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Auf dem Weg zur Menschenkirche Ein Leitbild und ein Kirchgemeindezentrum für die Reinacher Reformierten

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1Auf dem Weg zur MenschenkircheEin Leitbild und ein Kirchgemeindezentrum für die Reinacher Reformierten

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Auf dem Weg zur MenschenkircheDie Reinacher Reformierte Kirchgemeinde baut ein Leitbild und ein Kirchgemeindezentrum

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Bianca Maag-Streit: Ein Leitbild und ein Haus 3

Frank Lorenz: Der Leitbildprozess – Ein Überblick 7

Franz Wirth: Reinachs Reformierte – Woher kommen sie? 11

Erik Haendeler: Das Beste kommt erst noch – Ein Zukunftsforscher über Kirche 21

Frank Lorenz: Der erste Workshop – Die DNA des Leitbildes entsteht 34

Judith Könemann: Kirchgemeinden auf der Höhe der Zeit 38

Maja Grauwiler: Nach dem Vortrag von Judith Könemann – Wie weiter? 51

Frank Lorenz: Vox populi – Die Befragung des Kirchenvolkes 56

Frank Lorenz: Der Text des Leitbildes und die Kurzfassung 60

Martin Engel : Kirche auf dem Markt - Wie setzen wir ein Leitbild um? 65

Yves Stump, Hans Schibli: Das Projekt und der Bau 70

Christoph Erhardt: Ausblick und Zukunft 76

Impressum: © 2014 by Reformierte Kirchgemeinde Reinach bzw. Texte by den Autorinnen und AutorenRedaktion: Bianca Maag-Streit, Maja Grauwiler, Christoph Erhardt, Frank LorenzKonzept / Gestaltung: Caterina ReimerLayout: Frank Lorenz, Caterina ReimerKorrektorat: Markus ProbstFotos: Frank Lorenz, Caterina Reimer, Corinne Bertschmann (S.4 oben), Heiner Leuthardt (S.5), Visualisierungen S.72 und 73: © stumpschibliarch.chAuflage: 500Reformierte Kirchgemeinde Reinach, Bruderholzstr. 39, 4153 Reinach, www.refk-reinach.ch

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Mit dem Studienauftrag «Neues Kirchgemeindehaus Mischeli» im Jahre 2007 wurde für uns als Kirchge-meinde ein wichtiger Meilenstein gesetzt. Dem Ziel, das Ensemble Kirche, Kirchgemeindehaus und Pfarr-haus zu stärken, gemeinsame und neue Räume und Begegnungszonen zu schaffen, kamen wir damit ei-nen Schritt näher. Das Quartierplanverfahren als Grundlage des Wettbewerbsprojekts und weitere klei-ne Abklärungen waren im 2012 mit dem Regierungs-ratsbeschluss abgeschlossen.

Somit konnte im Jahr 2012 der definitive Bau eines neuen Kirchgemeindehauses an der Kirchgemeinde-versammlung beschlossen werden. Mit der grossen

Herausforderung, der Realisierung dieses für unsere Kirchgemeinde so wichtigen «Jahrhundertpro-jektes», konnte gestartet werden. Begleitend zu all diesen Schritten und Vorhaben war jedoch auch klar, dass wir uns bewusst werden mussten, welches Ziel wir genau mit diesem neuen Gebäude anstreben und erreichen wollen.

Es brauchte dazu intensive Diskussionen und Ge-spräche mit interessierten Kirchenmitgliedern sowie verschiedene Umfragen und die dazugehörigen Aus-wertungen. Die Kirchenpflege und das Mitarbeite-rInnenteam arbeiteten ebenfalls an diversen Sitzun-gen, Workshops und Retraiten weiter an dem Thema

Ein Leitbild und ein HausVorwort von Bianca Maag-Streit

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«Was und Wohin wollen wir als Kirchgemeinde».

Entstanden ist für uns alle ein ver-bindliches und umfassendes Leit-bild. Die dazugehörigen zehn Leit-sätze sollen uns immer in unserem Handeln und Tun begleiten.

Unser Leitbild soll aufzeigen, wo-hin wir uns als Kirchgemeinde be-wegen und entwickeln wollen, wel-che unsere Ziele und Vorgaben für unsere Räume und Begegnungsorte sein sollen. Nach innen soll unser Leitbild Orientierung geben und somit motivierend für alle Mitar-beitenden wirken. Es soll auch für alle verbindliche Richtlinien festle-gen. Es ist die Basis für die Identität

unserer Kirchgemeinde. An den beiden Abstimmungen 2009 und 2012 in der Kirchgemeindeversammlung wurde die Basis für das Bauvorhaben gelegt und der Baukredit gesprochen.

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Das Leitbild beschreibt auch die Mission und die Vision nach aus-sen sowie die angestrebte Orga-nisationskultur. Es soll unserer Kirchgemeinde ein Selbstverständ-nis geben und die für unsere Ge-meinschaft wichtigen Grundprin-zipen festhalten.

Es war und ist uns auch ganz wichtig, dass wir nicht ein Leit-bild schaffen, welches dann in den Schubladen verschwindet, sondern dass es gelebt und verwirklicht werden kann.

Wir sind überzeugt, mit dem vor-liegenden Leitbild dieses Ziel er-reicht zu haben. Die Umsetzung liegt nun aber an jedem und jeder von uns, sei es als freiwillig Mitar-beitende, als festangestelltes Team-

Unser Leitbild soll aufzeigen wohin wir uns als Kirchgemeinde bewegen und entwickeln wollen, was unsere Ziele und Vorgaben für unsere Räume und Begegnungsorte sein sollen.

Baubeginn am 4.Dezember 2012: Die ersten Bagger fahren auf und der symbolische Spa-tenstich findet statt. Auf dem Foto rechts: Pfrn. Florence Develey, Hans Oppliger (Präsident Genossenschaft Aumatt), Bianca Maag-Streit (Präsidentin Kirchgemeinde), Yves Stump und Hans Schibli (Architekten), Dieter Bäni, Architekt und Vertreter Genos-senschaft Aumatt, sowie Rolf Eigenmann von der Bauleitung.

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mitglied, als Kirchenmitglied oder Sie als Lesende dieser Broschüre. Sie zeigt auf, wie wir uns mit den verschiedenen Themen auseinander gesetzt haben, wie wir uns auch durch Fachleute inspirieren liessen und uns so auch weitergebildet haben.

Es war ein spannender und vielfältiger Prozess und ich danke allen Beteiligten für die differenzierten, an-spruchsvollen und kritischen Auseinandersetzungen mit diesem so wichtigen Thema.

Ich freue mich mit Ihnen, mit Euch diese Räume zu beseelen, zu bewegen und zu beleben.

HerzlichBianca Maag-StreitReinach, im Frühjahr 2014

Bianca Maag-Streit ist seit 1986 in Reinach,Präsidentin Evangelisch Reformierte Kirchgemeinde, Mitglied des Gemeinderates und des Landrates

Momentaufnahmen (Januar und März 2013) der Baukamera, die am Kamin der Mischeli-Kirche angebracht war während der gesamten Bauphase: Januar 2013 bis Juli 2014.

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Der Leitbildprozess – Ein ÜberblickEin Beitrag von Frank Lorenz

Eine Institution denkt über sich selber nach, wenn sie ein Leitbild sucht und formuliert. Der Prozess, der zum Leitbild führt, ist fast so wichtig, wie das Leitbild selber. Möglichst viele sollen einbezogen werden aus dem inneren und äusseren Umfeld einer Institution. Alle reflektieren und äussern sich über ihr Tun, über die Organisation und über die sie lei-tenden Werte. Sie beschreiben den Ist-Zustand.

Dieser Prozess wird idealerweise in einem oder zwei Workshops der Leitung der Institution ausgelöst. Damit entsteht die Basis: Eine Willenserklärung, das Leitbild zu machen und ein Routenplaner für den Weg dorthin. Die Begriffswolke in der unter-stehenden Graphik fasst alle Schritte und Inhalte zusammen. Fast wie eine Wanderkarte zeigt sie den Weg, der über mehrere Arbeitstagungen, Exper-

Leitbild

Zukunft

Vergangen

heit

Qualitativ

Szenarios

Expertinnen

Analysen

Ist-Zusta

nd

Soll-Z

ustand

Qualitativ

Quantifi

ziert

Befragungen

Ressourcen

Mission

Strategien

Visionen

Bestandes-

aufnahme

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tenhearings und Bestandesaufnahmen der Res-sourcen führt. Der Prozess wird idealerweise von einer Spurgruppe begleitet, die immer wieder den Alltag der Organisation mit dem Ergebnis vergleicht, verdichtet, die nächsten Schritte vor-bereitet und deren Ergebnisse evaluiert. Die Gra-phik rechts zeigt den Zeitplan der Umsetzung, die Möglichkeiten der Beteiligung durch alle Be-troffenen, AkteurInnen, Leistungserbringenden und Leistungszahlenden auf.

In der «Spurgruppe» die den Prozess steuerte, waren während der gesamten Zeit (2008–2014)die gleichen Personen aktiv. Sie sicherten den zu-verlässigen Informationsfluss, eine sachgerechte Behandlung und die Weiterplanung des Pro-zesses. Es waren dies Bianca Maag-Streit, Maja Grauwiler, Christoph Erhardt und Frank Lorenz.

Am Ende eines solchen Weges steht das Leitbild als eine Art «Synopse»: Eine Zusammenschau des wünschbaren Soll-Zustandes, ein Vergleich und eine Verdichtung. Es ist Aufgabe der Leitung einer sozialen Organisation, diese in datier- und umsetzbare Ziele zu übersetzen und der Ziel-ereichung Ressourcen zuzuweisen.

Leitbilder haben auch ein Verfallsdatum. Nach rund 10 Jahren sollten sie überprüft und ange-passt, vielleicht sogar neu formuliert werden. Das vorliegende Leitbild wurde im Frühling 2014 in

Am Ende des Prozesses steht ein Leitbild als Zusammenschau des Soll-Zustandes. Die Leitung muss dieses in umsetzbare Zielformulierungen übersetzen.

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Kraft gesetzt. Es erhielt sogenannte Leitsätze für den Schluss und wurde in Legislaturzielen mit Daten und Ressourcenplanung umgemünzt. Die Leitsätze sol-len im neu gebauten Kirchgemeindezentrum an die Wand gehängt werden. Die Legislaturziele wurden von der Kirchenpflege in die konkrete Alltagsarbeit gegeben und sollen bis 2017 verwirklicht sein.

Eine öffentlich-rechtliche Organisation hat natürlich noch andere Rahmenbedingungen, wenn sie ein Leit-bild formuliert. In einem demokratischen Staat ist dies das in Gesetzen und Verordnungen beschriebene staatliche Kirchenrecht und die eigenen kirchlichen Gesetze und Ordnungen.

Biblische Leitbilder

Jedem kirchlichen Leitbild gehen aber immer die Be-richte, Geschichten und Bilder in der Bibel voraus. Darum haben wir sie in unserem Leitbild am Anfang benannt. Darum stehen sie in diesem Büchlein auch fast am Anfang.

Pfr. Frank Lorenz ist Theologe, Journalist und hat einen Master in Betriebswirtschaft (MBA).

Biblische Leitbilder sind: Wanderndes Gottesvolk, Stadt Gottes, Fest Gottes, Gesandte Gottes, Licht der Welt, Salz der Erde, Senfkorn.

Kirche und Kirchgemeinde ist laut der Bibel

• «Wanderndes Gottesvolk». Das verweist auf die Di-mension Befreiung und Unterwegssein (vgl. 2. Mose 13, 17–22)

• «Stadt Gottes». Das verweist auf die Dimension Geborgenheit und Zuflucht (vgl. Eph 2, 19)

• «Fest Gottes». Das verweist auf die Dimension Festfreude und Gottesdienst (vgl. Lk 14, 16–23)

• «Leib Christi». Das verweist auf die Dimension Einheit und Gleichwertigkeit (vgl. 1.Kor 12,12 f.)

• «Gesandte Gottes». Das verweist auf die Dimension Diakonisches Handeln (vgl. Mt 25, 31 ff., Lk 4, 18, Jes 61, Lk 10, 25–37)

• «Licht der Welt – Salz der Erde». Das verweist auf die Dimension Prophetisches Amt, Ökumene (vgl. Mt 5, 23 ff.)

• «Senfkorn». Das verweist auf die Dimension Hoff-nung und Unverfügbarkeit (Mt 13, 31)

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Vorgeschichte

Schon 1525 – in der Reformationszeit – beriefen die Reinacher mit Marcus Heiland einen ersten refor-mierten Pfarrer in ihr Dorf. Während beinahe sieben Jahrzehnten, bis in die 1590er Jahre, bekannte sich da-nach die Gemeinde Reinach zum reformierten Glau-ben. Dann setzte ihr Oberherr, der Fürstbischof von Basel, die Rückkehr zum Katholizismus durch. (Mehr zu diesem Thema ist in meinem 2011 erschienenen Buch «500 Johr im Dorf – Die Pfarrei St.Nikolaus in Reinach BL. Eine Erkundigungsfahrt durch die Kir-chengeschichte einer Birsecker Gemeinde» zu finden. F.W.)

Neubeginn im 19. Jahrhundert – Folge der Industrialisierung in Arlesheim

Seit der von Fürstbischof Jakob Christoph von Blarer Ende des 16. Jahrhunderts durchgesetzten Gegenre-formation blieb Reinach während mehr als zweiein-halb Jahrhunderten bis tief ins 19. Jahrhundert hinein eine sozusagen rein katholische Gemeinde. Erst die in der Nachbarschaft einziehende Industrie zog einige reformierte Familien an. 1856 liess der Eigentümer der seit 1830 in Arlesheim ansässigen Schappe-Fabrik, Daniel August Alioth-Falkner, im grossen Park seiner stattlichen Villa eine reformierte Kapelle errichten. Als Pfarrer setzte er den in seiner Familie wirken-

Reinachs Reformierte: Woher kommen sie?Ein Beitrag von Franz Wirth

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den Hauslehrer Friedrich Christoph Eppler ein. Die damals in Reinach wohnhaften 46 protestantischen Einwohnerinnen und Einwohner gehörten – wie ihre Glaubensgenossen in Arlesheim, Dornach, Ae-sch, Pfeffingen und Grellingen – zu dieser insgesamt 294 Seelen umfassenden «Reformierten Kirchgenos-senschaft Arlesheim und Umgebung». Auch die Rei-nacher Reformierten besuchten nun den Gottesdienst in der von Alioth gestifteten Kapelle. 1858 erlangte diese Kirchgenossenschaft die Anerkennung durch den basellandschaftlichen Regierungsrat und wurde ab 1882 mit 700 Franken jährlich vom Kanton unter-stützt.

Bis zur Kirchenverfassung von 1952 hatte die Kirchge-nossenschaft Arlesheim kein Steuerrecht, musste also ihren Unterhalt aus dem kleinen staatlichen Zuschuss und aus privaten Spenden bestreiten. Einen grossen Teil der Auslagen – insbesondere die Pfarrerbesol-dung – übernahm anfänglich die Familie Alioth, wel-che sich deshalb grossen Einfluss auf das kirchliche Leben vorbehalten konnte. Daniel August Alioth be-stimmte den Pfarrer und verhinderte so die Wahl ihm unliebsamer liberaler Theologen. Alioth nahm mit dieser Praxis die mittelalterliche Tradition der Patro-nats- oder Eigenkirchen auf.

Allmählich wurde die aliothsche Kapelle für die Be-dürfnisse der immer zahlreicher werdenden refor-

mierten Birsecker zu klein. Nach langen Planungsar-beiten konnte am 3. November 1912 die heute noch dem Gottesdienst der Arlesheimer Reformierten die-nende Kirche der Basler Architekten La Roche und Staehelin am Stollenrain eingeweiht werden. Weiter-hin mussten die Reinacher Reformierten noch wäh-rend mehr als einem Jahrzehnt nach Arlesheim zur Kirche pilgern. Auch die Konfirmation fand für die Reinacher Jugendlichen in Arlesheim statt.

In Reinach stieg die Zahl der Reformierten bis zu den 1920er Jahren auf über fünfhundert an. Deshalb wur-de 1924 für die Gemeinden Aesch-Pfeffingen-Reinach ein eigenes – weiterhin in Arlesheim domiziliertes – Vikariat eingerichtet, mit dem bis 1927 Pfarrer Fritz La Roche betraut war. Die Gottesdienste fanden auch für die Reinacher noch immer in Arlesheim statt, was viele als sehr beschwerlich empfanden.

In dieser Situation bot 1925 Frau Elisabeth Alioth-Vischer die in ihrem Garten in Arlesheim stehende, nicht mehr benützte Kapelle den Reinacher und Ae-scher Reformierten an: Die Kapelle hätte abgebrochen und im Neuhofgebiet zwischen Aesch und Reinach wieder aufgebaut werden sollen. Nach eingehender Prüfung lehnte die Kirchgenossenschaftsversamm-lung im September 1926 dieses Angebot dankend ab. 1927 erlaubte der Reinacher Gemeinderat den Refo-mierten als Zwischenlösung, alle 14 Tage am Sonntag-

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nachmittag den Gottesdienst in einem der Dorfschul-häuser durchzuführen. Fast gleichzeitig übernahm Pfarrer Jörg Mangold bis 1930 das Pfarrvikariat für Reinach–Aesch–Pfeffingen.

1930: Ein Kirchgemeindehaus in Reinach

1927 begann man sich ernsthaft mit dem Gedanken der Errichtung eines Gemeindehauses in Reinach zu befassen. 1928 erwarb die Kirchgenossenschaft weitab vom Dorfkern an der Bruderholzstrasse rund 26 Aren Land zum Preis von CHF 2.20 pro Quadratmeter. Die reformierten Reinacherinnen und Reinacher wohnten zumeist in den neuen Kleinquartieren Landhof, Sur-baum und im Grenzgebiet gegen Münchenstein.

Nach der Abwehr von einigem Widerstand gegen die exzentrische Lage und nach einem Projektwettbewerb konnte schliesslich das Gemeindehaus-Projekt des Basler Architekten Rudolf Christ verwirklicht werden. Bereits ab Weihnachten 1929 fanden im Saal Gottes-dienste statt. Und am 30. März 1930 wurde das Ge-meindehaus mit einer Predigt des Arlesheimer Pfarrers Hans Senn und mit Reden des Präsidenten der Arles-heimer Kirchgenossenschaft, Peter Sarasin-Alioth, und des Historiker-Pfarrers Karl Gauss eingeweiht. Zum Schluss sang die Gemeinde das Luther-Lied »Ein feste Burg ist unser Gott». Die Baukosten betrugen – inklu-

sive CHF 6’000.– für den Landerwerb – CHF 96’000.–. Sensation: 1930 wird eine Frau Pfarr-Vikarin in Reinach

Ins neue Kirchgemeindehaus zog 1930 in der Person von Anna Aicher eine Pfarr-Vikarin ein. Anna Aicher hatte in Basel Theologie studiert und war 1931 eine der beiden ersten Frauen, die von der Basler Kirche zum Pfarramt ordiniert wurden. Nach ihrem Wegzug von Reinach 1937 wirkte Anna Aicher im Diakonis-senhaus in Riehen und in der Bibelschule in Gwatt so-wie bei der Schweizer Mission in Südafrika und mach-te sich dort u.a. als Mitübersetzerin der Bibel in die einheimische Tsonga-Sprache einen Namen. Sie starb hochbetagt im Jahre 1991.

In den späteren Dreissigerjahren entwickelte sich der Bereich links der Birs zu einer eigenen Seelsorgeein-heit Reinach-Aesch-Pfeffingen, immer unter dem Dach der alten Kirchgenossenschaft Arlesheim. Hier wirkte von 1937 bis 1947 als Nachfolger Anna Aichers Pfarrer Jörg Mangold, der schon sein Lernvikariat in Reinach absolviert hatte. 1944 konnte als zweites Got-teshaus für den Bereich links der Birs die reformierte Kirche in Aesch eingeweiht werden. 1947 wurde Jörg Mangold nach St. Jakob in Basel berufen. Von ihm übernahm 1947 Walter Erhardt das Reinacher Pfarr-amt, das er bis 1979 – bis 1952 auch für Aesch-Pfeffin-gen zuständig – betreute.

Am 30. März 1930 wurde das Kirchgemeindehaus des Basler Architekten Rudolf Christ eingeweiht. Die Gemeinde sang das Luther-Lied «Ein feste Burg ist unser Gott».

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Reinach erhält eine eigene reformierte Kirche

Mitte der Fünfzigerjahre überschritt die Zahl der Rei-nacher Protestanten die Zweitausendermarke. Schon 1954 äufnete die Kirchenpflege einen Baufonds für eine neue Kirche. 1955 beschlossen die Stimmbe-rechtigten der Kirchgemeinde einen Zuschlag von 50 Prozent auf der Kirchensteuer mit dem Zweck, den Baufonds aufzustocken. Auch viele private Spenden liessen den Fonds bald anwachsen. Die Kirchgemein-de schrieb 1957 einen Wettbewerb für die Planung ei-ner Kirche aus. Sieger wurde Architekt Ernst Gisel aus Zürich, der die neue Mischelikirche von 1961 bis 1963 in «gemässigt kubistischem Stil» als Mischbau in Be-ton und Backstein errichtete. Die Baukosten beliefen sich auf rund 1.1 Millionen CHF.

Am 2. September 1962 fand am Eingang zum Rohbau in Anwesenheit von reformierten und katholischen Kirchenvertretern wie auch von Repräsentanten der Politik die Ecksteinlegung statt. Nach einem grossen Basar war das nötige Geld für die Beschaffung von drei Glocken beisammen. Am 25. Mai 1963 konnte die Reinacher Schuljugend die drei Glocken in den Betonturm aufziehen. (Eine vierte wurde erst 1967 beschafft.) Die Einweihung der neuen Kirche erfolgte am 1. September 1963 wiederum unter grosser Betei-ligung von Politik und reformierten wie katholischen Kirchenbehörden.

Neue Pfarrstellen

1965 zählte Reinach über 4‘000 Protestanten und er-hielt deshalb in Dieter Best einen zweiten reformier-ten Pfarrer. 1971 schuf der Regierungsrat, als die Zahl der evangelischen Gemeindeglieder auf über 6‘000 an-gestiegen war, eine dritte Stelle, die erst 1975 mit Pfar-rer Martin Stettler besetzt wurde. Als Pfarrer Walter Erhardt pensioniert wurde, ersetzte ihn 1980 Robert Heimberg. Nach einem kurzen Zwischenspiel von Pfarrer Jürg Kaufmann und Pfarrerin Esther Borer trat 1987 Peter Reimer in die Dienste der Reinacher Kirche, und 1990 übernahm Christoph Herrmann das dritte Pfarramt. 2004 wurde Florence Develey an die Stelle des nach Oberwil wegziehenden Hermann ge-wählt. Nachfolgende der in Pension gehenden Reimer und Heimberg wurden 2007 Benedikt Schoelly und Frank Lorenz und 2008 Gabriella Schneider.

Kirchenverfassung

Nach dem Erlass des basellandschaftlichen Kirchen-gesetzes 1950 konnte sich die reformierte Landeskir-che an die Schaffung einer eigenen Kirchenverfas-sung machen. Durch diese Kirchenverfassung von 1952 wurde die bisherige privatrechtliche »Kirchge-nossenschaft Arlesheim und Umgebung» in die drei selbständigen öffentlich-rechtlichen Kirchgemeinden

1957 schrieb die Kirchenpflege einen Wettbewerb für die Planung der Kirche aus. Sieger wurde der Zürcher Architekt Ernst Gisel.

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von Arlesheim, Reinach und Aesch-Pfeffingen umge-wandelt. Die drei neuen Kirchgemeinden blieben aber in dem gemeinsamen, durch die drei Kirchenpflegen gebildeten Kirchenvorstand verbunden.

Wandel im Leben der Kirchgemeinde

Eine ganz wesentliche Rolle spielten vor allem früher im Leben der Kirchgemeinde die kirchlichen Vereine, die sich dem sozialen Zusammenleben wie auch der Lösung von Problemen aller Art widmeten. Wichtig war die religiöse Erziehung der Kleinsten. Nachdem die Katholiken bereits seit 1911 in einem Zimmer der Gemeindeverwaltung eine konfessionell ausgerichte-ten Kleinkinderschule führten, konnte – bezeichnen-derweise im Kirchgemeindehaus im Surbaumquartier – anfangs 1946 ein reformierter Kindergarten seinen Betrieb aufnehmen. Die Trägerschaft übernahm der »Verein für den Kindergarten Surbaum».

Als erste Kindergärtnerin wirkte mit einem Monats-lohn von CHF 30.-. bis 1948 Dora Schüepp. 1951/52 konnte die Kirchgemeinde an der Stockackerstrasse ein neues Kindergartenlokal bauen. Später kam noch ein zweiter reformierter Kindergarten an der Binnin-gerstrasse dazu. Nachdem sich die gesellschaftliche Landschaft Reinachs dank des hastigen Bevölkerungs-wachstums gründlich gewandelt hatte, übernahm

1970 die Einwohnergemeinde die Verantwortung für die Kindergärten.

Ähnlich verhielt es sich mit der Kranken- und Haus-pflege. Schon anfangs des 20. Jahrhunderts wurde für das reformierte Birseck ein Krankenverein gegründet. Diakonissen übernahmen die Krankenbetreuung. Bis 1966 war die allgemeine reformierte Birsecker Kran-kenpflege auch für Reinach zuständig. Dann gründe-ten die reformierte und die katholische Kirchgemein-de den paritätischen Kranken- und Hauspflegeverein Reinach (heute Spitex Reinach).

1930 gründeten initiative reformierte Reinacher Frau-en den »Schaffverein», unter dem offiziellen Namen »Reformierter Frauenverein». Diese Gemeinschaft war vielfältig tätig: beim Organisieren von Gemeinde-anlässen, aber auch beim Vertrieb von Weihnachtspa-keten an Bedürftige und in sonstiger sozialer Tätigkeit. Infolge Mitgliederschwunds löste sich der Frauenver-ein 1993 auf.

Ganz wichtig im Gemeindeleben ist natürlich die Betreuung der Kinder und Jugendlichen. Der der re-formierten Kirche nahestehende CVJM/CVJF bietet sinnvolle Freizeitbeschäftigung an. – Von der Kirche angestellte Jugendarbeiter betreuen die Jugendlichen auf vielfältige Weise, u.a. in dem in den 1990er Jahren gegründeten Café Paradiso.

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Auch für die Senioren wurde ein reiches Angebot geschaffen: von Altersnachmittagen über Altersaus-flüge hin zu Altersferien. In der Spitalseelsorge, bei der Betreuung von Migrantinnen und Migranten, von Menschen in schwierigen Lebenssituationen, von Neuzuzügern tut sich das weite Arbeitfeld der sozial-diakonischen Mitarbeiterin der Kirchgemeinde auf.

Ökumene

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschränkte sich die Zusammenarbeit zwischen der katholischen und der reformierten Kirche in Reinach auf ein Mi-nimum. Man schottete sich gegeneinander ab und führte auf Nebenschauplätzen oft kleinere Konfessi-onskriege. Dabei stellten sich die Exponenten der ka-tholischen Mehrheitskirche gerne auf den «Herr-im-Haus»-Standpunkt.

Das äusserte sich krass bei der Frage von Lehreran-stellungen: Die reformierten Reinacher, die schon 1930 beinahe ein Drittel der Einwohner Reinachs stellten, trugen immer stürmischer den Wunsch nach einer Lehrkraft evangelischer Konfession vor. Dieses Thema durchzieht die Gemeinderats- und Schulpfle-geprotokolle der 1930er und 1940er Jahre. Entweder hiess es, die katholischen Bewerberinnen und Bewer-ber seien fachlich besser, oder es wurde verlangt, dass

zuerst die Kantone und Gemeinden mit reformierter Bevölkerungsmehrheit katholische Lehrkräfte anstel-len sollten. Erst 1945 wählte die Schulpflege in Hans Breitenstein einen reformierten Sekundarlehrer.

Heute geradezu unvorstellbar erscheint die Art und Weise, wie reformierte Pfarrer die Toten bestatten mussten. Eine Benützung der beim Dorffriedhof lie-genden Kirche St Nikolaus für protestantische Abdan-kungen war undenkbar. Bei Hitze und Kälte mussten die Beerdigungsfeierlichkeiten im Freien durchge-führt werden. Erst ab 1955 konnten reformierte Ab-dankungen in der Nikolauskirche stattfinden.

Viele Schwierigkeiten zwischen den beiden Konfes-sionen waren nicht zuletzt begründet in der Persön-lichkeitsstruktur des von 1937 bis 1965 in Reinach wirkenden katholischen Pfarrers Joseph Sieber, der aus der intransigenten Schule des Basler Heiliggeist-Pfarrers Robert Mäder kam. Bekanntlich stolperte Pfarrer Sieber über einen Bestattungsfall, in welchem er in seiner unduldsamen Haltung zu sehr dem ka-tholischen Kirchenrecht und zu wenig dem gesunden Menschenverstand vertraute. 1967 musste er Reinach verlassen.

Schon vor dem Weggang Pfarrer Siebers hatte sich das Verhältnis zwischen den Konfessionen dank dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der davon

Zur Einweihung der neuen reformierten Kirche 1963 schenkten die Katholiken einen silbernen Abendmahlsteller mit der Inschrift «Ut omnes unum sint».

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geprägten Haltung der katho lischen Kirchenbe-hörden Reinachs wesent-lich verbessert. Gesten illustrieren dies: Zur Ein-weihung der neuen re-formierten Kirche (1963) schenkten die Katholiken einen silbernen Abend-mahlsteller mit der In-schrift «Ut omnes unum sint». Die Reformierten revanchierten sich 1964 mit dem Altarkreuz für die erweiterte St. Niko-laus-Kirche.

Ökumenisches Abendgebet, Suppentage, Fastensuppe sind Beispiele dafür, wie man seit den 1960er Jahren immer mehr zusammenarbeitet. Eine ökumenische Tat war in den 1980er Jahren die gemeinsame Planung der im Eigentum der Einwohnergemeinde stehenden Fiechtenkapelle im Rahmen des neuen Friedhofs. Verschiedentlich fand der Kanzeltausch zwischen reformierten und katholischen Geistlichen statt. Oe-kumenische Altersanlässe, Jugendgottesdienste, die Drittweltgruppe, die Erwachsenenbildungsgruppe, die Asylbetreuergruppe und anderes prägen das ge-meinsame christliche Leben der Kirchgemeinden.

Statistisches: Mitgliederzahlen

Werfen wir noch einen Blick auf die zahlenmässige Entwicklung der reformierten Reinacher Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Das Diagramm (oben) zeigt, wie sich die Mitgliederzahlen des reformierten und des katholischen Teils der Bevölkerung im Lauf des 20. Jahrhunderts mehr und mehr angeblichen haben. Bekannten sich um 1900 noch 90 Prozent der Bevöl-kerung zum katholischen Glauben, so sank dieser Anteil bis 1980 auf 37 Prozent ab. Im gleichen Zeit-raum nahm der Anteil der Reformierten von 10 auf

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Konfessionsstatistik Reinach BL 1900–2010

KatholischReformiertAndere

Konfessionslos und ohne Angabe

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37 Prozent zu. Das Diagramm lässt uns auch erken-nen, wie sich der Bevölkerungsboom vor allem seit der Jahrhundertmitte auch auf die Reinacher Religionsge-meinschaften ausgewirkt hat, nahm doch die Zahl der Katholiken in den dreissig Jahren zwischen 1950 und 1980 um das Vierfache, jene der Reformierten gar um mehr als das Fünffache zu.

Nach 1980 nehmen wir sowohl bei der reformierten wie bei der katholischen Kirche einen empfindlichen Mitgliederschwund wahr. Von diesem Rückgang bei den Landeskirchen profitierten andere Konfessionen und Religionen: Orthodoxe, Islam und andere. Am auffallendsten ist aber – eine Folge des Säkularisie-rungsprozesses in der heutigen Gesellschaft – die Zu-nahme des Anteils der Konfessionslosen: Bei gleich-bleibender Entwicklung werden in wenigen Jahren ebensoviele Konfessionslose wie Reformierte in Rei-nach leben.

Im Kanton Basel-Stadt ist dieser Zustand längst er-reicht: Dort bilden die Menschen, die keiner religiösen Gemeinschaft angehören, schon seit 1990 die grösste «Konfession». – In losem Zusammenhang mit dieser Entwicklung ist die Statistik der Ein- und Austritte bei der Reformierten Kirche Reinach zu sehen: Zwischen 1980 und 2010 stehen den 1400 Austritten bloss 290 Eintritte gegenüber.

Die zahlenmässige Entwicklung bei den Kasualien

Bei den Kasualien (kirchliche Amtshandlungen beim Eintritt eines Menschen in eine neue Lebensphase) sieht die Situation nicht überall so dramatisch aus. Zwar verzeichnen wir bei den reformierten Taufen zwischen 1980 und 2010 einen Rückgang von 55 auf 46 pro Jahr. In dieser Zeit ist aber auch ein allgemeiner Geburtenrückgang festzustellen.

Eine sehr viel deutlichere Abnahme zeigt sich zwi-schen 1980 und 2010 bei den Konfirmationen: Wur-den 1980 in Reinach noch 133 junge Menschen durch die Konfirmation zu mündigen Kirchenmitgliedern, so waren es 2010 nur noch 51. Auch hier ist zu be-rücksichtigen, dass die Zahl der Jugendlichen in die-ser Zeitspanne generell kleiner geworden ist. Es zeigt sich aber deutlich, dass leider ein nicht unbedeutender Teil der getauften jungen Menschen nicht mehr ge-willt sind, zur Kirchenzugehörigkeit Ja zu sagen. Der Rückgang bei den Konfirmationen ist erheblich auf-fallender als jener bei den Taufen. Hier wird der Säku-larisierungsprozess in unserer Gesellschaft besonders deutlich.

Ähnliches stellen wir bei der Heiratspraxis fest. In den letzten 30 Jahren haben die reformierten Trauungen recht massiv von im Schnitt 24 auf 6 pro Jahr abge-nommen. Wir haben hier keine Vergleichsbasis, etwa

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die Gesamtzahl der Trauungen in Reinach, weil die Eheschliessungen nicht gemeindeweise statistisch er-fasst werden. Allgemein bekannt ist aber der dahinge-hende Trend, dass man sich – sofern man überhaupt heiratet – mit der zivilstandsamtlichen Trauung be-gnügt.

Die kirchlichen Bestattungen bilden die einzige Ka-sualiensparte, bei der wir einen ansteigenden Trend feststellen können. Fanden 1980 noch 32 reformierte Abdankungen statt, so waren es 2010 deren 92. Das ist wenig erstaunlich: Zum einen hängt es mit der an-steigenden Zahl der Todesfälle überhaupt zusammen. Grund dafür ist die zunehmende Überalterung der Reinacher Bevölkerung. Zum andern hat wohl die äl-tere Generation eine intaktere Verbindung zur Kirche als etwa die Altersstufe der Konfirmanden oder der Heiratswilligen.

Dr. Franz Wirth ist promovierter Historiker. Er wirkte als Lehrer am Wirtschaftsgymnasium in Basel. In Rei nach amtierte er 1980-88 als Einwohnerrat und 1988- 99 als Gemeinderat. Heute lebt er in Arlesheim.

Quellen und Literatur

1. Ungedrucktes Material1.1 Gemeindearchiv Reinach Gemeinderatsprotokoll 1935 ff.

Schulpflegeprotokoll 1935 ff.1.2 Archiv Reformierte Kirchgemeinde Reinach Jahresrechnungen 1980 ff.1.2 Mündliche Auskünfte Pfarrer Walter Erhardt (reformiert) Vreni Landolf, Sekretärin ev.-ref. Kirchgemeinde2. Gedrucktes Material und Literatur

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Basilea Reformata 2002. Die Gemeinden und Spezial-pfarrämter der Evangelisch-reformierten Kirchen Ba-sel-Stadt und Basel-Landschaft, ihre Pfarrerinnen und Pfarrer von der Reformationszeit bis zur Gegenwart. - Basel/Liestal 2002.

Blunschi Jules, Reinach. Ein kurzer Gang durch die Kir-chengeschichte der Gemeinde. - Basel 1964.

Feigenwinter-Wenger Ernst August, Die Feigenwinter im Spiegel von fünf Jahrhunderten. - Basel 1989.

Gauss Karl, Basilea Reformata. Die Gemeinden der Kirche Basel Stadt und Land und ihre Pfarrer seit der Reformation bis zur Gegenwart. - Basel 1930.

Geschichte der Landschaft Basel und des Kantons Ba-sellandschaft. Hrsg. Regierung des Kantons Baselland-

Es zeigt sich, dass leider ein nicht unbedeutender Teil der getauften jungen Menschen nicht mehr gewillt ist, zur Kirchenzugehörigkeit Ja zu sagen. Der Rückgang bei den Konfirmationen ist erheblich auffallender als jener bei den Taufen. Hier wird der Säkularisierungsprozess in unserer Gesellschaft besonders deutlich.

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schaft. Verfasst von D. K. Gauss, L. Freivogel, O. Gass, K. Weber. - Liestal 1932. (zit. Geschichte der Landschaft Basel)

Hagmann Daniel, Reinach – Biografie einer Stadt vor der Stadt. Heimatkunde Bände 1 und 2. – Reinach BL 2006.

Heimatkunde Arlesheim. Hrsg. O. Studer, E. Hänggi, Paul Menz. - Liestal 1993.

Heimgartner Theo, Katholische Jugendjahre in Reinach 1945-1965. (erscheint 2013)

Heyer Hans Rudolf, Reformierte Kirche von Arlesheim. (= Schweizerische Kunstführer) - Basel, 1976

Morf J. Eduard und Blunschi Jules, Kirchengeschichte von Reinach. Festschrift zur Hundertjahrfeier der 1886 geweihten St. Nikolaus-Kirche. - Basel 1986. (zit. Kir-chengeschichte von Reinach)

Nah dran – weit weg. Geschichte des Kantons Basel-Landschaft. Bände 5-6. - Liestal 2001

Sarasin-Alioth Peter, Achtzig Jahre Evangelisch-refor-mierte Kirchgemeinde Arlesheim. - Arleshem 1938

Westermann Richard, Geschichte der reformierten Kirchgemeinde Reinach. – Reinach BL 1993

Windler Hans und Mitarbeiter, Reinach BL. Beiträge zur Heimatkunde einer jungen Stadt. - Liestal 1975

Wirth Franz, 500 Johr im Dorf – Die Pfarrei St. Niko-laus in Reinach BL. Eine Erkundigungsfahrt durch die Kirchengeschichte einer Birsecker Gemeinde. – Reinach BL 2011

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Immer schon war Kirche eingebettet in die Struk-turen der Gesellschaft, in der sie wirkte: Die Kirche der feudalen Agrargesellschaft war eine andere als die der Industriegesellschaft mit von Fabriken geprägter Massenkultur. Viele Katholiken beziehen ihre Vorstel-lung von Kirche vor allem aus vermeintlich goldenen früheren Zeiten. Das Optimum der Kirche liegt aber nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft. Denn der Strukturwandel von Wirtschaft und Gesell-schaft hin zu Wissens basierter Arbeit verändert die Hierarchien, Verhaltensweisen und ökonomischen Erfolgsmuster: Je mehr Arbeit von immaterieller Ge-dankenarbeit abhängt, umso mehr sind wir auf das Teilwissen anderer angewiesen. Das berührt die seeli-schen Schichten der Menschen, denn es erzwingt Zu-

sammenarbeit in derselben Augenhöhe, Transparenz, wechselnde Wichtigkeit, Versöhnungsbereitschaft, Authentizität statt Statusorientierung, Kooperations-fähigkeit statt Ellenbogen, langfristige Orientierung. Das alles sind zentrale Inhalte des Christentums. Wird die Welt vielleicht doch immer besser?

Arbeit ist, Probleme zu lösen. Und weil wir Gott sei Dank immer Probleme haben werden, wird uns die bezahlte Arbeit niemals ausgehen. Sie wandelt sich lediglich: Arbeit ist nicht mehr so sehr, die materielle Welt direkt mit den Händen zu bearbeiten – schrau-ben, fräsen, montieren haben uns die Roboter weitge-hend abgenommen. In Zukunft ist Arbeit vor allem immateriell: Eine Situation analysieren, Neues ent-

Das Beste kommt erst noch –Ein Zukunftsforscher über KircheEin Beitrag von Erik Händeler

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wickeln, entscheiden, Information verständlich auf-bereiten, in der gigantischen Wissensflut das Wissen finden und anwenden, das man braucht, um ein Pro-blem zu lösen. Arbeitslosigkeit bedeutet nicht, dass es an Arbeit fehlt, sondern dass es nicht genug Men-schen gibt, die das können, was gerade nötig ist, um die anfallenden Aufgaben zu bewältigen.

Produktivität ist eine Gemeinschaftsleis-tung

Dabei geht es nicht mehr so sehr um Einzelleistungen wie früher, sondern um die Produktivität von Grup-pen, um deren Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Weil der Einzelne ein Fachgebiet immer weniger überbli-cken kann, sind wir zunehmend auf das Wissen an-derer angewiesen. Wenn jemand ein Problem lösen muss, hat er nicht die Zeit, fünf Bücher zu lesen, um an die gewünschte Information zu kommen. In Zu-kunft ist es wichtig, jemanden zu kennen, der diese fünf Bücher durchdacht hat und das Problem in ein paar Minuten lösen kann. Statt des gehorsamen, aus-tauschbaren Rädchens der alten Industriegesellschaft wird so jeder einzelne auf einmal zu einem unver-zichtbaren Spezialisten für einen Zwischenschritt in der Produktion oder für ein Wissensgebiet. Er ist auf einmal für die ganze Firma verantwortlich – zumin-dest was sein Fachgebiet angeht. Seine tatsächliche Bedeutung ist nicht mehr von einer formalen Hier-

archie abhängig, sondern schwankend von der tages-aktuell geforderten Kompetenz.

Das verändert die Strukturen: Weil viele Schreibtische den Informationsfluss verlängern und unnötig Zeit kosten, haben wir Hierarchien abgebaut, um direkter zu kommunizieren. Anstatt Entwicklungs-, Produk-tions-, und Marketingabteilung getrennt voneinander arbeiten zu lassen, haben wir die Firmen umorga-nisiert in projektbezogene Teams, in denen die Ent-wickler zusammensitzen mit Produktfachleuten und den Vertrieblern, die den Kunden kennen. Doch das wirklich Neue ist nicht so sehr diese Strukturverände-rung als vielmehr etwas Soziales: Umgang mit Wissen ist immer Umgang mit anderen Menschen, die wir unterschiedlich gut kennen, unterschiedlich gerne mögen und mit denen wir unterschiedlich viele be-rechtigte Interessenskonflikte haben.

Die nötige Teamarbeit erzeugt ein vermeintliches Machtvakuum, weil nicht mehr klar zu sein scheint, wer das Sagen hat. Die für Informationsarbeit nötigen flachen Organisationsstrukturen und projektbezo-gene Teamarbeit vervielfältigen die Schnittpunkte in den Unternehmen und damit die Gründe für Inter-essenskollisionen und persönliche Spannungen, die nicht nur Zeit und Geld kosten, sondern auch die Be-schäftigten krank machen. Es mangelt an Verhaltens-weisen, die den Wissensfortschritt fördern, anstatt ihn zu behindern, es mangelt an einer ausreichend sach-

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lichen und fairen Kultur des Umgangs miteinander. Die meisten haben nicht gelernt, in derselben Augen-höhe zusammenzuwirken, und so fechten sie schon im Vorfeld von konkreten Projekten Statuskämpfe aus oder schüchtern die anderen ein.

Wer heute etwas Geniales vorschlägt, aber zu fünf Prozent irrt, den nageln wir fest bei den fünf Prozent, anstatt den guten Gedanken aufzunehmen – denn das könnte ja dessen Status erhöhen. Im Meeting signali-sieren wir den anderen unterschwellig, «wehe du kri-tisierst mich, sonst rede ich nicht mehr mit dir» (was natürlich höchst unproduktiv ist). Wer aus der De-ckung tritt und Fehlentwicklungen anspricht, um ein langfristig gesundes Firmenklima und eine redliche Entscheidungsbasis zu schaffen, der steht schnell al-leine da. Denn bei abteilungsinternen Streitereien hal-ten wir eher zu dem, der uns nützlicher erscheint oder zumindest weniger bedrohlich, anstatt denjenigen zu stärken, der über seine eigenen Kostenstelle hinaus die größere Verantwortung für das Ganze verfolgt.

Wir verschweigen Konflikte oder tragen sie schließ-lich frontal aus, notfalls bis zur Vernichtung des an-deren, mit dem Recht des Stärkeren oder der Macht der besseren Beziehung. Meinungsverschiedenheiten arten zu Machtkämpfen aus, die bis zur Verrentung anhalten und den Informationsfluss unterbinden. Unmengen an Energie verpuffen bei der Selbstbe-hauptung. Manche Firmen haben eine Kultur und

Rahmenbedingungen, in denen Gemeinheiten und Buckelei zu notwendigen Verhaltensmustern gehö-ren, um überhaupt zu überleben.

Der Krieg im Büro verursacht Produktivitätsverluste, die jedes Jahr in die Milliarden gehen. Eine destruk-tive Umgangskultur schädigt die Gesundheit, drängt Mitarbeiter in Arbeitslosigkeit und Frühverrentung und belastet so mit der Sozialversicherung die ge-samte Volkswirtschaft. Wer meint, daran werde sich nichts ändern, weil «der» Mensch eben «so» sei, der verkennt die formende Kraft einer andauernden ökonomischen Strukturkrise. Sie übt einen Verände-rungsdruck aus: Wer Informationsarbeit nicht aus-reichend effizient löst, der bekommt in Zukunft vor-dergründig ein «Kostenproblem» und wird dann vom Markt verschwinden.

Die Wirtschaft entwickelt sich in langen Kondratieff-Strukturzyklen

Auch in der Vergangenheit hat es große, jahrelange Stagnationen gegeben, weil sozioökonomische Struk-turen rund um eine grundlegende Erfindung er-schöpft waren, aber die Infrastruktur und Kompeten-zen des nächsten technologischen Netzes noch nicht ausreichend erschlossen waren. Deshalb kam es nach dem langen Boom, den die Eisenbahn getragen hat-te, 1873 zum Gründerkrach mit fast zwei Jahrzehn-

Heute geht es nicht mehr so sehr um Einzelleistungen wie früher, sondern um die Produktivität von Gruppen, um deren Fähigkeit zur Zusammenarbeit.

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ten Depression. Und nach dem Wohlstandsschub der Elektrifizierung folgte die Weltwirtschaftskrise von 1929. Dieselbe Instabilität tauchte nach dem vom Auto getragenen Aufschwung in den 1970ern auf. Seit dem Ökonomen Joseph Schumpeter sind diese lan-gen Zyklen nach Nikolai Kondratieff (1892 – 1938) benannt. Zwar wurden nach der Ölkrise noch mehr und immer bessere Autos gebaut. Aber die treibende, Produktivität steigernde Kraft war jetzt der Compu-ter, mit dessen Hilfe man Autos billiger und höher-wertiger bauen konnte. Die Informationstechnik (IT) half vor allem seit den 80er Jahren, Kosten zu senken, und machte so Investitionen wieder rentabel. Der Computer ermöglichte Telefonvermittlung fast zum Nulltarif, Autovermieter und Fast-Food-Ketten wur-den erst dank IT-gestützter Logistik rentabel.

Nachdem die IT alle für sie möglichen Arbeitsschrit-te rationalisiert hat, tritt die Wirtschaft auf der Stelle; es gibt weniger, wofür es sich lohnt, rentabel zu in-vestieren. Deswegen sinken die Zinsen, und weil sie so niedrig sind, bekam ein arbeitsloser Landstreicher in den USA einen Kredit für ein Haus, den er nicht zurückzahlen kann; weil die Zinsen so niedrig sind, konnten sich Griechenland weit über seine Leistungs-fähigkeit hinaus verschulden, und wegen der niedri-gen Zinsen geht das Geld in die Spekulationsblasen mit Aktien, Gold und Öl – das ist der Hintergrund für die derzeitige instabile Lage der weltweiten Finanz-märkte, ein ganz normaler Vorgang am Ende eines

Kondratieffzyklus. Die meisten Ökonomen denken vor allem über Geld, also über Preise, Zinsen oder Staatsausgaben nach – deswegen tun sie sich schwer damit, diese realwirtschaftliche Sicht in ihr Weltbild zu integrieren. Dabei sind monetäre Größen eher Folge, aber nicht die Ursache für wirtschaftliche Ent-wicklung. Motor der Wirtschaft sind Verbesserungen im realen Leben. Sie sparen den Menschen Zeit und Kraft, um damit etwas anderes anzufangen – so ent-stehen rentable Arbeitsplätze und mehr Wohlstand. Bis sie alle Bereiche des Lebens durchdrungen haben – dann treten die Unternehmen auf der Stelle.

Vielleicht wäre es der Weltwirtschaft besser ergangen, hätte diese real orientierte Sichtweise in der monetär ausgerichteten Wirtschaftswissenschaft über Schum-peter hinaus mehr Unterstützung bekommen. Denn sie liefert einen Hinweis, in welche Richtung sich das Leben in Zukunft verändert: Je knapper ein Produk-tionsfaktor wird, umso größer sind die Anstrengun-gen, den Flaschenhals mit anderen Organisations-strukturen und anderer Ausrüstung zu beseitigen. Als Transport die Knappheitsgrenze für die Wirtschaft war, musste demnach die Eisenbahn gebaut werden; als die Informationsflut explodierte, brauchten wir so einen elektronischen Rechner wie den Computer.

Was also ist denn nun die nächste Knappheit im Ar-beitsprozess, die zu überwinden ist, soll es wieder bergauf gehen? Viele meinen: Energie und Rohstof-

Die meisten Ökonomen denken vor allem über Geld nach. Dabei sind monetäre Größen eher Folge denn Ursache für wirtschaftliche Entwicklung. Motor der Wirtschaft sind Verbesserungen im realen Leben.

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fe. Doch je weniger zum Beispiel Öl zur Verfügung steht, umso mehr werden regenerative Energiequellen rentabel – Kohle aus Klärschlamm, Solarfelder in Af-rika, höhere Wirkungsgrade. Dies wird die Verluste ausgleichen, die durch teureres Öl und Gas entstehen, es ersetzt aber nur eine Energie- und Mobilitätsform durch eine andere, es ist nicht wirklich eine höhere Stufe des Wohlstandes. Wer Energie verbrauchen darf, das entscheidet sich am Markt letztlich daran, wer sie am effizientesten verwendet – und das hängt ab von der Qualität der Wissensarbeit.

Die größte Knappheit: Der Mensch

Die größte Knappheit werden gebildete Menschen sein und ihre Problemlösungs-Wertschöpfung. Die-se werden nur dann ihr Wissen motiviert einbringen und über 67 hinaus frei mitarbeiten, wenn die Ar-beitsstrukturen darauf eingestellt werden: Weniger Druck im Alter bei angepasster Bezahlung, flexiblere Arbeitszeiten, Weiterbildung bis zur Rente und darü-ber hinaus.

Weil Bildung zu einer teuren, Jahrzehnte langen In-vestition wird, muss sie sich auch länger amortisieren – die Nachfrage nach Gesunderhaltung wird so stark, dass sie einen Aufschwung tragen kann. Zwar wird auch wieder Hardware zu dem nächsten Strukturzy-

klus beitragen – Gentechnik, Nanotechnologie in der Medizintechnik, andere materielle Gesundheitsinves-titionen. Aber das ist nur das dienende Drumherum um die aktuelle Knappheit: Intelligente, unstruktu-rierte, kooperative Informationsarbeit. Da es keine Maschine mehr geben wird, die unsere Gedanken produktiver macht, wird die immaterielle Wertschöp-fung der Informationsarbeiter zur wichtigsten Grund-lage des Wohlstandes – und die hängt vor allem vom Sozialverhalten ab, von seiner seelischen Gesundheit.

Die politischen (Standort)Debatten dagegen schlagen noch immer die Schlachten der alten Industriegesell-schaft, anstatt sich auf das neue Paradigma einzustel-len: In einer globalisierten Wirtschaft kann längst jeder überall Kapital aufnehmen, verfügt jeder per Internet schnell über alle Informationen und jedes Wissen, kann sich jeder auf einem freien Weltmarkt jede Maschine kaufen und seine Produkte weltweit vermarkten. Der entscheidendste Standortfaktor wird die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Information umzugehen – und das ist in der Regel auch Umgang mit anderen Wissensarbeitern, Projektpartnern, Kun-den, Kollegen.

Der wirtschaftliche Wettbewerb wird zu einem Wett-bewerb der Kulturen und der sie prägenden Religion; er erzwingt Verhaltensänderungen, die überall weh tun werden, besonders aber in jenen Regionen der

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Welt, wo sie gruppenreligiöse oder andere traditio-nelle Werte-Gebäude zum Einsturz bringen.

Kampf (innerhalb) der Kulturen

Weltweit am weitesten verbreitet sind noch ein Sozi-alverhalten, eine Ethik, eine religiöse Weltanschau-ung, die auf die eigene Gruppe bezogen bleiben wie die Jahrtausende zuvor – nationalistisch, rassistisch, eben gruppenethisch. Unter dem sozioökonomischen Druck besserer Wissensarbeit werden sie nun aufbre-chen. In patriarchalischen Kulturen und in Stammes-kulturen werden alte gesellschaftliche und religiöse Hierarchien entwertet, die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern und zwischen den Generationen völlig neu geordnet (das ist der Hintergrund für die wüten-de Gegenreaktion entzürnter Taliban, die Mädchen-schulen niederbrennen).

Dabei wird es nicht zu einem Kampf der Kulturen kommen, etwa an der Bruchstelle zwischen USA, is-lamischer Welt, Asien oder Europa. Sondern alle Kul-turen sind nun wirtschaftlich gezwungen, effizienter mit Informationen umzugehen. Das führt zu einem Kampf innerhalb der Kulturen, an den Fronten zwi-schen Gruppenethik («Ich mache alles für mein Volk/meine Religion, und wer außerhalb davon steht, darf gnadenlos bekämpft werden»), Individualethik («Ich

mach, was ich will, was mir gut tut und verfolge meine Interessen») und Universalethik («Ich habe ein ech-tes Interesse am gleichberechtigten Wohlergehen des anderen», «Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst»). Das ist auch eine religiöse Auseinandersetzung, wohlgemerkt: vor allem eine innenpolitische, eine inner-religiöse Auseinandersetzung, zum Beispiel von einem universalethischen Christentum gegen ein gruppenethisches Christentum. Doch sie trifft die Unternehmen mit ganzer Wucht: Schließlich sind sie ein Teil ihres gesellschaftlichen Umfeldes.

Wenn jemand zu der Auffassung kommt, er werde jetzt nicht machen, was der Vorarbeiter ihm anschafft, weil der von einer niederen Kaste ist, und dessen Vor-fahren jahrtausendelang der eigenen Kasten gedient hätten, dann kostet ein solches Denken viel Geld. Und wird entweder zur Entlassung und zur Verhal-tensänderung führen, oder aber zur wirtschaftlichen Stagnation. Ebenso ergeht es, wer nicht mit Frauen oder «Ungläubigen» zusammenarbeiten will, weil ihm dann zu viele Synergien fehlen werden. Wenn ein islamischer Theologe anfängt, in seinem Land den Koran kritisch zu hinterfragen – was hat Mohammed von Juden und Christen übernommen, was muss man aus dem Zeitkontext verstehen – dann könnte er Morddrohungen bekommen und muss nach Europa emigrieren. Mir gefällt auch nicht alles, was so man-cher Theologe in der Katholischen Kirche so schreibt

Der wirtschaftliche Wettbewerb wird zu einem Wettbewerb der Kulturen und der sie prägenden Religion. Er erzwingt Verhaltensänderungen, die überall weh tun werden.

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oder sagt. Aber wenn es in einem System nicht erlaubt ist, Dinge kritisch zu hinterfragen oder anzumerken, dann wird es nicht produktiv sein.

Auch die Gruppenethik der Japaner und Chinesen, die damit früher sehr erfolgreich waren, stößt an eine Grenze: In einer globalisierten Wirtschaft mit ständig wechselnden Partnern, Kunden und Lieferanten ist eine Gruppenethik nicht mehr produktiv. Gleichzei-tig breitet sich in Japan, in den Tigerstaaten und in chinesischen Städten ein kulturell neues Phänomen aus: der Individualismus, nicht als moralisches Laster, sondern als Folge selbstverantwortlicher Informati-onsarbeit. Das wird zu gesellschaftlichen Verwerfun-gen führen, die sich wirtschaftlich zunächst negativ auswirken werden.

Die Amerikaner, zu deren Gründungsmythos der Individualismus gehört, geraten mit einer zu starken Vereinzelung unter Veränderungsdruck: Dass ein Viertel der Gefängnisinsassen der Welt in den USA einsitzen, zeigt, dass sie ihre sozialen Probleme in die Haftanstalten entsorgt haben. Zu starke Mobilität zerreißt das Gesellschaftsgefüge – erschrocken vor einem Zuviel an Individualismus reagieren Teile der US-Bevölkerung mit einem Rückschritt hin zu einer religiösen oder politischen Gruppenethik, wie sie vor 30 Jahren nicht vorstellbar war.

Die Zukunft ist europäisch vielfältig

Für Europa scheint das neue Paradigma leichter zu bewältigen zu sein als für andere Weltregionen, we-gen seiner kulturellen Wurzeln im Christentum. Es hat in seiner Geistesgeschichte eine Menge hinter sich gebracht, was dem kollektiven Gedächtnis an-derer Völker in dieser Breite fehlt: Es hat schmerz-hafte Erfahrungen gemacht mit Gruppenethiken wie Nationalismus, Faschismus, Stalinismus. Es hat die Nachteile einer rein individuell-intellektualistischen oder einer rein materialistischen Lebensweise kennen gelernt. Es hat durch die Jahrhunderte die verschie-denen Extreme von fundamentalistischer Enge und militantem Atheismus durchgekämpft. Im Gegensatz zu vielen Regionen der Welt ist der einzelne stärker befreit von religiösen, staatsideologischen oder kultu-rellen Einschränkungen.

Im Idealfall ist das eine Freiheit, die nicht beim eige-nen Ich stehen bleibt, sondern eingeordnet wird auf die selbstverantwortete Zusammenarbeit mit anderen Wissensarbeitern. Ausgehend von Teamsitzungen, gemeinsamen Projekten und Treppenflurinforma-tionsproduktivität kann der nächste Strukturzyklus in Europa eine ungeheure Erfolgsgeschichte werden, von der die anderen Teile der Welt ebenso profitieren, weil sie irgendwann ineinander verschwimmen.

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Umbruch von der Industrie- zur Wissens-arbeit: Ihr seid die Ersten von morgen

Der Umbruch von der Industrie- zur Wissensarbeit destabilisiert die gewohnten Erfolgsmuster, ohne dass sich schon die neuen gefestigt hätten. So wie eine bestimmte Dichte an Autos irgendwann feste Ver-kehrsregeln nötig machte, so bilden sich unter dem schmerzhaften Veränderungsdruck der neuen Anfor-derungen an Arbeit neue Verhaltensmaßstäbe heraus. Sie haben weniger mit Fachkompetenz oder Organi-sation zu tun, sondern mit ethischer Qualität.

Solange diejenigen die tollen Typen waren, die wuss-ten, wie man eine Eisenbahn baut oder später ein Auto, solange der gesellschaftliche Fortschritt von technischen Verbesserungen abhing, solange waren ethische und religiöse Fragen aus dem gesellschaftli-chen Leben vorwiegend ins Private verdrängt. In der Öffentlichkeit brach man fast ein Tabu, wenn man Glaubensfragen thematisierte. Das ändert sich nun mit dem neuen sozioökonomischen Paradigma, in dem immer komplexere Probleme in der Zusammen-arbeit von immer mehr Spezialisten gelöst werden müssen.

Ausgerechnet die Wirtschaft rückt daher solche The-men in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Ent-wicklung: Wie sollen wir uns verhalten? Wie werde ich gesund/heil? Wie finde ich meine Ausgeglichen-

heit wieder (das nannte man früher «inneren Frie-den»)? Das gehört zum Erfahrungsschatz der christli-chen Kirche(n), und ihre Konzepte sind besser als die, die ebenfalls Vorstellungswelten anbieten, in denen es jedoch fast nur um den einzelnen geht. Dabei kommt ihnen entgegen, dass die Ethik, die sich derzeit über Versuch und Irrtum in der Berufswelt unter leidvol-len Verlusten evolutionär herausbildet, in der Theorie die christliche Ethik des Evangeliums ist (im Gegen-satz natürlich zu manch real gelebter Ethik von Chris-ten). Der österreichische Zukunftsforscher Professor Hans Millendorfer (1921–2001) sagte schon bei Vor-trägen in den 70er und 80er Jahren vorausschauend: «Ihr seid nicht die Letzten von vorgestern, sondern ihr seid die Ersten von morgen.»

Es geht künftig nicht darum, Mitarbeiter zu manipu-lieren und Kunden über den Tisch zu ziehen («Wie zwinge ich ihn am Telefon zu einem schnellen Ver-tragsabschluss»). Eine langfristige vertrauensvolle Zusammenarbeit wächst nur dann heran, wenn je-mand weiß, dass er sich im Guten wie im Schlechten darauf verlassen kann, dass der andere auch wirklich meint, was er sagt, dass dieser keine Informationen vorenthält oder die Wahrheit nach seiner momen-tanen Nützlichkeit manipuliert. Das entspricht dem Evangelium: «Euer Ja sei ein Ja, euer Nein sei ein Nein. Was darüber hinausgeht, ist vom Bösen»1.

1Matthäus 5, 37.

Die Ethik, die sich derzeit über Versuch und Irrtum in der Berufswelt evolutionär herausbildet, ist in der Theorie die christliche Ethik des Evangeliums. Die Christen sind also nicht die Letzten von vorgestern, sondern die Ersten von morgen.

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Während Lügen ein bequemer Weg ist, Spannungen zu unterdrücken oder zu verzögern, werden sie durch Wahrhaftigkeit entschleiert und zu offen ausgetrage-nen Konflikten – diese sind völlig normal. Die Frage ist nur, in welchem Stil sie ausgefochten werden, ob mit dem Ellenbogen zur Vernichtung anderer oder ehrlich und sachlich nach dem besseren Argument, gerechtem Interessensausgleich und objektiv verein-barten Spielregeln.

Fair ausgetragene Konflikte bauen die Spannungen ab und führen zum Frieden. Die Menschen in der Wirt-schaft leiden inzwischen stark unter den ungelösten Konflikten, die hintenherum weiter geschürt werden, seelische Kraft binden und Synergien verhindern. «Hat aber Dein Bruder gegen Dich gesündigt, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm al-lein. Hört er auf Dich, so hast Du Deinen Bruder ge-wonnen. Hört er aber nicht, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit auf dem Mund von zwei oder drei Zeugen festgestellt sei jede Sache. Hört er auch auf diese nicht, dann sag es der Kirche; hört er auch auf die Kirche nicht, dann sei er für dich wie der Heide und wie der Zöllner.»2 Das heißt in der Logik des hu-morvollen Jesus, der gerade zu den Sündern gekom-men ist: Bemühe Dich weiter um ihn. Umgekehrt gilt, sich mit seinem Gegner ohne Zögern zu versöhnen, «solange du noch mit ihm auf dem Weg bist.»

Gestörte Informationsbeziehungen heilen lassen

Für die komplexe Wirtschaft der Informationsgesell-schaft ist es wichtig, dass sich gestörte Beziehungen heilen lassen. Sie kann es sich nicht leisten, dass je-mand sagt: Mit dem arbeite ich nicht mehr zusam-men. Oder wenn ungeklärter Streit noch das Verhält-nis belastet. Deswegen wird sich am Ende der langen ökonomischen Restrukturierung eine Kultur heraus-bilden, in der man das eigene Verhalten redlich prüft, Schuld zugibt und andere um Vergebung bittet; eine Kultur, in der Schuld vergeben werden kann, «sieben Mal siebzigmal»4 .

Statt der hierarchischen Führungskultur des Indust-riezeitalters braucht die Informationsgesellschaft eine dienende Führungskultur. Die Fachkompetenz – frü-her war sie ganz oben angesiedelt – rutscht in der Wis-sensarbeit runter auf die Ebene der Sachbearbeiter. Die Aufgabe der Chefs wird es nun, den Informati-onsfluss zu gestalten, die Leute zu fragen: Was braucht ihr, um eure Aufgabe zu erfüllen? Wie wirkt sich das bei euch und beim Kunden aus, wenn wir in der Geschäftsleitung so entscheiden würden? Während Chefs der Industriestruktur andere herumkomman-diert haben, werden die Chefs der Wissensgesellschaft anderen partnerschaftlich auf Augenhöhe begegnen, ihre Macht als Leihgabe betrachten statt als Besitz, die sie dienend ausüben. «Die Könige der Heidenvölker

2Matthäus 18, 15-17 3Matthäus 5,22.

4Lukas 17, 3-4.

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spielen den Herrn über sie, und die Gewalthaber las-sen sich `Gnädige Herren´ nennen. Ihr seid nicht so; sondern der Größte unter Euch werde wie der Kleins-te und der Gebietende wie der Dienende.»5 Und nach diesem Zitat wusch Jesus die wohl ziemlich dreckigen Füße seiner Jünger. Das Wort Gehorsam ist belastet, seit es in Kadavergehorsam umgewertet wurde. In der 1500 Jahre alten christlichen Regel des Benediktiner-ordens jedoch wird Gehorsam verstanden als genau hinhorchen, oft auch übersetzt mit «Bereitschaft zum Dialog», also Kooperationsfähigkeit.

Die ist wichtig, weil die wenigsten Fehler dort ent-stehen, wo mehrere Blickwinkel in einem Team ver-hindern, dass sich jemand in einen Irrweg verrennt. Das funktioniert nur, wenn keiner automatisch kraft seines Status von vorneherein immer recht hat. Denn dann würden die anderen nicht mehr mitdenken und ihre Ideen und Sichtweisen nicht mehr motiviert vor-tragen. Das Christentum geht davon aus, dass jeder Mensch fehlerhaft ist, dass sich jeder Mensch irren kann – «Nur einer ist gut, Gott.»6 Deswegen ist das Christentum eine Dialogkultur.

Kontraproduktiv ist inzwischen, wenn jemand nur den Menschen und den Kollegen im Betrieb nützlich ist, die ihm selber auch wieder nützlich sein könnten. Denn Informationsarbeiter sind so hochspezialisiert, dass sie oft Leuten helfen, die ihnen wiederum keinen Nutzen zu bieten haben; andererseits helfen ihnen an-

dere weiter, die sie mit ihrem Wissen nicht unterstüt-zen können. Die Wirtschaft braucht daher eine frei-giebige Kultur der Informationsweitergabe. Denn wir können die Folgen unseres Tuns nicht überblicken.7

Die Konsequenzen für die Kirche

Wenn bewusste Christen früher gegen den Strom im Arbeitsleben ehrlich waren, sich für den Gesamtnut-zen einsetzten und jeden Menschen unabhängig von seinem hierarchischen Status sowohl respektierten (die «Niederrangigen») als auch kritisierten (die hi-erarchisch höheren und Mächtigeren), hatten sie es schwer. In Strukturen von Befehl und Gehorsam und einem Paradigma, in dem der Fortschritt von Technik abhing, ging ihr Verhalten unter. Das ist jetzt anders, wenn sie versöhnen, Wahrhaftigkeit erstreiten, ande-ren authentisch begegnen, Spannungen klären, Kritik nicht runter bügeln. Das neue sozioökonomische Pa-radigma bewegt sich auf Verhaltensmuster zu, die ex-akt der christlichen Ethik entsprechen. Darin liegt für die christlichen Kirchen zunächst eine große Chance. Unklar ist zunächst, ob sie diese auch wahrnehmen. Denn noch hängt das innerkirchliche Verhalten in den Strukturen vorheriger Kondratieffs fest.

In manchen Diözesen entsteht die Tagesordnung des Ordinariatsrates nach der Wichtigkeit der Personen, die etwas vorzubringen haben – in anderen dagegen

Das neue sozioökonomische Paradigma bewegt sich auf Verhaltensmuster zu, die exakt der christlichen Ethik entsprechen. Darin liegt für die christlichen Kirchen zunächst eine große Chance.

5Lukas 22,25-26. 6Matthäus 19,17.

7Matthäus 5,46f.

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schon nach der Wichtigkeit der Themen. In einer Diözese bekamen sämtliche Mitarbeiter einer Ab-teilung eine Änderungskündigung, weil sie sich ge-schlossen über ihren Leiter beschwerten – anstatt sich inhaltlich mit der Kritik auseinanderzusetzen. Es gibt fundamentalistische Gruppen, die Lügen als selbst-verständliches Mittel einsetzen, ihre Ziele zu errei-chen. So wie sich Esoteriker um ihre eigene Erleuch-tung drehen, gibt es auch «Christen», die vor allem ihren eigenen Heiligkeits-Status zelebrieren.

Schlechtes Beispiel sind auch die «Legionäre Chris-ti», die nun durch eine Visitation reformiert werden, während Kritiker im früheren Pontifikat das Gefühl hatten, gegen Wände zu laufen: Manipulative Metho-den, Arbeiten an Parallelstrukturen, überhebliches und unwahrhaftiges Auftreten; dazu ein Gründer mit Personenkult, der seinen Einfluss im Vatikan mit Geldkuvert zu steigern suchte, viele Seminaris-ten sexuell missbraucht hatte und nebenbei noch ein Doppelleben führte mit Frau und Kindern – mit bes-ter PR-Arbeit, «richtig» katholisch zu sein. Zu jedem Sünder war Jesus gut, aber nie war Jesus wütender als wenn sich jemand im Glauben einen höheren Status über andere Menschen anmaßte. Selbst seine Jünger musste er maßregeln, weil sie darüber diskutieren, wer von ihnen wohl wichtiger ist als der andere.

Das Christentum in seiner Theorie ist eine kooperati-ve Kultur; was nicht heißt, dass alles, was in der Praxis

so gläubig daherkommt, dem Geist des Evangeliums entspricht. Das ist der Grund, warum Wahrhaftigkeit, Nächstenliebe und Demut heute nicht in dem Maße mit Christentum und Kirche gleichgesetzt werden, wie es sein könnte.

Glaube liefert die Begründung für eine Ethik

Religion ist mehr als ihre Ethik – sie ist die Begrün-dung für ihre Ethik. Und die ist im Christentum das Verhalten Gottes, wie es im Evangelium dargestellt wird. Der stößt jedoch bei Nicht-Christen schon mal wegen eines falsch transportierten Gottesbildes auf Ablehnung. Kreuze werden abgehängt, weil ein ge-folterter Mensch die Psyche von Kindern beschädige. Unverständnis: Was ist das für ein beleidigt-grum-melnder Gott, für den ein anderer Teil seiner Dreiei-nigkeit am Kreuz gequält und ermordet werden muss, damit er wieder mit dem Menschen versöhnt ist? Ein menschliches Fabrikat.

Man stelle sich den antiken Götterhimmel vor dem Christentum vor: Herrisch, eitel, selbstsüchtig, an-dere gebrauchend. Mit welchem Kontrastprogramm warten dagegen die ersten Judenchristen auf: Dieser eine gute Gott will Gemeinschaft mit den einfachsten, ärmsten Menschen. Er vergewaltigt nicht, weil Liebe nur echt ist, wenn sie nicht erzwungen, sondern in

Das Christentum in seiner Theorie ist eine kooperative Kultur; was nicht heißt, dass alles, was in der Praxis so gläubig daherkommt, dem Geist des Evangeliums entspricht.

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Freiheit selbstgewählt ist. Er kennt seine Leiden und wird in Jesus selber Mensch, um den Weg zu dieser Gemeinschaft vorzuleben. Er heilt und beschenkt. Er reißt das geknickte Schilfrohr nicht ab, er drückt den glimmenden Docht nicht aus.

Nicht überheblich tritt Jesus auf, sondern lässt sich vom sträubenden Johannes taufen und wäscht seinen Jüngern die Füße. Das Kreuz ist so auch das Symbol für Gottes Konsequenz seiner Demut: Bis zur letz-ten Todessekunde begegnet Gott in der Person Jesus Christus den Menschen auf derselben Augenhöhe. Keine hochgefahrenen Energiefelder schützen ihn vor den Torturen des Kreuzwegs. Jesus lebt, wie wir an-deren begegnen sollen: Er dominiert den Menschen nicht. Bei der Samariterin am Brunnen mit ihren fünf vergangenen Lebenspartnern fängt Jesus nicht hyste-risch von der Todsünde zu kreischen an. Sondern er bietet ihr «lebendiges Wasser» an, um ihre Bedürfnis-se nach Liebe und Geborgenheit zu stillen.

Die Kirche von morgen

Der neue Strukturzyklus wird auch die Kirche verän-dern. Kaum einer wünscht sich sicher die Kirche des Mittelalters zurück mit unreflektierten (Aber)Glau-ben, oder in Strukturen, in denen ein übriger Adels-sohn irgendwo Bischof wurde. Auch die Kirche vor 50 oder mehr Jahren war geprägt von Dörfern und

engen Gemeinschaften, in denen man sich angepasst verhalten musste – sonst riskierte man die soziale Unterstützung zu verlieren. Als nach dem Krieg das Auto für viele erschwinglich wurde, konnte man der Nachbarschaft und der Großfamilie davonfahren und endlich die schrägen Leute treffen, die dieselben Inte-ressen haben. Und wenn einem der Pfarrer am Dorf, der früher die ganze Bandbreite der Spiritualität ab-decken musste, zu liberal oder zu konservativ war, ist man eben mit dem Auto drei Dörfer weiter gefahren, weil einem da die Predigten besser gefallen. So hat das Auto den Individualismus ermöglicht und auch in die Kirche getragen, was dort zu Spannungen führt, aber nicht daran liegt, dass die Menschen heute schlechter oder besser sind als früher: Sondern dass auch Kirche eingebettet ist in die sozioökonomischen Strukturver-änderungen.

Das ist der Grund, warum es im Kirchengebälk so knarzt: Wissensarbeiter müssen in ihrem Bereich ständig selber entscheiden und damit Verantwortung übernehmen – die zu hütenden Schäfchen sterben aus. Unter mehr oder weniger vorgehaltener Hand machen viele Amtsträger den Individualismus für die Kirchenkrise verantwortlich, doch sie irren: Das ist ein notwendiger Entwicklungsschritt. Nur wer sich selber kennt, kann in Freiheit zum «Du» gelan-gen. Individualismus wird die Kirche langfristig nicht schwächen, sondern im Gegenteil stärken, weil re-flektierte Haltungen stabiler sind. Individualismus ist

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nur eine Zwischenstation hin zu einem kooperativen Individualismus, das ist dann die Universalethik. Bis dahin wird die Kirche wie die ganze Gesellschaft noch einen aufreibenden Veränderungsprozess erleben. Je mehr aber in der Wirtschaft die autokratische Füh-rung durch eine moderierende und sinnorientierte Führung abgelöst wird, umso besser als bisher wird dies auch in der Kirche gelingen. Je mehr Wirtschaft und Gesellschaft – aus einer ökonomischen Notwen-digkeit heraus – in die Kooperationsfähigkeit der Menschen investieren, um so mehr werden diese nicht Unterschiede, sondern Gemeinsamkeiten auch im Glauben betonen; übrigens mit Rückwirkungen, wie innerkirchlich und zwischenkirchlich miteinan-der umgegangen wird.

Je mehr die Menschen im Berufsleben lernen, Span-nungen auszuhalten und bei Gegensätzen die jeweils andern nicht zu verteufeln, umso weniger werden Glaubensgegensätze in Einzelfragen zu emotiona-len oder gar organisatorischen Brüchen führen. Und je weniger rein individualistisches Verhalten ohne Rücksicht auf universalethische Aspekte gesellschaft-lich akzeptiert ist, um so weniger stark wird der Rück-halt für individualistisch-überschießende, theologi-sche Entwürfe sein, die sich nicht integrieren lassen. Offensichtlich scheint es doch so etwas wie Heilsge-schichte zu geben.

Erik Händeler, geboren 1969, ist Trend- und Zukunfts-forscher und arbeitet u.a. mit dem Zukunftsinstitut in Kelkheim zusammen. Er wohnt in Lenting bei Ingol-stadt, ist verheiratet und hat drei Kinder. Website: www.Kondratieff.bizKontakt: [email protected]

Außerdem erschienen von Erik Händeler die Bücher:Die Geschichte der Zukunft – Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen. Kondratieffs Globalsicht, Brendow Verlag, Moers, 7. Auflage 2009, 480 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-87067-963-7

Außerdem sind von ihm erschienen:Kondratieffs Welt. Der Wohlstand nach der Industriegesellschaft,Brendow Verlag, Moers, 4. Auflage 2009128 Seiten, 9,90 Euro,ISBN 978-3-86506-065-5

Der Wohlstand kommt in langen Wellen, Hörbuch,Brendow Verlag, Moers 2006, 2 CDs, 16,90 EuroISBN 978-3-86506-138-6

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Der erste Workshop – Die DNA des Leitbildes entstehtEin Beitrag von Frank Lorenz

Die Inputs von Franz Wirth und Erik Haendeler woll-ten verarbeitet sein. Und das ging nicht so einfach. Franz Wirths historische Spurensuche haben Auf-stieg und drohenden Niedergang der Reformierten in Reinach nachgezeichnet und in den historischen Kontext der Stadtentwicklung Reinachs und einer grösser gesellschaftlichen Entwicklung eingebettet. Die Altersentwicklung, die den Aufstieg der Kirch-gemeinde einst förderte, wirkt sich nun langfristig zu Ungunsten der Mischeli-Gemeinde aus. Der Säkula-risierungsprozess spiegelt sich in den zurück gehen-den Zahlen der Amtshandlungen und Lebensbeglei-tungsriten (Taufe, Konfirmation, Hochzeit) aus. Die historischen und statistischen Ausführungen Wirths machten uns einigermassen nachdenklich.

Erik Haendelers ökonomische Analysen und Ablei-tungen hingegen haben Mitarbeitende und Behörde begeistert: Dass in der christlichen Tradition wertvol-le – im Wortsinn – Ansätze liegen, die in der Informa-tionsgesellschaft einen entscheidenden Wettbewerbs-vorteil ausmachen, das gab Mut.

Haendeler zeigte die Möglichkeiten einer transparen-ten kircheninternen Unternehmenskultur, die als frei-giebige Informationsweitergabe Modelle für andere Firmen sein könnten. Die Kirchen seien also nicht die Verlierer, oder ewig Gestrigen, sondern vielmehr die «Ersten von Morgen». Der Ökonom riet uns dabei, ganz klar die Themen anzugehen, die durch Knapp-heit ganz oben anstehen: Leben in Balance, Lebens-

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stil aus christlicher Sicht, Gesundheit zu erhalten ohne die Gesundheit zu vergötzen, Faktoren betonen, die seelische Gesundheit stärken: Sozi-alkontakte, Sinn, Angenommen sein, Selbstannahmen und Streitkultur in der Berufswelt.

Eine Kirchgemeinde brauche, so Ha-endeler, eine offene Tür nach draus-sen, durch die andere unverbindlich gehen können, zu allgemeinen Vor-trägen oder zum Plaudern in einem Café. Dort kommen sie mit den Men-schen und mit den Inhalten einer Ge-meinde in Kontakt.

Vielleicht braucht es auch ein Haus, in dem Menschen in Krisen mitle-ben können oder Menschen, die eine Auszeit brauchen. Es braucht einen großen Vortragssaal, in dem man auch Fasnacht feiern kann. Es braucht viele kleine und mittlere Räume für die Gruppen der Gemeinde und für Vorträge und Seminare. Es ist wich-tig, einen Ort zu haben, an den die Menschen kommen können; wichtig ist aber auch, dass die Köpfe der Ge-meinde, die draußen in der Welt wir-ken, eine Basis haben.

UniversalethikUniversalthemen

Vernetzen

Plattform bietenGemeinschaft schaffenNetzwerke ermöglichen

Sinn des LebensSinn des Glaubens

Wahrhaftigkeit

Glaubwürdigkeit

Nahe an der Wirklichkeit

Raum für Krisenbetroffene

Erfolgreiches nicht verkümmern lassen

Vorbild sein

Empathie

Selbst-bewusstsein

Stadtkloster

Seminare und Vorträge

Gewalt-prävention

Konfliktlösung

Streitkultur

Allgemein

Inhalte

Strukturen

Spezifisch

2

2

2

4

Zahl der Nennungen

3 3

7

4

3

4

4

4

7

10

Offensiv, zeitgemäss Präsent sein

Angebote für das spirituelle

Leben

Rasch wandel-bare Strukturen

Neugier und Visionen

Mehrzweck-Räume

Wenig machen dafür fundiert

Dienende Führung

Aufsuchen

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Offen und zeitgemäss präsent

Beschwingt von dieser guten Botschaft machte man sich an eine Auslegeordnung der Bereiche, wie wir als Kirche und Kirchgemeinde in Reinach tätig sein wollen. Diese wurden in einem Koordinatensystem eingeordnet (Siehe vorherige Seite): Auf der horizon-talen Achse wurden Bereiche angetragen, die von all-gemeinem Interesse sind bis hin zu sehr spezifischen Begriffen. Auf der Vertikalen trugen wir ein, ob der vorher genannte Begriff eher inhaltlicher Natur war oder eher in strukturelle Fragen führte. Im Zentrum stand, das war sehr klar, unser Bedürfnis jetzt und zu-künftig «offensiv und zeitgemäss in Reinach präsent zu sein». In der Grafik sieht man durch die Zahlen auch, wie häufig die Begriffe genannt wurden, wie wichtig also sie uns waren.

DNA des Leitbildes entsteht

Fünf Themenbereiche ergaben sich aus diesem ersten Arbeitsgang, die – wie wir später merkten – bereits so etwas wie die DNA, die Struktur unseres Leitbildes ausmachte. Die meisten der Begriffe und Inhalte fin-den sich auch im fertigen Leitbild.

Wir verständigten uns auf folgende fünf Bereiche:

A Unser AuftragB Präsent und offensiv seinC VernetzenD Unsere Räume E Plattformen und Begegnungen

Insbesondere das Thema «Kirchencafé» war mit Haendelers Vortrag frisch lanciert. Den Bereich eines Cafés hatten die Architekten ja von Anfang an in ihre bauliche Planung einbezogen. Dass und wie dieses Café von der Kirchgemeinde al-lerdings aktiv genutzt und als Begegnungsraum für Mitglieder, PassantInnen, Einkaufende und Einwoh-nerinnen und Einwohner dienen kann: Das war in den folgenden Jahren Gegenstand von tief gehenden Gesprächen und auch von viel Arbeit. Eine eigene Fachgruppe «Kirchencafé» wurde von der Baukom-mission eingesetzt um die verschiedenen Möglichkei-ten der Realisierbarkeit zu evaluieren.

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Kirchencafé lanciert

Dass heute im neuen Kirchgemeindezentrum ein Café von Freiwilligen unter Animation eines eigens dafür angestellten sozio-kulturellen Fachmannes be-lebt wird, ist wesentlich Verdienst dieser Fachgruppe, die sich inzwischen wieder dem «Ressort Forum & Diakonie» eingegliedert hat.

Ein Betriebskonzept und eine Planrechnung für die ersten Betriebsjahre zuhanden der Kirchenpflege war das wichtigste Ergebnis dieser Gruppe. Die beiden sozialdiakonischen Fachpersonen der Kirchgemeinde zu jenen Zeiten, Claude Hodel und Gabriele Winger-Uhlich leiteten die Arbeitsgruppe nacheinander.

Der Begriff muss klar sein

Meinungen und Zweckbestimmungen für das Leit-bild wurden gesammelt. Sie geben die Breite der Dis-kussion wider:

• Schlankes Leuchturm-Licht• Realisierbare Vision für ein paar Jahre• Zwischen schön formulierter Utopie und Gebrauchsanweisung für den kirchlichen Alltag

• Horizont und Orientierung• Leitstern, Leit-Planke: Was wir als Kirche beken- nen und welche Aufgaben wir wahrnehmen• Richtungsweiser• Eine Hilfe um Kräfte und Mittel auf unsere wesentlichen Aufgaben zu konzentrieren

Schon fast zu einer feststehenden Formel wurde die Mahnung des Spurgruppenmitglieds Maja Grauwiler, man möge kein Leitbild für die Schublade schreiben.

So wurde zum Konsens, dass unser Leitbild aus einem breit abgestützten Prozess entstehen möge und über unsere Mission, den Ist-Zustand, die Gegenwart un-serer Kirchgemeinde Auskunft geben möge, wie auch unsere Vision, den Soll-Zustand, die Zukunft unserer Kirchgemeinde aufzeigen solle. Aus diesem Papier soll die Behörde ihre Strategie, den Weg vom Ist zum Soll und die Ressourcenplanung und Mittelzuweisung ableiten. Dies ist nach Abschluss des Prozesses mit der Legislaturplanung 2013-2017 geschehen.

Als nächste Gesprächspartnerin für Mitarbeitende, Behörde und Kirchenmitglieder musste jemand ge-funden werden, der oder die konkret zu den Formen kirchlichen Lebens und Arbeitens unter den Bedin-gungen der Zukunft etwas zu sagen hatte.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie haben sich zu dem aufwändigen Prozess einer Leitbildentwicklung in ihrer Kirchgemeinde aufge-macht. Anlass für diesen Prozess ist – so sagte mir Pfrarrer Lorenz – der Bau eines neuen Kirchgemein-dezentrums. Veränderungen, Neubauten sind ja im-mer ein Anlass, neu anders oder erneut darüber nach-zudenken, was man eigentlich will, ob die bisherigen Prioritäten in der kirchgemeindlichen Arbeit noch passend sind oder welcher evtl. neuen Schwerpunkte die soziale Situation in der Kirchgemeinde bedarf.

So verstehe ich ihren Prozess als Selbstvergewisse-rung, als eine Vergewisserung darüber: «Wer sind wir?», «Was wollen wir?» Und was braucht die Si-tuation in unserer Kirchgemeinde? Es geht also um

Bilanzierung dessen was schon ist und was weiter-geführt werden soll und vielleicht auch muss und es geht um das, was neu zusätzlich zu entwickeln oder an die Stelle von etwas Altem zu setzen ist. Es bedarf also der Vergewisserung im Sinne einer Bilanzierung und einer auf Zukunft hin gerichteten Weiterentwick-lung. Dabei kann der Neubau des Kirchgemeinde-zentrums so etwas wie einen Katalysator darstellen, einen solchen Vergewisserungsprozess auszulösen und gleichzeitig ist ein neues Zentrum so etwas, wie ein Kulminationspunkt, denn Räume sind ja nicht einfach nur Räume, sondern sie sind im besten Falle auch Ausdruck dessen, was eine Kirchgemeinde ist, wie sie sein will und wie sich in der Öffentlichkeit dar-stellen möchte.

Kirchgemeinden auf der Höhe der ZeitEin Vortrag von Dr. Judith Könemann

Im folgenden Text wird häufig das Fremdwort «Pastoral» und dessen «Adjektiv» pastoral verwendet. Es leitet sich ab vom lateinischen pastor ‚Hirte‘ und wird in der römisch-katholischen Theologie und Kirche sowohl synonym zu «Kirchgemeinde» als auch zur Arbeit und Praxis in der Kirch-gemeinde verwendet.

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Zu einer solchen Bilanzierung und prospektiven Ent-wicklung gehört – so haben sie es in ihren Vorbe-sprechungen und in ihrem bisherigen Prozess gesagt – auch eine theologische Vergewisserung, der Rück-bezug auf die Ursprünge bzw. auf den Ursprung aus dem Gemeinde und Pastoral ihre Legitimation und ihren Auftrag bezieht.

Ich möchte Ihnen mit meinen Überlegungen ei-nen Input zur Verfügung stellen, der in einem ers-ten Schritt pastoraltheologisch an den Auftrag von Gemeinde und Pastoral anknüpft und sich dann in weiteren Schritten den Herausforderungen von Pas-toral heute zuwendet und dieses mit ihren mit ihren bisherigen Überlegungen zu verbinden sucht. Ziel ist es, ihnen zum einen eine pastoraltheologische Grundlage heutiger Gemeinde für Ihre weitere Arbeit zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig möchte ich einige Gedanken und Hinweise im Hinblick auf die von Ihnen formulierten Themenkreise und Projekte geben. Dass manche Referenzen, auf die ich dabei zu-rückgreife, aus dem katholischen Umfeld stammen, ist dabei meiner Herkunft als katholischer Theologin geschuldet, ich denke jedoch in Zeiten gelebter Öku-mene können wir nur voneinander lernen.

Ich möchte meine Überlegungen mit einem Zitat aus der Generalsynode der niederländisch-reformierten Kirche aus dem Jahre 1974 beginnen, das m. E. trotz

seines Alters immer noch Wesentliches zu heutigem Gemeindeverständnis aussagt:

«Mit der Ausgiessung des Heiligen Geistes zu Pfings-ten beginnt die Christusgemeinde ihren Weg durch die Geschichte. Sie lebt aufgrund einer neuen Befrei-ungstat Gottes, die an Tiefe und Radikalität die Be-freiung des Volkes Israel aus Ägypten übertrifft: Es ist nun eine Erlösung aus Sünde und Schuld, die ihr ge-schenkt wird, und die Verheissung der Überwindung des Todes, die – in der Auferstehung Christi erfoch-ten – auch ihr in Aussicht gestellt wird. Insofern ist das Ende der Geschichte der Menschenwelt, die von Schuld und Tod gekennzeichnet ist, innerhalb der Gemeinde, im Glauben, bereits angebrochen. Aber dieser Grund und diese Perspektive geben ihr zu-gleich die Kraft, jetzt noch innerhalb der Geschichte zu leben: Hoffend und handelnd und leidend an der Geschichte teilzunehmen und das Reich Gottes zu be-zeugen, das in Jesus angebrochen ist und einmal auch für die gesamte Welt sichtbar und siegreich durchbre-chen wird.»1

Dieser Text beschreibt m. E. sehr präzise Grund und Sendung christlicher Gemeinde:

Gemeinde verdankt sich zu allererst der grundlegen-den Initiative Gottes und seiner Zuwendung zu den Menschen. Gemeinde ist damit ein Geschenk, das im

1Vom Geheimnis der Gemeinde. Eine Handreichung zum Glaubensgespräch. Angenommen von der Generalsynode der Niederländischen Reformierten Kirche auf ihrer Tagung am 18.06.1974, Gütersloh 31977, 18.

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Glauben angenommen werden kann. In diesem Glau-ben bezeugt Gemeinde das Reich Gottes;

Auch wenn Glaube immer persönlich und individu-ell ist und in freier Entscheidung vollzogen wird, ist Glaube allein schon auf Grundlage des jesuanischen Handelns niemals Privatangelegenheit; denn auch das jesuanische Handeln war immer ein öffentliches Handeln.

Persönlicher Glaube verweist immer auf Beziehung und das Leben von und in Beziehungen, deren Form und Qualität sich am Massstab Jesu und seinem Um-gang mit den Menschen misst. Glaube beinhaltet also in der kommunikativen Praxis Jesu ein soziales Miteinander, eine Gemeinschaft. Letztlich impliziert christlicher Glaube das Auftreten von Kirche und Gemeinde, wo diese Praxis des Glaubens – bei aller Gebrochenheit und Vorläufigkeit – gemeinsam gelebt und wo der Glaube gemeinsam bezeugt wird.

Neben diesen Aspekten, die wesentlich für ein theo-logisches Verständnis von Gemeinde sind, macht das Zitat zudem in besonderer Weise deutlich, worauf es mir wenn es heute um Gemeinde geht, ankommt: Bei allen pastoralen Bemühungen in der heutigen Situa-tion und bei allen Versuchen, neue Konzepte in die Pastoral einzubringen, darf, ja muss vielleicht sogar immer in unserem Bewusstsein sein, dass Kirche und Gemeinde kein Selbstzweck sind. Dass sie letztlich

kein Menschenwerk sind, sondern immer und zuerst Geschenk sind. Ein Geschenk Gottes, das wir nur im Glauben annehmen können. Dies heisst allerdings nicht, dass wir die Hände in den Schoss legen können und alles geschehen lassen.Für die heutige Gemeindearbeit, die sich unter deut-lich veränderten Bedingungen vollzieht, bedeutet dies sowohl eine Entlastung als auch eine Verpflich-tung. Die Entlastung besteht darin, dass Gemeinden als zeichenhafte Orte geschenkter Versöhnung und verheissener Befreiung diese Befreiung und Versöh-nung letztlich nicht herzustellen brauchen, ja dies gar nicht können, denn sonst wären sie nicht gnadenhaft gewirkt. Die Verpflichtung besteht in einer doppel-ter Hinsicht: Zum einen gilt es, dem Ursprung der christlichen Botschaft, dem eigentlichen Kern unseres Glaubens verbunden zu bleiben. Darin liegt die religi-öse und spirituelle Dimension von Gemeindepraxis.

Gerade angesichts der grossen spirituellen Bedürfnis-se heute ist es wieder wichtig, sich auf diese Dimen-sion verstärkt zu besinnen. In ihren Vorbereitungen und Ideen findet die Aufmerksamkeit für diese Di-mension seinen Ausdruck in der Idee vom Stadtklos-ter. Das andere Verpflichtungsmoment besteht darin, konkrete Solidarität mit den Menschen und ihren realen Lebensverhältnissen leben und zwar sowohl im unmittelbaren Umfeld des Nahbereiches als auch in unseren grösseren Zusammenhängen. Darin liegt die soziale und politische Dimension christlicher Ge-

Es gibt drei Elemente von Gemeindepraxis: Das entlastende Moment der Erfahrung des Geschenkt-Seins, und die beiden verpflichtenden Elemente der spirituellen und sozial-politischen Dimension andererseits.

2Vgl. dazu auch Mette 2005, 108.

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meindepraxis.2 Diese drei Momente von Gemeinde-praxis: Das entlastende Moment, also die Erfahrung des Geschenkt-Seins, und die beiden verpflichtenden Elemente der spirituellen Dimension einerseits so-wie der sozial-politischen Dimension anderseits, er-gänzen einander und sind unauflöslich miteinander verwoben. Dabei bestimmt die Erfahrung bereits ge-schenkter Versöhnung die Praxis.

Eine Kirchgemeinde bedarf also all dieser drei ge-nannten Elemente: Anders als gerade formuliert, es braucht also das Bewusstsein der Nicht-Machbarkeit vollkommener Versöhnung durch den Menschen, also ein Bewusstsein dessen, was die theologische Tradition «Ungeschuldetheit des Heils» bzw. schlicht und ergreifend «Gnade» nennt. Und es braucht ein Bewusstsein sowohl für die religiös-spirituelle als auch die sozialpolitische Dimension christlicher Ge-meindepraxis. Diese beiden Dimensionen sind wie die zwei Seiten einer Medaille, das eine geht nicht ohne das andere, auf jeden Fall nicht, wenn es christ-liche Gemeinde sein soll. Es bedarf also hier der ge-lingenden Balance zwischen Mystik und Politik oder auch «vita activa und vita contemplativa».

«Wo» – so schreibt Norbert Mette – «dieses span-nungsreiche Verhältnis von Kontemplation und Ak-tivität zugunsten eines der beiden Pole aufgelöst wird und somit ein für die Kirche und ihre Gemeinden konstitutiver Faktor ausfällt, mag es sich um einen

Zirkel von fromm gestimmten Gleichgesinnten oder eine Initiative sozial Engagierter handeln, nicht je-doch um eine Gemeinde in der Nachfolge Jesu»3. Auf diese notwendige Einheit von Sozial- und Glaubens-pastoral hat vor einigen Jahren im Übrigen schon der Pastoraltheologe Ottmar Fuchs, in einem Aufsatz mit gleichnamigen Titel deutlich hingewiesen.

Im Folgenden möchte ich nun der Frage nachgehen, was es für eine Kirchgemeinde bedeutet, diese drei Elemente, den Charakter des Geschenktseins von Ge-meinde und die religiös-spirituelle Dimension sowie die sozial-politische oder auch solidarische Dimensi-on von Gemeindepraxis ausbalanciert zusammen zu denken, und welche Konsequenzen sich daraus für eine künftige Pastoral ergeben. Schritt eins:

1. Gemeinde als Geschenk und die Nicht-Machbarkeit umfassenden Heils

Das momentan grosse Spiritualitätsbedürfnis, das interessanterweise vielfach aus Kreisen kommt, die sich nicht unbedingt zur christlichen Kirche zählen, verweist uns – wie schon kurz angedeutet – wieder deutlicher auf das «uns geschenkt sein» von Gemein-de. Es verweist auf die spirituell-religiöse oder auch mystische Dimension des Christseins. Den Aspekt der «Nichtmachbarkeit von vollkommener Gemein-de» in heutiger Gemeindearbeit ernst zu nehmen be-

Was bedeutet es, diese drei Elemente ausbalanciert zusammen zu denken und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für eine künftige Kirchgemeindearbeit?

3Mette 2005, 108.

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deutet anzuerkennen, dass Pastoral und Gemeinde nicht aus sich selbst heraus da sind, sondern ihren Ur-sprung letztlich in der Selbstmitteilung Gottes an uns Menschen und im Heilshandeln Jesu Christi finden. Insofern sich Gemeinde diesem Heilshandeln Gottes verdankt, ist sie Zeichen der Nähe Gottes und seines Heilswillens für alle Menschen in der Welt, auf den sie in ihrer Praxis verweist.

Gemeinde will jedoch nicht nur auf die Nähe Gottes hinweisen, sondern diese Nähe und diese Zusage um-fassenden Heils in ihrem Sein und Tun gegenwärtig setzen. Das Handeln in der Gemeinde durch Haupt-, Freiwillige und einfach nur teilnehmende Mitglieder ist gerade durch das Zeugnis, das sie geben und durch ihr Handeln heilsvermittelnd. Aber nicht die Gemein-de oder die Pastoral stellt das Heil durch ihr Tun her. Vielmehr versucht sie, dass uns zugesagte schon an-gebrochene Reiches Gottes, so gut es ihr möglich ist, zu verwirklichen. Dabei weiss sie um die letztliche Nicht-Machtbarkeit umfassenden Heils.

Dies ist kein Defizit von Gemeinde, sondern kann ge-rade eine Entlastung darstellen, nicht alles verwirkli-chen zu können, ja auch nicht zu müssen, aber den ei-genen notwendigen, manchmal auch notwendenden Beitrag zu leisten. Dies bedeutet genau diese Nicht-Machbarkeit des umfassenden Heils als Entlastung wahrzunehmen und mehr geschehen, mehr wirken zu lassen.

Auf der konkreten Handlungsebene wäre dann zu schauen, wie mit den materialen und personalen Res-sourcen umgegangen wird. Zu schauen, was das je-weils Spezifische einer Gemeinde ist, was ihr Profil ist, sein kann und sein soll. Was entspricht den Bedürf-nissen, aber auch den Möglichkeiten und Fähigkeiten der dort konkret lebenden Menschen? Was wollen diese tun und was können sie auch leisten, von ih-ren Fähigkeiten und auch von ihren Kapazitäten her? Wo kann und soll der Schwerpunkt dieser Gemeinde liegen?

Es ist also zunächst eine Art Bestandsaufnahme von Fähigkeiten und Möglichkeiten gefragt. Dabei sollten auch die Selbstentfaltungskräfte, die eigenen Initi-ativen und Aufbrüche, die von unten, von der Basis kommen Raum haben dürfen. Diese gilt es zu unter-stützen und zur Entfaltung kommen lassen. Wie steht es aber neben diesem entlastenden Moment mit den beiden schon genannten Verpflichtungsmomenten der religiös-spirituellen und sozial-politischen Di-mension der Gemeindepraxis? Ich komme zu Schritt zwei:

2. Eine Kultur der Berührbarkeit als Ver-bindungsmoment dieser drei Elemente

Das zentrale Stichwort für die enge Zusammengehö-rigkeit des entlastenden und der beiden verpflichten-den Moment ist für mich das Stichwort der Kultur:

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Welcher Kultur bedarf es also, um den Geschenkcha-rakter, der Gemeinde, um Kontemplation und Aktivi-tät, um Mystik und Politik der Gemeinde in eine kon-kret vor Ort angemessene Balance zu bringen? Ziel und Ausrichtung solch einer künftigen Gemeindekul-tur kann am Besten mit dem Begriff einer «Kultur der Berührbarkeit» bezeichnet werden.

Denn «Berührbarkeit» scheint mir das Schlüsselele-ment künftiger Gemeindepastoral in allen ihren Ak-tivitäten zu sein. Berührbarkeit deshalb, weil sie so-wohl die religiös-spirituelle als auch die solidarische Dimension von Gemeindepraxis umfasst und diese unauflöslich, wechselseitig miteinander verbindet. Berührbarkeit auch, weil sich darin eine wesentliche Dimension jesuanischen Handelns widerspiegelt. Gott hat sich selbst in Jesus Christus berührbar ge-macht hat, in seiner Botschaft vom Reich Gottes als umfassende Befreiung für alle Menschen.

Gott lässt sich vom Menschen berühren, lässt sich vom Leid der Menschen berühren und rettet sie da-durch, dass er sich berühren lässt und uns Menschen berührt. Dies findet seinen Ausdruck in der Inkar-nation, in dem Gott in Jesus Mensch wird und alles teilt, was menschliches Leben ausmacht, alle Freude und Hoffnung, alle Ängste und Trauer. Es zeigt sich in der unbedingten, heilenden Zuwendung Jesu zu den Menschen, von denen die Wundererzählungen bered-ten Ausdruck geben und findet seinen Höhepunkt in

der Passion, indem sich Gott bis zum Äusserten be-rührbar gemacht hat und bereit war, den höchsten Preis menschlichen Lebens, den Tod zu zahlen.

So wie Gott sich berührbar gemacht hat und sich berühren lässt, so sind auch wir Christinnen und Christen aufgerufen, uns berührbar zu machen und uns berühren zu lassen: Von Gott und seiner für uns unbedingt entschiedenen Liebe, die sich in der spi-rituellen Seite der Berührbarkeit ausdrückt und von den konkreten Anderen und ihrer jeweiligen Lebens-situation, worin sich die sozial-politische, solidarische Seite der Berührbarkeit einer Gemeinde zeigt. Weil wir uns berühren lassen, werden wir sensibel für das Leid des Anderen, für Ungerechtigkeiten, seien sie individuell erfahren oder strukturell bedingt. Inso-fern schließt die Berührbarkeit eine passive und eine aktive Seite mit ein: Passiv im Sich-Berühren lassen durch die Andere, aktiv in der Beziehung zum Ande-ren und der Übernahme von Verantwortung für den/die Andere.

Werden wir also berührt und lassen wir uns berüh-ren, von Gott und vom anderen Menschen, so über-schreiten wir den eigenen Horizont, überschreiten wir unsere Gedanken und Gefühle. Nichts anderes meint denn der Ausdruck «Transzendenzbezug»: Wir transzendieren uns selbst auf den Anderen und auf den absolut Anderen hin, den wir Gott nennen. Im christlichen Verständnis ist dieses Überschreiten an

«Berührbarkeit» ist das Schlüsselelement künftiger Gemeindearbeit, weil sie sowohl die religiös-spirituelle als auch die solidarische Dimension von Gemeindepraxis umfasst und diese unauflöslich, wechselseitig miteinander verbindet.

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ganz bestimmten inhaltlichen Qualitäten bzw. Krite-rien festzumachen: an Liebe, Gerechtigkeit, am Über-stieg zu Fremden und zu Feinden. Insbesondere die religiös-spirituelle Dimension der Berührbarkeit, das Sich-Berühren-lassen von Gott, eröffnet dem gläu-bigen Menschen die Möglichkeit, diese Zuwendung, diese unbedingte Liebe Gottes als vorbehaltlose und bedingungslose Gabe, als «ungeschuldete Gnade», eben als Gratuität zu erfahren.

Diese Erfahrung der Gratuität beinhaltet aber eben nicht nur das Sich Hinwenden zu Gott, sondern auch das Sich-Hinwenden zum Anderen. Der Glaube an den menschenbefreienden Gott hält dazu an, dass wir andere an den neuen Lebensmöglichkeiten teilhaben lassen, sie darin einbeziehen und Widerstand leisten gegen alles, was daran hindert. Dass alle Menschen ein bejahenswertes Leben führen können, darauf richtet Gott all seine Leidenschaft.5 Dabei beschränkt sich der so gespeiste Impuls zur Solidarität nicht nur auf die Solidarität im unmittelbaren Lebensumfeld; die Erfahrung gelebter Solidarität im Nahbereich wird vielmehr zum entscheidenden Kern einer Solidarität, die sich auch auf die grösseren, globalen Zusammen-hänge richtet.6

Verweist die religiös-spirituelle Dimension die Ge-meinde «nach innen», so verweist die solidarische Praxis darauf, dass Gemeinde immer sehr konkret in

der Welt angesiedelt ist und in den «weltlichen» Gege-benheiten. Wenn eine Gemeinde das Wort Gottes mit der konkreten individuellen, kirchlichen und gesell-schaftlichen Situation in Verbindung bringt und diese im Horizont der biblischen Botschaft auslegt, wird sie zur Gemeinde als Volk Gottes. Aus der Erfahrung unbedingter Bejahung und Anerkennung gewinnt sie die Möglichkeit zu einem Zusammenleben in Solida-rität.7

Damit zeigt sich noch einmal, wie sich die spiritu-elle und sozial-politische Dimension christ licher Lebenspraxis wechselseitig bedingen. Aus der Glau-benserfahrung und Glaubenspraxis heraus mit ihren Grundvollzügen Verkündigung und Liturgie erwächst der Grundvollzug des diakonischen Engagements, und umgekehrt erwächst aus dem sozialen Engage-ment die Glaubenserfahrung, führt also die Diakonia zur Verkündigung.

Was bedeutet nun eine solche Kultur der Berührbar-keit für Pastoral? Schritt drei:

3. Berührbarkeit als pastorale Leitlinie

Eine «Kultur der Berührbarkeit», als pastorale Leitli-nie auszubilden, bedarf eines Perspektivwechsels im Verständnis von Pastoral bzw. Seelsorge oder anders

Verweist die religiös-spirituelle Dimension die Gemeinde «nach innen», so verweist die solidarische Praxis darauf, dass Gemeinde immer sehr konkret in der Welt angesiedelt ist und in den «weltlichen» Gegebenheiten.

7Vgl. Mette 2005, 110. 8Vgl. Steinkamp 2005.

5Vgl. Mette 2005, 111. 6Vgl. Fuchs 1999, 94.

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gesagt, es bedeutet die Einnahme eines parteilichen Standpunktes. Pastoral und Seelsorge haben heute mehr denn je den einzelnen Menschen als auch die unheilen und ungerechten gesellschaftlichen Verhält-nisse in den Blick zu nehmen. Die Verhältnisse, in denen der Einzelne lebt, in die er verstrickt ist und die zu Beschädigungen führen. Pastoral bedeutet, sich dem Einzelnen zuzuwenden und ihm heilsamen und heilenden Zuspruch zukommen zu lassen, sei es der alte Mensch im naheliegenden Altenwohnheim, sei es der Jugendliche, der orientierungslos oder verzweifelt seinen Weg sucht.

Es gilt, Menschen in ihrem Selbstwertgefühl zu stär-ken, damit sie – im Bild gesprochen – «aufrecht» ge-hen können. Dazu bedarf jedoch der konsequenten Umsetzung eines Seelsorgeverständnisses, das die seelsorgliche Beziehung als eine Beziehung zwischen Gleichen – wenn auch mit unterschiedlichen Rollen – versteht und keine pastoralen Machtverhältnisse produziert, in denen der, der Seelsorge in Anspruch nimmt subtil klein wird. Ziel jeglicher Seelsorge ist also die Ermächtigung des Subjekts zur «Selbstsorge» in einem ganzheitlichen und somit auch spirituellen Sinn.8 Seelsorge versteht sich somit in erster Linie als «Assistenz» zur Selbstsorge und Selbstermäch-tigung bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Subjekt eigen«mächtig» handeln und «aufrecht» gehen kann. Etwas überspitzt gesagt, ist letzter Sinn von Seelsor-

ge, sich selbst überflüssig zu machen, denn so Nor-bert Mette: «Wenn Seelsorge sich davon entlastet sehen darf, sich um Menschen die zur Selbstsorge fähig sind, zu kümmern, ist sie um so dringlicher an (gesellschaftlich marginalisierte) Orte verwiesen, wo Menschen daran gehindert oder beeinträchtigt werden, ihre Fähigkeit zu Selbstsorge auszubilden.» Seelsorge wird gerade dann zum Ernstfall befreiender christlicher Praxis.»9

Die französische Kirche hat in ihren basiskirchlichen Initiativen – so scheint mir – eine Gemeindekultur entwickelt, die alle drei oben genannten Elemen-te vereint und von der wir vielleicht lernen können. Diese Kultur der Berührbarkeit kann über die drei sie wesentlich bestimmenden Stichworte des accueil, der partage und der gratuité beschrieben werden.

Accueil

Das ist der Empfang, die Aufnahme für die, die in-teressiert sind und nach Möglichkeiten der mehr oder weniger intensiven Begegnung fragen. Accueil richtet sich auf den Anderen, den zu Empfangenden, der der Empfang und Aufnahme sucht und will ihr/ihm vorbehaltlos gegenüber treten, will ein Feld eröff-nen, Erfahrungen zu machen ohne mehr oder weni-ger verschämte Rekrutierungsabsichten, will den/die

9Vgl. Mette, N.: Als Person(en) kenntlich – Identität in Solidarität, in: WzM 56 (2004), 230‐242, 237.

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Andere/n in seiner Andersartigkeit anerkennen und ihm mit einer Präsenz des Hörens und der Offenheit begegnen. Accueil will einfach und ‚nur’ für den /die Andere da sein, da im Sinne von präsent sein.

Partage

Das bedeutet Teilen, Teilgeben und Teilnehmen. Mit Partage ist ein wirkliches Teilen gemeint, in einem im-materiellen wie auch materiellen Sinne. D.h. es geht um mehr als einen Teil abgeben, um mehr als um Hil-fe aus Mitleid. Partage meint wirkliche Solidarität mit dem/der Anderen im Denken und Fühlen als auch in der konkreten Solidarität des Handelns. Das bedeutet auch, die eigenen Anteile und Verwicklun gen wahr-zunehmen und auch für die strukturellen Verstrickun-gen in Unrechtssituationen und -strukturen sensibel zu sein. Die Haltung des Partage lässt dem/der Anderen seinen/ihren Raum, macht ihn/sie nicht kleiner – auch nicht subtil – um selber grösser zu sein, und anerkennt ihn/sie mit ihren Fähigkeiten und seinem/ihrem Bei-trag für das Ganze.

Gratuieté

Dies meint die Haltung der Ungeschuldetheit, des sich Verdanktfühlens gegenüber dem, der das eigene Leben geschaffen hat. Es meint das Wissen darum,

nicht alles in der Hand zu haben und Leben, das ei-gene als auch das der/des Anderen, als Geschenktes und Unwiederbringliches zu begreifen. Diese Haltung durchbricht alle Zweckrationalität und macht auf-merksam für heilvolles Miteinander, macht sensibel für die eigene Lebenskultur und die Kultur der nahen und fernen Umkreise.

Wenn es gelingt, sich als Gemeinde auf diese Grund-haltungen einzulassen, dann entwickeln sich alle Aktivitäten und Prioritäten dessen, was pastoral ver-wirklicht werden soll aus diesen Grundhaltungen he-raus und richten sich gleichzeitig auf diese wiederum aus.

Was bedeutet es nun, diese so beschriebene Kultur zur Grundlage der pastoralen Planung zu machen. Dazu abschliessend einige Hinweise:

1. Ein Kultur der Berührbarkeit

Es gilt zu schauen, inwiefern in den jeweiligen Ge-meinden Bedingungen herrschen oder inwiefern Bedingungen hergestellt werden können, die diese «Selbstsorge» der Subjekte ermöglichen und fördern, so dass der/die Andere «aufrecht» gehen kann. Dies beginnt schon bei der Frage nach dem je eigenen Seel-sorgeverständnis, das jede/r Hauptamtliche implizit und explizit hat, und das in der jeweiligen Gemeinde

Accueil heisst Annahme: Präsent und offen sein.Partage bedeutet teilnehmen und teilgeben. Gratuieté heisst: Das Wesentliche ist Geschenk.

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eine bestimmte Kultur ausgebildet hat. Dabei geht es nicht um die abstrakte Rezeption von Seelsorgetheo-rien oder Pastoralkonzepten, sondern vielmehr – im Sinne des oben Gesagten darum, sich mit der eigenen Person, mit den eigenen Haltungen, mit den eigenen Möglichkeiten, accueil und partage verwirklichen zu können. Oder anders gesagt, im Mittelpunkt steht, wie konkret die Verbindung von Spiritualität und So-lidarität gelebt werden kann.

Eine Kultur der Berührbarkeit, die sich in den drei gerade beschriebenen Grundhaltungen ausdrückt, setzt zuallererst Beziehungsfähigkeit voraus. Will Beziehungsfähigkeit gefördert werden, macht dies al-lerdings intensive Bildungsprozesse notwendig. Dies würde auch die Aussage von Erik Händeler aufgrei-fen, dass Sozialkompetenz in Zukunft ein knappes Gut sei. Die Förderung von Beziehungsfähigkeit, von Sozialkompetenz ist das A und O für ein friedliches menschliches Zusammenleben und liegt allen kon-kreten Kompetenzen wie Konfliktlösungskompetenz, Teamfähigkeit etc. noch voraus.

Wollen die Verantwortlichen in einer Gemeinde diese Elemente der beschriebenen Kultur ihrer Arbeit und damit der Gemeinde zugrunde legen, setzt dies aller-dings auch und vor allem die Bereitschaft voraus, sich selbst auf diese Beziehungsdimension einzulassen und die eigene Person hinsichtlich der eigenen Bezie-hungskompetenz zu schulen. Angebote in dieser Di-

mension von Bildungsarbeit, im Sinne von Förderung einer Sozialkompetenz, die sich dann auch in konkre-ten Themen wie Konfliktbewältigung, Teamfähigkeit oder Gewaltprävention niederschlagen, können ihren Ort im ihrem neuen Kirchgemeindezentrum haben. Im Vordergrund kann dabei aber nicht ausschliesslich das einfache Lernen von Handwerkszeug, von Tech-niken sein, sondern dieses muss immer eng an die eigene Person angebunden sein. Ansonsten werden Rezepte gelehrt, nicht aber Beziehungsfähigkeit ge-fördert. Entscheidend ist also immer die innere Hal-tung derjenigen, die sich verantwortlich fühlen.

Eine solche Kultur führt auch zu einer Reihe von an-deren Themen, die aufzugreifen wären, z.B. die Aus-einandersetzung mit Fragen des interreligiösen Di-alogs. Ein Haus, das für die Kultur einer Gemeinde steht und diese Kultur in ihren Räumlichkeiten aus-drückt, kann und sollte ein Ort sein, an und in dem es möglich ist, sich über Fragen der Religiosität und des Glaubens zu verständigen, kann ein Ort sein, sich über die eigene Religiosität und den eigenen Glau-ben zu vergewissern. Auch hier gilt das Diktum vom aufrechten Gang, ein Glaube und eine Religiosität, die selbstbewusst geformt ist, weiss um ihren Grund und kann aus dieser sich selbst bewussten Religiosität handeln. Nicht zuletzt kann aus einer solchen selbst-vergewisserten Haltung heraus die Offenheit für eine unvoreingenommene interkulturelle und interreli-giöse Verständigung erwachsen. Ihr neues Zentrum

Ein Haus, das für die Kultur einer Gemeinde steht kann und sollte ein Ort sein, in dem es möglich ist, sich über Fragen der Religiosität und des Glaubens zu verständigen, kann ein Ort sein, sich über die eigene Religiosität und den eigenen Glauben zu vergewissern.

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könnte zu einem Ort der Begegnung unterschiedli-cher Kulturen und Religionen werden und einen ent-scheidenden Beitrag zum Lernen von interreligiöser Kompetenz leisten.

2. Ein Raum der Vermittlung

Kirchliche Gemeinde stellt keine Sonderwelt in der Gesellschaft dar, sondern findet sich in gerade dieser und all ihren Fragen wieder. Das bedeutet, sie kann ihr Handeln nicht nur nach innen auf den Binnen-raum der Gemeinde richten, sondern wird über den unmittelbaren sozialen Nahraum den Blich auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge lenken. Wir können Kirchen heute auch so verstehen, dass sie zwischen dem Bereich des Privaten und demjenigen des Öffentlichen vermitteln und dabei versuchen, auf beide Sphären mit ihrer spezifischen Deutungskom-petenz und ihrer Botschaft einzuwirken. Die Kirchen sind – so der Religionssoziologe Karl Gabriel – «ei-nerseits der Ort, an dem die religiösen Erfahrungen der Einzelnen aus der Welt des Privaten in den Raum der Öffentlichkeit eintreten und andererseits vermit-teln sie die Gehalte des christlichen Glaubens in die zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit als Raum der Dis-kussion.»10 Diese Vermittlung aus dem privaten in den öffentli-chen Raum kann dabei aber nicht nur den Kirchen und ihren offiziellen Vertretern vorgenommen wer-

den, sondern auch von den einzelnen Christinnen und Christen, die ihre (religiösen) Überzeugungen über den Bereich der Kirchgemeinde hinaus in das Gemeinwesen einbringen können, sie sind ja nicht nur Christen und Christinnen, sondern gleichzeitig auch Bürger und Bürgerinnen. Inhaltlich können Kirchen und Gemeinden dabei folgende Rolle über-nehmen: Sie können erstens öffentlich auftreten, um Aufmerksamkeit für diejenigen zu schaffen, die aus der medialen Aufmerksamkeit heraus fallen oder he-rauszufallen drohen.

Damit haben sie so etwas wie die Aufgabe einer Ge-genöffentlichkeit. Sie können zweitens eine kritisch-korrektive Kraft gegenüber den Machtansprüchen von Staat und Markt sein und aufgrund ihrer ethi-schen Maximen so etwas wie der prophetische Stachel für eine Gesellschaft sein. Sie können drittens norma-tive Gehalte des christlichen Glaubens hinsichtlich des universalen Gemeinwohls, der Menschenrechte, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung ein-bringen und damit an der Schaffung gerechter Le-bensverhältnisse mitwirken.

Eine Gemeinde, die sich also einer Kultur wie be-schrieben verpflichtet, wird sich präsent und offensiv in die Zivilgesellschaft und ihre öffentlichen Diskus-sionen einbringen und selbstbewusst die ethischen Gehalte vertreten und gegen Ungerechtigkeiten

10 Gabriel, Karl: Modernisierung als Organisierung von Religion, in Krüggeler, Michael, Gabriel, Karl, Gebhardt, Winfried (Hg.): Institution – Organisation – Bewegung. Sozialformen der Religion im Wandel 1999, 19‐37, 30f.

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protestieren, sei es z.B. in der Frage nach Minarett-bauten oder dem Umgang mit Asylsuchenden oder Auszuschaffenden.

3. Eine Chance der Vernetzung

Ein bauliches Zentrum bietet die Chance, dass das zusammenkommen kann, was ansonsten vielleicht an verschiedenen Orten verteilt ist. Von daher bildet ein Zentrum auch die Chance zur Vernetzung der verschiedenen Aktivitäten, Gruppen und Initiativen in der Gemeinde. Die Kultur, die sich eine Gemein-de gibt, kann und sollte dabei konzeptleitend für die bauliche und ästhetische Gestaltung sein. Letztlich soll der räumliche Ort die innere Grundhaltung, den «Geist» widerspiegeln und kenntlich sein für Aussen-stehende. Das Leitbild, das sie entwickeln werden, wird so seinen Niederschlag in den Räumen finden. Wenn es gelingt, sowohl die verschiedenen Genera-tionen in der Gemeinde als auch die verschiedenen sozialen Schichten im Zentrum inhaltlich zu behei-maten, dann verwirklicht sich Gemeinde.

Räume leben von Präsenz. So würde sich das Grun-delement des accueil, der Empfang und die Offenheit für alle, die kommen, verwirklichen können, wenn es gelingt, dass immer jemand da ist, ein Ansprechpart-ner, eine Ansprechpartnerin zur Verfügung steht. Das

Konzept der Citykirchen kann hier handlungsleitend sein, die mit ständiger Präsenz und hoher Niedrig-schwelligkeit viele Menschen anzusprechen vermö-gen. Dazu bedarf es aber einer wirklichen Präsenz. Wenn ich nicht weiss, ob jemand da ist, werde ich diesen Ort nicht aufsuchen. Nun ist ständige Präsenz sehr personalintensiv, wie man so schön sagt. Interes-santerweise haben die Citykirchen keinerlei Probleme Freiwillige zu finden, eher haben sie lange Wartelis-ten. Dies finde ich ein interessante Tatsache in Zeiten, in denen immer geklagt wird, es gäbe keine Freiwilli-gen mehr. Präsenz lässt sich vielleicht mit ihrer Idee eines Cafés verbinden, wobei es mehr braucht als eine rein gastronomische Präsenz.

Der Raum sollte auch die Einheit von vita activa und vita contemplativa widerspiegeln. Vielleicht kann es gelingen, auch eine regelmässige spirituelle Präsenz zu ermöglichen und einen entsprechenden Raum. Dieser könnte auch eine interreligiöse Gastfreund-schaft zur Verfügung stellen.

Entscheidendes Moment für ein Kirchenzentrum scheint mir jedoch das Moment der Offenheit zu sein. Es gilt also eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich nicht nur reformierte Christen willkommen fühlen, sondern auch andere Gruppen beheimaten können, auch nicht nur kirchliche. Das Anliegen des Zusam-menlebens sollte dabei über den kirchlichen Binnen-

Eine Gemeinde, die sich dieser Kultur verpflichtet, wird sich präsent und offensiv in die Zivilgesellschaft und ihre öffentlichen Diskussionen einbringen und selbstbewusst die ethischen Gehalte vertreten und gegen Ungerechtigkeiten protestieren.

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raum hinausgehen. Dann kann es zu einem Zentrum der Region werden und etwas die Spannung zwischen einer «Geh-hin-Struktur» und einer reinen Angebots-struktur lösen.

4. Die Vielfalt und die Breite

Viefalt und Breite können sich bei klarer konzeptio-neller Grundlage auch in den inhaltlichen Angeboten zeigen. Auch hier sind die verschiedenen Schichten und sozialen Gruppen gut im Blick zu behalten. Was die einen mögen, mögen die anderen noch lange nicht. Die Sinus-Studie mit ihrer Unterscheidung der verschiedenen Lebensstilmilieus kann hier eine hilf-reiche Sehhilfe sein, die Angebote so auszurichten, dass sich unterschiedliche Gruppen angesprochen fühlen.

Will Kirche, will Gemeinde heute anschlussfähig an die modernen Menschen und ihre Wünsche und Be-dürfnisse sein und weiss sich gleichzeitig dem Evan-gelium verpflichtet, dann ist es ein entscheidendes Element, die Selbstermächtigung von Menschen und die Möglichkeit, christlichen Glauben in Freiheit und ohne autoritären Druck erleben und leben zu können.

Daraus folgen weder Unverbindlichkeit noch Liber-tinage, sondern im Gegenteil die Möglichkeit, sich

wirklich auf das Beziehungsangebot Gottes aus freiem Willen und Entschluss einlassen zu können, und sich aus freiem Willen und Entschluss auf den Anderen beziehen und für diesen solidarisch Verantwortung übernehmen zu können.

Eine solche Gemeinde ist zum einen «auf der Höhe der Zeit», weil sie der Religiosität der Menschen von heute entspricht, zum anderen lassen sich die in ihr lebenden Menschen auf sich selbst und auf den je an-deren ein und lassen sich so berühren vom Anderen. Gott scheint im Angesicht unseres Nächsten auf, so sagen und glauben wir. Nehmen wir das ernst, dann ist eine Kultur der Berührbarkeit die entscheidende Voraussetzung für die Verwirklichung und Weiterar-beit am schon angebrochenen Reich Gottes.

Judith Könemann ist promovierte römisch-katholische Theologin, Soziologin und Erziehungswissenftlerin. Zum Zeitpunkt des Vortrages in Reinach war sie Direk-torin des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Insti-tuts in St. Gallen und Geschäftsführerin der Pastoral-planungskommission der Schweizer Bischofskonferenz. Seit 2009 ist sie Professorin am Institut für Katholische Theologie und ihre Didaktik der Universität Münster.

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Zusammenfassung des Referats – Was ist für uns wichtig? Wie setzen wir Worte in Taten um?

Die neuen Räume im Kirchgemeindezentrum sollen zum Ausdruck bringen, was unsere Kirchgemeinde ausstrahlt, was wir sind und dass Kirche und Ge-meinde kein Selbstzweck sind. Die Grundlage unse-rer Gemeinde besteht im Ursprung der christlichen Botschaft. Die Nächstenliebe soll gelebt werden.

Eine Gemeinde wie die unsrige ist ein Geschenk Got-tes, das wir in der Bezeugung zum Glauben anneh-men. Dieses Geschenk jedoch verpflichtet uns auch. Es bedeutet, dass wir den Glauben leben. Eine christ-liche Gemeindepraxis zeichnet sich durch Solidarität und Verständnis gegenüber unseren Mitmenschen

aus im Sinne der Diakonie und durch den sozialpoli-tischen Aspekt, den wir nicht ausser Acht lassen dür-fen.

Im Hinblick auf den Neubau wurden wir im Referat von Frau Könemann aufgefordert, den Ist-Zustand unseres kirchlichen Lebens aufzulisten. Bereits im ersten Workshop zum Thema Leitbild widmeten wir uns einem Brainstorming und nahmen den «Bestand» auf. Ziel dieser damaligen Auflistung war, von weni-ger Begehrtem loszulassen, Bewährtes fortzusetzen und vielleicht neuen Ideen Platz machen zu können. Genau diesen Schritt schlug uns auch die Theologin vor.

Ausserdem riet sie uns, in der künftigen Planung die finanziellen Ressourcen, die Kräfte der Mitarbeiten-

Nach dem Vortrag von Judith Könemann – Wie weiter?Ein Beitrag von Maja Grauwiler

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den und der Freiwilligen abzuwägen, so dass ein gu-tes, einvernehmliches Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen entsteht! Keine einfache Aufgabe, wenn man den Neubau nur vor dem geistigen Auge hat, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal dessen Grundmauern aufgerichtet sind!

Eine Gemeindekultur zeichnet sich auch durch ihre Berührbarkeit aus. Berührbar, offen und hellhörig sein bedeutet, der Seele der Mitmenschen Sorge zu tragen und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.

In der französischen Kirche drückt sich eine gute Ba-sis der Berührbarkeit in den folgenden drei Grund-pfeilern aus:

• Accueil heisst: Aufnahme, Empfang, Information (zuerst spüren und erst dann handeln)

• Partage im Sine von: teilen, sich solidarisch im Handeln und Denken mit dem Gegenüber verhal-ten

• Gratuieté bedeutet: Dankbarkeit für das Ge-schenktsein unseres Daseins gegenüber unserem Schöpfer, sich bewusst sein, dass nicht alles in unseren Händen liegt

Die Zentrumsfunktion unseres neuen Hauses müssen wir wahrnehmen. Hier wird sich unser kirchliches Leben abspielen, das wir auch für Kirchenferne weit öffnen. Warum nicht eine Insel sein für Menschen,

die für eine kurze Zeit vom Berufsalltag abschalten möchten? Warum nicht Inputs schaffen für müde Menschen, die einen Anschub aus unserer Mitte benötigen? Ist es möglich, mit unseren Qualitäten an solche Menschen zu gelangen? Wir unternehmen und bieten ja schon sehr viel. Der Kreis unserer Ge-meinschaft muss grösser werden. Wie machen wir das ohne allzu sehr missionarisch aufzutreten?

Im ersten Workshop erarbeiteten wir fünf Themen-kreise, die uns nun als Basis für unsere weiterführen-den Gedanken und Verknüpfungen dienen sollen. Es sind Themenkreise, die unsere Arbeit nach innen und aussen beschreiben. Ein Ziel dieser Auseinanderset-zung ist eine klare, übersichtliche Auslegeordnung über unsere lebendige Kirchgemeinde «Wer sind wir, was machen wir?».

Nach dem auf der folgenden Seite fotografisch und auf der folgenden Doppelseite inhaltlich dokumen-tierten, intensiven Brainstorming über unser Erschei-nungsbild «Wer sind wir, was machen wir?» gaben wir uns Zeit, diese Vielfalt wirken zu lassen. Wir spürten in uns hinein, wo und wie wir uns zukünftig mit Hand und Herz am liebsten einbringen könnten.

Maja Grauwiler ist Vizepräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde und war Primarlehrerin in Reinach.

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Blitzlichter aus den Workshops der Kirchenpflege und der Leit-bildgruppe/Spurgruppe, die zwischen den Experten referaten und den Arbeitsphasen statt-fanden.

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Unser Auftrag – Worauf wir bauen

• Verkündigung, Diakonie: Wir Christen haben dieser Welt etwas zu sagen, nicht nur spirituell, auch politisch und so-zial. Wir wollen uns als Christen behaupten.

• Sich bekennen und entsprechend handeln, den Glauben leben, sich unserer Kultur bewusst sein - liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst

• Dem Menschen nahe sein, berührbar und präsent sein• Auf das «Füreinander» bauen, sich für die Akzeptanz un-

tereinander einsetzen• Anderen helfen, aber auch sich selbst helfen lassen• Sich um alle Leute kümmern• Wir leben jetzt und mit Visionen für die Zukunft

Unser Auftrag – Präsent und offensiv – Vernetzung – Unsere Räume – Plattformen und Begegnungen

Präsent und offensiv – Wer und wie wir sind

• Konfessions-übergreifend • Niederschwellig - sich zur Kirche bekennen, jedoch nicht

aufdringlich • Selbstbewusst - mit Respekt und Toleranz• Uns in Gesellschaft einbringen• Die eigene Vielfalt pflegen • Im Wochenblatt / Kirchenfenster und im Kirchenboten:

wahrnehmbar als reformierte Kirche in Reinach• Flyers mit kirchlichen Anlässen• Nicht nur in kirchlichen Räumen präsent, auch in Restau-

rants, bei anderen Veranstaltungen

• Präsent und offensiv für Menschen in Schwierigkeiten• Präsent und offensiv bei Hilfsprojekten• Kirche als Raum anbieten (z.B. Musik)• Angebote für jedes Alter• Zusammenkünfte von verschiedenen Altersgruppen orga-

nisieren • Originelle und praktische Dienste anbieten• Kirchenkaffee, Apéro, Teilete nach dem Gottesdienst insti-

tutionalisieren• Glauben 12 Kurse und Theologiekurse anbieten

Vernetzen - Wie und mit wem wir zusammen arbeiten, innerhalb und ausserhalb

• Vernetzung der Mitglieder stärken, ihre Bedürfnisse ab-klären

• Leistungen zur Verfügung stellen• Kurse anbieten• Vernetzung / Zusammenarbeit mit: Quartier Mischeli Politischer Gemeinde Bürgergemeinde BEAG / Aumatt Sozialen Beratungsstellen und den sozialen Diensten

Reinach Jugendhaus Polizei Asylheim Spital

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Unsere Räume - Welche neuen Räume wir brauchen

Es ist uns wichtig, dass wir im Mischeliquartier mit dem neu-en Zentrum gut verankert sind. Wir wünschen uns innerhalb des Gebäudes eine grosse Flexibilität. Unsere vielen Angebote sollen gut «platziert» sein:• Öffentliches Café, öffentlicher Kulturraum, mit Imbiss-

möglichkeit• Gute funktionelle Küche• Raum der Stille in der Nähe des Cafés • Spielzimmer / Kinderhort in Verbindung mit dem Café• Grosser Saal mit Bühne• Multifunktionale Gruppenräume• Freundliches Sekretariat/Empfang, helle, einladende

Räume• Gut ausgebaute Infrastruktur (Technik)• Multifunktionaler Jugendraum (Musik, Party, Internet,

Fitness)

Plattformen und Begegnungen – Welche Inhalte/Gefässe wir brauchen

• Schwerpunkt Café / Kirchgemeindezentrum• Präsenz mit Permanence: «Wenn ich jemanden brauche,

ist jemand da»• Begegnung• Beratung und Begleitung• Offenheit• Austausch• Das Café soll Heimat und Gastgeberin sein für Gemeinde-

mitglieder, für Suchende, für Viele - ähnlich einem Stadt-kloster (geistliche Nahrung und Gemeinschaft), für Müt-ter, Randständige, Arbeitslose, Generationen…für DICH und auch für MICH - für ALLE

• Entwicklung eines Seelsorge-Pikettdienstes

Behindertengruppen /-organisation Unseren Projekten der Mission 21 Kantonaler Synode Politischen und kirchlichen Organisationen in der Re-

gion Anderen Religionen (Oekumene) Anderen ethnischen Gruppen (kennenlernen) Anderen Kirchgemeinden Nicht-kirchlichen Gruppen und Vereinen

• Gruppenräume, vermietbar an Externe• Spielwiese / Kirchgemeindehaus / Einkaufszentrum - ein

Trio!• Gute Akustik in allen Räumen• Umweltgerechte Bauweise• Behindertengerecht

Unser Auftrag – Präsent und offensiv – Vernetzung – Unsere Räume – Plattformen und Begegnungen

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Im ersten Semester 2009 wurde der Spurgruppe klar, dass die Kirchenmitglieder nach all diesen Grund-satzüberlegungen und auf der Basis der erarbeiteten Auslegeordnung ihre Meinung sagen müssen. Es soll-ten zu vier Themenfeldern Fragen gestellt werden: Was soll unser Leitbild beinhalten? Wie soll unser künftiges Kirchgemeindezentrum aussehen? Was sa-gen Sie zu unserer aktullen und zur künftigen Arbeit der Kirchgemeinde. Die entsprechende Fragebogen-aktion startete mit dem Versand im Oktober 2009 und endete mit einer Rücklaufdeadline drei Wochen später. Genauso lange war derselbe Fragebogen auf www.umfrageonline.ch erreichbar. Durch eine spezi-elle Technik («Cookies») und eine Notierung der IP-

Nummern wurde sicher gestellt, dass keine teilneh-mende Person im Internet doppelt antworten konnte. Die Fragebogen auf Papier hatten alle eine Nummer. Bei der analoge Fragebogenaktion wurden sowohl Fragebogen auf Papier mit frankiertem Rückantwort-couvert versandt als auch die Möglichkeit angeboten, digital und online zu antworten.

Bei der Auswahl Anzuschreibender wurden mehre-re Kriterien ausgeglichen berücksichtigt: Sowohl die sehr Kirchgemeinde Nahen (Kirchenpflege, Gottes-dienstbesuchende, freiwillig Mitarbeitende) als auch die sympathisch Distanzierten in mittlerer Nähe zur Kirchgemeinde (Traupaare, Tauffamilien, Konfir-

Vox populi – Die Befragung des Kirchenvolkes

Ein Beitrag von Frank Lorenz

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manden-Eltern ) und Kirchenferne bzw. von einem Zufallsgenerator Ausgewählte wurden berücksichtigt.

Rücklauf

Von den von uns angeschriebenen 750 Personen/Familien haben 223 ihren Fra-gebogen retourniert. Online haben uns 28 Personen ihre Meinung gesagt zur Zu-kunft unserer Kirchgemeinde.

Antworten erhielten wir wie folgt: Von unseren freiwillig Mitarbeitenden sind 48 Fragebögen eingegangen. Die Fragebogen von Behördenmitgliedern und jene Zettel, die in der Kirche oder in den Gemeinde-häusern auf den Infoständern auslagen, wurden 37mal zurückgesendet. Von jenen, die in den vergangenen Jahren bei uns geheiratet oder ihr Kind getauft haben, erhielten wir 18 Fragebogen. Die Konfirmanden-Fa-milien der zurückliegenden Jahre haben uns 66mal ihre Meinung zurückgeschickt. Vom Zufallsgenerator ausgewählte Bewohnerinnen und Bewohner von Rei-nach sagten 44mal ihre Meinung. «Die Rücklaufquote oder ‚Ausschöpfung’ ist ein Indikator zur Beurteilung der Repräsentativität einer Befragung. Definiert ist sie als das Verhältnis von abgeschlossenen Interviews zu den versuchten Interviews. Generell liegen die Rück-

laufquoten bei schriftlichen Befragungen deutlich niedriger als bei mündlichen Umfragen. Dabei gelten für schriftliche Untersuchungen, sofern es sich nicht um Spezialumfragen bei einem definierten Personen-kreis handelt, Rücklaufquoten von mehr als 10 bis 15 Prozent bereits als bemerkenswert hoch.» So schreibt es Heribert Meffert in seinem Grundlagenwerk «Mar-keting» unter dem Stichwort «Meinungsumfragen».

Die absolut hohe Rücklaufquote von 33,4% über-rascht also solche und spricht sowohl für einen gut gewählten Zeitpunkt der Befragung, eine hohe Be-

Die Sekretariatleiterin Karin Etter beim Auswerten der Fragebogenaktion

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reitschaft zur Mitwirkung, eine hohe Bindung der Befragten und eine grosses Interesse der Befragten an den Themen.

Statistisches

Erwartungsgemäss ist die übergrosse Mehrheit der Antwortenden 92,5% reformiert, nur 2,5% sind römisch-katholisch, einer anderen oder gar keiner religiösen Gemeinschaft gehören die restlichen 5% an. Bei den Online-Antwortenden muss man von stark Internet-Affinen ausgehen, was sich auch an den Kommentaren belegen lässt, die von teilweise grosser Sachkenntnis in Bezug auf Online-Angebote zeugten. Diese Gruppe ist immer noch eher jung (also 16 bis 45). Die frisch Verheirateten sind zwischen 20 und 40. Die Konfirmanden-Eltern sind im Alter zwischen 40 und 55.

Unsere Freiwilligen sind auch eher im mittleren bis gehobenen Alterspektrum (45 bis 70) und eher weiblich. Da die Fragebögen der Behördenmitglie-der mit denjenigen der Anonymen gemischt sind, die ihre Fragebögen von den Infoständern genommen und zurückgegeben haben, lässt sich hier nur von Kirchennahen und Gottesdienstbesuchenden reden, die tendenziell im mittleren bis gehobenen Alterspek-trum anzusiedeln sind.

Zusammenfassend ist also zu sagen, die Zahl der Teil-nehmenden im Segment der Jungen und Mittelalten ist unerwartet hoch, verglichen mit der Reinacher Al-tersverteilung sogar leicht überwertig. Die hohe Zahl der Rückläufe im Bereich der gehobenen Altersstufe entspricht den statistischen Erwartungen für eine Kirchgemeinde und der Reinacher Altersverteilung.Erfreulich gering sind Kommentare, die aggressiv oder als «Ventil» für lange Angestautes dienen. Als Kontrollgruppe zu den Ergebnissen wurden separat die zufällig Ausgewählten (44 von 223) ausgewertet. Wo sie statistisch relevant von den Ergebnissen der Kirchenzugewandten abweichen, sind deren Ergeb-nisse separat erwähnt.

Ergebnisse

Die Fragebogenaktion im Herbst 2009 wurde im Winter und Frühling 2010 ausgewertet. Die Ergebnis-se wurden im April 2010 allen Interessierten im Rah-men eines Samstag Vormittags in der Mischeli-Kirche präsentiert.

In den Fragen zu kirchgemeindlichen Tätigkeit bzw. zur Vernetzung unserer Kirchgemeinde mit kirchlichen, staatlichen oder nichtstaatlichen Or-ganisationen konnten die Befragten zwischen 1 «unwichtig» und 4 «sehr wichtig» abstufen. Die

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Personen- und Ereignisbezogenen Tätigkeiten der Krisenbegleitung (3,4), Seelsorge (3,2) und Sozialarbeit/Diakonie (3,1) wurden mit wichtig bis sehr wichtig benannt. Die öffentlichen Tätigkeiten in Gottesdienst (2,9) und Musik und Kultur (2,7) wurden als wichtig bezeichnet. Stellungnahmen zu politischen Themen wurden neutral bewertet (2,2) bewertet.

Beim Kontakt mit anderen Konfessionen und Religionen wurde wenig überraschend die römisch-katholische Schwestergemeinde als Partnerin am meisten gewünscht (3,04 = wichtig), dann die jüdi-sche Gemeinde bzw. die Freikirchen und die nicht-christlichen Religionen (2,74 bzw. 2,64). In der Wahrnehmung der eher kirchenfernen «Zufälligen» lagen die Freikirchen und nichtchristlichen Religi-onen (2,4) vor der jüdischen Gemeinde (2,3). Beim Kontakt mit anderen Organisationen und Instituti-onen wurden wie in der vorigen Frage die traditionel-len und alltäglichen Partner der Kirchgemeinde in den sozialen Diensten, also das Seniorenzentrum mit Ge-nossenschaft und Stiftung Aumatt, das WBZ und das Jugendhaus als wichtige Partner genannt.

In der Vernetzung mit Institutionen denken die Rei-nacher von innen nach aussen: Zu den sozialen Bera-tungsstellen und Diensten sollten wir von der Kirch-gemeinde auch weiterhin den engsten Kontakt haben,

genauso wie zum Seniorenzentrum, dem WBZ und dem Jugendhaus. Eher wichtig sollte uns die Ver-netzung zu den umliegenden Kirchgemeinden sein, zur politischen Gemeinde im Allgemeinen und zur Bürgergemeinde.

Nicht überraschend aber doch deutlich fielen die Voten bei der Wunschplanung für unserer neues Kirchgemeindezentrum aus: Als wichtig bis sehr wichtig wurden klar die Jugendräume, ein Kirchen-café/Begegnungsraum mit guter, funktionaler Küche und Mittagstisch und ein gut erreichbarer Empfangs-bereich genannt. Ebenso wichtig erschien ein Spiel-zimmer/Kinderhort und ein grosser Saal mit Bühne. Erst mit deutlichem Abstand wurden ein Kulturraum, ein Mediationsraum oder Raum der Stille und multi-funktionale Gruppenräume gewünscht.

Wie sich heute im fertigen Gebäude zeigt, konnten wir fast alle Wünsche berücksichtigen. Auch in das Leitbild und die darus abgeleiteten Legislaturziele sind alle Themen und Aufgabenbereiche eingeflossen, die uns die Befragten ins Aufgabenheft geschrieben hatten.

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Vom Sommer 2010 bis Frühling 2013 war die lange Zeit der Diskussionen, Begriffsklärungen und Textre-daktionen. Die Fülle an Material musste mithilfe der ermittelten Struktur in klare Formen, verständliche Worte und Sätze gegossen werden.

Diesen Prozess haben wir in seiner Dauer unterschätzt und manchmal musste er zurücktreten zugunsten der Alltagsarbeit, der Koordination der Bautätigkeit oder besonderer Fachgruppenarbeit, wie beispielsweise rund um das Kirchencafé.

Ein Durchbruch war erreicht, als wir die künftigen Arbeitsbereiche analog zum bestehenden (Mischeli-Kirche) und zum neuen kirchlichen Ort (Kirch -

gemeindezentrum) als Sonntagskirche und Alltags-kirche gliederten und als Titel für beide gemeinsam das Wort «Menschenkirche» aus der Taufe hoben. Unter «Sonntagskirche» verstehen wir die traditio-nellen Aufgabenbereich rund um den Gottesdienst. Unter Alltagskirche fassen wir den gesamten Bereich der Sorge um den Menschen, wo er im Leben steht. Dies ist sowohl Unterricht und Seelsorge, aber auch Jugendarbeit und Bildung. Die Medien- und Öffent-lichkeitsarbeit ist hier zu finden, wie auch – und dies besonders herausgehoben und sichtbar – der ganz neue Arbeitsbereich im Kirchencafé.

Der Begriff «Menschenkirche» stiess nicht von An-fang an bei allen auf gleich grosse Begeisterung.

Der Text des Leitbildes und die KurzfassungEin Beitrag von Frank Lorenz

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Theologisch ist er jedoch unbestritten. Der Berner Dichterpfarrer Kurt Marti machte den Zusammen-hang zwischen Haus und Botschaft, zwischen Men-schen und Kirche, im Lauf der Entwicklung der Jesus-Bewegung zur christlichen Kirche wunderbar durchsichtig und verständlich mit seiner kurzen Sen-tenz:

die kirche des geistes sind unsere körper (....)darum waren da zuerst: umarmungen, küsse und heilige mählererst später gab es: kirchen aus stein

Formulierungsarbeit in einer Gruppe zu leisten ist ein schwieriger Weg. Noch schwieriger wird dieser Weg, wenn die Textfragmente immer wieder einem weite- ren, grösseren Gremium zur Beschlussfassung vorge- legt werden muss. Trotzdem brachte auch hier Geduld Rosen.Zwar musste manch eine Kröte geschluckt wer- den. Was nun aber hier vorliegt, kann mit Fug und Recht als für die nächsten rund zehn Jahre tragfähiges Leitbild angesehen werden. Es stellte sich nun die Frage wie wir das Leitbild in konkrete Ziele umsetzen können, also zur Arbeit bringen. Hierfür haben wir einen Profi

aus dem Bereich Marketing gesucht und in der Person von Martin Engel auch gefunden.

So standen am Anfang und zum Ende unseres Pro- zesses interessanterweise Experten aus dem Bereich der Ökonomie als Referenten. Vielleicht ist auch dies zeichenhaft für heutiges kirchgemeindliches Leben.

Lesen Sie aber vor der Dokumentation der Verwirkli-chungsphase das Leitbild und dessen Kurzfassung, die Leitsätze, in aller Ruhe.

Retraiten auf dem Leuenberg liessen Haus und Leitbild entstehen

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Unsere Basis: Viele Berichte, Geschichten und Bilder in der Bibel beschrei-ben unseren Weg und unser Ziel als Gemeinschaft und Kirche. Kirchen und Kirchgemeinden sind gemäss der Bibel des Alten und Neuen Testaments:

• «Wanderndes Gottesvolk» in der Dimension Befreiung und Unterwegssein (vgl. 2. Mose 13, 17–22)

• «Stadt Gottes» in der Dimension Geborgenheit und Zuflucht (vgl. Eph 2, 19)

• «Fest Gottes» in der Dimension Festfreude und Gottesdienst (vgl. Lk 14, 16–23)

• «Leib Christi» in der Dimension Einheit und Gleichwertig-keit (1. Kor 12, 12 f.)

• «Gesandte Gottes» in der Dimension Diakonisches Handeln (Mt 25, 31 ff., Lk 4, 18, Jes 61, Lk 10, 25–37)

• «Licht der Welt – Salz der Erde» in der Dimension Propheti-sches Amt, Ökumene (Mt 5, 23 ff.)

• «Senfkorn» in der Dimension Hoffnung und Unverfügbarkeit (Mt 13, 31)

Dies alles sind «Leitbilder». Wir geben uns eines, auf der Basis dieser jüdisch-christlichen Überlieferungen («Altes und Neu-es Testament»), mit dem wir die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre leben und arbeiten wollen.

Unsere Grundlage: Wir, das sind Mitglieder, Mitarbeitende und gewählte Behör-denvertretende der Kirchgemeinde. Wir alle sind Kirche: in und für Rei- nach, für alle Menschen und gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen.

Und als die, die wir sind, sagen wir: Unser Leben, alles, was uns wichtig ist und so auch unser Kirchgemeinde-Sein ist ein Geschenk Gottes, das wir dankbar annehmen, achtsam ver-walten und grosszügig weitergeben.

Die Gesetze und Verordnungen, die für uns gelten und de-ren Inhalte diesem Leitbild zu Grunde liegen, sind die Ver-fassung der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Basel-Landschaft, das Kirchengesetz und die Ordnung der Kantonalkirche.

Wir sind nahe bei den Menschen: An unserem Gemein-schaftsleben (Alltagskirche) und unserem Feiern (Sonntags-kirche) – kann Jeder und Jede bedingungslos teilnehmen, ohne ein Bekenntnis abzulegen. Unsere Anlässe und Treffen sind für alle zugänglich, niederschwellig und ohne Vorbedin-gungen erreichbar.

Unser Auftrag, unsere Strukturen und Kernaufgaben

Wir sind MenschenkircheWir sind eine öffentlich-rechtlich organisierte Bewegung glaubender Menschen und ein gegliedertes Unternehmen zu Gunsten von Menschen, insbesondere von jenen, die Hilfe bedürfen. Unsere Organisation und Entscheidungsfindung sind demokratisch. Unsere Kultur im Umgang miteinander ist wertschätzend, tolerant und anteilnehmend. Fachkonzepte regeln die Arbeit in den Ressorts.

Wir sind SonntagskircheWir feiern Gottesdienste in traditioneller, zeitgemässer oder

Leitbild für unsere Kirchgemeinde

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innovativer Form an Sonntagen und Festtagen, in unseren Kirchen oder dort, wo Menschen nach unserem Handeln fra-gen.

Wir bezeugen die biblische Heilsbotschaft gemäss unserem reformatorischen Verständnis im Jahreslauf und im Lebens-lauf wie Geburt, Erwachsenwerden, Partnerschaft, Abschied und Tod. Wichtig für dieses Zeugnis sind uns auch traditio-nelle und zeitgenössische Musik und bildende bzw. darstel-lende Kunst.

Wir sind AlltagskircheWir leben und gestalten Kirche im Alltag durch vielfältige Sozialdiakonie, durch Seelsorge, als Sorge für den ganzen Menschen, dort wo Menschen im Leben stehen, und in Kri-senbegleitung.

Wir geben unseren Glauben, unser Wissen und unsere Kultur im Religions- und im Konfirmationsunterricht weiter; ebenso in regelmässiger oder punktueller Bildungsarbeit, mit allge-meinem oder zielgruppenspezifischem Adressatenkreis.

Wir betreiben ein Begegnungszentrum und verfügen über grosszügige Jugendräume. Durch gemeinsames Essen und Trinken, durch Kontaktmöglichkeiten und durch Nieder-schwelligkeit schaffen wir einen gastfreundlichen Ort für kirchennahe und -ferne Menschen aller Altersgruppen und jeglicher Herkunft.

Wir nutzen elektronische und gedruckte Medien, um über unseren Auftrag und unsere Angebote zu informieren.

Unser Auftreten – Was wir nach aussen tun Wir sind in Gemeinde und Kanton, Gesellschaft und Politik präsent und nehmen Teil am gemeinschaftlichen Leben. Im öffentlichen Raum engagieren wir uns entsprechend unseren Möglichkeiten, Gaben und Qualifikationen aktiv und persön-lich, mit Respekt und Toleranz, selbstbewusst und kompetent.

Wir sind mit den katholischen und unseren reformatorischen Schwesterkirchen ökumenisch verbunden. Wir haben Kon-takt zu den Freikirchen, in die weltweite Kirche und zu an-deren Konfessionen und Religionen, unter Wahrung unserer Identität.

Wir setzen uns im Rahmen unseres Auftrags für Friede, Ge-rechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ein. Wir stehen an der Seite von Menschen in Not und Schwierigkeiten. Wir un-terstützen die Arbeit unserer Hilfswerke.

Unsere Angebote und Vernetzungen Wir teilen Lebensfreude und machen Angebote, die Gemein-schaft fördern und die Gemeinde aufbauen.

Wir vernetzen so unsere Mitglieder unterein-ander und stärken das Gemeinschaftserlebnis. Unsere Angebote haben Zielgruppen im Blick: Seien sie definiert durch Lebensalter, Interessen oder durch Lebenssituationen. Generationen zu-sammenzubringen sehen wir als besonderen Auftrag an. Un-sere Angebote sind sowohl Einzelanlässe als auch Projekte. Dank der Arbeit und Ressourcen von und mit Freiwilligen vermehren wir die Wirkung unserer Mittel.

Wir bieten Vorträge, Kurse und Seminare an, intern oder ex-tern, und nutzen dazu eigene oder fremde Ressourcen.

Wir arbeiten mit anderen Organisationen zusammen, fest und projektweise, entsprechend aktueller Situationen und Bedürfnisse.

Unsere Visionen Visionen sind Bilder einer zukünftigen Wirklichkeit, in Wor-ten vorweggenommen. Visionen sind auch jene Vorstellun-gen von Kirche, die wir zu Anfang benannt haben. Gottes Verheissungen geben uns Visionen.

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In Matthäus 5, 3–9 lesen wir folgende Vision:Freuen dürfen sich alle, die nur noch von Gott etwas erwarten – mit Gott werden sie leben in seiner neuen Welt. Freuen dürfen sich alle, die unter dieser heillosen Welt leiden – Gott wird ihrem Leid ein Ende machen. Freuen dürfen sich alle, die unterdrückt sind und auf Gewalt verzichten – Gott wird ihnen die Erde zum Besitz geben.Freuen dürfen sich alle, die danach hungern und dürsten, dass sich auf der Erde Gottes gerechter Wille durchsetzt – Gott wird ihren Hunger stillen.Freuen dürfen sich alle, die barmherzig sind – Gott wird auch mit ihnen barmherzig sein.Freuen dürfen sich alle, die im Herzen rein sind – sie werden Gott sehen.Freuen dürfen sich alle, die Frieden stiften – Gott wird sie als seine Söhne und Töchter annehmen.

Wir versuchen, solche Verheissungen – in aller Vorläufigkeit und mit glaubendem Vertrauen – erlebbar und sichtbar zu machen. Damit wollen wir auch unsere Räume «beseelen».

Wir sind und bleiben eines der Zentren des Lebens in Rei-nach. Die Mischeli-Kirche und unser Kirchgemeindezentrum sind Sonntags- und Alltagskirche.

Wir schaffen mit unseren Angeboten Räume, wo man ger-ne hinkommt. Gott liebt diese Welt, jeden und jede. Diese Botschaft verpflichtet uns Zeit, Mitmenschlichkeit und Le-bensfreude nachhaltig weiter zu geben. Unsere ehrenamtlich, freiwillig und hauptamtlich Mitarbeitenden und unsere An-gebote helfen Menschen, ihren Weg in dieser Welt mutig, ver-antwortungsbewusst und zuversichtlich zu gehen.

Wir laden ein zu uns zu kommen. Wir gehen hin und su-chen Menschen auf. Trotz gesellschaftlicher Veränderungen bleiben wir eine volkskirchliche Gemeinde mit Vielfalt und Raum für alle. Unsere bestehenden und zukünftigen Ange-bote müssen unseren Visionen und Ressourcen entsprechen.

In unseren zukünftigen Tätigkeiten setzen wir thematische Schwerpunkte und arbeiten fachübergreifend zusammen.

Wir nützen die Kompetenzen unserer Gemeindemitglieder und achten darauf, dass sie eine Beziehung zu uns behalten und sich wohlfühlen.

Wir bleiben wach und offen für die Menschen und die Welt. Wir sind als Kirchgemeinde Teil einer Gemeinschaft inner-halb der weltweiten Kirche.

Leitsätze

Unser Leitbild – Unser Bild, das uns leitet – Unsere Kultur• Wir bewahren Gottes Schöpfung und setzen uns ein für

Friede und Gerechtigkeit.• Wir sind Kirche für Sie, für Dich, für uns, als Sonntagskirche

und Alltagskirche. • Wir feiern Gottesdienste. • Wir begegnen einander wertschätzend, tolerant und anteil-

nehmend.• Wir sind gastfreundlich, teilen Lebensfreude und pflegen

Gemeinschaft.• Wir stehen an der Seite von Menschen in Not und Schwie-

rigkeiten.• Wir bieten vielfältige Veranstaltungen und nehmen Teil am

gesellschaftlichen Leben.• Wir laden ein, bei uns dabei zu sein und mit zu arbeiten.• Wir pflegen die Ökumene und sind Teil der weltweiten

christlichen Kirche.• Wir sind und bleiben ein Zentrum des Lebens in Reinach,

als Bild für ein gastfreundliches Reich Gottes.

Das alles leitet uns als Evangelisch- reformierte Kirchge-meinde Reinach. Wir sind uns bewusst, dass nicht alles in unseren Händen liegt.

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Die Kirchgemeinde Reinach hat sich viel vorge-nommen – und mit ihrem Leitbild klare und hohe Ansprüche an sich selber formuliert. Wie entsteht daraus konkretes Handeln? Kann das «Marketing-Denken» helfen, das Leitbild umzusetzen, Menschen zu erreichen und für die Kirche «neue Märkte» zu erobern? Können wir vom «Management» etwas ler-nen, um wieder an Strahlkraft zu gewinnen?

Mitte Januar 2012 kommen die Verantwortlichen der reformierten Kirchgemeinde Reinach/BL im Tagungszentrum «Leuenberg» zusammen, um ge-meinsam den Entwicklungsprozess ihrer Gemeinde vorwärts zu bringen. Im Zentrum steht die Frage, wie können wir unser Leitbild umsetzen? Wie können wir

Wirkung erzeugen? Wie können wir die Menschen erreichen? Dieser Text versucht einen Einblick in die Überlegungen zu geben, mit denen wir uns an diesem Tag auseinandergesetzt haben.

Der Tag stand unter dem Titel «Kirche, Markt und Marketing». Marketing im kirchlichen Kontext – das provoziert. Muss sich jetzt auch die Kirche den Prinzipien der Wirtschaft unterwerfen? Oder ist sie selbstbewusst genug, um sich beim Werkzeugkasten der gewinnorientierten Unternehmen zu bedienen? Denn der Werkzeugkasten «Marketing» wird heute zunehmend auch von Non-Profit-Organisationen, öffentlichen Körperschaften und Behörden genutzt. Wer bei Marketing nur an schreiende Produktwer-

Kirche auf dem Markt – Wie setzen wir ein kirchliches Leitbild um?Ein Beitrag von Martin Engel

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bung, plumpe Slogans und aufdringliche Verkäufer denkt, wird dieser Methodik nicht gerecht. Marke-ting bedeutet in seinem Kern, dass wir unser Tun und Handeln auf die Bedürfnisse unseres Gegenübers aus-richten. Dass wir versuchen zu verstehen, warum sich jemand zum Beispiel einen Schokoladeriegel kauft? Warum diesen Riegel und nicht einen anderen? Zu welcher Tageszeit kaufen die meisten Menschen ein solches Produkt, wo und unter welchen Umständen? Welche Personengruppe kauft überhaupt Schokorie-gel? Sind es sportliche Frauen über 60, mit höherem Bildungsniveau, oder eher Teenager, aus dem ländli-chen Raum, mit einem eigenen Facebook-Profil, und die auch Coca-Cola trinken? Das Marketing versucht zu verstehen, wer warum was tut. Kurz: Das Marke-ting versucht die menschlichen Bedürfnisse zu er-gründen, um Antworten darauf zu geben – und mit diesen Antworten die Menschen zu erreichen.

Marketing-Denken

Was bei unserem Beispiel auf das simple Verkaufen eines Produkts des täglichen Gebrauchs hinausläuft, ist beim Angebot einer Kirche nicht grundsätzlich anders – höchstens ein bisschen komplizierter. Denn eine Kirchgemeinde will letztlich das Gleiche: Men-schen erreichen, ihnen Antworten geben können. Wenn wir die Partizipation und die Zufriedenheit erhöhen wollen, sollten wir die Menschen erreichen

können, und dafür müssen wir uns in sie hinein-fühlen, müssen wir unsere Angebote nicht an uns sondern an ihnen orientieren. «Marketing-Denken» heisst letztlich, die Beziehungen zu den Kunden – den Menschen - in den Mittelpunkt unseres Tuns zu stel-len. Dafür müssen wir uns von unserer Innensicht lö-sen und uns selber, unsere Organisationen, Angebo-te und Werte von aussen betrachten können. Dieser Perspektivenwechsel ist zwingend, um sich auf seine zukünftigen Kunden einstellen zu können. Und er ist für jede Organisation gesund: Sich aus Sicht des Aus-senstehenden zu denken, das hilft gegen Selbstbezo-genheit und Betriebsblindheit.

Managementmethoden?

Mit dem Leitbild «Menschenkirche» ist viel defi-niert worden: Ansprüche, Visionen, Angebote. Das war eine grosse Arbeit und die Formulierung dieses Papiers bedeutet viel. Jetzt sollen diese Gedanken in eine konkrete Praxis umgesetzt werden. Auf diesem Weg ist es von entscheidender Bedeutung, struk-turiert vorzugehen. Die Gefahr ist gross, sich ob all der guten Ideen und Absichten zu überfordern, oder knappe Ressourcen zu verschleudern. Das moderne Unternehmensmanagement bietet hier Methoden, die Umsetzung strukturiert anzugehen. Denn die Konkurrenz schläft auch im kirchlichen Bereich nicht und der gesellschaftliche Wandel ist rasant. Wenn wir

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Management-Methoden anwenden, so achten wir auch auf den Faktor «Zeit» – denn wir haben auch hier nur endlich viel davon.

Ausgangslage verstehen und Ziele stecken Kernelement aller Umsetzungen ist die Strategie, res-pektive eine Vielzahl an Teilstrategien oder Konzepte. Sie zeigen den Weg, den wir vom Ausgangspunkt bis zum Zielpunkt gehen wollen. Je genauer unsere Ziele und Visionen definiert sind, und je präziser das Ver-ständnis unserer Ausgangslage ist, desto angemesse-ner können wir unsere Vorgehensstrategie planen. Entscheidend ist, ob es uns gelingt, unsere Ist-Situati-on selbstkritisch und wertschätzend zugleich zu ana-lysieren. Wir sind auf ein realistisches Selbstbild ange-wiesen, um uns gut gerüstet auf den Weg zu machen.

Das Umfeld und den Wandel verstehen

Wenn wir wissen wer wir sind, wo wir stehen, und wohin wir gehen wollen, kommt die nächste grosse Frage: Wie sieht es eigentlich rund um uns herum aus? Wir müssen uns mit der Welt auseinanderset-zen, welche die Menschen prägt und formt. Und was prägt das gesellschaftliche Umfeld mehr, als ein rasan-ter Wandel (siehe Kasten). Soll sich die Kirche davon abschotten, und sich ganz auf den historischen Kern ihrer Mission zurückziehen? Oder soll sie in einen

bewussten Austausch mit der Welt treten, ganz im Bewusstsein, dass sich die Menschen den Einflüssen dieser Welt nie gänzlich entziehen können. Wenn wir über Marketing und Kirche sprechen, so haben wir uns bereits dafür entschieden, uns den Herausforde-rungen der modernen Welt zu stellen.

Zielgruppen eingrenzen

Wenn wir mit unseren Angeboten Menschen errei-chen wollen, so wissen wir, dass nicht jedes Angebot bei allen Menschen gleich angenommen wird. Wir richten unser Angebote auf bestimmte Gruppen aus, machen einen Jugendgottesdienst oder einen Alters-nachmittag. Wenn wir unsere Angebote weiterentwi-ckeln, so denken wir sie aus Sicht der entsprechen-den Zielgruppe. In der Auseinandersetzung mit dem Leitbild «Menschenkirche» haben wir uns zum Bei-spiel intensiv mit der Gruppe der distanzierten Kir-chenmitglieder auseinandergesetzt. Wer sind diese Menschen, welche die kirchlichen Angebote kaum nutzen, in keiner Weise in das kirchliche Leben integ-riert sind und trotzdem der Kirche treu bleiben? Was wissen wir über diese Gruppe? Gibt es in dieser Grup-pe Konstanten, in Bezug zur Beziehung zur Kirche, in Bezug zu Lebensstil und Werten? Wo finden trotz aller Distanziertheit Kontakte statt? Wie könnten wir ihre Wünsche mit neuen Problemlösungen befriedi-gen? Was können nur wir ihnen bieten? Die Ausein-

Die Konkurrenz schläft auch im kirchlichen Bereich nicht und der gesellschaftliche Wandel ist rasant. Wenn wir Management-Methoden anwenden, so achten wir auch auf den Faktor «Zeit» – denn wir haben auch hier nur endlich viel davon.

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andersetzung mit einer Zielgruppe kann nicht Sache eines einmaligen Workshops sein, sondern bedeutet ein ständiges Genau-Hinsehen und Lernen.

Planen, umsetzen, verwerfen, von vorne beginnen

Alles Marketing-Denken nützt aber wenig, wenn wir nicht sowohl bei der Planung wie auch bei der Um-setzung strukturiert und umsichtig vorgehen. Unsere Projekte haben eine gewisse Komplexität und können nicht einfach «freihändig» geführt werden. Unsere Ressourcen sind knapp, was ein sorgfältiges Manage-ment von Menschen, Zeit und Finanzen auch auf der Ebene von Kirchgemeinden immer notwendiger macht.

Und wenn wir nun mit den Umsetzung begonnen haben, Erfahrungen gesammelt haben, Erfolge und Misserfolge erlebt haben, dann beginnt dieser ganze Prozess von vorne. Dann sitzen wir wieder zusam-men, schauen wo wir stehen, ob wir an unseren Zie-len etwas korrigieren sollen, bauen neu erlerntes ein, planen wieder, schreiben Strategien und Konzepte um - und beginnen von vorne, machen neue Umset-zungsversuche und gehen unseren Weg weiter. Unser Ziel haben wir dabei im Blick: Wir wollen im Aus-tausch mit Menschen lebendig sein, etwas bewirken und unsere Strahlkraft weiter steigern.

Widersprüchlicher gesellschaftlicher Wandel

Unsere Gesellschaft wandelt sich ständig. Grosse gesellschaftliche Veränderungen verlaufen nie linear, sondern lösen immer auch Gegenbewe-gungen aus.

• Unsere Gesellschaft hat sich geöffnet, traditi-onelle Autoritäten verlieren an Einfluss, Wer-tewandel und –vielfalt zeichnen die Moderne aus. Viele Gesellschaftsbereiche werden libe-ralisiert und eine Pluralisierung der Lebens-stile wird möglich. «Alles ist nebeneinander möglich.» Dieser gesellschaftliche Aufbruch hat aber in gewissen Segmenten gleichzeitige Retraditionalisierung-Tendenzen ausgelöst. Dies führt zu einem nicht nur sehr pluralen, sondern auch hybriden Gesellschaftsbild. Neben einer Vielzahl an modernen Lebens-realitäten gibt die offene Gesellschaft auch die Möglichkeiten sich in die Enge von «mittelal-terlichen Trutzburgen» zurückzuziehen, ja sie provoziert es sogar.

• Individualisierung und Flexibilisierung sind in diesem Zusammenhang wichtige Stich-worte. Die individuelle Freiheit hat grösste Bedeutung und das bedeutet auch eine Zer-setzung traditioneller sozialer Strukturen.

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Gleichzeitig finden soziale Neuzusammen-setzungen statt und der Wunsch des Indivi-duums nach Sicherheit nimmt zu.

• Die Gesellschaft differenziert sich zunehmen-de aus. Sie muss auf immer neue Problemlö-sungen neue spezifische Antworten finden. Die Komplexität und die Vernetzung res-pektive die wechselseitigen Abhängigkeiten und Durchdringungen im Zusammenspiel der verschiedenen gesellschaftlichen Akteure nehmen zu – und gleichzeitig ist ein steigen-der Wunsch nach Einfachheit feststellbar.

• Die gleiche Widersprüchlichkeit lässt sich auch im Bereich der zunehmenden Mobilität und Globalisierung feststellen. Auch dieser «Megatrend» nährt bei den Menschen auch den Wunsch nach Nähe.

• Bildungsexplosion, ungehinderter Informa-tionszugang, rasante technologische Innova-tionsdynamik sind Stichworte einer Realität. Der wachsende Wunsch nach einem roman-tischen, emotionalen respektiv spirituellen Ausgleich steht im Widerspruch dazu, bildet aber ebenso eine Realität ab.

• Das historisch Einmalige der gegenwärti-gen Entwicklung ist wohl das Tempo der

Veränderungen respektive die exponentielle Wachstumskurve. Was die Antithese impli-ziert: Der Wunsch nach Natürlichkeit, Ein-fachheit, Ruhe, Zeit und Langsamkeit.

Martin Engel ist Soziologe und Kommunikationsex-perte in Basel. Er berät, unterstützt und coacht Orga-nisationen in Fragen von Marketing und Kommunika-tion, er entwickelt Konzepte und Strategien und setzt diese wenn nötig auch um. www.martinengel.ch

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2007 haben wir mit dem Entwurf «Insieme» den Ar-chitekturwettbewerb für das Kirchgemeindehaus wie auch für die nahe liegenden Seniorenwohnungen für uns entscheiden können. Nach einer längeren Pause wurde der Bebauungsplan als politische Grundlage für die Baugenehmigung erarbeitet. Als dann mit der Überarbeitung des Projektes, mit dem Kostenvoran-schlag und dem Spatenstich im Dezember 2012 die Realisierungsphase begann wurden wie in fast jedem Bauprojekt die Kosten zum übergeordneten Thema. Wir nennen diesen Prozess design-to-cost: Das Pro-jekt wird in Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft,

den künftigen Nutzern und den Fachplanern gemäss Budget optimiert. Aufgrund der zahlreich besetzten Baukommission gab es naturgemäss sehr viele Inputs, auch verschiedene Ansichten und Meinungen, die unter einen Hut zu bringen waren.

Da das Projekt auf einem detaillierten Raumpro-gramm basierte, änderte sich wenig Grundsätzliches: Die spitze, etwas zu aggressive Ecke des Baus sei-tens der Niederbergstrasse wurde abgeschwächt und es entstanden die beiden zum Pfarrhaus und neuen Kirchplatz hin orientierten Erker. Zusammen mit den

Das Projekt und der BauEin Beitrag der Architekten Yves Stump und Hans Schibli

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zenitalen Oberlichtern sorgen diese für eine adäquate, leicht sakrale Stimmung des im Obergeschoss gelege-nen Saales. Zudem wurde das gesamte Projekt redi-mensioniert.

Im Wesentlichen jedoch entspricht das Haus dem Grundentwurf – wir können also voll hinter dem Ergebnis stehen – und es wiedergibt v.a. auch unsere städtebauliche Haltung: Das neue Kirchgemeinde-haus ist zusammen mit der Kirche von Ernst Gisel und dem Pfarrhaus von Hans Roduner Teil des neuen Ensembles, das sich um den vergrösserten Kirchplatz im Zentrum bildet.

Architektonischer Ausdruck im Kontext

Wenn wir uns mit einem Projekt auseinander setzen, entwickeln wir Bilder von der Materialität und vom architektonischen Ausdruck im Kontext: Mit grossflä-chigen Betonelementen und Verglasungen versuchten wir die bestehende Betonarchitektur von Kirche und Pfarrhaus aufzunehmen, ohne sie zu imitieren. So stellten sich viele interessante Fragen: wie stark soll-ten sich die Oberflächen aufeinander beziehen bzw. unterscheiden; wie reagiert man auf den Altersunter-schied und die schon angesetzte «Patina» des Bestan-

des? Oder welches ist die adäquate, zeitgemässe Kon-struktion, bietet doch heute der Baustoff Beton ganz andere Verarbeitungsmöglichkeiten als einst?

Zur Material-Thematik hinzu kam die für uns wichti-ge Differenzierung zwischen dem Kirchgemeindehaus und den Alterswohnungen: Nach zahlreichen Tests, Bemusterungen und Diskussionen mit der Bauherr-schaft haben wir uns beim Kirchgemeindehaus für einen naturbelassenen Sichtbeton mit leicht gerillter Textur, bei den Wohnbauten für einen gewaschenen und eingefärbten Beton entschieden.

Für den Innenausbau standen weniger «Bilder» im Vordergrund. Viel mehr entwickelten wir diesen im Gespräch mit den Nutzern. Der Saal sollte eher int-rovertiert und festlich-intim sein. Das Kirchencafé ist viel öffentlicher; es stellt eine neue Art Zugang zur Kirche dar und trägt umgekehrt das Leben der Kirche auf Passantenniveau nach aussen. Der doppelgeschos-sige, skulpturale Eingangsbereich und die Administ-ration sind weitgehend verglast und stehen für «Kom-munikation», und auch der Jugendbereich hat seine ganz eigene, eher «provisorische» Stimmung.

So wie Ernst Gisels faszinierendes «Spiel» mit Beton und dem ganz anderen Material Backstein im Innen-

Nächste Doppelseite: Visualisierungen des Bauprojekt durch die Architekten

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bereich der Kirche, wollen wir im Neubau mit Farben und Materialien Zonen differenzieren und eigene, spezifische Stimmungen schaffen.

Kirchenarchitektur ist sozio-kulturell

Kirchenarchitektur, zu der auch ein Kirchgemeinde-haus gehört, war stets ein wichtiges sozio-kulturelles Thema. Auch Ernst Gisel plante damals ein entspre-chendes, ähnlich situiertes Nebengebäude, das aber nie gebaut wurde.

Insofern ging es beim neuen Kirchgemeindehaus «Mischeli» nicht nur um den «Dialog» mit dem he-rausragenden, denkmalgeschützten Bau und dessen eindeutig «codierten» Architektursprache der «Beton brut»-Architektur der 70-er Jahre. Es ging genauso um das «Zwiegespräch» der Nutzungen: Gisels Bau, die Kirche ist der Sakralbau und spirituelle Raum, wohingegen das neue Gebäude den Lebensraum dar-stellt, entsprechend dem Leitbild der Kirchgemeinde: Sonntagskirche und Alltagskirche.

Diese im Leitbild gewünschte Lebendigkeit sprachen uns von Beginn der Planung her an. So wurde das Haus aus dem Leben, aus den Bewegungen der Ge-meinschaft des Quartiers entwickelt. Die Räumlich-keiten sollen offen und flexibel sein für verschiedens-te «Bespielungen» und sich verändernde Bedürfnisse. Dementsprechend freuen wir uns darauf, zu sehen,

wie das Kichgemeindehaus Mischeli angenommen, belebt und bespielt wird von den Nutzenden: Wie bei-spielsweise das Kirchencafé Stühle rausstellt, wie der neue Kirchenplatz bevölkert wird, wie die Jugendli-chen ihren Raum «beschlagnahmen» und ausschmü-cken oder welche Konzerte, Darbietungen und Feste den grossen Saal «zum Klingen bringen».

Yves Stump und Hans Schibli sind Architekten FH/BSA mit Büro in Basel.

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Ausblick und ZukunftEin Beitrag von Christoph Erhardt

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entfloh der franzö-sische Maler Paul Gauguin der steifen Gesellschaft in Frankreich und hoffte, auf der exotischen Insel Tahiti ein ursprüngliches, sorgenfreies, ja paradiesisches Le-ben zu finden. Von der Wirklichkeit enttäuscht und ratlos gab er einem seiner letzten grossen Bilder den Titel «Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin ge-hen wir?», bevor er aus lauter Verzweiflung versuchte, sich mit Arsen das Leben zu nehmen.

Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? Dies sind Grundfragen des Lebens, denen wir

nicht ausweichen können. Als Antwort gilt für uns Christen, dass wir Teil von Gottes Schöpfung und sei-ne Kinder sind, dass wir auf Gottes Wort vertrauen und an die gute Botschaft von Jesus Christus glauben. Die vorliegende Schrift vermag deshalb zu erklären und zu schildern, woher wir kamen, wie wir uns ver-stehen und wie so das Leitbild entstanden ist.

Doch: Wohin gehen wir?

In unserer Zeit ist vieles, zu vieles organisiert, struk-turiert und vorgeschrieben. Der Dichter Friedrich

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Dürrenmatt hat unser geregeltes Leben sogar als Ge-fängnis gedeutet. Wohl als Gegensatz dazu gilt viel, sich selbst zu verwirklichen. Selbstbestimmung, Frei-heit und Eigenverantwortung sind in Mode, sind aber auch Schlagworte.

Auf sich allein gestellt sein kann zu Einsamkeit und in Krisen führen. Statt Verlassenwerden heisst es zwar modern «Lebensneustart», statt Stellenverlust «Neu-orientierung» und statt Verzweiflung «Burn Out». Aber damit tauchen sie wieder auf, die Fragen «Wo-her komme ich? Wer bin ich?» Wohin gehe ich?». Ty-pisch für unsere Zeit des Individualismus ist dabei die Einzahl «ich» und weniger die Mehrzahl «wir».

Der Mensch ist jedoch kein einzeln existierendes We-sen, sondern lebt erst in Gemeinschaft mit Anderen auf. Das ist nicht nur bei Kindern so, auch Erwachse-ne brauchen Nähe zu vertrauten anderen Menschen, das Reden und Leben mit Anderen. Mitglieder einer christlichen Kirche sind nicht nur für sich selber da, sondern kümmern sich auch um das Schicksal an-derer. Vom «ich» führt unser Auftrag und Weg zum «Du» und «wir». Darum hält uns das Leitbild an, einerseits einzuladen, andererseits zu andern hinzu-gehen, uns um sie zu kümmern, besonders wenn sie Hilfe brauchen. «Wohin gehen wir?» das zeigt uns das Leitbild auf mannigfache Weise auf.

Mit dem neuen, stattlichen Gebäude gegenüber der Mischeli-Kirche haben wir nun wunderbare Räume,

moderne Einrichtungen und beste Voraussetzungen für vielfältiges Tun und Leben in unserer Kirchge-meinde. Frau Dr. Könemann ermuntert uns in ih-rem Beitrag (vgl. Seite….) zum Besuch Empfangen Accueil), zum Zuhören, Reden und Anteil nehmen (Partage) und zur Gratuieté, das heisst, ohne dafür Rechnung zu stellen. Nutzen wir also unser neues Zentrum so!

Unser neues Gebot könnte darum auch heissen «Gib deinem Nächsten Zeit wie dir selbst». Studien und Untersuchungen zeigen nämlich, dass im Gespräch mit einem vertrauten, nahestehenden Menschen sich am meisten ereignet und verändert, besonders auch im Finden oder wieder Finden des christlichen Glau-bens. 1

Das neue Kirchgemeindezentrum steht, die Arbeit am Leitbild ist beendet, aber die Arbeit für jeden Einzel-nen von uns beginnt jetzt erst richtig. So soll nun in Zukunft noch mehr gelten: Ich will mitmachen, mit-wirken und etwas tun. Nur so sind wir stark, nur so lebt das Kirchgemeinde-Zentrum. Oder um mit dem Wort des Soziologen Jean Ziegler zu sprechen: «Der Mensch ist, was er tut».

Christoph Erhardt ist Ingenieur ETH und Kirchenrat der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kan-tons Basellandschaft mit dem Ressort Finanzen.

1 «Wie finden Erwachsene zum Glauben?» Studie des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung der Ernst‐Moritz‐Arndt‐Universität, Greifswald 2010

Folgende Doppelseite: Die fertigen Räume – bereit zur Belebung

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Oben: Foyer(Eingangsbereich

Oben: Küche des Kirchencafé, Unten: Kirchencafé

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Oben: Grosser Saal mit Oberlichtern und Erkern zum Kirchplatz

Oben: Unterrichtzimmer/Kleiner Saal, Unten: Jugendbereich

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