18 Thema 11 Thema 19 · 18 Thema 11 / 2012 11 Thema 19 In einem Hamburger Treffpunkt für Eltern...

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18 Thema Fotos: Elke Straub

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In einem Hamburger Treffpunkt für Eltern schwarzer* Kinder reifte vor über 20 Jahren die Idee, eine Kita für Kinder mit Rassismus-Erfahrung zu gründen. Der dar-aus entstandene Kinderladen „Maimouna e. V.“ versteht sich als politisches Projekt, das Forderungen an das Bil-dungssystem in der Einwanderungsgesellschaft stellt. Aus der Gründungsidee, eine Bildungseinrichtung zu schaffen, in der sich Kinder, Erzieherinnen, Erzieher und auch Eltern mit Migrationsgeschichte willkommen und ernst genommen fühlen, hat sich eine einzigartige Kita entwickelt. Einen Einblick liefert der folgende Bericht.

Sonja Areba

Maimouna ist ein in ganz Westafrika verbreiteter Mädchen-name, der den Gründerinnen vom Klang her gut gefiel. Heute ist Maimouna eine Erzieherinnen-Initiative mit einer Krippe und einer Elementar-Gruppe, in denen insgesamt 34 Kinder zwischen zwei Monaten und sechs Jahren gefördert werden – die meisten zwei- oder mehrsprachig.

Die kulturelle Vielfalt in den Hamburger Einzugsgebieten St. Pauli und Altona-Altstadt, zwei benachteiligten Stadtteilen, spiegelt sich in der Kita wider. Die fünf festangestellten Mai-mouna-Pädagoginnen, die meisten ebenfalls mit Migrati-onshintergrund, die die Einrichtung gemeinsam als Leitungs-Team verwalten und organisieren, blicken stolz auf die vergangenen Jahre zurück, in denen es etliche Krisen durch staatliche Kürzungen und Vorgaben zu meistern gab.

„Besonders diskriminierend wirkte sich die Einführung des Kita-Gutschein-Systems im Stadtteil aus. Es hat gerade die Kinder nach Hause geschickt bzw. ihnen erst gar keinen Kita-Platz gewährt, die ihn am nötigsten bräuchten“, empört sich Elke Straub, die als Gründungsmitglied und Ethnologin in der Kita arbeitet.

Vielfalt als Stärke Die Erzieherinnen haben den Anspruch, als international besetztes Leitungsteam interdisziplinär mit den Honorar-kräften zusammenzuarbeiten und die unterschiedlichen Ausbildungen und Erfahrungen als gleichwertig anzuerken-nen. „Das ist kein kuscheliges Harmonie-Modell“, stellt Amara Duscha fest, die als Praktikantin bei Maimouna ange-fangen hat. „Wir reiben uns und haben dabei ein eigenes Diversity-Management (siehe S. 21) entwickelt, von dem wir letztlich alle profitieren.“ Auch der Kita-Helfer Marco Ventu-rini und Juan Carrasco als Allroundkraft, die das Team im hauswirtschaftlichen Bereich tatkräftig unterstützen, betei-ligen sich an den Diskussionen und prägen aus ihrer Sicht die interne Streitkultur mit.

Respekt und Wertschätzung sind der Schlüssel für die Kommunikation im Team, aber auch mit Kindern und Eltern. Dabei distanziert sich die Einrichtung von Kitas, die sich als „multikulturell“ bezeichnen, ohne sich mit Migration, Rassis-mus und Ausländergesetzen befasst zu haben und ohne einen multikulturellen und/oder multilingualen Ansatz in ihrem Konzept verankern zu wollen. „Interkulturelle Öffnung sieht anders aus. Es kommt nicht darauf an, die Zahl der Nationalitäten angeben zu können,

Vielfalt als Chance Interkulturelle Öffnung in einem Kinderladen

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die ‚alle unter einem Dach’ betreut werden. Viel wichtiger ist die positive Haltung zu Heterogenität und der professionelle Umgang damit“, meint Elke Straub. Das Maimouna-Team ist auch stets darum bemüht, über Praktikanten Einfluss auf die Ausbildung zu nehmen und konfrontiert sie mit Fragen zu ihrer Verantwortung als Päda-goginnen oder Pädagogen in der Diaspora.

Bildung – ein MenschenrechtBei jeder Gelegenheit wird das Recht aller Kinder auf Bildung von Anfang an eingefordert, unabhängig von der Beschäfti-gung ihrer Eltern, ihrer Herkunft oder ihrem Aufenthaltssta-tus. Maimouna engagiert sich seit Beginn für Kinder ohne Papiere, die für Politik und Jugendhilfe jahrzehntelang nicht existierten und für die es auch an den meisten Schulen immer noch keine deutliche Aufnahmebereitschaft gibt, obwohl ihre Meldung an die Ausländerbehörde in Hamburg nicht mehr verpflichtend ist. Für Kitas stellte sich bislang das Problem, dass für diese Kin-der kein refinanzierbarer Kita-Gutschein beantragt werden konnte, weil sie nirgendwo gemeldet sind. In diesem Jahr kam endlich eine Diskussion in Bewegung, aber Hamburg drückt sich weiterhin um eine menschenwürdige Regelung. Ausländerrecht steht immer noch vor Kinderrecht. „Kein Kind darf illegalisiert und von Bildung ausgeschlossen wer-den, das ist ein Skandal“, meint dazu Sandra Nyame, Erziehe-rin in der Krippe.

Jeder ist Experte auf seinem Gebiet Jede Mitarbeiterin hat sich einem Bildungsbereich zugeord-net und ist mit Leidenschaft dabei: Bewegung, Rollenspiel, Musik, Natur und kulturelle Umwelt, Mehrsprachigkeit so-wie kreatives Arbeiten. Jede ist verantwortlich für den jewei-ligen Funktionsraum und das Material und bildet sich im aus-gewählten Bereich kontinuierlich fort. „Das erspart uns den täglichen Spagat der ‚Alles-Könnerin’, die dann doch sehr

den eigenen Neigungen nachgeht“, ist sich das Team einig und empfindet das „Fachmenschen-Prinzip“ als enorme Arbeitserleichterung.

„Elterngespräche und Elternabende so weit möglich in den Herkunftssprachen führen.“

So gibt es unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Experten beispielsweise für kreatives Arbeiten, Rollenspiel und Entspannung, Sprachförderung, Natur und kulturelle Umwelt, Musik und Bewegung.

Mehrsprachigkeit Das pädagogische Konzept lässt den Selbstbildungspotenzi-alen der Kinder weiten Spielraum, sich ihre Welt zu konstru-ieren ohne Selbstverleugnung und kulturellen Anpassungs-druck. Der mehrsprachige Alltag trägt erheblich dazu bei: Muttersprache, ja bitte! Sprachbildung findet immer und überall statt, in vielen Sprachen.

Für Kinder, die mit wenigen Deutschkenntnissen in die Kita kommen, gibt es zusätzliche Förderung. Dr. Renate Günther, Fachkraft für Sprachbildung und Literacy, hat einen geschul-ten Blick auf die Sprachentwicklung der Kinder und fördert sie gezielt innerhalb der Gruppe oder auch einzeln. Ihr ist da-bei bewusst, dass Sprachentwicklung sich bei allen Kindern in bestimmten aufeinanderfolgenden Schritten vollzieht, die sich nicht durch Sprachunterricht durchkreuzen oder abkür-zen lassen. Zum Vorlesen kommt außerdem Ruth Clausen, die sich ehren-amtlich mit einzelnen Kindern zurückzieht. Der Platz neben „Frau Ruth“ ist heiß begehrt. Die Bücher werden sorgfältig ausgewählt. Rassismen und Klischees sollen nicht verbreitet werden.

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Elternarbeit in HerkunftssprachenDas Bildungsverständnis zu vermitteln ist nicht immer ein-fach. Hier ist sensible Elternarbeit gefragt. „Einige Eltern fürchten, dass ihr Kind etwas verpasst, wenn es nicht zur Vor-schule geht“, berichtet Akhtar Daneshgar. „Wir dokumentie-ren die Bildungsprozesse der Kinder und führen Elternge-spräche und Elternabende so weit möglich in den Herkunftssprachen. So konnten wir vielen Eltern diesen un-nötigen Druck nehmen. Leider sieht es so aus, dass wir in Hamburg dieses letzte Jahr bald an die Schulen abgeben müssen – in unseren Augen eine Entscheidung gegen frühe Bildungschancen.“

Bereit zu Reflexion und Veränderung Das Bildungsverständnis hat sich im Laufe der Jahre verän-dert und damit einhergehend die Haltung und das pädago-gische Selbstverständnis. Für das fünfköpfige Team spielt die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und die Re-flexion der eigenen (kulturellen) Werte eine große Rolle.

„Wir haben uns lange und intensiv mit unseren eigenen Wur-zeln und Kindheitserfahrungen auseinandergesetzt, die un-terschiedlicher nicht sein könnten“, meint Elke Straub. „Das war ein wichtiger Prozess, um uns gegenseitig besser ken-nenzulernen, aber auch um eigene Vorstellungen zu hinter-fragen und Veränderungen anzugehen.“ Im Rahmen der Qualitätsentwicklung wurde das Team über Jahre durch den Dachverband SOAL geschult und ist seit 2007 für seine Bil-dungsqualität zertifizierte Kita (SOAL QE©).

Das Team nimmt sich Auszeiten, ist schon zweimal zusam-men verreist, um die Arbeit mit Abstand zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Zum Konzept gehören u. a. die regel-mäßige generationenübergreifende Zusammenarbeit mit der Seniorenbildung Hamburg ebenso wie der jährliche Fachaustausch zu frühkindlicher Bildung mit Erzieherinnen einer Krippe in Burkina Faso, Westafrika.

Die Mitgliedschaft im Eine-Welt-Netzwerk Hamburg beein-flusst das entwicklungspolitische Engagement und die Bil-dung zu nachhaltiger Entwicklung der Kita, wofür der Kin-derladen Maimouna 2012 zum zweiten Mal als Kita 21 zertifiziert wurde. Kulturelle Vielfalt hat im täglichen Spiel ihren Platz, alle Feste werden gemeinsam gefeiert, wie sie fallen.

Vision 2013: InklusionDie gemeinsame Vision für 2013 ist die weitere Annäherung an das Leitbild Inklusion: Barrieren im Kopf und in den Räum-lichkeiten zu beseitigen und eine Kita zu schaffen, in der Kin-der, Mitarbeiterinnen und Praktikantinnen mit Handicap nicht am Arbeiten, Lernen und Partizipieren gehindert wer-den. Alle anders – alle gleich. Sonja Areba, Fördermitglied bei Maimouna e.V., Hamburg

Kontakt

Maimouna e. V., Holstenstr. 20, 22767 Hamburg

www.maimounakila.de

Diversity-Management (Vielfaltsmanagement), toleriert und nutzt nicht nur die individuelle Verschiedenheit aller Mitarbeiter, sondern hebt diese mit besonderer Wertschät-zung hervor. Die Ziele sind, die Chancengleichheit zu verbes-sern und die soziale Diskriminierung von Minderheiten zu verhindern. Die Unterschiede sind nicht nur die rein äußer-lichen Merkmale eines Menschen (Geschlecht, Hautfarbe, Behinderung usw.), sondern auch die subjektive Andersar-tigkeit, wie z. B. Religion und Lebensstil.

* Anmerkung der Autorin: „schwarz“ ist hier ein politischer Begriff und

meint nicht nur afrikanisch, sondern alle, die dem Bild eines deutschen

Kindes in den meisten Köpfen hierzulande nicht entsprechen.