnot gegenüber, der in ihnen entflammteZwist des Separat ismus kann nur über-wunden werden durch eine Überwindungdes sie innerlich verzehrenden Übe ls : derpolit ischen Partei, die immer ein die Ge-werkschaft vampyrgleich entkräftendes, zu-rückhaltendes, zersetzendes und zerspittern-des Element war und ist. Die Gewerk-schaft gewinnt, sobald sie sich von derpolit ischen Partei befreit hat, i h r e e i g e n ePol i t ik ; sie wird dann die Trägerin deridealen Grundsätze des Sozialismus, derfreien Autonomie, also des Föderal ismus.Solche Politik besitzt die Eigenart, Wir t -schaft und soziale Aktion in einem zusein. Eine solche Gewerkschaftsbewegungist für den Kampf gegen das Unternehmer-tum gerüstet, denn sie hat die Kraft aufge-bracht, sich von den Ausbeutern im eigenenBetätigungsgebiet zu befreien, und derKampf gegen das Unternehmertum und denStaat wird ihr dann — wo sie von allemHemmenden und Ablenkenden befreit ist— diejenige Lebensbedingung, aus der sieihre größte Kräftigung zieht.

Die Stellung des Individu-ums zum Anarchismus.

In der Voraussetzung, daß in einer gutgeordneten Gesellschaft die Freiheit und derWohlstand des Einzelnen am besten gewähr-leistet sei, berücksichtigt eine jede der ver-schiedenen sozialistischen Strömungen dieG e s e l l s c h a f t an erster Stelle und drängt

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D a s ist der F luch dieser und allerpol i t ischen Par te ien , welche die Lei tungihren Führern über lassen zu müssen ver-meinen.

Darum, Arbe i tsbrüder und Schwestern,Ges innungsgenossen und Genoss innen, rufenwi r euch z u : Bekümmer t euch n icht umdiese „Führer " , we lche mit jenen derschwarzen Pfaffenkirche unter einer Deckespielen, und tretet, wenn ihr euch vomgeist igen Bann des Pfaffentums befreithabt , in Massen, in T a u s e n d e n und Aber-tausenden aus der Pfaffenkirche a l l e rK o n f e s s i o n e n , u m die eminent schäd i -gende Macht des Kler ikal ismus aller Art zuvernichten und um die Menschhe i t in ihrergeist igen Entw ick lung ihren unges tö r tenSiegeslauf zu immer höherer Kul tur undVeredelung jedes einzelnen Id iv iduums, b iszur Entbehr l ichkei t jeder Regierung desMenschen über den Menschen im raschenFluge ereilen zu lassen. Wol l t ihr d ieseFreihei t — d a n n w e r d e t k o n f e s -s i o n s l o s !

Hermann (Innsbruck).

Réveille!*)Es lebe hoch die Anarchie!Wir freien Geister lieben sie — Wir wollen Freiheit uns erkämpfen,Und kein Despot soll unsren Mut mehr dämpfen.

Das Banner hoch, das Schwert erglänztIm Frührotschein; in MorgenluftDa schwill et uns die Brust,Die Sklavenbrust, die endlich nun befreite.

Ludwig Kornmüller (Wien).

Aus dem Französischen übersetzt, ungefähr so viel wieein Trommelwirbel zum Wecken. Anm. d. Red.

Mein Austritt aus derSozialdemokratie.

Austrittsbrief des englischen revolutionären Gewerkschafters Tom Mann an H. W. Lee, Sekretär der Sozialdemokratischen Partei

Englands.

Dieser Brief wu rde in unserer Massenve r -sammlung am 29. August, beglei tet vom Beifallbunder te r Arbeiter, von unserem Redner, GenossenR. Großmann, vorge lesen.

London, im April 1911. W e r t e r Herr u n d K a m e r a d !

Ich re iche h iermi t me inen Austr i t t a u sder soz ia ldemokra t i schen Par te i E n g l a n d sein.

Ich tue d ies te i lweise desha lb , wei l derjüngs te Par te i tag e ine offizielle S te l l ung-n a h m e zum G e g e n s t a n d e ines eventue l lenKr ieges gu tgehe ißen hat , d ie ich n iemals a n -erkennen w e r d e ; aber noch mehr desha lb ,wei l , se i tdem ich v o r ü b e r e inem Jahren a c h Eng land zu rückkehr te u n d d e r h ies igenPar te i w iede r bei t rat , ich mich n ich t mehrin Übe re ins t immung mit der Par te i überdie so wicht ige F rage der pa r l amen ta r i schenAkt ion f inde.

Me ine Er fahrungen a ls a l ter Soz ia l is tu n d viel jähr iger Gewerkscha f te r h a b e n m ichmehr u n d m e h r in eine a n t i pa r l amen ta r i -sche Si tuat ion ged räng t . U n d ich f inde,d a ß d ies den meisten Mi tg l iedern der P a r -tei n ich t w i l l kommen ist. N a c h sorgfä l t igsterÜbe r l egung h a b e ich d ie A n s c h a u u n g g e -w o n n e n , d a ß die w a h r e U rsache , -wesha lbdie gewerkschaf t l i che B e w e g u n g d iesesL a n d e s s ich in e inem b e d a u e r n s w e r t e n Z u -s t a n d e bef indet, in der t rüger ischen W i c h -t igkei t gefunden w e r d e n kann , d ie die Ar -be i te r de r pa r lamenta r i schen Be tä t igung a n -zud ich ten ge lehr t w u r d e n .

Als a l ter Kämpfer m u ß ich nun sehen ,d a ß fast alle j üngeren E lemente in der Ar -be i te r - u n d soz ia ldemokra t i schen B e w e g u n gihre G e d a n k e n einzig und allein darauf

\ konzen t r i e r t haben , i rgend ein öf fent l iches,' g u t b e z a h l t e s Amt zu b e k o m m e n , w ie ese ine Abgeo rdne tens te l l e a ls s täd t i scher , G e -m e i n d e - o d e r Re ichsver t re te r i s t ; o d e r d a ßs ie s c h o n i rgend e inen s taa t l i chen P o s t e n

bekleiden oder darauf h inst reben, i rgendeine par lamentar ische Anstel lung zu b e -kommen.

Ich muß, auf G rund meiner lang jähr i -gen Erfahrungen in der Arbe i te rbewegung,den S tandpunk t ver t reten, daß d ies vol l -s tänd ig unr icht ig ist, und d a ß die wi r tschaf t -l iche Befreiung der Arbei terk lasse aufd iesem W e g e und mit so lchen Mitteln s ichn iemals verwirk l ichen w i rd . D a r u m erk läreich mich zu Guns ten der r e v o l u t i o n ä r e nGewerkscha f t sbewegung (Direct Industr ia lOrgan isat ion) , die mir n icht nur ein Mittelzur Verbesserung unsere r gewöhn l i chenal l tägl ichen Lebensha l t ung , sonde rn d a swicht igste und einzige Mittel ist, w o d u r c hdie Arbei ter das kapi ta l is t ische Sys temendl ich umwälzen und die ta tsäch l ichenEigenschmiede ihres wir tschaft l ichen u n dsozia len Sch icksa ls w e r d e n können .

Ich bin der Me inung, d a ß a l l e F ragender Arbe i terk lasse auf wir tschaft l ichem G e -biete allein ausgekämpf t we rden m ü s s e n ,frei v o n all den Umgarnungen u n d K o m -p rom issen mit dem p lu tokra t ischen Fe ind,d ie w i r in den Pa r lamen ten no tged rungeneinzugehen haben und die ein Ruin fürd ie gesamte Arbe i te rk lasse und ihre Zieles ind.

Ich ve rgesse es ke ineswegs , daß es inden Reihen der al ten Soz ia ldemokra t i schenFödera t i on E n g l a n d s war , wo ich vor überzwanz ig Jahren zum ers tenmal die P r i n -zipien d e s revo lu t ionären Soz ia l i smus le rn te ;abe r ich g l aube auch , daß , indem ich heu teaus der Soz ia ldemokra t ie aust re te , ich ebend iesen revo lu t ionären Pr inz ip ien d e s Soz i -a l i smus loyal e rgeben b in , w ie me ine Ver -nun f tg ründe es woh l bewe isen .

Brüder l i ch ze ichnet Ihr

Tom Mann.

Aufruf.Werte Kameraden! Wir planen eine auf wirk-

lich sozialer Grundlage beruhende Arbeiterbäckereiin Aussig oder Umgebung zu errichten. Der Bei-trittsbetrag beträgt eine Krone, ein Anteilscheinbeträgt 10 Kronen, die in Monatsraten à 1 Kroneeingezahlt werden können. Unsere Gründung istder Ausfluß unseres festen Wil lens, nicht längergezwungen zu sein, den Sozialdemokraten oder ka-pitalistischen und klerikalen Gegnern unser Geldhinzutragen, d ie uns dafür nur ausbeuten und be -kämpfen, b los wei l wir e ine andere Wel tanschau-ung haben. Sol l te der eine oder der andere Kame-rad uns behilflich sein wol len, uns in dem schwerenKampf zu unterstützen, so möge er einen Anteil-schein erwerben. Nähere Auskünfte erteilt unserKamerad Eduard R i c h t e r , Großprießen 39 inBöhmen.

P r e ß f o n d . Bei kommunist ischem NachtmahlK 1.—. Prima Maggio K 12.—. Bauer 0.30. Uner-müdlicher Senior K 1.—. Adolf Hagen K 2.30.Steinb. K 0.09. Basi l ius 0.20. Pichler K 0.10.

Briefkasten.Manuskripten, deren Rücksendung gewünscht ,

muß das Postporto beigefügt se in ; ebenso allen"Anfragen, die briefliche Auskunft wünschen.

K 5. Wie s ie bereits sehen, al les richtig be -sorgt. Warum sendet ihr keinen Bericht über EureGruppengründung? Gruß! — M a l m b o r g , S t o c k -h o l m . Haben Sie das Protokol l erhalten?O n a r v i l l e . Protbkolle bekommen? — M u s . Dankfür Brief. Sie können beruhigt sein und sich aufdas Ihnen gegebene Versprechen verlassen. Gruß !- M a t e j . Weshalb reklamierst Du stets so spät.

Gleich reklamieren! — F e u e r s t . Dank für Deinelieben Zeilen! — S a a r b r . 8 0 . Wenn Sie meineausführliche Karte nicht bekamen, ist d ies Ihreeigene Schuld; weshalb teilen Sie bei Domiz i l -wechsel der Post Ihre neue Adresse nicht vorhermit, damit Ihnen Briefe etc. nachgesandt werdenkönnen? Gruß! - „ R e p u b l i k a n i s c h e r D r i l l "kommt aus sehr bald einleuchtenden Gründen ab -sichtlich erst in Nr. 18. Gruß! — A u r o r a . DieRezension ist mir wi l lkommen; Nr. 16 gesandt;bestätige dankend Deine Schuldabzahlung vonK13.—. H e r m a n n . Besten Dank, Eure Geldsendungwar einmal ein Schuß ins Schwarze, und Ihr könntEuch schwerl ich vorstellen, aus welchem Di lemmaIhr uns gerettet habt I Die gesuchte Person M. M.hat sich schon gemeldet. Gruß allen! — P i c h l e r .Sie haben Recht ; bitte künftig direkt an michsenden! S i e h e Preßfond. S l a d . Die Bro-schüren können durch uns bezogen werden ; bittenamhaft machen. —

Verlag W. Schouteten, Brüssel.cent = Heller.

Folgende Agitationsschriften sind in obigemVerlag erschienen : Grundsätze und Mittel der föderalistischen

Gewerkschaftsbewegung. 100 Ex. K 2 . -Dr. phil. Hermann Wetze! : Die Verweigerung

des Heerdienstes und die Ver-urteilung des Krieges und derWehrpflicht In der Geschichteder Menschheit K 1.30

Enrico Malatesta: Anarchie 15 centPeter Krapotkin : Die französische Re- K 5.-

volution- Gegenseit ige Hilfe in der Natur und

Menschheit KIM- Wohlstand für Alle K 180Leo Tolstoi : Aufruf an das Volk 6 cent.- 1. Der Soldatenartikel. 2. Das Ende

naht! K 0.11- Das Gesetz der Gewalt und das

Gesetz der Liebe K 2.20M. : Skizzen a. d. russischen Revolution 10 cent.Edward Carpenter (mit Porträt) : Die

Gesellschaft ohne Regierung 12 cent.- Der Freiheit entgegen. (Zwei Bände) K S.-Paul Del lesal le: Die zwei Methoden

in der Gewerkschaftsbewegung 12 cent.Pierre Ramus: Der Antimilitarismus als

Taktik des Anarchismus 15 cent.- Zur Kritik und Würdigung des Syn-

dikalismus K 0.06- Edward Carpenter, ein Singer der

Freiheit und des Volkes. EineStudie seines Lebens' und seinerWerke K 0.20

- Generalstreik und direkte Aktion K 0.«- Die historische Entwicklung der

Friedensidee und des Antimili-tarismus K 0.30

— William Godwin, der Theoretiker d.kommunistischen Anarchismus(samt Porträt) K fei

- Die Lüge des Parlamentarismus undseine Zwecklosigkeit fürs Prole-tariat. K 0.12

Francisco Ferrer: Sein Leben und seinWerk. Nach authentischen Quellenund Materialien, insbes. nach den do-kumentarischen Veröffentlichungendes „Comité de défense des Victimesde la répression espagnole", bear-beitet von P i e r r e R a m u s K 1.-

Jahrbuch der freien Generation. Volks-kalender u. Dokumente der Welt-anschauung d. Sozialismus-Anar-chismus 128 Seiten). Fr. I.-

Gustav Hervé: Das Vaterland derReichen. Mit einem Vorwort vonDr. R. Friedeberg K 1.-

Emma Goldmann: Die Tragödie der

Frauenemanzipation. K 0.10V. . Teranus : Der letzte Krieg. K 1.70

Anfragen in Bezug auf Bestellungen könnenDIREKT an die Redaktion des „Wohlstand fürAlle", Wien, XV. Märzstraße 3, II. St. 16 ge-

richtet werden.

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Aus der Internationole des revolutionären Sozialismus und Anarchismus.Nieder-Österreich. alismus, der auch nur dank den Bemühungen

einiger weniger Proletarier in Österreich nochlebendig ist. In der offiziellen Arbeiterwelt ist ertot, das ist nicht zu bestreiten, wie ein Blick inein beliebiges soz.-dem. Blatt beweist, wo mankeine Silbe vom Sozialismus findet.

Glücklicherweise ist Spatny seinen Prinzipientreu geblieben. Er ignorierte den Stumpfsinn desAbg. Choc und sagte in seiner Ansprache: „LiebeBrüder, jetzt, wo ich die Pforten des Kriminalshinter mir habe, bin ich derselbe, der ich war, alsich ins graue Haus einzog. Ich bin ,ungebessert ' ,nicht gebrochen, wie die Herrschenden es wünschten.Für das, wofür ich gekämpft habe, werde ich weiterkämpfen. Das hohe Ideal des Antimilitarismus be-wahre ich mir für immert"

Von unserem Genossen Borek, auch einemAntimilitaristen, wissen wir nur soviel, daß er imPankratzer Gefängnis wie ein gemeiner Verbrecherbehandelt wird und man ihn dort Strümpfe strickenläßt. Diese Schmach komme Uber seine Peiniger l

Mitte August wurde der in Ossegg bei Teplitzwohnende Kamerad F r a n a S c h e f e l , ein Berg-arbeiter und reger Agitator unserer Idee unter derJugend, von einem Schachtaufzuge unglücklicher-weise zerschmettert . Er war erst 21 Jahre alt. Ehreseinem Andenken, möge die Jugend ihm in seinemStreben nacheifern. Rav.

•Steiermark.

G r a z e r L e s e r n u n d F r e u n d e n dienezur Mitteilung, daß der A r b e i t e r - B i l d u n g s -und F r e i d e n k e r v e r e i n Sonntag den 17. Sep-tember einen Ausflug nach Deutsch-Feistr i tz zurBesichtigung des Elektr izitätswerkes unternimmt.Abmarsch der Fußgänger findet um h a l b 3 U h rf r ü h nom Lendplatz über Leber, Kesselfall, Badl-wand nach Deutsch-Feistr i tz statt. Die zweitePart ie fährt um 9 Uhr 27 Min. vom Südbahnhofab. Ankunft beider Partien um 10 Uhr in Deutsch-Feistr i tz. Photographische Aufnahme der Teil-nehmer. Wir ersuchen alle Freunde des freienGedankens um rege Tei lnahme samt ihren Fa-mil ien!

Tirol.I m B u n d e m i t d e r S t a a t s a n w a l t -

s c h a f f t . Die Geschichte der österreichischen Sozial-demokratie ist eine lange Serie von Liebedienereienzu Gunsten der Regierung. Wer die Broschüre desArbeiters K r c a 1 „Die Geschichte der österreichi-schen Arbei terbewegung" kennt, der wird vor denHerren A d l e r und Konsorten sehr wenig Ach-tung empfinden. Denn schließlich sollte man dochvon diesen Leuten, wenn sie ehrliche Sozialdemo-kraten wären, erwarten können, daß sie im Kampfgegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung mitdenjenigen Hand in Hand gehen, die wohl nicht in ihrenReinen stehen, aber, nach ihrer Auffassung, ehrlichdas bestehende System bekämpfen. Anstatt dessenhat sich das Führertum der Sozialdemokraten nie-mals gescheut, sich gegen andersgesinnte Sozi-alisten selbst mit der Regierung zu verbinden unddieser Material in die Hand zu spielen, um gegenjene vorgehen zu können.

Wenn Azeff ein Spion im vulgären Sinn desWortes war, dann ist die Sozialdemokratie dieOrganisation des Azeffismus!

-Man höre und staune über ihren jüngstenSchurkenstreich.

Das italienische Proletariat in Südtirol ist dankseiner ganzen Veranlagung, sozialistischen Erkenntnisund theoretischen Schulung durch das Heimatland,weit weniger geeignet, in den zentralistischenFührergarn der österreichischen Sozialdemokratieaufzugehen und zu fallen als das deutsche, dessensozialistische Schulung nicht einmal die Anfangs-buchstaben der Theorie des Sozialismus erklom-men hat und von der Partei systematisch ver-dummt wird. Es ist also nur selbstredend, daßdie sozialdemokratische Partei das italienischeProletariat — weder in Italien noch in unseremSüden — niemals vollständig unter ihren Hut zubringen vermochte. Wo es ihr teil- und kleinweisegelang, brach sich doch immer wieder der Geistdes sozialistischen Bewußtseins Bahn und verhin-d e r e es, daß diese Arbeiter sich von Wien ausan der Nase führen ließen,

Jüngst konnte man dieses in Südtirol, in demStädtchen Trento, wieder beobachten. Die dortigenitalienischen Arbeiter waren sozialdemokratischorganisiert, rissen sich aber unter dem geistigenAnsporn eines italienischen revolutionären Ge-werkschaftlers namens L u i g i B a r n i wieder los.Dieser ist sozialdemokratischer Sekretär und Re-dakteur des Agitationsblattes gewesen, erhob aberdie Fahne der Revolte gegen den Zentralismusund Parlamentarismus der Partei, was zur Folgehatte, daß fast die ganze Sektion der dortigen Ge-werkschaften sich gegen die Partei wandte undautonom organisierte.

Daß B a r n i der soz.-dem. Parteileitung unterdiesen Umständen ein Dorn im Auge war, wirdman begreifen; auf welche Weise sie sich seinerentledigte, wird jeder Ehrenmann als schuftig er-kennen. Besäßen wir in Österreich ein selbständig

denkendes Proletariat, diese eine Tat müßte ge -nügen, um Zehntausende Arbeiter zum Verlassendieser Partei der Helfershilfe für die Staatsanwalt-schaft zu bewegen,

Wie war Barni beizukommen, da man inseinem Leben und seiner Vergangenheit nichtsUnehrenhaftes finden, sondern gerade aus diesementnehmen konnte, daß man es in ihm mit einemehrenvollen revolutionären Charakter zu tun ha t te?Wie war ihm be izukommen? Man tat es mit Me-thoden, die dem Kamorra- und Maffiabanditismus,entlehnt worden sind.

Während des Kampfes zwischen den Föde -ralisten und Zentralisten in der italienischen So-zialdemokratie Österreichs hatte Barni die Ge -schichte dieses Konfliktes und der inneren Ereig-nisse unter dem folgenden Titel n iedergeschr ieben:„Verrat und Verräter am italienischen Proletar iat" .Durch einige auf ihn bezügliche Stellen fühlte sichder Führer der südtirolerischen Sozialdemokratie,Dr. Battisti, der heutige Abgeordnete, beleidigtund strengte gegen Barni die Ehrenbeleidigungs-klage an. Beide Parteien rüsteten sich, undBattisti konnte aus den Akten ersehen, daß Barniseine Behauptungen durch rund 40 Zeugen erhärtenlassen wollte und daß der Prozeß, wenn er vorder Wahl verhandelt würde, ihm unbedingt schadenmußte. Vor allem ein Faktum: Barni konntenachweisen, daß in der Redaktion des italienischenParteiorgans im „Popolo", und nicht ohne WissenBattisti 's, ein Mann namens Vergani beschäftigtwar, der in Italien wegen zahlreicher gemeinerVerbrechen verfolgt wurde, sich aber nach Öster-reich geflüchtet hatte. Dieser Barni hieß in Wirk-lichkeit Riccardo Vasilico, und Barni wollte nunbeweisen, daß die Trienter Polizei ganz genauwußte, wer Vergani war, ihn aber nur deshalbnicht anrührte, weil er ihr wohl Spionagediensteleistete, da es sonst ganz unbegreiflich wäre, wie-so die österr. Polizei, die oftmals ganz harmloseItaliener ausweist, einen solchen Verbrecher wieVergani unbeanstandet politische soz.-demokrat.Propaganda betreiben ließ.

Schon nahte der Termin der Verhandlunggegen Barni, den dieser selbst beschleunigte, daereignete sich eine merkwürdige Sache.

Es erschien in einem nationalistischen reichsita-lienischen Blatt ein Artikel, der schwere und beleidi-gende Angriffe gegen den Kaiser von Österreicherhielt. Unter dem Artikel war Barnis Name alsVerfasser gesetzt. Als die Tr ienter Behördenauf Grund jenes Artikels Erhebungen gegenBarni einleiteten, erklärte dieser, den Artikel n i c h tgeschrieben zu haben und daß seine Unterschriftdurch Fälschung daruntergesetzt wurde. Es ver-steht sich, daß damit die Untersuchung gegen Barnieinzustellen gewesen w ä r e ; selbst wenn er diesenArtikel geschrieben hatte, ist es unerfindlich, wes -halb er, der sich auf österreichischem Boden be -fand, seinen Namen unterfertigen sollte, und eswäre im gegebenen Fall die Pflicht eines jedenN i c h t denunzianten gewesen, die Sache auf sichberuhen zu lassen.

Dennoch säumte die Staatsanwaltschaft nicht, ge-gen Barni die An kl a g e auf Majestätsbeleidigung zuerheben. Das ist gesetzlich. Aber die Frage ist nundie: Barni hat jenen Artikel, der nationalistisch-chau-vinistisch gehalten war, von dem festgestellt ist,daß er n i c h t von ihm herrührt und welcher,gleich nachdem er erschien, per rekommandierterPost an die Polizeidirektion von Trento gesandtwurde, nicht geschrieben; wer denn hat ihn ge-schrieben ? Nur seine Feinde konnten ein gewal-tiges Interesse haben, ihn zu beseitigen, nur seineFeinde konnten ihn auf solche Weise zwingenwollen, österreichischen Boden zu verlassen, sichseiner zu entledigen, wollte er nicht einen schwerenProzeß wegen Majestätsbeleidigung auf sich neh-men, Monate lang in Untersuchungshaft gehaltenwerden — was wieder einen ungestörten Verlaufder Wahlen nach sich gezogen hätte. Und daßDr. Battisti zum Abgeordneten erwählt wurde,Barni sich flüchten mußte, wissen wir auch. -

Es sind merkwürdige Dinge, in die wir durchObiges Einblick gewähren, wenn auch für die Ar-beiterbewegung Österreichs leider keineswegs ver-einzelt. Herr Battisti braucht nun keine Beweise Barniszu fürchten, denn dieser flüchtete sich wegen ei-nes Artikels, den er nie geschrieben, unter denman aber seinen Namen gestellt hatte, obgleichman wußte, daß ein schwerer Prozeß ihm sosicher wie der nächste Tag sein würde. Dr. Battisti,Vergani, die Polizei, die Staatsanwaltschaft -sie alle hatten ein gemeinsames Interesse, ihn ausTrento wegzuschaffen. Und wer kann die Ge-heimnisse all dieser Bundesmächte des ViribusUnitis-Staates Österreichs enthüllen, in ihnen Ein-blick gewinnen ?

Ptimo Maggio.

Ungarn.Die i n t e r n a t i o n a l e S e k r e t ä r s k o n f e -

r e n z in B u d a p e s t . Über 30 Delegierte, Sekre-täre fast des gesamten organisierten Proletariatsder ganzen Welt, kamen vom 10. bis 12. Augustin Budapest zusammen, um über diejenigen Fragenzu konferieren, die das gesamte Proletariat inter-

„ S t a t t j e d e r b e s o n d e r e n A n z e i g e " teil'uns die „ A r b e i t e r z e i t u n g " durch ein h a 1 b-se i t i g e s I n s e r a t den T o d des großen Graf e rDubsky von Trzebomysl i tz, Geheimrat und Herren-häusler usw. mit.

Dieser Tod wird die Arbei terk lasse mit tiefeiTrauer erfüllen.

Es scheint aber, daß das Herrenhaus derl Kampf der Sozia ldemokrat ie gegen seine Instituti-onen nicht allzu sehr fürchtet, wenn es dem Zentral-organ dieser Partei gegenüber sich so inserat-splendit zeigt. Oder wäscht da eine Hand dieandere?

Ein b i s c h e n S e l b s t e r k e n n t n i s . Imso.z.-dem. „ M e t a l l a r b e i t e r " lesen wir in einerBesprechung der geplanten Österreich. To ten- par-don: A l t e r s Versicherung folgende schönen Sätze

Mit dem Angriff auf die A u t o n o m i e derKrankenkassen haben die Gewal thaber verratenwie weit sie in ihren Scharfmacherplänen zu gehenentschlossen sind . . . Es ist keine Kleinigkeit, dieda auf dem Spiele steht! H e i l i g i s t d i e S e l b s t -v e r w a l t u n g ; w e h e d e m , d e r d a r a n r ü h r t . "

So zu lesen in dem Organ eines z e n t r a u -s t i s c h e n Gewerkschaf tsverbandes, der u n s e r eföderalistischen Prinzipien von Autonomie (Selbst-verwaltung) und Selbständigkeit sonst aufs grim-migste bekämpft. Aber bei der Autonomie derKrankenkassen handel t es sich nicht um die Auto-nomie der Arbeiter, sondern um jene der Kranken-kassenbeamten, die sich in ihrer Kr ippen-existenz gefährdet fühlen. Die Empörung des„Metallarbeiters" ist a lso ebenso verständlich, wieseine Begeisterung für die Autonomie der Beamten

, dem Haß für die Autonomie der Arbeiter ent-spricht, diesem Grundpr inzip des Anarchismus I

***Wie unbequem dem „ M e t a l l a r b e i t e r "gelegentlich die Autonomie der Arbeiter werdenkann, zeigt er in seiner verschnupften Bericht-erstattung über den prachtvol len Londoner T rans -portarbeiterstreik, der, über die Köpfe der Führerhinweg und gegen ihren Willen geführt, einenglänzenden Sieg errang. Der „Metallarbeiter" klärtdie österreichischen Arbeiter wie folgt über ihreenglischen Brüder auf:

„Um die Verhältnisse richtig zu beurteilen,darf man freilich . . . an E i n e s nicht vergessen.Es ist n i c h t d ie wirtschaftlich wie geistig höher-stehende Schichte der englischen Arbeiterschaft, diediesmal streikt, sondern die unterste, ärmste, jüngst-organisierte, die „fünfte" Klasse, die Lohn- undTransportarbeiter, d i e n o c h n i c h t g e l e r n th a b e n , i h r e n F ü h r e r n z u g e h o r c h e n undeinmal getroffene Vereinbarungen zu halten . . . beiihrem niedrigen Lebenshal t von der jetzt allgemeinherrschenden Teuerung am härtesten getroffenwerden und dadurch dem L u m p e n p r o l e t a r i a tdas in ihren Streik seine Revolte mengt, sozialverhältnismäßig nahe stehen".

Es ist sicherlich nicht zu befürchten, daß deranmaßende, hochmütig von oben herab UberArbeiter urtei lende Schreiber obiger Zeilen „sozialdem Lumpenproletar iat" nahe steht. Sein Einkom-men ist gewiß ein solches, daß ihm gegenüber dieArbeiter des eigenen Verbandes zum Lumpen-proletariat, zum fünften und sechsten Stand desProletariats gehören! — Was übrigens den ganzenQuatsch dieser „richtigen Beurtei lung" der Lon-doner Transportarbei ter anbelangt, ist daran nursoviel wahr, daß diese Arbeiter noch nicht gelernthaben, „ihren Führern zu gehorchen". Glücklicher-weise nicht; deshalb verdienten sie auch schon vordem Streik einen Stundenlohn von 75 Hellern, nachihrem Streik, also jetzt, von 85 Hellern, abgesehenvon den anderen Errungenschaften.

Österreichische Metal larbeiter — welche vonEuch verdienen auch nur 75 Heller die Stunde?Fragen wir nicht weiter, denn sonst müßten wirdem österr. „Metallarbeiter" beweisen, daß seinKadavergehorsam dem Bureaukratenzentral ismusder Führer gegenüber ihn schon längst zum Lumpen-proletariat werden ließ.

Böhmen.P r a g . Ende August wurde der Vorkämpfer

der tschechischnationalen Jugendgruppierung, einenergischer Kämpfer, namens Emil Spatny, nachzweijähriger Haft wegen antimilitaristischer P ropa-ganda aus dem Pankratzer Gefängnis entlassen. Ihmzu Ehren veranstaltete seine Partei einen Fest-abend. Welche Freude Spatny, ein wirklich auf-opferungsvoller, ehrl icher Sozialist, von demselbenhaben konnte, entnimmt man einem Begrüßungs-schreiben des tschechischnationalen AbgeordnetenChoc, das sich wie folgt l iest :

„Lieber Bruder Emil ! Lasse die antimilitaristi-sche Propaganda ruhen; das überlasse uns Abge-ordneten, die für diese Sache im Parlament mitgrößerer Intensität oder posit ivem Erfolg arbeilenkönnen. Du gehe lieber unter das Volk und klärees nationalistisch auf; dafür werden Dir die Nach-kommen danken."

Wenn der Antimilitarismus in Österreich keinebesseren Verteidiger besäße als die Abgeordnetenim Parlament, so wäre er ebenso tot wie der Sozi-

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essieren. Einst, zur Zeit der Internationale warendiese Konferenzen von großer Wichtigkeit, da essich meistentei ls um internat ionale Kundgebungen,um den internationalen Zusammenschluß gegen dieHerrschenden handelte. Eben diese internationalenKonferenzen der Arbeiter demonstr ier ten am bestendie Solidarität aller Arbeiter. Diese Wichtigkeitging verloren, sei tdem die soz- .dem. Parte i ent-stand und die Gewerkschaften in ihren Dienststel l te. Wir sehen heute, daß die pol i t ischen F ra -gen in der Arbei terbewegung weit g rößeres G e -wicht haben, als die ökonomischen; die polit i-schen Par te ien haben ihren internationalen Kongreß,wohin sämtl iche Organisierten ihre Delegiertenentsenden, dagegen hat die Gewerkschaf tsbewe-gung keinen solchen Kongreß ; sie hat nur „Kon-ferenzen", wo sich bloß die Obergenerä le zusam-mentreffen und über sehr untergeordnete Fragenentscheiden. Es ist wahr, die Vertreter der ant i -autor i tären Arbeiterbewegung, die französischenSyndikal isten forderten von jeder Konferenz dasZusammenrufen eines internationalen Gewerk -schaftskongresses, aber sie wurden immer n ieder-gestimmt, und es blieb alles beim alten.

Tro tzdem hat te die letzte Konferenz wichtigeFragen zu besprechen, und wir sahen ihrer Arbeitmit Neugierde entgegen, obzwar wir schon vonüber sechs Konferenzen wissen, die gar n ichtsWicht iges geleistet haben.

Eine solch wichtige Frage war, wie d ie ver-schiedenen internationalen Gewerkschaf ten ihreinternat ionale Sol idari tät im Fal le e ines großenStre ikes zu bekunden haben. Es gab genug G e -legenheiten, wo diese Frage auftauchte, so z. B.im Falle des schwedischen Stre ikes. Die f ranzösi -schen Delegierten J o u h a u x und Y v e t o t s tanden auf dem richtigen Standpunkt , daß insolchen Fällen jede Nat ion verpfl ichtet sei, ihreSolidari tät damit zu kennzeichnen, daß sie mo ra -lisch und materiel l die Stre ikenden unterstützte.In jedem großen Streik handelt es sich um einenKampf gegen die heut igen Gesel lschaf tszustände,und da müssen doch die organis ierten Arbei tersol idar isch vorgehen. Ganz anders faßten aberdiejenigen Sekretäre d iese Frage auf, d ie in einemStreik nicht einen Kampf, eine Auflehnung gegendie her rschenden K l a s s e n sehen, sondern eineganz gewöhnl iche Geldfrage. Sie warfen denfranzösischen Delegier ten vor , daß ja in Frankre ichimmerwährend Streike ausbrechen, und daß so dieFranzosen das ganze Geld bekämen! Stat t derVorschläge der F ranzosen wurde dasse lbe Ver -fahren angenommen, das in Deutsch land schonlängst ex is t ie r t : es wurde eine Resolut ion ange -nommen, die seh r peinl ich e rö r te r te , w e r , w i eund w a n n man das heil ige Recht hat, an die in ter -nat ionale Sol idar i tät zu appe l l i e ren ! D iese Vor -schriften s ind derar t , daß sie die ganze Kampflusti rgend einer Nation zu e rwürgen t rachten. Vorallem muß jedes Land se lbst eine volle Kassahaben, deren F inanzstand dem internat ionalenSekretär unter tän igst gemeldet werden muß I Ebenso die Zahl der St re ikenden. Über all d ieses mußeine genaue Statist ik unterbre i te t werden , undselbstvers tändl ich nicht in der letzten Minute oderkurz vo r dem Streike, sondern hübsch gemütl ichein paa r Wochen vorher . Nur unter solchen Um-ständen wird das Ansuchen um sol idar ische Unter -s tützung huldvol lst gewähr t , wenn allen obigenBedingungen en tsprochen worden ist, sons t nicht.

Man denke sich aber , in we lcher Situat ionder engl ische E isenbahnst re ik sich befunden hätte,der, eben weil er plötzlich ausbrach, so über -raschend wirkte, daß der Fe ind keine Zei t hat te, se ineKräfte zu sammeln, um gegen die Aufständischenzu marsch ie ren . Laut ob igen Beschlüssen hät ted ieser engl ische al lgemeine Streik kein Recht, aufdie Sol idar i tät andere r Nat ionrn zu pochen, dadoch selbst d ie Weits icht igsten nicht wußten, obund wann ihr Streik ausbrechen würde . Glückl icher-weise ist das Leben, die Prax is da, d ie auf a l lediese id iot isch-gemeinen Pa rag raphen pfeifen wi rd .Die großen, revo lu t ionären Streike werden auchwei te r p lötz l icher Natur s e i n , d ie e ines jedenehrl ich denkenden Pro le tar ie rs Unters tü tzung fin-den werden, ohne darüber erst einen Er laubn is -schein einzuholen . . .

Die zwei te wichtige Frage der Kon fe renz :die Regelung der nächt l ichen F rauen - und Kinder-arbe i t wurde von der Mehrhei t dem Par lamen tezur Regelung un terschoben, die Abgeordneten (ohei l ige Einfal t !) sol len d iese Fragen in den P a r -lamenten lösen. Umsons t pro tes t ier ten die f ranzö-s ischen Delegier ten dagegen.

Übr igens wurde viel mehr über b e d e u t u n g s -lose Fragen a ls über wicht ige geschwätz t , u . zw. :So übe r die Stat ist iken, Ge ldsammlungen, Ge ld -fonds u. dgl. D ieses in teress ier te die Her ren vielmehr, und es wu rde auch e inst immig angenommen,d a ß der internat ionale Sekretär Legien für se ineschwere Arbeit von nun an monat l ich nicht 400sondern 600 Franken erhalten sol l . D iese Geldg ierleitete sie auch, als es sich um den Anschlußder amer ikanischen, revo lu t ionär ges innten „In-dustr ia l W o r k e r o f the W o r l d " hande l te . Der D e -legierte derse lben, Kamerad Fors ter , w u r d enicht zugelassen, t ro tzdem er bew ies , daß inAmer ika überhaupt n u r die revo lu t ionären G e -werkschaf t ler einen Klassenkampf führen, dagegendie Gomper ' schen Organisat ionen geme ine Dienerde r Arbe i tgeber sind, d ie von keinem Kampf zw i -schen Arbe i ter und Arbe i tgeber w issen wol len.Sie haben aber viel Geld und zahlen ihren o rden t -

lichen Beitrag zur Erhaltung des InternationalenSekretar iats. D iese Geldgier zeigte sich nochdeutl icher bei der Nichtzulassung der bulgarischenDelegierten, t rotzdem sie gute Sozia ldemokratensind. Es meldete sich noch ein anderer Delegier teraus Bulgarien, der bewies, daß seine Organisat ionzwar keine auf dem Klassenkampfe beruhende ist,aber ein paar Tausend mehr Mitgl ieder habe alsdie Sozia ldemokraten. Das genügte der Konferenz,um die kleinere Zahl der Sozia ldemokraten a u s -zuschließen und so der größeren Zahl Gelegenhei tzu bieten, sich anzuschl ießen. Sie sind eben mehrBeitragzahler und können mehr beisteuern.

So ging es auch wei ter . Alles ging ruhig,sanft vor s i c h ; die Herren schwatzten, st immtenab und gingen ruhig nach Hause. Und wir fragenu n s : W a s zum Teufel wollten sie eigentl ich vonu n s ? Schwätzen können sie auch zu Hause, unddie Schwätzerei hätte wenigstens nicht so vielGeld gekos te t !

Dr. Isskruljew Krsta. Leider sind wir Raummangels halber gezwungen, den

2. Teil dieses interessanten Berichtes für die nächste Nummerzurückzustellen. (Anm. d. Redaktion.)

A g r a m . D e r r i c h t i g e W e g . Die h ies igeArbeiterschaft en tsandte eine Kol lekt ivdeputat ionzum Banus, dem sie eine Denkschrif t überre ichte,worin die Fre i lassung der anläßlich des Stre iks inden Sujewerken in Kustos i tza verhafteten fünfArbei ter gefordert wurde. Der Banus erkannte,daß es Ernst sei, a ls die Arbei ter erklärten, daßsie, wenn die Fre i lassung nicht sofort bewil l igtund verfügt werde , binnen 24 Stunden den G e n e -rälstreik prok lamieren würden. Nach einigenStunden waren die verhafteten Brüder in Fre ihei tgesetzt .

Wie wäre die Sache ausgegangen, wenn dieArbei ter sich an „ ihre" Abgeordne ten gewand tund gewar te t hät ten, b is d iese eine Interpel lat ioneinbr ingen ? ? ?

Holland.A m s t e r d a m . Die hiesigen Rheder hatten

die Forderungen ihrer, seit mehreren Wochen inSol idar i tät mit den engl ischen und französischenSeeleuten st re ikenden Arbei ter noch immer nichtbewi l l igen wol len. Letzte Woche ere ignete sichnun ein g roße r — Unglücksfall. Im Hafen brachin einem Lagerhaus für Wol le und Baumwol le aufunerklär l iche Art ein Feuer aus, das einen G e -samtschaden von vier Mi l l ionen Frank anr ichtete .Wahrschein l ich ist es von Leuten gelegt worden,die a ls Stre ikbrecher Anwerbung fanden. DieHerren Rheder haben nun Gelegenhei t , da rübernachzudenken, wie gut es ist, s i ch aufs hohe Roßzw setzen, und ob es nicht b e s s e r gewesen wäre ,schon früher die Fo rde rungen der Stre iker zu b e -wil l igen.

Unsere Bewegung.W i e n . Fr isch-fröhl iche Aktivität kennzeichnet

gegenwär t ig den Stand unsere r Bewegung, undt rotz der d rückenden Sommerh i tze hat de rse lbekeinen Abbruch erl i t ten. Mehre re Versammlungenvon g roßem In teresse sind zu verze ichnen. Sosprach G e n o s s e R o t h z i e g e l übe r „Die d i rektenAkt ionsmit te l im sozia lwir tschaf t l ichen K a m p f e "— Unser F reund Simkow hielt einen be leh ren -den, d ie Ethik der anarchis t ischen We l tanschau-ung darwe isenden Vortrag über „Huß, To ls to i undwir". — Sehr gut besucht war auch die Ve rsamm-lung unserer Bauarbei ter föderat ion, in der Gen .G r o ß m a n n über das T h e m a re fer ie r te ; „DerStreik der Par i se r Bauarbe i te r und se ine T e n d e n z -bedeu tung für die österr . Arbei ter" . Es meldetensich viele Soz ia ldemokra ten zum Wor t , von deneneinzelne auch in zus t immendem Sinne sp rachen .

- Im XIV. Bez. fand ein D iskuss ionsabend s ta t t 'i n dem Gen. G r o ß m a n n übe r die Budapes te rKonferenz des intern. Gewerkscha f tssekre ta r ia tsrefer ierte und dabe i aus dem Verlaufe der le tz tenKonferenz bew ies , w ie die intern. Gewerkscha f ts -bewegung sich in einem Flügel immer mehr undmehr zu einer konservat iven, das he r r schendeSystem s tü tzenden Hel fershel ferorganisat ion d e s -selben und in einem anderen Flügel zu einer s o -z ia l is t isch-anarchis t ischen Gewerkscha f tsbewegungentwickel t . — Sehr in teressant waren auch zwe iim X. Bez . gehal tene Versammlungen, die auseiner en ts tanden und for tgesetzt wu rden . D a sThema l au te te : „ W a s wol len die A n a r c h i s t e n ? "Die Versammlungen erfreuten sich e ines gutenBesuches, obgleich die ursprüngl ichen Opponen ten ,die versprochen hatten, besse r gerüstet w iede rzu -kommen, spä te r immer w ieder ausbl ieben. — G e -radezu glanzvol l war der Verlauf unserer M a s s e n -demons t ra t ionsversammlung im XVI. Bezirk, e inbe-rufen von der Al lgemeinen Gewerkschaf ts födera-t ion. Unsere Genossen hatten eine prächt ige Agi -tat ion entfaltet, und ganz Ottakr ing prangte imRot unserer Handzet te ln . Und s iehe da, t ro tzdemwir nichts so sehr als den Boykot t fürchte ten:der Besuch übertraf alle unsere Erwar tungen , undwir dürfen ruhig s a g e n : Von Jahr zu Jahr ist derBesuch unserer Versammlungen im Zunehmen b e -griffen - und wird es den organ is ier ten Ver-sammlungssprengern , den soz . -dem Führern undihren Nachläufern, heute immer wen iger möglich,ihre anfangs, vor nur drei Jährchen, so oft geüb teBrachialakt ion anzuwenden . Denn, obgleich dieSoz ia ldemokra ten sich d iesmal unter Führung ihrer„bewähr ten Führer" S c h u h m e i e r , S e v e r ,

D r . F r . A d l e r , A d e l h e i d P o p p werzählt d ie i l lustren Namen a l l e ? ? - mit der offen-kundigen Absicht eingefunden hatten, die Ver-sammlung gleich anfangs zu sprengen, erkanntens ie doch an de r St immung vieler Hunderte derAnwesenden, daß d ies kaum so ohne weiteresabgehen würde . Zudem faszinierte der erste Teildes T h e m a s : Der Generalstre ik der englischenArbeiter, der aber auch schon aufs Grundlichsteden z w e i t e n : Die Einschläferung der österreichi-schen Arbeiterschaft durch ihre politischen undzentra l is t ischen Führer , behandel te, den größtenTeil de r Anwesenden, wie an dem zahlreichenBeifall zu erkennen war, der Gen. G r o ß m a n noft unterbrach. D ieser hatte um 3/ 48 zu sprechenbegonnen (für 1/ 28 war der Beginn behördlich ge-meldet) und sah al lerd ings nicht ein, weshalb er,als Referent, zum Mißvergnügen der Soz.-Dem.,nicht l1 / 4 — l 1/ 2 S tunden sprechen sollte. Die anwe-senden Führer der Sozia ldemokraten hegten aberein so lches P l ä n c h e n : En tweder wir sprengen dieVersammlung, oder aber wir lassen ihn nur kurzeZeit sprechen, und dann gelangen ein halbesDutzend von uns vorgemerk te Redner daran, dieb is mindestens 11 Uhr sprechen — und wir Spren-gen die Versammlung d a n n , wenn G r o ß m a n nsein Schlußwor t haben so l l ! — Sprengen ist, an-ges ichts der Anwesenhe i t e ines Regierungsver-t re ters die leichteste Sache,- wenn auch die trau-r igste al ler Manöverküns te der österreichischenSozia ldemokrat ie . Dieser Plan glückte aller-d ings nicht, denn Gen. G r o ß m a n n wußte, daßwenn er schon der Vereitelung seines Schluß-wor tes nicht vo rbeugen konnte, so doch dem, daßer seinen Vor t rag nicht beendigen würde, ohnedaß auch die anderen die Möglichkeit zu sprechenver lören. Doch in der Tat , ihnen war es um dieseMöglichkeit gar nicht zu t u n ! Denn was hättensie gegen die mit Dokumenten belegten Ausfüh-rungen G r o ß m a n n s einwenden können? (Viel-leicht hät te der Lügenfritze der „Arbeiterzeitung'sein Licht leuchten lassen und bewiesen, dalGen . Gr. sich geirr t hat te, als er R e x h ä u s e rals Obmann des deutschen Buchdruckerverbandesbezeichnete, und daß es in Wahrhei t Döbl inwar , derse lbe , der B e b e l zu seinem 70. Geburts-tag gratu l ier te und s ich vor 6 Wochen mit denUnternehmern gegen die s t re ikenden Buchdruckerverband und deren mitst re ikende Kollegen ansdem Verband ausschloß) . So erhob sich dennHerr Schuhmeier in se iner ganzen Größe. Unddies b i ldete für se ine Meute das Zeichen, um5 Minuten vor 9 Uhr einen erneuten Radaukrawallecht marx is t i sch-k lassenbewußt zu inszenieren.Natürl ich e rhob sich auch der Regierungsvertreter,dem d ieses Kommando sehr willkommen war,und löste die Versammlung unter den Bravorufender Soz ia ldemokra ten und den Pfuirufen einesanderen seh r großen Te i les der Versammlung auf.Den Führern der Soz ia ldemokrat ie , die, wenn sienur hät ten diskut ieren wol len, ihre Leute mitLeicht igkeit hät ten zum Anstand bringen können,wu rde eine B lamage e rspa r t ; welch rettenderEngel kann ein Regierungsver t re ter unter Um-ständen sein!

Wir haben allen Grund, mit dieser Versammlungsehr zufr ieden zu sein. Die große Masse von bis-her Indifferenten, d ie u n s , entrüstet über dast raur ige Radauvorgehen der Sozialdemokratennachfolgte und ihrer Sympath ie versicherte, istein Zeugnis dafür, wem in dieser Versammlungder mora l ische Sieg zufiel, ja , unsere Bewegung istnicht mehr auszurot ten, d ieser Illusion mögen sichunsere Gegner nicht mehr hingeben. Und in der Zu-kunft w e r d e n wi r noch oft Gelegenhei t haben-, ihnenzu ze igen, wie wi r s ie durchschauen und entlarven,sie, die bedräng t we rden durch die steigende Flutder E m p ö r u n g im immer sehender werdendenPro le tar ia t W i e n s !

Mit t iefer T raue r tei len wir den Genossen dasHinscheiden e ines wackeren Kameraden mit.

Mathias SparerVersch ieber der Südbahn in Bozen,

ist am 20. August durch einen gräßlichen Unglücks-fall — ein Resul tat der Arbei tsüberbürdung, die diemi l l ionenreichen Bahnmagnaten dieser Linie denArbei tern aufhalsen — von einem dahersausendenZug ergriffen und überfahren worden. Sparer istein Opfer der kapi tal ist ischen Profitgier, die aufdem Schlachtfeld der Industr ie allein maßgebendist. Sein T o d bedeu te t einen Verlust für alle, dieihn kannten, für unsere ideale Sache, der er treuergeben war .

Wi r w e r d e n ihm ste ts ein ehrendes An-gedenken b e w a h r e n !

D i e G e n o s s e n v o n B o z e n .

Notizen.B a u a r b e i t e r - F ö d e r a t i o n . Öffentliche

Vere insve rsammlung Mit twoch, den 27. September,um 1/ 28 Uhr abends , im Lokal des Herrn Skopek,X. Que l lens t raße Nr. 147. Vortrag von GenossenR . G r o ß m a n n über folgendes Thema: „UnsereWohnungs f rage und die Stellung der Arbeiter zurLebensmi t te l teuerung. " Gäste willkommen, nachdem Vor t rag freie Diskuts ion.

D ruck : Rudolf Unzeit ig, X. Erlachgasse 98.He rausgebe r und verantwor t l . Redak teur Anton Wuiz , XV. Märzs t raße 3 11/16.