130307 Frank Fehlberg Handout-Wirtschaftswissenschaft

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Dr. Frank Fehlberg: Einführung in die Wirtschaftswissenschaft. Handout zum Vortrag, gehalten im Gesprächskreis Leipzig der NachDenkSeiten.de am 7. März 2013.

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NachDenkSeiten Leipzig 1 Dr. Frank Fehlberg | 7. März 2013

Was ist Neoliberalismus…?! oder Eine Einführung in die Wirtschaftswissenschaft

NDS-Gesprächskreis am 7. März 2013 – Vortrag: Dr. Frank Fehlberg

I Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre im Vergleich – Der Idealfall Volkswirtschaft und Volkswirtschaftslehre (VWL) Gegenstand: - Funktion der Wirtschaft im Ganzen - umfasst Gesamtheit aller Akteure eines umgrenzten Wirtschaftsraumes (Einzelperson, Haushalt, Unternehmen, Staaten und Staatengruppen) bzw. der Weltwirtschaft - Erforschung der Handlungsorientierungen einzelner Akteure und gesellschaftlicher Einheiten und ihres Zusammenspiels in der Gesamtwirtschaft Forschungsgebiete: A Gesamtwirtschaft (Makroökonomie): {Realwirtschaft} Voraussetzungen der Güterwirtschaft (Ressourcen, Eigentum, Arbeit, Wert, Kapital, Produktionsprozess), Güteraustausch (Markt, Angebot und Nachfrage, Einkommen, Verteilung des Produktes, Verbrauch), {Finanzwirtschaft} Geldfunktion, Geldmenge, Geldmarkt und Preisniveau, Noten- und Zentralbanken (gesamtwirtschaftliche Geld- und Währungsfragen) B Teil- und Einzelwirtschaft (Mikroökonomie): Geschehen in Teilen der Gesamtwirtschaft (Industrie, Bau, Handel, Privatbankenwesen, Wertpapierhandel), Bedürfnis, Bestreben, Handlungslogik und Agieren einzelner Akteure (Betriebswirtschaft), C Gesellschaftswirtschaft (Sozialökonomie): Auswirkung des Produktionsprozesses und der Marktmechanismen auf den Einzelakteur bzw. die Gesellschaft (Wirtschaftssoziologie); rechtlicher Rahmen der Handlungsbeziehungen einzelner Akteure eines Wirtschaftsraums (Wirtschaftsrecht); wirtschaftliche als gesellschaftsorganisatorische Prozesse (Wirtschaftsgeschichte, Wirtschafts- und Sozialpolitik) Herangehensweise: - objektiv, an der Gesamtwirtschaft interessiert Forschungsprinzip: - Multiperspektivität, Orientierung an der stabilen und positiven Entwicklung des Gesamtsystems und aller seiner Akteure Gesellschaftliche Funktion: - Erstellung gesamtwirtschaftlicher Entwicklungsprognosen, Vorschlagen von gesetzgeberischen und exekutiven Steuerungsmaßnahmen (rechtlicher Handlungsrahmen für einzelne Akteure, Beeinflussung des Wirtschaftsgeschehens durch einzelne Akteure wie z.B. Staat oder Zentralbank)

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Betriebswirtschaft und Betriebswirtschaftslehre (BWL) Gegenstand: - Funktion der Wirtschaft in Teilen - umfasst den wirtschaftlichen Einzelakteur bzw. Betrieb und den wirtschaftlichen Teilbereich, in dem der Akteur planmäßig und zielgerichtet mit Nutzen- (Haushalt, Staat) oder Gewinnmaximierungsabsichten (Unternehmen) handelt - Erforschung der Handlungsorientierungen einzelner Akteure und ihres Zusammenspiels in einem Teilbereich der Wirtschaft Forschungsgebiete: Teil- und Einzelwirtschaft (Mikroökonomie): Feststellung und Prognose des Bedürfnisses und Verhaltens von Einzelakteuren (Voraussetzung: Ressourcenknappheit und Unendlichkeit der Bedürfnisse), Analyse des (Teil-)Marktgeschehens, Optimierung betriebswirtschaftlicher Abläufe nach Gesichtspunkten der Nutzen- oder Gewinnmaximierung (Ressourceneffizienz und mindestens Nutzeneffizienz einzelwirtschaftlicher Handlungen, bei Akteuren mit Gewinnerzielungsabsicht: profitable Geschäftsmodelle, mehrwertmaximierender Produktionsprozess, einträgliche Kapital- und Vermögensverwaltung sowie Investitionssteuerung, Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit und Marktstrategie, Kundengewinnung und -bindung) Herangehensweise: - subjektiv, an Teilbereichen der Gesamtwirtschaft interessiert Forschungsprinzip: - Monoperspektivität, Orientierung am nutzen- oder gewinnmaximierenden Handeln eines Einzelakteurs in einem Teilbereich der Wirtschaft Gesellschaftliche Funktion: - Erstellung von Prognosen für Teilbereiche der Gesamtwirtschaft und von Teilmärkten, Vermittlung von Handlungsoptimierungen an betriebswirtschaftlich ausgerichtete Akteure, Vorschlagen von gesetzgeberischen Steuerungsmaßnahmen zur Verbesserung der Handlungsbedingungen einzelner Akteure Thesen über die allgemeine Wirtschaftswissenschaft Die Königin der Wirtschaftswissenschaft ist die Volkswirtschaftslehre. Die Betriebswirtschaftslehre ist ihre Magd. Die Volkswirtschaftslehre vertritt die Werte der unvoreingenommenen Wissenschaft. Die VWL hält die Wirtschaft für historisch und rechtlich gewachsen, also für ein beeinflussbares Handlungsgefüge der Gesellschaft, das keinen „Naturgesetzen“ folgt. Sie ist bestrebt, die wirtschaftlichen Abläufe als widersprüchliches oder unvollständiges Gesamtsystem zu analysieren und Ratschläge zu seiner Steuerung und Veränderung zu geben.

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II Volkswirtschaftliche Denkschulen des 19./20. Jahrhunderts – Eine Einordnung1 „Die Ideen der Ökonomen und Staatsphilosophen, mögen sie im Recht oder im Unrecht sein, sind einflussreicher, als gemeinhin angenommen wird. […] Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen.“ John M. Keynes (1936) Gegeben: privates Grund- und Kapitaleigentum, Arbeitsteilung, „freie Konkurrenz“ bzw. Marktwirtschaft/Kapitalismus A Makroökonomische Modelle – Betonung der Gesamtwirtschaft A.a) Keynesianismus, Postkeynesianismus Wirtschaftsgegenstand: Wirtschaftskreislauf Wirtschaftszweck: Wohlstandsmehrung Untersuchungsziel: Erklärung des Wirtschaftskreislaufs und Aufbau eines Idealmodells des Wirtschaftssystems Untersuchungsansatz: gesamtwirtschaftlich Untersuchungsrahmen: Analyse der Kreislaufaggregate der Teil- und Einzelwirtschaften Wirtschaftssystem: Marktwirtschaft (makroökonomisch) Rang Produktion – Markt: 1. Markt, 2. Produktion Marktkoordination: durch Anbieter, Nachfrager und Staat Rang Angebot – Nachfrage: Nachfrage schafft Angebot (makroökonomisch) Geld und Wirtschaft: Geld hat einen Einfluss auf die reale Wirtschaft Interessenlage der Akteure: Interessenharmonie durch Marktkorrekturen des Staates Rolle des Staates: Ordnungspolitik, Prozesspolitik: Nachfragestimulation Ursache Wirtschaftskrisen: gesamtwirtschaftlicher Nachfrageeinbruch Systemerhaltung: wünschenswert Systemalternative: Modifikation Systemüberwindung: nicht erforderlich A.b) Neokeynesianismus, „Neu-Keynesianismus“, Neoklassische Synthese Untersuchungsrahmen: Analyse der Kreislaufaggregate der Teil- und Einzelwirtschaften, Zustandekommen des wirtschaftlichen Gleichgewichts Rolle des Staates: Ordnungspolitik, Prozesspolitik: 1. Steuerung der Geldmenge, Währungspolitik; 2. Nachfragestimulation bei Einbruch B Mikroökonomische Modelle – Betonung der Teil- und Einzelwirtschaft B.a) Neoklassik, Ordoliberalismus, Neoliberalismus Wirtschaftsgegenstand: Reduzierung von Güterknappheit

1 Frei nach dem Arbeitspapier von Albrecht Müller/Günter Buchholz: Neoklassik, Keynesianismus und Marxismus. Drei ökonomische Denkschulen im Vergleich (2009), Fachhochschule Hannover, URL: http://f4.hs-hannover.de/fileadmin/media/doc/f4/Aktivitaeten/Veroeffentlichungen/2009/gb-09-04.pdf v. 6.3.2013.

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Wirtschaftszweck: Wohlstandsmehrung Untersuchungsziel: Aufbau eines Idealmodells des Wirtschaftssystems Untersuchungsansatz: teil- und einzelwirtschaftlich Untersuchungsrahmen: Zustandekommen des wirtschaftlichen Gleichgewichts Wirtschaftssystem: Marktwirtschaft (mikroökonomisch) Rang Produktion – Markt: 1. Markt, 2. Produktion Marktkoordination: fiktiver Auktionator stellt stabiles Preis- und Interessengleichgewicht her Rang Angebot – Nachfrage: Angebot schafft sich Nachfrage (mikroökonomisch) Geld und Wirtschaft: Geld hat keinen Einfluss auf die reale Wirtschaft Interessenlage der Akteure: Interessenharmonie („unsichtbare Hand“ gleicht Interessen aus) Rolle des Staates: Ordnungspolitik Ursache Wirtschaftskrisen: Eingriffe in das System von außen => Angebotshemmnis => Störung der Marktmechanismen => kein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage Systemerhaltung: erforderlich Systemalternative: besteht nicht Systemüberwindung: schädlich B.b) Monetarismus Geld und Wirtschaft: Geld hat einen Einfluss auf die reale Wirtschaft Rolle des Staates: allgemeiner Interessenverwalter und Schiedsrichter (Ordnungspolitik), Prozesspolitik: Steuerung der Geldmenge, Währungspolitik C Sozialökonomische Modelle – Betonung der Gesellschaftswirtschaft C.a) Staatsinterventionismus oder Staatssozialismus (Rodbertusianismus) Wirtschaftsgegenstand: gesellschaftliche Produktion, Verteilung und Verbrauch Wirtschaftszweck: gesamtgesellschaftlicher Wohlstand Untersuchungsziel: Erklärung und Kritik der wirtschaftlichen Realität und Aufbau eines Idealmodells des Wirtschaftssystems Untersuchungsansatz: gesamtwirtschaftlich Untersuchungsrahmen: Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen des Wirtschaftens Wirtschaftssystem: Marktwirtschaft (sozialökonomisch) Rang Produktion – Markt: 1. Produktion, 2. Markt Marktkoordination: durch Anbieter, Nachfrager und Staat Rang Angebot – Nachfrage: Nachfrage schafft Angebot (makroökonomisch) Geld und Wirtschaft: Geld hat einen Einfluss auf die reale Wirtschaft Interessenlage der Akteure: Interessenharmonie durch soziale und wirtschaftliche Eingriffe des Staates Rolle des Staates: gesamtgesellschaftlicher Interessenverwalter (Sozialstaat), Ordnungspolitik des Anspruchsausgleichs (Wirtschafts- und Sozialrecht), Prozesspolitik: Eingriffe Lohn- und Arbeitsvertraggestaltung, Sozialversicherungen (Arbeit, Rente, Gesundheit), Verwaltung öffentlicher Güter (z.B. Gesundheitswesen, Kommunikation, Infrastruktur), Steuerpolitik (Steuerungsfunktion und Staatseinnahmen) Ursache Wirtschaftskrisen: privates Grund- und Kapitaleigentum => ausbeuterischer Produktionsprozess => Ungleichverteilung des Produkts => Nachfrageeinbruch Systemerhaltung: nicht wünschenswert Systemalternative: soziale Marktwirtschaft bzw. Sozialismus (Verstaatlichung von Eigentum) Systemüberwindung: durch Reform

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C.b) Wissenschaftlicher Sozialismus (Marxismus) Wirtschaftsgegenstand: gesellschaftliche Produktion Wirtschaftszweck: Kapitalmehrung Untersuchungsziel: Erklärung und Kritik der wirtschaftlich-gesellschaftlich-politischen Realität Untersuchungsansatz: gesamtwirtschaftlich Untersuchungsrahmen: Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen des Wirtschaftens Wirtschaftssystem: Kapitalismus Rang Produktion – Markt: 1. Produktion, 2. Markt Marktkoordination: durch Anbieter und Nachfrager Rang Angebot – Nachfrage: Nachfrage schafft Angebot und umgekehrt (makroökonomisch) Geld und Wirtschaft: Geld hat einen Einfluss auf die reale Wirtschaft Interessenlage der Akteure: Interessengegensatz („Klassenkampf“) Rolle des Staates: Interessenverwalter der Grund- und Kapitaleigentümer („ideeller Gesamtkapitalist“) Ursache Wirtschaftskrisen: privates Grund- und Kapitaleigentum => ausbeuterischer Produktionsprozess => Anhäufung des Kapitals/Verelendung der Arbeiter => Nachfrageeinbruch Systemerhaltung: unmöglich Systemalternative: Kommunismus (Vergesellschaftung von Eigentum) Systemüberwindung: durch Revolution Thesen über die volkswirtschaftlichen Schulen Die Neoklassik ist die derzeit dominante Anschauung des Wirtschaftens, ihre modernen Ableger sind Monetarismus und „Neoliberalismus“. Sie betont „Eigenverantwortung“, marktmechanische Regelung aller gesellschaftlichen Bereiche, Zurückhaltung des Staates. Sie vernachlässigt die gesamtwirtschaftlichen Grundlagen und Kreisläufe und stellt mit den Maximen der Einzelwirtschaft (z.B. Sparsamkeit, ausgeglichene Budgets) das Funktionieren des Wirtschaftskreislaufs (Einnahmen gleich Ausgaben u. umgekehrt) infrage. Der Keynesianismus erkennt die freie Marktwirtschaft an und möchte sie lediglich durch punktuelle Eingriffe des Staates in das Marktgeschehen korrigieren. Da er gesamtwirtschaftlich ausgerichtet ist, bietet er bessere Lösungsperspektiven in Wirtschaftskrisen (z.B. Konjunkturprogramme). Der Neokeynesianismus bewegt sich in der Frage des stabilen Gleichgewichts und des Geldes auf die monetaristische Neoklassik zu. Der Staatssozialismus betrachtet die Gesamtwirtschaft aus der gesellschaftsorganisatorischen Perspektive und möchte mit einem aktiven Sozialstaat die Grundbedingungen der Wirtschaft – Produktion, Verteilung und Verbrauch – gestalten. Sein Ziel ist die möglichste Unterordnung des Wirtschaftens unter die gesellschaftlichen Bedürfnisse. Der Staat als organisatorische Einheit der Gesellschaft wird zum regulierenden Akteur der Marktwirtschaft. Der Marxismus ist eine reine Kritik des marktwirtschaftlichen Systems: Das ausbeuterische Wirtschaftssystem (Basis) bestimmt die gesellschaftlichen Zustände (Überbau). Der Staat als Teil des Überbaus ist Repräsentant der Kapitalbesitzer, der Klassenkampf (Arbeit gegen Kapital) tobt. Das revolutionäre Ende des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist unvermeidlich. Das kommunistische Wirtschaften bleibt bei Marx verschwommene Idee.

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Freie Online-Texte zur Wirtschafts- und Sozialpolitik von Frank Fehlberg (Auswahl) |1 Sozialdemokratie von oben? Erinnerung an den Ökonomen Karl Rodbertus (1805-1875)

http://wissens-werk.de/index.php/aeon/article/view/140/pdf_12 |2 Soziale Demokratie jetzt! 150 Jahre SPD http://iley.de/?article=150_JAHRE_SPD-soziale_demokratie_jetzt |3 Die Geschichte der „Alternativlosigkeit“. Die Agenda 1800 (2 Teile) http://iley.de/?article=AGENDAPOLITIK-die_geschichte_der_alternativlosigkeit |4 Europas Sparer vor dem Scheitern. Paul Krugmans „Vergesst die Krise“ (7 Teile) a) Europas Sparer vor dem Scheitern b) Schulden machen, um Schulden abzubauen c) Streit der Denkschulen d) Krugmans ABC der Krisenlösung e) Meinungsführerschaft der „Experten“ brechen f) Verfehlte europäische Krisenpolitik g) Ein Neokeynesianer ist noch lange kein Occupy-Aktivist

http://iley.de/?article=PAUL_KRUGMANS_VERGESST_DIE_KRISE-europas_sparer_vor_dem_scheitern

|5 Eine Kritik an der Finanzmarktreligion

http://iley.de/?article=STAATSSCHULDENKRISE-eine_kritik_an_der_finanzmarktreligion

|6 Die Arbeitnehmerarmee. Analyse der „marktkonformen“ Bundeswehr

http://iley.de/?article=DEUTSCHE_STREITKRFTE-die_arbeitnehmerarmee