1. Kinder und Eltern machen gemeinsame Sache

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CHEMKON 2013, 20, Nr. 5, 215 – 219 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 215 Kapitel 1 CHEMKON Ankündigung Das Fußballspiel lebt von der Leidenschaft der Spieler. Die Na- turwissenschaft Chemie lebt von der Leidenschaft ihrer Wissen- schaftler. Wie gewinnt man aber neue Spieler? Im Fußball ist das ganz einfach: Elterliches Interesse vorausgesetzt, werden sie ihre Kinder – schon lange bevor sie die Schulbank drücken – im ortsansässigen Fußballverein anmelden. Im wöchentlichen Training – und in so mancher privaten Trainingseinheit mit Vater (oder Mutter) – lernen die Kleinen Taktiken und Strategien kennen und üben diese ein. Dabei sind Geduld und Ausdauer unerlässlich. Bei den samstäglichen Turnieren stellen sie ihre erworbenen Kompetenzen unter Beweis, bringen Kreativität mit ein und hoffen auf das kleine bisschen Glück, das es auch braucht, um erfolgreich zu sein und Spiele zu gewinnen. Die Eltern sind aktiv und emotional eingebunden, wenn sie mit ihren Kindern üben, sie samstags zum Turnier begleiten, anfeuern, mitjubeln oder trösten. Da blickt man als Wissenschaftler fast neidvoll auf den Fußballplatz. Und eine Frage liegt in der Luft: Kann es ge- lingen, dass ein gemeinsames Erlebnis „naturwissenschaftliches Forschen“ so selbstverständlich sein wird wie der (natürlich) ge- meinsame Besuch von Kindern und Eltern auf dem Fußballplatz? Die Mannschaft Warum sollten Kinder frühzeitig und aktiv mit Naturwissen- schaften in Kontakt kommen? Eine Antwort liefert die acatech- 1. Kinder und Eltern machen gemeinsame Sache Katrin Sommer, Adrian Russek, Helma Kleinhorst, Annette Kakoschke und Nicolas Efing Eltern können indirekt über ihre Vorbildfunktion und die Gestaltung des häuslichen Umfeldes sowie direkt im Rahmen lehr-lern-bezogener Interaktionen lern- und leistungsrelevan- te Haltungen und Fähigkeiten beeinflussen [5]. Die indirekte Förderung erfolgt u. a. durch die Bereitstellung einer „intellektuell anregenden Umwelt“ [5, S. 245]. Studien- ergebnisse zeigen, dass sich das Vorhandensein einer solchen Umwelt positiv auf die spätere kognitive Entwicklung von Kindern auswirkt. Ein Beispiel für eine direkte Förderung stellen die elterlichen Hilfestellungen bei der Bearbeitung von Hausaufgaben dar. Diese individuelle Betreuung der Kinder unterscheidet sich stark von der Schulumgebung. Aus der Sicht des Kindes er- möglicht das Lernen mit den Eltern einen offeneren Umgang mit Fehlern und der soziale Bezugsrahmen der Klasse kann zu Hause ganz außer Acht gelassen werden. Eltern können andererseits individuell auf ihr Kind eingehen, wenn sie eine Über- und Unterforderung des Kindes feststellen [5, S. 246]. Untersuchungen von Gerber und Wild [6, S. 278] zur Haus- aufgabenhilfe als Teil des häuslichen Lernens ergaben, dass diejenigen Hilfestellungen als aussichtsreich für die Motivation und den Lernerfolg erscheinen, welche die kindliche Autono- mie unterstützen. Für das Fach Deutsch ermitteln sie, dass sich die Unterstützung im Laufe der Bildungsbiographie verlagert. Sind zu Beginn hauptsächlich die Mütter verantwortlich, so ziehen die Kinder in höheren Schulstufen vermehrt die Väter und ältere Geschwister hinzu. Wild vermutet, dass jenen auf Grund der eigenen Bildungserfahrungen am ehesten fachlich kompetente Hilfe zugetraut wird [7, S. 226]. Sumfleth et al. haben die Wirksamkeit der kooperativen Haus- aufgabenbetreuung untersucht [8, 9]. Die Eltern sollten mit Hilfe eines Betreuungsskripts in sechs Hausaufgabensituati- onen die Chemiehausaufgaben mit ihren Kindern koopera- tiv erarbeiten. Ein zentrales Ergebnis der Studie lautet, dass die Kinder im Verlauf der sechs Hausaufgaben ein höheres fachliches Niveau erreichen als die Eltern, wobei die Eltern durchaus in der Lage sind, eine kompetente, fachbezogene Kommunikation zu führen [9]. Die Ergebnisse bestätigen, dass auf diese Weise zum einen das Interesse der Kinder an den Hausaufgaben steigt und zum anderen die Eltern ein größeres Interesse am Chemieunterricht zeigen. Die direkte Förderung kann auch in Form von Teilnahmen an außerschulischen Lehr-Lern-Arrangements stattfinden. Während in Studien von Casto & Lewis (1984) und White, Taylor & Moos (1992) herausgestellt wird, dass die Teilnah- me der Eltern an frühkindlichen Förderprogrammen keine herausragende Rolle spielt, behaupten Hong und Ho (2005) und Rosenzweig (2000), dass die Beteiligung der Eltern an Förderprogrammen eine wesentlich stärkere Bedeutung hat als die Hilfe bei der Hausaufgabenbearbeitung [10, S. 81 – 82]. In der Grundschule scheinen diese Effekte zudem höher zu sein als in weiterführenden Schulen. Die Unterstützung durch die Eltern spielt besonders im frühen Kindesalter eine erhebli- che Rolle, denn die größten Effekte zeigen sich zwischen dem Kindergarten und der 3. Jahrgangsstufe; die Effekte nehmen mit zunehmendem Alter ab, sind aber noch zwischen der 3. und 5. Jahrgangsstufe verhältnismäßig hoch – so die Ergebnisse von Crimm [10, S. 82]. Kasten 1: Bedeutung der Eltern für das Lernen Studie aus dem Jahr 2009: Das Interesse und die kognitive Aufgeschlossenheit gegenüber naturwissenschaftlichen und technischen Dingen wird bei Kindern früh geprägt [1]. Auch wenn mit dieser Prägung noch kein kontinuierliches Interesse an Technik und Naturwissenschaften verbunden ist, so ist der Grundstein gelegt für die Entwicklung des mehrdimensionalen Konstruktes „Interesse“, welches nach Krapp auf einer Person- Gegenstands-Konzeption beruht [2]. Die dafür notwendige Initialzündung sollte bei den Kindern bis zu einem Alter von 10 Jahren – also bis zum Ende der Grundschulzeit – erfolgen. Neben der Offenheit, mit der die Kinder den Naturwissenschaf- ten gegenüberstehen, bringen sie eine hohe Motivation mit, sich mit Naturwissenschaften zu beschäftigen. Bei den Sechs- bis Zehnjährigen ist diese hohe Motivation unabhängig von den schulischen Leistungen gegeben [3]. Das scheinen optimale Voraussetzungen zu sein – wäre da nicht das Ergebnis einer Längsschnittstudie mit Kindergarten- und Grundschulkindern von Upmeier zu Belzen & Vogt. Demnach sind „Interessen […] nahezu ausnahmslos personal angeregt …, mehr vom Elternhaus als von Erzieherinnen bzw. Lehrpersonen“ [4, S. 29]. Was nützt es also, wenn das Kind eine Aufgeschlossenheit gegenüber der Sache zeigt, ihm aber keine entsprechenden „Angebote“ unter- breitet werden – sozusagen, keine Bälle zugespielt werden? Das ist demnach vor allem die Aufgabe der Eltern (Kasten 1), die einen wichtigen, vielleicht sogar den wichtigsten Einflussfaktor für die Interessenentwicklung ihrer Kinder darstellen. Für den

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Kapitel 1 CHEMKON

AnkündigungDas Fußballspiel lebt von der Leidenschaft der Spieler. Die Na-turwissenschaft Chemie lebt von der Leidenschaft ihrer Wissen-schaftler. Wie gewinnt man aber neue Spieler? Im Fußball ist das ganz einfach: Elterliches Interesse vorausgesetzt, werden sie ihre Kinder – schon lange bevor sie die Schulbank drücken – im ortsansässigen Fußballverein anmelden. Im wöchentlichen Training – und in so mancher privaten Trainingseinheit mit Vater (oder Mutter) – lernen die Kleinen Taktiken und Strategien kennen und üben diese ein. Dabei sind Geduld und Ausdauer unerlässlich. Bei den samstäglichen Turnieren stellen sie ihre erworbenen Kompetenzen unter Beweis, bringen Kreativität mit ein und hoffen auf das kleine bisschen Glück, das es auch braucht, um erfolgreich zu sein und Spiele zu gewinnen. Die Eltern sind aktiv und emotional eingebunden, wenn sie mit ihren Kindern üben, sie samstags zum Turnier begleiten, anfeuern, mitjubeln oder trösten. Da blickt man als Wissenschaftler fast neidvoll auf den Fußballplatz. Und eine Frage liegt in der Luft: Kann es ge-lingen, dass ein gemeinsames Erlebnis „naturwissenschaftliches Forschen“ so selbstverständlich sein wird wie der (natürlich) ge-meinsame Besuch von Kindern und Eltern auf dem Fußballplatz?

Die MannschaftWarum sollten Kinder frühzeitig und aktiv mit Naturwissen-schaften in Kontakt kommen? Eine Antwort liefert die acatech-

1. Kinder und Eltern machen gemeinsame SacheKatrin Sommer, Adrian Russek,

Helma Kleinhorst, Annette Kakoschke und Nicolas Efi ng

Eltern können indirekt über ihre Vorbildfunktion und die Gestaltung des häuslichen Umfeldes sowie direkt im Rahmen lehr-lern-bezogener Interaktionen lern- und leistungsrelevan-te Haltungen und Fähigkeiten beeinfl ussen [5].Die indirekte Förderung erfolgt u. a. durch die Bereitstellung einer „intellektuell anregenden Umwelt“ [5, S. 245]. Studien-ergebnisse zeigen, dass sich das Vorhandensein einer solchen Umwelt positiv auf die spätere kognitive Entwicklung von Kindern auswirkt.Ein Beispiel für eine direkte Förderung stellen die elterlichen Hilfestellungen bei der Bearbeitung von Hausaufgaben dar. Diese individuelle Betreuung der Kinder unterscheidet sich stark von der Schulumgebung. Aus der Sicht des Kindes er-möglicht das Lernen mit den Eltern einen offeneren Umgang mit Fehlern und der soziale Bezugsrahmen der Klasse kann zu Hause ganz außer Acht gelassen werden. Eltern können andererseits individuell auf ihr Kind eingehen, wenn sie eine Über- und Unterforderung des Kindes feststellen [5, S. 246].Untersuchungen von Gerber und Wild [6, S. 278] zur Haus-aufgabenhilfe als Teil des häuslichen Lernens ergaben, dass diejenigen Hilfestellungen als aussichtsreich für die Motivation und den Lernerfolg erscheinen, welche die kindliche Autono-mie unterstützen. Für das Fach Deutsch ermitteln sie, dass sich die Unterstützung im Laufe der Bildungsbiographie verlagert. Sind zu Beginn hauptsächlich die Mütter verantwortlich, so ziehen die Kinder in höheren Schulstufen vermehrt die Väter und ältere Geschwister hinzu. Wild vermutet, dass jenen auf Grund der eigenen Bildungserfahrungen am ehesten fachlich kompetente Hilfe zugetraut wird [7, S. 226].

Sumfl eth et al. haben die Wirksamkeit der kooperativen Haus-aufgabenbetreuung untersucht [8, 9]. Die Eltern sollten mit Hilfe eines Betreuungsskripts in sechs Hausaufgabensituati-onen die Chemiehausaufgaben mit ihren Kindern koopera-tiv erarbeiten. Ein zentrales Ergebnis der Studie lautet, dass die Kinder im Verlauf der sechs Hausaufgaben ein höheres fachliches Niveau erreichen als die Eltern, wobei die Eltern durchaus in der Lage sind, eine kompetente, fachbezogene Kommunikation zu führen [9]. Die Ergebnisse bestätigen, dass auf diese Weise zum einen das Interesse der Kinder an den Hausaufgaben steigt und zum anderen die Eltern ein größeres Interesse am Chemieunterricht zeigen. Die direkte Förderung kann auch in Form von Teilnahmen an außerschulischen Lehr-Lern-Arrangements stattfi nden. Während in Studien von Casto & Lewis (1984) und White, Taylor & Moos (1992) herausgestellt wird, dass die Teilnah-me der Eltern an frühkindlichen Förderprogrammen keine herausragende Rolle spielt, behaupten Hong und Ho (2005) und Rosenzweig (2000), dass die Beteiligung der Eltern an Förderprogrammen eine wesentlich stärkere Bedeutung hat als die Hilfe bei der Hausaufgabenbearbeitung [10, S. 81 – 82]. In der Grundschule scheinen diese Effekte zudem höher zu sein als in weiterführenden Schulen. Die Unterstützung durch die Eltern spielt besonders im frühen Kindesalter eine erhebli-che Rolle, denn die größten Effekte zeigen sich zwischen dem Kindergarten und der 3. Jahrgangsstufe; die Effekte nehmen mit zunehmendem Alter ab, sind aber noch zwischen der 3. und 5. Jahrgangsstufe verhältnismäßig hoch – so die Ergebnisse von Crimm [10, S. 82].

Kasten 1: Bedeutung der Eltern für das Lernen

Studie aus dem Jahr 2009: Das Interesse und die kognitive Aufgeschlossenheit gegenüber naturwissenschaftlichen und technischen Dingen wird bei Kindern früh geprägt [1]. Auch wenn mit dieser Prägung noch kein kontinuierliches Interesse an Technik und Naturwissenschaften verbunden ist, so ist der Grundstein gelegt für die Entwicklung des mehrdimensionalen Konstruktes „Interesse“, welches nach Krapp auf einer Person-Gegenstands-Konzeption beruht [2]. Die dafür notwendige Initialzündung sollte bei den Kindern bis zu einem Alter von 10 Jahren – also bis zum Ende der Grundschulzeit – erfolgen. Neben der Offenheit, mit der die Kinder den Naturwissenschaf-ten gegenüberstehen, bringen sie eine hohe Motivation mit, sich mit Naturwissenschaften zu beschäftigen. Bei den Sechs- bis Zehnjährigen ist diese hohe Motivation unabhängig von den schulischen Leistungen gegeben [3]. Das scheinen optimale Voraussetzungen zu sein – wäre da nicht das Ergebnis einer Längsschnittstudie mit Kindergarten- und Grundschulkindern von Upmeier zu Belzen & Vogt. Demnach sind „Interessen […] nahezu ausnahmslos personal angeregt …, mehr vom Elternhaus als von Erzieherinnen bzw. Lehrpersonen“ [4, S. 29]. Was nützt es also, wenn das Kind eine Aufgeschlossenheit gegenüber der Sache zeigt, ihm aber keine entsprechenden „Angebote“ unter-breitet werden – sozusagen, keine Bälle zugespielt werden? Das ist demnach vor allem die Aufgabe der Eltern (Kasten 1), die einen wichtigen, vielleicht sogar den wichtigsten Einfl ussfaktor für die Interessenentwicklung ihrer Kinder darstellen. Für den

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Kapitel 1 Sommer, Russek, Kleinhorst, Kakoschke, Efi ng

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Chemieunterricht und das allgemeine Interesse an Chemie muss also vermutet werden, dass, schon lange bevor in der siebten Jahrgangsstufe der Anfangsunterricht Chemie beginnt, die El-tern das Interesse oder eben Nicht-Interesse ihrer Kinder für dieses Fach geprägt haben.Wie steht es aber um das Interesse der Eltern an (dem Fach) Chemie? Diese Frage ist bisher kaum erforscht. Ein Indiz für eine mögliche Antwort kommt aus anderen Erhebungen (Kas-ten 2). Bereits seit dem Jahr 1905 gibt es Untersuchungen zur

Beliebtheit des Unterrichtsfaches Chemie [13]. Die Ergebnisse sind nahezu konstant – Chemie gehört seit über 100 Jahren zu den eher unbeliebten Fächern [14a – e]. Diese Einschätzung hat offensichtlich auch die aktuelle Elterngeneration zu ihrer Schulzeit bereits getroffen. Damit liegt der Schluss nahe, dass das Interesse der Eltern an Chemie eher gering sein könnte – mit der Folge, dass sich bei den meisten Eltern die Beschäftigung mit Chemie auf das schulische Minimum konzentriert hat, le-benslanges Lernen in puncto Chemie und Naturwissenschaften

Wie beurteilen Eltern (N=125; Mehrfachnennungen möglich) in der Rückschau ihren Chemieunterricht? Lassen sich mar-kante Aspekte in positiver wie in negativer Hinsicht identi-fi zieren? [11]Markantes Merkmal für ein positiv empfundenes Bild des Chemieunterrichts sind die Experimente. 62 % bewerten die Experimente und deren Durchführung als besonders positiv. Deutlich „abgeschlagen“ folgen die Vermittlung von Alltags-nähe der Chemie und Praxisbezug im Chemieunterricht (7 %) und die Verwendung von Formeln (6 %) (Abb. 1).

Abb. 1: Der Chemieunterricht der Eltern – Merkmale für ein positiv empfundenes Bild

Auf die Frage „An welches Experiment / welche Experimente können Sie sich aus Ihrem Chemieunterricht noch erinnern?“ nennen die Eltern über 70 Schulversuche (größtenteils mit nur einer Nennung); die „Top 5“ sind in Abbildung 2 zusam-mengestellt.

1Akustisch wahrnehmbare Experimente

(z. B. Knallgasprobe)

2Säure-Base-Reaktionen

(z. B. Verwendung von Indikatoren)

3Experimente mit großem Versuchsaufbau

(z. B. Destillation von Rotwein)

4Stark exotherm geprägte Experimente

(z. B. Reaktion von Natrium und Wasser, Verbrennung von Magnesium)

5Intensive Geruchswahrnehmung

(z. B. Experimente mit Schwefelwasserstoff)

Abb. 2: Die Top 5 – Experimente

Es lässt sich die Tendenz erkennen, dass insbesondere effekt-volle Experimente vermehrt genannt werden. Ein Alltags-

oder Praxisbezug liegt den meisten der genannten Experi-mente fern. Auf die Frage „Was hat Ihnen an Ihrem Chemieunterricht nicht gefallen“ haben rund 70 % der Eltern geantwortet (30 % ohne Angabe). Hierbei zeigt sich ein deutlich differenzierteres Bild (Abb. 3).

Abb. 3: Der Chemieunterricht der Eltern – Merkmale für ein negativ empfundenes Bild

Die Lehrkraft scheint eine, wenn nicht sogar die wichtigste Rolle für den Erfolg (oder eben Misserfolg) des Chemieunter-richts zu spielen. Konkret 28 % der befragten Eltern machen den Lehrer für den von ihnen negativ empfundenen Chemie-unterricht verantwortlich. Ähnliche Ergebnisse wurden bereits früher erhalten. So hat Schminke [12] herausgefunden, dass das Interesse von Schülerinnen und Schülern für Chemie und Chemieunterricht mit der Lehrerpersönlichkeit zusammen-hängen muss. Ein zweiter Faktor, der das negative Bild des Chemieunterrichts beeinfl usst, ist die Verwendung (mathema-tischer) Formeln im Chemieunterricht (28 %). Damit einher geht das Empfi nden, das 15 % der Eltern beschreiben – der Chemieunterricht ist zu theoretisch.Auf Grundlage dieser Ergebnisse bleibt ein eher zweigeteil-tes Bild des Chemieunterrichts in den Köpfen der heutigen Elterngeneration zurück. Wahrgenommen wurde defi nitiv die Durchführung von Experimenten. Interessant ist, dass in der Liste der „Top 5-Experimente“ vermehrt effektvolle Experimente genannt werden, denen in den meisten Fällen der Alltagsbezug fehlt. Negativ mit dem Chemieunterricht ver-bunden bleiben die Auswertungs- und Interpretationsphasen, in denen theoretische Modelle, mathematische Berechnungen und Formeln verwendet werden mussten. Allerdings ist das ein unerlässliches Element nicht nur des Chemieunterrichts, sondern aller naturwissenschaftlicher Fächer. Es bleibt somit festzuhalten, dass man Fächer, wie Chemie, nicht leichter machen kann. Jedoch kommt dem Einsatz des Experimentes besondere Bedeutung zu – aus kognitiver als auch motiva-tionaler Sicht.

Kasten 2: Wahrnehmung des eigenen Chemieunterrichts – 20 Jahre später

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– eine Fehlanzeige. Wie sollen also diese Eltern ihren Kin-dern einen „naturwissenschaftlichen“ Ball zuspielen und einen Rückpass wieder aufnehmen? Oder mit Kinderfragen wie der folgenden umgehen: „Sind Brausetabletten klimaschädlich, weil sie Kohlenstoffdioxid freisetzen?“ Unsere These lautet deshalb: Um Kinder nachhaltig zu fördern, müssen Eltern verstärkt mit in den Blickwinkel rücken. Die Erkenntnis, dass Eltern bedeut-sam für die Förderung des naturwissenschaftlichen Interesses ihrer Kinder sein können, eröffnet eine neue Perspektive für nachhaltige und zukunftsweisende Öffentlichkeitsarbeit: Kin-der und Eltern experimentieren und forschen gemeinsam – in einer Mannschaft.

Mögliche SpielphilosophienKann man Eltern und Kinder überhaupt gemeinsam forschen und experimentieren lassen? Die erste Variante wird an der Municipal University von Omaha (Nebraska) in den 1960er Jahren praktiziert [15]. Ziel des Pro-jektes ist es, Kindern und Eltern chemisches Fachwissen zu vermitteln und grundlegende Abläufe naturwissenschaftlicher Arbeit aufzuzeigen. Man erhofft sich, das allgemeine Interesse der 10- bis 14-jährigen Kinder und Jugendlichen an Chemie zu steigern. Die sechs Versuchstage haben einen strikten Ablauf: Einem einstündigen Vortrag mit Demonstrationsexperimen-ten folgt eine einstündige Arbeitsphase im Labor. Am ersten Versuchstag steht das Thema Atomaufbau im Mittelpunkt. Die Teilnehmer lernen sowohl die Elementarteilchen als auch die Kettenreaktionen kennen, und im Labor kommt der Geiger-Zähler zum Einsatz. Die sehr stark fachwissenschaftliche Ak-zentuierung durchzieht das gesamte Projekt, wie ein Blick auf die Inhalte erkennen lässt: „Säuren, Basen und Salze sowie Sili-conchemie“, das „Kohlenstoffatom“ oder „Makromoleküle“; die dazugehörigen Experimente widmen sich u.a. der Darstellung von Chlorwasserstoffgas, Sauerstoff oder Aspirin. Das Projekt „Exploring Chemistry for Parents and Children“ – 1976 an der Washburn University of Kansas initiiert – un-terwirft sich als erstes dem Verbot formeller Vorträge [16]. Stattdessen steht das Lernen durch eigene Experimente und Demonstrationsexperimente sowie durch Gruppengespräche im Vordergrund. Die Themenauswahl der sechs zweistündigen Experimentiereinheiten für Kinder und Eltern orientiert sich trotz der gesteigerten Interaktion zwischen Kindern und Eltern immer noch stark an den Konzepten der Fachwissenschaft Che-mie (z.B. „Säure und Base“ sowie „Elektrochemie“). Neben dieser und anderen Einzelmaßnahmen legen die USA im Jahr 1986 das landesweite Programm „PACTS“ („Parents and Children for Terrifi c Science”) auf, um praktische naturwis-senschaftliche Erfahrungen innerhalb der Familie zu fördern [17]. Zudem will man das Bewusstsein für Naturwissenschaften allgemein steigern und beispielsweise die Eltern mobilisieren, sich in den Schulen für die Anerkennung der Naturwissenschaf-ten als Hauptfach zu engagieren. Allein in den Jahren 1987 bis 1989 fördert „PACTS“ 41 Ein-zelprojekte an Schulen und Hochschulen, stellvertretend seien die „Workshops for Moms, Dads and Kids: How to be a Kitchen Chemist“ genannt. Sie richten sich an sozial benachteiligte Fa-milien mit Kindern der vierten bis sechsten Jahrgangsstufe [18]. Diese Kinder sollen die Möglichkeit erhalten, ihre grundsätz-liche Neugier an Naturwissenschaften und ihre vorhandenen Fähigkeiten auszuleben. Die Eltern werden mit einbezogen, damit sie als Folge der Teilnahme die häusliche Lernumgebung ihrer Kinder positiv beeinfl ussen können. Wild formuliert dazu: „Vor allem im anglo-amerikanischen Sprachraum wurden des-halb zahlreiche Programme entwickelt, die auf eine verstärkte Elternpartizipation und Optimierung der elterlichen Unterstüt-zung beim Lernen abzielen.“ [6, S. 276]

Der Kurs „How to be a Kitchen Chemist“ und sein Nachfolger „Chemistry and The Real World“ bestehen aus jeweils zwei Tref-fen à 90 Minuten und konzentrieren sich auf die Verknüpfung von chemischen Inhalten mit der Lebenswelt der Kinder. Das gelingt zum einen mit Themen aus der Lebensmittelchemie oder der Chemie des menschlichen Körpers und zum anderen durch Themen mit Bezug zur regionalen Industrie. So verwundert es nicht, wenn die Papierherstellung Teil des Programms ist, schließlich ist die Papierindustrie im Bundesstaat Wisconsin ein wichtiger Industriezweig [18].Diese exemplarisch vorgestellten Projekte spiegeln die di-daktische Entwicklung der Eltern-Kind-Projekte wider: aus thematischer Sicht wenden sie sich von primär fachlichen In-halten (Basiskonzepten) immer stärker alltags- und anwen-dungsbezogenen Themen zu – ohne am Ende „Küchenchemie“ zu betreiben, auch wenn das der Titel „How to be a Kitchen Chemist“ vermuten lässt. Aus methodischer Sicht gelingt der lernpsychologisch geforderte Wandel von der Instruktion zur Konstruktion; das Experiment spielt aber in allen Fällen eine entscheidende Rolle – wenn auch mitunter öfter als Demons-trations- denn als „Schüler“-Experiment. Eine weitere Verän-derung betrifft die betreuenden Akteure. Während es in den ersten Projekten ausschließlich Wissenschaftler sind, arbeiten Projekte in der jüngeren Zeit auch mit Studierenden bzw. Schü-lern höherer Jahrgangsstufen. Beispiele dafür sind die „Science for Kids“ des Williams College in Williamstown, Massachusetts, und „Gemeinsam: Kinder und Eltern experimentieren“ der Be-rufsbildenden Schule Technik 1 Ludwigshafen [19, 20]. Das Projekt „Science for Kids“, das aus experimentellen Work-shops besteht, gibt es seit dem Jahr 1999 [19]. Die Workshops zu den verschiedenen Themen werden im Rahmen einer Lehr-veranstaltung des Colleges von Studierenden entwickelt und durchgeführt. So erfüllt dieses Eltern-Kind-Projekt gleich zwei Bedürfnisse. Den Eltern-Kind-Paaren werden praktische Erfah-rungen mit Naturwissenschaften ermöglicht, um das Interesse an Chemie und dem Experimentieren zu Hause zu wecken und zu fördern. Den betreuenden Studenten wird die Möglichkeit geboten, chemische Themen für Viertklässler entsprechend aufzuarbeiten und sie ihnen näher zu bringen. Das Beispiel aus Ludwigshafen folgt seit dem Jahr 2003 einem ähnlichen Prin-zip: Schüler der Chemie-Leistungskurse betreuen – nach einer Schulung – die Eltern-Kind-Paare je einen Samstagvormittag bei ihren Arbeiten im Labor [20].Bei der Evaluierung der Wirksamkeit der Eltern-Kind-Pro-jekte gleichen sich nahezu alle angeführten Beispiele: Man begnügt sich in der Regel mit Aussagen, dass Eltern und Kinder das jeweilige Projekt mit Begeisterung aufgenommen haben. Als Indikatoren für diese Beurteilung gelten u. a. die Forde-rungen nach weiterführenden Projekten sowie die Anwesen-heitsquote von 90 %. Auch entsprechende freie Äußerungen der Teilnehmer dienen als Beweis, dass Eltern und Kinder eine höhere Motivation entwickelt haben, zu Hause weiter zu experimentieren [16].Konkrete Ergebnisse zum Einfl uss der Eltern-Kind-Projekte auf Interesse und Motivation an Naturwissenschaften bei Kindern und Eltern lassen alle Beiträge vermissen. Es kann festgestellt werden, dass es Konzepte oder – um in der Sprache des Fußballs zu bleiben – „Spielphilosophien“ gibt, um Eltern und Kinder gemeinsam experimentieren und forschen zu lassen. Bedeutet es aber auch, dass die Naturwissenschaft Chemie durch eine der-artige Intervention tatsächlich das häusliche Umfeld erreicht?

Mögliche Spielfelder für Naturwissenschaften(Natur-)Wissenschaft ist zum wahren Verkaufsschlager gewor-den. Bücher und Zeitschriften mit naturwissenschaftlichem Inhalt haben Hochkonjunktur; das Spektrum reicht von Wis-

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sensbüchern, wie „Was ist Was“, und Experimentierbüchern, wie „Der Kinder Brockhaus Experimente: Den Naturwissen-schaften auf der Spur“, bis hin zu regelmäßig erscheinenden Zeitschriften, wie „GEOlino“. Das Fernsehen spart auch nicht mit entsprechenden Angeboten – als Beispiele seien die „Sen-dung mit der Maus“, die 2011 ihr 40-jähriges Bildschirmjubiläum gefeiert hat, und „Galileo“, genannt. Für die aktive Auseinandersetzung mit Naturwissenschaften kann man aus einem reichhaltigen Angebot an Experimentier-kästen auswählen, die – ebenso wie ein Mikroskop – nicht mehr nur von Insidern verschenkt werden. Allein die Firma Kosmos beziffert ihren jährlichen Umsatz mit Experimentierkästen auf 15 Millionen Euro [21]. Es stehen also verschiedene Möglich-keiten für den Wissenskonsum „daheim“ zur Verfügung. In den meisten Fällen entscheiden die Kinder über die (Nicht-) Nutzung und ob Geschwister, Freunde oder die Eltern einbe-zogen werden. Auf der Suche nach einem Spielfeld für Naturwissenschaften, bei dem Kinder und Eltern gemeinsam aktiv werden, steht außer-halb der eigenen vier Wände eine Vielzahl an naturwissenschaft-lich-technischen Museen zur Verfügung. Während allerdings in vielen Museen das Schild „Bitte nicht berühren“ die aktive Auseinandersetzung mit dem Gegenstand einschließlich der Exponate verhindert(e), galt seit 1925 in der Abteilung „Che-mie“ des Deutschen Museums München „Bitte hier drücken“. Oskar von Miller, Begründer des Deutschen Museums, wollte dem Besucher mit den „Knopfdruck-Experimenten“ die Mög-lichkeit geben, sich chemische Reaktionen selbst vor Augen zu führen. Die Umsetzung dieser Vision stellte an die Versuchs-aufbauten hohe Anforderungen: „Versuchseinrichtungen, welche der Volksbelehrung in einem Museum dienen sollen, mußten außerordentlich einfach in der Handhabung sein, weil sie von den ungeschulten Museumsbesuchern selbst … in Betrieb ge-setzt werden. … Sie mußten die gewünschten Ergebnisse rasch zeigen und zu diesem Zwecke vielfach kontinuierlich arbeiten. Die Ergebnisse mußten so sinnfällig sein, daß sie leicht und sicher beobachtet werden konnten. …“ [22, S. 219]. Diese didaktischen Kriterien – formuliert von Oskar von Miller im Jahr 1929 – wer-den sicher auch heute Museumspädagogen leiten, wenn sie ihre Ausstellungen nach didaktisch-methodischen und lernpsycholo-gischen Aspekten gestalten. Sie führen Kinder, Jugendliche und Erwachsene durch eigenhändiges und spielerisches Experimen-tieren an naturwissenschaftliche und technische Phänomene und Zusammenhänge heran. So mutiert freilich manches Museum zum Science-Center, in dem der Erlebnisfaktor meistens vor dem Bildungsauftrag steht. Dennoch sind beide – Museum oder Sci-ence Center – (klassische) „Bildungsorte“ für die ganze Familie.Unter diesem Aspekt bilden Schule und außerschulische Lern-orte, wie z.B. Schülerlabore, eine eigene Kategorie; sind doch diese Lernorte explizit den Schülern vorbehalten. Mehr als 300.000 Schüler nutzen bundesweit die Angebote von mehr als 300 Schülerlaboren jährlich [23]. Dennoch: Hinsichtlich der Effektivität von Schülerlaborbesuchen gilt es, realistisch zu blei-ben: Der einmalige Besuch in einem Schülerlabor fördert das Interesse von Schülern an Naturwissenschaften nur kurzfristig; mittel- oder gar langfristige Effekte sind nicht zu verzeichnen. Das kann auch durch mehrmalige Schülerlaborbesuche nicht gesteigert werden [24]. Entscheidend ist und bleibt die Einbin-dung des Schülerlaborbesuches in den Unterricht; das lässt sich tatsächlich als stabilisierender Einfl uss identifi zieren. Vielleicht bedarf es aber auch anderer Formate als die eines klassischen eintägigen Schülerlaborprojektes. Warum sollte beispielsweise ein Schülerlabor nicht auch zum Lernort für Schüler und ihre Eltern werden? Und tatsächlich wird dieser Weg – wenn auch zögernd – beschritten. So bietet das seit 1999 existierende Sci-ence Forum der Universität Siegen auch (Tages-)Projekte für Kinder und Eltern an [25].

Mit neuer Taktik zum ErfolgNimmt man die kritische Sicht einmalig besuchter außerschu-lischer Lernorte, die Ergebnisse der Interessensforschung [2] und die nachgewiesenen Defi zite an naturwissenschaftlicher Grundbildung ernst, so kann eine mögliche Taktik wie folgt aussehen: Eltern und Kinder müssen sich gemeinsam über einen längeren Zeitraum kontinuierlich und authentisch mit naturwis-senschaftlichen Fragestellungen beschäftigen (vgl. Ergebnisse von Streller & Bolte, allerdings ohne Eltern [26]). Wie so etwas realisierbar ist, zeigt das Projekt „Kinder Erleben Mit Ihren Eltern Chemie“ – kurz KEMIE – an der Ruhr-Universität Bo-chum. Über einen Zeitraum von neun Monaten tragen Kinder und Eltern einmal pro Monat Kittel und Schutzbrille im Alfried Krupp-Schülerlabor anstelle von Trikot und Fußballschuhen auf dem Fußballplatz.Das Konzept ist einfach: Kinder und Eltern stellen zu aus-gewählten Fragen gemeinsam Hypothesen auf, entwickeln Versuchspläne und experimentieren selbstständig. Die Fach-methoden [27] und naturwissenschaftliche Denkweisen, etwa die Variablenkontrolle, als Rüstzeug erlangen die Kinder und Eltern schrittweise auf der Basis eines fachmethodischen Spi-ralcurriculums. Zielt doch das didaktische Konzept von KEMIE auf die Begegnung mit naturwissenschaftlichen Denk- und Ar-beitsweisen und damit auf den Prozess der Erkenntnisgewin-nung ab (vgl. Kap. 2).

Der EndstandNach fünf Jahren lässt sich folgendes Fazit ziehen: Knapp 75 % der angemeldeten Eltern-Kind-Paare haben sieben oder mehr der neun angebotenen Termine wahrgenommen. Dabei sind sowohl die Mütter als auch die Väter gleichermaßen aktiv. Nur 2 % der Kinder werden „aushilfsweise“ von anderen Familien-mitgliedern, wie den Großeltern, begleitet. Das spricht dafür, dass KEMIE als Eltern-Kind-Projekt tatsächlich angenommen wird. 1 : 0 für KEMIE!Neben der Experimentiereinheit im Labor erhalten die Teil-nehmer eine experimentelle Hausaufgabe, deren Umsetzung aber – anders als in der Schule – fakultativ ist. Immerhin haben 41 % der Kinder und Eltern die Hausaufgaben durchgeführt (vgl. 48 % nicht durchgeführt, 11 % keine Angabe) [28]. Von diesen Kindern und Eltern haben 80 % gemeinsam zu Hause experimentiert. 2 : 0 für KEMIE!Aber kann der Doppelpass zwischen Kindern und Eltern auch nachhaltig funktionieren? Die Ergebnisse der empirischen Be-gleituntersuchung während der zweijährigen Pilotphase bele-gen, dass die Eltern nach der Teilnahme am KEMIE-Projekt die Relevanz von Naturwissenschaften im Alltag und in der Gesellschaft signifi kant höher einschätzen als vor dem KEMIE-Projekt (vgl. 4.1). Das hat ebenfalls positive Auswirkungen auf die Familie, denn so wird das naturwissenschaftliche Equipment für zu Hause durch den Kauf von Experimentierkästen und -büchern gesteigert oder das Wochenende für den gemeinsamen Besuch im (Naturkunde-)Museum genutzt. 3 : 0 für KEMIE!

Die abschließende AnalyseAus unserer Sicht ergeben sich drei zentrale Punkte. Es ist die Erkenntnis, dass die Eltern die (naturwissenschaftliche) Inte ressensbildung ihrer Kinder wesentlich beeinfl ussen und dass bei den Kindern das Alter von 10 Jahren als Schnittstelle gesehen wird. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Eltern in den Blickpunkt rücken müssen, wenn man Kinder verstärkt für Naturwissenschaften begeistern und interessieren möchte. Die entwickelte Idee „KEMIE – Kinder Erleben Mit Ihren Eltern Chemie“ möchte aufgrund der erzielten Ergebnisse

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als Anregung dienen, um den Austausch in eine neue Dimension zu führen. Die Eltern-Kind-Paare sind nicht die Konsumenten, denen fertige Ergebnisse vorgestellt werden; sie lernen vielmehr durch einen Einblick in naturwissenschaftliche Denk- und Ar-beitsweisen den Weg der Erkenntnis kennen – Schritt für Schritt. Damit werden sie zu Akteuren. Der inhaltlichen Ausgestaltung, z.B. der Einbindung aktueller Forschungsmethoden oder For-schungsergebnisse mit Relevanz für die Öffentlichkeit, und der Adressatengruppe, z.B. ältere Kinder und ihre Eltern, sind keine Grenzen gesetzt. Durch die problemlose Übertragbarkeit ließe sich dieser Ansatz auch für den bei Verbundprojekten wie Sonderforschungsbereichen geforderten Wissenstransfer in die Öffentlichkeit hervorragend nutzen. Als Wissenschaftler werden Sie mit Erstaunen feststellen, wie interessiert die Kleinen sind und vor allem wie sich der Wandel der Eltern von der Begleitperson zum interessierten Lernpart-ner vollzieht. Da soll noch einer sagen, Naturwissenschaften sind nicht so spannend wie Fußball.

Literatur zu Kapitel 1 [1] Ziefele, M., Jakobs, E. (2009). Wege zur Technikfaszination.

Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, 125. [2] Krapp, A. (1992). Das Interessenkonstrukt. Bestimmungsmerk-

male der Interessenhandlung und des individuellen Interesses aus der Sicht einer Person-Gegenstands-Konzeption. In: Krapp, A., Prenzel, M. (Hrsg.). Interesse, Lernen, Leistung. Waxmann, Münster, 297 – 329.

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