1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? · PDF file^ 4 1 Wie...

4
1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? 3 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? Häufigkeit und Symptome Schon Kinder erleben in einem hohen Ausmaß Stress und weisen sogar star- ke psychische wie körperliche Beanspruchungssymptome auf (vertiefend s. Seiffge-Krenke, 1995; Wolchik & Sandler, 1997; zusammenfassend s. de Anda et al., 1997; Boekaerts, 1996; Fields & Prinz, 1997; Matheny et al., 1993; Ryan-Wenger, 2000): Sie fühlen sich oftmals angespannt, nervös, unwohl und ängstlich. In einer eigenen Studie gaben lediglich 36 % von 1.000 Kin- dern und Jugendlichen im Alter zwischen acht und 14 Jahren keine Ein- schlafschwierigkeiten an (Hampel et al., 2001 a). Dagegen berichteten 29 % der Befragten, an ein bis zwei Nächten bezogen auf den Zeitraum der ver- gangenen Woche wegen vieler besorgniserregender Gedanken nicht ein- schlafen zu können. Immerhin 6 % konnten in jeder Nacht nicht einschlafen. Hierbei gaben insbesondere Schülerinnen sehr oft Einschlafschwierigkeiten (vgl. Abb. 1.1) an und klagten sehr häufig über Kopf- sowie Bauchschmer- zen. Lohaus et al. (1996) erfragten die körperlichen Beanspruchungssymptome bei 638 Dritt- und Viertklässlern, wobei ca. 40 % über Erschöpfung berichte- ten und etwa 30 % angaben, mehrmals in der Woche nicht gut schlafen zu können. 18 % hatten mehrmals in der Woche keinen Appetit, 17 % Kopf- Abbildung 1.1. Prozentuale Häufigkeiten der Einschlafschwierigkeiten Hampel/Petermann (2003). Anti-Stress-Training für Kinder. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Transcript of 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? · PDF file^ 4 1 Wie...

Page 1: 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? · PDF file^ 4 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? und 11 % Bauchschmerzen. Bei den 364 befragten Fünft-

1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? 3

1 Wie äußert s ich Stress bei Kindern

und Jugendlichen?

Häufigkeit und Symptome Schon Kinder erleben in einem hohen Ausmaß Stress und weisen sogar star-ke psychische wie körperliche Beanspruchungssymptome auf (vertiefend s. Seiffge-Krenke, 1995; Wolchik & Sandler, 1997; zusammenfassend s. de Anda et al., 1997; Boekaerts, 1996; Fields & Prinz, 1997; Matheny et al., 1993; Ryan-Wenger, 2000): Sie fühlen sich oftmals angespannt, nervös, unwohl und ängstlich. In einer eigenen Studie gaben lediglich 36 % von 1.000 Kin-dern und Jugendlichen im Alter zwischen acht und 14 Jahren keine Ein-schlafschwierigkeiten an (Hampel et al., 2001a). Dagegen berichteten 29 % der Befragten, an ein bis zwei Nächten bezogen auf den Zeitraum der ver-gangenen Woche wegen vieler besorgniserregender Gedanken nicht ein- schlafen zu können. Immerhin 6 % konnten in jeder Nacht nicht einschlafen. Hierbei gaben insbesondere Schülerinnen sehr oft Einschlafschwierigkeiten (vgl. Abb. 1.1) an und klagten sehr häufig über Kopf- sowie Bauchschmer-zen.

Lohaus et al. (1996) erfragten die körperlichen Beanspruchungssymptome bei 638 Dritt- und Viertklässlern, wobei ca. 40 % über Erschöpfung berichte-ten und etwa 30 % angaben, mehrmals in der Woche nicht gut schlafen zu können. 18 % hatten mehrmals in der Woche keinen Appetit, 17 % Kopf-

Abbildung 1.1. Prozentuale Häufigkeiten der Einschlafschwierigkeiten

Hampel/Petermann (2003). Anti-Stress-Training für Kinder. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Page 2: 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? · PDF file^ 4 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? und 11 % Bauchschmerzen. Bei den 364 befragten Fünft-

^ 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? 4

und 11 % Bauchschmerzen. Bei den 364 befragten Fünft- und Sechstklässlern zeigten sich sogar noch ausgeprägtere Beanspruchungssymptome: So gaben 50 % der Kinder an, mehrmals in der Woche erschöpft zu sein, und fast 40 % klagten über häufige Schlafschwierigkeiten. Matheny et al. (1993) fassen die emotionalen Beanspruchungssymptome mit Angst, Hilflosigkeit, Schüch-ternheit, Einsamkeit, Depression und Agitiertheit zusammen. Außerdem führen die Autoren an, dass Verhaltensstörungen, wie Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, impulsives Verhalten sowie sozialer Rückzug, aus einer unangemessenen Stressverarbeitung resultieren können. Aus der Literatur zur physischen Beanspruchung konnten sie folgende Symptome entnehmen: chronische Schlaflosigkeit, Kopf- und Bauchschmerzen sowie akute Paniksymptome (z.B. Erröten, Schwitzen, flache Atmung), aber auch eine erhöhte Infektionsanfälligkeit.

Belastende Situationen Längsschnittstudien sprechen dafür, dass die Beanspruchungssymptome mit Stressereignissen zusammenhängen (Compas et al., 1989), insbesondere mit Alltagsbelastungen; dies gilt vor allem, wenn diese alltäglichen Belastungen kumuliert auftreten (Banez & Compas, 1990). Schule. Am häufigsten werden schulbezogene Belastungssituationen genannt (de Anda et al., 1997, 2000; Donaldson et al., 2000), vor allem schulische Stressoren wie Durchfallen durch eine Arbeit, Unfähigkeit, die Hausaufgaben fertigzustellen, oder der elterliche Leistungsdruck (Sears & Milburn, 1990). In eigenen Studien konnten schulische Belastungssituationen, wie eine gute Note schreiben zu wollen oder eine schwierige Klassenarbeit schreiben zu müssen, ermittelt werden, die die Kinder und Jugendlichen am meisten unter Druck setzen (vgl. Abb. 1.2). Auch Kiselica et al. (1994) kommen zu dem Schluss, dass die „schulische Umgebung eine Quelle von angstinduzierenden Reizen“ darstellt. Soziale Konflikte. Darüber hinaus werden Kinder und Jugendliche durch soziale Konfliktsituationen beansprucht, wie Streit mit Eltern, Geschwistern und Gleichaltrigen (de Anda et al., 1997, 2000; Donaldson et al., 2000).

Protektive Faktoren Allerdings fühlen sich nicht alle Kinder und Jugendlichen durch solche Anfor-derungen unter Druck gesetzt und entwickeln körperliche Beanspruchungs-symptome. Ein wesentlicher Grund dafür liegt darin, dass diese „stress-resistenten“ Kinder und Jugendlichen über eine gute Stressbewältigungskom-petenz verfügen sowie gleichzeitig einen guten sozialen Rückhalt in der Familie

Hampel/Petermann (2003). Anti-Stress-Training für Kinder. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Page 3: 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? · PDF file^ 4 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? und 11 % Bauchschmerzen. Bei den 364 befragten Fünft-

1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? 5

Situationen

zu viel Hausaufgaben

schwierige Klassenarbeit

möchte gute Note

Streit mit Lehrer/in

üble Nachrede

Streit mit Eltern

Streit mit Freund/in

Mittelwert

2,01,81,61,41,21,00,80,60,40,20,0

Abbildung 1.2. Mittelwerte der drei schulischen und vier sozialen Belastungssituationen über N = 1.000 Schülerinnen und Schüler (0 = überhaupt nicht, 1 = kaum, 2 = ziemlich, 3 = stark, 4 = sehr stark)

und im Freundeskreis haben. So setzen sie günstige Stressverarbeitungsstrate-gien, wie positive Selbstinstruktionen, Ablenkung oder Suche nach sozialer Unterstützung, ein, die ihnen eine erfolgreiche Bewältigung der Belastungs- situationen ermöglichen. Außerdem nutzen sie die Pausen zwischen den Belas-tungssituationen, um sich gut zu erholen. So führen sie vielfältige Erholungs-aktivitäten aus: sowohl passive wie Musik hören und oder Ausruhen als auch aktive wie Sport treiben. Dagegen verfügen sie geringfügig oder gar nicht über ungünstige Stressverarbeitungsstrategien, wie Resignation, passive Vermei-dung oder Aggression. Kinder und Jugendliche mit einer unangemessenen Stressverarbeitung weisen demgegenüber keine Fertigkeiten auf, die Belastun-gen positiv zu verarbeiten. Bei diesen „stress-anfälligen“ Kindern und Jugend-lichen sind günstige Stressverarbeitungsstrategien schlecht ausgeprägt, sie räumen wenig „Stress-Pausen“ im Tagesablauf ein und nutzen diese zu einsei- tig, indem sie zum Beispiel nur fernsehen. Allerdings wenden sie oft ungüns- tige Strategien an, die die Problematik meist noch verschärfen.

BEISPIEL Beispiel 1: Christiane Christiane, 10 Jahre alt, geht in die fünfte Schulklasse. Ihre Eltern, die aus Portugal stammen, leben getrennt. Christiane lebt bei ihrer Mutter, die

Hampel/Petermann (2003). Anti-Stress-Training für Kinder. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Page 4: 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? · PDF file^ 4 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? und 11 % Bauchschmerzen. Bei den 364 befragten Fünft-

^ 1 Wie äußert sich Stress bei Kindern und Jugendlichen? 6

schlecht Deutsch spricht, so dass sie sie nicht bei den Hausaufgaben unter-stützen kann. Christianes Freund besucht die Parallelklasse. Die Mutter meldet sie zum Anti-Stress-Training an, weil sich Christiane selbst sehr mit den Hausaufgaben und schulischen Leistungssituationen unter Druck setzt. Allgemein berichtet sie der Mutter jedoch mehr über starken „sozia-len Druck“ durch Gleichaltrige. Außerdem gibt die Mutter an, dass Chris-tiane sich selbst schlecht zuredet und kein Zutrauen zu sich hat. Im Trai-ning wird deutlich, dass sie sich sehr auf ihre nicht so gut ausgeprägten schulischen Leistungen konzentriert und ihre positiven Seiten (sehr gute soziale Fertigkeiten) nicht anerkennt. Insgesamt fällt sie durch ihr ernied-rigtes Selbstwertgefühl auf. Sie gibt als starke Belastungssituation an, vor der Klasse etwas vortragen zu müssen. In ihrem „Anti-Stress-Tagebuch“ beschreibt sie, dass ihr Vater sie missachtet. Beispiel 2: Miriam Miriam, 10 Jahre alt, geht in die fünfte Schulklasse und ist sehr dünn, aber nicht untergewichtig. Sie hat einen jüngeren Bruder. Die Mutter meldet sie zum Anti-Stress-Training an, weil sich Miriam selbst sehr mit den schulischen Leistungssituationen unter Druck setzt. So gibt die Mutter an, dass Miriam sehr ehrgeizig ist, sehr weint, wenn sie keine sehr gute Note schreibt. Vor Klassenarbeiten treten Bauchweh und Übelkeit auf, so dass sie nichts isst. Die Mutter hat Angst, dass Miriam eine Magersucht entwi-ckelt. Im Training bestätigen sich die Angaben der Mutter. Miriam gibt an, sich sehr durch schulische Belastungssituationen belastet zu fühlen. Sie will unbedingt sehr gute Noten haben. In ihrem „Anti-Stress-Tagebuch“ berichtet sie außerdem noch über soziale Belastungssituationen wie Strei-tigkeiten mit ihrer Freundin und ihrem Freund.

Hampel/Petermann (2003). Anti-Stress-Training für Kinder. Weinheim: Psychologie Verlags Union.