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20 1:1 Albrecht Dürer (1471–1528) unternimmt den ersten Versuch, mithilfe der Mathematik die Proportionen des menschlichen Körpers zu bestimmen.

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1:1 Albrecht Dürer (1471–1528) unternimmt den ersten Versuch, mithilfe der Mathematik die Proportionen des menschlichen Körpers zu bestimmen.

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Dürer wurde 1471 in Nürnberg geboren, wo er bei seinem Vater das Gold-schmiedehandwerk erlernte und danach bei Michael Wolgemut, einem führenden Kirchenmaler, die Malerei. Als junger Mann reiste er nach Italien. Dort lernte er euklidische Geometrie (1.1) und die Architektur des Vitruvius Pollio (1.2) kennen, was ihn stark beeinflusste. Sein Zusammentreffen im Jahre 1505 mit Pacioli, dem Mathematiker und Kunsttheoretiker (1.3), hatte ebenfalls einen großen Einfluss auf sein späteres Werk. Als Künstler befasste er sich intensiv mit dem Studium der Perspektive und der räumlichen Dar-stellung von Objekten (1.4). Die Summe dieser Einsichten versetzte ihn in die Lage, mithilfe von mathematischen Verfahren die Proportionen, Formen und Bewegungen des menschlichen Körpers abzubilden. Die Ergebnisse wurden 1528 unmittelbar nach seinem Tod veröffentlicht. Der Herausgeber des Buches, Pirckheimer, war ein Freund Dürers, der 1524 ein Porträt von ihm malte.

Hierinn sind begriffen vier Bücher von menschlicher Proportion.W. PIRCKHEIMER, HERAUSGEBER. NÜRNBERG: HIERONYMUS ANDREA FORMSCHNEI-DER FÜR DÜRERS WITWE, 1528.

Dürers Darstellungen sind der erste Versuch, die Mathematik zur Beschrei-bung der Proportionen und Formen des menschlichen Körpers heranzu-ziehen. Laut Dürer sollten diese Formen „geometrisch oder arithmetisch konstruiert werden und durch die Anwendung eines Kanons der Propor-tionen Schönheit erlangen“ (1.5). Das Buch enthält vier separate Teile, von denen der letzte am interessantesten ist, da er hier versucht, die Bewegung von Körpern im Raum zu behandeln. Dieses Problem erforderte eine neue, komplexe und schwierige Analyse der deskriptiven räumlichen Geometrie. Dürer gilt als der Erste, der sich dieser Herausforderung stellte (1.5).

Im Spiegel der Zeit:Dürer war ein Zeitgenosse Leonardo da Vincis, und beide erzielten bedeu-tende Fortschritte beim realistischen Abbilden des menschlichen Körpers. Dürer zeichneten jedoch seine systematischen Versuche aus, hierfür allge-meine mathematische Regeln zu finden, und im Gegensatz zu Leonardo da Vincis anatomischen Arbeiten war Dürers mathematische Behandlung des menschlichen Körpers jahrhundertelang äußerst einflussreich. Nur 15 Jahre nach Dürers Tod veröffentliche Andreas Vesalius sein berühmtes anatomi-sches Werk, das die Struktur des gesamten menschlichen Körpers beschrieb (1.6). Obwohl diese Anatomie-Atlanten in den darauffolgenden Jahrhun-derten immer detaillierter, genauer und kunstvoller wurden (1.7), gelang es erst rund 300 Jahre später dank den Fortschritten der Chemie (1.8) und der Einführung der Fotografie (1.9), die Darstellung des menschlichen Körpers und seiner Bewegungen ausschließlich mit wissenschaftlichen Verfahren zu studieren, was ein sehr viel höheres Maß an Präzision und Kunstfertigkeit ermöglichte (1.10).

1.1 Euklid. Elementa geometriae. Venedig 1482. 1.2 Vitruvius Pollio M. De architectura. Rom 1486. 1.3 Pacioli L. De divina Proportione. Venedig 1509. 1.4 Dürer A. Underweysung der messung ... zu nutz

allen kunstliebhabenden ?? . Nürnberg 1525. 1.5 Dictionary of Scientific Biography IV S. 258.

New York 1970–1990. 1.6 Vesalius A. De humani corporis fabrica libri

septem. Basel 1543. 1.7 Bidloo G. Anatomia humanis corporis & quin-

que tabulis, per artificiossis. Amsterdam 1685. 1.8 Scheele CW. Sämtliche physische und chemische

Werke Bd. I, II. Berlin 1793. Siehe auch Nr. 21 Scheele S. 120.

1.9 Siehe Nr. 38 Daguerre S. 202.1.10 Siehe Nr. 52 Marey S. 272.

Albrecht Dürer

1:2 Albrecht Dürer, Selbstporträt 1498. Dürer war der erste Künstler der abendländischen Kunst, der Selbstporträts malte.

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1:3 Luca Pacioli (1445–1514), Franziskanerpater, Mathematiker und Kunsttheoretiker, beim Illustrie-ren eines Theorems von Euklid.

1:4 Die erste Druckausgabe von Euklids Elementa geometriae erscheint 1482 in Venedig.

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1:6 Die geometrischen und arithme-tischen Proportionen des weiblichen Körpers. Dürer versucht auch, die Be-wegung von Körpern im Raum darzu-stellen – ein schwieriges Problem der deskriptiven räumlichen Geometrie.

1:5 Dürer stellt dar, wie eine räumliche Abbildung des weiblichen Körpers anzufertigen ist.

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1:7, 1:8 Dürers berühmte Darstellungen geometrischer Verfahren für die Reproduktion von Objekten im Raum.

1:8

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1:9, 1:10, 1:11 Proportionen und Projektionen vom Kopf und Körper eines Kindes.

1:11

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2:1 Die neuartigen Waffen des 16. Jahrhunderts stellten die Chirurgen vor Probleme, die den frühen medizinischen Autoritäten noch fremd waren. Ambroise Paré (1510–1590) führt neue Wundbehandlungsmethoden ein und entwirft Prothesen für die obe-ren und unteren Gliedmaßen sowie künstliche Nasen und Augen aus Gold und Silber. Außerdem konstruiert er eine mechanische Hand unter Verwendung von Federn und Haken.

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2.1 Siehe Nr. 3 Paracelsus S. 32 und Verweis 1.6 2.2 Milne JS. Surgical Instruments in Greek and

Roman times. Oxford 1907. 2.3 Brunschwig H. Chirurgia. Straßburg 1497. 2.4 von Gersdorff H. Feldbuch der wundartzney.

Straßburg 1517. 2.5 Siehe Nr. 60 Nitze S. 310. 2.6 Middeldorpf AT. Die Galvanokaustik. Breslau

1854. 2.7 d’Arsonval A. Action physiologique des courant

alternatifs. Arch Physiol Norm. Path. 1893, 5:401.

2.8 De Forest L. Cautery. U.S. Patent 874 178. 17. Dez. 1907.

2.9 Siehe Nr. 78 Staudinger S. 400, Nr. 80 Caro-thers S. 410 und Nr. 93 Br((a))nemark S. 480.

2.10 Siehe Nr. 85 Mauchley-Eckert S. 438.

Ambroise Paré

2:2 Ambroise Paré mit 75 Jahren.

Paré wurde 1510 in Laval, Frankreich, geboren. Schon als kleiner Junge wur-de er Lehrling eines Baders. Mit 22 Jahren machte er seine Meisterprüfung als Bader und trat in den Militärdienst ein. Über 30 Jahre begleitete er die militärischen Kampagnen der Religionskriege; er diente König Heinrich II. und später Karl IX. und Heinrich III. als „erster Militärchirurg“. Weil sei-ne Wundbehandlungsmethoden so unorthodox waren und er kein Latein konnte (dank seiner bescheidenen formalen Ausbildung sprach er nur Fran-zösisch), lag er ständig im Streit mit der medizinischen Fakultät der Uni-versität von Paris, die vergeblich versuchte, die Verbreitung seiner Schriften zu verhindern. Paré war ein ehrlicher, leidenschaftlicher Mensch, der von seinen Patienten verehrt wurde. Er war tief religiös – sein Motto lautete: „Ich habe ihn behandelt, Gott hat ihn geheilt.“

Les œuvres. Avec les figures & portraicts tant de l’Anatomie que des instruments de Chirurgie, & de plusieurs Monstres.PARIS: G. BUON, 1575.

In seinen gesammelten Werken findet sich seine berühmte Schilderung, wie ihm bei der Belagerung von Turin 1536 das siedende Öl ausging. Er ersetzte es durch eine improvisierte Wundtinktur aus Eigelb, Rosenöl und Terpentin und stellte fest, dass sie zur Vorbeugung gegen Infektionen und zur Förderung der Wundheilung besser geeignet war. Paré kritisiert die zur Blutstillung an-gewandte Kauterisation und spricht sich für die Ligatur von Blutgefäßen aus. Auch in der Geburtshilfe führt er neue Verfahren ein. In seinen gesammelten Werken beschreibt er selbst entworfene Prothesen für die oberen und unteren Gliedmaßen, eine Hand, die mithilfe von Federn und Haken funktioniert, sowie künstliche Nasen und Augen aus Gold und Silber.

Im Spiegel der Zeit:Genau wie seine Zeitgenossen Vesalius und Paracelsus (2.1) setzte sich Paré gegen die Autoritäten durch und vollbrachte Pionierleistungen, die im darauffolgenden Jahrhundert von großem Einfluss waren. Die neuartigen Waffen des 16. Jahrhunderts stellten die Chirurgen vor Probleme, die die frühen medizinischen Autoritäten nicht gekannt hatten. Dennoch ähnelten die meisten verwendeten Instrumente und Verfahren nach wie vor denen, die schon seit der Zeit der Griechen und Römer in Gebrauch gewesen waren (2.2) (2.3) (2.4). Bedeutende Entwicklungen erfolgten erst im 19. Jahrhun-dert, als die chirurgischen Instrumente dank der Fortschritte in Wissen-schaft und Technik eine ganz neue und komplexe Funktionalität erhielten (2.5). So führte Middeldorpf im Jahre 1854 die Galvanokaustik ein (2.6). Die Wirkung von Hochfrequenzströmen auf Gewebe wurde zuerst 1893 von d’Arsonval untersucht (2.7), und 1907 konzipierte de Forest die erste elektro-chirurgische Einheit (2.8). Die Entwicklung der modernen Prothetik beruht großenteils auf Errungenschaften der Materialwissenschaft (2.9) und den explosionsartigen Fortschritten der Mikroelektronik und Computertechnik (2.10) in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

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2:3 Chirurgische Instrumente zur Ansicht im ersten illustrierten Buch über Chirurgie, das Hieronymus Brunschwig (1450–1512) im Jahre 1497 verfasste.

2:4, 2:5 Römisches Vaginalspekulum (oben) und ein Vaginalspekulum von 1517, nach von Gersdorff (1455–1529). Obwohl sie aus völlig unterschiedlichen Epochen stammen, sind sich die Instru-mente verblüffend ähnlich.

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2:6 Instrument und Verfahren für das Öffnen des Schädels, wie es von Gersdorff 1517 beschrieb.

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2:7 Kauterisation mit einem heißen Eisen im Jahre 1517, nach von Gersdorff.

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2:8, 2:9 ?? Das erste Gerät zur Galvanokaustik, das Albrecht Middeldorpf (1824–1868) im Jahre 1854 einführte.

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