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„Meine Behandlungsmethode ist für alle Altersgruppen geeignet" -Mediziner Dr. Georg Harrer über eine außergewöhnliche Schmerztherapie, die, man glaubt es kaum, völlig ohne Medikamente auskommt.

Worum handelt es sich beim Faszien-distorsionsmodell, wie lange existiert diese Behandlungsmethode und wer hat sie entwickelt? Das Fasziendistorsionsmodell, kurz FDM genannt, gehtauf den US-amerikanischen Arzt und Osteopathen Stephen P. Typaldos (1957-2006) zurück und wurde von ihm Anfang der 1990er Jahre vorgestellt. Seit-her verbreitet sich das FDM in Fachkreisen weltweit. Besondere Verbreitung fand das FDM bis jetzt in Europa und Japan. Im FDM geht man davon aus, dass Schmer-zen und Beschwerden am Bewegungsap-parat, oder auch an anderen Organsyste-men durch Verformungen der Faszie, des Bindegewebes des Körpers verursacht wer-den. Dieses von der Medizin eher gering geschätzte Gewebe ist überall im Körper zu finden, beherbergt und versorgt alle ande-ren Gewebe. Das Bindegewebe ist auch der Sitz der Schmerzwahrnehmung und des Tiefensinnes, also dem Sinn für Posi-tion, Spannung und Kraft. Störungen der Faszie führen daher meist zu Schmerzen

und Funktionseinschränkung. Bei einer Behandlung wird zunächst eine spezielle FDM Diagnose gestellt. Die Dia-gnostik beruht im Unterschied zu anderen Verfahren auf der Eigenwahrnehmung des Patienten. Diese Empfindung der Schmer-zen und gestörten Tiefenwahrnehmung wird mittels einer offensichtlich weltweit einheitlichen Gestensprache von den Pati-enten mitgeteilt und kann von geschulten Behandlern mit aufmerksamer Beobach-tung nachvollzogen werden. Auch gespro-chene Äußerungen der Patienten fließen in die Diagnose ein, wesentlich ist, dass der Behandelnde nichts weiß, was der Patient nicht schon spürt. Die Behandlung erfolgt meist mit geziel-ten Handgriffen, Diese Handgriffe kön-nen teilweise auch schmerzhaft sein, wer-den aber in der Praxis gut toleriert, da sie von den Patienten offensichtlich als sinn-voll empfunden werden. In der Regel ist mit einer raschen Veränderung zu mehr Beweglichkeit, mehr Belastbarkeit und weniger Schmerzen zu rechnen. Auch bei

der Bewertung eines Behandlungserfolges wird der Empfindung des Patienten mehr Wert beigemessen als Röntgenbildern oder anderen medizinischen Befunden.

Ist diese Behandlungsmethode für alle Menschen aller Altersgruppen geeig-net? Welche Vorteile hat sie beispiels-weise für Schwangere oder Kinder? Prinzipiell ist das FDM auf alle Altersgrup-pen anwendbar. Jede Altersgruppe hat dabei ihre eigenen Herausforderungen. Säuglingen zum Beispiel fehlt die typische Gestik, weil sie ihre Extremitäten noch nicht unter Kontrolle haben, da muss man au;

andere Zeichen achten. Schulkinder leider meist in besonderem Maße unter Ruhic-stellung und Sportverbot. Da im FDM Scho-nung und Ruhigstellung keinen Stellenwert haben, sind Kinder oft begeisterte Patier-ten. Schmerzen im Zuge der Behandlung werden von Kindern meist besser toleriert als von Erwachsenen, sofern sie gut vor-bereitet sind und mit ihnen ehrlich umge-gangen wird.

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Schwangere sind in den Industrieländern eine relativ kleine Gruppe, werden aber überdurchschnittlich häufig mit Beschwer-den am Bewegungsapparat vorstellig. Für dieses Phänomen gibt es unterschiedliche Erklärungen. Veränderte Statik wird eben-so diskutiert, wie Hormone, die die Bän-der in den letzten Schwangerschaftswo-chen weicher machen. Alle diese Über-legungen haben letztendlich mit Faszie zu tun. Weiters werden Schwangere im Bezug auf schmerzstillende Medikamente sehr zurückhaltend behandelt und haben daher oft einen größeren Leidensdruck. In vielen Fällen sind Schwangere auch Müt-ter und daher im Alltag überdurchschnitt-lich belastet.

Mit welchen Patienten werden Sie hauptsächlich konfrontiert? Die Mehrzahl meiner Patienten will rasch gesund werden und ist daher bereit, die-sen etwas unkonventionellen Weg, den das FDM vorgibt, mitzugehen. Das sind sehr unterschiedliche Personengruppen wie Freiberufler, Landwirte, Sportler und Pensionisten. Gemeinsam ist allen, dass sie keinen Vorteil in Ruhigstellung und Scho-nung sehen.

Sie geben Ihr Wissen / diese Technik an Menschen in Afrika weiter. Inwie-weit nutzt es den Teilnehmern bzw. was möchten Sie mit diesem Projekt erreichen? Ja, ich halte regelmäßig (selbstverständlich unentgeltlich) Kurse in Afrika und stehe in enger Zusammenarbeit mit der afrikani-schen FDM Gesellschaft. Die Menschen in Afrika haben im Wesentlichen die gleichen Beschwerden wie die Menschen im Euro-pa. Nackenschmerzen, Knieschmerzen und verstauchte Knie kommen dort genauso vor wie bei uns. Der Unterschied sind die kargen zur Verfügung stehenden medizi-nischen Mittel und der ungleich höhere Erwerbsdruck. Hier ist eine Methode, die ohne aufwendige kostspielige Diagnostik und weitgehend ohne Medikamente und Operationen sowie ohne Krankenstand auskommt, von größter Bedeutung. Der höhere Bedarf an Menschen, die Hand anlegen gegenüber apparativen und medi-kamentösen Verfahren, wie sie bei uns ver-breitet sind, spielt bei den afrikanischen Lohnkosten eine geringe Rolle. Unser Ziel ist eine nachhaltige Verbreitung des FDM auf hohem fachlichem Niveau

in ganz Afrika. Das führt nach unserer Ansicht zu einer geringeren Abhängigkeit von finanziellen Zuwendungen, die letzt-endlich wieder in die reichen Länder fließen, da in Afrika kaum medizinische Hochtech-nologie oder Medikamente erzeugt wer-den. Der Umstand, dass in Afrika sehr viele verschiedene Sprachen gesprochen wer-den, unterstreicht den Vorteil einer auf Gesten beruhenden Diagnostik. In Burki-na Faso, dem Sitz der afrikanischen FDM Gesellschaft, einem Land mit 14 Mio. Ein-wohnern, werden beispielsweise über 50 verschiedene Sprachen gesprochen, was die konventionelle medizinische Versor-gung zusätzlich erschwert.

Können durch das FDM falsche oder unnötige Behandlungsmethoden (z.B. Medikation, Operation an der Band-scheibe etc.) verhindert werden? Ich bin grundsätzlich sehr zurückhaltend, andere Behandlungsverfahren als falsch oder schädlich zu bezeichnen. Alle Ansät-ze haben schließlich das Ziel, die Menschen beschwerdefrei zu machen, wenngleich mit unterschiedlichen Mitteln. Wir in Europa sind halt ein wenig verwöhnt, was den Auf-wand betrifft. Eine Medizin, die weitgehend von den Gesetzen des Marktes entkoppelt ist, da die Kosten in den meisten Fällen von großen Versicherungen getragen werden, neigt offensichtlich zur Verteuerung. Das zeigen die explodierenden Ausgaben für die Behandlung von Beschwerden am Bewe-gungsapparat über die letzten Jahrzehnte. Dieses System ermöglicht erst eine flächen-deckende Versorgung der Menschen mit

Magnetresosanztomographie und opera-tiven Verfahren, führt aber möglicherwei-se zu einem Überangebot. Mein Ziel ist es, meine Patienten wieder beweglich, belast-bar und schmerzfrei zu machen. Wenn sich die Menschen dann nicht mehr für eine Operation interessieren, ist das ein Neben-effekt. Dasselbe gilt für Medikamente, die auf Grund unserer hohen Lohnkosten zu einer scheinbar billigen Medizin gewor-den sind. Die Mehrzahl meiner Patienten geht davon aus, dass sie durch die Medi-kamente nicht gesund werden, sondern nimmt sie wegen der Schmerzen. Sobald die Schmerzen geringer werden, setzt sie jeder gerne ab.

Wie wurden Sie zum ersten Mal mit dieser Behandlungsmethode konfrontiert? Im Rahmen meiner mehrjährigen Ausbil-dung zum Osteopathen hatte ich das Glück, Stephen Typaldos, dem Begründer dieser Behandlungsmethode, zu begegnen. Ich war sofort von den raschen und nachvoll-ziehbaren Erfolgen fasziniert und habe mir in vielen Besuchen bei Typaldos in seiner Praxis in Maine/USA ein Bild von der klini-schen Anwendbarkeit seiner neuen Metho-de gemacht. Der Umstand, dass ich einer der ersten Europäer war, der sich mit dem FDM befasste, führte auch dazu, dass ich mich bald der Lehre widmete. Seit 2001 halte ich im Auftrag von Dr. Typaldos Kur-se vor Ärzten und Physiotherapeuten, um schließlich einen größeren Kreis von Patien-ten zu erreichen, als ich mit meinen eige-nen Händen behandeln kann. fa

Über das FDM: Die Behandlung durch das Fasziendistorsionsmodell zielt darauf ab, Schmerzen verursachen-de Teile des Bindegewebes dauerhaft aufzulockern und in Form zu bringen, was zwar teilweise sehr schmerzhaft sein kann, aber äußerst effektiv ist. Blockaden werden gelöst, der Patient kann bei Bedarf mit einfachen Übungen den Behandlungserfolg beeinflussen und wird während des Behandlungsablaufes miteinbezogen. Weil keine Medikamente zum Einsatz kommen, ist diese Methode sogar für Säuglinge geeignet. Da die Faszie bei dieser Altersgruppe sehr weich ist, ver-läuft die Behandlung anders als bei Erwachsenen offensichtlich schmerzfrei. Individuelle Risiken und Kontraindikationen werden im Vorfeld einer Behandlung besprochen.

DR. GEORG HARRER IST OSTEOPATH UND FACH-ARZT FÜR ANÄSTHESIE UND INTENSIVMEDIZIN MIT EIGENER ORDINATION IN WEN 23. DES WEITEREN IST ER GRÜNDUNGSPRÄSIDENT DER EUROPEAN FDM-ASSOCIATION UND SEIT 2001 DER ERSTE VON DR. TYPALDOS AUTORISIERTE FDM-LEHRER IN EUROPA.